Der Tag nach der Nacht in der die Ölkrise ihren Anfang hatte, ihren Lauf nahm und ihr Ende fand

  • Es würde ein langer Tag werden. Ein seeehr langer Tag. Seiana rieb sich den Nacken und unterdrückte ein Stöhnen. Am liebsten wäre sie heute morgen gar nicht erst aufgestanden, aber das kam nicht in Frage. Ganz egal, was in der Nacht passiert war… Sie unterdrückte ein erneutes Stöhnen, als sie daran dachte, wie erst Firas und dann Katander ihren Rücken malträtiert hatten. Oder war es erst Katander und dann Firas gewesen? Sie wusste es nicht. Es war auch egal. So oder so, heute war sie allein unterwegs. Keine Ophelia, kein Firas, kein Katander und schon gar keine Elena, die sie in der Nacht so schändlich ausgelacht hatte. Dafür würde sie büßen, das hatte Seiana sich fest vorgenommen, und angefangen hatte sie damit, dass sie sie nicht mitgenommen hatte, nicht hierher auf den Markt – auf dem Seiana allerdings selbst gar nicht wusste, was sie hier wollte – und auch nicht später mit in die Thermen – die sie aber erst noch finden musste. Dumm nur, dass Elena gar nicht wusste, was sie vorhatte, weil Seiana heute früh kaum ein Wort gesagt hatte. Und dumm auch, dass Elena das vermutlich überhaupt nichts ausmachte – selbst wenn sie es gewusst hätte –, konnte sie doch die Zeit jetzt mit Katander verbringen. Egal. Irgendetwas würde ihr schon einfallen. Sie war nicht umsonst mit drei Brüdern aufgewachsen und hatte die Jungs zu Hause sauber im Griff gehabt, wann immer einer aufmucken wollte. Nun ja… nicht unbedingt immer im Griff gehabt… Aber sie hatte sich nie etwas gefallen lassen, sie hatte nie geduldet, dass ihre älteren Brüder ihr halfen, und sie war regelmäßig explodiert, wenn sie mitbekommen hatte, dass irgendjemand Faustus auf die Pelle rückte. Und an Ideen, wie sie so manchem eins auswischen konnte, hatte es ihr nie gemangelt. Also würde ihr auch für Elena etwas passendes einfallen. Oh ja. Seiana blieb kurz stehen und streckte sich etwas, was zur Folge hatte, dass ihre Wirbel knackten. Die Thermen. Sie war niemand, der sie oft aufsuchte, keine von den Frauen, die jede zweite Woche dorthin liefen, aber ab und zu… tat es einfach gut. Und nach dem, was gestern Nacht gewesen war, und so, wie ihr Rücken sich gerade anfühlte, war es einfach absolut nötig. Sie seufzte leise und wandte sich einem Stand zu, an dem es Getränke gab. Einen Augenblick überlegte sie, dann bestellte sie sich einen mit Wasser vermischten Fruchtsaft.


    Sim-Off:

    Reserviert

  • Ein herrlicher Tag! Die Sonne schien – nungut, das machte sie hier immer. Die Vögel sangen – nungut, auch das taten sie immer. Und am Morgen hatte Axilla sogar einen Schmetterling an ihrem Fenster entdeckt. Einen richtig großen, bunten, wie sie noch nie einen gesehen hatte. Nur mit dem Fangen hatte es nicht ganz geklappt, aber das machte auch nichts. Frei fliegend waren sie ohnehin viel schöner.
    Gut gelaunt spazierte die junge Iunerin also über den Markt. Sie brauchte neue Schuhe. Oder naja, was man so brauchen nannte, wenn man schon drei Paar besaß. Aber für ihr neues Kleid hatte sie noch keine, von denen sie sagte, dass sie dazu passen würden. Sie war sich zwar noch immer nicht ganz sicher, ob sie tatsächlich das Kleid anziehen sollte, aber wenn, wollte sie gerüstet sein.
    Axilla schlenderte schon eine ganze Weile, fand aber nicht wirklich etwas, was ihr sofort ins Auge sprang. Sie handelte zwar mal hier, mal dort ein wenig, aber wirklich kaufen tat sie nichts. Die meisten Händler veranlasste das zu heimlichen Augenrollen, aber Axilla machte das heute nichts aus. Heute Nacht hatte sie einen schönen Traum gehabt, von zuhause in Tarraco und ihrem Vater und den wilden Ponys, die vorm Haus entlang gerannt waren, heute würde sie sich durch nichts runterkriegen lassen. Zumindest hatte sie sich das fest vorgenommen.
    So wie es aussah, würde es wohl ein etwas längerer Tag werden. Und wenn Axilla hier schon eines gelernt hatte, dann, dass man ausreichend trinken sollte. Und noch etwas zweites: Bei ihr sollte dieses Etwas möglichst keinen Alkohol enthalten. Also suchte sie einen der Stände, bei dem man süßen Saft kaufen konnte. Sie liebte ja dieses süße Zeug, je süßer, desto besser.

