Bridhes Kammer | Oíche Shamhna – Vom Ende und vom Anfang


  • Umgeben von vier Wänden aus Stein. Das Flackern einer einzelnen Kerze, statt eines großen Feuers. Allein, zu zweit. Ein Jahr war vergangen, ein Neues stand vor der Tür und wollte beginnen.
    Wehmütig dachte ich an das letzte Samhain zurück. Ein Fest der Sklaven war es gewesen, im aurelischen Garten. Ein großes Feuer hatte gebrannt, als wir den Toten gedachten. Vieles war seitdem geschehen. Das Jahr hatte genommen und gegeben.


    In diesem Jahr war alles anders. Der, den ich einst geliebt hatte, hatte sich von mir abgewandt. Ich war allein und doch hatte ein neues Leben in meinem Herzen Platz gefunden. Mein Kind war zu dem wichtigsten Teil meines Lebens geworden. Ich war frei und doch hatte ich nicht den Heimweg angetreten. Wie ein Vogel war ich, der lange Zeit in einem Käfig leben musste und ihn nicht verließ, als endlich die Tür seines Gefängnisses geöffnet worden war.


    Ein Tisch. Ein Apfel. Ein süßes Brot. Ein Ring war darin verborgen. Wer ihn findet, wird im nächsten Jahr heiraten. So hieß es.
    Ich würde der Finder in diesem Jahr sein, denn ich war allein.

  • In aller Abgeschiedenheit wollte ich das Fest in diesem Jahr begehen. Mit wem sollte ich auch feiern? Nur die Toten und ich. Es gab genug, denen ich gedenken konnte. Neine Mutter, meine Schwester, Freunde, die ich einst hatte und die gestorben waren, wie auch Micipsa, der erst wenige Wochen hinübergegangen war. Es gab aber auch Geister der Vergangenheit, die mir noch immer allgegenwärtig waren. Auch wenn sie nicht wirklich tot waren, so waren sie doch unerreichbar für mich. Ich entzündete die Kerze und blickte in die tanzende Flamme. Das Kind schlief. Es lag in seiner Wiege. Ich sang ein Lied vor mich hin.


    Oíche Shamhna, Oíche Shamhna,
    Aon, dó, trí.
    Cailleach agus Púca
    ina suí.
    Úlla agus cnónna,
    deoch bheag oráiste.
    Éadaí grinn le gléasadh suas.
    Tá na páistí sásta.
    Báirín breac álainn
    i gcomhair an tae.
    Fáinne beag istigh ann.
    Gheobhaidh mise é.


    Ein Lied, das die Kinder in meiner Heimat an Samhain immer sangen und das auch ich und meine Geschwister früher gesungen. Dabei fiel mir ein, wie lange es schon her war, seit ich es zum letzten Mal gesungen hatte.

  • So melancholisch waren die Laute, die Epicharis vernahm, als sie von ihrem Zimmer in Richtung des Esszimmers ging. Einen Moment stand sie nur da und lauschte, dann verstummte die schöne, traurige Stimme, und alles war wieder still. Epicharis verharrte einen Moment. Sie wusste, dass Aquilius' Räume hier lagen, aber das war nicht sein Zimmer. Zudem hatte eine Frauenstimme in fremder Sprache gesungen. Aquilius hingegen hatte sie noch nie singen hören, fiel ihr ein. Ob sie einfach auf gut Glück klopfen sollte?


    Sie zögerte nicht lange, dann trat sie an die Tür heran, hob die Hand und klopfte. Und wenn sie nur der Sängerin mit der schönen, melodischen Stimme sagte, wie ergriffen sie war von ihrem Gesang, ehe sie wieder ging. Ein kühler Hauch streifte durch die Villa, und Epicharis zog die Palla ein wenig enger um die schmalen Schultern, während sie wartete.



    Sim-Off:

    Darf ich? Wenn ich stören sollte, musst du nicht aufmachen. :)

  • Sim-Off:

    Aber gerne doch! :) Da freue ich mich aber! :) Gut erzogen, wie ich nun mal bin, werde ich dir auch gleich öffnen! :D


    Mein Lied war verklungen in der Stille der Nacht. Ich schaute zu meinem Kind hinüber und hatte das Bedürfnis, zu ihm zu gehen. Es schlief friedlich in seiner Wege. Sanft strich ich ihm über sein zartes Köpfchen.
    Ein Klopfen an meiner Tür ließ mich auffahren. Hatte ich jemanden mit meinem Gesang gestört? Wenn, dann konnte es doch nur Aquilius sein! Allerdings hätte er wohl kaum angeklopft, sondern wäre einfach so eingetreten.
    Ich trat an die Tür und öffnete sie leise. Erstaunt schaute ich in ein Gesicht, das ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Die Frage, wer das war stellte sich mir erst gar nicht. Die Frau sah nicht aus, als sei sie eine der Sklavinnen des Hauses. Dafür trug sie einen zu edlen Schmuck. Ich zögerte, ehe ich etwas sagen konnte. Falls ich sie gestört haben sollte, hätte sie sicher ihre Sklavin geschickt und hätte sich nicht selbst herab gelassen, um bei mir anzuklopfen.


    Ja, bitte? Was wünschst du? fragte ich endlich, damit das Schweigen gebrochen war. Immer noch sah ich die Dame mit verwunderten Augen an. Mir war dieser eigenartige Besuch nicht ganz geheuer. Die Erfahrungen der Vergangenheit hatte mich gelehrt, Vorsicht gegenüber jedem den römischen Hausbewohner walten zu lassen. Jedes Wort, jede Bewegung, jede Handlung konnte ein Fehler sein. Severus nannte dieses Haus einmal eine Schlangengrube. Damals wusste ich nicht was Schlangen waren und was er damit gemeint haben könnte. Für jemanden, der nie zuvor eine Schlange gesehen hatte, war es nur schwer nachvollziehbar, wie es in einer ihrer Gruben war. Heute wusste ich es. Selbst jetzt noch, nach meiner Freilassung dachte ich so. Vielleicht tat ich der Dame mit dieser Ansicht sogar unrecht. Ich kannte sie ja auch gar nicht.

  • Sim-Off:

    Freut mich Du hast da so allein gesessen... :)


    Als Epicharis die Tür geöffnet worden war, blickte sie in ein erstauntes Gesicht. Sie vermochte nicht zu sagen, was hinter der Stirn der Sklavin - wie sie nun glaubte zu erkennen - vorgehen mochte, aber glücklich sah sie nicht aus. Vermutlich war es deswegen ein so trauriges Lied gewesen, das sie gesungen hatte. Zumindest die Melodie war es gewesen. Ehe Epicharis selbst etwas sagen konnte, fragte die Frau sie nach ihrem Anliegen. Epicharis lächelte freundlich. "Ich wollte mich erkundigen, wer es ist, dessen Stimme so schön zu singen vermag", gab sie zur Antwort und spähte an der Frau vorbei ins Zimmer. Ein angebrochenes Brot lag auf einem kleinen Tisch neben einer Kerze. Ein pausbäckiger Apfel daneben. Es war traurig, dass man allein ein so karges Mahl nehmen musste. Die Einrichtung war spärlich. Aber eine Wiege Stand im Raum. Epicharis sah erstaunt die Sklavin an. "Darf ich hereinkommen? Oder komme ich ungelegen?" fragte sie die Fremde. Ob das die Amme des kleinen Gracchus war? Ein kindliches Niesen drang aus der Wiege, und Epicharis verwarf den Gedanken gleich wieder. Eine Amme würde das Kind um diese Tageszeit nicht bei sich haben, sondern bei Antonia lassen.


