CCXX. Olympische Spiele

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    CCXX.
    OLYMPISCHE SPIELE
    zu Ehren von Vater Zeus


    Wie seit 880 Jahren fanden auch am Ende dieser vierjährigen Olympiade wieder die Olympischen Spiele statt, zu Ehren des Göttervaters Zeus, in seinem heiligen Hain von Olympia. Die ganze Welt blickte nach Elis, der im Nordwesten des Peloponnes gelegenen Landschaft, wo Olympia umgeben von sanften Hängen und grünen Hügeln lag. Zumindest tat dies der hellenistisch geprägte und traditionsbewusste Teil der inzwischen römisch dominierten Welt. Und natürlich schauten die Menschen auch nicht im eigentlichen Sinne nach dort hin, sondern mit ihren Herzen.


    Das galt zumindest für jene, die nicht die Reise nach Elis unternommen hatten. Die aber würden mit eigenen Augen sehen, wie Athleten aus nah und fern um den Sieg rangen. Der Sieg, nur er zählte, denn er war gleichbedeutend mit der Gunst des Gottes.
    Allerdings würden das nur die freien Männer und die unverheirateten Frauen wirklich hautnah erleben können, denn nur ihnen war der Zutritt zu den Wettkampfstätten erlaubt. Alle anderen würden es aus ihren Mündern erfahren und sie würden wissen, wer den Sieg errungen hatte, und die Namen der Olympiasieger würde die Zeit überdauern, und in der Erinnerung der Nachgeborenen lebendig bleiben. Sie würden Ruhm und Ehre für sich und ihre Heimat erringen. Reich würden sie werden und ein sorgenfreies Leben führen, bis zu ihrem letzten Atemzug hoch verehrt und als olympische Helden gepriesen.


    Zumindest war das früher einmal so gewesen. Aber diese großen und glanzvollen Zeiten waren – um der Wahrheit die Ehre zu geben – vorbei. Griechenland war schon vor langer Zeit seiner einstigen Größe beraubt worden und die griechischen Völker lebten im Schatten der Römer und in Abhängigkeit ihrer Gnade. Die Olympischen Spiele hatten ihre herausragende Bedeutung verloren und waren wie ein geschundenes, altes, gebeugten Weib. Noch vor zwei Generationen hatte dieses Weib zumindest die rabiate und zudringliche Aufmerksamkeit der Römer erfahren. Damals war alles Griechische in Rom populär und beliebt gewesen. Aber auch das war inzwischen vorbei und so existierten die Spiele mittlerweile als eine zwar geachtete, aber weitgehend ignorierte, abgelegte und nicht mehr ganz junge, ehemalige Geliebte.


    Die Olympischen Spiele waren noch immer das wichtigste religiöse Fest in Griechenland und ihre Bedeutung ging über die Grenzen der Provinz Achaia hinaus. Aber gemessen an ihrem einstigen Glanz, erhellten sie die Welt heute nur noch matt.
    Dennoch – sie leuchteten noch und das zum 220 mal, seit den ersten in den Analen verzeichneten Spielen, die bereits 23 Jahre vor Roms Gründung stattgefunden hatten.


    Der erste Vollmond nach der Sommersonnenwende war vorüber. Die olympische Flamme brannte. Die Spiele konnten beginnen und für fünf Tage war das kleine Olympia der wichtigste Ort auf der Welt – zumindest für jene, die daran glauben wollten.

  • Erster Tag


    Der Olympische Eid


    Der erste der fünf Festtage begann am Morgen mit dem feierlichen Einzug der Athleten in das Stadion von Olympia. Auf den Rängen drängte sich eine unüberschaubare Menge und es war kein einziger freier Platz mehr zu finden. Die Zuschauer begrüßten die Wettkämpfer mit Applaus, Beifallsrufen und freudigen Ovationen. Die Begeisterung galt zahlreichen schlanken und sehnige Läufern, stämmigen Ringern, stolzen Fünf-, und verwegen aussehenden Faustkämpfern.
    Hinter ihnen folgten die ehrwürdigen Kampfrichter, die hellanodiken.


