Wer lernen will...

  • Siv war aufgeregt. War sie nicht. War sie irgendwie doch. Nicht wirklich aufgeregt, immerhin würde sie nichts neues, nichts ungewohntes, nichts außergewöhnliches erleben, nein, es war nur… Unterricht. Bei den Flaviern. Wie die letzten Wochen schon. Aber irgendetwas wie Aufregung war doch da, freudige Aufregung, einfach weil sie doch einige Hoffnungen in das Treffen jetzt setzte. Ihre Fortschritte, Latein betreffend, ließen zu wünschen übrig in den letzten Wochen, um genau zu sein, sie waren praktisch nicht mehr vorhanden. Schreiben und Lesen, das ging vorwärts, aber Reden? Sie konnte die Sprache der Römer inzwischen gut genug, um sich jederzeit und in fast allen Lagen verständlich zu machen, aber sie konnte sie nicht gut genug, nicht für ihren Geschmack. Sie machte noch viel zu viele Fehler. Aber die bekam sie einfach nicht raus, egal was sie tat, und sie hatte die Lust verloren zu lernen – was logischerweise nicht dazu führte, dass sich etwas an ihrer Situation änderte. Allerdings nagte es an ihr, dass sie nicht weiterkam. Und so hatte sie beschlossen, Cassim zu fragen, oder eher: zu bitten, ob er ihr nicht Unterricht geben könnte. Zusätzlich zu dem normalen Unterricht, und zwar nur ihr. Wenn ihr die Lust am Lernen abhanden kam, dann musste sie eben dafür sorgen, dass sie wieder Spaß daran hatte, und sie hatte definitiv den nötigen Ehrgeiz – der sich in der letzten Zeit noch einmal drastisch verstärkt hatte. Sie wollte Latein endlich fehlerfrei sprechen können.


    Mit den besten Voraussetzungen kam Siv mit ihren Sachen also an diesem Nachmittag in die Villa Flavia, um sich mit Cassim zu treffen. Der Nachmittag als Zeitpunkt war absichtlich von ihr so gewählt worden – je weiter der Tag fortschritt, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass ihr schlecht wurde. Dafür stieg zwar die Wahrscheinlichkeit, dass sie irgendetwas Seltsames essen wollte, an, aber das konnte sie eher unterdrücken. Und es fehlte ihr gerade, dass Gerüchte über eine mögliche Schwangerschaft ihrerseits in der Villa Flavia die Runde machten, wenn es noch nicht einmal bei den Aureliern wirklich bekannt war. Was auch wieder eines der Dinge war, die sie angehen wollte. Es gab doch einige in der Villa, denen sie es sagen wollte – nicht warten, bis sie es sahen. Allerdings war das nichts, worüber sie sich im Augenblick Gedanken machte, vielmehr war sie schon gespannt darauf, was sie erwarten würde. Nachdem Cassim zugestimmt und sie den Zeitpunkt für das erste Treffen ausgemacht hatte, hatte sie nicht weiter nachgefragt, was dazu führte, dass sie keine Ahnung hatte, was – ob – er etwas geplant hatte. Schwungvoll öffnete sie die Tür, die zu dem Gemeinschaftsraum der flavischen Sklaven führte, in dem der Unterricht immer stattfand.

