Cubiculum MFG | Ein Quantum Trost

  • Sie konnte nicht erahnen, was in ihm vorgehen mochte. Sie wusste nichts von der eingerissenen Feste, vom Tosen und Donnern der Felsen ins Meer seiner Seele. Epicharis erwiderte nur Gracchus' Blick, der so tiefgehend in ihren Augen nach der Wahrheit forschte und dort nichts anderes finden würde als ihre tiefste Überzeugung, dass es nicht sein Fehlen war, welches das Unheil so vieler herbeigeführt hatte. Lawine um Lawine schienen ihre Worte zu sprengen, und mit jedem Niedergang würde er freier atmen können. Epicharis hörte Verwunderung aus seinen Worten heraus, als er letztendlich sprach. Es gab nichts, das sie darauf hätte erwidern können. Kein Wort hätte das frische Fundament des neuen alten Manius Gracchus untermauern können. Das Lächeln, das Epicharis' Züge aber umspielte, beschien die neuen Grundmauern, aufdass er frohen Mutes beginnen konnte, seine Seelenfeste neu aufzubauen. Gracchus würde wissen, dass es keiner Frage und keines Zauderns bedurfte, sollte er je eine helfende Hand beim Wiederaufbaue seinerselbst benötigen. Epicharis schien es fast so, als gäbe es nun einen schillernden Regenbogen, der über allem stand und der eine Brücke schlug zwischen seinem Sein und ihrem eigenen Inneren. Sie wusste nicht, ob er genauso empfand, aber Epicharis schloss die Augen und genoss das sich ihr bietende Bild und die Gewissheit, ihrem Seelenverwandten begegnet zu sein.


    Erst sein unnötiger Dank tauchte in die friedfertige Oberfläche der Harmonie ein, ließ sie sich kräuseln und vertrieb damit in unzähligen kleinen Wellen das Bild. Epicharis blickte nun wieder Gracchus an, der eine Hand zum Mund geführt hatte und äußerst verschmitzt wirkte. Epicharis' Brauen neigten sich einander zu und untermalten den fragenden Ausdruck, der in ihren Blick getreten war. Und dann geschah etwas Außergewöhnliches. Einige Male hatte sie Gracchus lächeln, in Minors Gegenwart sogar strahlen sehen. Doch dies hier ließ ihre Augenbrauen sich in Überraschung nach oben wölben: Gracchus grinste. Beinahe wissenschaftlich fasziniert studierte Epicharis die Fältchen und Kräuseln der flavischen Gesichtshaut, bemerkte Lachfältchen um die Augen herum, die sie zuvor niemals wahrgenommen hatte - und stellte fest, dass ein solcher Ausdruck Gracchus geradezu stand. Epicharis' Lippen strebten auseinander, als sie fragen wollte, was es überhaupt zu verzeihen galt, doch da erklärte sich Gracchus bereits, und aus den zu sprechen bereiten Lippen wurde eine von Grund auf überraschte Lücke, die Epicharis erst nach einigen verdutzten Atemzügen wieder verschließen konnte. Dass Gracchus zu einer solchen Aussage sich hinreißen ließ, verblüffte sie beinahe noch mehr als sein breites, jungenhaftes Grinsen. Und doch... Epicharis sah hinunter auf die zerwühlten Laken des Bettes, wurde sich schlagartig der munkelhaften Dunkelheit um sie herum gewahr und spürte nun mit jeder Faser ihres Körpers Gracchus' Nähe. Wäre es hell gewesen, hätte Gracchus ihr Erröten unzweifehaft bemerkt. Ein kleines, leises Prusten entfuhr ihr. Dann begann sie zu kichern. "Tatsächlich?" fragte sie ihn und grinste nun ebenfalls verschmitzt. Sie war sich bewusst, dass diese Leichtigkeit nur kurz währen würde, denn Celerina war nach wie vor tot, und die Realität würde sie beide bald wieder einholen. Trotzdem konnte sie das erfrischende Gelächter nicht länger zurückhalten. "Es hätte mir eigentlich klar sein müssen, nachdem du mich so beherzt über die Schwelle getragen hast", erwiderte Epicharis und stubste den neben ihr sitzenden Gracchus mit ihrer Schulter an.

  • In den ersten Augenblicken war es auf Epicharis' Worte hin nun Gracchus, welchem die Hitze zu Kopfe stieg, die Wangen leicht sich röteten, was jedoch auch auf seinem Antlitz im Dunkeln des Abends verborgen blieb. Doch was sonstig ihn hätte in tiefe Verlegenheit gestürzt, trieb alsbald einmal mehr nur den Faunus ihm in die Sinne.
    "Du hast mi'h dur'hschaut, Ep'charis, ni'hts anderes war je meine Intention als i'h über die Schwelle di'h trug."
    Ein wenig fühlte er sich zurück erinnert, an jene beinah verhängnisvolle Nacht, in welcher die flavische Familie ein rauschendes Fest hatte bei Gracchus' Onkel Aetius gefeiert, und in welcher er mit seiner Base Leontia in deren Gemach war gelandet, auf deren Bette, wo sie gemeinsam hatten Schriften gelesen, wo sie gemeinsam hatten fantastische Welten bereist, philosophische Probleme hatten gelöst und ästhetische Poesie erschaffen, und obgleich jener Abend ihm beinahe zum Verhängnis wäre geworden, da das geteilte Bett durch Aetius nicht unbemerkt geblieben war, und jener im Verdacht einer verwandtschaftlichen Liaison Gracchus den Umgang mit seiner Tochter hatte verboten und ihn fortan stets fern Leontias hatte wissen wollen, so hatte sich doch eine tiefe, innige Beziehung daraus entwickelt, nicht körperlicher Natur, doch nicht minder fruchtbar. Einige Herzschläge noch betrachtete Gracchus Epicharis, suchte die Skizze der Calliope in ihrer Erscheinung, fuhr die schattigen Konturen mit einem imaginären Pinsel entlang und malte sich mit Worten ein Abbild ihres Schemens auf eine knittriges Pergament, welches in den Trümmern seines Gedankengebäudes zu finden war - bald schon würde er es übertragen auf eine der neuen Wände, ausgestalten mit farbigem Klang, ihm Dimension einverleiben mit duftenden Sätzen -, dann schob er sich langsam nach vorne vom Bett hinab.
    "I'h werde sehen, dass niemand vor der Türe ist, es wird sonstig nur Gerede geben, an dessen Wahrheitsgehalt niemand würde Interesse hegen."
    Es war nicht, dass Gracchus Epicharis zum Absentieren wollte bewegen, doch je länger sie würde verweilen, desto eher würde ihrer Anwesenheit bemerkt werden, denn früher oder später würde ein Sklave hereinkommen, die Lampen zu entzünden, und früher oder später würde irgendwer Epicharis oder ihn suchen, zudem wartete noch immer auf ihn die Aufgabe, der Familie ob Celerinas Tod zu künden. Der Schalk sank aus Gracchus Antlitz in sein Innerstes hinab, wurde verdrängt durch einen graven Ernst, der doch nicht gar so erdrückend noch war, wie einige Zeit zuvor.
    "I'h muss no'h für die Vorbereitungen der Beisetzung Sorge tragen - ein Zweig an der Türe, die Aufbahrung, die notwendigen Riten ..."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!