[Hlaiwa Grabaz] Die Hügelgräber der Söhne und Töchter Wolfriks

  • Es war ein Graus für Witjon, was sich bald vor seinen Augen abspielte. Phelan trat zu Dagnys Leichnam hin und sprach ein paar letzte Worte. Im Zwielicht des Waldes, das durch den dunklen Charakter dieses Tages noch verschlimmert wurde, war das liebliche Gesicht der jungen Duccia von Witjons Platz aus mit Mühe zu erkennen. Er stand nicht weit von Lando, dessen ernste Miene nur um eine Kleinigkeit von Witjons Betroffenheit überboten wurde. Ein Schatten legte sich auf die Züge des jungen Ubiers, als seine kleine Cousine den Flammen übergeben wurde. Das Feuer loderte auf, verschlang den Rotschopf wie ein gefräßiges Ungeheuer und ebnete so den Weg in Hels Reich. Witjon starrte abwesend in die Feuerzungen, die sich gen Himmel schlängelten und sah Dagnys Körper in der Helligkeit verschwinden, die die Lichtung im Wald gespenstisch erhellte. Sein Geist wanderte zurück in die nicht lange zurückliegende Zeit seiner Ankunft in der Casa Duccia, als er Dagny kennen lernte und er entsann sich der vielen schönen Momente, die er und Phelan zusammen mit ihr verbracht hatten. Wie viel sie miteinander gealbert, gestritten, oder auch zusammengehalten hatten, wenn es darauf ankam. Er musste an Harlif denken und daran, dass der jungen Duccia ein wohlverdientes Leben mit dem Hadrianus bevorgestanden hatte, das die Götter offenbar nicht gutgeheißen hatten. Von tiefer Trauer erfüllt verlor sein Blick sich in den Flammen, während ein Kloß seinen Hals verstopfte und der Druck unvergossener Tränen auf seine Augen größer wurde. Der Gestank verbrennenden Fleisches stieg ihm in die Nase und rief Übelkeit hervor, Übelkeit vor Gestank sowie vor der Ungerechtigkeit des Lebens, die sie alle, die hier standen, zu akzeptieren hatten, wollten sie nicht der Verzweiflung ob ihres Schicksals anheim fallen. Zu viele seiner Sippe waren bereits im Reich gescheitert, sei es durch Eigenverschulden, Unfall, oder Siechtum; Die Nornen hatten für jeden Verlust einen Grund, den es zu ergründen ohnehin zwecklos wäre, dachte sich Witjon. Die letzte Flamme brannte nach einer Ewigkeit herunter und Witjons Körper löste sich aus seiner Versteifung, mit der er die Zeit überstanden hatte.


    Die Beisetzung der Asche ließ Witjon das Blut in den Adern gefrieren und er schloß die Augen, als selbst Phelan einen Moment mit sich zu kämpfen hatte. Keine Träne hatte Witjon vergossen. Er hatte beschlossen, dass er wie Lando mittlerweile eine große Verantwortung für die Familie trug, oder zumindest einen Teil davon schultern wollte und musste, und ein Vorbild sein musste. Er wollte Stärke und Gefasstheit ausstrahlen, was ihm heute trotz seiner unendlichen Trauer gelang.
    Nachdem er Brandinars Urne nach vorn gebracht hatte und auch Irminars Stein platziert worden war, sprach Phelan für jeden der drei ein Gebet."So war es, so ist es, und so wird es immer sein," sprach er mit zittriger Stimme leise mit. Im Stillen dankte Witjon jedem Einzelnen für die Zeit, die sie zusammen hatten verbringen dürfen und bat um eine gute Aufnahme in Hels Reich. Als die Beisetzung beendet war, verharrte die Trauergemeinschaft noch in Stille, bis sich langsam die ersten Leute auf den nach Hause Weg begaben. Witjon stand weiterhin regungslos an seinem Platz und starrte gedankenverloren auf die drei frischen Gräber. Für einen Moment war seine Gefasstheit entsetzen gewichen, denn er begriff erst jetzt richtig, dass er diese drei Menschen nie wieder in Midgard zu Gesicht bekommen würde, nie wieder ihre Stimmen hören würde. Wie hart die Welt doch war!

  • Lando verfolgte die Verbrennung mit starrer Miene, ließ es sich aber nicht nehmen in der "heißen" Phase ein Stück seines Mantels vor den Mund zu halten, denn eine Verbrennung war auch immer mit dem Odem des Todes verbunden, der nicht umsonst mit Gestank und Verfall in Verbindung gebracht wurde.


    Während der Zeremonie, die Phelan mit wachsender Souveränität führte, glitten Landos Gedanken nicht in die Ferne, wie die seines Vetters, sondern blieben in der Gegenwart. Was dazu führte, dass er die Gebete mitsprach, sich innerlich sogar dazu hinreißen ließ, diese auch so zu meinen, und nach der Beerdigung die Prozession wieder zurück zu führen.
    Er klopfte dem jungen Priester auf die Schultern und murmelte ein "gut gemacht", während er sich zusammen mit seiner Schwester darauf wartete, dass die Trauergemeinde, jeder für sich, Abschied von den Toten genommen hatte.

  • Auch Vala ließ es sich nicht nehmen ein Stück seines Mantels vor den Mund und die Nase zu ziehen, um dem bestialischen Gestank zu entkommen, den so eine Verbrennung mit sich brachte. Selbstverständlich sprach auch er die Gebete mit, die er in anderer Form schon oft gehört hatte. Er wusste garnicht mehr, wie viele Männer er schon verbrennen hat gesehen, manchmal so viele auf einmal, dass der Himmel schwarz vom Qualm war.
    Was immernoch besser war, als die vielen Männer, die ohne Bestattung in den Wäldern verrotteten und dort mit ihren Geistern ruhelos umher wanderten, weil ihnen eine ehrvolle Einkehr nach Valhalla von den Feinden verwehrt geblieben war.


    Mit solch düsteren Gedanken behaftet beobachtete Vala also, wie Dagny in Hels Reich einkehrte, und wünschte ihr eine gute Reise. Er war nicht so trauerbehaftet wie die anderen, denn der Tod war für ihn eigentlich schon immer etwas alltägliches gewesen. So alltäglich, dass es ihn nicht einmal mehr aus der Bahn geworfen hatte als sich abzeichnete dass Leif den Speerstoß eines der letzten sich verzweifelt wehrenden Hermunduren nicht überleben würde. Und jetzt stand er hier, und betete dafür dass seine anderen Verwandten, die so unkriegerisch den Tod gefunden hatten, ebenso in Hels Reich und nach Asgard einkehren würden.


    "Götter, bringt uns Trost und Stärke in dieser Zeit der Veränderung,
    und helft uns, auf unserem eigenen Lebensweg weiterzurreisen.
    Götter, seid in unseren Herzen, wie Brandinar in unserem Herzen ist,
    wo wir immer vereint sein werden im Glauben und in Liebe.


    So war es, so ist es, und so wird es immer sein."


    Die Worte hallten in Valas Kopf wieder, und er lächelte. Der junge Priester, sein Vetter, machte seine Sache ziemlich gut für sein Alter. Er fragte sich, was ihm die alte Frau erzählt hatte, während Lando, Witjon und er sich gegenseitig beschnuppert hatten.
    Lando sah das Engagement Phelans für die römischen Götter sehr kritisch, wie Vala hatte feststellen müssen, doch er selbst respektierte seinen Vetter für seine Entscheidung, die Brücken zwischen den Welten auch im spirituellen Sinne zu schlagen... das war ein Zeichen, und Vala war bereit es zu deuten.

  • Nun schien es vorbei zu sein und Lando war etwas abseits gegangen und hatte sich zu Eila gestellt. Nun gesellte sich auch Silko zu ihnen denn er hatte etwas mit seinem Herrn zu bereden.


    "Lando ich muss etwas wichtiges mit dir besprechen" er nahm Lando ein wenig beiseite.


    "Nun gerade ist mir klar geworden, dass ich in Magna beinahe gestorben wäre und ihr mich dann auch verbrannt hättet. Bitte, versprich mir, dass ihr mich auf gar keinen Fall verbrennt, sollte ich hier sterben. Beerdigt mich bitte einfach. Und falls ihr mich doch verbrennen müsst, dann nehm mein Herz heraus und beerdigt das dann. Mein Herz darf auf gar keinen Fall verbrannt werden!"


