Episode I: Die dunkle Verlobung


  • Im Süden des Esquilin, am Fuße eines kleinen, nur spärlich bewaldeten Hügels außerhalb der Servianischen Mauer und daher ruhig gelegen, befand sich ein kleines, nur selten genutztes Amphitheater. Ich hatte vor Jahren einmal einer Aufführung dort beigewohnt, und sowohl die schöne Lage als auch die widererwartens gute Akustik waren mir im Gedächtnis hängen geblieben. Diesen Ort hatte ich mir ausgesucht, und Brix war bereits vor rund zwei Wochen mit dem Verwalter des kleinen Theaters in Verbindung getreten, um ein Abkommen auszuhandeln. Für den heuten Nachmittag und den Abend hatte ich mir die Freiheit genommen, das Theater zu mieten. Der Verwalter hatte Verbindungen zu einer kleinen Truppe von Mimen, und diese Beziehung wurde genutzt, um dem geplanten Vorhaben Programm beizusteuern. Ich erhoffte mir dadurch einerseits Kurzweil, andererseits insofern abendfüllendes Programm, alsdass ich nicht turtelnderweise den Abend verbringen musste.


    Heute war es nun also soweit, mittig waren bequeme und wärmende Sitzpolster und Kissen in sattem Dunkelrot mit gelben Quasten drapiert worden, damit man bequem saß und sich zudem nicht verkühlen konnte. Unzählige Öllampen waren verteilt und bereits entzündet worden, obgleich es noch ein wenig dauern würde, bis die Sonne den Horizont küsste. Ein wenig entfernt, zwischen den schlanken Stämmen der Bäume, hielten sich eine Hand voll Sklaven bereit, um Getränke und vorbereitete Kleinigkeiten zu servieren - Austern befanden sich nicht darunter, ebensowenig wie roséfarbene Schmankerl. Unten um das Bühnenrund herum waren Feuerschalen aufgestellt worden, die später gewährleisten sollten, dass man auch sah, was unten vor sich ging. All dies erfasste ich mit einem langen, verkniffenen Blick, dann nickte ich dem wartenden Verwalter zu, der daraufhin grinste, verschwand und mich allein wartend zurück ließ. Ich war eigentlich niemand, der auf derlei Kleinigkeiten Wert legte. Zweifelnd besah ich mir den ganzen Tand nochmals, fühlte mich fehl am Platze - und doch war Prisca der Meinung gewesen, die vielen Lichter würden in der Dunkelheit eine ansprechende Wirkung auf Celerina haben.


    Eine schlichte weiße toga kleidete mich, darunter eine azurfarbene tunica mit silbernen Verzierungen, sowie schlichte, hellbraune Sandalen aus Antilopenleder. Die obligatorischen Ringe waren den Fingern zwar aufgesteckt, auf sonstigen Putz hatte ich bewusst verzichtet. Langsam begab ich mich zum oberen Ende des Amphitheaters, leicht nachdenklich darauf wartend, dass die Sänfte mit dem aurelischen Löwen darauf auf der geschlungenen Straße bald in Sicht käme. Ich bezog Posten an einer Stelle, von der aus man das Theater noch nicht einsehen konnte, zwischen jungen Pinien, Zedern und einigem anderen Gesträuch, seufzte, und heftete meinen Blick auf jenen Punkt in der Ferne, in welcher die Sänfte bald würde zu sehen sein.

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    Zunächst nur ein Punkt, der erst allmählich Gestalt annahm, kroch die Sänfte einer Raupe gleich vom Horizont dem Theater entgegen. Unruhe keimte in mir. Seit dem roséfarbenen Fiasko hatten wir uns nicht wiedergesehen. Im Anschluss an das Gespräch mit Aquilius war ich nicht geblieben, um Celerina einen kurzen Besuch abzustatten. Vorgeblich dringliche Geschäfte hatten mich eine erneute Begegnung, die womöglich ähnlich peinlich wie jene im Garten geendet hätte, umschiffen lassen. Nun stand ich dort, den Stoff meiner toga über dem Arm, und erwartete mit gemischten Gefühlen die Sänfte, die sich quälend langsam näherte. Es gab nun kein Zurück mehr, selbst nicht in dem Wissen, dass Siv mein Kind unter dem Herzen trug.


    Letztendlich stoppte die Sänfte nur wenig entfernt, die Träger, welche vormals im Gleichschritt gelaufen waren, um unangenehmes Schaukeln zu vermeiden, setzten das schwere Holzgefährt ab und ich trat heran, ein möglichst erfreutes Lächeln auf den Lippen. Ein Sklave in rotbrauner tunica strich einseitig den Vorhang zur Seite, verbeugte sich kurz und trat dann zurück. "Flavia Celerina", grüßte ich sie und reichte ihr die Hand, um den Ausstieg zu erleichtern. Hin und wieder segelten bunte Blätter herab, gingen flirrend zu Boden und gesellten sich zu dem Laubteppich dazu, mit dem ab und an der Wind einen Reigen tanzte. ich betrachtete die Flavierin, ignorierte die Sklavin, die ihr Schatten war - Siv hatte ich ganz bewusst nicht hierher mitgenommen - und neigte ehrerbietend den Kopf. "Wenn du mir diese Bemerkung gestattest, du siehst ganz bezaubernd aus." Zufrieden war ich nicht mit meinen Worten, sie klangen in meinen Ohren wie hohle Phrasen, und selbst an den langen Strahlen der schräg einfallenden Sonne mochte ich mich nicht recht zu erfreuen. Doch dies hier musste sein, es war meine Pflicht, und eine bessere Braut hätte ich ohnehin nicht ergattern können. Gemessen führte ich Celerina an den oberen Rand des Amphitheaters, von dem aus man einen herrlichen Überblick über das ganze Rund hatte. "Wiillkommen im amphitheatrum des Horaz , sagte ich und ließ die Umgebung wirken.

  • Kaum hatte ich es mir in der Sänfte bequem gemacht, setzte sich diese auch schon in Bewegung. Meine Ylva hatte sich zu dem begleitenden Sklaven in der rostbraunen Tunika dazugesellt und lief neben der Sänfte her.
    Ich rätselte, wohin mich die Sänftenträger bringen mochten. Gelegentlich wagte ich, hinter dem Vorhang der Sänfte hinaus zu schielen, konnte mir aber keinen rechten Reim darauf machen, wohin es gehen sollte. Je länger ich leicht schwankend hinfort bewegt wurde, desto mehr brannte ich darauf, herauszufinden, was Corvinus mit mir vor hatte. Nach seinem letzten Besuch in der Villa Flavia, der mit einem Fiasko geendet hatte, war meine Hoffnung rapide abgesunken, jemals wieder etwas von ihm zu hören. Umso mehr war ich heute erfreut, diese Einladung wahrnehmen zu können. Ich hatte bewußt auf roséfarbene Stoffe, ägyptische Schminke und übertriebenen Schmuck verzichtet. Selbst auf mein geliebtes Rosenwasser hatte ich verzichtet. Stattdessen hatte ich mich farblich dem herannahenden Herbst mit seinen warmen Farben genähert. Mit meinen Bernstein- und Goldtönen konnte ich sicher nichts falsch machen. Ylva hatte mich eher schlicht geschminkt, was dazu beitrug, meine Natürlichkeit zu betonen. Der honigsüße Duft meines Parfums untermalte meine Erscheinung.
    Mir gingen noch einmal Gracchus Worte durch den Kopf. Er hatte mich an jenem roséfarbenen Tag gefragt, ob ich den Aurelier liebte. Ich hatte sofort seine Frage verneint und ihm sofort klar gemacht, das dies eine reine Vernunftsehe sein würde, die ich eingehen wollte. Doch an den tagen danach fragte ich mich immer wieder, ob nicht doch ein Quäntchen Liebe im Spiel war. Die Angst, ihn vielleicht verloren zu haben und das Gefühl, ihn zu vermissen, waren Indikator genug, um mit Bestimmtheit zu sagen, daß ein wenigstens ein Fünkchen Liebe dabei sein mußte. Umso besser, hatte ich mir gesagt! Wenn mit der Vernuft auch noch ein wenig Gluck mit Einzug hielt.