    Gemeinsam sprachen sie den Olympischen Eid. Sie schworen, diesen heiligen Ort und seine Gesetze zu achten und ebenso die Regeln des Wettkampfs. Die Athleten gelobten ehrenhaft um den Sieg zu ringen, einander zu respektieren, und nicht zu hassen. Tatsächlich hatte man bei früheren Spielen Athleten deswegen schon disqualifiziert. Es war nämlich streng verboten, seinen Kontrahenten mit Hass zu begegnet, denn das beschmutzte die Reinheit der Spiele.


  • Die Wettkämpfe der Knaben


    Am Nachmittag des ersten Tages folgten die Wettkämpfe der Knaben. Sie maßen sich im Laufen, dem Faustkampf und im Ringen. Es war ein Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Tagen noch folgen würde und vielleicht würde man hier einen künftigen Mehrfach-Champion erleben können.


    Das Laufen gewann ein schmächtiges, dünnes Bürschlein aus Argolis. Sein Heimatort, von dem kaum einer je gehört hatte, hieß Tenea und er selbst Apollonios.


    Im Faustkampf siegte ein hübscher Jüngling namens Philistos aus Ephesos. Aber obwohl er der Sieger war, hatte er auch mächtig einstecken müssen und ganz so hübsch wie zu Beginn der Kämpfe war er danach nicht mehr.


    Das Ringen dominierte ein kräftiger und wilder Rabauke, der für sein (angebliches) Alter schon einen erstaunlich üppigen Bartwuchs hatte. Sein Name war Rhinon und er stammte von der Insel Imbros. Er warf jeden seiner vollkommen unterlegenen Gegner mit Leichtigkeit drei mal zu Boden und gewann den Wettbewerb überlegen. Einige Zuschauer murrten und stellten Mutmaßungen über sein wahres Alter an, verstummten aber bald, denn das war schließlich nur die Wettbewerb der Knaben gewesen. Die „richtigen“ Wettkämpfe würden erst morgen, am zweiten Tag beginnen.

  • Zweiter Tag


    Die Hippischen Agone


    Der zweite Tag der Olympischen Spiele war traditionell der Tag der hippischen agone – der Pferdesportwettbewerbe. Sie wurden nicht im Stadion von Olympia ausgetragen, sondern im Hippodrom, das nicht weit davon entfernt lag.


    Zuerst waren die Reiter dran. Geritten wurde sehr ursprünglich, ohne Sattel und auf gedrungenen, wendigen Pferden. Das Feld der Teilnehmer war sehr groß und deshalb auch das Gedränge während des Rennens. Es gab Rempeleien, Faustschläge und Fußtritte, und das trotz der scharfen Blicke der Kampfrichter.
    Einige Reiter stürzten. Das Publikum hielt den Atem an. Ein Knäuel aus Mensch und Tier wälzte sich im Staub und man musste das Schlimmste befürchten. Aber wie durch ein Wunder – oder wegen Zeus' segnender Anwesenheit bei diesen Spielen – kam kein Pferd ernstlich zu Schaden und die Reiter mit Prellungen und Schürfwunden davon.


    Am Schluss war es ein enges Rennen zwischen drei Reitern. Aber als sie die Ziellinie passiert hatten, mussten die hellanodiken nicht lange beratschlagen um sich auf den Sieger zu einigen. Es war Onomakritos aus dem süditalischen Kroton, von wo über die Jahrhunderte schon so viele siegreiche Athleten nach Olympia gekommen waren.


  • Das Wagenrennen


    Den Reitern folgten die Wagenlenker, mit ihren Vierspännern.


    Das war beim Publikum immer einer der beliebtesten Wettbewerbe und das nicht nur bei Kennern der Wagenrennszene. Denen fiel aber sehr wohl auf, dass dieses olympische Starterfeld bestenfalls zweitklassiges Niveau hatte. Die besten Gespanne und berühmtesten Wagenlenker der Gegenwart fehlten. Der Grund war einfach: Man hatte sie nicht eingeladen.
    Es hing damit zusammen, dass bei den Spielen nicht der Lenker des Wagens, sondern dessen Eigentümer als Olympiasieger geehrt wurde. Das aber, so war es im Vorfeld beschlossen worden, könne nur ein Einzelner sein, nicht aber eine Gruppe von Menschen. Die Gunst des Gottes Zeus müsse und könne nur ungeteilt bleiben – so lautete die unmissverständliche Deutung der Priester. Deshalb fehlten die römischen factiones und mit ihnen die besten Gespanne und aurigae der Welt.
    Diese Entscheidung würde bestimmt noch für Verstimmung bei den Römern sorgen und für eine harsche Reaktion, denn waren es die Römer inzwischen nicht gewohnt, überall eine Sonderbehandlung zu erfahren und ihren Willen durchzusetzen? Viele waren sich sicher: In vier Jahren, bei den nächsten Olympischen Spielen, würden die factiones nicht mehr fehlen und es gäbe kein 'Amateurrennen' mehr, wie es moderne Zungen ausdrückten. Der Ausschluss der 'Profis' war ein Anachronismus, davon waren sie überzeugt.


