Tablinum Aquilius | Die Wutprobe

  • Es war eine Unverschämtheit. Eine unglaubliche Dreistigkeit. Dieser Tonfall. Oh, dieser Tonfall. Kaum hatten die Worte den Mund der Sklavin verlassen hatte Antonia sich geschworen, dass dies ein Nachspiel haben würde. Geradezu eine Zumutung. Sich von einer Sklavin, einer gewöhnlichen Sklavin, etwas Derartiges anhören zu müssen war zu viel für die claudischen Ohren gewesen.
    Natürlich, man musste Prioritäten setzen. Die Patrizierin war nicht sofort wutentbrannt aus dem Hortus gestürmt, um ihrem Zorn Luft zu machen. Nein, sie hatte gewartet. Darauf gewartet, dass ihr Sohn langsam aber sicher, wie immer zur Mittagszeit, ins Reich der Träume sank. Kaum war dies jedoch geschehen, hatte Antonia die sich bietende Gelegenheit genutzt, um sich zum Herrn jener Sklavin aufzumachen. Trotz ihres Ärgers war sie leicht beschwingt, freute sie sich doch jedes Mal aufs Neue, wenn sie Aquilius begegnete, jenem Flavier, der ihr stets das Leben in dieser Villa ein wenig erträglicher gemacht hatte.
    So ertappte die Claudia sich dabei, wie sie, vor seiner Türe angekommen, innehielt und an sich hinabsah. Die Tunika war hellorange und schlicht, die Sandalen bequem und mit Schmuck hatte sie am heutigen Tage auch gegeizt. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie sich umziehen sollte, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. Es würde schon gehen.. irgendwie.
    Gänzlich überzeugt schien ihr Geist allerdings nicht, hob sich die Hand doch nur zögerlich, um an Aquilius’ Tür zu klopfen.

  • Die Wochen nach meiner Amtszeit vergingen in süßem Vor-mich-hin-trödeln. Wenn man mich so betrachtete, war es recht unwahrscheinlich, in mir jemanden zu entdecken, der sich an die Spitze Roms vorwagte, geschweige denn den nötigen Ehrgeiz besaß, und wenn ich ehrlich war, war ich mir in dieser Sache auch nicht wirklich sicher, ob ich jemals diesen alles überdeckenden Ehrgeiz besitzen würde. Wahrscheinlich war ich einfach doch eher ein Mensch für gemütlichere Stunden und Tage, und genau das ließ mich gerade zwischen allen anderen Familienmitgliedern recht antriebslos treiben. Nachdem ich mir die Metamorphosen von Ovid aus dem Bücherregal genommen hatte, schien mir das tablinum ein geegneter Zufluchtsort für einige Mußegedanken, und so vergingen die Stunden darin, die meisterliche Poesie meines liebsten Dichters zu delektieren, ohne dass mich die Vorgänge im Haus selbst gestört hätten. Mochte Klein-Gracchus sich die Lungen aus dem Leib schreien, mochte Aristides im atrium exerzieren üben, mochten die Sklaven einen Aufstand proben, es war mir gleich, und alles verlor sich in den Worten des unsterblichen Ovid. Viel zu lange hatte ich nicht mehr lesen dürfen, nicht mehr die Zeit gehabt. Folglich hatte ich auf jeden Tand verzichtet, trug nur eine schlichte, weiße tunica - und war erstaunt, als dann doch jemand meine Muße zu stören wagte. "Herein?" sagte ich in vernehmlichem Tonfall und blickte fragend zur Türe.

  • Halb hatte Antonia gehofft, Aquilius sei nicht da, sodass sie sich doch noch würde umziehen können, würde nicht in diesem legeren Aufzug vor jenem Flavier erscheinen müssen. Ein ‚Herein’ drang an ihre Ohren und fast hätte sie sich doch unverrichteter Dinge umgedreht und wäre gegangen. Sich innerlich eine dumme Gans scheltend öffnete sie die Türe und trat mit dem obligatorischen Lächeln ein, das ihr dieser Tage Allgemein und beim Anblick Aquilius’ im Besonderen auf den Lippen lag.
    „Salve Aquilius.“, grüßte sie und hielt schon nach wenigen Schritten wieder inne. „Ich hoffe, ich störe nicht.. “
    Ihr Blick war auf die Lektüre gefallen, die der Flavier in Händen hielt. Natürlich, wenn sie einmal hierher kam war er beschäftigt. Warum nur wählte sie immer den falschen Zeitpunkt für Dinge wie diese? Doch nun war sie einmal hier, fortschicken konnte er sie letztlich immer noch, wenngleich sie nicht glaubte, dass er dies tun würde.
    „Ich hatte nämlich vor, dir einige Minuten deiner wertvollen Zeit zu stehlen.“
    Für eine Ungeheuerlichkeit, eine Frechheit, ein unsagbares.. schnell zwang die Claudia den aufwallenden Zorn wieder nieder, wollte sie doch nicht unumwunden zur Sprache bringen, was ihren Puls vor kurzem derart in die Höhe getrieben hatte. Von ihren eigenen Sklaven hörte sie nie Widerworte, kannten diese ihre Herrin doch lange und gut genug um zu wissen, wann man besser still war. Obgleich es nicht direkt ein Widerspruch gewesen war, dessen Bridhe sich schuldig gemacht hatte, es hatte Antonia nicht minder erzürnt.
    Wie beneidete sie Aquilius in diesem Moment um die Ruhe, die ihn stets zu umgeben schien. Antonias Lippen zuckten wieder nach oben, nachdem sie für den Bruchteil einer Sekunde schmal zusammengepresst worden waren.