    Silko war die Sache toternst und in seiner stimme war schon etwas Angst zu hören. Für Silkos Verhältnisse war das fast schon hysterisch.


    "Bitte, versprich mir das!"

  • "Japp?", meinte Lando als er angesprochen wurde, und sah seinen noch-Sklaven fragend an, als dieser ihn ein paar Schritte von der Gruppe entfernte.
    Achja, das mit den Menschenhändlern war es... doch als Silko weitersprach, runzelte Lando nur verwirrt die Stirn: "Du willst WAS? Bist du verrückt? Ich meine...", er stockte, so ungeheuerlich klang ihm das, was Silko da zu ihm sagte. Er wollte nicht verbrannt werden? In Landos Augen ein ungeheuerlicher Wunsch, in etwa mit dem Verlangen, sofort ein glühendes Stück Eisen in den Leib gedrückt zu bekommen vergleichbar.


    "Willst du bis in alle Ewigkeit als Ghast durch die Wälder irren? Bist du wahnsinnig? Wenn du nicht verbrannt wirst, wird deine Seele nicht frei um zu den Göttern einzukehren!"


    Lando blickte Silko, der offensichtlich den Verstand verloren hatte, kritisch an. Diese Südländer hatten schon immer einen seltsamen Sinn für ihre Nachwelt, aber sich in ihrem Körper eingesperrt in der Erde versenken zu lassen... das wurde normalerweise nur Verbrechern zuteil, die man im Moor versenkte, um sie dort in alle Ewigkeit für ihre Taten büßen zu lassen!

  • Wie häte er auch denken können, dass ein Germane das verstand? Sie vernichteten die Seelen all ihrer Toten!


    "Nein, das ist falsch. Wenn das Herz zerstört wird, kann die Seele nicht in den Duat einziehen und niemals wiedergeboren werden. Ich will nicht das meine Seele zerstört wird! Sonst wäre alles umsonst gewesen, die vielen Jahre als Sklave, wären ohne Sinn gewesen. Bitte, versprich mir das, auch wenn du es nicht verstehst, Lando. Ich erwarte gar nicht, dass du das verstehst. Aber verspreche mir, dass du drauf achten wirst, dass ich auf gar keinen Fall verbrannt werde! BITTE! Sonst kann ich nicht hier bleiben"


    Er hatte seinem Herrn nun die Hände auf die Schultern gelegt, und seine Erregung war spürbar. So fügsam er als Sklave auch (gewesen) war, ohne die Zusicherung nicht verbrannt zu werden, wäre alles umsonst gewesen. Ohne diese Zusicherung konnte er nach seiner Freilassung nicht länger in Mogontiacum bleiben. Er war nun schon älter und er machte sich keine Illusionen: Jeder Tag konnte sein letzter sein und seine Seele war alles was er hatte.

  • Nicht nur Silko tröstete sie... auch ihr Bruder kam zu ihr herüber und verharrte an ihrer Seite, während die Leiche der Kleinen verbrannt wurde. Je länger die Verbrennung dauerte um so weniger Tränen rollten ihre Wangen hinunter. Sontje schluckte hart, sobald sie den Duft verbrannten Menschenfleisches mit der Nase wahrnahm und hielt sich ein Tuch vor den Mund. Jetzt bloß nicht einen Hustenanfall bekommen. Irgendwann liess Phelan sie wieder los, um seinen Beruf auszuüben. Mit verschränkten Armen und schmal zusammengepressten Lippen sah sie ihm dabei zu. "So war es, so ist es, und so wird es immer sein." flüsterte sie leise nach und hörte die Stimmen der anderen Duccier dasselbe sprechen. "So war es, so ist es, und so wird es immer sein." flüsterte sie für die anderen Begräbnisse zweimal wiederholend und hüllte sich in ihren Umhang ein. Langsam wurde ihr kalt. Sontje trat nach dem offiziellen Ende von einem Fuß auf den anderen und drehte sich um, um den Weg zur Casa zurück einzuschlagen. Aber ihr fiel ein, dass sie Gero etwas geben wollte.


    Langsam schritt sie zu Geros Grab hinüber, hockte sich vor dem Stein nieder und holte ein hölzernes Teil hervor, welches sich als ein einfaches hölzernes Boot entpuppte. "Mein lieber Bruder.. die Tage werden lang und länger und ich bin jetzt schon recht lange hier. Doch erst jetzt lege ich dein liebstes Spielzeug hin bevor du allzuschnell erwachsen geworden bist und begonnen hast Vater zu helfen. Ich habe es für dich aufbewahrt und an dich gedacht, wenn ich es betrachtete. Jetzt aber kann ich nicht mehr an dich denken, weil du nicht mehr unter uns weilst. Ich konnte gar nicht so richtig Abschied nehmen was schade ist." Mit einer bedächtigen Bewegung legte sie es ins Gras und drückte es tief in die Erde hinein. "Hier hast du es wieder.. wieder es ist dein." Sontje fand, dass diese Worte ausreichen mussten.


    Nach weiteren Gedenkminuten erhob sie sich mit einem schwachen Lächeln und drehte sich zu den übriggebliebenen Anwesenden um. Allesamt mit wichtigen Gesprächen oder geheimen Gedanken beschäftigt, der größte Teil der Trauergemeinde war längst nach und nach verschwunden. Sontje seufzte leise und nahm den Weg zur Casa in Angriff.. vieleicht ging jemand mit ihr zurück? Sie sah ihren Bruder Phelan, die Cousinen, Silko, Albin und Vala nacheinander aus inzwischen mäßig verweinten Augen an und ging mit ruhigen Schritten weiter Richtung Dach überm Kopf. Wieso war der schnieke Vala eigentlich bei diesem dreifachen Begräbnis dabei? Er war keiner von ihnen...

  • Auch Vala hatte sich von der Trauergemeinde abgesetzt, sich von Albin die Steine seiner Eltern zeigen lassen, und darauf gewartet bis er relativ alleine mit ihren war. Er hatte Sontje in ihrem Gebet alleine gelassen, und so wollte er es selbst auch, schließlich hatte hier jeder einen nahen Verwandten liegen.


    Der Hügel seines Vaters war mit Abstand der größte hier, der seiner Mutter sehr viel kleiner, bestach aber durch seine Nähe zum größeren. Wahrscheinlich hatte die Familie es gewusst, es nur nicht öffentlich diskutiert, die Ehe seiner Eltern, die als Geschwister miteinander aufgewachsen waren, und doch nicht eines Blutes waren.


    Er ließ sich in das noch dünne Gras sinken, und begann ein kleines Loch in den Hügel seines Vaters zu graben. Als seine Finger schwarz waren, nahm er einen kleinen Lederbeutel hervor, und legte diesen in das Loch. Ebenso verfuhr er auf dem Hügel seiner Mutter. Nachdem dies getan wurde, sprach Vala ein kurzes Gebet, nicht, weil er dachte, dass seinen Eltern die Einkehr nach Hel oder Valhall bisher verwehrt geblieben war, sondern weil es ihn beruhigte, die Götter ein weiteres Mal auf das Leben und Sterben dieses Paares aufmerksam machen zu können.


    "Not läßt einem wenig Wahl;
    ein Nackter friert im Frost.


    Eis nennen wir die breite Brücke;
    der Blinde muß geführt werden.


    Mensch ist eine Vermehrung des Staubes;
    groß ist die Klauenweite des Falken.


    Eibe ist der grünste Baum im Winter;
    sie pflegt zu knistern, wenn sie brennt."


    Die geschlossenen Löcher, mit den Beuteln darin, in denen ein kleiner Teil der Asche seiner Eltern war. Der Teil, der nicht über die Moore und Wälder Midgards verstreut worden war. Er hatte lange gehofft, sie zurück zu bringen, und jetzt war ihm dieser erste kleine Erfolg gegönnt worden. Es war ein guter Tag...


    "Wir sind wieder zuhause."