  • Es war kalt! Viel zu kalt für Cassims Geschmack! Eingemummt in eine zweite dicke Wolltunika war er über den Hof geeilt, um schnell wieder ins warme Servitriciuum zu kommen. Bei diesen Temperaturen war nicht daran zu denken, sich lange draußen aufzuhalten. Er hatte den Falken versorgt und seine Voliere gesäubert und war dann auf dem schnellsten Wege wieder zurückgekehrt. Seit Tagen hing eine graue Wolkendecke über der Stadt. Nicht einmal die Sonne war zu sehen. Das schlug sehr aufs Gemüt. Ein Grund mehr, die Wärme im Inneren der Villa zu suchen.
    Vielleicht hatte er Glück und konnte sich ein warmes Getränk in der Küche ergattern. Zu einigen der weiblichen Küchensklavinnen verband ihn ein scheinbar inniges Verhältnis. Ein charmanter Blick, ein paar freundliche Worte, einige, teils auch unangebrachte, Komplimente oder manchmal auch etwas mehr, öffneten die Freigiebigkeit so mancher Küchenmagd, was ihm bereits den einen oder anderen Leckerbissen eingebracht hatte, wovon andere Sklaven nur träumen konnten. Die Frauen waren doch alle gleich, ganz egal, wo man sie antraf, ob in Dura Europos, in Damaskus oder eben in Rom!
    Auch diesmal war es ihm wieder gelungen, eine der Küchenmägde zu bearbeiten, damit sie ihm einen Becher mit warmen Wein gab. "Ich danke dir mein Täubchen! Wir sehen uns dann, heute Abend wenn du willst!" Verträumt zwinkerte er der jungen Frau zu, die wieder zurück an ihre Arbeit ging. Cassim indes schlenderte langsam aus der Küche hinaus in Richtung des Unterrichtsraumes, in dem seit geraumer Zeit aurelischen wie auch flavischen Sklaven die Gelegenheit geboten wurde, zu lernen. Er wärmte sich mittels des warmen Getränkes auf. Während er das tat, sah er kurz hoch und erblickte sie! Es wurde ihm ganz warm ums Herz. Die Sonne ging endlich auf, an diesem kalten grauen Wintertag! Ihr goldenes Haar! Es war nicht zu übersehen. Soeben war sie hinter der Tür zum Unterrichtsraum verschwunden und wunderte sich wahrscheinlich schon, warum er noch nicht da war. Er jauchzte innerlich und beschleunigte seinen Schritt. Sie war also doch gekommen! Genau so, wie sie es vereinbart hatten.
    Er öffnete ebenso schwungvoll, wie sie zuvor, die Tür. Wie schön, sie waren allein!
    "Guten Tag, meine goldene Schöne! " Seinen Worten folgte ein umwerfendes Lächeln, welches jede Frau zum Dahin schmelzen bringen musste.

  • Der Raum war noch leer, was Siv aber nicht sonderlich irritierte. Vielleicht hatte Cassim noch zu tun, immerhin fand das hier mehr oder weniger in ihrer beider Freizeit statt. Sie zog die Tür hinter sich zu und platzierte Wachstafel und Schriftrollen auf einem der Tische, bevor sie zum Fenster ging und in den Garten hinaussah. Bis heute hatte sie keine Gelegenheit gefunden, einmal hinaus zu gehen und sich den flavischen Garten anzusehen. Sie war überzeugt davon, dass er nicht an den aurelischen heranreichen konnte, um den kümmerte ja immerhin sie sich, aber das musste er ja gar nicht, um trotzdem schön zu sein. Selbst jetzt, wo es Winter war, zog es sie nach draußen, auch wenn es dort nur nasskalt war und nicht eisigkalt, mit jeder Menge Schnee und Eiszapfen, die von den Dächern hingen. Etwas wie Sehnsucht regte sich in ihr, aber bevor sich diesbezüglich irgendein Gedanke manifestieren konnte, hörte sie das Geräusch der Tür, und sie drehte sich um und grinste vergnügt, als sie Cassim hineinspazieren sah. Sie mochte den Parther. Bisher hatten sie immer nur während der Unterrichtsstunden miteinander zu tun gehabt, und wirklich viel Zeit für private Plaudereien blieb da nicht, aber doch für den ein oder anderen Kommentar. Und Cassim schien immer die Zeit zu haben für ein Lächeln und ein Kompliment, und Siv, obwohl sie in vielen Dingen pragmatischer veranlagt war als viele Frauen, schmeichelte das, auch wenn es sie nicht dazu verleitete, albern zu kichern oder dergleichen. Immerhin, wem würde das nicht gefallen? Gerade weil sie das einzige Mädchen unter eine Horde von Brüdern gewesen war, gerade weil es fast nur Jungen waren, mit denen sie früher gespielt hatte, genoss sie es, von Cassim so zu behandelt zu werden – hatte sie doch eine derartige Behandlung allzu selten erfahren. Gleichzeitig führte das allerdings auch dazu, dass sie sich nicht wirklich Gedanken darüber machte, was er bezwecken mochte damit. Siv dachte schlicht, dass es seine Art wäre, immerhin ging er mit jeder Frau so um, so weit sie es mitbekommen hatte.