    Als die Sänfte endlich zum stehen kam, bemerkte ich, wie es bereits draußen schon dunkel zu werden begann. Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen. Der aurelische Sklave zog den Vorhang der sanfte zurück und eine Hand streckte sich mir entgegen, um m beim Austeigen. Nachdem ich meine Palla um meine Schultern gelegt hatte sah ich mich erst einmal um. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ich hier gelandet war. Corvinus mußte sich etwas dabei gedacht haben, wenn er mich hierher bringen ließ. Wahrscheinlich hatte er sich etwas exquisites für mich ausgedacht!
    Der aurelische Sklave zog den Vorhang der Sänfte zurück und eine Hand streckte sich mir entgegen, die mir beim aussteigen behilflich sein wollte. Mein Herz begann schneller zu schlagen, als ich den Senatorenring am Ringfinger der Hand erkannte. Mit einem Mal war mein skeptischer Blick einem überglücklichen Lächeln gewichen. Nein, ich hatte ihn nicht nach meinen roséfarbenen Eskapaden verloren!
    Ich ergriff die Hand und entstieg der Sänfte mit dem anhaltenden Lächeln. Er begrüßte mich und machte mir Komplimente. Ja, ich war an meinem Ziel angekommen! Nichts hatte sich geändert. Er hegte noch Interesse an mir.
    "Aurelius Corvinus! Wie sehr ich mich freue, dich wieder zu sehen!"
    Er führte mich von der Sänfte fort und offenbarte mir, an welchem Ort wir uns befanden. Überrascht sah ich mich um. Meine Augen fingen sogleich das Meer aus Lichtern ein, welches sich unter uns in der Rundung des Amphietheaters ausbreitete. Wie ich es mir schon vorgestellt hatte, war Corvinus wieder sehr einfallsreich gewesen, um mich zu überraschen. Ein Theater, wer hätte das gedacht!
    "Wie romantisch! Ein Theater nur für uns beide? Einfach grandios!"

  • Wenn ich auch nur geahnt hätte, was während des Weges hinter Celerinas Stirn vorgegangen war, so wäre es mir wohl nun gänzlich unmöglich gewesen, etwas wie den Keim von Unbegafangenheit vorzuspielen. Doch ich ahnte nichts, wusste noch viel weniger, und so nahm das Wort Liebe in meinen Gedanken keinen Platz ein, als ich ihr aus der Sänfte half. Achtung und Respekt waren sehr wohl vorhanden, die dringliche Notwendigkeit der Heirat war mir ebenfalls stets präsent im Sinn, Freude darüber, sie wiederzusehen, war genauso vorhanden, wenngleich sie auch einher ging mit dem Unwohlsein der unkontrollierbaren, möglichen Wendungen des Schicksals wegen.


    Ein marginales Schmunzeln umspielte meine Mundwinkel, als sie ihre Freude äußerte - ich glaubte ihr aufs Wort, dass dem so war, was mir einersetzt ein wenig des flauen Gefühls nahm, andererseits bedauerte, ihr gerade einmal halb so viel erwidern zu können, wenn überhaupt. Doch spielte ich meine Rolle, die des Werbenden, und als solcher sollte man nicht unbedingt sein Innerstes zum Äußersten kehren und ein Gesicht ziehen, das wie drei Tage Regenwetter wirkte. Dennoch, ihre Reaktion betrachtete ich gespannt, denn wenn ich mit der Überraschung falsch liegen mochte, wäre dies ein schlechter Einstieg in das Vorhaben, welches ich heute zu vollziehen gedachte. Einmal mehr achtete ich penibelst darauf, keine Emotion in solche Überlegungen einfließen zu lassen. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass dies bei weitem besser war. - Es gefiel ihr. Erleichterung schwappte träge an die Ufer der Anspannung, und ich lächelte. "Nun ja, das Horaztheater ist nicht gerade für seine Größe bekannt, aber mir gefällt seine Lage. Mit guten Schauspielern lässt sich hir durchaus ein angenehmer Abend verbringen, und genau das habe ich mit dir vor." Ich lächelte Celerina an und deutete nach unten, wo mittig die Kissen bereit lagen. Ich führte Celerina auf eine der kleinen Treppen zu, die hier und dort das Theater unterteilten, und geleitete sie hinunter. "Ich hoffe, du hast meinetwegen keine Schelte bekommen", sagte ich auf dem Weg zu den Kissen und meinte natürlich die verzwackte Situation im flavischen Garten und warf Celerina einen Seitenblick zu.

  • Vielleicht war es meine überschwängliche Freude oder die Erleichterung darüber, daß sich nichts zwischen uns geändert hatte, die mich mit Blindheit schlug. Ich erkannte nicht oder wollte nicht erkennen, wie wenig Emotion unter seiner Handlung verborgen war. Sein Tun und seine Rede waren davon bestimmt, weil es getan werden mußte, nicht weil es es wollte. Jedes Wort, welches aus seinem Mund kam, war nur halbherzig so gemeint, wie er es sagte. Doch all das nahm ich nicht wahr, wollte es nicht wissen. Nur das Märchen, welches ich in meinem Kopf gesponnen hatte, fand Platz in meiner Gedankenwelt. Alles sollte so kommen, wie ich es mir vorgestellt hatte und ja, ich fühlte mich auf der sicheren Seite, denn ich war wieder im Spiel! Da war kein Platz mehr für einen einzigen Zweifel. Nein, ich wollte ihn und ich würde auch alles dafür tun, um ihn zu bekommen! So setzte ich mein entzückendstes Lächeln auf. Da ich ein Freund der Literatur und des Theaters war, fiel es mir auch nicht sonderlich schwer, mich von seiner geplanten Überraschung hinreißen zu lassen.
    "Nun ja, ich vermute, es werden nicht mehr allzu viele Besucher erscheinen. So hat es doch für uns die rechte Größe," antwortete ich, nachdem ich mich, nachdem ich mich Ausschau halten umgesehen hatte. "Ich vertraue mich ganz deinem eigenen Geschmack an. Dann sollte dies zweifelsohne ein angenehmer Abend werden." Ich ließ mich von ihm zu unseren Plätzen geleiten und nahm auf den bequemen Kissen Platz. Von diesem Platz aus hatte man die beste Sicht und vermutlich auch die beste Akustik.
    "Ach wo denkst du hin!" antwortete ich und winkte ab. "Gracchus muß wahrlich etwas echauffiert auf dich gewirkt haben. Doch nach einem klärenden Gespräch ist es mir gelungen, ihn wieder zu besänftigen." Das war natürlich heillos untertreiben. Gracchus hatte mir eine wahre Gardinenpredigt gehalten und ich hatte dabei eine eher schamhafte Haltung eingenommen. Doch letztlich konnte ich ihn von meinem Vorhaben überzeugen.
    "Welches Stück wird denn heute Abend gegeben?" fagte ich, um ihn von jenem roséfarbenen Nachmittag abzulenken.

