[Ludus discendi] Die Xanthosschule

  • [Blockierte Grafik: http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg] | Meister Xanthos


    Weiterhin amüsiert betrachtete Meister Xanthos den Denkprozess seines Schülers, den man an seiner Gestik und Mimik förmlich ablesen konnte. Auch die anderen Schüler, die sich nicht angesprochen fühlten, sahen erwartungsvoll auf ihren germanischen Mitschüler.


    Dann kam die Antwort, die tatsächlich nicht dumm war.


    "Strich ist nach wie vor keine geometrische Kategorie. Aber insgesamt hast du gut kombiniert: Eine Gerade ist eine gerade Linie, deren Anfang und Ende nicht definiert ist - sie geht in unserer Vorstellung quasi über die Tabula hinaus. Und eine Strecke ist in ihrer Länge definiert, so wie die Strecke, die ein Läufer im Stadion laufen muss. Müsste er eine Gerade laufen, käme er niemals an."


    Ein schmales Lächeln zauberte sich auf die Lippen des Lehrers. Der Gedanke an Stadien erinnerte ihn an seine griechische Heimat...


    "Aus den Elementen, die wir jetzt besitzen - den Punkt, die Gerade und die Strecke - baut sich quasi die gesamte Geometrie auf. Schneiden sich etwa zwei Geraden - das bedeutet, dass sie sich kreuzen - so bekommen wir weitere interessante Konstrukte."


    Er deutete auf die Abbildung eines X, in dessen Ecken Halbkreise gezeichnet waren.


    "Wenn zwei Geraden sich von einem Punkt aus wegbewegen, so liegt darin ein Winkel. Steht die eine Gerade senkrecht auf der anderen, so nennen wir ihn rechten Winkel."


    Er deutete auf eine Figur mit einem rechten Winkel, der durch einen Punkt gekennzeichnet war.


    "Wie ihr seht, lassen sich mit Winkeln interessante Fragen aufwerfen. Wenn ich etwa diesen Winkel kenne, wie verhält sich dann der andere dazu?"


    Er deutete zuerst auf den größeren Zwischenraum des "X", dann auf den kleineren.


    "Dies sind Fragen, die die Geometrie beschäftigen. Aber habt ihr Fragen?"





    MAGISTER - LUDUS XANTHOU

  • Ja! Er hatte sich zwar nicht ganz korrekt ausgedrückt, aber das richtige gemeint und Meister Xanthos hatte das auch verstanden. Genüsslich grinsend nahm er das Lob des Lehrers an und lehnte sich ein wenig zurück. Tja.. da konnten seine Mitschüler mal blöd aus der Wäsche gucken.. was sie auch taten. Vor Neid warfen sie ihm missbilligende Blicke über die Schultern zu. Dagwin saß immer noch in der letzten Reihe.. die Deppenreihe. Seine drei Mitschüler aus dieser Reihe, zeigten sich sichtlich unbeeindruckt, denn sie hatten wieder nicht aufgepasst und waren eher mit popeln beschäftigt als mit irgend etwas anderem.
    Der junge Duccier ignorierte einfach die Blicke seiner Mitschüler und konzentrierte sich weiterhin darauf, was Meister Xanthos referierte.


    Die Frage war knifflig, aber davon ließ er sich nicht den Mut aus den Segeln nehmen und zeigte auf. Als er von Meister Xanthos drangenommen wurde, erklärte er "Vielleicht ist er doppelt so groß?"
    Auch wenn das falsch sein sollte, würde ihm das egal sein. Es war ja kein Stoff, den er bereits können müsste und sich somit mit Unwissenheit blamierte. Der magister würde seine aktive Teilnahme am Unterricht bestimmt wünschens- und lobenswert finden!

  • [Blockierte Grafik: http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg] | Meister Xanthos


    Der Lehrer sah seine Tafel scharf an, dann blickte er wieder zu Decula.


    "Die Geometrie ist eine überaus exakte Wissenschaft, mit 'vielleicht's und 'ungefähr' kommen wir da nicht weiter. Wir fragen vielmehr nach Verhältnissen. Und wenn wir wissen, dass beide Linien gerade sind, können wir schlussfolgern, dass der kleinere und der größere Winkel zusammen einen Halbkreis bilden."