    Sie wartete nicht lange, dann trat sie ein und ging gleich hinüber zu der Wiege. Als sie sich vorbeugte, um hineinzusehen, fielen ihr die offenen Haare über die Schulter und baumelten neben ihrer Wange. "Oh", machte Epicharis entzückt und streckte auch gleich die Hand aus, um dem Kind über die kleinen Fingerchen zu streicheln. Mit freudig glänzenden Augen sah sie die Frau dann an. "Ist es deins? Wie heißt sie? Oder er?"

  • Die fremde Frau lächelte mich an und begann zu sprechen. Sie hatte wohl meinen Gesang gehört und sprach freundlich zu mir, was mich aber keineswegs unvorsichtig werden ließ. Mir blieb die innere Anspannung weiterhin erhalten und auch mein misstrauischer Blick.
    Die Fremde blickte an mir vorbei, in meine Kammer hinein. Sie sah, wie ich lebte und wo ich lebte. Ihr musste auch die Wiege neben meinem Bett aufgefallen sein, was ihre Aufmerksamkeit noch steigerte. Ihre Verwunderung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Schließlich bat sie um Einlass. Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht damit. Ich war einfach sprachlos und starrte sie wortlos an, so als hätte sie in einer mir unbekannten Sprache gesprochen. Das leise Niesen meines Kindes holte mich wieder zurück. Besorgt sah ich in die Richtung, in der die Wiege stand. Noch ehe ich etwas auf ihre Bitte erwidern konnte, trat sie ein und ging zur Wiege. Ich sah ihr mit einem unguten Gefühl nach. Ihr Eindringen hatte etwas Bedrohliches für mich, zumal sie sich meinem Kind näherte. Leise schloss ich wieder die Tür und trat zu ihr an die Wiege. Sie hatte sich zu meinem Kind hinunter gebeugt und besah es sich. Ihr offenes Haar fiel nach vorne. Dadurch konnte ich kaum noch ihr Gesicht sehen. Die alte Angst kam plötzlich wieder in mir hoch. War sie da, um mir mein Kind zu nehmen? Nein, das konnte sie nicht! Das durfte sie nicht! Aquilius würde das nicht zulassen! Aber was, wenn doch? Mein Körper verkrampfte und ich kämpfte mit mir, die Fassung nicht zu verlieren. Sie fragte, ob es mein Kind sei und wie es hieß.


    Ja, es ist mein Kind, sagte ich verkrampft. Mein Sohn. Er heißt..


    Ich geriet ins Stocken. Für seinen Vater war es der kleine Caius. Ich hatte meinem Kind den Namen meines Vaters gegeben und so nannte ich ihn auch, wenn Aquilius nicht da war.


    Er heißt Diarmuid*! antwortet ihr schließlich.


    Sim-Off:

    Gesprochen wie engl. Dermot!

  • Die Frau sagte nichts, sondern starrte Epicharis nur weiterhin an. Dass sie verängstigt war, darauf kam die Flavia gar nicht. Und warum auch? Sie hatte schließlich keine schlechten Absichten. Ganz fasziniert war sie von dem kleinen Geschöpf in der Wiege, dass sich nun reckte und streckte und ganz offensichtlich aufgewacht war. Als sie die Hand zurückzog und die Frau mit warmem Lächeln wieder ansah, fiel ihr ein, dass sie deren Namen noch gar nicht kannte. Auch gewahrte sie nun den Ton in ihrer Stimme und die alarmierte Haltung. Epicharis überlegte, wie sie ihr die Angst nehmen konnte, zog sich einen Stuhl gegenüber dem Bridhes heran und setzte sich. Dabei ließ sie neuerlich den Blick über das kärgliche Mahl und die Kerze streifen.


    "Diarmuid... Ist das keltisch? Bist du Keltin?" fragte sie freundlich und warf dann dem Kind noch einmal einen kurzen Blick zu. "Er ist wirklich ganz reizend. Und wie heißt du? Ich bin Epicharis." Dabei vergaß sie, der Frau ihren Status hier in der Familie zu nennen. Es war ohnehin schon ein wenig seltsam, dass es flavische Sklaven gab, die nicht auf der Hochzeit geholfen hatten. Allerdings, mit dem Kind wäre es vermutlich auch schlecht gewesen, überlegte die Flavierin. "Du singst wunderschön. Wovon handelt das Lied? Es klang so traurig." fragte sie Bridhe dann weiter aus. Ihr fielen auf Anhieb noch viele Fragen ein, aber sie hätte die Fremde damit wohl nur überrollt, ganz zu schweigen davon, dass es sie wohl nur noch mehr verängstigt hätte als ohnehin schon. "Du hast doch nichts dagegen, dass ich mich zu dir setze?" Vermutlich würde sie ohnehin mit Nein antworten, aus Angst, Epicharis vor den Kopf zu stoßen. Doch daran dachte sie nicht.

  • Die Frau nahm an der anderen Seite meines Tisches Platz. Sie wirkte freundlich, so hatte es den Anschein. Ich jedoch blieb stehen und betrachtete sie. Auf sie musste ich einen verängstigten Eindruck machen. Allerdings verlor ich mit der Zeit meine Angst. Das ließ mich auch wieder lockerer werden. Nach einer Weile erst, fragte sie, ob es mir recht sei. Was hätte ich darauf antworten sollen? Sie war mein Gast, dem ich meine Gastfreundschaft nicht entziehen konnte.


    Nein, bitte bleib doch!


    Ich beschloss, mich zu ihr zu setzen. Zwangsläufig fiel mir das süße Brot und der Apfel ins Auge. Es war Brauch, am Samhain Abend, gemeinsam vom Báirín breac, dem süßen Brot zu essen.


    Möchtest du ein Stück? Ich habe es selbst gebacken. Es schmeckt gut, das ist ein süßes Brot mit getrockneten Früchten darin, fragte ich sie. Bevor sie antworten konnte, nahm ich ein Messer und schnitt zwei Stücke ab und legte eines vor sie hin.


    Ja, Diarmuid ist ein keltischer Name. So heißt mein Vater.


    Der Kleine war mit einem Mal wieder munter und spielte mit seinen Händchen in der Luft. Ich wunderte mich, wie ruhig er dabei blieb. Sonst begann er immer bald darauf zu quengeln, wenn er erwachte. Solange er aber schön brav war, ließ ich ihn in der Wiege.


    Mein Name ist.., war Bridhe.