  • Ich riss mich zusammen. Selbst ich hörte aus meiner eigenen Stimme jenen feinen Unterton heraus. Das war inakzeptabel. Schließlich hätte ich es auch weitaus schlimmer treffen können. Celerina recht ansehnlich, hatte eine durchaus angemessene Familie - vielleicht die für mich angemessenste überhaupt derzeit - und sie teilte meine Freude an der Botanik. Ich sollte mich glücklich schätzen statt mich zu zwingen, freundlich zu sein. Ihr Kompliment meinen Geschmack betreffend erleichterte mir dies ein wenig, und ich lächelte zurück. "Nein, heute wird außer uns niemand die Augen auf die Bühne richten", bestätigte ich ihr. Schließlich hatte ich dafür gesorgt, oder eher sorgen lassen.


    Neben Celerina setzte ich mich auf die gemütlichen Kissen, schon huschten Sklaven heran, welche die Dame fragten, was sie zu trinken wünschte. Nachdem die Flavierin dahingehend versorgt worden war, reichte man mir einen Becher mit stark verdünntem Wein und zog sich dann zurück. "Es war mein Fehler, ich hätte dich nicht besuchen dürfen", erwiderte ich recht überzeugend, auch wenn ich schließlich wusste, dass es zu einem nicht geringen Teil auch Celerinas Fauxpas gewesen war. Dennoch, es war anständig, die Schuld auf mich zu nehmen, und auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, was Gracchus nun von mir dachte, erschien es mir gar nicht so schlimm, der Schuldige zu sein. Mit einer lockeren Handgeste wischte ich das Thema dann fort, es war nicht für Belang für diesen Abend. Jedoch musste ich schmunzeln, als Celerina mich nach dem Stück fragte. "Das, meine Liebe, wirst du von mir nicht erfahren. Es wäre keine Überraschung mehr, wenn ich dir von vorn herein erzählte, welchem Spektakel wie beiwohnen, nicht wahr?" Ein Grinsen folgte. Wenn Celerina nur halb so neugierig war wie meine Cousinen und Nichten, würde sie nun kurz vor dem Platzen stehen. Ich hob den Becher. "Auf einen schönen Abend", sagte ich, ließ einige Spritzer zu Boden tropfen und trank dann einen Schluck. "Wie lebt sich Epicharis bei euch ein?" fragte ich die Flavierin alsdann.

  • Wie aufregend! Ein ganzes Theater für uns allein. Nur er und ich, einen ganzen Abend lang. Das war eine glänzende Idee! Corvinus hatte sich einmal mehr übertroffen! Er hatte sich sehr viel Mühe gegeben, dies alles zu organisieren. Obschon dies alles das Werk von fleißigen Sklavenhänden war, die ich aber nicht wahrnahm.
    Er nahm neben mir Platz. Der Abend konnte beginnen! Sklaven, die aus dem Nichts zu kommen schienen und so auch wieder verschwanden, versorgten mich mit dem gewünschten Getränk. Ich hatte mich auch für einen starkverdünnten Wein entschieden. Der Abend sollte schließlich noch lange währen und nicht in einem weiteren Fauxpas meinerseits enden. Den letzten versuchte ich gerade abzuwehren. Welch ritterliche Geste, als er alle Schuld deswegen auf sich nahm. Aber wir beide wußten, wer der wahre Schuldige war. Doch weder er noch ich wollten es aussprechen. So empfand ich es als außerordentliche Erleichterung, als er das Thema mit einem Handwink fortwischte.
    Offenbar liebte er es, mich auf die Folter zu spannen. Nichts von dem, was mich an diesem Abend noch erwarten sollte, wollte er mir verraten. Eigentlich liebte ich ja Überraschungen, doch das schlimmste war, auf sie warten zu müssen. "Ohhhh! Und du willst mir gar nichts verraten?" So wölbte ich meine Oberlippe und schmollte für einen Herzschlag. Jedoch überkam mich ganz schnell ein Schmunzeln. "Auf einen schönen Abend!" Ich erhob auch meinen Becher, opferte den ersten Schluck den Göttern und trank.
    "Oh Epicharis! Ich glaube, sie fühlt sich wohl bei uns. Aristides und sie sind so verliebt!" Ich hatte die beiden erst kürzlich im Tempel gesehen. Die beiden waren wirklich zu beneiden.

  • "Nnnnein", erwiderte ich mit einem wölfischen Grinsen auf den Zügen auf die Frage hin, ob ich wirklich nichts verraten wollte. "Das ist doch der Sinn einer Überraschung", erklärte ich und feixte noch einmal breiter, nicht nur ihres Schmollen wegens. Als wir die Becher wieder senken ließen, rief irgendwo entfernt ein Nachtvogel. Ich wandte mich wieder Celerina zu und hob in Skepsis eine Braue. Dass Aristides verliebt war, mochte ich nicht so recht glauben. Sicherlich schätzte er seine Frau und gewiss kam er gut mit ihr aus, was bei Epicharis' Gemüt allerdings auch nicht schwer war, mutmaßte ich. Vermutlich war es ihm so ergangen wie mir, dachte ich und blickte erneut Celerina von der Seite her an. "Das ist gut für sie", erwiderte ich und überlegte laut weiter. "Da wirst du sicherlich in einem Jahr zum zweiten Mal Tante sein."


    Der Wein war gut temperiert und sehr angenehm für den Gaumen, wie ich fand, und ein herannahender Sklaven mit seinem Tablett machte die kulinarischen Freuden nun komplett, indem er es in Griffweite von uns stellte, mich fragend ansah und als ich nickte, sich hernach wieder zurückzog. Das Nicken war vereinbart gewesen und das Zeichen für die Schauspieler, mit ihrem Werk zu beginnen. Ein schwarz gewandeter Mime bezog nun Posten am Rande der Bühne, mitten auf ihr nahmen mehrere Schausteller in Rüstungen Aufstellung. Gespannt sah ich hinunter in das Theaterrund. Dort war nun ein Mann zu sehen, der ein großes Messer bei sich trug, und versuchte, so zu schleichen, dass die Wachen ihn nicht hörten. Gleichzeitig erklang die Stimme des Erzählers, der wohl der schwarze Mann an der Seite war. Er war in seiner Kleidung kaum auszumachen, sodass es wirkte, als sei die Stimme körperlos.
    Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
    Damon, den Dolch im Gewande.