  • Als Antonia eintrat, musste ich unwillkürlich lächeln - und stellte fest, dass ich Gracchus doch ein wenig beneidete. Seine Gemahlin sah aus wie das blühende Leben selbst und wo andere Mütter sich überreichlich mit Schmuck behängt hätten, hatte sie es gar nicht nötig. "Du kannst mich gar nicht stören, liebe Schwägerin," sagte ich und schwang die Beine von meiner gepolsterten Bank, um dann die Schriftrolle beiseite zu legen. "Wir haben einander viel zu wenig gesprochen in letzter Zeit, aber ich weiss auch, wie viel Aufmerksamkeit ein Kind verschlingt, sodass ich Dich nicht stören wollte. Wie geht es denn dem kleinen Gracchus?" Seit ich selbst Vater geworden war, mochte ich Kinder. Vielleicht nicht ständig um mich, vielleicht auch nicht unbedingt nachts, aber dafür gab es schließlich Sklaven - gebadet und gekleidet, wohlig brabbelnd hatten kleine Kinder schon etwas für sich. Vor allem, wenn es die eigenen waren.


    "Setz Dich doch zu mir, in die Einsiedlerenklave," ich klopfte mit meiner Hand sachte auf das Polster neben mir und schmunzelte etwas. "Wenn Dich ein Eremit ein wenig unterhalten kann, der nach wochenlanger geistiger Austrocknung seine Bedürfnisse mit hoher Dichtung befriedigt, dann will ich Dir einige gestohlene Augenblicke gern verdenken." Ja, ich mochte sie, auch wenn sich andere Familienmitglieder früher über vermeintliche Kälte ihrerseits beschwert haben mochten, ich wusste, welche Frau hinter der wohlerzogenen Maske schlummern konnte, und dies gefiel. Jeder hier trug seine Maske, und es machte letztendlich die wahre Person, verborgen unter Kultur und Erziehung, nur noch reizvoller. "Beschäftigt Dich denn etwas?"

  • Die Erwähnung ihres Sohnes ließ Antonia, wie üblich, noch eine Nuance fröhlicher strahlen, so dies überhaupt möglich war. Es war das Strahlen eines Menschen, der endlich einen Sinn in seiner Existenz sah und der nicht gewillt war, sich dies jemals wieder nehmen zu lassen.
    „Ach, wie könntest du mich stören, Aquilius? Du weißt doch, meine Tür steht dir jederzeit offen.“, erwiderte sie mit einem Zwinkern. „Aber danke der Nachfrage, er ist putzmunter. Bisweilen so munter, dass ich mich frage, von wem er das nur haben kann.“
    Dass Gracchus bezweifelte der Vater zu sein wusste die Claudia freilich nicht und so kam ihr diese Zeile locker von den Lippen ohne den Anflug eines schlechten Gewissens – das sie ohnehin nicht zu haben brauchte. „Im Übrigen würde er sich sicher über einen Besuch von Onkel Aquilius freuen.“ Ein freches Grinsen, das so gar nicht zu Antonia passen wollte, kam ebenso unscheinbar wie ihre Aufmachung ins Licht des Tages.


    Dem Angebot eines Sitzplatzes nachkommend löste sie sich von der Stelle, an der sie soeben Wurzeln geschlagen hatte und ließ sich letztlich dankbar neben dem Flavius nieder.
    „Ein Eremit bist du neuerdings? Ah, das kannst du uns doch nicht antun. Wie leer und traurig wäre die Villa und ganz Rom, wenn du dich nun auf ewig hier verkriechst. Nein, nein, gibst du sofort wieder auf. Ich verspreche auch, ich werde dich nicht zu Einkäufen zwingen.“
    Wenngleich sie nicht verstehen konnte, wie man bei Märkten wie den römischen eine solch leidende Miene aufsetzen konnte, wie ihr Gesprächspartner dies regelmäßig tat. Männer.
    Hatte sie ursprünglich vorgehabt, zunächst ein wenig um den heißen Brei herumzureden und erst nach geraumer Zeit auf Bridhe zu sprechen zu kommen, machte ihr seine Nachfrage hier einen Strich durch die Rechnung.
    „Doch du hast Recht, ich bin nicht allein darum hier, um deine Gesellschaft zu genießen. Es geht um eine deiner Sklavinnen. Bridhe war ihr Name, wenn ich mich recht entsinne.“
    Sie entsann sich genau. Nie würde sie diesen Namen vergessen.

  • "Das sonnige Gemüt hat er zweifelsohne von seiner Mutter," sagte ich lächelnd. "Im Alter wird er sicherlich ernster werden und mehr nach seinem Vater kommen, aber als Kind mag er alle Freuden dieser Welt empfangen und sie genießen, er wird früh genug erwachsen werden müssen." Dass sie mich zu ihrem Sohn einlud, freute mich, nicht zuletzt, weil es auch bedeuten würde, dass ich ein wenig Zeit mit ihr verbringen würde, und ich mochte Antonia gerne genug, um darin einen Genuss zu sehen. Auch wenn sie unter den Sklaven als launisch gelten mochte, für mich war sie eine sympathische Frau, eine begehrenswerte Schönheit, die durch ihre Mutterschaft ungleich rundlichere Formen gewonnen hatte und in ihrer Lebendigkeit meine Gedanken auf Wanderschaft gehen ließ. "Ich will gleich in den nächsten Tagen bei euch vorbeisehen, ich verspreche es. Der Kleine muss schließlich auch ein bisschen hispanische Lebensfreude mitbekommen, wenn er denn schon ein Flavier ist, die italische Miesepetrigkeit wird er früh genug erlernen." Ihr Grinsen gab ich ungehindert zurück, dass sich beide Familienzweige nicht in allem grün waren, wusste sie inzwischen zweifellos, man schlug sich zwar nicht mehr die Schädel ein, aber man neckte sich doch.