    Dieser neue Name war noch so ungewohnt und er klang gar nicht nach mir. Er klang eher nach einer Fremden.
    Epicharis, so war ihr Name.Er klang fremd in meinen Ohren. Ich hatte ihn noch nie gehört. Gab es eine Bedeutung dafür? Natürlich war sie Römerin. Danach musste ich nicht fragen. Mit Sicherheit war sie ein Mitglied der Familie.Wahrscheinlich war sie zu Besuch.
    Ihr hatte mein Gesang also gefallen. Da war sie nicht die einzige gewesen. Sie wollte wissen, worum es in diesem Lied ging. Ihr war überhaupt nicht bewusst gewesen, welcher Tag, oder besser gesagt, welche Nacht heute war. Natürlich hatte sie auch keine Ahnung, dass sie mitten in meine, wenn auch eher trist anmutende, Samhainfeier geplatzt war.


    Das Lied ist eigentlich gar nicht traurig. Es geht um das Fest, was wir heute Nacht feiern. Oíche Shamhna bedeutet Samhainabend. Es ist ein Kinderlied. Als ich klein war, haben meine Geschwister und ich es oft gesungen, antwortete ich lächelnd und biss ein Stück von dem Brot ab. Ich nahm an, Epicharis hatte noch nie vorher von Samhain gehört. Für die meisten Römer waren unsere Bräuche fremd und barbarisch.

    Samhain ist die Nacht, in der der Jahreskreis endet und wieder von neuem beginnt. Es ist der Abschied vom Sommer und der Einzug des Winters. In dieser Nacht sind uns die Toten ganz nah. Wir feiern mit ihnen.


    Der Kleine nahm es mir übel, dass ich ihm, trotz seines Erwachens kaum Beachtung geschenkt hatte. Ihm war langweilig geworden, in seiner Wiege. Deshalb glaubte er, es sei an der Zeit, sich bemerkbar zu machen, indem er anfing, zu schreien. Natürlich sprang ich gleich auf und nahm ihn zu mir. Ich wog ihn in meinen Armen und schon bald wurde aus seinem schreien ein leises wimmern und verstummte dann ganz.

  • Auf die nachträglich ausgesprochene Einladung hin nickte Epicharis nur dankbar. Die Frau setzte sich ihr gegenüber und bot ihr dann ein Stück Brot an. Eigentlich hatte Epicharis kaum Hunger, andererseits war sie eben auf dem Weg ins Triclinium gewesen. Da konnte sie genauso gut hier ein Stückchen Brot essen, das gebot die Höflichkeit allein schon. Und Bridhe hatte ohnehin schon zwei Stücke abgeschnitten und schob ihr nun eines hin. "Danke", entgegnete Epicharis. Und als sie einen ersten Bissen genommen hatte, sagte sie: "Mmmh, das ist wirklich gut - gehst du öfter dem Koch zur Hand?" Süßes Brot schmeckte, wie Epicharis feststellte, fast so wie die kleinen Kuchen, die man überall in der Stadt kaufen konnte. Nur ein paar Krümel blieben auf dem Tisch zurück, als das Brotstückchen verschwunden war.


    Der gehegte Verdacht bestätigte sich, dass sie Keltin war. Die darauf folgende Antwort allerdings warf schon einige Fragen auf. Epicharis runzelte die Stirn und bedachte Bridhe mit einem fragenden Blick. "War?" Dann trat erkennen in ihren Blick. Sicher hatte man ihr beim Kauf einen neuen, einfacheren Namen gegeben. "Wie nennt man dich jetzt?" fragte sie daher.


    "Samhainabend?" echote sie dann. "Ist das so etwas wie die Lemuria?" Sie konnte sich sonst keinen Reim darauf machen. Sie betrachtete die spärlichen Gaben auf dem Tisch erneut. Wie ein Fest sah das nicht aus. Aber das lag gewiss daran, dass der Sklavin die Mittel fehlten, und da sie sie nicht vor den Kopf stoßen wollte, sagte sie nichts dazu, sondern deutete stattdessen auf das süße Brot. "Darf ich noch ein kleines Stückchen? Es ist wirklich sehr gut. Was sind deine Aufgaben im Haus? Als Bäckerin hättest du sicher eine große Anhängerschaft", bemerkte sie freundlich und wandte sich dann nach dem Kind um, dass zunächst quengelte und dann zu schreien begann. Auf Epicharis' Gesicht war nun der Ausdruck zu sehen, der jeder Frau eigen ist, wenn sie sich ein eigenes Kind wünscht: Sie litt mit. Seine Mutter holte ihn auch gleich hervor und schaukelte ihn ein wenig. Wie herzig der Kleine doch war. Epicharis schmunzelte vor sich hin, konnte dem Drang dann aber doch nicht widerstehen. "Was ist er goldig! Diarmuid... Möchtest du mal zu mir kommen?" sprach sie mit dem Kleinen. "Darf ich?" wandte sie sich danach lächelnd an Bridhe.

  • Wiegend und Tätschelnd war es mir gelungen, den Kleinen zu beruhigen. Meine Besucherin probierte derweil etwas von dem Brot. Interessiert richtete ich meinen Blick auf sie, während ich meinem Kind zärtlich die Stirn küsste. Ihre Frage verwunderte mich, aber ich begriff schnell, dass es als ein Kompliment gemeint sein musste. Der Koch und ich, wir waren nicht wirklich Freunde geworden. Er konnte deshalb getrost auf meine Hilfe verzichten und ich auf ihn.
    Nein, das würde ihn wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben, scherzte ich. Das Brot musste ihr wirklich geschmeckt haben, denn sie ließ nur einige Krümel davon übrig. Auch der keine Ring war nicht in ihrem Stück versteckt gewesen. Also konnte ich noch immer der Finder des Ringes werden und somit stiegen auch meine Chancen wieder auf eine baldige Heirat. Jetzt musste nur noch der Richtige vorbei schauen…
    Wegen meines Namens hatte ich sie neugierig gemacht. Aber jeder andere hätte sich auch nach meinem neuen Namen erkundigt! Von daher hatte ich mit dieser Frage gerechnet.


    Brigantica heiße ich jetzt.


    Das Flaviana hatte ich einfach unterschlagen. Sie hatte mir ja auch nur ihr Cognomen verraten. Wahrscheinlich wusste sie aber sowieso, wer ich war. Dass sie mich allerdings für eine Sklavin hielt, ahnte ich nicht. Wobei dies bis vor einigen Monaten gar nicht so abwegig gewesen war.
    Was in ihr vorging, als ich von einem Fest sprach, konnte ich nur ahnen. Ich wusste nicht, dass es bei den Römern ein ähnliches Totenfest gab, das man allerdings zu einer ganz anderen Jahreszeit feierte. Deswegen war mir Lemuria kein Begriff. Doch Samhain war nicht nur ein Totenfest. Es war auch ein Fest der Hoffnung und der Freude, auch wenn von beidem an diesem Abend bei mir nicht viel zu spüren war. Früher jedoch, als ich noch zu Hause lebte, war es anders gewesen. Da war es der Höhepunkt, bevor die dunkle Jahreszeit kam.


