Germanen unter sich

  • Ein Herbsttag, wie er im Buche stand. Draußen herrschte strahlender Sonnenschein, ließ leuchtend bunt gefärbte Blätter erstrahlen, fiel hin und wieder auf eine Wasseroberfläche, die die Strahlen glitzernd und funkelnd brach und zurückwarf. In der Villa Flavia bekam man nicht so viel von dem Wetter mit – die Sonne schien durch die ihr zugewandten Fenster, aber das Leben ging seinen Gang, ungeachtet der Schönheit, in die die Welt draußen getaucht war. Die blonde Sklavin, die durch einen der Gänge ging – für sich sicherlich kein seltener Anblick in diesem Haus – war sich allerdings nur zu bewusst über das Wetter. Und sie freute sich darauf, hinauszukommen, an die frische Luft. Auch wenn das, was gerade hinter ihr lag, ihr ebenfalls gefiel.


    In den letzten Wochen hatte Siv die flavische Villa recht gut kennen gelernt, jedenfalls was den Weg vom Seiteneingang bis zu dem Raum betraf, in dem sie zusammen mit den anderen Unterricht bekam. Für gewöhnlich einmal in der Woche trafen sie sich, und sie genoss es, zu lernen – auch wenn sie in der letzten Zeit weniger Fortschritte machte, sondern irgendwie… nun ja, fest hing. Was sie störte, aber sie wusste auch nicht, was sie dagegen tun sollte, und weder Kleochares noch Cassim hatten ihr bis jetzt helfen können. Aber immerhin, ihr Latein war wesentlich besser geworden, und auch Lesen konnte sie inzwischen, einigermaßen. Die Germanin verlagerte die Schreibtafel und die beiden darauf gestapelten Schriftrollen, die Hausaufgaben und Lernstoff beinhalteten, von ihrem rechten Arm auf den linken, und ohne dass sie es selbst merkte, strich sie sich über ihren Bauch, der nach wie vor flach war. Sie tat das selten bewusst, dennoch hatte sie sich diese Geste in den letzten Tagen angewöhnt. Im übrigen verdrängte sie nach wie vor jeden Gedanken an ihre Schwangerschaft. Es war zu groß, zu viel – und noch war es nicht sichtbar, nicht spürbar, außer ihrer Übelkeit, die trotz des Mittels, dass der Grieche für sie angemischt hatte, beinahe krankhafte Züge annahm. Wenn das so weiterging, würde man bald etwas sehen können, weil sie derzeit trotz der Schwangerschaft eher ab- denn zunahm, so wenig war sie in der Lage bei sich zu behalten. Aber obwohl sie wusste, woran diese Übelkeit lag, war das doch nichts, was sie zwang, sich damit zu beschäftigen. Und im Moment fühlte sie sich wohler, wenn sie sich auf andere Dinge konzentrierte.


    Siv ging weiter, steuerte den Ausgang an, wurde aber langsamer, als sie an einer Tür vorbeikam, die zum Garten hinausführte. Auch sie hatte inzwischen von dem flavischen Garten gehört mit seinen Rosen, es war beinahe unmöglich, nichts davon zu hören, wenn man häufiger in dieser Villa ein und aus ging. Wie jedes Mal spürte sie Faszination und den Wunsch, sich den Garten endlich einmal ansehen zu können, und wie jedes Mal ging sie weiter, während ihr Blick auf der Tür ruhte. Sie war hier fremd. Sie konnte sich nicht einfach den Garten ansehen. Aber jedes Mal, wenn sie hier vorbeiging, fragte sie sich für einen winzigen Moment, ob sie es nicht doch wagen sollte, wenigstens einen Blick riskieren sollte, einen ganz kurzen nur… und dann war sie vorbei, die Tür entschwand ihrem Blickfeld, und sie verließ die Villa. Jedes Mal. Nur nicht heute. Sie wusste nicht genau, ob sie von vornherein zu weit links gegangen war oder ob sie erst dann nach links gesteuert hatte, als ihr Blick nicht mehr nach vorne sah, sondern zu Tür – in jedem Fall sah sie nicht den Ständer, auf dem eine Büste platziert war. Hätte sie jemand beobachtet, die letzten Male, derjenige hätte sich sicherlich gedacht, dass irgendwann das passieren würde, was jetzt passierte: sie rannte hinein. Ein halb überraschter, halb schmerzhafter Laut kam über Sivs Lippen, während der Ständer zu wackeln begann, ebenso wie die Büste ebenso. Noch ein Laut ertönte, diesmal erschrocken, und Tafel und Schriftrollen landeten auf dem Boden, während Siv hastig ihre Finger nach der Büste ausstreckte, um sie davor zu bewahren zu fallen – und höchstwahrscheinlich zu Bruch zu gehen.


    Sim-Off:

    Reserviert

  • Träumte die? Wenn die so weitermachte, würde die gegen... Wo sah die denn hin? Ich kniff die Augen zusammen, entschloss mich dann aber doch anders und sah wieder hin. Da wackelte die Büste schon. Na bitte, was hatte ich gesagt? Tafeln klapperten, Schritte erklangen. Mit einem Satz war ich bei ihr - der Büste - und hielt sie fest. Besser Wachstafeln als ne Büste von irgendso eine Kerl.


    Als der Flavier - es war bestimmt einer - wieder sicheren Stand hatte auf seinem Ständer, fand ich auch die Zeit, um die Sklavin anzuschauen. "Ging ja grad noch mal gut", kommentierte ich ihre Schusseligkeit, und damit es nicht ganz so abschreckend aussah, hob ich einen Mundwinkel an. Dann fiel mein Blick zu Boden, wo Schreibersachen verteilt lagen, und ich sammelte sie schnell ein, machte einen hübschen Stapel daraus und drückte ihn ihr wieder in die Hände. "Ich bin übrigens Nordwin, und du? Ahja, gleich vorweg: Wenn ich morgen deinen Namen vergessen hab, liegt das nicht an dir, sondern daran, dass ich in den letzten drei Tagen schätzungsweise hundert Namen gesagt bekommen habe, und bevor ich die total durcheinander bringe, frag ich lieber noch mal nach. Also - Nordwin - schön dich kennenzulernen." Ehe sich die Fremde Sklavin versah, hatte ich ihr eine Hand entgegen gestreckt und grinste sie leicht dämlich an. Zumindest kam ich mir so vor, so schnell wie ich den Namensspruch runtergerattert hatte, was aber nur daran lag, dass ich den Spruch heute sicher schon ein Dutzend mal aufgesagt hatte. Man(n) ahnte ja gar nicht, was so eine Hochzeit für Konsequenzen mit sich zog. Neues Bett, neuer Name der Herrin, neue Sklaven... Wenigstens Minna und Fiona waren noch mitgekommen. Ich hätte auch gar nicht gewusst, ob ich Minna dann vielleicht mal hätte besuchen dürfen.