  • Lando war kein Eiferer, was seinen Glauben anging. Sonst hätte er kaum Freunde, die die verschiedensten Götter anbeteten. Und genau deshalb war er weit davon entfernt, Silko so etwas wie 'Irrglauben' vorzuwerfen. Allerdings war er auch weit davon entfernt, zu verstehen wie man glauben konnte, dass die Seele durch ein verrottendes Organ im Nachleben besser dastehen konnte, als wenn man es durch das Feuer, dem sowieso göttliche Kraft innewar, nach Asgard, oder wie auch immer die Nubier ihre Nachwelt nannten schickte.
    Und dennoch kam er nicht herum, stumm zu nicken.


    "Du wirst damit leben müssen, dass ich dich für vollkommen bescheuert halte, so etwas wahnsinniges als letzten Willen durchzusetzen. Ich kann für dich hoffen, dass deine Götter sich tatsächlich besser mit Fleisch abgeben, anstelle mit der Seele die dir inne ist. Das hoffe ich für dich, denn du hast ja keine Ahnung, was du da von mir verlangst. Aber nun genug davon... ich habe mir um Dinge Sorgen zu machen, die sich hoffentlich weniger trist gestalten... gehen wir."

  • Harlif sah sich das Zeremoniell mit steinerner Miene an.
    Keine Regung war zusehen und er hielt den Blick starr auf Dagny geheftet, als würde er hoffen das sie aufsprang bevor die Flammen sie erreichten.
    Als jedoch der Körper begann zu brennen und die Flammen den Blick auf Dagny verwehrten, begann er zu zittern.


    Er schluchzte mehrmals und er verlor die Beherrschung.


    Er sackte zusammen auf die Knie, Griff mit beiden Händen in die Erde und murmelte Gebete vor sich her, bitten an die Götter.


    "Ez stuont ein frouwe aleine
    und warte uber heide
    und warte ir liebe,
    so gesach sie valken fliegen.
    so wol dir, valke, daz du bist!
    du fliugest swar dir liep ist:
    du erkíusest dir in dem walde
    ein boum der dir gevalle.
    álsô hân ouch ich getan:
    ich erkôs mir selbe eine frouwe dann,
    die ewélton mîniu ougen.
    Frouwa, wil du mich genern,
    sô sích mich ein vil lützel an.
    ich enmác mich langer niht erwern
    îr lîp muoz ich verloren hân.
    ich bin siech, mîn herze ist wunt,
    Frouwa, daz hânt mir getân
    mîn ougen und îr rôter munt.
    Frouwa mîne swêre sich
    ê ich verliese mîne lip
    ein wort du sprêche wider mich;
    verkêre daz sie sêlic wip!
    jâ jâ jâ niht neinâ nein
    ê brichet mir mîn herze enzwein
    maht sî sprechen jâ jâ jâ
    daz lît mir an dem herze nâ.
    "


    Tränen rannen über seine Wangen und er hörte die Duccier flüstern "So war es, so ist es, und so wird es immer sein."


    Er blieb lange an dem Feuer, bis es herunter gebrannt war und auch als sich einige der Duccii bereits wieder entfernten.
    Der Schmerz war zu heftig als das er jetzt hätte zurück gehen können.


    So blieb er bis zum Ende, bis alles vorbei war und ging als einer der letzten.


  • Seit dem schicksalhaften Tage war die Sonne unter und wieder aufgegangen. Und heute war der Tag gekommen, an dem Lando mit der untergehenden Sonne nach Valhalla wandern sollte. Die Bahre, auf der er die letzten Tage gelegen hatte war noch einmal festlich geschmückt worden, dann war sie unter den Klagelauten vieler Frauen und den versteinerten Mienen der Männer aus dem Haus geführt worden, das einmal sein Heim gewesen war. Acht Männer trugen die Bahre auf ihren Schultern, sie selbst waren so schlicht wie einfach gekleidet, um den Blick nicht von dem herrschaftlich hergerichteten Toten abzulenken.
    Es bildete sich eine Prozession, deren Ausmaß selbst den verblichenen überraschen würde: Hunderte waren gekommen, Germanen, Kelten und Römer. Hohe wie Niedrige, Wichtige und Tagevolk. Der Leichnam wurde voraus getragen, die Familie des Verstorbenen folgte, dahinter dir ranghöchsten Personen der hiesigen Gesellschaft, gefolgt von einer Gruppe Klageweiber, die die Leute mit Liedern und Gedichten zum mitwirken animierten. Die Menschenmenge zog sich eine ganze Weile von der Casa der Duccii bis zum nördlichen Rand der Römerstadt, wo sie noch einige Meilen zu den Gräberkreisen der Söhne Wolfriks zurück zu legen hatten.
    Diese Strecke wurde von den Klageweibern genutzt, um traditionelle Klagelieder der Stämme anzustimmen, worauf viele mit einstimmten und so während des Zugs den Toten und die Gegenwelt besangen:



    Klage um die Söhne


    Zu schwer fällt´s mir,
    Die Zunge zu rühren
    Mit des Liedes
    Lustiger Waage.
    Schlimme Aussicht
    Für Odins Sangmet:
    Laß ihn frei,
    Verließ der Seele!


    Walvater raubt´ einst
    Wonnigen Trank
    Jubelnden Lieds
    Aus Jötunheim.
    Des Gedankens Burg
    Birgt ihn bei mir:
    Kummer quält mich –
    Sonst quöll er hervor.


    Fehlerfrei
    Fügt ich Lieder.
    Bragi schweigt
    Bei Bödvards Tod!
    Brankdet, Wogen,
    Ymirs Blut,
    An den Grabhügel
    Gríms, meines Ahns!


    Denn dahin
    Stirbt mein Haus
    Wie das Geäst
    Im ächzenden Sturm!
    Nicht lacht der Mann,
    Der den Leichnam trägt
    Des Sippen voll Gram
    Die Gruft hinab!


    Mächtig drängt´s
    Mich der Mutter Tod
    Und des Vaters
    Fall zu klagen.
    Den Lippen entringt sich
    Des Loblieds Stoff,
    Geziert mit der Sprache
    Sprießendem Laub.


    Grimm ist die Lücke,
    Die grollend das Meer
    Riß in der Sippe
    Reihen so dicht.
    Offen bleibt,
    Unausgefüllt
    Des Sohnes Platz:
    Die See ihn schlang!
    Ran hat mich Armen
    Rauh gepackt!
    Arm bin ich
    An alten Freunden!
    Das Meer zerriß,
    Was mich verband
    Mit festem Faden
    Ans Vaterhaus.


    Könnte mein Schwert
    Schlichten die Sache:
    Der Brauer der Wogen
    Brauste nicht mehr!
    Wäre des Sturms
    Freund zu bestehen,
    Stritt ich mit Ägirs
    Ekeler Braut.


    Die Kraft versagen
    Im Kampf doch würde
    Gegen den Mörder
    Meines Sohns.
    Allem Volk
    Vor Augen tritt
    Die Ohnmacht ja
    Des alten Manns.


    Die tückische Flut
    Vieles mir nahm:
    Des Geschlechtes Fall
    Schlimm ist zu künden,
    Seit sein Schirm
    Schied aus dem Leben,
    Ein zu Walhalls
    Wonnen ging!


    Ich weiß es selbst:
    In meinem Sohne
    Nimmer gewahrt ich
    Niederen Sinn,
    Wäre der Schildbaum
    So schön gereift doch,
    Bis ihm Odin
    Ehren gewährt.


    Des Vaters Wort
    Gefiel ihm zumeist,
    Sprach auch dagegen
    Das ganze Volk.
    Dem Alten half er
    Im Hause immer,
    Stets seiner Kraft
    Stütze daheim!


    Oft im Grunde
    Meines Geistes
    Brütet ich:
    Bin brüderlos!
    Traurig denk ichs,
    Tobt der Kampf rings,
    Spähe nach Freunden
    Und spreche zu mir:


    "Wer wohl stünde
    Wehrhaften Sinns
    Noch dem alten
    Egil bei?"
    Oft bedarf ich´s,
    Da alle schwanden:
    "Vorsichtig fliegt,
    Dem die Freunde fehlen!"


    Zu finden ist schwer
    Im ganzen Volk
    Ein Freund ja, dem
    Man voll vertraut.
    Nicht selten sah ich
    Sippenmörder,
    Die Rache verkauft
    Für rote Ringe.


    Man sagte mir,
    Ersatz bekäm ich
    Für diesen Sohn nur,
    Zeugte selbst ich andre.
    Auch fänd ich nie
    So nahen Mann,
    Daß Bruderlieb´
    Er brächte mir!