    Nachdem Meister Xanthos sämtliche Grundbegriffe eingehend erörtert hatte, war der vormittag vorbei. Die Jungen gingen hinaus auf das Forum, um sich ein Mittagessen zu kaufen, ehe es am Nachmittag mit weiteren geometrischen Problemen weiterging - vor allem die Dreiecke schienen es dem Griechen angetan zu haben, denn er führte ausführliche Monologe darüber. Schließlich war der Schultag aber vorüber und Xanthos verabschiedete sich wie jeden Tag:


    "Valete, Discipuli!"





    MAGISTER - LUDUS XANTHOU

  • Das, was Meister Xanthos mit dem Halbkreis meinte, erschloss sich nach und nach für den jungen Duccier. Auch wenn er etwas falsches gesagt hatte, ärgerte er sich nicht, denn das Interesse der Geometrie übermannte seinen Unmut. Nachdem der magister noch etwas darüber referierte, schickte er sie in die Mittagspause. Am Nachmittag gab es noch eine weitere Einheit Geometrieunterricht, dann schickte Meister Xanthos die Discipuli wie jeden Tag nach Hause und sie antworteten wie immer im Chor, wo Dagwin kräftig einstimmte: "Vale, magister Xanthos."


    Wie von der Tarantel gestochen sprangen die Jungen auf und rannten hinaus. Dagwin etwas langsamer als die anderen, denn er musste jetzt direkt zu Leif und ihm beim Stall ausmisten helfen.. eine mühseelige Arbeit.

  • Pacatus hatte sich in der Basilika eine Schüssel des mittlerweile berühmten germanischen Eintopfs besorgt, wollte ihn aber nicht erst zur Curia hinüber tragen, weil er ihn noch richtig heiß essen wollte. Er schaute sich um, ob er irgendwo eine Sitzgelegenheit finden könnte und entdeckte zwei Hocker vor einer Taberna. Er setzte sich auf einen der Hocker und begann zu löffeln. Erst vertrieb er sich die Zeit damit, beim Löffeln die Leute in der Marktbasilika zu beobachten, dann aber fiel ihm der Schriftzug neben der Tür auf. 'Xanthosschule' stand da.


    Er runzelte die Stirn. Fragen kann man ja mal, dachte er sich, ging in hinein, konnte aber zunächst im Halbdunkel außer ein paar Hockern nichts weiter entdecken. So rief er einfach: "Ist hier jemand?"

  • http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg Meister Xanthos
    Als Pacatus so neugierig in die Taberna lugte, saß Meister Xanthos gerade bei seinem selbstgekochten Mittagessen in der kleinen Wohnung hinter der Taberna. Trotzdem hörte er das Rufen - als Lehrer war er es gewohnt, scharf auf kleine Geräusche zu achten, um unaufmerksame Schüler sofort zu bemerken und zu tadeln.


    Deshalb erhob er sich überrascht - das war keine Kinderstimme - und kam in den Schulraum.


    "Ja, ich bin Meister Xanthos. Was kann ich für dich tun?" fragte er den Fremden mit dem dampfenden Eintopf in Händen.

  • Da schälte sich ein Mann aus dem Halbdunkel, dessen Halbglatze mit einem ausladenden Haarkranz umgeben war. Pacatus hatte ja noch nicht einmal laut gerufen. Dieser Mensch musste saumäßig gute Ohren haben, anders als der Architekt Lysander, dem man alles ins Ohr trompeten musste.


    "Salve, Meister Xanthos, ich bin Matinius Pacatus. Ich hoffe, dass ich Dich nicht ungebührlich störe. Aber als ich vor Deiner Taberna saß und meinen Eintopf löffelte, las ich neben der Eingangstür, dass hier in der Taberna eine Schule ist. Eine Schule auf dem Markt? Das hat mich neugierig gemacht. Sowas kenne ich nicht. Aber Germanien scheint doch einige Geheimnisse zu haben. Was ist das denn für eine Schule?"

  • http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg Meister Xanthos


    Der Lehrer hörte Pacatus zu und kratzte sich am Kopf - die Verwunderung erschien ihm nicht allzu geeignet, denn Xanthos kannte diese Konstellation aus fast allen Städten, in denen er gelebt hatte. Zwar gab es auch in den Wohngebieten viele Schulen, wo die Mieten etwas niedriger waren, aber Meister Xanthos war ja immerhin eine angesehene Schule, die für die High Society Mogontiacums gut erreichbar sein musste...


