Arbeitszimmer | Von Vätern und Söhnen

  • Es war bereits früher Abend, violettene und mauvefarbene Wolken zogen sich in pudrigen Schlieren über den dunklen Himmel Roms, und in der Villa Flavia herrschte ein weiches, goldfarbenes Licht vom Schein der Kerzen, welches die Konturen weicher und die Schatten kräftiger erscheinen ließ, wie auch eine wohlige Wärme, denn ob der Sensitivität seines Sohnes wegen hatte Gracchus bereits das Beheizen der Hypokausten angeordnet. Zwar entwickelte der Junge sich prächtig, doch zu viele Neugeborene wurden alljährlich durch den Herbst gekränkt und den Winter dahin gerafft - wenn auch in patrizischen Kreisen nicht eben in übermäßiger Zahl -, so dass der besorgte Vater kein Risiko wollte eingehen, denn obgleich theoretisch augenscheinlich durchaus die Möglichkeit war gegeben, ein weiteres Kind mit Antonia zu zeugen, so war doch der Akt der Zeugung des ersteren mehr als nur eine rechte Mühe gewesen, so dass niemand konnte sagen, wie lange es zur nächsten Geburt hin mochte dauern, wie auch Gracchus nicht gewillt war, nur einen einzigen seiner Nachkommen den Widrigkeiten des Lebens zu opfern. Den Tag an der Seite seiner Frau und seines Sohnes verbracht - augenscheinlich bot die Betrachtung eines kleinen Kindes und die Freude darob durchaus genügend Kurzweil für einen Tag, denn Gracchus konnte sich nicht dessen entsinnen, mit was im Einzelnen er die ganze Zeit hatte zugebracht -, und nach einem kleinen Mahl zum Abend hin - sonderlich viel Appetit verspürte er dieser Tage nicht -, schickte Gracchus sich nun an, in sein Arbeitszimmer zurück zu kehren, war bereits auf dem Wege, als ihm zu Bewusstsein kam, dass dies nicht der Weg in sein Refugium war. Selten, doch ab und an, vergaß er seit dem Tage da er in die Dunkelheit war gefallen, was Augenblicke zuvor noch in seiner Absicht hatte gelegen, manches mal gar stellte er voller Erschrecken fest, dass er sich nicht dessen konnte erinnern, dorthin aufgebrochen zu sein, wo er sich augenblicklich wiederfand, oder gar weshalb er jenen Weg hatte eingeschlagen, doch an diesem Tage war sein Empfinden different, denn obgleich er nicht wusste, weshalb seine Schritte ihn hatten gelenkt wie sie dies hatten getan, so war dies nur von marginaler Bedeutsamkeit, da sie ihn direkt vor die Türe seines geliebten Vetters hatten geführt. Nur wenige Augenblicke lang zögerte Gracchus, ehedem er seine Hand erhob und aus der Neigung einer Laune heraus an die Türe klopfte, unwissend, ob Aquilius bereits aus den Tempeln war nach Hause gekehrt, oder ob er dieser Tage überhaupt seine Zeit dort verbrachte.

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  • Schweigend hatte ich einige Zeit in meinem Arbeitszimmer gesessen, das vom leicht in der Zugluft flackernden Öllicht erhellt wurde - zwar lag eine Schriftrolle mit einer längeren Liste an Ausgaben und Einnahmen vor mir auf dem Schreibtisch, aber ich hatte sie seit längerem nicht angesehen. So vieles ging mir derzeit durch den Kopf, und bei dem vergeblichen Versuch, meine Gedanken zu ordnen, war ich abgeschweift und schließlich gänzlich vom Thema abgekommen, weswegen ich mich eigentlich zurückgezogen hatte. Wahrscheinlich würden die Abrechnungen noch ein halbes Jahrhundert auf meinem Schreibtisch einstauben, wenn sie nicht von kundiger Hand bearbeitet wurden - genauer gesagt, von jeder anderen Hand als der meinen. Schätzungsweise war fast jeder andere geeigneter für diesen Listenkram als ich.
    Dass es dann an der Türe klopfte, riss mich mit Gewalt wieder zurück in die Realität, und schon war ich stark in Versuchung, so zu tun, als wäre ich nicht da und irgendein unachtsamer Sklave hätte das Licht brennen lassen. Aber ich wusste auch, dass die wenigsten Dinge, vor denen man sich drückte, sich damit erledigten, also schickte ich mich in mein Schicksal und sagte vernehmlich: "Herein, solange es kein Prätorianer ist!" Als sich die Türe dann öffnete und mir mitnichten ein Prätorianer gegenüberstand, kehrte ein wenig Wärme und Freude in meinen recht stillen und einsamen Abend zurück - es war mein Vetter, mein Manius, und anscheinend war er gekommen, um irgend etwas mit mir zu besprechen. "Komm doch herein, Manius, und setz Dich zu mir," sagte ich und machte eine einladende Geste hin zu meinem Schreibtisch, während ich die Schriftrolle mit der Abrechnung unauffällig beiseite schob. Er sollte nicht glauben, ich müsste mich mit dergleichen beschäftigen, das nahm unserem Verhältnis irgendwie die Leichtigkeit, die Sorglosigkeit - Schwierigkeiten gab es anderso schließlich genug. "Was führt Dich denn zu mir?"