    Als sie sich neben mich gesetzt hatte, lehnte ich mich wieder zurück, ihr ein wenig mehr Platz lassend, und schmunzelte. "Die letzten Wochen meines Amtes waren sehr kräftezehrend, und als Eremit kann man gut ausspannen. Irgendwann werde ich mein selbstgewähltes Exil bei unseren Dichtern wieder aufgeben und zurückkehren, aber im Augenblick ist es mir ganz recht so ... zudem, was mich sonst so trefflich unterhält, scheint mir derzeit nicht genug Aufregung herzugeben. Vielleicht bin ich, was Frauen angeht, einfach zu wählerisch geworden."
    Bridhes Name fiel, und das ließ mich eine Augenbraue heben. "Meine Leibsklavin, ja ... was ist denn mit ihr? Hat sie sich mit einem Deiner Sklaven gestritten? Dann sage es mir und ich werde es klären. Bald wird sie niederkommen, und Du weisst sicherlich selbst, welche Launen die letzten Wochen der Schwangerschaft mit sich bringen können."

  • Im Bruchteil einer Sekunde zuckte Antonias Augenbraue nach oben, gänzlich sich der flavischen Tradition unterwerfend. Von ihr sollte das Kind seine gute Laune geerbt haben? Das konnte unmöglich Aquilius’ Ernst sein. Irritiert musterte sie den Gesichtsausdruck des Flaviers, erkannte jedoch weder Schalk noch Ironie.
    „.. “, sagte sie, den Mund öffnend und wieder schließend. Er machte sich doch gewiss lustig über sie. Andererseits war Gracchus wohl verglichen mit ihr wahrlich noch weniger eine Frohnatur und so musste die gute Laune des jungen Manius tatsächlich von ihrer Seite stammen. Es verwirrte sie zutiefst.
    Die Aussicht auf einen Gegenbesuch seitens Aquilius’ ließ sie jenes Thema jedoch schnell wieder vergessen und so kehrte das Lächeln zurück, erinnerte die Augenbraue wieder daran, wo ihr Platz war.
    „Wunderbar, er wird dir sicher gefallen.“, beteuerte die Mutter, die natürlich niemals auch nur den geringsten Fehl an ihrem Sohn finden würde und somit niemals würde nachvollziehen können, wenn es jemandem anders ging. Nicht, dass sie dergleichen erwartete..
    „Und gegen ein wenig Lebensfreude wird sicher auch der italische Vater nichts einzuwenden haben.“


    Als jemand, der lange Zeit ebenfalls ein äußerst zurückgezogenes Leben in der Villa geführt hatte, konnte die Claudia ihrem Gesprächspartner indes kaum einen Vorwurf machen, wenn er jenes Recht nun für sich selbst beanspruchte und so setzte sie eine leidende Miene auf, wenngleich ihr Schmunzeln sich nicht gänzlich verbergen ließ.
    „Ach, wie trüb und sinnlos werden die Tage sein ohne dich.“
    Seine Problematik die Frauen betreffend konnte sie nun aus nahe liegenden Gründen eher nicht nachvollziehen, schenkte ihm jedoch einen aufmunternden Blick. „Vielleicht ist das ganz gut so. Ein Mann wie du kann sich mit dem Besten begnügen, anstatt blindlings in sein Verderben zu rennen und die erstbeste zu nehmen.“
    So oder so ähnlich verstand sie seine Worte. Als eine Art Torschlusspanik, oder gar eine Sehnsucht nach der Ehe, nun, da auch einer der letzten flavischen Junggesellen, namentlich Aristides, jenes Leben aufgeben und ein mehr oder minder braver Ehemann werden würde.


    „Nun, deine Sklavin hat sich weniger mit einem meiner Sklaven und mehr mit mir gestritten, wenn man es so nennen möchte.“
    Ein zorniges Funkeln trat in Antonias Augen, teils aufgrund der Erinnerung an Bridhe, teils weil Aquilius die Launen der schwangeren Frauen allgemein erwähnte. Mehr als ein Sklave hatte den Unmut der Claudia ertragen müssen und zahlreiche Vasen war hierbei zu Bruch gegangen.
    „Ich weiß, wie eine Schwangerschaft ist, aber du wirst doch einer Sklavin nicht die gleichen Rechte diesbezüglich zugestehen wollen wie einer Patrizierin? In meiner Gegenwart hat sie ihre Gefühlswelt im Zaum zu halten, ganz gleich wie bald ihr Kind zur Welt kommen wird.“

  • Nachdem Youen mich zurück ins Haus begleitet hatte, zog ich mich zuerst in meine Kammer zurück. Dort nutze ich die Zeit, um zu rekapitulieren, was soeben geschehen war. Natürlich wusste ich, gegen sie hatte ich keine Chance. Ich war immer im Unrecht. Vielleicht konnte ich aber schlimmeres verhindern.
    Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr schwand die Überzeugung zu tun, was ich vor kurzem noch so groß hinausposaunt hatte. Ich versuchte, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Es gab keine andere Möglichkeit! Wenn ich vor ihr bei ihm war, dann hätte ich Gelegenheit, ihm alles zu erklären. Die Zeit drängte!
    Entschlossen verließ ich meine Kammer. Zuerst versuchte ich es in seinem Arbeitszimmer, dann in seinem cubiculum und wurde nicht fündig. Ein Sklave, der mir unterwegs begegnet war, konnte mir schließlich Auskunft geben, wo er zu finden war.
    Ich blieb erst vor der Tür stehen. Schon wieder wollten mich meine Zweifel auffressen. Doch dann hörte ich Stimmen hinter der Tür. Sie war mir zuvor gekommen. Jetzt gab es kein Zurück mehr! Ich klopfte energisch an seine Tür und öffnete sie. Mein Blick fiel erst auf die Claudierin und dann auf ihn. Meine Ängste hatten sich für den Augenblick verflüchtigt.


    Dominus, ich muss dich sprechen!