    Ich kenne euer Lemuria nicht. An Samhain versammelt sich immer das ganze Dorf und man entfacht ein großes Feuer. Das macht man, um die Geister, die einem nicht wohl gesonnen zu vertreiben und den Geister der Ahnen den Weg zu leuchten. Es gibt auch verschiedene Bräuche in der Familie. Einer davon ist dieses Brot. Es ist nicht einfach nur ein süßes Brot. Die Früchte darin erinnern an den Sommer der vergangen ist und der Ring, der darin verborgen ist, deutet darauf hin, was im nächsten Jahr geschieht. Wer ihn findet, der heiratet im nächsten Jahr. Auch der Apfel weiß, was die Zukunft bringt.


    Ich gab Epicharis auf ihre Bitte hin noch ein Stück Brot und deutete auf den Apfel, der noch unangetastet auf dem Tisch lag und den ich im Laufe des Abends noch aufschneiden wollte.


    Meine Aufgaben? Im Augenblick kümmere ich mich hauptsächlich um mein Kind. Ich kann es noch nicht alleine lassen. Deshalb trage ich es jeden Tag in einem Tragetuch mit mir. Früher war ich für Aquilius´ cubiculum zuständig. Jetzt kümmere ich mich zwar immer noch darum, aber nicht mehr in dem Maße, wie früher.


    Ihr Vorschlag, einmal als Bäckerin zu arbeiten, fand ich gar nicht so abwegig. Backen machte mir Spaß, allerdings nur, wenn ich nicht dutzende von Broten den ganzen Tag backen musste. Das hatte aber noch Zeit. Wegen meiner beruflichen Zukunft machte ich mir vorerst noch keine großen Gedanken. Zuerst musste mein Kind noch etwas größer werden.


    Der kleine Diarmuid lag nun wieder ganz friedlich in meinen Armen und himmelte mich an. Es hatte den Anschein, als liebte er seine Mama heiß und innig.
    Epicharis hatte wohl noch keine eigenen Kinder. Ihrem Blick konnte ich aber entnehmen, wie gerne sie ein Kind gehabt hätte. Als sie mich fragte, ab sie ihn einmal nehmen dürfe, zögerte ich erst kurz, reichte ihr aber dann mein Kind.

  • "Brigantica", Epicharis nickte, runzelte dann aber die Stirn. "Du wirkst nicht so glücklich mit deinem neuen Namen. Möchtest du lieber Bridhe genannt werden?" fragte sie. Als sie Fiona von ihrem Vater übertragen bekommen hatte, hatte Epicharis zunächst auch überlegt, ob sie vielleicht gemeinsam einen Namen finden konnten, der leichter auszusprechen war. Epicharis tat sich zwar nicht schwer damit, fremde Wörter zu erlenen, doch machten ihr die andersartige Aussprache ein wenig zu schaffen, was Bridhe sicher auch bei der Aussprache des Namens ihres Sohnes aufgefallen war. Erneut betrachtete sie die glückliche Einheit von Mutter und Kind, zeigte dann allerdings Überraschung, als ihr Gegenüber davon sprach, die Lemuria nicht zu kennen. Wie alt mochte der Kleine sein? Ganz neugeboren war er nicht mehr, sein Gesichtchen wirkte nicht mehr ganz so zerknautscht wie das von Klein-Gracchus. Die Lemuria waren ein langes Fest, das einmal jährlich gefeiert wurde. Jede Familie Roms feierte es, daher erschien es Epicharis doch sehr seltsam, dass Bridhe es nicht kannte. Was eine neue Frage aufwarf. Doch die würde sie erst ein wenig später stellen. Zuerst hörte sie die Erzählung von den Bräuchen der Kelten, die ihr seltsames Samhainfest feierten.


    "Ein Feuer, um den Geistern den Weg zu leuchten?" wunderte sie sich. Sicher sollten die Geister besänftigt und fern gehalten werden von den Häusern. Vielleicht lenkte man sie mit dem Feuer von den Häusern ab? Ja, das klang durchaus logisch. Dennoch fragte Epicharis nach. "Den Weg wohin denn? Oh, da ist ein Ring drin?" Epicharis kicherte. "Dann solltest besser du ihn finden, ich habe ja eben erst geheiratet", sagte sie fröhlich. "Was hat es mit dem Apfel auf sich? Mir scheint, dieses Samhain ist ein lustiges Fest. Habt ihr auch öffentliche Opferungen?" Nein, Epicharis musste nicht erst auftauen, es entsprach ihrem Naturell, offenherzig und wissbegierig zu sein.


    Inzwischen hatte Bridhe ihren Sohn beruhigt und Epicharis grübelte immer noch darüber nach, wer der Vater war und was Bridhe hier eigentlich so tat. Im nächsten Satz allerdings stellte sich heraus, dass sie wohl eine Cubicularia war. Epicharis nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. "Dann bist du Aquilius' Sklavin? Oder Cubicularia?" fragte sie schließlich doch, wonach sie wieder einen Bissen Brot nahm. Bridhes eigenes lag vor ihr auf dem Tisch, der Sohnemann war schließlich dazwischengekommen. Auf den bezogen sich Epicharis' Blicke nun wieder stärker, und sie strahlte, als Bridhe ihr den kleinen Mann reichte. Sie streckte die Arme aus und nahm das kleine Menschlein entgegen. Es war ihr nach wie vor ein Rätsel, wie aus den kleinen Füßen und Händen später man die Pranken eines ausgewachsenen Mannes werden konnten. Sie bettete den Kopf des Kindes vorsichtig in ihrer Armbeuge und hatte dann nur noch Augen für ihn. Der Kleine schien es gut zu finden, nach Epicharis' Haarsträhnen zu greifen, zupfte daran und brabbelte vor sich hin. Die Flavia versuchte, ihm die Haare sanft zu entwinden, schaffte es schließlich und gab ihm stattdessen einen kleinen Finger zum Spielen. Der Wunsch, ein eigenes Kind zu haben, war nun fast übermächtig. Wie gut es doch war, dass sie damals nicht doch zu den Vestalinnen gegangen war! Was sie da alles verpasst hätte... Das ganze Leben wäre an ihr vorbeigezogen, und wer hätte sie alt und verbraucht schon noch haben wollen? "Ach nein, ist er niedlich... Wie alt bist du denn, hm?"