  • Seiana musste etwas warten, aber schließlich bekam sie das Gewünschte. Sie nickte dem Händler zu und kramte aus ihrem Beutel ein paar Münzen heraus, um zu bezahlen, dann nickte sie noch einmal und drehte sich um, um sich ein schattiges Plätzchen zu suchen. Allerdings kam sie nicht weit. Um genau zu sein, sie kam noch nicht einmal einen Schritt weit. Gerade als sie sich in der Drehung befand, prallte sie gegen jemanden, der – für sie zumindest – völlig überraschend dort aufgetaucht war. „Wuah!“ machte sie überrascht – und im nächsten Moment ergoss sich schon der Inhalt ihres Bechers über sie und die Person, die nun – aufgrund ihrer Drehung, die Seiana halb hatte vollenden können – schräg neben ihr stand. Der Hauptteil landete auf ihrer eigenen Tunika, die andere, eine junge Frau, bekam nur ein paar Spritzer ab. Seiana wusste noch nicht so ganz, ob sie darüber froh war oder nicht, hatte sie doch noch nicht entscheiden, ob dieses Malheur nun ganz ihre Schuld war oder hauptsächlich ihre Schuld oder nur zur Hälfte ihre Schuld oder nur zu einem kleinen Teil ihre Schuld oder womöglich gar nicht ihre Schuld, sondern die der anderen. Oder ob vielleicht einfach gar keiner Schuld hatte. „Äääh…“ Sie sah an ihrer Tunika hinunter, die zu tropfen begann. „Ja. Äh. Oh nein…“

  • Was wollte sie nehmen? Axilla hatte noch keine Ahnung, was es denn hier überhaupt für Saft gab, Hauptsache, er war süß und klebrig. So mochte sie ihn am liebsten. Ganz in Gedanken schon fünf Schritte weiter, als sich die Frau vor ihr plötzlich umdrehte und sie beide fast zusammenstießen. Ihr Gegenüber schrak aber gerade noch rechtzeitig zurück, so dass Axilla nur ein paar Spritzer Saft abbekam. Die andere Frau allerdings…


    Oh… oh, das tut mir schrecklich leid. Das.. das ist meine Schuld, tut mir schrecklich leid. Ich hab wohl grade nicht aufgepasst und dann… es tut mir wirklich furchtbar leid.


    Da war er hin, der schöne Tag. Axilla sollte aber auch wirklich ihre Gedanken wenigstens ein Mal bei sich behalten! Das hatte ihr ihr Lehrer schon immer vorgehalten, dass sie einfach immer mit den Gedanken sonst wo war, aber nicht bei der Sache. Das hier war mal wieder das perfekte Beispiel dafür.

  • Seiana konnte sich nicht helfen, aber sie war gleich viel versöhnlicher gestimmt, als die junge Frau sich so bei ihr entschuldigte. Etwas bekümmert blickte sie noch einmal an ihrer Tunika hinunter, dann sah sie hoch und lächelte, wenn auch etwas schief. Die Schuldfrage war für sie nun geklärt. „Oh, nein, nein. Du konntest ja nicht ahnen, dass ich mich so plötzlich umdrehe. Ich glaube heute ist einfach nicht mein Tag.“ Nicht nach dieser Nacht. Vielleicht sollte sie sich das mit den Thermen noch mal überlegen, am Ende lief sie noch Gefahr zu ertrinken, oder sich bei der Massage etwas zu brechen oder ähnliches. „Dafür kann keiner was. Höchstens die Götter, vielleicht wollen sie mir eins auswischen“, scherzte sie noch, dann hielt sie für einen winzigen Moment inne. Wollten sie? Nur warum? Vielleicht weil sie bei Archias wohnte, anstatt sich irgendwo ein Zimmer zu nehmen, was dem Anstand mehr Genüge getan hätte? Allerdings war bisher nichts passiert, wofür sie sich hätte schämen müssen, das konnten auch die Sklaven bezeugen, und es würde auch nichts passieren. Nein, die Götter hatten damit nichts zu tun, sie hatten einfach beide nicht aufgepasst. „Hm, na ja… Ich glaub so kann ich nicht weiter rumlaufen hier…“ Sie seufzte lautlos. Den ganzen Weg wieder zurück? Nein, darauf hatte sie keine Lust. Die einzige Alternative wäre, sich hier irgendwo eine Tunika zu kaufen, aber das… war auch nicht unbedingt nach ihrem Geschmack. Klamotten kaufen. Sie konnte gerade noch ein Kopfschütteln zurückhalten und vertagte die Entscheidung um ein paar Momente, indem sie andere anlächelte und sich endlich vorstellte. „Salve übrigens. Ich bin Decima Seiana.“