    Nach griechischer Art traten zehn Gespanne zum Rennen an (während es bei den Römern gewöhnlich nie mehr als acht waren). Die Wagenlenker waren aus den bereits genannten Gründen größtenteils Namenslose und nur ausgesprochenen Kennern bekannt. Einzig der Aegypter Hakor hatte schon von sich Reden gemacht, weil er bereits im großen Hippodrom von Alexandria gefahren war. Ein wohlhabender Alexandriner Namens Dexamenos war es auch, der ihn für dieses olympische Rennen unter Vertrag genommen hatte.


    Er hatte die richtige Wahl getroffen, denn seine Quadriga mit Hakor an den Zügeln gewann und damit war Dexamenos Olympiasieger.
    Aber auch Hakor konnte mehr als Zufrieden sein. Dexamenos zahlte ihm einen stattlichen Bonus für den Sieg und bestimmt würden er bald etliche lukrative Angebote für eine Daueranstellung als auriga bekommen und ein gemachter Mann sein.


  • Der Pentathlon


    Am zweiten Tag der Spiele herrschte immer große Unruhe. Weil zeitgleich mit den Pferdesportwettbewerben im Hippodrom der Pentathlon – also der Fünfkampf – im Stadion ausgetragen wurde, wogte ständig eine Zuschauermenge zwischen den beiden Wettkampfstätten hin und her. Spötter nannten diese 'Massenwanderung' auch den 'fünften Laufwettbewerb der Spiele'.


    Der Fünfkampf bestand, wie schon der Name sagte, aus fünf Disziplinen: Diskoswurf, Weitsprung, Speerwurf, Stadionlauf und Ringen.
    Sieger war, wer häufiger als jeder andere Mitbewerber gewann. Darum war es theoretisch möglich, dass der Fünfkampf bereits nach drei Disziplinen entschieden war und beendet wurde, wenn nämlich ein Athlet in den ersten drei Teilwettbewerbe siegte. Weil sie aber sehr unterschiedlich waren, kam das praktisch nie vor.
    Gewöhnlich fiel die Entscheidung erst im Ringkampf, wenn nur noch die besten Wettkämpfer der ersten vier Disziplinen antraten, um den 'König der Athleten' zu ermitteln.


    Der erste Teilwettbewerb des Pentathlon war das Werfen mit dem Diskos.
    Das war eine eine gewöhnlich etwa 15 bis 18 [antike] Pfund schwere Scheibe aus Bronze, die einen Durchmesser von etwa 18 bis 19 [antiken] Zoll hatte. Diesen großen Diskos zu werfen erforderte viel Kraft. Die übliche Technik war, sich mit dem Rücken zum Wurfplatz aufzustellen, und die Scheibe mit dem Schwung einer halben Drehung um die eigene Achse von sich fort zu schleudern. Dabei galt es, selbst Perseus und Apollon zu übertreffen. Freilich nicht unbedingt in der Weite, aber doch in der Zielsicherheit. Denn die zwei hatten einst, wie der Mythos berichtete, die Zuschauer Krokos und Hyakinthos mit ihrem Diskos erschlagen. Natürlich wollte man tunlichst vermeiden, dass sich ein solchen Missgeschick wiederholte.


    Die Weite wurde ohnehin nicht gemessen. Gewinner dieses Teilwettbewerbs war einfach der Athlet, der nach Meinung der Kampfrichter am weitesten geworfen hatte. Das war in diesem Jahr Karpos aus der Stadt Salmydessus, die in Astica am Pontus Euxinus lag.


  • Halma


    Zweiter Fünfkampfwettbewerb war halma, der klassiche, griechische Weitsprung.