  • "Ich bin mir sicher, euer beider Sohn wird wohl geraten und euch zur Freude Anlass geben," sagte ich lächelnd und stellte mir insgeheim schon vor, wie ein wild gewordener Racker die Vasen und Ziergegenstände hier in der villa von ihren Podesten fegte, während beide Elternteile verzweifelt versuchten, ihn wieder einzufangen, eine hinter ihm her laufende Sklavenschar inclusive. Jeder Junge musste schließlich auch einmal wild sein können in seinem Leben, wir hatten diese Phasen alle irgendwann einmal durchlaufen, auch wenn es bisweilen schwer fiel, sich daran zu erinnern. "Und ein wenig Lebensfreude können wir alle gut gebrauchen. Dieses Haus ist ohnehin viel zu oft viel zu trüb, man mag an manchen Tagen gar nicht nach Hause kommen, so still ist es hier. Das Lachen des kleinen Gracchus hat schon viel dazu beigetragen, die villa Flavia lebenswerter zu machen." Vor allem, wenn man aus hispanias Sonne stammte, war diese doch oft als sehr düster erscheinende Lebenssituation in Rom nahezu unerträglich. Wie konnte man es hier nur auf lange Sicht aushalten, ohne ausbrechen zu wollen? An manchen Tagen schien mir die düstere Stimmung wie ein bleierner Schleier auf allem zu liegen.


    Als sich Antonia dem Frauen-Thema zuwandte, musste ich schmunzeln. "Ach, ich suche nicht nach Perfektion, ab und an eine Herausforderung würde mir schon reichen. Intelligente und gleichzeitig interessante Frauen in dieser Stadt sind einfach zu selten, und wenn ich sie dann finde, sind sie zumeist schon verheiratet ..." Damit ließ ich meinen Blick länger in dem ihren verweilen, als es statthaft war, mein Schmunzeln wurde breiter - sie hatte sicher nicht den Brunnen vergessen, ich jedenfalls hatte es nicht und erinnerte sie gerne daran. Aber schon holte mich die Realität in Form von Antonias Worten über Bridhe wieder ein. "Antonia, ich bin ein Mann, und ich habe inzwischen gelernt, einer schwangeren Frau gegenüber Nachsicht zu üben, ob nun Patrizierin oder Sklavin, gerade die letzten Wochen sollen ja abscheulich unangenehm sein, in sofern nehme ich vieles von dem, was ich an solchen Tagen höre und sehe, weniger ernst, weil es nicht die ratio ist, die aus einer solchen Frau spricht, sondern einzig und allein der Wunsch, die Last bald loszuwerden. Aber wenn Du mir sagst, wie sie Dich beleidigt hat, werde ich sie angemessen bestrafen, sei Dir dessen sicher."


    Wahrscheinlich irgendein heil- und sinnloses Frauengezänk, dachte ich bei mir, und ich hätte es wohl dabei bewenden lassen, wäre Bridhe nicht gerade in mein tablinum geplatzt.
    "Bridhe? Geh in mein cubiculum und warte dort auf mich, wir werden uns gleich nachher unterhalten." Wenn sie klug war, verstand sie den Hinweis. Hoffentlich regierte im Augenblick nicht ihr Bauch, sondern ihr Verstand.

  • Mein Herz raste wie wild. Nicht nur deshalb, weil ich es gewagt hatte, einfach einzutreten, auch weil sie mir zuvorgekommen war. Mein Blick streifte sie kurz. Ich vermied es, sie länger anzuschauen. Wer wusste schon, was sie Aquilius schon alles erzählt hatte! Vielmehr hoffte ich darauf, mich rechtfertigen zu dürfen.
    Er sah mich völlig überrascht an. Mit mir hatte er wohl am wenigsten gerechnet. Mein Erscheinen musste ihm vielleicht auch unangenehm gewesen sein, auch wenn er dies nicht wirklich zeigte. Doch dann schickte er mich einfach weg. Ich wollte schon dagegen protestieren, doch damit hätte ich nur noch mehr Wasser auf ihre Mühlen gegossen.


    Aber, ich... Ja.


    Besser war es, einzulenken und den Rückzug anzutreten. Wenn er mir tatsächlich später die Gelegenheit gab, mich erklären zu dürfen, so konnte ich im Augenblick damit leben. Bevor ich wieder ging, wanderte mein Blick noch einmal zu ihr. Ich wusste, gegen sie hatte ich keine Chance. Doch sie wusste jetzt auch, ich wollte es auch nicht auf sich beruhen lassen, gleich wie es für mich ausgehen sollte
    Ich drehte mich um, schloss die Tür und steuerte auf direktem Wege Aquilius´ cubiculum an.

  • Im Gegensatz zu Aquilius stellte Antonia sich nie den kleinen Rowdy vor, der er wohl zwangsläufig früher oder später in seinem Leben einmal sein würde und sei es nur um wie die meisten Kinder gegen gutgemeinte Ratschläge seiner Eltern zu rebellieren. Nein, in ihren Augen würde er stets das wohlerzogenste, das klügste und beste Kind das es jemals gegeben hatte sein. Für zerbrochene Vasen würden wohl die Sklaven verantwortlich gemacht werden. Andererseits, vielleicht wandelte sich die Glucke auch noch zur strengen Lehrmeisterin. Doch derzeit wussten allein die Götter was wohl noch geschehen würde.
    „Es ist schon sonderbar, nicht wahr? Wie ein so kleiner Mensch ein so großes Haus auf den Kopf stellen kann.“
    Versonnen lächelte sie, war sie doch diejenige, die sich durch den neuen Hausbewohner am stärksten verändert hatte.