  • Das weiche Licht schien auseinander zu fließen, sich begierig um jedes Ding im Raume zu schmiegen, dessen es habhaft konnte werden, so dass die Welt jenseits der Türe so gänzlich anders schien als diesseits. Nachdem er die Schwelle zu jenem Reich überschritten hatte, konnte Gracchus beinah die Präsenz seines Vetters greifen, wie stets, der klandestine Odeur nach Vertrautheit kitzelte unmerklich in seiner Nase, und es schien ihm beinahe, als könne er das Heben und Senken Caius' Brust im Zuge des Atmens hören. Es war Gracchus, als kehre er nach Hause zurück, als fielen jegliche Sorgen und Gedanken von ihm ab, als blieben der Fluch und all die zahllosen Larven am Türrahmen hängen, wo sie zeternd und zornig konnten harren, während er selbst in ein profanes Elysium eintrat.
    "Caius"
    , grüßte er ihn, nannte ihn als könne er sich ihn damit einverleiben, in weichem Tonfall, ganz ohne Haken und Stückelung, geleitet nur von einem feinen Lächeln, welches seine Lippen leicht kräuselte und in seinen Augen ein zufriedenes Strahlen zum Leuchten brachte. Gracchus setzte sich seinem Vetter gegenüber, und obgleich der Tisch schwer und massiv war, so war nichts zwischen ihnen, nicht der Anschein einer Barriere, nur ein unscheinbares, unsichtbares Band, welches sie einander verbunden hielt.
    "Mein' Füße waren es"
    , antwortete er schließlich wahrheitsgemäß, doch mit verschmitztem Lächeln auf seines Vetters Frage und suchte zu blicken, mit was jener augenblicklich beschäftigt war, da er ihn nicht von wichtigen Aufgaben wollte abhalten, doch Aquilius schien nur seinen Gedanken nach zu hängen. In immersiver Geste hob Gracchus' langsam seine linke Schulter in der Andeutung eines Schulterzuckens.
    "Aber ... wenn du kein' Zeit hast, ... komme i'h ... ein and'res mal ... wied'r."

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  • "Diese Füße werden mir sympathisch," meinte ich mit einem trockenen Grinsen, das die Scherze unserer Jugend wieder herauf beschwören sollte. "Du kannst ihnen gern ausrichten, dass ich das eine gute Sache finde und sie sich ruhig öfter in diese Richtung bewegen können, dann lege ich vielleicht auch ein bequemes Kissen für sie bereit." Ich streckte meine Beine aus, was ich oft tat, wenn ich mich entspannte, und betrachtete das so vertraute Gesicht meines Vetters und Geliebten im warmen Schein der flackernden Lampe. Das Licht verlieh ihm eine Wärme und Lebendigkeit, die ich früher bei ihm oft vermisst hatte, doch seit der Geburt seines Sohnes schien es ihm besser zu gehen, schien er zufriedener, auch wenn diese unselige Verstümmelung der Sprache noch immer der Fall war. "Ich habe für Dich doch immer Zeit, das solltest Du langsam wissen, Manius - und selbst wenn ich Wichtiges zu tun hätte, es könnte nicht so wichtig sein wie einige Worte mit Dir zu wechseln, wir kommen ohnehin viel zu selten dazu, ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen." Es war nicht als Vorwurf gemeint, und ich hatte nicht einmal an körperliches Zusammensein gedacht - diese Ebene unseres Lebens war nie die wichtigste gewesen, wenngleich sie sehr freudvoll sein konnte. Aber hätte ich wählen müssen zwischen Gesprächen mit ihm, dem geistigen und intellektuellen Austausch und jenem unserer Körper, so hätte ich wohl auf den unserer Körper eher verzichten können als mich ihm in der Seele nah zu fühlen.
    "Möchtest Du etwas trinken? Ich habe gerade einen Weißen von meinem eigenen Gut hier, vielleicht schmeckt er Dir ja auch ein wenig." Sein Geschmack war erlesen, und ich erwartete nicht, dass der Wein uneingeschränkt seine Gnade finden, dafür waren die Reben noch zu jung - aber ein bisschen stolz war ich schon darauf.