  • Puh, Glück gehabt, die angerempelte Frau fing nicht an, Zeter und Mordeo zu brüllen und schimpfte auch nicht. Offenbar nahm sie das ganze eher gelassen. Axilla war schon mal erleichtert. Natürlich hatte sie noch immer ein furchtbar schlechtes Gewissen wegen dem ganzen, aber der Tag war so wenigstens noch nicht ganz im Eimer.
    Ich bin Iunia Axilla.
    Der Name sagte ihr irgendwas, aber Axilla kam im Moment nicht drauf. Sie war auch viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie sie es wieder gut machen könnte.
    Das ist bestimmt gleich trocken, heute ist es ja schon wieder so warm. Aber der Fleck… ich meine, bei den Griechen gibt es schon die verrücktesten Moden aber… wenn du magst, würd ich dir gern eine neue Tunika kaufen. Also, als Entschuldigung. Wiedergutmachung. Einfach so, egal.
    Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, fügte Axilla in Gedanken hinzu.

  • Die junge Frau ihr gegenüber schien erleichtert zu sein, dass sie keinen Aufstand machte, was Seiana auch verstehen konnte. Wäre der Großteil des Getränks auf deren Tunika gelandet, wäre es ihr genauso ergangen. Sie drehte sich kurz zur Seite und stellte den auf so effektive Weise geleerten Becher auf dem Stand ab, winkte nur kurz ab, als der ihr gleich ein weiteres andrehen wollte, und wandte sich wieder Iunia Axilla zu, wie sie sich inzwischen vorgestellt hatte. „Mmh.“ Sie erneut auf ihre Tunika hinunter, die tatsächlich bereits wieder zu trocknen begann. Trotzdem würde es eine Zeitlang dauern, bis sie ganz trocken war, und der Fleck selbst würde auch dann bleiben, auch wenn ihr Saft reichlich verdünnt gewesen war. Dann sah sie überrascht wieder hoch. „Oh, nein, bitte. Das ist wirklich nicht nötig. Das war genauso wenig deine Schuld wie meine. Wahrscheinlich sogar noch weniger, ich hab mich ja überhaupt nicht umgesehen vorher, ob da jemand steht.“ Was zu erwarten gewesen war. Immerhin war das hier ein Stand, und Menschen stellten sich an, um sich etwas zu kaufen. Aber sie brauchte eine andere Tunika, und durch die Worte der Iunierin war die Entscheidung gefallen. Seiana wollte nicht, dass sie ihr eine neue Tunika zahlte, aber sie wollte noch weniger, dass Axilla nun dachte, Seiana lehnte ab weil sie doch wütend war. „Aber, hm, wir können trotzdem gern zusammen gehen. Ich meine, ich brauche was anderes zum Anziehen, und nach Hause gehen will ich jetzt nicht. Und ein bisschen Gesellschaft wäre ganz nett beim Einkaufen.“ Seiana hatte keine Ahnung, ob Axilla ihre Abneigung gegen Einkaufen teilte – und sie dachte in diesem Moment nicht daran, was sie sich möglicherweise einbrockte. Und sie ahnte auch nicht, dass Axilla gerade auf der Suche nach Schuhen war und diese Einkaufstour sich möglicherweise weit ausgedehnter gestalten konnte, als sie wollte. Aber wer wusste schon, was passieren würde – vielleicht schaffte die Iunierin ja, was Elena seit Jahren vergebens versuchte: nämlich Seiana die angenehmen Seiten des Einkaufens zu zeigen.

