Ohne zu zögern trank ich auf alle Männer, die Serapio nannte. Danach musste ich wieder feststellen, dass Serapio ein fantastischer Erzähler war, und während draußen der kalte Regen vom Himmel peitschte und der raue Wind scharf um die Häuser strich, konnte ich die heiße Sonne Parthiens, die sich in Lucullus' blauen Augen spiegelte, auf meiner Haut spüren, begegnete ich einem Mann, den ich nie gekannt hatte und nie kennen würde, und erinnerte mich an Fetzen einer Schlacht, die ich nie geschlagen hatte, an den Lärm der Roma Victrix-Schreie, an den Geruch nach verbranntem Fleisch als die Leichen in Haufen eingeäschert wurden, und das Knirschen der parthischen Knochen zwischen den Schakalsgebissen. Trotzdem blieb mein Gespür in dieser aufgeheizten Taberna mitten in Rom und ich musste nicht sehen können, um zu bemerken, wie sehr das alles Serapio bewegte und wie aufgewühlt er am Ende seiner Worte war.
"Das macht nichts, du brauchst dich wirklich nicht entschuldigen.", entgegnete ich ihm aufrichtig. "Niemand, der nicht dabei war, kann ermessen, wie das gewesen ist. Und niemand, der etwas nicht ermessen kann, hat das Recht, darüber zu urteilen oder über die Folgen, die daraus entstehen!"
Ich wusste, wovon ich sprach. Ich hasste es, wenn Menschen, die nicht ermessen konnten, wie es ist, nichts zu sehen, glaubten, darüber urteilen zu können, was ich konnte oder nicht, zu was ich in der Lage war oder auch nicht. 'Du bist blind, du kannst das nicht' - oft genug hatte ich diesen Satz oder eine Variation davon gehört, von Menschen, die den ganzen Tag lang sahen und keine Ahnung hatten, wie man ohne Sicht lebte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was Serapio gesehen und erlebt hatte, denn selbst seine Erzählungen würden nur immer ein Teil der Wahrheit sein, und durch meine eigenen Sinne hindurch gesiebt würde am Ende nur noch ein Bruchteil davon in mir übrig sein. Trotzdem, obwohl ich nicht ermessen konnte, was Serapio erlebt hatte, war ich davon überzeugt, dass es noch weitaus schlimmer war, so etwas gesehen zu haben, als sein Leben lang nichts zu sehen.
An einem Tisch irgendwo neben uns wurden wieder Stimmen laut. Es mussten die Würfler sein, die da lauthals danach krakelten die Zeche zu bezahlen. Dann klimperten Münzen, die Bedienung bekam einige unflätige Bemerkungen entgegen geschleudert und Bänke und Stühle wurden gerückt. Die Meute setzte sich in Bewegung, verursachte noch einmal unverhältnismäßig viel Lärm, als sie die Taberna verließ und die Tür laut zurück in den Rahmen schlug. Auf diesen regelrechten Tumult folgte eine merkwürdige Stille, als würden sich plötzlich alle Gäste bewusst, wie laut ein Wort im Schweigen hallt. Auch unser Tisch hing einige Augenblicke in diesem Schweigen gefangen, das erst durchbrochen wurde, als ich den Weinbecher nach einem kräftigen Schluck mit einem Klacken zurück auf den Tisch stellte.
"Als Junge wollte ich auch Soldat werden, ich bewunderte sogar die Urbaner und Vigiles für ihren aufregenden Dienst." Ich lachte leise. Es mochte durchaus sein, dass Urbaner und Vigiles einen aufregenden Dienst schoben, allerdings konnte ich mir das mittlerweile nicht mehr recht vorstellen. Was passierte in Rom schon? Seit ich hier war, hatte ich noch keine großartigen Verbrechen bemerkt (zu meinem eigenen Glück, denn dass ich nicht unbedingt der schnellste und aufmerksamste Bemerker war, verdrängte ich immer).
"Meine Brüder haben immer gelacht und ich habe so manches Mal Prügel bezogen, wenn ich sie mit meinem Holzgladius herausgefordert hatte. Später hat sich das dann sowieso erledigt, meine Reaktion auf einen Schwertstreich ist ziemlich schlecht, aber ... an meiner Bewunderung für die Soldaten hat sich bis heute nichts geändert." Meine Stimme glitt ein bisschen ins Pathetisch-Patriotische ab, als würde ich einem Barbaren über die Größe Roms dozieren (sicher eine Nebenwirkung des Weins). "Die Legionen Roms sind der Grundstein unseres Imperiums, ohne sie wäre Rom immer noch ein Dorf voller Bauern! Wir vergessen das viel zu oft, wenn wir uns in unsere Gewänder aus syrischer Seide hüllen, uns mit ägyptischem Parfüm einsprühen, Schuhe aus germanischem Leder tragen und uns von afrikanischen Sklaven den gallischen Wein auftischen lassen! Apropos, Tuktuk, was macht der Weinnachschub?"
"Sie ist schon auf dem Weg."
"Perfekt. Hast du vor, im Militär zu bleiben, Serapio?" fragte ich diesen. Viele Soldaten versuchten sich nach einem Krieg ein anderes Leben aufzubauen. In Ravenna gab es einige Flottenangehörige, die sich auf Dauer dort zur Ruhe gesetzt hatten. Die meisten hielten sich mehr schlecht als recht über Wasser, denn die wenigsten hatten ein Handwerk oder ähnliches gelernt.
Die Leisen Schritte der Bedienung hörte ich schon nicht mehr (der Wein raubt auch mir irgendwann die verbliebenen Sinne), wie der Krug auf dem Tisch abgestellt wurde, entging mir natürlich nicht. Jemand schenkte ein, vermutlich Tuktuk. Beinah wollte ich glauben, das Füllhorn der Fortuna hätte meinen Becher berührt, so stetig war der Weinfluss. Zwar würde die Rechnung irgendwann kommen, doch ich würde sie weder sehen, noch hören, einer der Vorteile, wenn man sich um Sesterzen keine Sorgen zu machen brauchte.