  • Im Grunde hatte sich recht! Dieser Name, das war nicht ich. Er klang römisch. Aber römisch, das war ich nicht und wollte es auch nie sein. Bridhe, das war ich! Das war, wie die grünen Hügel Taras und das graublaue Meer an einem verregneten Sommertag!
    Seit meiner Freilassung hatte ich niemals gezeigt, wie sehr ich das alles vermisste! Diese Sehnsucht war nun stärker denn je, wahrscheinlich weil ich war es, die eine Rückkehr unmöglich gemacht hatte. Ich ließ mir nichts anmerken. Stattdessen machte ich eine freudestrahlende Miene, wenn man mich auf meine Freilassung ansprach, oder ich Aquilius begegnete. Ja, ich musste mächtig stolz sein! Nein, das war ich nicht! Ich war nicht stolz. In einem gewissen Maße fühlte ich mich erbärmlich! Eigentlich hatte ich gehofft, dieses Gefühl nach der Geburt meines Sohnes hinter mir zu lassen. Von nun an wird alles besser, hatte ich mir immer wieder vor gesagt! Meine Einsamkeit, tief im Inneren meines Herzens aber blieb. Mein Sohn konnte diese Leere meist füllen, doch in den stillen Augenblicken des Abends, wenn er schlief und ich meinen Gedanken freien Lauf ließ, dann tat sich wieder diese unendlich tiefe Grube auf. Genau an diesem Abend war es wieder einmal so weit gewesen. Die Erinnerungen an schönere Zeiten taten ihr Ihriges dazu.


    Du kannst mich gerne Bridhe nennen, wenn du möchtest!


    Das klang fast schon wie eine Bitte. Trotz allem noch den vertrauten Namen zu hören, war tröstlich.


    Ja, ein Feuer, antwortete ich. Ich starrte einen Moment in die Leere, so als könne ich das Feuer des vergangen Jahres genau vor mir sehen. Wie schön es gewesen war! Wir waren fröhlich und tanzten, bis…


    Ja, damit sie den Weg zu denen finden, die an sie denken.


    Epicharis, die Römerin, verstand nicht viel von dem was wir glaubten. Wenn ich mich daran erinnerte, wie Aquilius es abgetan hatte, als ich ihm von Brigid, meiner Göttin erzählte, dann war es nicht verwunderlich.


    An Samhain treffen Ende und Anfang aufeinander. In dieser Nacht sind die Tore zur Anderswelt nicht verschlossen. Die Geister unserer Ahnen können deshalb ungehindert zu uns kommen. Deswegen das Feuer und die Lichter!
    Mein Licht ist für meine Mutter. Sie ist gegangen als ich dreizehn war. Seitdem vermisse ich sie sehr.


    Ich deutete auf die flackernde Kerze, die auf dem Tisch stand und vor sich her brannte. Dann sah ich sie verblüfft an, als sie zu kichern begann. Die Tatsache, dass ein Ring im Brot versteckt war, fand sie witzig.


    Ach so, du bist schon verheiratet! Dann werde ich ihn ganz bestimmt finden, obwohl ich gar keinen Bräutigam habe.


    Das klang spaßig, das war es aber nicht. Trotzdem deutete ich ein Lächeln an.
    Nachdem ich ihr schon einiges über Samhain berichten konnte, wollte ich nicht vor dem Geheimnis des Apfels Halt machen.


    Den Apfel scheidet man in zwei Hälften und dann kann man anhand des Gehäuses die Zukunft für das bevorstehende Jahr deuten.


    Das musste alles ganz fremd für sie klingen. Vielleicht sogar barbarisch. Obwohl, in der Zeit, in der ich nun hier war, hatte ich gelernt, wie abergläubisch auch die Römer sein konnten. Vielleicht hatte sie ja dafür Verständnis. Überhaupt war ihr Interesse sehr groß.


    In meiner Heimat opfert man den Göttern an diesem Abend. Priester führen diese Opferungen durch. Früher habe ich oft zugesehen.


    Ich sah zu meinem Kind hinüber, das in Epicharis Armen lag. Der Kleine war friedlich und fühlte sich sichtlich wohl. Etwas was in mir eine Art Unruhe auslöste. Ich verwarf den Gedanken gleich wieder. Nein, mein Kind würde mir niemand mehr wegnehmen können. Jetzt nicht mehr! Deshalb war ich Brigantica geworden. Nur deshalb!
    Ihre nächste Bemerkung um Aquilius´Sklavin, erschütterte mich und ich fühlte mich wieder um Monate zurück geworfen.


    Ja, ich meine nein. Ich war es. Jetzt nicht mehr.


    Etwas mehr Freude hätte in meinen Worten widerspiegeln können. Im Prinzip war ich es noch immer, auch wenn ich nach ihrem Gesetz frei war. Doch nicht frei genug, um nach Hause zu können.
    Dem kleinen Diarmuid war das alles gleich. Er liebte es, gleich ob es Römer, Kelte oder Gemane, frei oder unfrei war, bewundert zu werden und strahlte und gluckste fröhlich. Er war wirklich mein Sonnenschein!


    Er ist fast drei Monate alt.

  • Obwohl alles an Bridhe augenblicklich freuderfüllt zu strahlen begann, glaubte Epicharis ihr nicht recht. All die zur Schau getragene Freude erreichte nicht die Augen, die nach wie vor von einer gewissen Trauer beseelt und damit im Widerpsruch zu dem standen, was Bridhe ihr Glauben machen wollte. Epicharis lächelte schwach und nahm erneut einen Bissen von dem leckeren Brot. Dass sie dann ihren Vorschlag annahm, weiter Bridhe genannt zu werden, bestätigte Epicharis' Vermutung nur noch. Doch sie kannte die Frau nicht gut genug, um Trost zu spenden oder ihr zuzureden, also schwieg sie weiterhin und nickte nur. Sie würde sie gern bei dem Namen nennen, den ihre Vorfahren ihr gegeben hatten, und ob sie sich nun Brigantica oder Bridhe merkte, war wohl einerlei.


    Interessiert lauschte Epicharis den Geschichten des fremden Volkes und ihres Glaubens. Es war fast wie ein Abenteuer, an dem sie teilnahm, wenn auch nur in Gedanken. Allerdings verstand sie nicht ganz, warum man wollte, dass die Geister der Ahnen an diesem Samhainabend die Lebenden heimsuchten. "Oh", machte Epicharis dann, als Bridhe von ihrer Mutter sprach. Augenblicklich dachte sie an ihre eigene Mutter und wirkte ein wenig bedrückt. "Meine Mutter ist gestorben, da war ich noch ganz klein."


    "Ja", erwiderte sie dann und lächelte ein wenig. "Seit drei Tagen erst. Weißt du denn das nicht? Ich dachte, du wärst vielleicht da gewesen?" Aber mit dem Kind war das wohl kaum der Fall. Vielleicht hatte man ihr sogar verboten zu kommen, weil das Kind sonst vielleicht das Opfer gestört hätte? Epicharis sah Bridhe nachdenklich an und lächelte dann vage. "Marcus Aristides ist mein Ehemann. Ihn wirst du doch aber kennen, oder?" Daran, dass Bridhe irgendwann einen Ehemann finden würde, zweifelte Epicharis nicht. Sie war doch noch jung und hübsch zudem.