    Doch es gelang ihm nicht, und in einem kurzen Handgemenge auf der Bühne, wurde Damon zu Boden gestoßen und mit Seilen gefesselt.
    Ihn schlugen die Häscher in Bande.
    Kurz darauf erschien ein prächtig gekleideter Schauspieler, der mit unübersehbarer Würde an den nun gefesselten am Boden herantrat. Eine herrische Geste bedeutete den Häschern, den Eindringling aufzurichten, was sie grob taten.
    »Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!«
    Entgegnet ihm finster der Wüterich.

    Die Stimme des Mannes klang fordernd und rauh, doch verschüchterte das Damon nicht. Er reckte dem Edlen das Kinn und erklärte souverän den Grund seiner Anwesenheit.
    »Die Stadt vom Tyrannen befreien!«
    »Das sollst du am Kreuze bereuen.«

    Der Tyrann schnaubte aufgebracht und hob schon die Hand, um den Wachen ebendies zu befehlen oder um Damon gar zu schlagen. Doch auch hier ließ er sich nicht einschüchtern.
    »Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit
    Und bitte nicht um mein Leben:
    Doch willst du Gnade mir geben,
    Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
    Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
    Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
    Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.«


    Ich hob die Brauen und betrachtete das Spektakel auf der Bühne. Der Mann hatte Schneid, so viel stand fest. Nun sah man den Monarchen in nachdenklicher Pose, die Hand am Kinn, und dann grinsend.
    Da lächelt der König mit arger List
    Und spricht nach kurzem Bedenken:
    »Drei Tage will ich dir schenken;
    Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,
    Eh' du zurück mir gegeben bist,
    So muß er statt deiner erblassen,
    Doch dir ist die Strafe erlassen.«

  • Sim-Off:

    Ha, jetzt weiß ich auch, woher der Schiller seinen Text her hat! Alles nur geklaut! :P


    Wo er recht hatte, da hatte er recht! So ließ ich ihm einfach seinen Spaß. Ich liebte Überraschungen, wenn ich damit nicht so lange auf die Folter gespannt wurde und er ergötzte sich augenscheinlich daran, welche zu machen. Also, musste ich mich wohl oder übel noch etwas gedulden, auch wenn es mir schwer fiel.
    Stattdessen konnte ich einen skeptischen Blick bei ihm erhaschen, als ich ihm von Aristides und seiner neuen jungen Frau erzählte. Mir schien, als wollte er nicht so ganz daran glauben. Ich für meinen Teil wußte, was ich gesehen hatte und Aristides hatte auf mich nicht den Eindruck eines Schauspielers gemacht. Was mich allerdings in Erstaunen versetzte, war Corvinus Vermutung, ich würde bald zum zweiten Mal Tante werden. "Tante? Äh ich verstehe nicht." Mir schwante, so manche privaten Dinge, die in der Villa Flavia gesprochen wurden, sickerten auf mysteriöse Weise in die Offentlichkeit! Aber nein! Offensichtlich hatte er einfach nur die Familienanzeige in der Acta zur Geburt des kleinen Gracchus gelesen. "Nun ja, eigentlich würde ich zum zweiten Mal Cousine werden, nicht wahr!" In der Tat, für einen Außenstehenden mußte der flavische Stammbaum durchaus verworren erscheinen.


    Corvinus hatte wirklich an alles gedacht! Seine Sklaven brachten die edelsten Speisen und bauten sie vor uns auf. Ein verschwörerisches Nicken ging von Herr zu Sklave und kurze Zeit später begann diese ganz private Vorstellung, nur für uns beide. Einige Schauspieler in verschiedenen Kostümen betraten die Bühne. Ich rätselte bereits, um welches Stück es sich handeln könnte. Eine griechische Tragödie vielleicht oder gar ein Lustspiel? Nein, das letztere war es sicher nicht! Der Text war mir gänzlich unbekannt, doch glaubte ich zu wissen, dieser Tyrann, um den es ging, konnte kein anderer sein, als Dionysios von Syrakus. Doch lauschte ich erst einmal dem dargebotenen Stück und bewunderte das Können der Mimen. Es war grandios! Erst jetzt wieder wurde mir bewußt, wie selten ich doch in der Vergangenheit im Theater gewesen war. Gracchus´ Stück, welches er im Sommer hatte aufführen lassen, war tatsächlich die letzte Vorstellung gewesen, der ich beigewohnt hatte.
    Das Stück stammte wohl von einem noch unbekannten Dichter, der es allerdings meiner Meinung nach, noch recht weit bringen würde. Einen solchen Stürmer und Dränger brauchte die Literatur noch! Solche Werke, wie dieses, würden uns weiter bringen! Ganz bestimmt! :D
    Corvinus konnte meine Begeisterung sicher nicht entgangen sein. Die Dramatik des Stückes ließ mich kaum zum essen kommen. So spannend und mitreißend war es. "Einfach hervorragend, Marcus," wisperte ich ihm anerkennend zu.

  • Ob sie nun Cousine des kleinen Flavius von Epicharis werden würde oder nicht, er würde sie wohl dennoch eine Tante nennen, sobald er sprechen konnte. So war das eben mit Kindern, jeder, der älter war als sie, war automatisch ein Onkel oder eine Tante. Selbst, wenn nur wenige Jahre zwischen ihnen liegen mochten, erinnerte ich mich an meine eigenen Verhältnisse und schmunzelte ein wenig.


    Ein wenig abwesend griff ich nach einem gefüllten Ei und ließ es im Mund verschwinden, dann brach ich mir einen Zweig Trauben und zupfte hin und wieder an einer der süßen Früchte. Das Schauspiel auf der Bühne gefiel mir, es passte zu diesem Abend, und auch Celerina schien ihre Freude zu haben. Hin und wieder betrachtete ich Celerina mit einem Seitenblick und stellte ebenso erleichtert wie erfreut fest, dass wohl ihr Geschmack getroffen war. Insgeheim nahm ich mir vor, Brix für die Wahl des Stückes zu danken. Allmählich wurde es heikel auf der Bühne, und die Freude neben mir konnte ich nun auch deutlich spüren. Die Tatsache, dass Celerina flüsterte, obwohl wir das gesamte Theater für und allein hatten, war mir Indiz genug dafür, dass sie wirklich mitgerissen war. Ein zufriedenes Lächeln umspielte meine Mundwinkel. "Was meinst du, ob der Freund wirklich seinen Kopf hinhält für diesen Damon?" fragte ich sie.


    Derweil verschwanden kurz alle Mimen von der Bühne, und ein bisher Ungesehener betrat sie, sitzend auf einem Stuhl. Damon folgte, sichtlich geknickt, griff nach der Hand des Freundes und stand mit hängendem Kopf vor ihm. Grave und gramerfüllt war seine Stimme.
    Und er kommt zum Freunde: »Der König gebeut,
    Daß ich am Kreuz mit dem Leben
    Bezahle das frevelnde Streben.
    Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
    Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
    So bleib du dem König zum Pfande,
    Bis ich komme zu lösen die Bande.«

    Eine Weile geschah nichts, dann stand der Mann von seinem Stuhl auf und schloss Damon in seine Arme.
    Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
    Und liefert sich aus dem Tyrannen;
    Der andere ziehet von dannen.