  • Siv sah es kommen. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, leider nicht nur die Zeit, sondern sie mit ihr. Ihr Arm streckte sich aus, ihre Finger griffen nach der Büste, aber sie sah es, sie wusste es, sie würde sie nicht rechtzeitig erreichen, würde sie nicht halten können – und genau in dem Moment, in dem die Büste endgültig ihren Halt verlor und zu fallen drohte, schnellte die Zeit wieder zurück zu ihrem normalen Ablauf. Und eine andere Hand tauchte auf und hielt die Büste vom Fallen ab. Siv konnte sich gerade noch bremsen, bevor ihre Finger besagten Gegenstand berühren – und erneut ins Wackeln bringen konnten. Stattdessen wanderte ihr Blick die Hand entlang zu dem dazugehörigen Körper, hinauf ins Gesicht, und sie sah einen blonden Mann, älter als sie, der in eben diesem Augenblick sie ebenso musterte wie sie ihn. "Was?", murmelte sie zunächst, etwas verwirrt und immer noch etwas erschrocken über die Beinahe-Katastrophe – wer wusste schon, wen diese Büste darstellte oder wie alt sie war, und was die Flavier als Schadenersatz verlangt hätten. Eine Tunika war recht leicht zu ersetzen, das hundert Jahre alte Abbild irgendeines Vorfahren weit weniger. Es dauerte einen Moment, bis sie den Schreck verdaut hatte, hatten in ihrem Kopf doch bereits diverse Szenarien begonnen, ihren Ablauf zu nehmen, was ihr blühen konnte, sollte die Büste zu Bruch gehen.


    Der Mann sammelte indessen sammelte die Sachen auf, die tatsächlich gefallen waren, drückte sie ihr wieder in die Hand und redete gleich darauf weiter, stellte sich vor, und die Nennung seines Namens bewirkte bei Siv, dass die Büste, ihr Fall und ihre Rettung in den Hintergrund trat. Nordwin? Blond waren nicht nur Germanen, Caelyn war der beste Beweis dafür, aber der Name ließ den Schluss zu, dass er Germane war. "Du bist Germane?" platzte sie heraus, aber Nordwin war noch nicht fertig, und dem was dann kam, konnte Siv nicht ganz folgen. Oh, sie verstand die Worte, durchaus, aber sie begriff den Sinn nicht ganz. Sie war zwar auf der Hochzeit vor wenigen Tagen gewesen, aber sie wusste ja nicht, dass Nordwin Epicharis gehörte, dass er neu hierher gekommen war – ebenso wenig wie er wusste, dass sie gar nicht zu diesem Haushalt gehörte. Was Siv in diesem Augenblick nicht auffiel. "Äh. Siv." Wie von selbst streckte sich auch ihre Hand aus und nahm die seine. "Äh. Danke. Für festhalten. Und was meinst du? Wieso du kriegst hundert Namen gesagt?"

  • "...äh", erwiderte ich ein wenig verdutzt. Was machte es schon für einen Unterschied, ob ich Hebräer oder Dacier oder Germane war? Das erinnerte mich nur wieder an meine Heimat und die Familie, die ich verloren hatte. Also schnell weg mit den Gedanken. "Ich bin Sklave", erwiderte ich also auf die Frage nach meiner Herkunft und lächelte schwach, mit bitterem Zug um die Mundwinkel. Ganz bestimmt war sie selber noch nicht lange Sklavin und wusste nicht, wie der hase lief. Für die Römer war es egal, woher wir kamen, es zählte nur, dass wir da waren, und zwar für sie. Aber gut, ich sollte mich nicht beschweren, denn nach die was die anderen mir hier von dem Rosentypen erzählt hatten, der früher mal in der Villa hier gewohnt hatte, war Epicharis wirklich ein Lämmchen. Trotzdem ging ich aber nicht weiter auf die Frage ein und stellte auch keine Gegenfrage.


    Das, was darauf folgte, verriet mir eh genug über die Fremde. Siv also, zweifellos germanisch, und das schlug sich auch in der Sprache nieder. Ach herrje! Die hörte sich ja schlimmer an als der Senator, den sie hier hatten und der dauernd die Wegstaben verbuchselte! Ich schlussfolgerte daraus, dass sie nicht gerade eine wichtige Funktion hier innehaben musste, denn nach allem, was ich in den vergangenen tagen hier erfahren hatte, legten diese Flavier großen Wert darauf, dass ihre wichtigsten Sklaven nicht nur perfektes Latein sprechen, sondern auch hellsehen konnten. Mit diesem klobigen Ehemann meiner Herrin war ich deswegen schon kurz aneinandergerasselt, aber es war nur ums Essen gegangen, und das war ja nun wirklich nicht meine Baustelle.


    Siv reichte mir ihre Hand und bedankte sich fürs Festhalten. Ich grinste sie an. "Gern geschehen." Dann ließ ich sie wieder los und verschränkte meine Arme vor der Brust, sah sie dabei ein wenig unverständlich an. "Na wegen der Hochzeit?" fragte ich sie. Sowas, konnte es denn sein, dass einige hier gar nichts mitbekommen hatten von der Märchenhochzeit zwischen zwei der bedeutendsten Familien des Römischen Reiches? "Das nächste Mal pass besser auf, ich glaub, die werden hier schnell sauer, wenn man einen ihrer Ahnen zerdeppert", riet ich ihr und grinste breit.