    So schmolz sie zwar nicht im wörtlichen Sinne auf sein strahlendes Lächeln hin dahin, aber sie erwiderte es arglos und beinahe ebenso strahlend, und sie freute sich nur noch mehr auf den Unterricht – gerade wenn Cassim gut gelaunt war, hatte er einfach eine Art, diesen angenehm zu gestalten. "Hallo, Cassim! Wie geht's?" Sie kam ihm entgegen, so dass sie sich an dem Tisch trafen, auf dem sie ihre Sachen abgeladen hatte, und zog sich einen Stuhl heran, setzte sich aber noch nicht. "Noch mal danke, dafür. Also, für das hier." Dass er einen Teil seiner Freizeit opferte, um sie zusätzlich zu unterrichten, dafür hatte er etwas gut bei ihr.

  • Oh, wie sie strahlte, die Schöne! Cassim strebte auf sie zu, hätte sie am liebsten umarmen wollen, unterließ dies aber vorläufig, da er noch den Weinbecher in seiner Hand hielt. "Wenn ich dich sehe, Strahlende, dann geht es mir sehr gut!" Was zweifellos den Tatsachen entsprach, denn der Parther machte einen ausgeglichenen, heiteren Eindruck. Inzwischen wieder aufgewärmt, was nicht nur dem Wein zu verdanken war, stellte er den fast leeren Becher zur Seite, zog ihr einen Stuhl herbei und bot ihr an, sich zu setzen. Auch er nahm Platz. "Ach, nichts zu danken. Das mach gerne!"
    Sein Blick fiel auf die Schreibutensilien und einige Schriftrollen, die sie dort abgelegt hatte. "Womit hast du noch besonders viele Schwierigkeiten, Siv?" Bei ihrem vorangegangen Treffen hatte sie ihn gebeten, den Lateinunterricht noch etwas zu intensivieren. Fraglos war er auf ihre Bitte eingegangen. Wann hatte man schon die Gelegenheit, eine solche Schönheit ganz für sich alleine zu haben? Vielleiht bot ein solches Treffen auch endlich die Gelegenheit, sich noch etwas besser kennenzulernen und, worauf Cassim ganz besonders hoffte, sich auch etwas näher kam. Das blonde Haar der Germanin übte eine besondere Wirkung auf ihn aus, der er einfach nicht widerstehen konnte. So gerne hätte er es in seinen Händen gehalten, es gestreichelt und seinen Duft eingesogen.


    Als er bereits eine Weile so neben ihr gesessen hatte, wurde es ihm immer wärmer. Immer noch trug er zwei Wolltuniken übereinander, was für den geheizten Raum deutlich zu viel des Guten war. Cassim glaubte natürlich, die aufkeimende Wärme in ihm, hatte noch andere Ursachen gehabt. Langsam wurde ihm die Wärme aber unangenehm und bevor er vor der Germanin in Schweiß ausbrach, zog er es vor, eine der beiden Tuniken auszuziehen. "Einen Moment! Bitte entschuldige!" Er stand auf, löste den Gurt und zog die oberste Tunika über den Kopf, die er dann über einen der unbenutzten Tische legte. "So, jetzt ist es besser! Es ist heute so entsetzlich kalt, draußen! Ist es so auch in deiner Heimat, Siv?" Er erinnerte sich noch an ihr erstes Treffen, was schon monatelag zurücklag. Damals hatte sie ihm von Germanien erzählt. Der Parther hatte damals den Eindruck gewonnen, das Land, weit oben im Norden, sei ein Reich aus Eis und Schnee, in dem es immer bitterkalt war und in dem die Menschen alle so hellhäutig waren und goldenes Haar trugen, wie Siv.