  • Ein offenes, ehrliches Lächeln zog sich mit Aquilius' Scherz über Gracchus Antlitz, weitete sich gar derart aus, dass seine Zähne zwischen den Lippen hervor blitzten, ein überaus seltener Anblick, doch im trauten Angesichte seines geliebten Vetters hatte er kaum je einen Hehl aus seiner Emotion gemacht, ausgenommen in früherer Zeit aus jener feurigen Glut des Verlangens in ihm.
    "I'h werde es mein'n Füßen ausri'hten, sie sind ohn'hin viel zu träge in ... der letzten Zei'."
    Seine Miene noch immer von einem Schmunzeln überzogen, streckte auch Gracchus einen Fuß unter den Tisch, bis dass die Spitze diejenigen Caius' Füßen erreichte, blickte hernach von unten einem Wimpernschlag folgend wieder auf, legte den Kopf ein wenig schief. Der Tag war längst weit genug fortgeschritten, Wein pur zu goutieren, und Gracchus war durchaus gespannt darauf, was Caius ihm würde kredenzen, denn unbezweifelt musste dies aus der Hand seines Vetters ein überaus exquisiter Tropfen sein.
    "Wie könnte i'h irgend etw's von dir wid'rstehen, und sei es nur deinem Rbnsf ... Rebsf ... "
    Unwillkürlich spannte Gracchus die Kiefermuskulatur an, schloss für einen Herzschlag die Augen, um den Rebensaft vor sich zu visualisieren, die Buchstaben Stück um Stück in ihre Reihe aus der Welt hinaus zu setzen, doch letztlich war seine Furcht zu groß, dass auch im dritten Versuch nicht jenes Wort aus seiner Kehle würde dringen.
    "... dein'm Wein."
    Sogleich ließ Gracchus eine Frage folgen, die Verlegenheit seines Makels eilig zu überdecken, fand dabei zurück zu einem subtilen Lächeln.
    "Hat er schon ein'n Nam'n? Der Wein, meine i'h."
    Einem Wein einen Namen angedeihen zu lassen, war ungleich diffiziler denn dies bei einem Kinde der Fall war. Wer der alten römischen Tradition diesbezüglich folgte, nannte seinen Erstgeborenen nach sich selbst, hängte ihm allenfalls ein Minor an, wie auch Gracchus dies hatte getan. Hernach folgende Söhne waren ebenso simpel zu benamen, der nächstgeborene Secundus mit Praenomen, gefolgt von Tertius, schließlich Quartus, Quintus und Sextus, und selbst so nach diesem die Reihe nicht würde ihr Ende nehmen, so war die Aufzählung unbegrenzt noch fortsetzbar, gleichsam wie eine solche numerische Reihe im Falle der Töchter war anwendbar. So komplex und tiefschichtig Gracchus' Gedanken auch mochten bisweilen sein, um so mehr drängte es ihn in solch gewichtigen Angelegenheiten wie der Benamung seiner Nachkommen danach, sich einem simplen Muster hinzugeben. Wein jedoch war von Beginn an ein kompliziertes Gebilde aus Couleur, Konsistenz, Aroma, Geschmack, Nachhall und Empfinden, welchem in all seinen Facetten musste durch seinen Namen Rechnung getragen werden, so seine Güte in ausreichendem Maße sollte honoriert werden. Der Name eines Weines musste klingen wie jene Komposition, welche er in einem Menschen auslöste, und so einfach dies Prinzip zu nennen war, so ungleich komplizierter war es jenen Namen zu finden.