  • Sklave? Er war Sklave? Siv runzelte die Stirn, als sie das hörte. Sicher war er das, ebenso wie sie, aber das war doch nichts, was man so sagte… Es klang, als ob es nicht nur irgendein Zustand für ihn war, sondern als ob er sich darüber definierte. Und warum sprach er weiter Latein, wenn sie doch in ihrer Heimatsprache miteinander reden konnten? Verständnislos musterte sie ihn. Weiter ging der Germane – jedenfalls ging sie davon aus, dass er einer war – nicht auf ihre Frage ein, und Siv… nun, Siv wusste im ersten Moment nicht, was sie dazu noch sagen sollte. Der simple Satz Ich bin Sklave rumorte dennoch in ihrem Kopf. Warum dachte er so, warum sagte er das? Warum sagte irgendjemand das – außer vielleicht die, die als Sklaven geboren waren und nichts anderes kannten? Siv war sich bewusst darüber, dass sie Glück gehabt hatte von Brix in Corvinus’ Auftrag gekauft worden zu sein, aber wie viel Glück tatsächlich, ahnte sie dann doch nicht. Sie war nie gebrochen worden. Und Corvinus hatte sie immer wie ein Mensch behandelt, nie wie eine Sklavin, abgesehen von einigen seltenen Momenten sowie jener Zeit nach ihrem Germanienaufenthalt.


    "Die… ach so, die Hochzeit. Ich war da auch." Siv war drauf und dran zu fragen, was das mit den Namen zu tun hatte, als ihr ein Licht aufging. Vermutlich gehörte er zu der Braut und war ebenso wie sie neu in die Villa Flavia eingezogen. "Ich hoffe, du lernst schnell, also, die Namen. Ist besser. Vor allem wenn es Römer sind." Sie grinste, etwas schief, gedachte der zahlreichen anderen Gelegenheiten, bei denen sie – bewusst oder unbewusst – ins Fettnäpfchen getreten war, und warf der Büste einen schrägen Blick zu. Ihr reichten die Momente, in denen sie bewusst mit dem brach, was von einer Sklavin erwartet wurde, sie musste nicht unbewusst etwas anstellen, aber leider passierte ihr das auch gelegentlich. "Ja… ich glaube auch." Einen Moment schwieg sie, dann konnte sie nicht anders. "Hör mal…" Nun sprach sie Germanisch. Sie hatte sich gerade sowieso seltsam gefühlt, mit einem anderen Germanen Latein zu sprechen, wenn sie alleine waren, mit Brix oder Nuala tat sie das auch nicht – aber er hatte Latein gesprochen, und sie hatte sich, eher unbewusst, ihm angepasst. Jetzt aber brachte sie das Thema von gerade eben wieder zur Sprache, es ging ihr schlicht nicht aus dem Kopf, sie konnte das nicht auf sich beruhen lassen. Und Germanisch erschien… passend. "Wieso sagst du, du bist Sklave? Das ist keine Antwort. Das ist keine Herkunft. Das ist…" Siv gestikulierte und hätte beinahe erneut die Büste getroffen, streifte sie sogar, allerdings wackelte sie diesmal nur kurz und verlor nicht den Halt – dafür rutschte eine der Schriftrollen wieder herunter und landete zum zweiten Mal auf dem Boden. Diesmal war Siv schneller, bückte sich danach und hob sie wieder auf, bevor sie Nordwin erneut musterte. "Warum sagst du so was?"

  • Mit einem Schulterblick vergewisserte ich mich, dass dieser Oberguru nicht gerade hier herumlief. Schiekurus oder so ähnlich war das. Jedenfalls etwas, das sich wirklich wie Guru anhörte. Dann sah ich wieder zu Siv und runzelte die Stirn. Sie war auch da gewesen? Bestimmt als Begleitung für irgendwen. Ich hatte mich drum kümmern müssen, die Krüge mit Wein aus Amphoren nachzufüllen...das war eine Scheißarbeit gewesen. "Naja. Römer laufen hier nicht sooo viele rum. Das geht schon. Da kann man im Notfall auch einfach Dominus oder so sagen." Ich zuckte mit einer Schulter und versuchte, diesen seltsamen Blick von Siv zu deuten. Was sie wohl hier für Aufgaben hatte? Irgendwie wirkte sie wie ein Zimmermädchen, aber dafür war sie irgendwie zu schusselig, wenn ich mir das recht überlegte.


    Dann sprach sie mich auf Germanisch an. Wie lange ich schon kein Germanisch mehr gesprochen hatte... Natürlich konnte ich das noch! Immer, wenn ich mit Minna mal ungestört reden wollte, sprach ich germanisch, aber hier und jetzt? Ich runzelte die Stirn und entschied mich, störrisch zu sein und weiterhin Latein zu sprechen. Dann konnte Siv gleich noch was lernen, denn dass sie das nötig hatte, war schließlich deutlich zu hören. "Ich sage das, weil es wahr ist", bemerkte ich schlicht und veränderte meine Standposition und auch die verschränkten Arme nicht. "Ist doch egal, wo du herkommst. Du bist hier in Rom und wirst deine Heimat sowieso nie wiedersehen, also mach dir erst gar keine Gedanken darüber." Das klang bestimmt härter, als ich das beabsichtigt hatte, aber so war das nun einmal mit der Wahrheit. Und mehr als mein Name und meine Abstammung war eben nicht mehr germanisch, schon lange nicht mehr. "Du wirst das auch noch lernen. Wie lange bist du hier? Ein Jahr? Zwei? Erst verblassen die Erinnerungen, dann du selbst. Und irgendwann bist du einer von ihnen."