  • Siv grinste, als Cassims Antwort genauso ausfiel wie seine Begrüßung. Kosenamen wie Strahlende konnte sie nicht so ganz ernst nehmen, aber die ordnete sie in die Kategorie Cassim ist Parther ein. Er war zwar der einzige Parther, den sie kannte, aber sie ging trotzdem davon aus, dass Parther einfach… nun ja, so waren. "Ist das so? Vielleicht sollte ich dann was dafür verlangen, dass du mich siehst", scherzte Siv auf Germanisch. "Trotzdem. Danke." Sie setzte sich auf den Stuhl, den er ihr angeboten hatte, und seufzte dann auf seine Frage hin. "Alles", murmelte sie, ohne Cassim dabei anzusehen. Stattdessen schob sie mit der linken die Wachstafel ein Stück weg und drehte mit der rechten eine Strähne um die Finger, bevor sie sie hinter ihr Ohr strich. Allerdings wusste sie, dass diese Aussage – oder dieses Verhalten – Cassim nicht sonderlich helfen würden dabei, ihr zu helfen, und so sah sie schließlich doch hoch. "Es ist einfach… ich, da ist nichts… kein Fortschritt mehr. Verstehst du? Ich kann reden, auf Latein, und ist gut genug, um zu verstehen und dass andere mich verstehen. Aber das… da fehlt. Da… Ich will das können, richtig reden. Richtig gut. Ich mache Übungen, aber…" Sie zuckte die Achseln und schüttelte leicht den Kopf. "Es macht nicht Spaß, so. Wenn das nicht besser wird. Und ich weiß nicht, was tun. Was üben." Jetzt klang ihre Stimme ein klein wenig missmutig. Sie hatte verschiedene Dinge ausprobiert, verschiedene Dinge geübt, aber nichts schien augenblicklich zu helfen. "Ach ja. Und schreiben, das ist auch, auch nicht gut. Nicht so gut, wie ich will."


    Cassim unterdessen zog sich nach einer Entschuldigung seine Tunika aus, was Siv dazu veranlasste, eine Augenbraue leicht anzuheben – zu der sich die zweite gesellte, als sie sah, dass er darunter noch eine zweite trug, beide aus dicker Wolle. "Du trägst, das? Beide?" Natürlich konnte man es nicht unbedingt warm draußen nennen, man brauchte einen Umhang, wenn man unterwegs war, aber zwei wollene Tuniken… Sie grinste. "Oh. In meiner Heimat, es ist viel mehr kalt. Kälter, mein ich. Viel kälter. Das hier, das ist nicht kalt, nicht zu Germanien. Jetzt liegt Schnee…" Ein leicht wehmütiges Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln, als sie sich kurz in Erinnerungen verlor.

  • Er konnte sich gar nicht an ihr satt sehen. Sie war so wunderschön. Jeder Mann, der sie einmal besäße konnte sich glücklich schätzen. Cassim war bereit, so einiges zu unternehmen, damit er dieser Mann sein konnte. Aber Eile mit Weile! Nichts überstürzen, sonst würde er sie mit unüberlegten Aktionen nur vertreiben. Ihr Vertrauen zu gewinnen und damit auch sie zu besitzen, glich der Arbeit mit seinem Falken. Nur derjenige, der einen langen Atem hatte und Geduld bewies, würde am Ende den Sieg davontragen.
    "Ja, das ist so, meine Blume!" Siv wechselte unverhofft in eine Sprache, die er zuvor nie gehört hatte und die so fremdartig in seinen Ohren klang. Trotzdem hatte es etwas faszinierendes, wenn sie es sprach. "Äh, was meinst du? Ich habe nicht verstanden. War das deine Sprache? Germanisch?"
    Sie nahm neben dem Parther Platz und seufzte. Ihr süßes Lächeln war mit einem Mal verschwunden. Auf einmal wirkte sie so unzufrieden, als es um ihre Fortschritte ging. Dass, was sie bisher erreicht hatte, war ihr zu wenig. Sie versuchte es in Worte zu fassen und Cassim verstand. Er hob die Augenbrauen an und lächelte mild. "Du bist wie der rohe Edelstein, dem es noch an Vollkommenheit mangelt. Er muss noch geschliffen werden, um in seiner vollen Schönheit erstrahlen zu können!"Er berührte sie leicht an der Schulter. "Ich verstehe, was du meinst!" Er lächelte sie aufmunternd an. "Und ich möchte dir gerne helfen. Aber du musst auch ein wenig Geduld mit dir haben." Er war sich sicher, einen Weg zu finden, wie er der Germanin helfen konnte. Sie brauchte einfach nur noch mehr Übung. Praktische Übung! Das Lesen von Texten alleine würde hier auf die Schnelle nicht den gewünschten Effekt bringen. Die letzten Geheimnisse einer Sprache erkundete man am besten dadurch, indem man sie sprach. Er wollte mit ihr Konversation üben und sie das schreiben lassen, was sie sagte. Immer wenn es notwendig wurde, wollte er sie korrigieren. Nicht um ihr aufzuzeigen, wie schlecht sie war, nein, damit sie aus ihren Fehlern lernen konnte.