    Gesprungen wurde aus dem Stand von einer bater genannten Schwelle aus. Sie markierte den Anfang eines rund 50 Fuß langen Sprungfeldes, in dem der Boden aufgelockert worden war, um die Abdrücke der Springer besser sehen zu können. Ein Versuch bestand aus fünf Teilsprüngen, die hintereinander ausgeführt und gestanden werden mussten. In den Händen hielten die Athleten dabei halbmondförmige Gewichte aus Stein oder Eisen, die man halteres nannte. Mit ihnen holten sie Schwung. Unterstützt wurden sie außerdem durch einen Flötenspieler, der mit kurzen Tönen den Sprungrythmus vorgab, was ein gleichmäßigeres Springen und letztlich größere Weiten ermöglichte.


    Am besten machte es Lysandros, der wie sein berühmter Namensvetter aus Sparta kam.


  • Akontion


    Der Speerwurf akontion zerfiel in zwei Teile; den Ziel- und den Weitwurf.
    Man schleuderte den Speer mithilfe einer ankyle genannten Schleuder. Eigentlich war es nicht mehr als ein ledernes Band, das um den Speer gewunden und am Ende zu einer Schlinge gebunden wurde, in die der Werfer zwei Finger einführte. Beim Wurf wickelte es sich ab und gab dem Speer einen Drall, wodurch er stabiler und dadurch weiter und zielsicherer flog.


    Am besten machte es Meton aus Abydos in Dardania. Er schleuderte seinen Speer nicht nur weit, sondern auch ungemein treffsicher und siegte überlegen.


  • Stadion


    Die vierte Disziplin des Fünfkampfes war der Stadionlauf.
    Das war ein Wettrennen, geradeaus, einmal über die gesamte Länge des Stadions hinweg, was einer Distanz von 600 olympischen Fuß [ca. 192 Meter] entsprach. Anders als etwa beim Diskoswurf oder beim Speerschleudern sollten hier die schlankeren, leichtfüßigen Athleten im Vorteil sein.
    So war es auch. Ein recht zierlicher Fünfkämpfer siegte, der beim Diskoswurf zu den Schlechtesten gezählt hatte und beim Speerwurf auch nicht sonderlich gut gewesen war. Sein Name war Pytheas und er kam aus Eryx, einer Stadt im Nordwesten der Insel Sicilia.


  • Pale


    In den ersten vier Disziplinen des Fünfkampfs hatte es auch vier verschiedene Sieger gegeben: Karpos von Salmydessus im Diskoswurf, Lysandros von Sparta im Weitsprung, Meton von Abydos im Speerwurf und Pytheas von Eryx im Stadionlauf.
    Pale – das Ringen – musste die Entscheidung bringen.


    Zunächst wurden zwei Finalisten gesucht. Dafür traten jeweils zwei der bisherigen Sieger gegeneinander an, wobei Zeus (also das Los) die Paarungen festlegte. Es galt, den Gegner dreimal niederzuringen.
    Der Gott entschied, dass zunächst Karpos gegen Meton kämpfen musste und dann Lysandros gegen Pytheas.


    Karpos und Meton erwiesen sich rasch als ebenbürtige Gegner. Lange umkreisten sie sich, stießen blitzschnell vor, versuchten kraftvoll, den anderen zu Fall zu bringen, doch immer war es vergeblich. Beide hatten einen sicheren Stand und wussten sich der Attacken ihres Gegners zu erwehren. Doch mit zunehmender Dauer schwanden die Kräfte und damit die Sicherheit. Zuerst war es Karpos, der zu Boden ging, dann Meton, danach wieder Karpos und dann erneut Meton. Hin und her wogte das Ringerglück und das Publikum war entzückt. Der nächste Niederwurf würde die Entscheidung bringen und er gelang... Meton!


    Demgegenüber fiel der Kampf zwischen Lysandros und Pytheas deutlich ab. Pytheas war seinem kräftiger gebauten Gegenüber deutlich unterlegen und verlor klar und schnell mit drei Niederwürfen. Im Endkampf standen sich somit Meton und Lysandros gegenüber.


    Wer nun erneut auf einen spannenden Kampf gehofft hatte, der wurde ein wenig enttäuscht. Wenn Meton von seinem Ringen mit Karpos noch ein wenig müde war, dann sah man ihm das nicht an. Lysandros konnte ihm nicht das Wasser reichen, obwohl er Pytheas doch so deutlich besiegt hatte. Schnell wurde allen klar, dass Meton gewinnen würde, zumindest wenn es keine direkte göttliche Intervention gab.
    Die aber blieb erwartungsgemäß aus.