    Des Menschen Kreis
    Meid ich gerne,
    Säh ich auch jeden
    Versöhnlich hier!
    Ins Luftreich stieg
    Meines lieben Weibes
    Sohn, die alten
    Ahnen zu seh´n!


    Der die Asen
    Mit Ale bewirtet,
    Ägir bleibt mir
    Ewiger Feind.
    Wußt er nicht
    In seinem Wahn,
    Daß meines Verstands
    Steuer er knickte?


    Den früheren Sohn
    Schon Fieberhitze
    Grimmig entriß
    Dem greisen Mann:
    Den fehlerlosen,
    Nach dem nie frugen
    Nachreden, üble,
    Und neidiger Haß.


    Gern denk ich dran,
    Wie ins Götter-Reich
    Des Menschen Freund
    Frisch mir erhob
    Des Geschlechtes Esche,
    Die ich gepflanzt,
    Und meines Weibes
    Wonnefrucht!


    Ich stand mich gut
    Mit der Gere Fürsten,
    Und ich vertraute
    In Treue ihm,
    Bis der Freund
    Des frohen Sieges
    Mich trog und mir
    Die Treue brach!


    Nicht weihe Verehrung
    Vilis Bruder
    Ich aus Lust:
    Denn lieblos war er.
    Doch gab Mims Freund
    Guten Ersatz
    Für böses Leid:
    Die Buße schätz ich!


    Des Wolfes Feind,
    Gewohnt der Kämpfe,
    Gab mir eine Kunst –
    Keine ist besser –
    Und einen Sinn,
    Der sicher schafft
    Aus Ränkeschmieden
    Rührigsten Freund!


    Schlecht ist mir zu Mut:
    Die Schwester steht
    Von Walvaters Feind
    Am Vorgebirge.
    Doch will gern
    Gutwillig warten
    Ich auf Hel
    Mit heitrem Sinn.


    Nach gut einer Stunde kamen sie an dem Ort an, an dem eine Gruppe von Findlingen zu sehen war. Das Wildwerk, was sich dem Ort bemächtigt hatte konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Findlinge zu einem ganz bestimmten Zweck hier lagen: ihre ovale Anordnung zeugte von Menschenhand, und eine große, frisch ausgehobene Grube und ein nahebei aufgeschichteter Scheiterhaufen gab an, was hier heute geschehen würde. Wieder war ein Nachkomme Wolfriks aus dieser Welt geschieden, wieder würde in den Wäldern Mogontiacums ein Feuer brennen, um ihn nach Valhall zu schicken.


    Der Leichnam wurde mit der Bahre würdevoll auf den Scheiterhaufen gebettet, mit dem Blick nach Osten, wo die Sonne aufgehen würde. Die folgenden Minuten wurden verwendet, damit die große Trauergemeinde sich um dem Scheiterhaufen versammeln konnte, und um den Trauernden die Möglichkeit zu geben, dem Verstorbenen Dinge mit nach Valhall zu geben, indem sie kleinere und größere Dinge auf den Scheiterhaufen legten. Die engsten Verbündeten der Familie hängten hängten Schilde und Speere an das Holz, andere legten kleine Odems und religiöse Gegenstände zu dem Toten, Gegenstände von weltlichem und religiösem Wert würden mit Lando verbrannt werden.


    Danach zogen die Klageweiber noch drei Mal um den Scheiterhaufen, während zwei Fackeln entzündet wurde, die dem folgenden Oberhaupt der Sippe und seiner Witwe gereicht wurden. Die Witwe selbst würde ihren Mann nicht in den Tod begleiten, da sie selbst noch guter Hoffnung war, und was den Germanen noch heiliger war als die Ehrung eines vergangenen Lebens war, war die Ehrung von noch entstehendem.
    Menschenmassen war es normalerweise unmöglich, vollkommen still zu sein. Aber diese hier schaffte es beinahe. Und so waren das Rauschen der satten Baumkronen und ein gelegentliches Räuspern das einzige, was man abseits der lodernden Fackel vernehmen konnte.

  • Nach den Tagen der Vorbereitung, den Tagen der stummen Wacht und der vielen Kondolenz hätte Elfleda gedacht, dies hier würde ihr leichter fallen. Sie wusste ja, dass ihr Mann zu Grabe getragen werden musste, sie wusste, dass er gestorben war. Aber auf dem Weg durch die Straßen, immer der Bahre mit ihrem Mann folgend, wurde ihr erst so richtig bewusst, wie endgültig es war. Diese Momente waren es, wenn sie ihn zum letzten Mal sehen würde. Nie wieder würde sie bei ihm sein. Und sie würde ihn nicht begleiten. Das hier war Abschied, und es tat mehr weh, als sie geglaubt hatte.


    An der einen Hand hatte sie Naha, die neben ihr herging. Wenn das Kind müde wurde und die Füße wegen der Strecke weh taten, nahm sie sie kurz hoch und drückte sie im Gehen leicht an sich. Es schmerzte, dass sie ihr im Moment keine bessere Mutter sein konnte. Elfleda hoffte nur, dass Naha nicht bemerkte, wie sie nachts weinte, dass sie genug Kraft hatte, das Kind zu trösten. Sie hatte der Tochter auch erklärt, was heute passieren würde, hatte versucht, ihr den Tod zu erklären. Nicht grob, aber auch nicht beschönigend. Naha wusste, dass ihr Vater verbrannt werden würde, um nach Valhall zu gelangen. Und dass sie ihn daher nicht wiedersehen würde, solange sie lebte. Und Elfleda betete nur, dass ihre Erklärung gut und sanft genug gewesen war.
    Die Klageweiber sangen laut und schön. Herzzerreißend hallten ihre Worte durch die Straßen, und Elfleda war froh, dass sie ihnen diesen Dienst erwiesen. Ihre eigene Stimme hätte wohl versagt. Sie hatte überlegt, auch zu singen, so aber formten ihre Lippen nur immer wieder die Worte des Liedes, ohne dass wirklich ein Laut dabei heraus kam.


    Schließlich waren sie an der Begräbnisstätte angelangt. Eine große Grube war bereits ausgehoben, daneben war der Scheiterhaufen errichtet. Elfleda durchfuhr ein Schauer, als sie ihn sah, und sie musste schlucken, als Landos Bahre auf diesen gebracht wurde. Alles in Elfleda schrie danach, zu ihrem Mann zu gehen, ihm ein letztes Mal über das Gesicht zu streicheln, ihm einen letzten Kuss zu geben und ein letztes Lächeln zu schenken. Einfach nur noch einen Moment Zeit zu stehlen, den sie mit ihm haben konnte. Nur einen kurzen Moment. Und so sehr sie sich vorgenommen hatte, hart zu bleiben und würdevoll dazustehen, sie konnte es nicht. Ihr Körper erzitterte einmal, als sie kurz schluchzend Luft holen musste und ihr Tränen übers Gesicht liefen. Sie wischte sie hinfort, wollte nicht, dass man sie heulen sah. Es war Landos Einzug nach Valhall, er sollte nicht ihr Weinen in den Ohren haben, wenn er dorthin ging.
    Sie fing sich und sah zu Leif hinüber. Den ganzen Weg hierher hatte er Hermod, Landos Rappen, am Zügel geführt. Auch er war festlich hergemacht worden, mit einem guten Sattel und feinem Zaumzeug. Gute Satteltaschen hingen ihm über die Flanken, ebenso ein Trinkhorn, das an einer Schlaufe aufgehängt war. Alles, was man für eine Reise benötigte. Elfleda ging die paar Schritte zu ihnen hinüber und streichelte noch einmal über den kräftigen Pferdehals. Er war noch nicht zu alt, ein gutes Pferd, und Lando hatte den Hengst sehr gern gehabt. Sie streichelte ihn ein wenig und klopfte ihm anschließend aufmunternd gegen die Schulterpartie. “Du hast ihn so weit getragen. Du trägst ihn noch ein wenig weiter, nicht wahr, Hermod?“ Fast tat es ihr leid um das Tier, aber andererseits war es eine mehr als würdige Grabbeigabe. Elfleda sah noch einmal stumm zu Leif und ging dann wieder auf ihren Platz, während die vielen Familien Mogontiacums ihre Grabbeigaben platzierten.
    Leif führte das Tier, das von den vielen Menschen um es herum zwar verwirrt, aber dennoch beherrscht war, zu der Grube. Eine kleine Rampe war gebaut worden, die hinunter führte. Hermod bockte kurz und zog zurück, als Leif ihn hinunterführen wollte, aber schließlich kam er mit. Ein Lebendes Tier dort hinunter zu bekommen war immernoch einfacher, als das Gewicht runterzuhieven. Ein kurzer Pferdeschrei ertönte, übertönt vom Klagen der Weiber, als Leif dem Tier von vorne in das weiche Fleisch am Halsansatz stieß, am Schlüsselbein vorbei und weiter direkt bis zum Herz. Es war sehr schnell vorbei, und der Hengst lag in der Grube, wartend auf seinen Herrn.