    Nachdem er sich von der oberen Tunika befreit hatte, fühlte er sich wesentlich besser. Er hatte sich wieder zu ihr gesetzt und sah ihr verwundertes Gesicht. "Ja, ich hatte vorher im Garten zu tun. Der Falke, weißt du? Es war so kalt da draußen." Es wunderte ihn gar nicht, als ihm Siv erzählte, in ihrer Heimat sei es noch kälter. "Schnee?" rief er erstaunt. "In meiner Heimat ist es im Winter auch kalt, allerdings nicht ganz so kalt, wie hier. Es regnet oft und ganz selten nur, schneit es auch ein wenig. Nur oben in den Bergen liegt oft Schnee im Winter." Ein Lächeln umschmeichelte seinen Mund, denn er war sich gewiss, bald wieder seine Heimat sehen zu können.
    "Aber jetzt zu dir: wie könntest du dich besser ausdrücken? Du sagtest: in meiner Heimat, es ist viel mehr kalt. Das hier, das ist nicht kalt, nicht zu Germanien. Versuche es selbst noch einmal! Wenn du nicht mehr weiter kommst werde ich dir helfen!" Er nickte ihr aufmunternd zu und wartete ab, ob sie es von selbst schaffen würde.

  • "Ehm. Ja, war Germanisch." Siv grinste. "Nicht so wichtig", fügte sie dann aber noch an. War es auch nicht. Ihr Kommentar war spontan gewesen, weswegen sie auch ohne nachzudenken Germanisch gesprochen hatte, und spontane Reaktionen ließen sich schlecht im Nachhinein übersetzen. Die Germanin jedenfalls hatte die Erfahrung gemacht, dass sie dabei etwas verloren und das Gespräch eher ins Stocken brachten. Noch ein Grund, Latein endlich so vernünftig zu lernen, dass sie jederzeit aussprechen konnte, was sie dachte. Obwohl, es gab genug Gelegenheiten, da hatte sie die Tatsache, dass sie in solchen Fällen eher unbewusst ins Germanische wechselte, gerettet. Ein Römer konnte schlecht wütend auf eine Sklavin werden, wenn er nicht verstand, was sie gerade vor sich hin murmelte.


    Und schon wieder hoben sich ihre Augenbrauen leicht an. Sie, ein Edelstein? Jetzt hätte sie am liebsten doch gelacht. Cassim war vermutlich der einzige, der von ihr so dachte, und sie war sich unschlüssig darüber, ob sie ihm tatsächlich glauben sollte, dass er das ernst meinte. Nein, wohl eher nicht. Es war einfach zu übertrieben, um ernst gemeint zu sein. Aber sie verstand den Vergleich, der dahinter lag, und grinste schief bei seinen weiteren Worten. "Oh, Geduld, ja… Geduld ist nichts, was ich gut kann." Sie zog kurz die Nase kraus. Nicht, wenn es sie selbst betraf jedenfalls. Im Garten hatte sie alle Geduld der Welt – natürlich, wenn sie darauf wartete, dass eine Pflanze endlich austrieb, dann wuselte sie beinahe ständig herum, aber sie drängte die Pflanze nicht. Was sie ohnehin nicht konnte, aber es ging ja ums Prinzip. Sie hatte kein Problem damit, der Pflanze die Zeit zu lassen, die sie brauchte, sie war einfach nur gespannt und aufgeregt, bis es endlich so weit war. Aber wenn es um sie selbst ging, wie in diesem Fall, fiel es ihr schwer, sich die Zeit zu geben, die es brauchte, um eine Sprache wie Latein wirklich fließend zu beherrschen.