    Plötzlich sah man Soldaten außerhalb der Bühne warten, und als sich die beiden Freunde aus ihrer Umarmung gelöst hatten, huschte Damon eilig von der Bühne, sein Freund jedoch begab sich mit hoch erhobenem Haupte zu den wartenden Soldaten, die ihn sogleich in ihre Mitte schlossen und abführten.


    Im folgenden Akt geschah zunächst nichts Besonderes. Man sah Damon, wie er mal hierhin, mal dorthin über die Bühne huschte. Man sah am Rande der Bühne ein glückliches Paar einherschreiten. Und nur die angenehme Stimme des Erzählers war zu vernehmen.
    Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
    Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
    Eilt heim mit sorgender Seele,
    Damit er die Frist nicht verfehle.


    Da gießt unendlicher Regen herab,
    Von den Bergen stürzen die Quellen,
    Und die Bäche, die Ströme schwellen.
    Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
    Da reißet die Brücke der Strudel herab,
    Und donnernd sprengen die Wogen
    Dem Gewölbes krachenden Bogen.

    Paukenschläge undTambourin machten den Regen hörbar. Damon stand inmitten der Bühne und starrte auf den Boden hinab, den ein blaues Tuch zierte - der Fluss. Hin und her lief er, zunehmend panisch, schaute rechts, schaute links, doch vergebens.
    Und trostlos irrt er an Ufers Rand:
    Wie weit er auch spähet und blicket
    Und die Stimme, die rufende, schicket.
    Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
    Der ihn setze an das gewünschte Land,
    Kein Schiffer lenket die Fähre,
    Und der wilde Strom wird zum Meere.

  • Gebannt verfolgte ich die dramatischen Szenen, die sich vor uns auf der Bühne abspielten. Wahrhaft gute Schauspieler hatte er für dieses Stück aussuchen lassen. Meister ihre Fachs waren sie, die mich und wie ich annahm, auch Corvinus in ihren Bann zogen. Die leckeren Köstlichkeiten, die man vor uns aufgetragen hatte, waren nur nebensächliches Beiwerk geworden, dem ich nur wenig Beachtung schenkte. Hin und wieder griffen meine Finger nach etwas eßbarem und ließen es in meinem Mund verschwinden. Wie mechanisch kaute ich auf dem Etwas herum und ließ es anschließend die Speiseröhre hinunter gleiten, ohne dabei auf den Geschmack der Delikatessen zu achten. Alle meine Sinne waren auf das Stück konzentriert, das mich nicht loslassen wollte.
    Corvinus´ Frage drückte genau das aus, was ich mich auch schon die ganze Zeit gefragt hatte. Würde der Freund freiwillig sein Leben lassen, wenn dieser Damon nicht zurück kommen würde? Ich wußte es nicht. Auch wußte ich nicht, ob ich dies tun würde, liebte ich doch das Leben in seiner vollen Pracht und in vollem Maße. "Würdest du es tun?" antwortete ich mit einer Gegenfrage und lenkte meine Augen kurz von der Bühne auf den Aurelier.
    Kurze Zeit später beantwortete sich Corvinus Frage von selbst. Ja, der Freund gab sich heldenhaft als Pfand hin, obwohl er damit den überaus unangenehmen Tod am Kreuze zu befürchten hatte. "Oh sieh nur, er tut es. Er gibt sich hin! Wie edel!"Weiter verfolgte ich aufmerksam das Geschehnis auf der Bühne. Natürlich stellten die Götter auch Damon auf eine harte Bewährungsprobe. Würde er sie bestehen? Im Grunde war er doch jetzt in Sicherheit und mit seiner Rückkehr hatte er seich selbst ans Kreuz geliefert, nur um des Freundes willen? Um ihn zu retten? Unweigerlich fragte ich mich, ob es jemanden gäbe, der freiwillig für mich sterben wollte. Was war mit meinem Leibwächter? Chimerion würde er mit Freuden für mich in den Tod gehen? Nein, er würde es tun, weil er mußte. Es war seine Aufgabe und wenn er der nicht nachkam, dann war sein Leben sowieso verwirkt.
    "Oh, wie ist das spannend! die Götter haben kein Erbarmen mit ihm. Meinst du, er schafft es noch rechtzeitig?" fragte ich mit besorgter Stimme.

  • Ob ich es tun würde. Einen Moment verblüfft ob dieser Frage, blinzelte ich Celerina an. Würde ich es tun? Eigentlich beantwortete sich diese Frage beinahe von selbst, betrachtete man meinen näheren Bekanntenkreis. Es gab niemanden, dem ich so sehr vertraute, dass ich ihm mein Leben anvertrauen würde. Von meiner Familie einmal abgesehen. Meine Konzentration auf das Stück war vorerst dahin, denn ich grübelte nun viel zu intensiv darüber nach, woran es liegen mochte, dass ich niemanden so sehr meinen Freund nannte, dass ich mein Leben in seine Hände legen würde. Selbst mit Aquilius war ich nicht mehr so eng befreundet wie damals, als wir beide noch am Anfang unserer Karrieren standen. Eigentlich schade, wenn ich genauer darüber nachdachte. "Vielleicht", gab ich schließlich als Antwort auf ihre Frage zurück, eindeutig zu spät zwar, aber wenigstens erwiderte ich überhaupt etwas. Im nächsten Moment schon rief Celerina bewegt etwas, und ich konzentrierte mich wieder auf das Stück.


    Damon sah sich nun also in Schwierigkeiten. Der Rückweg war ihm versperrt und seine Zeit lief ab. Celerina wirkte ganz aufgeregt. Ich musterte sie von der Seite. Ein wenig vorgebeugt saß sie da, und sie wirkte sichtlich besorgt. Ich dachte nicht lange nach, sondern tat es einfach. Griff nach ihrer Hand und bedachte sie mit einem flüchtigen Lächeln. "Das will ich doch hoffen." Immerhin wäre es wohl nur wenig angemessen, wenn Damons Freund starb und ich einer betrübten Celerina den Antrag würde machen müssen. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen verfolgte ich das Geschehen auf der Bühne weiter.


    Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
    Die Hände zum Zeus erhoben:
    »O hemme des Stromes Toben!
    Es eilen die Stunden, im Mittag steht
    Die Sonne, und wenn sie niedergeht
    Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
    So muß der Freund mir erbleichen.«

    Verzweifelt, wie Damon kang, konnte man regelrecht nachempfinden, was in ihm vorgehen musste. Die Hände hatte er langsam sinken lassen, und selbst oben auf der Tribüne konnte man noch das Schluchzen erkennen, das vermeintliche, das seine Schultern erbeben ließ.
    Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
    Und Welle auf Welle zerrinnet,
    Und Stunde an Stunde ertrinnet.
    Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
    Und wirft sich hinein in die brausende Flut
    Und teilt mit gewaltigen Armen
    Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

    Heldenmutig bahnte sich Damon nun einen Weg durch das blaue Tuch auf der Bühne. Manches Mal wirkte es gar, als würde er wahrhaftig ertrinken, doch schließlich erreichte er das andere Ufer.
    Und gewinnt das Ufer und eilet fort
    Und danket dem rettenden Gotte;

    Erneut die Hände zum Himmel erhoben, schnaufend und erschöpft wirkend, stand Damon dort. Plötzlich setzte Paukenschlagen ein. Zuerst langsam, dann immer schneller. Und mit einem mächtigen Schlag und einem Satz standen plötzlich mehrere Mimen auf der Bühne, die Damon wie Raubtiere umkreisten. In den Händen hielten sie Holzschwerter und Stöcke.
    Da stürzet die raubende Rotte
    Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
    Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord
    Und hemmet des Wanderers Eile
    Mit drohend geschwungener Keule.
    »Was wollt ihr?« ruft er vor Schrecken bleich,
    »Ich habe nichts als mein Leben,
    Das muß ich dem Könige geben!«

    Noch ehe einer der Angreifer etwas erwidern konnte, sprang Damon direkt auf einen der Schurken zu.
    Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
    »Um des Freundes willen erbarmet euch!«
    Und drei mit gewaltigen Streichen
    Erlegt er, die andern entweichen.

    Und tatsächlich lagen nach einem hektischen und wilden Ringen drei der Angreifer inmitten der Bühne. Damon indes schwankte nun hin und her, keuchte. Er war erschöpft vom Weg durch den Fluss und dem heftigen Kampf. Langsam sank er auf die Knie...

  • Je weiter das Stück fortschritt, umso mehr war ich gefangen, von dem, was sich auf der Bühne abspielte. Innerlich hoffte ich, nein ich flehte darum, Damon würde alle Hürden nehmen können, die sich denen in den Weg stellen, die noch auf ihn lauerten. Schließlich schien seine Lage aussichtslos. Ich kannte selbst das Gefühl, in der Falle zu sitzen, gefangen zu sein und keine Perspektive mehr zu sehen. Sieben Jahre lang hatte ich in der Falle gesessen und war letztendlich doch befreit worden, durch den Willen der Götter. Nicht nur das, sie schenken mir fortan ein Leben, von dem ich früher nur träumen konnte. So hoffte ich, würde es auch dem Helden auf der Bühne ergehen!
    Corvinus´ Blicke bemerkte ich nicht mehr, wahrscheinlich weil sie nur flüchtig und selten waren. Selbst die Antwort auf meine Frage nahm ich nur unterschwellig war. Eine Frage? Welche Frage hatte ich noch gleich gestellt?
    Erst als er meine Hand ergriff, ließ ich mich ablenken und schenkte ihm ein Lächeln, welches man als flüchtig hätte bezeichnen können. Sogleich widmete ich mich aber wieder des Dramas, welches in vorzüglicher Weise aufgeführt wurde. Es war für mich en Leichtes, mich hinein zu fühlen in die Gefühlswelt des Helden, der um jeden Preis kämpfte, auch wenn ihm die Zeit sprichwörtlich in den Händen zerrann und er sich unüberwindlichen Gefahren gegenüber sah. Schließlich kam es auch noch zu einem Kampf. Räuber hatten sich auf den Protagonisten gestürzt und sie setzten ihm heftig zu. Diese Spannung, ich konnte sie fast nicht mehr ertragen. Meine Hand, die noch in Corvinus´ Hand lag, verstärkte ihren Druck. Nein, sie klammerte sich fast an ihn, so sehr fieberte ich mit Damon.
    Doch schien es, als erbarme sich ein Gott und er ließ ihn die Schurken besiegen! Erleichtert seufzte ich auf. Noch einmal trafen sich unsere Blicke. Ich lächelte verschmitzt, hatte ich mich doch so sehr dem Stück hinreißen lassen.
    "Oh..!"Doch war das? Damon sank in die Knie! Ich hatte ein Bedürfnis in diesem Augenblick, aufzuspringen und lautstark zu protestieren, um der Götterwillen, nein! Doch glücklicherweise hielt mich etwas zurück und ich sah Corvinus eindringlich, hilfesuchend an, so als wolle ich ihn auffordern, etwas zu tun!

  • Gefesselt und gebannt verfolgte Celerina das Geschehen im Bühnenrund. Die Flammen in den Kohlebecken züngelten mal hierhin, mal dorthin und warfen tanzende Schatten auf das Geschehen. Damit verliehen sie der Situation ein bedrohliches Ambiente, das sehr zum wilden Ringen mit den Räubern passte. Das Krachen der Holzschwerter und Stöcke war bis hierher zu vernehmen, die plötzliche Stille dann beinahe greifbar. Celerina stieß plötzlich einen Laut aus und war unruhig. Ihre Hand umklammerte nun meine, vermutlich unbewusst. Unschlüssig, ob ich zur Beruhigung mit dem Daumen streicheln sollte, ließ ich es bleiben und widmete mich stattdessen wieder den Schaustellern.


    Und die Sonne versendet glühenden Brand,
    Und von der unendlichen Mühe
    Ermattet sinken die Knie.
    »O hast du mich gnädig aus Räubershand,
    Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
    Und soll hier verschmachtend verderben,
    Und der Freund mir, der liebende, sterben!«

    Damon lag nun niedergestreckt und wehmütig am Ufer. Schließlich richtete er sich auf, Überraschung auf dem Gesichte, und sah sich um.
    Und horch! da sprudelt es silberhell,
    Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
    Und stille hält er, zu lauschen;

    Damon hob eine Hand an sein Ohr und lehnte sich zu einem graubraunen Tuch hin, aus dem der Erzähler nun ein schmales blaues Band herauszog. Von unserem Sitz aus war es kaum zu erkennen, lediglich unterschiedliche Schattierungen mochte man wahrnehmen, doch nicht die verschiedenen Farben.
    Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
    Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
    Und freudig bückt er sich nieder
    Und erfrischet die brennenden Glieder.
    Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
    Und malt auf den glänzenden Matten
    Der Bäume gigantische Schatten;
    Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
    Will eilenden Laufes vorüber fliehn

    Am Rande der Bühne liefen tatsächlich zwei Menschen vorbei, augenscheinlich aufgeregt. Flink passierten sie Damon, der sich noch der Quelle widmete. Doch horchte er plötzlich auf.
    Da hört er die Worte sie sagen:
    »Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.«

    Und Damon sprang auf, setzte über den Stein hinweg und verschwand hinter dem rückwärtig der Bühne gespannten schwarzen Tuch.


    Kurz darauf kam er zurück, von der anderen Seite, hastete und spurtete, lief mehrmals im Kreise und zwang sich, nicht länger zu verweilen um Atem zu schöpfen.
    Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
    Ihn jagen der Sorge Qualen;
    Da schimmern in Abendrots Strahlen
    Von ferne die Zinnen von Syrakus,
    Und entgegen kommt ihm Philostratus,
    Des Hauses redlicher Hüter,
    Der erkennet entsetzt den Gebieter:
    »Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
    So rette das eigene Leben!
    Den Tod erleidet er eben.
    Von Stunde zu Stunde gewartet' er
    Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
    Ihm konnte den mutigen Glauben
    Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.«

    Der Mime, der Philostratus verkörperte, stütze nun Damon, der zusammenzubrechen schien. Behutsam half er ihm, sich niederzuknien und schüttelte traurig den Kopf. Leiser, langsamer Paukenschlag setzte nun wieder ein.