  • Nordwin antwortete ihr. Auf Latein. Nicht auf Germanisch. Das war der Punkt, an dem die Empörung in Siv zu brodeln begann. Was redete er auf Latein, wenn sie beide doch Germanen waren? Störrisch konnte Siv auch sein, sehr sogar, auch wenn sie sich eher selten dafür entschied. Ihre Brauen zogen sich unheilverkündend zusammen, während ihre Augen aufblitzten. "Egal?" echote sie, ihre Stimme fassungslos. Ebenso stur wie er, sprach sie weiter Germanisch, dachte gar nicht daran, die Sprache zu wechseln, jetzt erst recht nicht. "Es ist nicht egal! Ganz und gar nicht! Wie kannst du so was nur sagen? Was egal ist ist, ob ich meine Heimat wiedersehe, aber ich vergesse doch nicht wer ich bin oder wo ich herkomme!" Gut, dass es egal sei ob sie ihre Heimat je wiedersehen würde, hätte sie vor kurzem noch nicht gesagt. Aber das war, bevor sie sich bewusst entschieden hatte, in Rom zu bleiben. Bevor sie an jenem Stadttor in Mogontiacum diesen endlosen Augenblick zu lange gezögert hatte. Bevor sie Corvinus’ Angebot, sie freizulassen, ausgeschlagen hatte. Sie akzeptierte Rom als ihre Heimat, für wie lange, stand in den Sternen, aber in diesem Moment tat sie es – aber das hieß nicht, dass sie aufzugeben und zu vergessen bereit war, was sie war. Ihre Hände stemmten sich in die Hüften, wobei die beiden Schriftrollen zerknitterten und der Stilus auf den Boden fiel, was Siv jedoch derzeit nur eine Randnotiz wert war. "Und es ist auch egal, wie lange ich hier bin!" Dass er mit seiner Schätzung bemerkenswert genau gelegen hatte, sagte sie nicht. "Du bist ja scheinbar schon einer von ihnen, so wie du redest!"

  • Na holla. So kurz und so niedlich, und dabei so eine Megäre. Ich zuckte kurz zurück - natürlich nicht vor Angst, sondern vor Überraschung! - und blinzelte das kleine Blondchen dann verdattert an. Der Stift purzelte zu Boden, wie ich sah, und die kleinen eckigen Ellbogen standen seitlich von ihrem dünnen Körper ab. Süß, wie sauer sie war. ich schmunzelte. Warum waren es meist Germaninnen, die so niedlich waren, wenn sie sich aufregten? Minna war genauso. "Ja", erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, und im Gegensatz zu Siv ziemlich ruhig. Warum auch aufregen? Das verringerte nur die Lebenserwartung um ein paar Minuten. Und die war bei Männern eh knapper bemessen als bei Frauen. Während sie sich aufregte, kratzte ich mich am Kopf. Hoffentlich hatten die keine Läuse hier. Kaum gedacht, juckte es gleich noch mehr. Ich verzog das Gesicht. Und dann war es plötzlich still, zumindest, wenn man vom heftigen Atmen der kleinen Siv ausging. "Bist du fertig?" fragte ich sie freundlich. "Weil ich hab da noch was zu erledigen. Willst du mitkommen?"

  • Ja. Einfach nur ja. Mehr sagte er nicht. Siv starrte Nordwin an und war sprachlos, und als er dann doch noch etwas hinzufügte, konnte man ihren Gesichtsausdruck regelrecht verdattert nennen. Nordwin schlug die einzige Bahn ein, die sie einer möglichen Erwiderung beraubte: er ließ sich nicht provozieren, er nahm sie nicht ernst. Und für einen Moment fragte Siv sich, ob man ihr das inzwischen ansehen konnte, weil es ihr ständig passierte, seit sie in Rom angekommen war. Brix, Cadhla, Corvinus, nun Nordwin… Nun, wenn sie ehrlich war, hatten ihr Vater und auch einige ihrer Brüder genau gewusst, wie sie mit ihr umzugehen hatten. Und Ragin. Und der Schmied. Und… Egal. In diesem Augenblick stand ihr Nordwin gegenüber, und er nahm ihr nach allen Regeln der Kunst den Wind aus den Segeln, so als kenne er sie schon länger. Siv blieb für Augenblicke stehen und starrte ihn einfach nur an, ihr Mund halb geöffnet. Dann formten sich ihre Lippen zu einem O, es sah so aus, als wolle sie etwas sagen, aber das O verschwand wieder, während der Mund immer noch leicht offen blieb. Erneut tauchte es auf, dann schoben sich ihre Lippen etwas vor, während gleichzeitig ihre Augenbrauen zusammenwanderten. "Oooh, das, du… das ist…" Im nächsten Moment presste sie ihre Lippen zusammen und bückte sich, um den Stift aufzuheben. Danach musterte sie ihn erneut einen Moment lang. "Ja. Ich will mitkommen." Sie sprach immer noch Germanisch. Sie sagte nicht, dass sie fertig war. Sie war nicht gewillt, so einfach aufzugeben. Und sie hatte auch nur eingewilligt mitzukommen, weil sie einfach nicht begreifen konnte, wie er reagierte. Vielleicht fand sie es ja heraus, vielleicht konnte sie ja doch noch etwas aus ihm herauskitzeln. Für den Moment allerdings beschloss sie, ihm eine Atempause zu gönnen. Und sich auch. Immerhin hatte er gezeigt, dass er sich nicht provozieren ließ, also wollte die nächste Attacke überlegter sein. Das war auch der Grund, warum sie jetzt wieder ins Lateinische wechselte. "Was machst du? Hier?"

  • Abgesehen davon, dass ich keine Ahnung hatte, wie man Siv am besten besänftigte, war für mich die Sache damit gegessen, dass sie nach einem weiteren kurzen Aufbrausen auf meine Frage einging und mich begleiten wollte. "Gut, dann komm", gab ich wie gewohnt auf Latein zurück und steifelte einfach los in Richtung eines Lagerraums in der Nähe der Küche. Schließlich wechselte auch Siv wieder in die Römersprache. Ich betrachtete sie seitlich und zuckte im Gehen mit den Schultern. "Dies und das. Und Epicharis begleiten, wenn sie Ausflüge macht. Ich bin ihr Leibwächter, weißt du." Abgesehen davon, dass mir dieser Sciurus meinte, irgendwelche wenig sinnvollen Aufgaben zuteilen zu müssen. "Und du? Lass mich raten, du bist Betthäschen bei einem der Herrschaften."