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  • Es war fast wie früher. Ein Moment des stillen Einverständnisses, des Verstehens ohne Worte, wie es gewesen war, als wir noch junge Männer gewesen waren. Gemächlich war die Zeit verstrichen, und doch rasend schnell, sodass mir die Abfolge der Wochen und Monate heute rasend schnell vorüber gestrichen schien. Wenn wir allerdings so zusammen waren wie heute, dann kehrte diese Zeit zurück, und ein kleines Echo dieser Tage hatte sich soeben in mein Arbeitszimmer geschlichen und umschmeichelte uns wie ein wärmender Sonnenstrahl an einen kühlen Wintertag. Leicht schmiegte ich meine Füße an die seinen, vollkommen zufrieden mit dieser Art Kontakt und blickte ihn lächelnd an, ließ mich in seinem Blick versinken, wie wir es schon so oft getan hatten.
    Das Gespräch über die Ehe, das ich vor einigen Tagen mit Antonia geführt hatte, kam mir wieder in den Sinn, und auch der Gedanke, dass eine Frau, die ich heiraten würde, mich mit ebensolcher Zufriedenheit erfüllen müsste, wie es mein Manius tat, damit ich völlig glücklich werden würde. Aber das würde ich ihm nie sagen, und Antonia ebensowenig. Ein solches Verständnis, eine solche Nähe zwischen zwei Menschen gab es nicht einfach so, und nicht oft. Wahrscheinlich musste ich mich schon glücklich schätzen, dass wir uns gefunden hatten, trotz aller Widrigkeiten, denn es war ein Geschenk der Götter, sich nicht seelisch allein zu wissen.


    „Aber überanstrenge Deine Füße nicht, Manius. Sie haben auch ein Recht darauf, sich ab und an auszuruhen, und unter allem, was man so möchte, vergisst man gerne, dass die Kraft, die man braucht, auch ein bisschen der Regeneration bedarf.“ Gerade Manius war, wenn er ein Amt oder irgendeine Pflicht hatte, dazu prädestiniert, sich zuviel zuzumuten, das hatte ich jetzt oft genug miterlebt. Nicht zuletzt deswegen hatte ihn während seiner letzten Amtszeit diese seltsame Krankheit befallen, die ihm noch immer die Worte zu rauben schien. Schmerzlich genug musste ich jeden seiner Wort-Stolperer miterleben und litt bei diesen wahrscheinlich mehr als er darunter, wohl wissend, wie eloquent er sich einst auszudrücken gepflegt hatte. In seinem Inneren mussten diese Worte noch existieren, sie wollten sich nur nicht aussprechen lassen.


    „Bisher hat er noch keinen Namen bekommen – dafür sind die Reben zu jung, als dass man ein endgültiges und zutreffendes Urteil über den passenden Namen fällen könnte. Ich finde aber, er hat wirklich Potential, in einigen Jahren ein wirklich guter Wein zu werden, der zumindest hier in der Gegend bekannt sein dürfte für einen vollen, runden Geschmack. Auch die roten Reben dieses Jahres lassen mich hoffen, dass sich das Weingut irgendwann rentieren wird – ich gebe es ja nicht gerne zu, aber im ersten Jahr dachte ich wirklich, der alte Besitzer hätte mir Ramsch angedreht, weil der Wein so gar nicht geraten wollte, wie er sollte; aber wahrscheinlich musste ich einfach nur Geduld haben.“ Ich erhob mich (ein wenig widerstrebend, denn es kostete mich vorübergehend den Fußkontakt mit Manius) und trat zu jenem Krug mit Wein, der auf die Zeit meiner Muße geduldig gewartet hatte, um dann uns beiden einen Becher einzuschenken – nachdem ich meinem Vetter seinen Becher gereicht hatte, nahm ich wieder Platz und lehnte mich erneut zurück, die alte Haltung einnehmend. „Worauf möchtest Du trinken? Auf den kleinen Gracchus?“