  • Mal wieder mit einer anderen Frau einkaufen gehen? Der Tag schien doch besser als eben noch erwartet zu werden. Axilla war schon ewig nicht mehr mit einer Freundin einkaufen. Auch wenn sie Seiana gerade erst kennen gelernt hatte und sie also kaum schon Freundinnen hätten sein können. Aber es kam dem doch schon sehr nahe.
    Oh, ja, das wäre wirklich sehr nett. Ich weiß auch schon den perfekten Stand, bei dem wir anfangen können.
    Das Axilla gleich Feuer und Flamme war, konnte man deutlich an ihrer Stimme hören. Für sich selber etwas einzukaufen war ja schön, aber für jemand anderen war das dann gleich noch mal um einiges schöner. Da konnte man schauen, probieren, Meinungen austauschen, diskutieren, und man musste nicht so viel mit dem Verkäufer reden, der sowieso alles ganz toll und wundervoll und göttlich an einem fand.
    Eine Freundin hätte Axilla jetzt einfach geschnappt und mit sich mit geführt, bei Decima Seiana unterließ sie diese Vertraulichkeit aber. Statt dessen lächelte sie ihr nur strahlend zu und wartete, dass sie sich ihr anschloss.

  • In dem Moment, in dem die Iunierin antwortete und dabei strahlte wie die Sonne selbst, wusste Seiana, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Was hatte sie sich auch dabei gedacht? Sie wusste doch, dass Frauen wie sie in der Minorität waren, dass es herzlich wenige gab, die Einkaufen, vor allem Kleidung einkaufen, so gestalteten wie sie. Seiana ging da ähnlich vor wie ein General, der einen Angriff plante: vorstoßen, schnell zuschlagen, noch schneller zurückziehen. Sie konnte lange Zeit verbringen an Ständen und in Läden, die Einrichtungsgegenstände hatten, vor allem wenn sie künstlerisch angehaucht waren, konnte dort Stunden mit Verkäufern fachsimpeln, wenn es um die farbliche Variation in der Gestaltung griechischer Vasen ging, aber Kleidung? Sie fand so selten das, was sie wirklich wollte… da war es im Grunde noch angenehmer, vorher ihre Vorstellung zu verkünden und dann jemanden kommen zu lassen, der ihr die passenden Sachen auf den Leib schneiderte. Das allerdings war zu teuer, um es ständig zu machen.


    Nun jedenfalls stand Seiana da und fühlte sich etwas hilflos, wollte eigentlich nur kurz eine Tunika kaufen, und sah gleichzeitig Axilla vor sich, die sie derart anstrahlte, dass sie genau wusste, ihr schlechtes Gewissen würde sie noch die nächsten Tage foltern, wenn sie nun doch einen Rückzieher machte. Und wer wusste es schon, vielleicht wurde es ja ganz nett. Es konnte jedenfalls nicht schaden, hier jemanden kennen zu lernen. Also erwiderte sie das Lächeln – wenn auch nicht ganz so strahlend – und nickte. „Sehr gut, das klingt doch… hervorragend.“ Es kam alles auf die Einstellung an. Wenn Elena sie über einen Markt schleifte, weil sie sich mal wieder in den Kopf gesetzt hatte, Seiana die „Freuden des Einkaufens“ zu zeigen, dann ging sie meistens von vornherein in Abwehrhaltung und jammerte. Bei ihrer neuen Bekanntschaft konnte sie das kaum tun – was vielleicht von Vorteil war, um etwas, nun ja, unvoreingenommener an diese Sache heranzugehen. „Dann zeig mal, wo dieser Stand ist.“

  • Und das tat Axilla auch sogleich. Gut gelaunt machte sie sich mit Seiana auf den Weg über den Markt, und fing dabei auch gleich an zu plauschen. Eigentlich war sie ja gar nicht so geschwätzig, aber sie war immer noch ein wenig nervös wegen dem Saftfleck, und überhaupt war heute ein viel zu schöner Tag, um sich Gedanken zu machen, was man sagte oder besser nicht.
    Er ist da hinten, zumindest war er da vor drei Tagen noch. Die Stände hier ändern sich ja leider ständig.
    Es ist übrigens schön, mal eine Römerin zu treffen. In dieser Stadt ist das ja ziemlich selten. Also, nicht, dass ich was gegen die Griechen hätte, sie sind alle sehr nett und… sagen wir mal farbenfroh. Aber mein Koine ist so furchtbar, dass ich immer hoffe, dass ich auch das gesagt habe, was ich sagen wollte.
    Bist du denn schon lange hier?

    Oh, das war vielleicht doch ein bisschen wasserfallartig hervorgekommen. Entschuldigend lächelte Axilla Seiana an. „Tut mir leid, wenn ich zu viel rede. Ich bin heute nur irgendwie ziemlich gut drauf.