    Im nächsten Moment setzte sie sich kerzengerade auf. "Der Falke? Du hast einen Falken? Kann ich ihn sehen?" Tiere und Pflanzen hatten es ihr ohnehin angetan, wenn es dann noch welche waren, die selten waren oder die man – vor allem hier in Rom – selten zu Gesicht bekam, war sie Feuer und Flamme. Ihre Erwähnung, dass in Germanien jetzt wohl Schnee lag, schien ihn hingegen zu überraschen. "Ja, Schnee. Alles ist zu damit. Manchmal so hoch, dass Schnee in Stiefel geht, das ist dann, hm… eklig. Also, hm, nicht schön. Und deine Heimat ist noch weniger kalt wie hier?" Sicherlich hatte sie inzwischen davon gehört. Auch davon, dass es Länder gab, in denen es angeblich auch im Winter überhaupt nicht wirklich kalt werden sollte. Aber so wirklich vorstellen konnte sie sich das nicht. Als Cassim ihren Satz von zuvor jedoch wiederholte, waren die Gedanken daran erst mal fort. "Mh. Also… In meiner Heimat, es ist viel kälter." Da hatte sie sich selbst schon verbessert. Als sie es aber erneut aussprach, fiel ihr noch etwas auf. "In meiner Heimat… ist es… viel kälter? … Und… Das hier… ist nicht kalt. Hier ist nicht kalt. Nicht zu… nicht zu… nicht für…"

  • Dieses süße Grinsen! Alles an ihr war so überwältigend, so einzigartig. Ob sie für ihn auch so empfand? Cassim wollte es herausfinden. Die Wirkung, die er zumeist auf nahezu alle weiblichen Geschöpfe machte, war fast immer die gleiche. Die Küchensklavinnen die er zuweilen um den Finger wickelte, schmolzen alle dahin, wenn er sich ihnen näherte. Es musste an seinem Äußeren liegen oder vielleicht auch an seinem orientalischen Charme. Er war anders, als diese überheblichen Römer oder diese raubeinigen Germanen. Mit seinen Worten konnte er selbst aus einer hässlichen Kröte eine wunderschöne Prinzessin machen. Siv war bereits eine wunderschöne Prinzessin. Eine Prinzessin die er nur noch erobern musste.
    "Du möchtest gerne Latein so beherrschen, damit du es selbst im Traum sprechen könntest, hm? Ich verstehe das, meine Schöne! Es ist stets von Vorteil, seinem Gegner ebenbürtig gegenüber zu stehen." Der Parther nickte bedächtig. Er konnte sich glücklich schätzen, in seiner Jugend eine so gute Erziehung genossen zu haben, die ihm auch die Tür zu anderen Sprachen geöffnet hatte. Die meisten seiner Landsleute waren höchstens noch dem Griechischen mächtig. Er aber beherrschte auch Latein. Niemals hatte er geglaubt, wie nützlich ihm dieser Vorteil einmal werden konnte.
    "Geduld führt dich zum Ziel. Sie gibt dir Ausdauer und Stärke. Sie bewahrt dich auch in schwierigen Zeiten vor der Resignation. Wenn du überzeugt davon bist, es schaffen zu können, dann stehen deine Chancen gut." Cassims Miene war ernst geworden. Unweigerlich dachte er an sein Vorhaben, welches er mit Hilfe zweier anderer Sklaven erreichen wollte. Er hatte geduldig darauf hingearbeitet. Nun hoffte er, dass auch seine Mitstreiter Geduld aufbringen konnten. "Du wirst geduldig sein müssen, um dein Ziel zu erreichen. Aber ich bin überzeugt, du kannst das, meine Hübsche." Sein warmes Lächeln kehrte wieder zurück und verschleierte ganz schnell wieder sein wahres Antlitz, das auch seine wahren Absichten preisgegeben hätte.
    Umso willkommener war da Sivs Nachfrage nach dem Falken. Ihrem Äußeren entnahm er, sie musste eine Schwäche für Tiere haben. Sie war ganz versessen darauf, das Tier einmal selbst sehen zu können. "Du möchtest den Falken sehen? Aber ja, das lässt sich einrichten. Wenn wir hier fertig sind, kannst du mich gerne in den Garten begleiten. Wenn du möchtest, kann ich ihn für dich auch einmal fliegen lassen. Der Falke hat schon viel gelernt. Bald ist er soweit für die Jagd." Wie schade, das würde er nicht mehr miterleben können!