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    In stillem Genuss verfolgte Gracchus die trauten, agilen Bewegungen seines Vetters, nahm den Wein entgegen und roch an der opaquen Flüssigkeit darin, bis dass Caius erneut ihm gegenüber saß. Feine Wellen kräuselten die Oberfläche, als er den Becher ein wenig drehte, zerwarfen die Reflexionen des Lichtes, vergrößerten gleichsam die Fläche, an welcher die Luft nach dem Wein leckte - und vice versa. Es war kein runder Odeur, welcher dem Gefäß entströmte, ein wenig blass zudem, gleichsam jedoch nicht säuerlich oder zu süß, zu jung, um Charakter zu besitzen, doch alt genug für ein saturierendes Zwischenspiel. Ein feines Lächeln umspielte Gracchus' Lippen, als er den Becher hob.
    "Auf Manius ... Gracchus Minor!"
    Der Wein benetzte seine Lippen, strich zart über Zunge und Mundraum hinweg, umschmeichelte einige Herzschläge lang seinen Gaumen, ehedem der erste Schluck in den Tiefen seiner Kehle verschwand, die Speiseröhre hinab rann und bis in den Magen ein Aufflammen kühler Frische hinterließ, um hernach die Glut des in ihm enthaltenen Alkohols zu entfachen, sich wohlig durch die Bahnen des Körper zu winden, während in der Nase allmählich der Nachhall aus Aroma und Odeur sich entfaltete, die Sinne entrückte. Gracchus legte seinen Kopf ein wenig schief, als würde er dem Klang des Weines lauschen - fernes Prasseln aus sonnenfarbenen Regentropfen, sanft fluoreszierend, in kleinen Wirbeln säuselnd und aus sphärischen Höhen flüsternd -, sah blicklos durch die Wand hinter Aquilius hindurch, ehedem er langsam nickte.
    "Ni'ht übel, er besitzt unb'zweifelt Poten..tial, obglei'h i'h dir würde raten, ihn no'h weder bei einem ... Mahl mit wi'htigen politischen Gästen, no'h mit einer anspru'hsvollen Frau, deren Anwe..senheit für die Na'ht du begehrst, ausz'schenken. Allfällig im nä'hsten Jahr."
    Die Tropfen eines weiteren Schluckes perlten durch sein Innerstes, verstärkten das wohlige Gefühl im Bauche, welches sich bei Gracchus recht bald einzustellen pflegte, vor allem, da er bereits während des Mahles unverdünnten Wein hatte zu sich genommen. Er sog tief durch die Nase Luft ein, ließ noch ein wenig weiter sich in den Stuhl sinken, füßelte mit Caius und sah versonnen zu seinem Geliebten hin.
    "I'h kann es immer no'h ni'ht ganz fassen, na'h all der Zeit, der ver..gebli'hen Mühe, der Fur'ht, der Desp'ration ..."
    Ein Schmunzeln überzog seine Lippen.
    "Du solltest di'h mit der Ho'hzeit beeilen, Caius, wenn es herna'h glei'hsam so lange ... dauert, bist du ein alt'r Mann bis dein erster Sohn das Li'ht der Welt er..blickt."
    Er ignorierte dabei, dass Aquilius längst einen Sohn in die Welt hatte gesetzt, denn jener Junge war der Sohn einer Fischerin, würde selbst kaum je mehr sein, und darob nicht geeignet, das flavische Erbe anzutreten.