  • Als Axilla vorausging, wurde Seianas Lächeln für einen Augenblick gequält, aber sie beherrschte sich sofort wieder. Mit ein paar schnellen Schritten war sie an der Seite der Jüngeren und machte den Mund auf, um sich an dem Gespräch zu beteiligen – fand allerdings zunächst keine geeignete Lücke, um auch etwas anbringen zu können. Sie schmunzelte und fühlte sich ein bisschen an Elena erinnert – was dazu führte dass sie gleich wieder an die vergangene Nacht denken musste und wie Elena gelacht hatte. Seltsamerweise stellte sie fest, dass sie das irgendwie schon gar nicht mehr so sehr störte. Seiana erwiderte Axillas Lächeln, als diese sich gerade entschuldigte für ihren Redeschwall. „Oh, kein Problem. Meine Sklavin ist auch so.“ Seianas Mund blieb kurz offen stehen. „Damit wollte ich dich nicht beleidgen, ich meinte das nicht negativ, im Gegenteil“, beeilte sie sich dann zu versichern. „Ich meine nur, du brauchst dir bei mir keine Gedanken machen.“ Hoffentlich hatte sie die Kurve noch gekriegt, zumal sie den Vergleich wirklich in keinster Weise beleidigend gemeint hatte. „Also…“ Mal sehen ob sie alles auf die Reihe bekam. „Ich hab hier auch nur wenige Römer getroffen bisher. Das mag aber auch daran liegen, dass ich meistens mit Elena unterwegs bin – meiner Sklavin. Elena ist in der Lage alle möglichen Menschen kennen zu lernen, aber Römer sind selten dabei. Na ja, hier jedenfalls.“ Seiana lächelte kurz. „Mmh… Einige Wochen inzwischen. Keine zwei Monate.“ Seiana stellte erstaunt fest, dass sie gar nicht so genau sagen konnte, wie lange sie nun schon hier war – und sie nicht wirklich wusste, wo die Zeit bisher geblieben war. In der Zwischenzeit hatten sie den Saftstand schon weiter hinter sich gelassen und hatten nun jede Menge Stände um sich, an denen Tuniken verkauft wurden. Seiana bemühte sich, nicht daran zu denken, was gleich auf sie wartete. „Was ist mit dir? Bist du hier aufgewachsen? Ach, und warum bist du so gut drauf, gibt es dafür einen Grund?“

  • Axilla nahm den Vergleich mit Seianas Sklavin sehr gelassen und lächelte nur schulterzuckend. Sie beurteilte Menschen ohnehin viel lieber danach, ob sie sie mochte oder nicht mochte als danach, welchen stand sie hatten. Und wenn diese Elena ein netter Mensch war, warum sollte sie sich dann gekränkt fühlen, mit so jemandem verglichen zu werden?
    Oh, dann bist du ja schon fast solange hier wie ich. Ich bin vor drei Monaten hergekommen, oder waren es schon vier? Die Zeit vergeht hier manchmal so schnell und dann wieder so langsam, ich weiß es nicht genau. Eigentlich komme ich aus Tarraco. Aber… naja, meine Eltern sind jetzt beide tot und hier in Alexandria sind meine nächsten lebenden Verwandten, also bin ich hergekommen.
    Axilla merkte, wie ihre Stimmung bei diesen Worten wieder sank. Sie sprach nicht gerne über den Tod ihrer Eltern, schon gar nicht mit Leuten, die sie noch nicht so gut kannte. Sie hatte den Satz zwar schon so oft gesagt, dass sie ihn mittlerweile rückwärts sagen konnte, aber das hieß ja noch nicht, dass sie das gern tat. Deshalb ließ sie sich auch nur zu gerne von der anderen Frage ablenken.
    Ich weiß auch nicht, warum ich heute so gut drauf bin. Es ist einfach ein wundervoller Tag. In Ordnung, hier scheint immer die Sonne und die Vögel singen auch dauernd, also ist der Tag an sich nicht schöner oder weniger schön, aber… Oh, und natürlich der Schmetterling. Ich hatte schon ewig keinen Schmetterling mehr in meinem Zimmer, aber heute Morgen saß da einer. Ein großer, blauer. Ich hab noch nie so einen gesehen.
    Das klang jetzt vielleicht ein bisschen kindisch. Sich über einen bescheuerten Schmetterling so zu freuen, das konnten vielleicht kleine Kinder, aber doch nicht erwachsene Frauen! Verlegen lächelte Axilla Seiana zu.
    Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen albern, ich weiß. Aber man muss sich eben manchmal auch an den kleinen Dingen freuen.