    "An dem Gehäuse erkennt man die Zukunft? Tatsächlich?" fragte Epicharis verblüfft nach. Das war eigentlich wie eine Eingeweideschau, aber doch anders. Die Zukunft konnte man da schließlich nicht erkennen, nur ob man die Gunst der Götter hatte oder nicht. Interessiert begutachtete Epicharis den rotwangigen Apfel. "Können wir das machen? Kann man da unserer beider Zukunft erkennen oder nur die von einem?" Eigentlich wie ein Orakel, dachte sich Epicharis. Ob Bridhe eine Art Orakel war? Ein wenig bewundernd musterte sie die Libertina. Sie platzierte einen Ellbogen auf den Tisch und stützte ihr Kinn mit dem Handrücken ab, während sie das tat, den Kleinen wohl behütet im anderen Arm und auf dem Schoß. Und als Bridhe von den Opferungen erzählte, war Epicharis auch ganz aufmerksam. So vieles schien sich doch nicht zu entscheiden. Vielleicht waren diese Kelten nur langsamer gewesen auf dem Weg, den die Römer schon gegangen waren, überlegte sie. "Und was opfert ihr so?" fragte sie nach. Vielleicht ergaben sich da noch weitere Gemeinsamkeiten.


    Der Kleine in Epicharis' Armen brabbelte ein wenig vor sich hin und begann, an seiner Faust zu lutschen. Dabei sabberte er ein wenig, und etwas von der Spucke blieb an Epicharis' Gewand kleben. Doch statt den kleinen Kerl schnellstmöglich wieder loszuwerden, gluckste Epicharis nur entzückt und sagte zu Bridhe: "Ach guck mal, wie süß! Drei Monate schon, bist du aber groß..." wandte sie sich dann wieder an den kleinen Diarmuid. "Wenn er älter ist, darf er sicher mit dem kleinen Gracchus Minor spielen." Zumindest wäre das wünschenswert. Allerdings konnte Minor nicht mehr mit seinem zukünftigen Leibsklaven aufwachsen, denn dieses Kind war nun frei und hatte später einmal die Möglichkeit, das Bürgerrecht zu erwerben und damit ein waschechter Römer zu werden. Epicharis blickte versonnen auf ihn hinunter, hob dann aber den Kopf und sah Bridhe wieder an. "Nicht mehr, natürlich. Und was machst du nun? Außer dich um deinen Schatz zu kümmern, meine ich." Irgendetwas musste sie doch tun, man würde ja krank werden, wenn man den ganzen Tag allein mit einem Kleinkind drinnen hockte.

  • Keine Frage, meine Erzählung über das Fest, war bei Epicharis auf reges Interesse gestoßen. Nicht nur deswegen erzählte ich weiter. Ich tat es, um des Erzählens willen. Es war gut, wenn man mit jemandem sprechen konnte, seine Gedanken teilen konnte und wusste, derjenige hörte auch zu. Das machte das Leben um einiges leichter und hielt die Erinnerungen wach, meine einzige verbliebene Verbindung.


    Ich war dreizehn, als sie starb, kurz nach der Geburt meines kleinen Bruders. Nachdem meine ältere Schwester einige Jahre zuvor gestorben war, musste ich mich von da an, um die Familie kümmern. Ich trat an die Stelle meiner Mutter.


    Der Todestag meiner Mutter begrenzte auch gleichzeitig das Ende meiner Kindheit, die bis dahin recht unbeschwert verlaufen war.
    Bereits als sie erwähnt hatte, sie sei erst frisch verheiratet, begann ich zu überlegen, war aber nicht auf das naheliegenste gekommen. Nämlich die große Hochzeit der Flavier vor einigen Tagen, von der ich viel gehört hatte. Das ganze Haus war seit Tagen schon auf den Beinen gewesen und mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen.


    Nein, ich war nicht dabei. Ich hielt es nicht für angemessen, wegen dem Kind, antwortete ich. Einfach so dort zu erscheinen, wollte ich nicht. Ich war keine Sklavin mehr, die ihren Herrn begleiten musste. Außerdem wäre es auch zu anstrengend für den Kleinen geworden.


    Ja, Aristides kenne ich.


    Ich hatte ihn während meiner Schwangerschaft kennengelernt, kurz nach seiner Rückkehr aus dem Krieg. Das ganze geschah eher unfreiwillig und selbst die Erinnerung an dieses seltsame Treffen war mit einem sehr unguten Gefühl gekoppelt. An diesem Tag hatte ich zum ersten und hoffentlich auch zum letzten Mal in meinem Leben Schwanenfleisch gegessen. Mir war speiübel danach gewesen, was nicht an der Qualität des Fleisches lag, sondern einfach nur an meiner Vorstellungskraft, etwas zutiefst frevelhaftes getan zu haben.
    Gerne wechselte ich das Thema, zu etwas unverfänglicherem, dem Apfelorakel, wenn man so wollte.


    Ja, so sagt man.


    Ich nahm den Apfel und das Messer und sah sie an.


    Wenn unser beider Schicksal miteinander verbunden wäre, dann könnten wir es gemeinsam machen. Was möchtest du über deine Zukunft wissen?


    Bevor ich den Apfel aufschnitt, wartete ich gespannt auf ihre Antwort. Vermutlich war es die Frage, wie viele Kinder sie bekommen würde. Das war die Frage, die meistens die jungen Frauen beschäftigte, besonders dann, wenn sie erst kürzlich geheiratet hatten.
    Die Frage nach dem Opfer war überhaupt nicht verwunderlich. Im Laufe der Zeit, seit ich hier war, hatte ich erfahren, was die Römer ihren Göttern opferten und ich war zum Schluss gekommen, dass es nur wenige Unterschiede gab.


    Speziell an Samhain opfern wir auch den Geistern unserer Ahnen, um sie milde zu stimmen. Das sind kleine Opfer in Form von essbaren Dingen, ein Brot, etwas Fleisch oder Milch. Aber es gibt auch große Opfer, die unsere Druiden darbringen. Eine Kuh, ein Schaf oder eine Ziege.


    In besonders schweren Zeiten, so hatte ich gehört, hatte man auch schon Menschen den Göttern dargebracht. Ich selbst hatte aber noch kein Menschenopfer miterlebt.
    Epicharis lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf meinen Sohn, den sie noch immer auf ihrem Arm trug und dem es bei ihr zu gefallen schien.


    Ja, vielleicht, antwortete ich und deutete ein Lächeln an. Ob er tatsächlich eines Tages Gracchus Minors Spielkamerad werden würde, war noch abzuwarten. Ich vermied es eigentlich gerne, mit der Mutter des Kleinen in Kontakt zu kommen, denn unsere letzte Begegnung hatte ich noch in sehr unangenehmer Erinnerung. Der Claudia würde es da wahrscheinlich nicht anders gehen.


    Im Augenblick arbeite ich noch im Haus mit, so gut es geht. Aber wenn mein Kind etwas größer ist, dann werde ich mir etwas Neues suchen müssen.


    Ich hatte noch keine Vorstellung von dem, was ich dann machen sollte.