    Der lange, tiefe Blick, den der Flavius ihr zuteil werden ließ, rief in der Tat nur zu schnell die Erinnerungen an jenen Tag und an jenen Brunnen wach. Heute war es ihr ungeheuer peinlich, dass sie sich derart hatte gehen lassen, dass sie ihm derart zu Leibe gerückt war. Zwar hatte er stets beteuert, es sei nicht dabei gewesen, doch sie selbst schämte sich zutiefst. So schoss ihr das Blut in die Wangen und schnell wich sie seinem Blick aus, begann ihre Hände zu kneten. Umso schlimmer wurde es dadurch, dass sie sich daran erinnerte, wer ursprünglich Gracchus als Vater hatte ersetzen sollen und dass sie jenem Vorschlag keineswegs abgeneigt gewesen war. Einige gestammelte Ansätze einer Erwiderung später, brachte sie letztlich doch noch einige zusammenhängende Worte heraus: „Ich.. äh.. bin sicher, da gibt es noch zuhauf geeignete.. mh.. Kandidatinnen.“
    Das war sie keineswegs, schließlich machte sie sich über ihre Geschlechtsgenossinnen keinerlei Illusionen. Eine standesgemäße Frau, die diesen Ansprüchen von Aquilius genügen sollte, war sicherlich nicht allzu leicht zu finden. Eine Plebejerin kam schließlich nicht in Frage, wenngleich die Claudia der Überzeugung war, dass es kaum intelligente und interessante Frauen dieses Standes gab.


    Das Thema, dessentwegen sie ursprünglich sein Tablinum aufgesucht hatte holte sie jedoch ein und rettete sie wenigstens teilweise aus der unangenehmen Situation. Zwar besänftigten seine Worte sie nicht zur Gänze, doch sein Versprechen die Sklavin zu bestrafen ließ sie wieder versöhnlicher blicken. Just in diesem Moment platzte jedoch der Delinquent herein, ließ Antonias Blick sich in pures Eis verwandeln.
    Wenigstens gehorchte sie ihrem Herrn und zog sich zurück. Eigentlich schade, Ungehorsam hätte ihre Argumente lediglich untermauert, auch wenn sie sich sicher war, dass dies im Grunde genommen ohnehin nicht nötig war. Doch Bridhe verschwand so schnell wie sie gekommen war, was Antonia die claudische Nase rümpfen ließ. Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder an den Flavier.
    „Genau solche Dinge meine ich.“, erklärte sie und deutete auf die Stelle, an der bis vor wenigen Sekunden noch die Sklavin gestanden hatte. „Sie weiß nicht, wo ihr Platz ist. Sie hat mir widersprochen. Das allein wäre wohl nicht so schlimm und ich hätte dich nicht mit einer Lapalie belästigt, doch der Ton den sie dabei angeschlagen hat.. als sei ich die Sklavin und sie die Herrin. Und scheinbar war sie der Ansicht, sie käme damit durch.“

  • Meine Gedanken verloren sich noch einige Augenblicke in die Richtung dessen, wie der kleine Manius wohl in der villa für Aufregung sorgen würde - selbst wenn er das bravste Kind seit Jahren werden würde, gäbe es doch immer genügend Sklaven, die um das Wohl des Sohnes des Hausherrn genügend Aufstand machen würden, dass man den Eindruck gewinnen musste, es gäbe viel zu tun. Wenn man bedachte, wie zerbrechlich das Leben eines patrizischen Kindes sein konnte, wenn der Vater eine gewisse Macht besaß, waren einige Vorsichtsmaßnahmen zusätzlich sicher nicht verkehrt - ich würde darüber mit Gracchus sprechen müssen, wollte aber Antonia deswegen nicht belasten.
    Sie würde mit ihrer Mutterschaft sicher noch genug zu tun bekommen und genügend Sorgen ausstehen müssen. Bridhes schneller Rückzug erfüllte mich mit einer gewissen Zufriedenheit - sie hatte seit ihrer Ankunft in der villa einiges gelernt, unter anderem auch, wann es besser war, aus der Schusslinie zu gehen - und so blieb mir nur, mich auf Antonias Wut zu konzentrieren. Würde sie wissen, wie reizend und anziehend sie mit leicht zorngeröteten Wangen aussah, und würde ich ihr dies sagen, so würde sie sich sicherlich schneller beruhigen als eine Katze in der Brunft nach einem Eimer kalten Wassers.


    "Was genau hat sie denn gesagt, beziehungsweise - aus welcher Situation genau hat sich denn ihr Fehlverhalten entwickelt?" Es war, wie es sich andeutete, zweifellos eine Lappalie. Die eine Frau war schlecht gelaunt, die andere wurde deswegen zickig, und wenn man sie nicht voneinander fern hielt, dann würde es Gekreisch und ausgekratzte Augen geben - oder etwas in der Art. Die beste Taktik war zumindest in Antonias Nähe, mich interessiert zu geben, mir alle Details erzählen zu lassen und dann so zu tun, als würde ich Bridhe bestrafen ... sie musste schließlich nicht dabeistehen, und Bridhe war meine Sklavin, also oblag es auch mir, für eine angemessene Bestrafung zu sorgen. Angemessen allerdings war ein ausgesprochen dehnbarer Begriff.
    "Willst Du einen Schluck mit Wein gemischtes Wasser? Ich denke, das würde Dir nach einem solchen Erlebnis guttun." Ob sie wohl selbst stillte? Denn dann würde es nur Wasser tun müssen, außer ich wollte einen betrunkenen Klein-Manius, und so früh musste der Junge schließlich nicht mit dem Suff beginnen.