    Beim kleineren der Lagerräume angekommen, ließ ich Siv hinein und schloss dann sorgfältig die Tür hinter uns. Helles Fiepen war zu vernehmen, und in einer Ecke hatte man eine Lagerstatt errichtet, auf der eine Hündin mit drei Welpen lag, von denen bisher keines die Augen geöffnet hatte. Die Mutter schlug schwach mit dem Schwanz, als sie ich kommen sah. "Das ist Morsiuncula", sagte ich zu Siv und deutete auf die bullige, dunkelfellige Hündin. "Normalerweise ist sie draußen im Verschlag, aber die anderen würden ihr die drei Welpen auch noch totbeißen, deswegen haben wir sie hier reingeschafft."

  • Siv folgte Nordwin, während sie darüber grübelte, wie sie ihn am besten aus der Reserve locken konnte. Er war Germane, Garm noch mal! Er musste doch irgendwie zu provozieren sein! Sie glaubte nicht, dass er tatsächlich schon so angepasst war, dass er vergessen hatte, wer er war und wo er herkam. Vielleicht wollte er sich für den Moment nicht daran erinnern, aber das konnte nicht gut für ihn sein. Siv tat ihm im Grunde einen Gefallen damit, wenn sie dafür sorgte, dass er sich wieder auf seine Wurzeln besann, davon war sie überzeugt. Dann allerdings fielen Worte, die sie – für den Augenblick – von ihrem Vorhaben und den Grübeleien, wie es sich am besten umsetzen ließ, herausrissen und sie in den Hintergrund drängten. Siv starrte Nordwin an. "Epicharis’ Leibwächter? Wo ist denn der dämliche Klotz vom letzten Mal hin?" Unwillkürlich fuhr ihre Hand zu ihrem Gesicht und tastete über ihre Nase, die glücklicherweise nicht gebrochen gewesen war und auch sonst keinerlei Spuren mehr von dem Zusammenstoß aufwies. Dann sah sie kurz über ihre Schulter. "Der ist hier nicht auch. Oder?" Kurz noch strichen ihre Fingerkuppen über den Nasenrücken, dann sank die Hand wieder, und im nächsten Moment wallte Entrüstung in Siv auf. "Nein!" Und dann stockte sie schon wieder. Sie teilte mit Corvinus das Bett. Sie war kein Betthäschen, ganz sicher nicht, aber was sie war, was zwischen ihnen war, das wusste keiner. Keiner außer ganz wenigen innerhalb der Villa Aurelia, wie Brix beispielsweise. Nach außen war sie eine Sklavin, die den Pflichten nachkam, die ihr Herr ihr auferlegte.


    Inzwischen waren sie offenbar an ihrem Ziel angekommen, jedenfalls öffnete Nordwin eine Tür und führte Siv in einen Lagerraum. Sofort konnte man ein Fiepen hören, und in einer Ecke entdeckten Sivs suchende Augen eine Hündin mit drei winzigen Welpen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Vorsichtig näherte sie sich ihr und ließ sich in gebührendem Abstand in die Knie sinken. Sie wusste, wie eifersüchtig Hündinnen – jede Mutter – über ihre Kinder wachten. Unwillkürlich dachte sie an das, was in ihrem Leib heranwuchs, dann verdrängte sie diesen Gedanken wieder und konzentrierte sich auf die Hündin. "Hey du", meinte sie leise und streckte ihre Hand aus, ignorierte bewusst die Welpen und ließ die Hündin an ihren Fingerspitzen schnuppern, damit diese sich an ihren Geruch gewöhnen und sich davon überzeugen konnte, dass sie keine Gefahr darstellte. Während sie sich so mit der Hündin bekannt machte, knüpfte sie an das Thema an, dass sie kurz zuvor unterbrochen hatten. Vielleicht war es keine gute Idee, immerhin war sie in den Augen mancher kaum etwas anderes, auch wenn Betthäschen kein sonderlich schöner Ausdruck dafür war. Aber ganz konnte sie seinen Kommentar auch nicht auf sich sitzen lassen. "Ich bin nicht Betthäschen", sagte sie also, wenn auch nicht mehr ganz so in dem Tonfall gerechter Empörung wie noch kurz zuvor. Dass Nordwin sie offenbar für eine flavische Sklavin hielt, fiel ihr hingegen nicht auf, zu sehr nagte die Vorstellung des Betthäschens an ihr. "Ich bin Leibsklavin. Und ich sorge für Garten. Ich arbeite." Das letzte Wort kam betont über ihre Lippen.

  • "Wie?" fragte ich sie verständnislos blinzelnd. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Sie meinte Brutus. Zumindest traf die Beschreibung "Klotz" auf ihn am ehesten zu. "Ach so. Hattest wohl schon eine Begegnung mit dem, was?" Wobei die nicht sonderlich gesprächig ausgefallen sein durfte, überlegte ich mir. Brutus trug zwar einen römischen Namen, war aber ein Mischmasch aus Hebräer und Brite oder so ähnlich, ganz hatte ich das nicht verstanden. Jedenfalls schien er weder Keltisch noch Hebräisch noch Latein richtig sprechen zu können, und sein Vokabular beschränkte sich daher auf einfache Dinge wie "Ja Herr(in).", "Essen?", "Durst!" und "Keine Gefahr.".


    Morsiuncula schnupperte kurz darauf an Sivs Hand, ließ sich sogar dazu herab, einmal der Länge nach drüberzuschlabbern, ehe sie den Kopf wieder auf die Pfoten sinken ließ. Man mochte gar nicht dran denken, wie kompromisslos diese friedliebende Mutter war, wenn sie nicht säugte und draußen einen Eindringling aufspürte. Nicht umsonst hatte sie ihren Namen bekommen. Sivs Entsetzen verleitete mich dazu, mich wieder ihr zuzuwenden, und zeigte mir, dass ich da wohl ins Schwarze getroffen hatte. Aber ich sagte erstmal nichts dazu, sondern ließ sie reden.