    Meton von Abydos siegte, wurde so Olympiasieger im Fünfkampf und ließ sich als 'König der Athleten' feiern.


  • Das Totenopfer für Pelops


    Den Abschluss des zweiten Wettkampftages bildete ein Totenopfer für Pelops. Ihm zu Ehren wurde nach Sonnenuntergang an seinem Grabhügel geopfert. Es war ein schwarzer Widder der ihm dargebracht wurde, in dem man ihn verbrannte.

  • Dritter Tag


    Das Opfer für Zeus


    Der dritte Tag erlebte den kultischen Höhepunkt der Spiele, denn am Vormittag wurde das Hauptopfer für Zeus durchgeführt. Man opferte ihm Stiere, angeblich 100 an der Zahl. Die Prozession der mit Blumen geschmückten Opfertiere war prächtig anzusehen. Es waren ausnahmslos schöne und kräftige, augenscheinlich gesunde Tiere und gewiss war jedes einzelne würdig und geeignet, Zeus mit seinem Leben zu huldigen. Aber ob es wirklich 100 waren? Zum Glück zählte wohl niemand wirklich nach.


    Neben diesem Hauptopfer fanden über den ganzen heiligen Hain verteilt weitere Opferfeiern statt. An über 70 Altären brachten an diesem Vormittag die Festgesandtschaften aus ganz Griechenland Zeus ihre Opfergaben dar. Das ganze Gelände war erfüllt von religiöser Inbrunst und über allem lag der Geruch von Blut, das vergossen wurde, um den Herrscher des Olymp zu ehren und gütig zu stimmen. Nur die vielen Fliegen störten die Erhabenheit dieser Stunden ein wenig.


  • Dolichos


    Der Nachmittag des dritten Tages war den Laufwettbewerben vorbehalten. Den Anfang machte der beschwerlichste von allen; der Dauerlauf, dolichos genannt.
    Das Teilnehmerfeld war groß, obwohl sich nur wenige Hoffnungen auf den Sieg machen konnten. Denn viele Male ging es das Stadion hin und her, wobei die Läufer an beiden Enden um eine Stange wenden mussten. Die Kampfrichter achteten ganz genau darauf, dass keiner eine dieser Wendemarken verpasste und seine Kontrahenten betrog, in dem er abkürzte. Sie behielten auch die Übersicht, was gar nicht so einfach war, denn schon bald entstand ein scheinbar heilloses Durcheinander, weil die schwächeren Läufer von den schnellsten überrundet wurden.
    Mit blutenden Fußsohlen (weil barfuß gelaufen wurde) schied manch einer aus und andere mussten aufgeben, weil sie ihre Kräfte überschätzt hatten.
    Nicht aufzuhalten aber war der Sieger. Es war ein junger Mann aus den Bergen, der wohl von Kindesbeinen an das Laufen gewöhnt war, jedoch nicht für seine unwirtliche Heimat antrat, sondern für die Küstenstadt Tessalonica. Sein Name war Theon.


  • Stadion


    Nach dem längsten aller Laufwettbewerbe folgte der kürzeste, der Stadionlauf. Das war der älteste und populärste aller Läufe.
    Das Stadion gab ihm nicht nur seinen Namen, sondern auch seine Länge vor, nämlich 600 olympische Fuß [ca. 192 Meter].
    Schnell wie Falken mussten die Läufer sein und am schnellsten lief, nein, rannte, ein Mann aus Athenae: Phaleas. Das Publikum feierte ihn frenetisch.


  • Diaulos


    Der Doppellauf, oder diaulos, führte über die doppele Länge des Stadions [ca. 385 Meter]. Nach der Hälfte der Strecke mussten die Läufer abbremsen und um eine Stange wenden. Das erforderte nicht nur Schnelligkeit sondern auch Geschick. Denn an dieser Wendemarke entschied sich oft wer dieses Rennen gewann. Nur wer die Marke eng nahm und nicht aus dem Rhythmus kam konnte siegen,.
    Doch egal wer vor dem Rennen gehofft hatte, einerlei, wie die Wetten gestanden hatten, an Phaleas kam keiner vorbei. Als erster erreichte er die Stange, und als erster kam er auch ins Ziel. Damit wurde er erneut Olympiasieger, zweimal hintereinander und die Liebe des Publikums kannte keine Grenzen mehr.