  • Im Hinterkopf noch immer bei jenem Tag am Brunnen, wagte Antonia vorerst nicht, den Flavius direkt anzusehen, faltete stattdessen die Hände in ihrem Schoß und richtete den Blick auf eben diese. Es war im Grunde genommen nichts geschehen, dessentwegen sie ein schlechtes Gewissen hätte haben müssen, doch wusste sie, hätte Aquilius nicht abgeblockt, es wäre etwas geschehen. Wie hatte sie nur derartig die Kontrolle über sich verlieren können? Es war ihr unbegreiflich.
    Doch lag dies lange zurück und sie hatte eine Beschwerde vorzubringen, so riss sie sich los von ihrem Fixpunkt.
    „Oh, das ist ja noch das Schlimmste daran. Ich war überaus freundlich zu ihr, habe ihr sogar einen Sitzplatz angeboten, mich mit ihr über die Schwangerschaft und die Zeit danach unterhalten.“
    Unterhalten. Mit einer Sklavin. Die Claudia schüttelte es bei dem Gedanken. Nun, eines war sicher, so schnell würde dies nicht wieder vorkommen.
    „Letztlich kam sie mir allerdings etwas blass vor und ich riet ihr, sie solle sich doch im Haus ein wenig hinlegen. Und da wagt diese.. Person es doch trotzig zu widersprechen, mich zurechtzuweisen, stell dir vor.“
    Sie war sich sicher, Aquilius wäre ebenso bestürzt wie sie selbst, nahm sie doch nicht an, dass wohl eine Unzahl anderer Menschen auch nicht nachvollziehen konnten, warum Antonia so aufgebracht war.
    Nachdem sie sich derart in Rage geredet hatte - wobei Rage verglichen mit anderen Personen vermutlich eher als ‚minimale Gefühlswallung’ abzuzeichnen gewesen wäre – nickte sie dankbar auf das Angebot des Weines hin.
    „Ja, danke, ich glaube auch ich brauche eine kleine Erfrischung.“, erwiderte sie mit zaghaftem Lächeln.
    Womit indirekt nun auch die Frage nach dem Stillen geklärt war. Angesichts der Schauermärchen, die sie über hängende Brüste und dergleichen gehört hatte, wurde diese Aufgabe schnurstracks der Amme übertragen.

  • Im Grunde klang das alles nach einer recht normalen Szenerie - zwei Mütter (eine schon tatsächlich, die andere werdend) hatten sich unterhalten, vielleicht gar geplaudert, und mit einem Mal waren aus diesen beiden Frauen mit demselben Thema wieder eine Herrin und eine Sklavin geworden. Wie schnell sich Antonias Laune ändern konnte, hatte ich inzwischen durchaus mitbekommen - aber da in der flavischen Familie Launenhaftigkeit durchaus normal war, hatte ich mir darüber nie gesteigerte Gedanken gemacht, wahrscheinlich nahm man solches auch weniger ernst, wenn man mit Menschen aufgewachsen war, die ähnliche Charakteristiken vorzuweisen gehabt hatten.
    "Ich bin mir sicher, sie hat es nicht beleidigend gemeint, Antonia, aber natürlich kann ich ein solches Verhalten nicht dulden; nichts läge mir ferner, als dabei zuzusehen, wenn eine Frau wie Du beleidigt wird, ob nun absichtlich oder unabsichtlich. Sei Dir dessen versichert, ich werde mich der Angelegenheit annehmen und sie angemessen dafür bestrafen, dass sie Dir nicht geantwortet hat, wie sie sollte." Das klang gewichtig genug und es blieb mir trotzdem noch ein sehr breites und bequemes Schlupfloch. Der Vorteil von Rhetorik war, dass sie in vieler Hinsicht stets von der Kreativität der Zuhörer abhing und die meisten Menschen doch eher das hörten, was sie hören wollten als das, was man in einen einfachen Satz noch packen konnte.


    "Nimm bitte meine aufrichtige Entschuldigung dafür an, dass es meine Sklavin war, die sich ein Fehlverhalten hat zuschulde kommen lassen, es wird sicher nicht wieder geschehen." Zumindest dafür musste ich Sorge tragen, so gern ich Antonia auch mochte, ich wollte diese Form der Diskussion nicht zehnmal die Woche führen müssen. Dann erhob ich mich, trat an den Beistelltisch neben meinem Schreibtisch und schenkte in zwei Becher einen fruchtigen Weißwein ein, der von meinem eigenen Gut stammte und nicht zu süß, aber auch nicht zu herb schmeckte, der ideale Wein für einen Nachmittag, und nichts, was einem das Getränk zu sehr zu Kopf steigen ließ.
    "Hier, bitte," damit reichte ich ihr ihren Becher und schenkte ihr ein offenes Lächeln gleich mit dazu, das auf die meisten Frauen seine Wirkung nicht verfehlte. "Nach so viel Ärger ist ein guter Wein doch immer der beste Weg, sich wieder wohl zu fühlen, findest Du nicht?" Alle anderen Methoden waren mit einer gestrengen Patriziersgattin ohnehin nicht wirklich denkbar - der Gedanke an eine kleine, prickelnde Affaire mit ihr war seit der Geburt von Gracchus' Sohn meines Erachtens nicht mehr aktuell.

  • Nachdem sie Sache mit der Sklavin geklärt schien - Antonia zweifelte keine Sekunde daran, dass die Bestrafung nicht zu zimperlich ausfallen würde, wenngleich sie sich kaum selbst davon überzeugen wollte, verflüchtigte sich ihr Zorn ebenso schnell wie er gekommen war und machte einem wohlig warmen Gefühl der Zufriedenheit Platz. Ein Gefühl das sich, nun, da die Claudia sich nach Jahren daran zu gewöhnen begann, äußerst angenehm war, wie sie feststellte.
    "Dann danke ich dir hierfür.", bekundete sie gelöst und nickte Aquilius zu.
    "Doch du musst dich nicht entschuldigen, ich weiß, es ist nicht einfach, seine Sklaven jeden Tag und zu jeder Stunde unter Kontrolle zu haben. Vergeben und vergessen."
    Mit einer Handbewegung schien sie jenen Vorfall beiseite wischen zu wollen, indes sie mit der anderen Hand den angereichten Becher entgegen, an welchem sie zunächst vorsichtig roch. Viele Monate - solange sie schwanger war - hatte sie keinen Wein mehr getrunken und seit der Geburt kaum Lust darauf verspürt, doch war sie zuvor recht trinkfest gewesen. Was tat man schließlich, wenn man nichts hatte um einen Abend zu füllen außer Rechnungen kontrollieren? Doch da sie fürchtete, er könne ihr nun aufgrund mangelnden 'Trainings' doch zu sehr ins Blut übergehen, beschloss sie, es heute bei diesem einen Glas zu belassen.
    Sein Lächeln hingegen verfehlte seine Wirkung nicht, erzeugte ganz automatisch ein ebensolches bei Antonia. Mit stummem Nicken wurde dem Flavius zugestimmt und letztlich der Becher halb erhoben. "Nun, worauf wollen wir trinken?", fragte sie schmunzelnd und ließ sich zu einem Zwinkern hinreissen.