  • „Aus Tarraco?“ Seiana warf der Iunierin einen überraschten Blick zu und lächelte dann. „Meine Familie stammt auch aus Tarraco. Bis vor wenigen Monaten habe ich dort noch gelebt.“ Dann verstummte sie für einen Moment und sah Axilla ruhig an. In ihrem Blick lag sowohl Mitgefühl als auch Betroffenheit – echte Betroffenheit, war ihre Mutter doch selbst erst vor kurzer Zeit gestorben. Sie war allerdings nicht nach Rom ihrer Verwandten wegen gereist, sondern weil sie es in Tarraco nicht mehr ausgehalten hatte – und weil sie geglaubt hatte, Rom könne ihr mehr geben als Tarraco, nicht mehr Luxus oder ähnliches, sondern mehr Leben… Allerdings hatte sie dort festgestellt, dass es nicht der Ort war, auf den es ankam. Axillas Worten und ihrer Betrübtheit nach zu schließen waren ihre Eltern ebenfalls erst vor kurzem gestorben waren, und Seiana legte ihr die Hand auf die Schulter, kurz nur, war die Geste doch fast zu vertraut in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich gerade erst begegnet waren. Aber sie hatte das Bedürfnis, ihr irgendwie ihr Mitgefühl zu zeigen. „Meine Eltern leben auch nicht mehr. Es wird leichter, mit der Zeit.“ Mehr erzählte sie nicht, für den Moment. Sie hatte das Gefühl, dass Axilla nicht gern über dieses Thema sprach, und sie selbst tat es auch nicht. Nur, worüber sollte sie sonst reden, um abzulenken? Sie konnte der Iunierin auch kaum erzählen, dass sie von Tarraco aus erst nach Rom gereist war, und das auch erst vor noch gar nicht allzu langer Zeit… Sie konnte doch nicht zugeben, dass sie zweimal innerhalb eines Jahres mehr oder weniger alles über den Haufen geworfen hatte, was ihr Leben ausmachte, und quer durch das Reich gereist war, nur um… nun ja… einem Gefühl zu folgen. Das Gefühl, dass es richtig war, das zu tun. Seiana unterdrückte ein Seufzen. Nein, das konnte sie eigentlich keinem erzählen.


    Allerdings musste Seiana sich nichts anderes einfallen lassen, um von diesem Thema abzulenken, denn Axilla genügte schon die Frage nach ihrer guten Laune. Seiana konnte nicht anders als lächeln. „Oh, ich finde gar nicht, dass das albern klingt. Im Gegenteil. Kleine Dinge können viel ausmachen. Und manchmal reicht es auch schon, dass die Sonne scheint – auch wenn sie das hier jeden Tag tut, aber… na ja. An manchen Tagen sieht sie trotzdem strahlender aus.“ Seiana überlegte kurz und fügte dann hinzu: „Oder auch weniger strahlend, je nachdem wie man’s sieht. Wenn sie nicht ganz so strahlt, ist es auch nicht ganz so heiß…“ Immerhin lag Alexandria am Meer, was doch die ein oder andere frische Brise garantierte. Seiana mochte sich gar nicht vorstellen, wie es selbst jetzt noch im Landesinneren glühen mochte tagsüber.


    Inzwischen befanden sie sich mitten in dem Teil des Marktes, der scheinbar Kleidung vorbehalten war. „Welcher Stand ist es denn?“

  • Es soll aber nicht leichter werden. Wenn es leichter wird, vergesse ich sie.
    Axilla sah kurz traurig über die Stände. Sie wollte nichts vergessen von ihrem Vater, niemals. Und auch ihre Mutter nicht. Wenn der Preis dafür der Schmerz war, dann zahlte sie ihn gern. Dieser Schmerz wäre leichter zu ertragen als das Vergessen, zumindest für Axilla. Aber dennoch war die kurze Berührung von Seiana irgendwie tröstlich, und so ließ sie sie einfach und still geschehen.
    Und sie war auch sehr froh, dass es noch genug andere Themen gab, die sie sogleich ablenkten. Sie wollte hier auf diesem Markt nicht noch gefühlsduselig werden.
    Oh, ja, hier ist es immer furchtbar heiß. Vor allem um die Mittagszeit. In meiner ersten Woche habe ich den Fehler gemacht, in der größten Mittagshitze nach draußen zu gehen. Meinen armen Sklaven hab ich quer über die Agora geschleppt. Der arme, es war dann so heiß, dass ich sogar in den Cursus Publicus geflüchtet bin, nur um aus der Sonne heraus zu sein. Das passiert mir sicher nicht noch einmal.
    Axilla lachte, wenn sie daran zurückdachte. Eigentlich war der tag ja noch sehr schön geworden, hatte sie so Aelius Archias kennen gelernt.
    Achja, der Stand, der Stand. Der stand ist…. Da! Genau, da drüben. Ich hoffe, der Verkäufer hat kein allzu gutes Gedächtnis. Vor drei Wochen habe ich ihn um über die Hälfte heruntergehandelt wegen einer Tunika, und dann gemerkt, dass ich meinen Geldbeutel daheim habe liegen lassen. Ich hätte wohl auch die Sachen zu mir heimbringen lassen können, aber das wollt ich dann doch nicht.