    "Verstehe. Leibsklavin. Ah ja. Kann man ja durchaus auch als Arbeit bezeichnen." Ein schräger Seitenblick folgte, und ich grinste anzüglich. Dann ging ich zu den Hundewelpen, hockte mich hin und begann, sie zu untersuchen. "Im Garten hab ich dich auch noch nicht gesehen." Mit ihrem schlechten Latein war es wohl aber auch unmöglich, ihr eine andere Arbeit zuzuteilen, als Bettwärmer und Rosenhäcksler zu spielen. Dabei konnte sie die Klappe halten.

  • "Begegnung?" Ja, so konnte man es auch nennen. "Die Art. Ja." Weiter ging sie nicht darauf ein. Im Großen und Ganzen war diese Begegnung für sie eher unrühmlich ausgefallen, hatte sie doch deutlich den Kürzeren gezogen gegen den bulligen Leibwächter, auch wenn Epicharis voll Mitleid gewesen war. Trotzdem hatte der sich auch nicht von ihr provozieren lassen, hatte sich im Gegenteil eher lustig über sie gemacht, hatte sie den Eindruck gehabt…


    Drinnen bei der Hündin zeigte Sivs Annäherungsversuch rasch Erfolg, was die Germanin etwas überraschte. Sie konnte mit Tieren umgehen, aber eine so schnelle Zuneigungsbekundung bei einer frischgebackenen Hundemutter hätte sie dann doch nicht erwartet. Aber vermutlich trug auch Nordwins Anwesenheit ihren Teil dazu bei, die Hündin zu beruhigen. Während der Germane begann, die Welpen zu untersuchen, begann Siv, sachte die Ohren der Hündin zu kraulen. Was er währenddessen allerdings sagte, ließ sie erstarren. Leibsklavin. Siv entging nicht die besondere Betonung. Sie zog die Hand zurück und ballte sie zur Faust, presste ihre Fingernägel in die Haut. Leibsklavin. "Du sicher weißt, was eine Leibsklavin alles tut, ja?" fauchte sie stattdessen, nicht unbedingt lauter als gewöhnlich, aber so heftig, dass die Hündin den Kopf wieder hob und sie leise anknurrte. Siv biss sich auf die Zunge und schluckte einen derben germanischen Fluch herunter, nur um den nächsten dann doch auszusprechen, als sie Nordwins Grinsen sah. Der Hündin gefiel das definitiv nicht, denn das Knurren wurde für einen Moment lauter, und Siv versuchte sich zu beherrschte, wenn auch mühsam. Er hatte sicher keine Ahnung, was eine Leibsklavin für Pflichten hatte. Und er hatte keine Ahnung, was sie für Pflichten hatte. Konnte er gar nicht haben. Erst recht wusste er nicht, welcher Art das Verhältnis zwischen Corvinus und ihr war, sagte sie sich, und es war auch besser so, wenn er das nicht erfuhr. Es reichte, dass sie es wusste, sie konnte seine Kommentare und Blicke doch einfach an sich abperlen lassen. Aber sie arbeitete nun mal tatsächlich, und es ging ihr gewaltig gegen den Strich, dass Nordwin offenbar dachte, sie würde nicht mehr tun als Tag und Nacht ihrem Herrn in nur einer Weise zur Verfügung zu stehen und damit wohl ein recht leichtes Leben zu haben. Und was die Tatsache betraf, dass sie mit Corvinus das Bett teilte: sie wollte es. Würde sie es nicht wollen, sie würde sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, würde sich lieber auspeitschen lassen, als ihren Körper auf diese Weise zu verkaufen, nur weil es für sie einen Vorteil bedeuten mochte. Am liebsten hätte sie ihm um die Ohren geschleudert, dass sie das Bett teilte, mit wem sie wollte, aber das ging nicht – und zu behaupten, sie teile das Bett nicht mit ihrem Herrn, verbot ihr ihre Ehrlichkeit. Und so ging sie auf das Thema Bett überhaupt nicht mehr ein. "Leibsklavin hat Arbeit. Richtige Arbeit." In ihrer Stimme war immer noch das Fauchen zu hören, allerdings nicht mehr so heftig, dass die Hündin darauf mehr reagiert hätte als mit einem kurzen Zucken der Ohren. "Nicht hier, in diesem Garten. Da ich war noch nicht."

  • Ich zuckte nur die Schultern, als sie von ihrer Begegnung der Dritten Art sprach. Scheinbar hatte sie sich umentschieden und wollte nun doch nicht weiter darüber reden, deswegen dagte ich auch nichts mehr dazu und zog es vor, wieder die Läufe der Hunde zu kontrollieren. Keiner war krumm gewachsen, das war gut. Gerade in den ersten Tagen passierte es oft, dass die noch weichen Knochen schief wuchsen, und dann konnte man den Hund vergessen. Die Mutter der Kleinen stieß derweil ein wohliges, gutturales und langgezogenen Murren aus. Scheinbar genoss sie die Liebkosungen von Siv.


    "Ich? Sicher", entgegnete ich. Vor meinem geistigen Auge liefen dabei verschiedene Filme ab. Eine Leibsklavin und ihr Herr auf dem Bett. Eine Leibsklavin auf dem Schreibtisch und ihr Herr davor. Eine Leibsklavin und ihr Herr im Wasserbecken. Eine Leibsklavin und... Ich senkte den Blick und räusperte mich. Die Hunde, Nordwin, die Hunde... Wobei es schwierig war, sich auf die zu konzentrieren, während besagte Leibsklavin im gleichen Raum weilte. Augenblicklich überkam mich das schlechte Gewissen, als ich dann an Minna dachte. Und dann ging es auch wieder mit der Konzentration. "Von wem bist du eigentlich die Leibsklavin?" fragte ich ganz arglos, während die Hünding knurrte. Ich runzelte die Stirn und stand wieder auf, um ihr ein wenig Ruhe zu gönnen. Allerdings musste ich schon wieder das Grinsen unterdrücken, als Siv von richtig harter Arbeit sprach. Eigentlich konnte sie dann damit nur Aquilius meinen, denn der Ehemann meiner Herrin war eher wabbelig denn hart. Zumindest meistens. :D