    Elfleda sah kurz, wie Leif wieder hervorkam. Kurz blickte sie ihn dankbar an, dann wandte sie sich wieder dem Scheiterhaufen zu. Schließlich war die Klage fertig, und ihr wurde eine brennende Fackel gereicht, ebenso wie Witjon auch eine erhielt. Das Holz in ihrer Hand fühlte sich so schwer und falsch an. Sie wollte das nicht tun. Kurz blickte sie zu Witjon hinüber, gestattete sich einen Moment des Zögerns und der Schwäche. Er braucht auch deine Hilfe. Du musst stark sein, für deine Kinder. Sie musste nur noch einmal stark sein. Nur einen Moment länger noch warten, bis sie an der Reihe wären, es zu vollenden und Lando auf seine Reise zu schicken.

  • Nachdem die Grabbeigaben samt Landos Rappen platziert und Elfleda und Witjon die Fackeln übergeben worden waren, müsste nun Phelan als Gode für den rituellen Part der Bestattung einsetzen.
    Heute würde er stark sein, dass war er Lando schuldig. Innerlich zerfraß ihn immer noch die Schuld, aber nach außen hin zeigte er Stärke, Lando hatte eine ehren- und würdevolle Bestattung mehr als nur verdient.
    Der junge Gode schluckte kurz und erhob dann seine Stimme an die Trauergemeinde.


    "Wir haben uns hier und heute versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied, von einem großen Mann, der von den einen geliebt ist als Vormund, Vetter, Bruder als auch Vater, und von den anderen geschätzt als Geschäftsmann, Partner, Vertrauter als auch Freund. Allerdings.. nehmen wir nur von Landos Körper Abschied, seine Seele wandert zwar nach Valhall, aber sie wird immer in unseren Herzen sein." er ging zu dem Scheiterhaufen und flüsterte beschwörerisch ein paar Wörter, bevor er Elfleda und Witjon das Zeichen gab, mit ihren Fackeln den Scheiterhaufen anzuzünden. Phelan war wirklich froh, dass er nicht den Scheiterhaufen anzünden musste, er wusste wie schwer vor allem Efleda dieser Schritt fallen würde. Es war ihr letzter Blick in das Gesicht ihres Mannes, bevor es zu Asche verfallen würde.
    Während die beiden auf den Scheiterhaufen zuleifen erhob der Duccier erneut seine Stimme.


    "Möge deine Fylgia dich sanft geleiten auf deiner letzten Reise." die Trauergemeinde wiederholte jeden Vers.
    "Möge Thor Dir in seiner Stärke Kraft geben für diesen Gang.
    Möge Frigga dich sanft umfangen und behüten.

    Möge Freya den Abschied erleichtern von den Deinen.
    Es ist an der Zeit, heimzukehren zu den Göttern.
    Bald wirst du willkommen geheißen, du wirst schon erwartet."


    Als er geendet hatte, loderten die Flammen am unteren Holz und die Flammenzungen wanderten immer weiter nach oben, bis schließlich Landos Körper vollkommen vom Feuer umschlossen war.


    Die Klageweiber setzten an zu ihrem letzten Lied, dass Phelan, in den Reihen seiner Familie stehend, nur leise und andächtig mit leerem Blick mitsang.


    Ich fühl’ es seit der Dämmerung.
    Der Wald schweigt, ich weiß nicht warum.
    Nebel liegt schwer auf der dunklen See.
    Ich traf dich noch, du freutest dich,
    doch als ich ging, da ahnte ich,
    daß ich dich nun nicht mehr wiederseh’!


    Heut' öffnet sich Walhallas Tor,
    und wir steh’n fassungslos davor.
    Du sprachst von Heimkehr, meintest Tod.
    Regenbogen strahlt über das Land.
    Odinstochter reicht dir die Hand,
    wendet ihr Roß, und du bist fort.


    Ich seh’ dich noch in mancher Nacht.
    Was haben wir geflucht, gelacht,
    und wie man kämpft, das hast du uns gelehrt.
    Wir bauten uns ein Drachenschiff
    und segelten zum fernen Kliff.
    Uns hat schon die halbe Welt gehört!


    Doch aus der Vergangenheit
    kam ein Ruf aus ferner Zeit.
    Heimdall stand am Tor und stieß ins Horn.
    Und du kämpftest, wie mir scheint,
    mit einem unsichtbaren Feind
    lang und hart, doch hast den Kampf verlor’n.


    Ich fühl’ es seit der Dämmerung.
    Der Wald schweigt, und ich weiß warum.
    Nebel liegt schwer auf der dunklen See.
    Die alten Freunde grüßen dich
    ein letztes Mal, mehr bleibt uns nicht.
    Die Götter warten auf dich, und nun geh!

  • Normalerweise, wenn man den Begriff normal hier überhaupt verwenden könnte, hätte Eila vermutet, dass in diesen schmerzvollen Stunden und Tagen ihr Herz eine traurige Melodie spielen würde. Doch es war anders. Keinerlei Empfindung durchdrang sie. Seit dem entsetzlichen Moment, in dem sie erkannt hatte, dass ihr Bruder gestorben war, wanderte sie wie durch einen Schleier. Der Schmerz war an einem Punkt so unvorstellbar groß geworden, dass er einer breiten Leere Platz gemacht hatte, die bis jetzt anhielt.
    Sie hatte seither kaum ein Brot gegessen, ob sie geschlafen hatte oder nicht hätte sie nicht einmal mehr sagen können.


    Das sonst so hervorstechende Strahlen ihrer Augen war verschwunden, ihre Wangen eingefallen, ihre Haut fahl. Doch hätte jemand gewusst, wie es _in ihr_ aussah, so hätte er meinen können, dass sie dafür noch gut aussähe.
    Alles, was in den letzten Tagen geschehen war, war automatisch passiert. Irgendwann, sie wusste nicht mehr wann, war sie wieder aufgestanden, hatte sich gewaschen und an ihre Aufgaben gemacht. Sie antwortete, wenn etwas gefragt wurde und tat, was man ihr auftrug. Nicht mehr und nicht weniger.


    Ebenso war sie der Prozession im Kreise ihrer Familie gefolgt, die nie bis ins letzte ihre Familie würde sein können, um den letzten Menschen zu beerdigen, der zu ihrer wahren Familie gehörte. Denjenigen, mit dem sie ihr ganzes Leben und auch das Blut geteilt hatte. Viel zu früh schon hatten die beiden ihre Eltern durch Gewalt verloren. Doch sie hatten einander gehabt... Jetzt trug sie ihren Bruder zu Grabe. Kein Mensch konnte ahnen, welcher Schmerz Eila in seinen kalten, grausamen Krallen gefangen hielt.


    Sie sah die vielen Menschen, die ihrem Bruder die letzte Ehre erwiesen, die vielen Grabbeigaben, sie hörte all die Lieder und Worte der anderen. Aber sie blieb regungslos. Bis es an ihr war von ihrem Bruder Abschied zu nehmen. Und das, was sie ihrem Bruder mitgeben würde, hatte eine ganz besondere Bedeutung. Sie strich noch einmal über das Bärenfell und atmete tief ein, bevor sie einige Schritte vortrat. Dieses Fell hatte Loki ihr geschenkt, nachdem er bei dem Kampf mit dem Bären beinahe umgekommen war. Sie drückte es noch einmal an sich, bevor sie es in die Grube warf. Hunderte Worte, die sie ihrem Bruder sagen wollte, geisterten durch ihren Kopf. Doch nichts war diesem Moment angemessen. Nichts würde ihn zurückbringen. Nichts war groß genug. Nur ein: Ich liebe dich.