  • Seiana hatte das deutliche Gefühl, dass Axilla nicht über ihren Verlust reden wollte. Trotzdem blieb sie kurz stehen und sah sie ernst an. „Das wirst du nicht. Dass es leichter wird, heißt nicht, dass du sie vergisst oder ihr Andenken verrätst.“ Einen Moment zögerte sie noch, dann fügte sie hinzu: „Wenn du mal reden möchtest, dann kannst du dich gern an mich wenden.“ Sie mochte die junge Frau irgendwie – und sie wusste aus eigener Erfahrung, wie viel leichter es manchmal war, sich jemandem anzuvertrauen, der fremd war – vor allem wenn dieser ähnliches erlebt hatte. Es war schon seltsam… dass das Verständnis, das Mitleid von den Personen, die man gut kannte, die einem vertraut waren, in gerade derart schwierigen Situationen zu viel wurde, dass man es nicht aushalten konnte, wie sie sich verhielten. Sie selbst hatte es in Tarraco nicht mehr ausgehalten, die Blicke, die Kommentare, alles. Und so setzte sie jetzt ein Lächeln auf, drückte Axilla noch einmal kurz die Schulter und ließ sie dann los. Die Iunierin hatte ihr Angebot gehört, ob – und wann – sie darauf eingehen wollte, war ihre Sache.


    Trotzdem hing Seiana einen Augenblick noch ihren Gedanken nach, dachte an ihre Mutter, an die Monate der Krankheit vor ihrem Tod, daran, wie sie sich um sie gekümmert hatte, wie sie zu den Göttern gefleht hatte, sie möge wieder gesund werden, und doch gewusst hatte, dass ihr Flehen nicht erhört werden würde. So hörte sie nur mit halbem Ohr hin, als Axilla erzählte, wohin sie vor der Mittagshitze geflohen war in ihren ersten Tagen in Alexandria, sonst hätte sie womöglich nachgefragt, ob sie Archias kennen gelernt hatte. So aber lächelte sie nur etwas abwesend und nickte. „Langsam wird es etwas besser. Man merkt schon, dass der Hochsommer nachlässt, langsam.“ Dann zog sie die Augenbrauen hoch und lachte. „Um die Hälfte herunter gehandelt hast du ihn? Oh, handeln macht mir auch Spaß, hätte ich früher nie gedacht. Auf der anderen Seite kann man in Rom und Tarraco auch nicht wirklich feilschen, jedenfalls nicht so wie hier – die Händler würden das kaum mit sich machen lassen, nicht in dieser Form.“ Sie folgte Axilla zu dem Stand hinüber und vergaß ganz, sich vor dem nun Kommenden – nämlich dem Tuniken raussuchen, anprobieren, ansehen und ansehen lassen, beurteilt werden, neue Tuniken raussuchen, wieder anprobieren… – zu gruseln, wie sie es sonst immer tat. „Ach, der Händler wird schon nichts sagen. Wenn du ihn um die Hälfte runtergehandelt hast, kann er doch eigentlich froh sein, dass du kein Geld dabei hattest…“

  • Kurz wallte Wut in Axilla auf. Warum konnte Seiana es nicht einfach gut sein lassen mit ihrem Vater? Sie wollte darüber nicht reden, erst recht nicht mit jemandem, den sie gar nicht kannte. Was wusste sie schon? Sie kannte Axillas Familie gar nicht, auch wenn die Decimer und die Iunier sich gegenseitig nicht unbekannt waren. Aber woher wollte sie denn wissen, wie Axilla sich fühlte? Sie wusste es ja die meiste Zeit noch nicht einmal selbst. Sie ließ die Gefühle auch gar nicht zu, weil sie sicher war, sie würde sonst wahnsinnig.