  • Sicher wüsste er Bescheid, meinte er, aber Siv konnte sich nur allzu lebhaft, welche Pflichten einer Leibsklavin ihm in den Sinn kamen, immerhin waren seine vorigen Kommentar nur zu deutlich gewesen. In Siv begann es gefährlich zu brodeln, und wie immer, wenn sie nicht mehr wirklich weiter wusste, hatte sie plötzlich das Bedürfnis irgendetwas zu werfen, etwas kaputt zu machen, oder, noch besser, Nordwin eine Ohrfeige zu verpassen. Es war ganz gut, dass die Büste nun außer Reichweite war. Noch besser war es, dass die Hündin mit ihren Welpen direkt vor Siv lag. Das half ihr etwas, sich im Zaum zu halten. "Sicher", murmelte sie spöttisch. "Sicher weißt du." Hatte er jemals versucht, jemandem die Toga zu anzulegen? Mit dem ganzen Stoff zurechtzukommen und die unzähligen Falten richtig hinzubekommen? Aber wenn sie das jetzt sagte, fing er wohl höchstens an zu lachen. Oder konnte er sich vorstellen, wie schwierig es war, gerade für jemanden wie sie, ihren Herrn zu begleiten auf irgendwelchen Anstandsbesuchen und stumm irgendwo in einer Ecke zu stehen? "Du denkst du weißt was heißt, Leibsklavin zu sein, ja? Sicher, natürlich. Ich würde mich auch lieber um die Wachhunde kümmern, oder den Stall ausmisten, als mitzugehen zu irgendwelchen Treffen mit irgendwelchen arroganten Römern und nur dazustehen und nichts sagen zu dürfen. Denkst du das ist leicht? Sich immer zusammenreißen zu müssen?" Und trotzdem tat sie es, jedes Mal, wenn Corvinus sie mitnahm. Würde er ihr nicht so viel bedeuten – sie würde alles tun, um darum herum zu kommen, selbst wenn das hieß, dass sie die niedrigsten Arbeiten bekam. Und wäre sie nicht für den Garten zuständig, hätte sie nicht diese Arbeit als Ausgleich, sie war sich nicht sicher, ob sie sich dann auch noch so gut im Griff hätte, wenn es darauf ankam. "Corvinus", antwortete sie, während ein etwas abweisender Tonfall unterschwellig mitschwang in ihrer Stimme. "Aurelius Corvinus."

  • Der Tonfall gefiel mir zwar gar nicht, aber ich hörte nur auf zu grinsen und tat sonst nichts weiter, außer Siv jetzt fragend anzuschauen. Zack, da sprach die kleine Blondine wieder Germanisch und ich seufzte. Keine Ahnung, was sie dazu bewog, mich dauernd zurechtzuweisen. Mit der Art konnte sie unmöglich Gracchus gehören, der hätte sie postwendend zurück zu dem Händler geschickt, der ihm diese plappernde Ware angedreht hatte. Zunehmend steigerte sie sich in ihre Hitzigkeit. Ich verschrönkte die Arme vor der Brust und kam ihr dann so nahe, dass gerade mal noch eine halbe Siv zwischen uns beide gepasst hätte. Niedliche, wie klein sie war. Sie würde zu mir aufschauen müssen.


    "Jetzt tu mal nicht so wehleidig. Hast du dich schon mal mit aufdringlichen Verehrern rumprügeln müssen? Lagst du schon mal mit nem Dolch in der Seite wochenlang um? Hattest du jemals Wundbrand? Weißt du überhapt, was du für ein Glück hast, wenn du nur hinter deinem Dominus stehen und warten musst?" Ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. "Du hast echt keine Ahnung. Also verschon mich mit dem Gejammer." Ich winkte ab, ging zu einem der Regale und schnürte einen am Boden stehenden Sack auf, in dem Stroh war. Mit einer Handvoll streute ich der Hündin ein wenig hin. Blöde Kuh, was meinte die eigentlich, wer sie war? Und sie war doch ein Betthäschen! Sonst wär sie da gar nicht so drauf angesprungen, jawohl.


    Dann sah ich auf und kniff die Augen zusammen. "Corvinus von den Aureliern? Der Senator? Der auch der Boss von der römischen Zeitung ist?" Den kannte ich. Der war der Chef meiner Chefin. Mist. Eigentlich hatte ich doch gar nicht mehr mit Siv reden wollen.

  • Nordwin kam auf sie zu und baute sich vor ihr auf, so dicht, dass sie am liebsten einen halben Schritt zurückgegangen wäre. Oder auch einen ganzen. Oder zwei. Aber das ließen ihr Stolz und ihr Trotz nicht zu, und so blieb sie stehen, stemmte ihre Hände in die Hüften und funkelte ihn an. Wobei sie ihren Kopf leider in den Nacken legen musste, was sie selbstredend störte, aber daran ließ sich nun mal wenig ändern. Und ihrem in ihrem Empfinden äußerst gerechten – für andere wohl eher selbstgerechten – Zorn tat das keinen Abbruch. "Oooh, fantastisch, fang nur damit an! Ich würd mich auch lieber mit jemandem prügeln als so zu tun ich wär jemand, der ich nicht bin! Natürlich weiß ich, was es heißt verwundet zu werden, du wächst nicht auf, wo ich aufgewachsen bin, ohne so was zu erleben!" Langsam begann sie zu glauben, dass Nordwin schon sehr sehr lange in Rom sein musste. Er verstand Germanisch offensichtlich, aber in ihr wuchs inzwischen der Zweifel, ob er es auch sprechen konnte. "Und es i s t besser als nur herumzustehen und zu wissen, dass du bei jedem Mucks eine Strafe kriegen kannst!" Gut, ganz so schlimm war es bei ihr nicht. Aber das musste sie ja nicht laut sagen. Sie konnte ja auch nicht laut sagen, dass sie kein Betthäschen war.