    "Ich unterrichte die Kinder die Klassiker, Griechisch, Grammatik, Geometrie und Rechnen - kurz: ich bin ein Grammaticus."
    erklärte er. Nach kurzem Zögern fügte er hinzu:


    "Und - wenn ich das so sagen darf - scheinbar ein ganz guter. Hast du Kinder, die du zur Schule schicken möchtest?"

  • Da stand also ein richtiger Grammatikus vor ihm. So einen hatte er nicht gehabt, als er noch jung war. Es blitzte ihm durch den Kopf: Kultur als Ware auf dem Markt. Er lächelte.


    "Ja, warum nicht? Warum sollte man Griechisch, Grammatik, Geometrie und Rechnen nicht auch auf dem Markt anbieten? Schließlich ist das eine äußerst wertvolle Ware. Ich hoffe, dass man Dir dafür auch gute Preise bezahlt. Ich selber komme aus einem etwas heruntergekommenen Haushalt und hab nur einen ständig besoffenen Hauslehrer gehabt, der es aber doch noch geschafft hat, mir wenigstens Schreiben und Rechnen beizubringen. Alles andere musste ich später dazulernen. Hast Du viele Schüler?".


    Bei der Frage nach den Kindern wurde Pacatus klar, dass er hier nicht am richtigen Platz war. Seine Schultern schnurrten etwas zusammen. "Na ja, was soll ich sagen, ich bin aus verschiedenen Gründen noch gar nicht zum Kindermachen gekommen. Deshalb kann ich Dir, so leid es mir tut, kein einziges Kind auf Deine Schule schicken. Verzeih, dass ich trotzdem Deine Zeit in Anspruch nehme. Es ist meine verdammte Neugier, weißt Du?"

  • http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg Meister Xanthos
    Ein Hauslehrer kam in der Regel nur zu Kindern reicher Eltern - dieser war dann in der Regel aber auch nicht ständig besoffen, sodass Xanthos vermutete, dass Pacatus eher irgendeinen dahergelaufenen Hilfsarbeiter meinte, der ihm Lesen und Schreiben eingeprügelt hatte.


    "Meine Schule ist sehr exklusiv, deshalb habe ich momentan nur zehn Schüler."


    Dass der Fremde allerdings keinen hinzufügen wollte, war natürlich etwas schade - Xanthos war zwar ein angesehener Grammaticus, aber auch ein solcher wurde nicht unbedingt reich, da musste man schon als Rhetor arbeiten. Als solcher war er aber sicherlich nicht geeignet.


    "Neugier ist gut, durch Neugier lernt man."

  • Erstaunlich, sagte sich Pacatus, dass in einer solch kleinen Taberna das Wissen der Menschheit gelehrt wurde. Er hätte das nicht für möglich gehalten. Er holte mit kreisenden Bewegungen seines Löffels die letzten Reste des Eintopfs aus der Schüssel und meinte: "Ich kann es kaum glauben, dass in dieser einfachen Taberna sozusagen die künftige Elite der Provinz heranwächst. Respekt! Es erfüllt Dich doch sicher mit Stolz, wenn mal einer Deiner Schützlinge später dann in höhere Ämter hineinwächst. Kommen die dann gelegentlich mal bei Dir vorbei und bedanken sich bei ihrem Grammaticus?"


    Der Grammaticus hatte dann noch ein Lob auf die Neugier ausgesprochen. Pacatus war deshalb geschmeichelt, obwohl er es schon öfter verflucht hatte, dass er überall seine Nase reinstecken musste. Aber gut, vielleicht hatte es ja auch seine Vorteile.

  • http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg Meister Xanthos
    Die Frage ließ den Lehrer milde lächeln.


    "Bist du jemals zu deinem Lehrer zurückgekehrt? Nein, das tut man nicht. Weder meine Schützlinge, noch deren Eltern sind sonderlich dankbar. Trotzdem freue ich mich, wenn ich ab und an einen meiner Schüler in der Amtstoga antreffe - oder gar höre, dass einer den Ritterring empfangen hat."