  • Das Gewitter schien vorüber, es war schon an der Veränderung ihrer Haltung zu merken - und da meine Eltern beide keine unbedingt leisen Menschen gewesen waren, hatte ich früh gelernt, auf solche Zeichen zu achten und sie richtig zu deuten, es erleichterte einem das tägliche Leben doch ungemein.
    "Nun, man vermag dies zwar nicht, aber es sollte doch auch nicht zu Ungelegenheiten kommen, die ein Mitglied des Haushaltes so in Wut versetzen ..." beschloss ich das Thema auch für mich und widmete mich dann den weitaus angenehmeren Dingen. Letztlich war sie wohl auch gekommen, um ein wenig Zeit mit mir zu verbringen, und das wollte ich nur zu gerne nutzen, wir kamen ja ohnehin fast nie dazu. Nachdem ich auch mir eingeschenkt hatte und den Becher in der rechten Hand hielt, ließ ich mich bei ihr nieder und meinte schmunzelnd: "Trinken wir auf die Gesundheit Deines Sohnes und die Deine ebenso - ich kann mich kaum erinnern, dass Du so strahlend ausgesehen hättest wie in diesen Tagen, erfüllt vom Glück der Mutterschaft und ungleich verlockender anzusehen dadurch." Eine kleine Retourkutsche für ihr Zwinkern hatte sie schon verdient - wer kam, um ein bisschen zu spielen, musste schließlich auch damit rechnen, dass die Herausforderung angenommen wurde, und von ihr nahm ich sie nur zu gerne an. Wenn die Götter mir wirklich dereinst gnädig sein sollten, würden sie mir hoffentlich eine ebenso aufregende Braut bescheren wie es Antonia war.

  • Antonia gehörte zu einer Sorte Frau, die nur äußerst schlecht mit Komplimenten zurecht kam. Während ihre Geschlechtsgenossinnen bei Aquilius’ Worten kokett gelächelt und ihm einen verführerischen Blick zugeworfen hätten, stürzten sie die Claudia in tiefste Bedrängnis, schlicht weil sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Hatte sie beim Vorschlag auf den Trinkspruch bereits den Becher in die Luft gereckt, verharrte er nun dort, als wäre die Zeit der Ansicht, sie habe sich nun endlich einmal eine Pause verdient. Vermutlich lag all dies daran, dass sie kaum ein nettes Wort über sich ernst nehmen konnte, wusste sie doch um die zahlreichen Fehler und Unzulänglichkeiten ihres selbst. Stets suchte sie den versteckten Schalk in ihrem Gegenüber und so tat sie es auch jetzt, blickte dem Flavius prüfend in die Augen, erforschte seine Züge, vermochte jedoch nicht darin zu lesen. Fast ist sie versucht zu sagen ‚Ganz offensichtlich hast du noch nie eine Frau kurz nach der Entbindung unbekleidet gesehen, sonst dächtest du anders’. Da dies einerseits ungehörig und andererseits ihr selbst viel zu peinlich wäre, behält sie jenen Gedanken jedoch für sich, wenngleich sich ein vielsagendes Schmunzeln in ihr Gesicht stiehlt, welches sie jedoch umgehend hinter ihrem Becher versteckt, als sie zu trinken ansetzt.
    „Es wird wirklich Zeit, dass du heiratest.“, stellte sie trocken fest. „Damit deine Frau es dir austreibt, andere weibliche Wesen mit Worten in Verlegenheit zu bringen.“
    Die ernste Fassade blieb nicht bestehen, wie sie es nie tat, wenn sich die Claudia mit dem Flavius unterhielt, zu gelöst von den Sorgen dieser Welt war sie in dieser Zeit. Zugleich fiel ihr auf, dass ein Teil von ihr es wohl sehr bedauern würde, wenn Aquilius sich jemals in seiner Art oder seinem Verhalten ändern sollte, ganz gleich ob es sie jedes Mal erneut in eine Zwickmühle brachte.

  • Vielleicht machte die Tatsache, dass Antonia nicht zu diesen nach Komplimenten allzu begierigen Gesellschaftshyänen zählte, die Sache reizvoller für mich, ihr dann tatsächlich Komplimente zu machen - sie dabei zu beobachten, wie sie zwischen den verschiedenen Möglichkeiten schwankte, auf einige geschickt garnierte, fast unverschämte Schmeicheleien zu reagieren, war für mich ein steter Quell des Vergnügens. "Du glaubst doch nicht im Ernst, irgendeiner Ehefrau wäre es vergönnt, mich davon abzuhalten, einer schönen Dame zu sagen, dass sie wundervoll aussieht?" sagte ich leicht grinsend und zwinkerte ihr belustigt zu. "Im Zweifelsfall erhellst Du mir mit Deiner strahlenden Schönheit einen ausgesprochen ereignisarmen Tag, sollte man sich denn nicht stets für das bedanken, was einem Gutes wiederfährt?"
    Und, ich wusste es nur zu gut, ihr Gemahl war nicht unbedingt ein Vorreiter auf dem Gebiet des Komplimenteausteilens an Frauen, vor allem nicht an seine eigene. Manius hatte viele Qualitäten, unzweifelhafte Qualitäten, aber ein Charmeur war er nie gewesen und würde es wohl auch nie werden. Ich konnte ihm dadurch also nur behilflich sein, dass ich seiner Frau jene Komplimente doppelt schenkte, die er versäumte zu geben. So hob ich ihr nur den Becher entgegen, stieß mit dem meinen leicht gegen den Rand des ihren, schüttete einen kleinen Teil des Rebensaftes für Mars auf den Boden und nahm einen großen, genießerischen Schluck aus dem Becher, froh, die Sklavinnenkrise erst einmal abgewendet zu haben.
    "Aber wenn eine potentielle Gemahlin nach der Geburt unseres ersten gemeinsamen Kindes so strahlend aussieht wie Du es tust, wird mir der Gedanke an eine Ehe immer angenehmer." Ich konnte es nicht lassen, nochmals einen drauf zu setzen und zu sehen, wie sie sich diesmal aus der Affäre zog.