    Sie spürte, wie sie leicht zu zittern begann. Wie ihr erneut der Brustkorb zu klein für ihre Lunge erschien und die Tränen den Weg in ihre Augen suchten. Ihre Knie wurden, wie so oft in den letzten Tagen weich. Doch bevor sie hier die Fassung verlor, drehte sie sich um und schritt schwachen Schrittes zu den anderen zurück. Mit leicht glasigem Blick schaute sie sich um und suchte einen der Ihren. Einen, der sie stützen und ihr helfen konnte, aufrecht stehen zu bleiben, während die Erkenntnis erneut mit voller Wucht zuschlug: Er ist tot...

  • Naha
    [Blockierte Grafik: http://img199.imageshack.us/img199/1620/nahakind.png]


    Schlafen. Erschöpfung. Valhalla. Nicht wiedersehen. Verbrennen. Tot. Tot. Tot.
    Alles Worte, die für Naha nicht den geringsten Sinn ergaben. Ihre Mutter hatte sehr lange und sehr eindringlich auf sie eingeredet, und Naha war nicht so dumm gewesen nicht zu begreifen, dass ihre Mutter letztendlich sehr unter dieser Situation litt.
    Naha als Kind war seeeeehr sensibel für Regungen der Mutter, immerhin hatte sie gute Neun Monate denselben Organismus geteilt bis Naha sich entschieden hatte, ein Zimmer ohne Fenster würde ihren Ansprüchen nicht genügen und die Tür eingetreten werden musste.
    Nun... ihre Mutter tat unberührt. Aber Naha war nunmal ihre Tochter... und hatte die Segnung der fehlenden Empathie von ihrem Vater dummerweise nicht geerbt.
    Lange Rede kurzer Sinn: da war was im Busch, und Naha wusste es ganz genau.


    An diesem Tag war auf einmal alles ganz anders... acht bärenstarke Männer (mindestens fünftausendeinhundertdreiundsiebzig mal stärker als der Pimpf Audaod) hatten die Bahre mit ihrem Vater geschultert und ihn aus der Stadt getragen. Ihre Familie war ihnen gefolgt, und mit ihnen ganz Mogontiacum. Naha hatte noch NIE so viele Menschen gesehen. Das waren sicherlich tausendhundert! Mindestens! Und dann diese komischen Frauen, die die ganze Zeit gesungen und gejammert haben.


    Irgendwann waren sie im Wald angekommen, und da nahm das Unglück seinen Lauf: Leif ging mit dem Pferd ihres Vaters in ein Loch im Boden, und kam alleine wieder heraus. Naha wollte ihre Mutter fragen, was Hermod da unten im Loch sollte, aber sie hatte diesen Blick bei ihrer Mutter festgestellt. Dieser "sprich bloß nicht mit mir ich bin ein Stein"-Blick. Und dann hatten viele Leute Dinge auf den Holzstapel mit ihrem Vater drauf gelegt. Und dann hatte Onkel Phelan wieder eine seiner komischen Sachen gemacht, die er oft im Garten der Familie oder in der Stadt ausgeführt hatte. Und dann... und dann.... dann zündeten sie ihren Vater an!
    Sie zündeten Lando an! Ihren Vater! Ihre Mutter und Onkel Witjon!
    Naha wusste, was Feuer anrichten konnte. Sie selbst hatte mitbekommen wie niedergeschlagen alle nach dem Feuer in der Stadt gewesen waren. Und sie hatten mitbekommen welch zerstörerische Kraft ein Feuer entwickeln konnte. Und genau das begriff Naha: dieses Feuer war ganz und garnicht gut für ihren Vater.


    Das war der Moment, in dem etwas in dem jungen Mädchen zerbrach. Tränen brachen sich Bahn, ihre kleine Kehle verkrampfte sich, als der erste tiefe Schluchzer sich bemerkbar machte, und irgendwann heulte die kleine Naha einfach nur so drauflos. So hemmungslos und unbeherrscht wie nur kleine Kinder heulen konnten, und sie tat es aus ganzem Herzen: ihr Vater war weg.. und Witjon hatte ihn angezündet. Ihr Verstand weigerte sich schlicht, ihre Mutter dafür verantwortlich zu machen, und daher blieb nurnoch eine Wahl: ihr Onkel Witjon hatte ihren Vater angezündet. Ein Verbrechen, dass in dem kindlichen Geist von Naha keinen Vergleich fand.


    Marga hatte sie an sich gedrückt, als sie zu heulen begann, doch Naha hatte sich vor verzweifelter Wut freigestrampelt und war auf das Feuer zugerannt, nur um auf halber Strecke von blankem Entsetzen erfasst zu werden und zurück zu weichen. Bis sie fast über die Füße von jemandem stolperte, den sie in dem ganzen Tränenschleier als ihre Tante Eila identifizieren konnte.
    Bisher hatte sie gedacht, ihre Tante würde sie nicht mögen. Aber das war ihr jetzt egal. Sie war da. Mit der energischen Verzweiflung eines Kindes warf sich Naha an den Rock ihrer Tante, umklammerte ihre Beine und begann von neuem lauthals loszuheulen, den Schmerz, den das Kind empfand war definitiv zuviel für den kaum drei Sommer währenden Geist.

  • Witjon fühlte an diesem Tag zunächst nicht sonderlich viel. Alles musste im Blick behalten, kontrolliert, delegiert oder umgeworfen werden, denn eine Bestattung war mit Vorbereitungen verbunden. Als die Sonne sich dem Horizont zuneigte, war dann alles bereit. Der Totenzug schob sich schwerfällig durch die Straßen und Witjon war ein Teil davon. Teil einer trauernden Menge. Teil der Familie. Teil der Menschen, die von Lando Abschied nehmen wollten - oder aus Höflichkeitsgründen mussten. Während der Prozession hatte Witjon dann unglücklicherweise wieder Zeit nachzudenken. Während er neben Elfleda, Eila, Naha und dem Rest der Duccii im Gefolge dahinschritt, arbeitete sein Hirn etliche angestaute Gedanken ab. Über die schnelle Todesfolge von Callista und Lando. Ob er Geschehenes hätte verhindern können. Ob er schuld war. War Witjon schuld? Er konnte sich die Frage nicht beantworten, wog er doch ständig Pro und Contra ab und fand für beide Möglichkeiten genügende Argumente. Es war zum Haare raufen. Irgendwann war sein Kopf einfach leer und er starrte nur in der Gegend umher, solange bis sie das Gräberfeld seiner Sippe erreichten.


    Der Scheiterhaufen stand bereit und Lando wurde dort aufgebahrt. Nun war der Zeitpunkt gekommen seine Grabbeigaben darzubringen. Witjon ließ sich seine Mitbringsel reichen. Er hatte nicht gespart. Ein prächtiger Rundschild - der dunkelgrüne Lederbezug war mit Jagdszenen bemalt - hing bald neben einem glänzenden Sax, das Lando zu Ehren gereichte. Er sollte in Walhall immerhin gut angeben können. Man sollte dort sehen können, dass er ein großer Mann gewesen war und er würde diese Dinge gut brauchen können. Ein schwerer Leinenumhang fand ebenfalls seinen Weg auf den Scheiterhaufen und dazu ein Schutzamulett, das Loki geweiht war. Während dieser Tätigkeiten wurde in der Grabgrube bereits Hermod erschlagen, der seinen Reiter in seinem Tod begleiten würde. An dessen Sattel hing obendrein das Trinkhorn, das Witjon seinem Vetter damals zur Vermählung geschenkt hatte und das seitdem etliche Male mit Bier oder Honigwein gefüllt gewesen war.


    Dann herrschte Stille. Die Grabbeigaben waren dem Toten dargebracht und die Fackeln waren entzündet worden. Witjon bekam eine gereicht, ebenso Elfleda, die an seiner Seite stand. Phelan sprach noch einige Sätze, die Lando den Weg ins Totenreich ebnen sollten und die Klageweiber taten ihren Dienst. Dann traten die Witwe und der Sippenführer vor. Witjon warf einen Blick zu Elfleda, als diese zögerte. Ein ermutigendes Nicken war seine Reaktion, auch wenn er sich damit vielmehr selbst Mut machte. Dann senkte er die Fackel, wenn sich sein ganzer Geist auch dagegen streubte. Die Flamme sprang über, besiegelte das Ende des leblosen Körpers. Jetzt war es endgültig. Lando verließ Midgard.