    Tatsächlich kam das gelegentlich vor, denn manche Familien in der Provinz hatten eine ähnliche Rittertradition, wie es Senatorenfamilien in Rom gab. Die Duccier etwa hatten einige Ritter gestellt - trotzdem war es schon geraume Zeit her, dass er so etwas erlebt hatte. Caius wäre ein Adept auf den Angustus Clavus gewesen, aber tragischerweise war er ja ermordet worden...

  • Undank ist der Welt Lohn, dachte sich Pacatus, dann fiel ihm aber ein, dass er niemals auf die Idee gekommen wäre, seinen Lehrer zu besuchen. Nein, das wäre ihm bestimmt nicht eingefallen.


    "Natürlich, so etwas tun Schüler gemeinhin nicht. Vielleicht liegt das daran, dass Schüler, mal vorsichtig ausgedrückt, meist keine gute Meinung von ihren Lehrern haben. Und es stimmt auch, ich hätte meinen Lehrer wohl kaum besucht. Allerdings hat mir das Schicksal die Mühe eines solchen Besuchs erspart. Mein Lehrer wurde in einer Kneipe erschlagen, weil er im Suff nicht aufhörte, Gedichte von Ovid zu rezitieren, was seinen Saufkumpanen offenbar auf die Nerven gegangen war. Descende caelo, sollen sie dabei gerufen haben, ohne zu wissen, dass sie dabei Horaz rezitierten".

  • http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg Meister Xanthos
    "Nun, immerhin beherrschte er seinen Horaz." versuchte Xanthos etwas zur Ehrenrettung von Pacatus' Lehrer zu bemerken.


    "Aber bei mir ist es gerade umgekehrt: Einer meiner Schüler wird mir nicht mehr danken können, weil er in einer Schlägerei zu Tode kam - aber wahrscheinlich nicht gerade wegen Horaz..."


    Der Lehrer musste bei dem Gedanken lächeln - Caius war im Grunde kein schlechter Mensch gewesen, aber ein großer Dichter wäre wohl nie aus ihm geworden...

  • Pacatus war etwas erstaunt. Wenn ihm jemand in Roma eine solche Geschichte erzählt hätte, wäre ihm das ganz normal vorgekommen. Aber hier in Mogontiacum? Er hatte bisher geglaubt, er sei in ein friedliches Landstädtchen gekommen. Aber, da schau her, die hatten hier ja auch ihre ganz anständigen Verbrechen.


    Er zuckte mit den Schultern: "Wie Du siehst, trifft es mal die Lehrer, mal die Schüler. Aber, sag, ist das hier in Mogontiacum passiert? Ich kann es fast nicht glauben. Ich dachte bisher, dass es hier ruhig und friedlich zugeht. Da muss ich mich in Zukunft wohl etwas vorsehen, wenn ich im Dunkeln nach Hause gehe, meinst Du nicht auch?"

  • http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg Meister Xanthos
    Meister Xanthos runzelte die überaus hohe Stirn, die bei ihm ja bis zu seinem Haarkranz reichte. Die Geschichte war nicht besonders schön und damals äußerst aufsehenerregend gewesen - inzwischen war aber Gras über die Sache gewachsen, was den Lehrer etwas betrübte.


    "Naja, es war ein klassischer Straßenmord. Nachts, drüben, ganz im Norden des Vicus. Kein besonders gutes Viertel - ich frage mich bis heute, was Caius da gemacht hat. Caius Vinicius ist - oder war vielmehr der Sohn eines ziemlich angesehenen Decurio. Wahrscheinlich war er in einer dieser Spielunken dort unten."


    Hätte der dickköpfige Caius doch seinen Ratschlag berücksichtigt, sich von solchen Kneipen fernzuhalten, in denen allerlei Gesindel und Fremde herumhingen!


    "Was genau passiert ist, weiß niemand. Er wurde scheinbar niedergestochen, sein Leibsklave erwürgt. Aber ein paar komische Umstände gab es schon: Man hatte Caius seinen Geldbeutel gelassen, dafür seinem Leibsklaven die Tunica gestohlen. Meine Vermutung ist, dass er mit irgendwem aneinandergeraten ist - Caius war schon immer ein Hitzkopf. Die gestohlene Tunica ist aber trotzdem seltsam - wieso sollte man so etwas tun?"


    Über diesen Aspekt hatte der gelehrte Grieche schon öfter sinniert - aber eine überzeugende Erklärung war ihm noch nicht gekommen...