    Nur schwerlich konnte er sich eine Landschaft vorstellen, die wochenlang, ja vielleicht sogar monatelang von dicken Schneemassen bedeckt war. Er hatte von solchen Orten bereits gehört. Sein römischer Sklave hatte davon berichtet. Damals fiel es ihm schwer, daran zu glauben. Nun aber wurde es ihm von Siv bestätigt. Doch am meisten beeindruckte ihn, die schnelle Auffassungsgabe der Germanin. Er lächelte sie anerkennend an, nachdem sie sich selbst verbessert hatte. "So ist es richtig! In meiner Heimat ist es viel kälter! Du lernst schneller, indem du dir deine Erfahrungen zunutze machst! Höre darauf, wie sie sprechen. Verinnerliche die Wendungen, die sie benutzen. Im Übrigen, versuche stets, die Artikel nicht zu unterdrücken! Es heißt der Schnee und die Stiefel. Möchtest du deinen Satz noch einmal wiederholen?"
    Er wollte sie keinesfalls belehren. Vielmehr stebte er danach, ihr Gespür für diese Sprache zu erwecken. Sie sollte ein Gefühl für diese Sprache entwickeln, auf dass sie eines Tages von sich aus wusste, was richtig oder falsch war.

  • "Im Traum sprechen, also Latein? Manchmal, da ist das schon so", lachte Siv. Als ihr das das erste Mal passiert war, hatte sie das ebenso erschrocken wie wütend gemacht. Sie hatte nicht in der Römersprache träumen wollen, aber da sie fast nur von lateinsprechenden Menschen umgeben war, hatte es sich irgendwann nicht vermeiden lassen. Faszinierend wäre es allerdings zu wissen, ob sie im Traum auch Fehler machte, und wenn ja, ob es genauso viele waren oder vielleicht weniger, weil sie im Grunde vieles, was sie beim Sprechen falsch machte, ja eigentlich wusste. Allerdings dachte sie da jetzt zum ersten Mal bewusst darüber nach, und sie konnte sich nicht wirklich daran erinnern, wie es war, wenn sie auf Latein träumte. Überhaupt erinnerte sie sich nicht sonderlich häufig an ihre Träume, aber sie nahm sich vor, das nächste Mal nach dem Aufwachen daran zu denken – und zu versuchen zu behalten, wie fehlerbehaftet ihr Latein im Traum gewesen war. "Ich weiß nicht. Ich glaube… im Traum, da ist Germanisch lieber, mir. Aber, wenn ich wach bin, dann will ich das können. Ich verstehe alles, und Latein von mir, das ist so gut, dass andere auch verstehen. Aber…" Siv zuckte andeutungsweise die Achseln. Sie wollte Latein eben flüssig beherrschen, und nicht nur flüssig, sondern auch fehlerfrei. Als Cassim dann anschließend ein Loblied auf die Geduld sang, zog Siv erneut die Nase kraus. "Aaah, ja…", machte sie. "Ich weiß schon. Aber, Ehrgeiz… und Sturheit, das gibt auch Ausdauer." Sie grinste schon wieder, war Sturheit – ganz im Gegensatz zu Geduld – doch etwas, was sie im Übermaß in sich finden konnte, wenn sie es wollte. "Na ja. Geduld ist leicht, wenn da Fortschritt ist. Aber bei gar keiner mehr…"