  • Vierter Tag


    Pale


    Am vierten Tag hatten die Schwerathleten ihren großen Auftritt. Zuerst waren die Ringer an der Reihe.
    Beim Ringkampf – pale – galt es, den Gegner dreimal zu Boden zu werfen, wobei Schläge und Tritte verboten waren. Schon die Berührung des Bodens mit einem Knie wurde als Niederwurf gewertet, weshalb ein fester Stand unerlässlich war. Gerungen wurde ohne Pause. Runden oder sonstigen Unterbrechungen waren unbekannt. Auch Gewichtsklassen gab es nicht, weshalb besonders große und schwere Athleten klar im Vorteil waren. Aber kleinere Kämpfer konnten diesen Nachteil durch besondere Schnelligkeit und Gewandtheit wett machen.
    Über die Paarungen entschied das Los. Die jeweiligen Verlierer schieden aus, die Gewinner kamen in die nächste Runde, bis nur noch zwei Ringer übrig waren. Die Namen dieser Finalisten lauteten Diodoros von Amastris und Glaukos von Nicopolis.


    Diodoros war ein Hüne und überragte seinen Gegner Glaukos um mehr als eine Handbreit. Er hatte Arme wie Baumstämme und Beine, die hart und unnachgiebig wie die Säulen eines Tempels waren. Sein Griff war fest und unerbittlich. Der kleinere Glaukos war natürlich ebenfalls kräftig von Statur, wirkte aber weniger muskulös und konnte einen kleinen Bauchansatz nicht verbergen. Aber er war dennoch schnell und wendig, vor allem hatte er aber sehr viel Erfahrung.
    Das zeigte sich auch bald, nachdem der Kampf begonnen hatte. Diodoros versuchte Glaukos ein ums andere Mal zu packen und mithilfe seines Gewichts und seiner Kraft zu Boden zu reißen. Aber Glaukos wich ihm stets geschickt aus und ließ ihn ins Leere laufen. Diodoros wurde immer ungeduldiger und wütender, während Glaukos auf eine gute Gelegenheit lauerte. Endlich, nach einer weiteren Attacke von Diodoros, sah er sie gekommen. Der größere Mann war an ihm vorbei gestürmt und wollte sich gerade wieder zu ihm umdrehen, da packte Glaukos seinen Arm und riss ihn mit aller Kraft zu Boden. Weil Diodoros für einen Moment keinen guten Stand hatte, fiel er haltlos hin und stürzte zudem noch unglücklich auf seine rechte Hand. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rappelte er sich zwar wieder auf, aber jeder konnte sehen, dass er sich weh getan hatte.
    Glaukos setzte nun seinerseits nach und wenige Augenblicke später lag Diodoros erneut im Staub.
    Damit hatten viele nicht gerechnet, doch den meisten gefiel was sie sahen und feuerten Glaukos aus vollem Herzen und mit lauter Kehle an.
    Der aber behielt kühlen Kopf und ließ sich zu keiner unbedachten Aktion hinreißen. Er wartete, bis Diodoros, der es gewohnt war, dank seiner Kraft und Größe zu siegen, erneut angriff. Glaukos konterte und setzte seinerseits zu einem Griff an. Ein Bein ließ er stehen und darüber kam Diodoros erneut zu Fall. Mit einem wütenden und fassungslosen Brüllen ging er zu Boden und Glaukos von Nicopolis machte dem Namen seiner Stadt alle Ehre und war Olympiasieger im Ringen.


  • Pygme


    Den Ringern folgten die Faustkämpfer. Pygme – der Faustkampf – war eine harte und oftmals blutige Angelegenheit, die entweder viel Mut oder Dummheit erforderte. Letzteres behaupteten zumindest jene, die nichts über den Kampf mit den Fäusten wussten. Das sagten wenigstens die, welche diesen Sport liebten und die Kämpfer verehrten.


    Gekämpft wurde mit bloßen Fäusten. Gestattet war lediglich, sie mit Bandagen aus Leder zu umwickeln. Dornenhandschuhe oder Schlagringe, wie sie die Gladiatoren manchmal benutzten, waren verboten. Wie beim Ringkampf gab es keine Runden. Der Kampf war entschieden, wenn einer der Kontrahenten aufgab, oder bewusstlos geschlagen wurde.