    Aber den Tag würde Axilla sich nun nicht vermiesen. Nein, sie hatte beschlossen, gut drauf zu sein, also war sie das jetzt auch! Punkt Aus Basta! Also tat sie einfach so, als wäre nichts gewesen. Im ignorieren von schwierigen Dingen und Thema wechseln war sie schon immer gut gewesen, auch sich selbst gegenüber. Da kam ihr den Händler grade recht.
    Ja, ich glaube manchmal, die Ägypter nehmen das einem persönlich übel, wenn man nicht alle Flüche der Unterwelt beim Handeln auf sie herabbeschwört. Am Anfang habe ich geglaubt, die seinen vollkommen verrückt, aber mit der Zeit macht es irgendwie richtig Spaß. In Tarraco habe ich meistens einen Sklaven zum Markt geschickt, aber hier macht es richtig Spaß.
    Der Händler unterdes erkannte sie offenbar wieder. Denn ein Grinsen, das irgendwo zwischen erschrocken und freundlich hing, schlich sich auf sein Gesicht.
    Ah, meine rhomäische Blume ist zurück. Ist sie gekommen, um doch die Tunika nun zu kaufen? Ich habe seitdem für diesen Schnitt viele Kunden gehabt, ich habe kaum noch solche Tuniken.
    Axilla grinste geradezu anzüglich zurück, wusste sie doch, dass das eine glatte Lüge war. Und angesichts der Auslage auch noch allzu offensichtlich. Ihr Koine war zwar von einem ionischen Akzent durchdrungen, aber sie hatte schon festgestellt, dass man sie wohl verstand. „Kommt ganz auf den Preis an, mein Freund. Aber erst einmal wollen meine Freundin und ich schauen, ob überhaupt etwas interessantes da ist, für das sich das Handeln lohnt.
    Jetzt lachte der Händler und lud sie mit einer offenen Handbewegung zum Stöbern ein.

  • Die Miene des Händlers machte recht deutlich klar, dass er die Iunierin offenbar doch wieder erkannte. Allerdings schien er sich noch nicht so recht sicher zu sein, ob ihn ihr Wiedererscheinen freuen oder doch eher erschrecken sollte, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen – nun, dachte Seiana sich im Stillen, wüsste er, was auf ihn zukommen würde, wäre ein Schreck wohl angemessen gewesen, denn dass er diesmal auch wieder den Kürzeren ziehen würde, war für sie klar. Sie mochte Einkaufen nicht, aber das Handeln machte ihr Spaß. Und ihre gegenwärtige Situation, in der sie eigentlich gar nichts brauchte, sondern genauso gut nach Hause gehen könnte, um sich umzuziehen, war eine hervorragende Basis.


    Axillas Grinsen, dass diese dem Händler zuwarf, ließ jedoch ganz kurz eine Augenbraue Seianas nach oben wandern, wirkte es doch fast anzüglich – vor allem dafür, dass sie den Händler nicht kannte. Bei all ihren Versuchen, einen Weg zu finden zwischen ihrer doch recht strengen Erziehung und dem, was von Frauen ihres Standes erwartet wurde auf der einen Seite und ihren eigenen Wünschen, ihrem Freigeist auf der anderen, war das etwas, was sie nicht getan hätte. Nun, vielleicht lag es am Alter – sie schätzte die Iunierin auf irgendetwas zwischen fünfzehn und achtzehn ein, und zumindest als sie noch fünfzehn war, hätte sie keine Bedenken gehabt. Aber inzwischen hatte sie aufgehört zu rebellieren – und versuchte einen angemessenen Weg zu finden, was ihr, wie sie fand, recht gut gelang inzwischen. Kurz blitzte der Gedanke auf, wo sie jetzt wäre, wäre ihre Mutter nicht gestorben. Nicht in Ägypten, so viel war klar. Ihre Mutter hätte das niemals zugelassen. Seiana seufzte lautlos und wandte sich dann der Auslage zu, um etwas herumzustöbern. Gelegentlich zog sie eine Tunika hervor und besah sie sich genauer, und sie musste zugeben, dass der Händler einige recht schöne Stücke dabei hatte, aber ein ausgedehnter Einkauf sollte das ja eigentlich nicht werden, und so schnappte sie sich schließlich eine recht schlichte Tunika ohne große Verzierungen, in einem ebenso schlichten, aber doch stilvollen Schnitt. Der einzige Nachteil war, dass sie strahlendweiß war – was in den Straßen Ägyptens nicht lange so bleiben würde. Sie wandte sich an Axilla, die ebenfalls etwas herumstöberte. „Weißt du, ob der Händler eine Möglichkeit bietet, die Sachen anzuprobieren? Wenn die Tunika passt, würde ich sie auch gleich tragen.“

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