    Sie fanden zurück in den Kreis ihrer Angehörigen und betrachteten von dort die Flammen. Witjon konnte seinen Blick nicht abwenden, während sein Inneres sich verkrampfte. Er würde seinen Vetter vermissen. Sehr sogar. Unter den Männern der Casa Duccia war er ihm immer der liebste gewesen. Jetzt fühlte Witjon sich plötzlich einsam. Einsam in seiner Rolle als Oberhaupt. Einsam unter Vettern, die sich allesamt auf einen starken Führer verlassen konnten und einsam unter Frauen, die in Trauer zu vergehen drohten. Es war schmerzlich anzuschauen wie Landos Liebsten in Tränen zerflossen. Elfleda, Eila, Naha...sie alle trauerten. Die einen mehr, die anderen weniger Tränenreich. Witjon stand dabei, äußerlich fast ungerührt, innerlich zerrissen zwischen unendlicher Trauer und aufkeimender Verzweiflung. Doch an diesem Abend vermochte er es Stärke nach außen zu zeigen. Keine Träne vergoss er, keine Miene verzog er, während die Flammen ihre Beute zerfraßen. Auf ein Kind musste das unglaublich gefühlskalt wirken, verräterisch eisig gar. Wie konnte ein Mann nur so herzlos sein? Doch wer Witjon kannte, der wusste es besser.

  • Es war erschreckend, wie schnell die Flammen sich ausbreiteten. Kaum hatte Elfleda ihre Fackel in den Reisig gestoßen, züngelten gelbrote Flämmchen empor, leckten an den Zweigen und Ästen, fraßen sich den Scheiterhaufen entlang. Ein erst zaghaftes Knistern wurde bald zu leisem Knallen, dann zu hungrigem Heulen und schließlich dem lauten Tosen eines Sturmes, als die Flammen hoch schossen und gierig alles verschlangen, was ihnen dargebracht worden war.
    Sie War zurückgetreten, an Witjons Seite, und sah nur stumm den Flammen bei ihrem Werk zu. Allzu bald schon hatten sie Lando erreicht, und Qualm verhüllte gnädigerweise einen genauen Blick auf seine Gestalt. Dennoch versuchte Elfleda, ihren Blick auf Landos Gesicht zu halten, auch als ihr die Helligkeit des Feuers in den Augen brannte und diese zum Tränen brachte. Nie würde sie zugeben, dass ihre Tränen aus anderen Gründen rinnen mochten wie diesem einen, nie würde sie zugeben, sich eine solche Schwäche geleistet zu haben. Aber allzu bald sah sie nur noch eine von Flammen umhüllte Masse, kaum als menschlicher Körper zu erkennen, während das Brüllen des Feuers alles übertönte, selbst das Weinen ihrer Tochter.
    Nur kurz sah Elfleda zu ihr, wie sie sich an Eila presste und weinte. Ja, sollte sie weinen, weinen bis sie keine Tränen mehr hatte, weinen bis ihre Stimme heiser war, weinen bis all der Schmerz nur noch ein taubes Echo in ihrem Körper war. Sie sollte weinen, wie Elfleda am liebsten weinen wollte, es aber nicht durfte. Sollte sie für sie beide weinen und das ungeborene Kind in ihrem Bauch, sollte sie für die ganze Welt weinen, wenn sie wollte. Und auch, wenn es Elfleda beinahe zerriss, sie konnte jetzt nicht zu ihr gehen und sie trösten. Sie wusste nicht einmal, ob sie sie überhaupt trösten konnte. Sie wusste nicht, ob es Trost hierfür gab. Für sich selbst hatte sie keinen.
    Sie schluckte und wischte sich einmal über die Augen, die beständig weiter tränten und nicht enden wollten. Neben ihr stand Witjon, stark und regungslos, und sah ebenso wie sie zum Feuer. Jetzt war er der Herr der Duccier und musste sie durch diese Zeiten führen. Elfleda sah kurz in sein Gesicht, die angespannten Züge, die strengen Augen. Er bemühte sich.


    Lange standen sie da, sahen dabei zu, wie die Flammen all das verschlangen, was Elfleda zu lieben gelernt hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie Lando kennen gelernt hatte. Die etwas unbeholfenen, ersten Gespräche, das allmähliche Kennenlernen. An seine hundert Marotten, die er immer wieder ausgelebt hatte. An das Gefühl seiner Hände, das Kitzeln seines Bartes, den Geruch seiner Haut. Alles Dinge, die für immer verloren waren. An sein verschmitztes Lächeln, das sie nicht mehr sehen würde. An die Art, wie er mit Naha gespielt hatte, wie ausgelassen die beiden miteinander umgehen konnten.
    Irgendwann schluchzte Elfleda doch einmal, während die Tränen nicht aufhörten, ihr über die Wangen zu rinnen. Eine Hand legte sich schützend auf ihren Bauch, über das Kind, das seinen Vater nie kennen lernen würde. Sie schluchzte etwas mehr. Sie wollte hier nicht weinen, aber sie hatte einfach nicht die Kraft, es allein zurück zu halten. Und da erlaubte sie sich zum ersten Mal die Schwäche und griff nach Witjons Hand, ohne ihn zu fragen, ohne ihn auch nur anzusehen. Sie griff einfach nach seiner Hand und hielt ihn fest. Hielt sich an dieser Hand fest und suchte dort die stärke, die sie brauchte, um hier nicht heulend in die Knie zu gehen, sondern es stumm und stolz zu ertragen.


    Und so stand sie dann da, während das Feuer herunter brannte, und die sterbliche Hülle von Lando, Sohn des Landulf, genannt Loki, zu einem kleinen Rest verbrannte.

  • Auch wenn das Feuer noch so groß war: die Überstellung eines Mannes in die Welt Asgards konnte gute Stunden dauern.
    Und als die Flammen den Körper einhüllten und die Geschenke nach und nach verschlangen kam der eher gemütliche Teil einer Bestattung: man feierte den Toten mit viel Speis und Trank. Ein Karren mit eben jenem war der Prozession in gebührendem Abstand gefolgt, und nun sorgten fleissige, aber während der Zeremonie unsichtbare Hände dafür, dass man nicht hungerte während Lando nach Valhall ging. Dem modernen Betrachter mochte das paradox vorkommen, aber in einer Zeit, in der der Tod eben noch nicht gezähmt worden war, sondern zum Alltag gehörte wie die Tatsache, dass verheiratete Frauen Zeit ihres fruchtbaren Lebens mehr schwanger als empfängnisbereit waren, in dieser Zeit war das alles vollkommen normal. Trauer war etwas, dass aus der Lücke entstand, die durch den Tod geschlagen wurde, aber Lücken waren da um wieder gefüllt zu werden.
    Und darauf tranken die Menschen heute auch. Aber vor allem darauf, dass einer von ihnen nach Valhall einging, in dem er für sich und seine Familie gekämpft hatte. Die wenigsten wussten, dass es ein Ehrduell gewesen war, wie es der Tradition entsprach, und dass der Ausgang eher weniger traditionsgerecht gewesen war. Wenige Wegstunden entfernt lagen immernoch zwei tote Männer im Gras.. und um sie trauern durfte die Familie nur, weil sie dadurch ihre Freiheit verloren hatte.
    Diese Gruppe aber feierte einen der Großen der germanischen Gemeinschaft im römisch besetzten Teil Midgards. Darum wurden Fässer angeschlagen, Brot, Fleisch und Käse verteilt und der Tote besungen und gefeiert, wie es ebenfalls der Tradition entsprach, der Tradition von Völkern, die den Tod stets unter sich wussten und mit ihm lebten, als wäre es das natürlichste der Welt. Das war es wahrscheinlich auch, Menschen wurden geboren, und sie starben, der innerste Kreislauf der Natur, die die Germanen so verehrten.