    Im Finale standen sich zwei Insulaner gegenüber: Mesomedes von Cnossus und Proklos von Imbros. Proklos war ein etwas älteres Abbild von Rhinon, der dass Ringen der Knaben am ersten Tag gewonnen hatte und tatsächlich auch dessen größerer Bruder.


    Der Kampf war kurz. Mesomedes hüpfte ein wenig vor Proklos hin und her, schlug ein paar mal in dessen Richtung, aber traf ihn nicht richtig, und er fiel wie vom Blitz getroffen um, als der zurück schlug. Dieser eine, furchtbare Treffer genügte. Man hörte ein schreckliches Knacken. Vermutlich war Mesomedes' Kiefer gebrochen. Er stand nicht wieder auf und musste blutverschmiert aus dem Stadion getragen werden.
    Proklos von Imbros war der Sieger im Faustkampf.


  • Pankration


    Im Pankration – dem Allkampf – war alles erlaubt. Nur seinen Gegner beißen durfte man nicht, oder ihm in die Augen stechen.


    Erneut kämpfte Proklos für die Insel Imbros mit und wieder richtete er ein wahres Massaker unter den anderen Kämpfern an. Sein letzter Gegner war schon vor Angst erfüllt, noch bevor der Kampf begann. Sein Name war danach rasch wieder vergessen. Kaum hatte er die ersten Schläge und Tritte eingesteckt, da gab er auch schon auf. Es war eine schmähliche und vollkommene Niederlage.


    So wurde Proklos der zweite Doppelolympiasieger dieser Spiele. Aber das Publikum liebte ihn nicht. Zu überlegen war er, zu brutal und zu roh und wild. Was lebten doch für schreckliche und furchterregende Menschen auf dieser fernen Insel, die kaum ein Zuschauer je selbst besucht hatte!


  • Hoplitodromos


    Der letzte Wettbewerb der Spiele war der Waffen- oder Hoplitenlauf – der Hoplitodromos. Dieser Wettkampf war ein Abbild längst vergangener griechischer Größe und zugleich ein Anachronismus. Man konnte in ihm einen Spiegel der gesamten Olympischen Spiele sehen.
    Der Lauf ging über zwei Stadien [ca. 385 Meter]. Ursprünglich wurde er in der kompletten Ausrüstung eines griechischen Fußsoldaten ausgetragen, aber inzwischen verzichtete man auf Speer und Beinschienen und es waren nur noch Helm und Schild vorgeschrieben.
    Beim Publikum war dieser sehr traditionsreiche Wettlauf sehr beliebt. Es feuerte die Läufer frenetisch an und es bejubelte lautstark den letzten Sieger dieser Spiele: Aratos von Syrakusai.


    Damit endete dieser Wettkampftag, dem einzigen ohne zentrale Kulthandlung.

  • Fünfter Tag


    Die Prozession der Sieger


    Der fünfte und letzte Tag bildete den feierlichen Abschluss der Spiele. Wettkämpfe fanden an diesem Tag keine mehr statt.
    Die Olympiasieger ließen sich auf einer Prozession zum Zeustempel feiern: Onomakritos aus Kroton, der das Reiten gewonnen hatte; Dexamenos aus Alexandria, der Eigentümer der siegreichen Quadriga im Wagenrennen; Meton von Abydos, der Sieger im Fünfkampf; Theon aus Tessalonica, der ausdauerndste im Dauerlauf; Phaleas von Athen, der Doppelolympiasieger im Stadion- und im Doppellauf und erklärte Liebling der Massen; Glaukos von Nicopolis, der siegreiche Ringer; der schreckliche Proklos von Imbros, der im Faust- und im Allkampf gewonnen hatte; und Aratos von Syrakus, Sieger des Waffenlaufs.
    Sie alle dankten Zeus dafür, dass er sie für den Sieg auserkoren hatte und waren anschließend Mittelpunkt der Siegesfeiern.


    So endeten die Spiele, wie sie immer endeten und das seit über 800 Jahren. Die CCXX. Olympischen Spiele waren vorüber, aber in vier Jahren würde sich die Jugend der Welt erneut hier in Elis, im heiligen Hain von Olympia treffen, zu Ehren von Vater Zeus.

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