  • Epicharis schwieg betreten, als Bridhe von ihrer Kindheit sprach. Einer Kindheit, die offensichtlich nicht lange gewährt hatte. Sie dachte an ihre eigene zurück. Zwar war ihre Mutter ebenfalls viel zu früh gestorben, aber Epicharis hatte nicht in ihre Rolle schlüpfen müssen. Dafür hatte es Ammen und SKlaven gegeben, und die ein oder andere Frau, die ihren Vater getröstet hatte. So schwieg Epicharis dazu und sagte nichts. Stattdessen krümelte sie ein wenig mit ihrem Brot herum und blickte dann und wann den Kleinen von schräg oben her an. Als Bridhe bezüglich Aristides antwortete, sah Epicharis auf und versuchte, in ihrem Gesicht ihre Meinung über ihn abzulesen, aber wirklich erkennen konnte sie nichts. Allerdings schien sie auch nicht recht über ihn sprechen zu wollen, also schwieg Epicharis auch hierzu und blickte nun auf den Apfel, den Bridhe genommen hatte. Ein wenig beklommen hielt sie den kleinen Diarmuid fest, lächelte jedoch wieder, als er das Fäustchen aus seinem Mund nahm und und glucksend ein wenig Spucke auf dem Tisch verteilte. "Ein Goldstück. Ich wünschte, ich hätte auch so einen kleinen, aufgeweckten Jungen. Sein Vater muss sehr stolz auf ihn sein." Immer noch wusste sie nicht, wer der Vater des Kindes war. Sonst hätte sie es als klüger betrachtet, hierzu zu schweigen.


    "Ist unser Schicksal nicht miteinander verbunden, wo wir nun beide in diesem haus wohnen?" fragte Epicharis freundlich und griff nebenbei nach der klebrigen Hand des Kleinen. der nun wieder zu quietschen begann. "Über die Zukunft... Ich möchte wissen, ob ich glücklich bleibe", erwiderte sie dann, stutze aber und berichtigte sich. "Nein, warte. Ich möchte wissen, ob ich dir und deinem Kind helfen kann, damit du nicht mehr so einen traurigen Blick hast." Ein freundliches und ganz und gar nicht hintergründiges Lächeln begleitete diese Worte. Diarmuid schwieg und sah mit großen Augen die Kerze an, die er eben erst entdeckt hatte.


    "Ach, das ist ja fast wie zu unseren Festen", sagte Epicharis schließlich. Eigentlich war das auch nicht wenig verwunderlich, immerhin traten die römischen Götter in Zweitjobs auch in anderen Regionen auf. Andererseits waren viele auch nur Heidengötter, und wer konnte schon sagen, wann es ein römischer Gott war, der in eine andere Rolle geschlüpft war, und wann ein Heidengott oder gar ein Hirngespinst? Epicharis wurde von diesen gedanken abgelenkt, als Bridhe wieder auswich. Sie schien nicht sonderlich viel mit den Flavier zutun haben zu wollen, schlussfolgerte Epicharis daraus. Und sie war nun auch eine Flavia. Ein wenig traurig über die Ablehnung, blickte sie wieder zu Diarmuid hinunter, dem allmählich die Äuglein zufielen. Selig betrachtete Epicharis ihn und begann, ihn ein wenig hin und her zu wiegen. "Du solltest Bäckerin werden", sagte Epicharis spontan. "Mit einem eigenen Laden vielleicht."

  • Wenn ich an mein bisheriges Leben zurück dachte, so konnte ich sagen, dass es nicht besonders hart oder besonders schlimm gewesen war. Gut, ich hatte früh meine Mutter und damit meine Kindheit verloren. Aber das, was danach kam, hatte mich stark gemacht und selbst später, nachdem ich den Sklavenfängern in die Hände gefallen war, hatte es auch noch schöne Tage in meinem Leben gegeben. Doch an solchen Abenden, wie dem Samhainabend, wurde mir wieder schmerzlich bewusst, was ich alles verloren hatte. Meine Familie fehlte mir so sehr. Wenn ich sie doch noch einmal hätte sehen können. Meine neue Familie, war mein Kind, das noch bei Epicharis saß. Er war wirklich ein Goldstück! Ich konnte es kaum erwarten, bis er groß war und war gespannt, wie er sich dann entwickeln würde. Ob der Vater des Jungen stolz war, konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen.


    Ja, sicher, gab ich mit einem gepressten Lächeln zur Antwort. Sie wusste wahrscheinlich gar nicht, wessen Kind das war.
    Als es schließlich um das Apfelorakel ging, meinte sie, unser Schicksal wäre miteinander verbunden, da sah ich sie erst etwas fragend an. So hatte ich das noch nie gesehen. Gut, es gab eine Verbindung zwischen Aquilius und mir, aber sie? Nur weil wir im gleichen Haus wohnten?
    Epicharis stellte die Frage, die sie über ihre Zukunft wissen wollte. Es war eine der Fragen, die sich die meisten Menschen stellten, wenn sie vor etwas Neuem standen. Das Glück stand immer im Vordergrund. Auch ich hätte es wissen wollen, wäre ich an ihrer Stelle gewesen. Aber dann revidierte sie ihre Frage, gerade in dem Augenblick, als ich den Apfel mit dem Messer teilen wollte. Ich sah sie verwirrt an und legte das Messer noch einmal ab. Mit ihrer neuen Frage brachte sie mich tatsächlich ins Wanken.


    Was?


    Meine Überraschung konnte man mir ansehen. Die Tränen stiegen mir in die Augen.


    Du bist wirklich sehr freundlich zu mir und meinem Kind. Das hilft mir schon ein wenig, die Traurigkeit zu verlieren, denn du bist bei mir. Ich muss diesen Abend also nicht alleine sein. Das hilft mir auch noch. Aber so wie du, suche ich auch das Glück. Du bist bereits glücklich. Ich hingegen, versuche noch, glücklich zu werden. Vielleicht wird mir das auch eines Tages gelingen.


    Der Apfel blieb vorerst unangetastet und bewahrte sein Geheimnis, wie das kommende Jahr werden würde.
    Inzwischen war der Kleine fast schon eingeschlafen. Immer öfter fielen ihm die kleinen Äugelein zu, was durch das hin und her wiegen noch unterstützt wurde. Nicht mehr lange und Diarmuid würde fest schlafen. Der Anblick des halb schlafenden Kindes ließ mich lächeln. Verträumt blickte ich in Epicharis´ Richtung. Ich sah erst wieder auf, als sie mir den Vorschlag machte, Bäckerin zu werden.
    Ich hatte schon immer Freude am Backen gehabt und es würde immer Menschen geben, die frisches Brot oder leckeres Gebäck wollten. Ein eigener Laden! Das hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt!


    Meinst du wirklich?

  • Bridhe ging nicht weiter auf den Vater ein, was Epicharis ein wenig stutzen ließ. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Wusste sie nicht, wer der Vater war? Oder empfand sie den Vater als ungeeignet? Epicharis grübelte darüber nach, aber es wollte sich ihr nicht erschließen, was genau Bridhe diesen traurigen Zug um die Lippen bescherte. Lautlos seufzte sie und betrachtete Bridhe dabei, wie sie das schlanke Messer nahm und dazu ansetzte, den Apfel zu teilen. Doch sie hielt inne und starrte Epicharis an. Epicharis erwiderte den Blick und sah, dass ihr Gegenüber plötzlich Tränen in den Augen hatte.