  • Der Schlag der Pauke, sich stetig beschleunigend, endete schließlich in einem dröhnenden Finale, dann ein letzter Schlag - und es war still. Damon blickte hinauf zu Philostratus, straffte sich nun und stand mit neuem Mute wieder auf. Er warf sich an die Brust und sprach mit entschlossener Stimme.
    »Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht,
    Ein Retter, willkommen erscheinen,
    So soll mich der Tod ihm vereinen.
    Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
    Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
    Er schlachte der Opfer zweie
    Und glaube an Liebe und Treue!«

    Mit diesen Worten zog Damon entschieden an Philostratus vorbei, auf das dunkle Tuch hinter der Bühne zu.


    Erneut trat er dahinter und auf der anderen Seite wieder hervor. Derweil hatten sich auf der gegenüberliegenden Bühnenseite alle Mimen versammelt, darunter auch Damons Freund, der ein Seil um den Halse trug.
    Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,
    Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
    Das die Menge gaffend umstehet;
    An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
    Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:
    »Mich, Henker«, ruft er, »erwürget!
    Da bin ich, für den er gebürget!«

    Damon, die Hand zur Faust geballt und hoch über den Kopfe erhoben, rief die Worte laut und klar. Alle drehten sich nach ihm um, staunend, die Hälse reckend. Damon sprang mit einem Satz durch die Menge hindurch und neben seinen Freund, um ihn von dem Seil zu befreien und ihn hernach zu umarmen.
    Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
    In den Armen liegen sich beide
    Und weinen vor Schmerzen und Freude.
    Da sieht man kein Augen tränenleer


    Unterdessen, auf der anderen Seite des Bühnenrunds, war nun der König zu gewahren. Jemand flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihn erstaunt dreinblicken ließ, dann hob er befehlend seinen Zeigefinger und wies nach vorn. Ein Diener nickte und lief hinfort. Der König blieb, sichtlich grübelnd, zurück.
    Und zum Könige bringt man die Wundermär';
    Der fühlt ein menschliches Rühren,
    Läßt schnell vor den Thron sie führen,
    Und blicket sie lange verwundert an.

    Damons Freund wurde vom Seil befreit. Durch die Menschen hindurch geleitet, traten sie schließlich vor den König und senkten kurz ergeben das Haupt. Der König aber erhob sich und kniete darnieder vor den zweien.
    Drauf spricht er: »Es ist euch gelungen,
    Ihr habt das Herz mir bezwungen;
    Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn -
    So nehmet auch mich zum Genossen an:
    Ich sei, gewährt mir die Bitte,
    In eurem Bunde der dritte!«

    Ein kurzer Blick, den Damon mit seinem Freunde tauschte, dann lagen sich die drei in den Armen und verhielten einen Moment so.


    Fackeln wurden nun rund um die Bühne entzündet, die Mimen stellten sich in einer Reihe auf. Ich begann zu applaudieren. Doch, das war wahrlich ein gutes Stück gewesen. Viel Dramatik, vielleicht sogar mehr in Gracchus' Kresh, doch mit gutem Ausgang. Und das war es auch, was die meisten Frauen liebten. Die Schauspieler verbeugten sich nun gekonnt gleichzeitig, verharrten still und erhoben sich wieder. Dann traten sie ab und die Bühne war verlassen. Ich hatte aufgehört, Beifall zu klatschen, wandte nun den Kopf und betrachtete Celerinas Profil im flackernden Schein der Fackeln und Öllampen, die wie kleine Geisterwesen das amphitheatrum beseelten. "Hat es dir gefallen?"

  • Damon, er würde doch nicht etwa sterben? Nein, das durfte er nicht! Nicht jetzt! Er sandte ein Stoßgebet an einen Gott und ich mit ihm. Gab es denn kein Erbarmen mehr? Und doch, ein Gott hatte ihn erhört. Er rettete den Helden vor dem sicheren Tod. Gestärkt eilte er Syrakus entgegen, um festzustellen, daß er zu spät kam. Trauer und Enttäuschung kamen in mir hoch. Sollte alles umsonst gewesen sein? Eine Träne löste sich und rann an meiner Wange herab.
    Doch wie verhielt sich der Held, nachdem er vernommen hatte, daß das Leben des Freundes soeben endete? Er flüchtete nicht etwa! Nein, ganz und gar nicht. Einem Römer gleich, stellte er sich dem Tyrannen. Und siehe da, der Freund war noch nicht Tod! Nein, er war noch zur rechten Zeit zurückgekehrt.
    Mir stockte der Atem, was würde nun Dionys tun, der nun grübelnd da saß, nachdem man ihm berichtet hatte, was geschehen war? Nun passierte etwas, womit die wenigsten gerechnet hatten. Der Tyrann ließ Gnade vor Recht walten, einem Verhalten, welches seine wahre Größe ausgezeichnete. Nun lagen sich alle drei in den Armen. Ich wischte mir eine letzte Träne aus den Augen.
    Die Bühne wurde wieder erleuchtet und ich erhob mich und begann, genauso wie Corvinus, den Mimen heftigen Beifall zu spenden. Dieses Stück war einfach grandios!
    Nachdem die Schauspieler abgegangen waren, nahm ich wieder Platz und meine Beigeisterung war noch lange sichtbar. Dank des kurzweiligen Abends,war es mir gelungen, jegliche Gedanken an das Geschehene zu vermeiden. Nichts hatte sich geändert zwischen Corvinus und mir. Erleichterung breitete sich in mir aus. Meine ganzen Befürchtungen hatten sich als unbegründet erwiesen, so glaubte ich.
    Doch dann spürte ich seinen Blick auf mir, worauf ich den seinen lächelnd erwiderte. "Es war einfach wundervoll, Marcus!"

  • Wundervoll also. "Das freut mich." Immer noch nicht war ich mir sicher, ob das alles wirklich nötig gewesen war. Doch jeder, den ich gefragt hatte, war sozusagen begeistert gewesen von der fixen Idee, ein Theater samt Schaustellern für einen Abend zu mieten. Nun ja, vielleicht hätte ich nicht nur meine Nichten und Basen fragen sollen... Doch es war nun ohnehin zu spät, um sich darüber nun Gedanken zu machen. Fakt war, dass Celerina durchaus aufrichtig begeistert wirkte, und damit stand dem eigentlichen Grund ja so gut wie nichts mehr im Wege. Zumindest nichts, außer mir selbst. Ich musste unweigerlich an das einst geführte Gespräch zurückdenken. So viele Jahre lag es nun schon zurück. Den Göttern sei Dank blieb mir eine solche Unterredung zumindest erspart dieses Mal.