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  • Auch ich nahm einen guten Schluck meines noch nicht ausgereiften Weines, um auf das Wohl seines Sohnes zu trinken, wohl wissend, dass mit Gracchus‘ Urteil für mich viel an diesem Wein hing. Würde er ihm nicht schmecken, wäre wohl auch mein Interesse an diesem Weingut gestorben, würde er seinen Geschmack treffen, wäre ich wohl ein umso eifrigerer Weinanbauer als zuvor. Und es geschah, er spuckte nicht sofort aus, was sich in seinem Becher befunden hatte, sondern sprach bedächtig und wohlüberlegt sein Urteil, wie es eben seine Art war und wohl immer seine Art sein würde. Seine Worte freuten mich, als er meine Einschätzung bestätigte, und so dankte ich ihm mit einem leichten, aber umso tiefer empfundenen Nicken für seinen Willen, den Wein zu probieren und ihm eine Chance zu geben.
    „Ein Jahr mindestens, da kann ich Dir nur zustimmen, vielleicht eher zwei, um sicher zu gehen – allerdings kann in diesen zwei Jahren viel geschehen. Hätte ich vorher gewusst, wie viele Entscheidungen man für ein Weingut immer wieder treffen muss, ich hätte es mir gut überlegt, ob ich es gekauft hätte. Wobei der Preis günstig war, der vorherige Besitzer hatte daran seine Freude verloren und wollte es schnell loswerden, ohne zu ahnen, was aus seinen Weinen noch werden könnte. Vielleicht hat ihm auch einfach nur die Geduld gefehlt, auf den Ertrag zu warten, ich weiss es nicht. Aber nun ist es mein Gewinn.“ Eher ein Zufall, denn in Geschäftsdingen hatte ich oft bisher mehr Glück als Verstand besessen; wenigstens hatte mir nie die Einsicht gefehlt, wovon ich überhaupt nichts verstand.


    Sachte rieb ich meinen Fuß an seiner Wade, lehnte mich bequem zurück und lächelte leicht, als er von der Vergangenheit sprach.
    „Nun, ich konnte nie glauben, dass die Götter einen Mann, der ihnen so aufopfernd und treu Dient wie Du, nicht belohnen sollten; es hat einfach ein bisschen länger gedauert, mit einem umso schöneren Effekt: Der kleine Manius ist ein so prächtiger Junge, und er macht Dich und Deine Frau glücklich, was will man sich mehr wünschen? Ihr habt es beide sehr verdient, dieses Glück zu erleben, und wenn ich mir euch so betrachte, dann scheint es mir, als hättet ihr es nun gefunden. Auch wenn es gedauert hat, man neigt doch dazu, die Dinge höher zu achten, die einem nicht sogleich in den Schoß fallen.“
    Lächelnd hielt ich inne und betrachtete meinen Liebsten für eine Weile.
    „Ach weißt Du, Manius, die Frau, die ich wegen einer Ehe fragen wollte, ist nun seit einer längeren Weile auf Reisen und eine andere will ich nicht, denn sie scheint mir die Art von Frau zu sein, mit der ich leben könnte, ohne zu verzweifelt zu sein. Solch eine Frau findet man nicht überall, und nicht jeden Tag aufs Neue. Dass ich fruchtbar bin, weiß ich – ich habe bereits ein Kind und das zweite wird bald zur Welt kommen, ich muss diese Bestätigung nicht mehr suchen. Ich will einfach nur versuchen, mit dieser Ehesache nichts falsch zu machen, um es nicht ewig zu bereuen, wenn es geschieht. Im Augenblick ... fällt es mir schwer, keinen Neid zu empfinden, wenn ich Dich und Marcus sehe, ich sage es Dir ehrlich. Aber deswegen überstürzt eben irgendeine Frau zu heiraten, halte ich für den falschen Weg, mit alledem umzugehen.“ Diesmal driftete mein Blick fort, denn das, was ich sagen wollte, wusste er ohnehin – dass ich den Menschen, den ich wirklich liebte, ohnehin niemals würde haben können.