    Der Falke hingegen faszinierte sie tatsächlich, und sie zog ihre Augenbrauen hoch, als sie hörte, dass Cassim den Vogel offenbar abgerichtet hatte. Allerdings fragte sie sich, wie er das angestellt hatte – ein Falke war immerhin kein Hund, den man vergleichsweise leicht für die Jagd abrichten konnte. Und der ohnehin ein Rudeltier war und somit stets zu dem Menschen zurückkehren würde, den er einmal als seinen Rudelführer akzeptiert hatte. Aber Raubvögel flogen nicht in Schwärmen. "Fliegen lassen? Und er kommt wieder? Wie das? Er ist doch nicht Hund, ein Hund." Ihre Augen glitzerten schon vorfreudig – so schlug sie noch dazu zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie bekam nicht nur endlich den flavischen Garten zu Gesicht, den sie hatte sehen wollen, seit sie davon gehört hatte, sondern auch noch einen abgerichteten Falken. Dass der Garten im Winter kaum einen großartigen Eindruck machen konnte, spielte für Siv keine Rolle, waren einerseits ihre Augen doch kundig genug, um auch in dieser Jahreszeit zu erkennen, was er zu bieten hatte, und war sie andererseits der Meinung, dass die Natur in jeder Jahreszeit Schönheit zu bieten, nur eben jeweils eine ganz eigene, die nicht immer so offensichtlich war wie die Blütenpracht des Frühlings. "Die Artikel", seufzte sie dann. Das war eine ihrer großen Schwächen, die vergaß sie ständig. "Also… Der Schnee… ist so hoch, dass er in Stie-… in d i e Stiefel geht. Was ist richtig für zu Germanien? Also, dass hier nicht so kalt ist, zu…? Zu ist falsch, oder?" hakte sie dann bei dem Satz nach, den er nicht verbessert hatte. Das war ein weiteres Problem. Im Grunde konnte sie Latein inzwischen gut genug, dass sie meistens sogar wusste, wenn etwas falsch war, was sie sagte – aber die richtige Wendung fehlte ihr dann doch, oder sie wollte ihr nicht einfallen.

  • Und wieder dieses himmlische Lachen. Um Cassim war es fast geschehen. Hätte er sich nur von seinen Gefühlen leiten lassen, so hätte er sie jetzt in seine Arme genommen, sie fest an sich gedrückt und sie leidenschaftlich geküsst. Mit seinen dunklen Augen sah er sie an. Er hätte sie ganz und gar verschlingen können, dieses süße Wesen. Doch auch für ihn galt die Maxime Geduld führt dich zum Ziel.
    Er lächelte nur, als sie holprig von ihren Träumen zu sprechen begann. Wenn die Worte aus ihr herauszuquellen begannen, schlichen sich doch noch viele Fehler ein. Fehler, die er korrigieren sollte, es aber dann doch vermied.
    "Ehrgeiz treibt unsere Ausdauer an! Wenn du etwas wirklich willst, wirst du es auch erreichen." Davon war der Parther überzeugt, genauso wie er davon überzeugt war, vom Gelingen seiner bevorstehenden Flucht. Dieses Thema aber gehörte nicht hierher!
    "Dann wirst du auch Fortschritte machen." Er lächelte sie an, streckte seine Hand nach ihr aus und berührte sie leicht am Arm. In ihren Augen konnte er erkunden, was sie gerade jetzt wollte. Das Falke hatte eine solche Anziehung auf sie ausgeübt, so dass sie ihn unbedingt sehen wollte. Der Parther entschloss sich, ihrem Wunsch nachzukommen, obwohl es ihm draußen viel zu kalt war. Aber was konnte er schon ausrichten, gegen den starken Willen einer schönen Frau.
    "Ja, er kommt wieder! Obwohl er kein Hund ist! Ich werde es dir zeigen, meine Schöne!" Doch zuerst wollte er sich dem eigentlichen Zweck ihres Zusammentreffens widmen, obwohl es ihm zunehmend schwerer fiel, sich darauf zu fixieren.
    "Ja, so ist es richtig! Siehst du, du machst Fortschritte!" Ein wenig Lob konnte ihr nicht schaden und ihm fiel es leicht, ihr viel davon zu geben. "Zu Germanien? Oh, ja, ich meine nein. Es heißt: hier ist es nicht so kalt wie in Germanien." Wieder verfing sich sein Blick in ihren Augen. Er blieb dort. Er hatte ein großes Verlangen sie zu küssen. "Draußen im Garten ist es nicht so warm wie hier. Wollen wir trotzdem hinaus gehen?", fragt ersie plötzlich.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!