Ein Herbsttag, wie er im Buche stand. Draußen herrschte strahlender Sonnenschein, ließ leuchtend bunt gefärbte Blätter erstrahlen, fiel hin und wieder auf eine Wasseroberfläche, die die Strahlen glitzernd und funkelnd brach und zurückwarf. In der Villa Flavia bekam man nicht so viel von dem Wetter mit – die Sonne schien durch die ihr zugewandten Fenster, aber das Leben ging seinen Gang, ungeachtet der Schönheit, in die die Welt draußen getaucht war. Die blonde Sklavin, die durch einen der Gänge ging – für sich sicherlich kein seltener Anblick in diesem Haus – war sich allerdings nur zu bewusst über das Wetter. Und sie freute sich darauf, hinauszukommen, an die frische Luft. Auch wenn das, was gerade hinter ihr lag, ihr ebenfalls gefiel.
In den letzten Wochen hatte Siv die flavische Villa recht gut kennen gelernt, jedenfalls was den Weg vom Seiteneingang bis zu dem Raum betraf, in dem sie zusammen mit den anderen Unterricht bekam. Für gewöhnlich einmal in der Woche trafen sie sich, und sie genoss es, zu lernen – auch wenn sie in der letzten Zeit weniger Fortschritte machte, sondern irgendwie… nun ja, fest hing. Was sie störte, aber sie wusste auch nicht, was sie dagegen tun sollte, und weder Kleochares noch Cassim hatten ihr bis jetzt helfen können. Aber immerhin, ihr Latein war wesentlich besser geworden, und auch Lesen konnte sie inzwischen, einigermaßen. Die Germanin verlagerte die Schreibtafel und die beiden darauf gestapelten Schriftrollen, die Hausaufgaben und Lernstoff beinhalteten, von ihrem rechten Arm auf den linken, und ohne dass sie es selbst merkte, strich sie sich über ihren Bauch, der nach wie vor flach war. Sie tat das selten bewusst, dennoch hatte sie sich diese Geste in den letzten Tagen angewöhnt. Im übrigen verdrängte sie nach wie vor jeden Gedanken an ihre Schwangerschaft. Es war zu groß, zu viel – und noch war es nicht sichtbar, nicht spürbar, außer ihrer Übelkeit, die trotz des Mittels, dass der Grieche für sie angemischt hatte, beinahe krankhafte Züge annahm. Wenn das so weiterging, würde man bald etwas sehen können, weil sie derzeit trotz der Schwangerschaft eher ab- denn zunahm, so wenig war sie in der Lage bei sich zu behalten. Aber obwohl sie wusste, woran diese Übelkeit lag, war das doch nichts, was sie zwang, sich damit zu beschäftigen. Und im Moment fühlte sie sich wohler, wenn sie sich auf andere Dinge konzentrierte.
Siv ging weiter, steuerte den Ausgang an, wurde aber langsamer, als sie an einer Tür vorbeikam, die zum Garten hinausführte. Auch sie hatte inzwischen von dem flavischen Garten gehört mit seinen Rosen, es war beinahe unmöglich, nichts davon zu hören, wenn man häufiger in dieser Villa ein und aus ging. Wie jedes Mal spürte sie Faszination und den Wunsch, sich den Garten endlich einmal ansehen zu können, und wie jedes Mal ging sie weiter, während ihr Blick auf der Tür ruhte. Sie war hier fremd. Sie konnte sich nicht einfach den Garten ansehen. Aber jedes Mal, wenn sie hier vorbeiging, fragte sie sich für einen winzigen Moment, ob sie es nicht doch wagen sollte, wenigstens einen Blick riskieren sollte, einen ganz kurzen nur… und dann war sie vorbei, die Tür entschwand ihrem Blickfeld, und sie verließ die Villa. Jedes Mal. Nur nicht heute. Sie wusste nicht genau, ob sie von vornherein zu weit links gegangen war oder ob sie erst dann nach links gesteuert hatte, als ihr Blick nicht mehr nach vorne sah, sondern zu Tür – in jedem Fall sah sie nicht den Ständer, auf dem eine Büste platziert war. Hätte sie jemand beobachtet, die letzten Male, derjenige hätte sich sicherlich gedacht, dass irgendwann das passieren würde, was jetzt passierte: sie rannte hinein. Ein halb überraschter, halb schmerzhafter Laut kam über Sivs Lippen, während der Ständer zu wackeln begann, ebenso wie die Büste ebenso. Noch ein Laut ertönte, diesmal erschrocken, und Tafel und Schriftrollen landeten auf dem Boden, während Siv hastig ihre Finger nach der Büste ausstreckte, um sie davor zu bewahren zu fallen – und höchstwahrscheinlich zu Bruch zu gehen.
Reserviert