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    Manch einer mochte behaupten, Aquilius hatte in mancher Hinsicht mehr Glück als Verstand - gerade ihre Väter waren stets von solchen Worten überzeugt gewesen -, denn noch in den seltensten Fällen hatte sich aus Aquilius' spontanen Einfällen, außergewöhnlichen Plänen oder ungeplanten Abenteuern ein Nachteil für ihn ergeben, doch für Gracchus war dies stets nur Ausdruck der Leichtigkeit, mit welcher sein Vetter durch das Leben wandelte, der unbeschwerten Lebenslust, mit welcher er fähig war aus jeder noch so geringen Glut ein reißendes Feuer zu entfachen, aus jedem noch so winzigen Samen einen prächtigen Baum erblühen zu lassen, oder aus einem vertrockneten Weinstock eine reichlich Früchte tragende Rebe.
    "Du hatt'st schon immer ... das Talent, auf brü'higem Fund'ment die prä'htigsten und robustes..ten Gebäude zu erbauen. Im Übrig'n ist dies au'h ... einer der Vorteil' der Ehe, die wirtschaftli'he Verwal..tung von Besitz und V'rmögen ... kannst du getrost deiner G'mahlin über..lassen, ni'ht nur aus gesell..schaftli'h bedingter Kons'quenz, sondern au'h, da Frauen tatsächli'h eine diesb'zügliche Begabung ... zu besitzen scheinen, zumind'st so man von Antonia verallg'meinern kann."
    Wirtschaftliche Belange waren Gracchus stets gleich zuwider gewesen wie die Politik, doch während er sich letztlich in letztere hatte hineindrängen lassen, so hielt er von ersteren noch immer weiten Abstand, so es sich einrichten ließ. Die Worte seines Vetters hinsichtlich seiner eigenen Person glitten wie stets an der für Lob und Zuspruch undurchdringlichen Hülle seiner Person ab, wurden von Gracchus nur mit einem feinen Lächeln über die ihnbezüglich durch seine Liebe verfälschte Wahrnehmung quittiert, letztlich gar schüttelte er den Kopf.
    "Denno'h, allfällig wäre Antonia vieles an ... Qual erspart g'blieben. Hätte i'h nur vorher geahnt ... nun, es ma'ht ohnehin keinen Unter..schied mehr, die Vergang'nheit lässt sich ni'ht ändern, ... nur aus ihren Fehl'rn lernen. Denno'h, i'h bin ni'ht der Ansi'ht, dass eine Frau vor der Ehe ... b'reits als jene Frau erschein'n muss, mit wel'her du leben mö'htest. Selbst wenn Antonia und i'h von Beginn an jene Missver..ständ..nisse hätten ausgeräumt, i'h hätte denno'h niemals mit ihr leben wollen. Die Liebe einer Ehe muss erwa'hsen, um stet'g sein zu können, dessen bin i'h mir si'her."
    Ein wenig unsicher ließ Gracchus seinen Blick im Raume umher schweifen, fuhr sich mit der Zunge über die Lippe, sog schlussendlich die Unterlippe zwischen den Zähnen hindurch, ehedem er in Aquilius' Augen sah.
    "I'h hätte niemals ge..glaubt, dass es soweit ... könnte kommen, do'h ... i'h liebe sie, Caius. Schon bevor sie schwang'r wurde, ... haben wir vieles klären könn'n, was zwischen uns ... stand, uns einander an..genähert. I'h werde sie niemals beg'hren können, wie i'h di'h begehre, ... glei'hwohl wie i'h sie niem'ls lieben werden kann, wie ich ... di'h liebe, und do'h ... und do'h ... auf eine and're Art. Ergibt ... das einen Sinn, Caius?"
    Forschend betrachtete er das Antlitz, welches er stets so viel mehr hatte begehrt denn dasjenige seiner Gemahlin, jenes Gesicht, in welchem sich die gesamte Wahrheit der Welt für ihn spiegelte, jene Miene, die ihm stets so vertraut war, mehr noch als seine eigene. Keinen Augenblick hätte er noch vor einigen Monaten gezögert, sich zwischen seiner Gemahlin und seinem Geliebten für jenen, sein Gegenüber zu entscheiden, doch mittlerweile wusste er, eine Entscheidung würde ihn mittig zerreißen, die Abkehr des einen, wie auch der anderen ihn zerbrechen lassen. Einige Augenblicke lang wünschte Gracchus, sein Sohn wäre nicht sein Sohn, sein Sohn hätte der Sohn seiner Gemahlin und seines Geliebten können sein, so dass das Beste aus beiden in seinem Nachkommen wäre vereint gewesen, er mit beiden hätte das Wertvollste teilen können. Doch er hatte seinen eigenen Sohn gezeugt, wie auch Aquilius fern Gracchus' Welt seine eigenen Kinder hatte gezeugt. Seine eigenen Kinder. Kinder. Augenblicklich schob sich Gracchus' Braue empor, suchte gar die Grenzen seines Antlitzes zu sprengen, zog die Derangierung deutlich über sein Gesicht.
    "Das zweite?"
    , fragte er völlig aus dem zuvor angesprochenen Zusammenhang gerissen.

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