    Nordwin wandte sich dann allerdings von ihr ab, schien genug davon zu haben, und Siv starrte ihm nach, wie er Stroh holte, es zur Hündin brachte, sie ignorierte. Erst als er hörte, wer ihr Herr war, sah er wieder zu ihr. "Ja, der. Und? Heißt das was? Ändert das was?" Jetzt verschränkte sie die Arme, während sie ihn anstarrte. Was bildete er sich eigentlich ein? Dass sein Leben tatsächlich so viel schwieriger als ihres, dass er so viel übler dran war? Er hatte ja nicht die geringste Ahnung, davon war sie nun fest überzeugt, und schlimmer noch, er machte nicht einmal den Versuch, sie verstehen zu wollen. Stattdessen dachte er sicher nach wie vor, dass sie nicht mehr zu tun hatte als bereit zu sein, wenn ihr Herr es wollte. Und vielleicht etwas herumzustehen und zu warten.

  • "Das heißt, dass du hier nicht her gehörst. Was machst du also hier? Du solltest nach Hause gehen, zurück zu deinem Herrchen", erwiderte ich zynisch und sah Siv grollend an. Was nahm die sich eigentlich raus, mich so anzumeckern? Überhaupt schien mir ihre Sichtweise ziemlich beschränkt. Vermutlich war sie noch nicht lange genug in Rom, um die ganzen Gerüchte zu kennen, die man sich über die Sklavenhaltung in der Villa Flavia so erzählte. Was genau daran wahr war, musste ich selbst auch noch herausfinden...


    Als so zu tun als sei ich jemand, der ich nicht bin. Das kratzte mein Ego an. Ich war doch der, der ich war. Der alte Nordwin war damals gestorben, das war schon viele Jahre her, aber trotzdem war die Wunde nur verschorft, nicht verheilt. und Siv kratzte den Schorf gerade auf, was mich einerseits schmerzte, andererseits wütend machte. Zornig schlug ich die Hand in den Strohsack, zog sie mit Stroh wieder heraus und verteilte es mit barschen Gesten. Viel mehr, als eigentlich hätte sein müssen. "Hab gar nicht gewusst, dass der Typ auf kleine Germaninnen steht", sagte ich dann boshaft. Angriff war immer die beste Verteidigung.

  • "Ich bin hier wegen Unterricht", fauchte Siv zurück. Ob der Hündin ihr Tonfall gefiel oder nicht, darauf achtete sie nun nicht mehr – aber da sie beide sich inzwischen erhoben hatten und dadurch einen gewissen Sicherheitsabstand wahrten, darüber hinaus klar wurde, dass die Aggression nicht gegen Morsiuncula oder ihre Welpen gerichtet war, schien diese sich nicht sonderlich viel zu machen aus der sich aufheizenden Stimmung. Zufrieden damit, dass es ihren Welpen gut ging, beobachtete sie nur die beiden Menschen, die sich angifteten, den Kopf auf die Vorderpfoten abgelegt und gelegentlich nach den Welpen schnuppernd. Die Germanin war bei weitem nicht so gelassen. Im Gegenteil. Was maßte sich Nordwin da eigentlich an, sie auch noch mit einem Hund zu vergleichen? "Und er ist nicht mein Herrchen, ich bin Sklavin, aber das ist nicht, das heißt nicht dass ich sein Hund wär oder so was!"


    Ohne sich bewusst darüber zu sein, hatte Siv nun das geschafft, was ihr zuvor misslungen war: sie hatte es geschafft, Nordwin zu provozieren, hatte es geschafft, einen Zugang zu finden, auch wenn sie von letzterem nichts merkte und ersteres ihr gerade herzlich egal war. Im Moment regte sie sich nur auf über diesen Germanen, der offenbar der Meinung war, einfach über sie urteilen zu können, weil er älter war, weil er mehr Erfahrung hatte, weil er länger Sklave war, weil er abgeklärter war, aus welchem Grund auch immer. Er stand da und verteilte selbstgefällig Stroh, und in Siv brodelte es. Er wusste nichts. Trotzdem meinte er, sich ein Urteil erlauben zu dürfen. Und dann sagte er noch etwas, und Siv riss im ersten Moment ungläubig die Augen auf. "WAS?" Wie sehr wollte dieser Kerl sie eigentlich noch erniedrigen? Ohne nachzudenken überbrückte sie die Distanz zu ihm mit zwei großen Schritten und riss ihm den Strohsack aus der Hand, der, seines Halts beraubt, umkippte und seinen Inhalt über den Boden ergoss. Siv achtete nicht darauf, sondern baute sich vor Nordwin auf, stieß ihm die Hände vor die Brust und schnaubte wütend. "Das nimmst du zurück! Was fällt dir eigentlich ein? Er steht nicht auf kleine Germaninnen, und ich bin kein Betthäschen, und die Thursen sollen dich holen, wenn du weiter so einen Schwachsinn verbreitest!"

  • "Schon traurig, wenn man auf Latein nicht mal fluchen kann, was?" fauchte ich zurück und warf Siv mit verengten Augen an. "Nimmst du deswegen hier Unterricht?" fragte ich sie ironisch. Normalerweise war ich nicht so. Naja, zumindest bei Frauen nicht. Das brachte nichts, wenn man mit denen stritt. Ich tat es wohl nur deswegen, weil sie einen wunden Punkt in mir berührt hatte.


    Im nächsten Moment griff die Hand ins Leere und ich sah verdutzt dahin, wo eben noch der Strohsack gestanden hatte. Nun lag er am Boden, direkt neben Sivs Füßen. Ich sah wieder auf und auf die kleinen eckigen Ellbogen, die rechts und links angewinkelt vom Körper hervorstachen. Eigentlich war sie ja doch ganz niedlich. Das wollte ich ihr gerade auch sagen, aber dann stieß sie mich plötzlich vor die Brust und ich vergaß schlagartig das Wort "niedlich" und ersetzte es durch "übergeschnappt". Ein wissender, zugegebenermaßen auch leicht überheblicher Blick trat auf meine Züge. "Aha, aha. Hat er dir also den Kopf verdreht oder wie? Pass bloß auf, diese Römer würden es auch schaffen, einem Fischer nen Hering zu verkaufen." Was anderes konnte an der überkandidelten Reaktion gar nicht festgestellt werden. Wieso auch würde sie sich so aufregen, wenn es nicht so wär? "Und lass das bleiben. Du tust dir nur weh...." Sollte ich es wagen? "...Häschen."

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