  • Vor Antonias innerem Auge erschien eine überlebensgroße Matrone, so breit wie hoch, mit einem hölzernen Küchengerät in der Hand - ein Nudelholz war es wohl – das sie drohend schwang, das Gesicht eine verzogene Fratze, die Haare streng nach hinten gekämmt. Davor ein wesentlich kleinerer Aquilius, der sich mit eingezogenem Kopf duckte. So eine Ehefrau wäre sicher im Stande, ihn von dergleichen abzuhalten, wenngleich es wohl mehr als unwahrscheinlich war, dass der Flavius sich eine derartige Furie aussuchte. Nichtsdestotrotz begann die Claudia breit zu grinsen, nur um letztlich wieder seinem Blick auszuweichen, der ihr gar zu unangenehm auf der Haut lag. Auf jener Haut, die ihr momentan viel zu ausgebeult schien, obwohl sie seit der Geburt wieder etwas abgenommen hatte. Letztlich war ihre Zunahme auch mehr mit der Erreichung des Normalgewichts gleichzusetzen. Sie war absolut unzufrieden damit. Eine Claudia war nicht normal. In keiner Hinsicht.
    „Du schmeichelst mir viel zu sehr, Aquilius.“, erwiderte sie nach einer Weile. „Wenn du dir nicht selbst Einhalt gebietest werde ich am Ende deinen Worten noch Glauben schenken und die selbstgefälligste Patrizierin werden, die Rom je gesehen hat.“
    Das wäre nun nicht allzu einfach, wenn man die Lebenden und Toten einbezog. Dass sie in diesen Tagen jedoch tatsächlich mehr strahlte als zuvor, dies bezweifelte sie nicht. War es doch auch nicht sonderlich problematisch fröhlicher zu sein als früher. Trübsinniger, dies wäre eine wirkliche Herausforderung. Eine Herausforderung, die sie derzeit nicht gedachte anzunehmen.
    „Ist der Gedanke an eine Ehe dir denn unangenehm?“, schob sie endlich den Fokus fort von sich selbst und wieder hin zu Aquilius.
    Aus den Augenwinkeln betrachtete sie den Verwandten ihres Gemahls. Sicher, eine Ehe würde ihn zumindest zwingen, eventuelle Eskapaden und Affären einzuschränken oder geheim zu halten, auch wenn sie ohnehin in letzter Zeit nichts dergleichen über ihn gehört hatte. Ein Magistrat Roms hatte hierfür vermutlich einfach keine Zeit. Ein Jammer für die Frauenwelt. Schmunzelnd schubbste sie den Gedanken fort und wartete auf Aquilius’ Antwort.

  • Hätte Antonia mich nach meiner Meinung zu ihrem Aussehen gefragt, hätte sie sicherlich einiges gehört, dem sie nicht zustimmen konnte. Denn was das Aussehen von Frauen anging, hatte ich meine ganz eigene Meinung. Und dieser Meinung nach gehörte sie zu den bestaussehendsten Frauen, die ich kannte – zudem pflegte sie sich nicht zu übertrieben und besaß Stilgefühl, was in Kombination eine recht seltene Freude war, die man bei einer Frau entdecken konnte. Die meisten Frauen, die genug Geld besaßen, um sich ihre Kleidungsträume zu erfüllen, besaßen überhaupt keinen Stil, und das musste man sich dann auch noch ansehen und durfte ihnen nicht sagen, wie wenig ihnen ihre Kleidungsauswahl in Wirklichkeit stand – Antonia hingegen hatte mich in dieser Richtung immer nur positiv überrascht.


    „Einer wirklich schönen Frau kann man gar nicht genug schmeicheln,“ gab ich ungerührt und schmunzelnd zurück. „Es wird nämlich genug andere geben, die meinen, aus Neid heraus die Schönheit dieser Frau klein reden zu müssen, und das sollte nun wirklich nicht sein. Ich glaube auch kaum, dass Du jemals zu dieser Art Frau gehören wirst, die sich den ganzen Tag im Spiegel betrachtet – ein wenig Eitelkeit ist sicher für keinen Menschen verkehrt, aber für zuviel davon hast Du einen einfach zu klugen Kopf.“


    Einen Schluck meines Weines nehmend, zwinkerte ich ihr leicht zu und hob dann die Brauen, als sie mich nach meinen Gefühlen zur Ehe befragte. Denn auch wenn ich mich mit diesem Thema oft genug beschäftigte, war mir eigentlich weniger eine dedizierte Meinung dazu zurückgeblieben.
    „Hm, eine gute Frage. Ich muss gestehen, ich habe darüber nie wirklich nachgedacht. Eine Ehe passiert einem einfach irgendwann, ein weiterer Schritt auf einem Weg. Wahrscheinlich kommt es darauf an, was man davon erwartet – wer nach der großen Liebe im Ehebett sucht, wird sicherlich zumeist enttäuscht. Ich erhoffe mir einfach ein Zusammenleben, bei dem man sich gegenseitig ergänzt und unterstützt. Das ist eine angenehme Vorstellung, Antonia. Allerdings erfüllen sich selten die Wünsche, die man hegt ... ich werde es wohl auf mich zukommen lassen müssen. Bist Du mit Deiner Ehe denn zufrieden?“

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