    Es wurde dezent gefeiert, kein schallendes Gelächter, kein heiterer Gesang. Man blieb vergleichsweise ruhig, auch wenn immer wieder laute Stimmen über den Platz schallten und einen Trinkspruch auf den Toten und seine Familie ausriefen, woraufhin viele Becher in die Höhe gerissen wurden, um die Trinksprüche aufzunehmen und fortzuführen. Auch wenn eine latente Trauer nicht zu verleugnen war, das beherrschende Gefühl an diesem Abend war Stolz.


    Das Feuer brannte herunter, und irgendwann gab es nurnoch einzelne qualmende Stücke von Holzkohle, genauso wie es keinen Becher mehr zu füllen gab und keine Krume Brot zu verteilen. Lando war verbrannt, und dem Verständnis der Anwesenden nach nach Valhall eingegangen.
    Man entnahm dem qualmenden Haufen die zentrale Asche und die Knochen und füllte diesen mit ruhiger Hand in eine Urne, die in der Werkstatt der Smaidra Glasam entstanden war, eins der ersten Geschäfte, die der Verstorbene gegründet hatte. Es war ein kunstvolles Objekt und gelinde gesagt wahnsinnig teuer. Es zeigte die wichtigsten Szenen aus dem Leben des Toten: die Flucht, die Wiedervereinigung mit seiner Schwester, die Aufnahme in die Familie der Duccii, die Gründung der Freya Mercurioque, die Hochzeit mit Elfleda und sein manigfaltes Wirken im Staat der Römer.
    In diese Urne nun wurden die Überreste der körperlichen Hülle von Lando, Sohn des Landulfs, getan, und diese vom Priester der Familie feierlich in das tiefe Grab in zentraler Lage gebettet. Man hatte die Grube mit starken Eichenbohlen und Steinen an den Wänden und im Boden stabilisiert, denn man wollte sichergehen, dass es nicht einstürzte. Was folgte war eine Prozession der Gäste, die dem Toten noch viele Geschenke mit auf den Weg gaben: kleinere und größere Kostbarkeiten die vergehen und so dem Toten nach Valhall folgen würden, aber auch unverderbliches wie Glas und Edelmetall, dass dem Status des Toten auch in dieser Welt zu andauernder Geltung verhelfen würde. Nur die wichtigsten Familien durften dies, sonst wäre das Grab am Ende vollgewesen, und so war es auch ein Zeichen von Stand, wenn man einem derart bedeutenden Valhallfahrer etwas mit ins Leben bis Ragnarök geben konnte.


    Als diese Handlung abgeschlossen war, umgab die Asche des Toten weitaus mehr Wohlstand als er im Leben um sich zu haben gepflegt hatte, was auch wieder sehr deutlich davon zeugte, dass das Begräbnisritual der Germanen auch den Hinterbliebenen und den Lebenden geweiht war.
    Letztendlich wurde das Grab mit der Urne des Toten zugeschauffelt, in den nächsten Tagen würde Hörige und Freie immer wieder herkommen um das Grab mit einer großen Menge an Erde zu bedecken, die letztendlich einen Hügel ergeben würde. Danach würde man das Grab mit Grassoden bedecken, auf dass er nicht sofort zuwuchern würde. Zum Jahrestag des Toten würde man zurückkehren und einen großen Stein für Lando in die Gruppe der Monolithen in der Schiffslegung platzieren, und es so um einen Teil wachsen lassen.
    Der Grabhügel Landos würde zu den drei größten Grabhügeln des Gräberfelds gehören.


  • Durch die glasigen Augen und das Chaos, das in ihrem Innern herrschte, war Eila so abgelenkt, dass sie vom Aufprall völlig überrascht wurde. Irritiert blickte sie an sich hinab und wurde wie von einem Blitz getroffen. Sie sah die blauen Augen ihres Bruders und seine Feuerrote Mähne vor sich... doch es war nicht sein Gesicht, sondern das eines kleinen Mädchens, welches sie trug.
    Als sich ihre Nichte, mit der sich Eila bisher ganz bewusst noch nicht näher beschäftigt hatte, weil sie viel zu sehr Zeichen von den Veränderungen im Leben ihres Bruders und damit in ihrem eigenen war, an sie schmiss und ihre Beine umklammerte, musste sie zunächst einen Moment aufpassen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.


    Dann begann Naha auch noch zu weinen... ohrenbeteubend zu weinen. Und im schmerzerfüllten Geschrei ihrer Nichte, schien sich all ihr eigener Schmerz wiederzufinden. In diesem Moment traf die junge Duccierin keine bewusste Entscheidung. Alles, was geschah, geschah beinahe automatisch. Sie beugte sich hinunter, fasste das Kind unter den armen und hob sie ohne Rücksicht auf Widerworte mit einem Ruck hoch. Den Kopf Nahas auf ihrer Schulter, umschloss sie das Kind fest mit ihren Armen und stapfte weiter auf die Reihen ihrer Verwandten zu. Sie hielt das Mädchen fest und gewissermaßen sich selbst an dem Mädchen. Eila strich ihrer Nichte sacht über den Rücken, während sie sie mit dem anderen Arm hielt, fuhr ihr durch das feuerrote Haar, dass so sehr an das ihres Bruders erinnerte und weinte.


    Mit einem Schlag, war ihr etwas bewusst geworden. Ja, sie würden ihren Bruder nie wieder sehen, mit ihm reden oder ihn umarmen können. Aber: sie war nicht völlig allein. Nicht jeder ihrer Familie war tot. In den Adern dieses Mädchens floss das Blut ihres Vaters... Eilas Blut. Und, das wurde ihr in diesem Moment ebenso klar: sie würden dieses Mädchen lieben, mehr als alles andere auf der Welt. So, wie sie ihren Bruder geliebt hatte. Und niemand würde je Gelegenheit bekommen, ihr etwas zu tun. Sie würde sie beschützen, so weit sie es vermochte. Wieder strich sie durch das Haar des kleinen Wesens und sagte, was sie noch kaum selbst zu glauben vermochte: "Es wird alles wieder gut, mein Schatz. Glaub mir, es wird alles wieder gut."

  • Selbstverständlich hatte Rodrik auch schon etliche Beerdigungen erlebt, keine Frage. In jedem Dorf starb zwischendurch ein alter Herr oder dessen Frau oder Witwe oder seltener eine Frau während der Geburt oder ein Kind oder ein Mann im besten Alter auf Grund eines Unfalls oder eines Kriegszuges... Anders gesagt: Gestorben wurde immer.


    Rodrik war müde. Dieses ewig lange Wachen und bedauernswert In-die-Welt-dreinschauen und Traurig-Nicken war anstrengender als man denkt! Besonders wenn man ab der neunten Stunde nicht mehr wusste ob man zuerst pinkeln oder futtern gehen sollte. Das allerdings hatte Rodrik irgendwie erfolgreich hinter sich gebracht, nur leider hatte er danach irgendwie nicht mehr richtig ruhen oder schlafen können. Met konnte er keinen trinken (der war irgendwie alle oder gut versteckt), für ausgedehnte Zechtouren hatte er kein Geld und keine Kumpel, also lag er da. Insomnia. Am Tag der Beerdigung war er wenigstens so hellwach, um Albin zu fragen, was er jetzt eigentlich zu tun hätte. Albin war hellwach genug, um ihm zu sagen, dass er nur der Masse seiner Familie folgen sollte. Das war eine klare Ansage, das verstand Rodrik. Also tat er das auch. Er folgte seiner Familie und beantwortete - wie so oft - einige Male Fragen, wer er denn sei und wessen Sohn er sei. Gefühlte Hundert Mal musste er erklären, warum er diesen Platz bei der Beerdigung einnahm. Wirklich sehr nervig. Aber irgendwann waren alle ruhig, denn dann begann die Zeremonie und Rodrik war zum Teil wirklich froh darüber.


    Er nutzte die Gelegenheit um sich etwas abseits zu stellen. Dann tat er seine Pflicht und dann, als Speis und Trank ausgegeben wurde, setzte er sich zu seiner Familie und stosste zu Ehren des Toten an und aß ein wenig und trank dafür ein bisschen mehr. Irgendwann zwischendurch versank er kurz in Gedanken, nicht lange, nur für ein paar lange Momente, in denen er zum lodernden Feuer hinsah. "Aber er war schon eine stattliche Leiche." Anerkennend nickte Rodrik. "Findet ihr nicht?"

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