    Ich wandte mich um und blickte über die Schulter, wo in einiger Entfernung im Dunkel ein Sklave in Habachtstellung wartete. Der Blick genügte, ihn sich in Bewegung setzen zu lassen. Mit jedem Schritt, den er näher kam, schnürte sich meine Kehle weiter zu. Ich hatte das Gefühl, einen unverzeihlichen Fehler zu machen, und doch war es das einzig richtige. Der Sklave verneigte sich schräg neben mir, lächelte Celerina mit seinen hellen Zähnen an und gab mir etwas. Zweifellos musste sie spätestens nun wissen, was dies alles zu bedeuten hatte. Ich räusperte mich, suchte so, den Frosch aus meiner Kehle zu vertreiben. Neben ihr sitzend, ergriff ich schließlich erneut ihre Hand und bettete die Rechte obenauf. Sorgsam waren die Worte zusammengelegt worden. Caecus hatte sie so lange geschliffen, bis sie mir angemessen erschienen waren. "Flavia Celerina, Tochter des Flavius Maximus. Du ahnst, was der Anlass sein mag, zu dem ich dich bat, diesen Abend heute hier mit mir in hoffentlich angenehmer Atmosphäre zu begehen. Ich möchte dich fragen, ob du dir ein Leben an meiner Seite vorstellen kannst, als Herrin meines Hauses, als Mutter meiner Kinder und als meine Ehefrau."

  • Mir schwante, diese Frage hatte einen besonderen Zweck gehabt, denn die Stille, die ihr folgte, hatte etwas ungewohntes, fast schon feierliches. Irgendetwas ging hier vor, von dem ich annahm, daß es mich gleich treffen würde. Einen klitzekleinen Moment überschwappte mich ein Angstgefühl, der unheilvolle Abend im Marcellustheater könne mich nun doch noch einholen. Doch dann erblickte ich einen schwarzen Sklaven, der von Corvinus´ Blicken angelockt worden war. Er lächelte mich an und langsam begann ich zu verstehen! Der große Augenblick, auf den ich so lange gewartet hatte und auf den ich mich freute, da ich nun endlich mein Ziel erreicht hatte, war gekommen!
    Feierlich ergriff Marcus meine Hand und begann die Frage aller Fragen zu stellen. Ich hielt den Atem an, mein Herz begann ganz heftig zu schlagen und jedes einzelne Wort, welches seinen Weg aus seinem Munde fand, zerschmolz in mir. War es nicht genau das, was ich hören wollte? Wie konnte ich nur so töricht sein und auch nur eine Sekunde daran zu zweifeln! Meine Augen waren auf die seinen gerichtet. Diese wundervollen braunen Augen, die ich so begehrt hatte und um die ich gekämpft hatte. Nun sollten sie bald ganz mir gehören!
    Ein eigenartiges, aber dennoch unglaublich angenehmes Gefühl beschlich mich, einerseits glaubte ich fallen zu müssen und anderseits war es, als würden mich abertausende von Schmetterlingen küssen. So ergab ich mich voll und ganz. "Oh Marcus! du ahnst nicht, wie sehr du mich glücklich machst! Ja, das will ich!", antwortete ich, über das ganze Gesicht strahlend.
    Ich war am Ziel angelangt! Mir, der Siegerin winkte eine fabelhafte Zukunft an der Seite eines der angesehensten Männer Roms, ein Leben, welches von Macht und Luxus geprägt war und welches keine Wünsche offen ließ. Und wenn die Götter es gut mit mir meinten, dann erfüllten sie sogar den größten meiner Wünsche! Ein Kind, mein Kind, unser Kind!

  • Der intensive, durchdringende Blick war mir beinahe unheimlich, und doch hielt ich ihm stand und brachte sogar ein lächeln zustande, noch ehe sie ihre Antwort hauchte. Wenn ich ehrlich war, hatte ich nichts anderes als die Zustimmung erwartet, und dennoch fiel mir nun eine Wagenladung vom Herzen, nur auf dass sich gleich darauf eine Schnürung um selbiges herumlegen konnte. Damit war es also klar, und dieses Mal würde ich mich zwingen, den Weg bis zum Ende zu gehen. Ich holte den goldenen Ring mit der Gemme hervor, den mir der Sklave von eben überbracht hatte - die feine Elfenbeinintarsie zeigte einen stehenden Löwen, der einen caduceus in der Pranke hielt. Ich hob ihn an, ebenso wie Celerinas Hand, und streifte ihr den Ring über den Finger. "Dann nenne ich dich von heute an meine Verlobte", erwiderte ich und lächelte nochmals. Ein wenig kühl waren meine Finger, als ich ihre Hand wieder berührte, doch kam das sicher nur von der Kühle der Nacht, die eigentlich gar nicht so kühl war...


    Wieder kam mir die Information in den Sinn, die mein Klient mir übermittelt hatte, und mein Lächeln verblasste ein klein wenig, um dann wieder zu erstarken. Ich kam ihr ein wenig näher und gab mir schließlich innerlich einen Schubs. Flüchtig streiften meine Lippen ihren Mund, verhielten kurz und zogen sich dann zurück. "Ich hoffe, damit wird es auch nicht mehr nötig sein, sergische Gesellschaft zu suchen, Celerina", sagte ich ernst. Ich hatte es mir nicht verkneifen können, und sie sollte wissen, dass ich davon wusste und es missbilligte.

  • Meinem Ja folgte ein Ring, welcher der Sklave seinem Herrn übergeben hatte und den er mir jetzt an den Finger meiner rechten Hand streifte. Voller Ehrfurcht besah ich mir das wertvolle Stück. Besonders die filigrane Intarsie aus Elfenbein war meiner Bewunderung zuteil geworden. Nicht minder feierlich verkündete er nun unser Verlöbnis. In diesem Moment war ich selig! Dieses Mal war ich es gewesen, die den Verlauf meines zukünftigen Lebens bestimmt hatte, und keine alten Männer, die mich nur an den meistbietenden verscherbeln wollten, so wie es schon einmal geschehen war.
    Er näherte sich mir und hauchte mir einen flüchtigen Kuß auf meine Lippen, zog sich aber sogleich wieder zurück. Ich, die ich die Augen geschlossen hatte, hatte auf etwas mehr gehofft, welches er mir aber enthielt. Ich vernahm seine Stimme, die nun gar nicht mehr zu der Feierlichkeit des Augenblicks passen wollte, denn sie klang ernst und hatte fast etwas drohendes an sich. Als ich nun realisierte, was er mir sagte, schlug ich erschrocken die Augen auf. Meine schlimmsten Vermutungen bestätigten sich in diesem Moment! Er hatte davon erfahren, woher auch immer. Er wußte es und es war nicht der richtige Moment, auch nur etwas davon abzustreiten. Das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Trotzallem hatte er sich mit mir verlobt und mit einem Mal fiel es mir wie Schuppen aus den Augen. Mit diesem Wissen hatte er mich in der Hand und wenn es ihm gefiel, so konnte er es publik machen, was mit Sicherheit meinen gesellschaftlichen Tod bedeutet hätte. So mußte ich einfach hoffen, er würde sich diesen Vorteil niemals zu eigen machen und mich zu etwas zwingen, was ich nicht wollte.
    Schamesröte stieg in mein Gesicht. "Nein, natürlich nicht!" Ich schlug meine Augen nieder und die Fröhlichkeit war mir zur Gänze verloren gegangen.

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