  • Ganz schön komische Geschichte. Normalerweise ließen ja Strauchdiebe keine einzige Münze zurück, wenn sie sich schon die Mühe gemacht hatten, jemanden zu erschlagen. Weiß der Geier, vielleicht hatten sie etwas Wichtigeres mitgenommen. Andererseits konnte man ja auch aus jedem beliebigen Grund umgenietet werden.


    "Ja, Meister Xanthos, das ist Alles etwas seltsam, wie Du sagst. Aber in Roma kannst Du erstochen werden, bloß weil irgendwem Deine Nase nicht gefällt. Oder, weil Du Ovid rezitierst. Ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass in Mogontiacum so etwas auch vorkommt, aber scheint's doch".


    Pacatus überlegte, ob ihm etwas zu der fehlenden Tunica einfallen würde, aber er hatte dazu keine Idee. "Was mich etwas wundert: Du sagtest, das wäre im Norden des Vicus gewesen. Also ich hab dort noch keine einzige Spelunke gefunden. Da wohnen doch nur reiche Leute, zum Beispiel die Duccier. Ich geh manchmal auch ganz gerne in Spelunken, verzieh mich aber, wenn die Luft zu dick wird".

  • http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg Meister Xanthos
    "Jaja, Rom ist ein gefährliches Pflaster - ich habe dort auch einmal ein paar Jahre gearbeitet, aber die Mieten wurden mir einfach zu teuer..."


    Abgesehen davon war die Konkurrenz in Rom ziemlich groß und - wie Pacatus schon sagte - war es sehr gefährlich dort. Nicht nur einmal war er in seiner Schule überfallen worden und war morgens von seinen Schülern gerettet worden.


    "Aber hier ist es nicht ganz so schlimm. Ab und zu passiert schon mal ein Überfall, aber Morde haben wir äußerst selten. Ich glaube, Caius war der letzte Mord hier."


    Dann ging er noch auf die etwas verwunderte Nachfrage ein: "Weiter im Norden, gleich in der Straße, die die Via Principalis kreuzt. Dort ganz im Norden wohnen keine reichen Leute, dafür kehren viele Matrosen dort ein. Das sind teils ähnlich raue Burschen wie in Rom, da ist es sehr klug, sich zu verziehen, wenn es Ärger gibt."

  • Pacatus hatte sich schon oft gefragt, wie ein Mensch dazu kommt, einen anderen zu erschlagen. In Roma hatte er oft genug erlebt, dass manchmal nichtige Anlässe dazu ausreichten; manchmal ging es nur um einen Sesterz oder ein blödsinniges und lächerliches Beleidigtsein. Warum nicht mal einen gebildeten Mann danach fragen?


    "Du bist ein gelehrter Mann, Xanthos. Was glaubst Du, bringt einen Menschen dazu, einen Anderen zu töten? Lassen wir mal die Soldaten beiseite. Ist es das Gefühl, Macht über das Leben eines Anderen zu haben? Oder ist es die Vergeltung für das Üble, was ein Anderer einem angetan hat? Oder ist es Neid? Neid auf die Reichtümer eines anderen, auf den Erfolg eines Anderen? Woher kommt die Kraft, die einen Menschen dazu bringt, das Letztmögliche mit dem Leben eines Anderen zu tun?"


    Die Ortsangabe des gelehrten Mannes verwirrte ihn eher. Die Schifferleute hingen meist in den Kneipen im Vicus Navaliorum herum. Und das war im Osten am Rhenus. Er beschloss, da nicht weiter nachzufragen. Vielleicht hatten Philosophen ein anderes Koordinatensystem im Kopf.

  • http://img818.imageshack.us/img818/7085/xanthos.jpg Meister Xanthos
    Wieder runzelte Meister Xanthos die Stirn - das war eine große Frage, wie er zugeben musste. Er selbst hatte sie sich vor Jahrzehnten einmal gestellt, aber seither keine Zeit mehr gehabt, darüber zu philosophieren.


    "Ich denke, das liegt daran, dass viele ihre Vernunft nicht nutzen, sondern ihren Trieben nachhängen. Sie sind wie Tiere, die dem Genuss hinterherjagen und nicht auf eine goldene Mitte achten."

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