    Augenblicklich keimte ein schlechtes Gewissen in Epicharis. Was hatte sie falsch gesagt? Kurz blickte sie betreten auf das kleine Köpfchen Diarmuids hinunter, sah dann Bridhe wieder an, als sie zu sprechen begann. Bereits nach wenigen Worten berührte die Aufrichtigkeit das zarte claudische - flavische! - Herz, so dass auch Epicharis' Augen sich ein wenig mit Flüssigkeit füllten. Das Messer wurde wieder fort gelegt. Epicharis löste eine Hand von dem Kleinen und griff über den Tisch nach Bridhes Hand, um sie kurz zu drücken. "Es ist traurig, wenn man an einem Festtag allein sein muss, ob das nun ein römischer oder ein keltischer ist. Ich würde dir wirklich gern helfen, damit du nicht mehr so traurig bist. Du wirst sehen, irgendwann wirst du jemanden finden, der dir das gibt, was jeder zum Leben braucht. Und bis dahin lass mich dir helfen." Epicharis wusste selbst nicht so genau warum, aber diese triste Situation, die Bridhe umgab, ging ihr doch recht nahe. Und es würde gut tun, etwas Gutes zu tun. Aufmunternd lächelte sie, zog dann ihre Hand zurück und blickte zu dem Kleinen hinunter, als dieser ein zufriedenes Seufzen ausstieß. "Ein Kind sollte glücklich aufwachsen", stellte sie fest und sah dann Bridhe wieder an.


    "Ja, das meine ich. Wieso auch nicht? Wenn es dir Spaß macht und du es kannst? Brot und Leckereien werden immer gegessen. Und du hättest sogar schon einen Kunden, nämlich mich." Epicharis schmunzelte. "Es sollte eigentlich nicht schwer sein, das nötige Startkapital zu stellen. Ich würde Marcus fragen. Und vielleicht mit Aquilius reden..."

  • Ich wischte mir die letzten Tränen aus den Augen. Das war wirklich mehr,als ich erwarten konnte und jemals erwartet hätte. Die einsame Kerze, die ich am Abend entzündet hatte, hatte mir tatsächlich jemanden zu mir geführt. Ich war mir eine Ehre, Epicharis als Gast zu haben. Sie war so freundlich, wie ich es hier nur selten erlebt hatte. Sie wollte mir helfen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und was sie sagte, klang aufrichtig. Wenn es eines Tages wirklich jemanden gab, der mir das geben könnte, was man zum Leben brauchte, dann würde ich auch wieder glücklich werden, so wie ich es einst gewesen war. Das würde sich auch auf mein Kind übertragen und ihm nur zu gute kommen. Ein Kind brauchte einfach einen Vater, der es liebte und immer verfügbar war, wenn man ihn brauchte, auch wenn es nicht der leibliche Vater war.


    Danke, ich möchte deine Hilfe gerne annehmen.


    Ich ließ mich von Epicharis aufmunterndem Lächeln anstecken und auf einmal sah alles viel weniger schlimm aus, als es noch zu Beginn meiner kleinen Feier gewesen war.Die war ein wahres Samhainfest! An diesem Abend endete das, was gewesen war und etwas Neues begann zu keimen, was eines Tages Früchte tragen würde.


    Es würde mir wirklich viel Spaß machen und ich könnte etwas mit meinen Händen machen. Du bekämest natürlich das Brot und das Gebäck umsonst, scherzte ich. Eines Tages, konnte ich alles zurück zahlen, was man mir zur Verfügung stellte, um eine eigene Existenz aufzubauen.

  • "Also", erwiderte Epicharis gespielt entrüstet. "Wenn ich dir helfe, dann bestehe ich aber darauf, dass du mir nichts schenkst! Ich habe kein eiegenes Gewerbe, aber ich kann mir vorstellen, dass man sich zuerst im Wettbewerb behaupten muss. Und gerade hier in Rom gibt es ganz sicher viele Bäckereien. Du müsstest also etwas Besonderes anbieten. Vielleicht so eine Art wie dieses Früchtebrot?" schlug Epicharis vor und deutete auf das Bisschen Brot, das übrig geblieben war. "Ich muss natürlich erst mit Marcus darüber reden. Aber wenn wir es geschickt anstellen, sollte das kein Problem darstellen." Und Epicharis würde es geschickt anstellen. Viele Dinge waren einfacher, wenn die Männer dachten, es wäre ihre eigene Idee. Genau das hatte Epicharis vor. Sie würde nur den passenden Zeitpunkt abwägen müssen.


    "Ich glaube, in der Via Lata gibt es eine Bäckervereinigung. Wir könnten dann dort einmal nachfragen, ob sie wissen, wo man geeignete Räume anmieten kann, was meinst du?" sagte Epicharis. Sie wusste selbst nicht so genau, warum sie eigentlich schlagartig so von Vorfreude erfüllt war, doch es war so, obwohl sie Bridhe und ihr Kind eben erst kennengelernt hatte. Und was konnte man denn falsch machen, wenn man einer jungen Frau und ihrem Sohn ein wenig Hoffnung schenkte und von dem großen Kuchen abgab, den man selbst besaß? Außerdem war sie schließlich eine Klientin der Flavier. Es gab also nichts, was man falsch machen konnte. "Du bräuchtest natürlich auch einen aussagekräftigen Namen. Nicht so etwas wie 'Bridhes Bäckerei'", bemerkte Epicharis.

  • Schlagartig verschwand das Lachen aus meinem Gesicht, als Epicharis´ Stimme sich änderte. Hatte ich etwas falsches gesagt? Aber ich merkte gleich darauf, es war nur als Scherz gemeint. Das war sehr aufregend. Wahrscheinlich weil es einen Neuanfang darstellte. Ganz alleine auf eigenen Beinen zu stehen, das war ungewohnt. Deswegen machte ich mir auch ein bisschen Sorgen, denn es war so vieles, an das man denken musste und ja, es stellte eine Herausforderung dar, die erst noch gemeistert werden musste. Das Leben hier war ganz anders, alsdas,was ich früher kannte. Ob ich das alles alleine schaffte? Wohl kaum! Ich verfügte über keinerlei Mittel und noch weniger Erfahrung. Was, wenn niemand mein Brot kaufen wollte?
    Epicharis klang so zuversichtlich und überschüttete mich mit Informationen, so als wolle sie gleich anfangen. Sie war kaum zu halten! Vor allem sagte sie immer "wir". Sie und ich?


    Ja das könnten wir, antwortete ich ihr unsicher. Das kam alles sehr überraschend für mich. Vor mehr als einer Stunde war ich noch eine Frau ohne große Perspektive gewesen. Jetzt schon fast eine Bäckeribesitzerin. Das musste sich erst setzten. Morgen sah das vielleicht schon anders aus, wenn ich es richtig realisieren konnte.


    Was ist denn mit meinem Namen?


    "Bridhes Bäckerei" war jetzt nicht wirklich originell. Aber andererseits das war doch mein Name!

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