Officium - Iunia Axilla

  • Trotz Axillas schlichter und recht eindeutiger Antwort blieb Avianus dennoch sitzen und blickte sie leicht zerknirscht an. Er kannte natürlich nicht die ganze Geschichte, lediglich das, was Axilla, Seiana und Seneca ihm darüber erzählt hatten, aber dass es hier nicht ausschließlich darum ging, dass die Ehe unrechtmäßig war, das konnte selbst er sich zusammenreimen. Dass die beiden Frauen schon vorher ihre Problemchen miteinander gehabt hatten, war bei weitem kein Geheimnis mehr.
    "Das kann eine unrechtmäßig Freie auch nicht", erwiderte er deshalb trocken, "Und trotzdem scheinst du damit kein Problem zu haben."
    Es war sicher nicht dieselbe Tragweite, immerhin ging es um eine Decima. Da es Axilla – zumindest ihrer eigenen Aussage nach – aber nur um die Rechtmäßigkeit der Ehe ging, überging er diesen Umstand einfach mal. Denn er durfte scheinbar machen, was er wollte, mit wem auch immer er wollte. Dass Sibel eine gestohlene Sklavin war, die er, um ihre Vergangenheit wissend, dem Helvetier abgekauft hatte, was ihr Geschäft im Grunde ungültig machte, interessierte anscheinend keinen. Ganz davon abgesehen, dass er jahrelang mit einer Sklavin geschlafen hatte, die nicht seine gewesen war, ohne das Wissen ihres Dominus. Und ein Geheimnis war alles zusammen ebenfalls nicht. Der Helvetier etwa wusste davon, vielleicht sogar Iulius Dives.
    "Ich will dir keine Vorwürfe machen und ich verstehe sogar, dass du ihre Ehe …" – Ob Axilla der Begriff passte oder nicht, war ihm an dieser Stelle gleichgültig. – "… nicht gutheißt. Du kannst von mir aus denken, was du willst, aber ich möchte, dass du diesen Streit ruhen lässt."

  • Na, na, war man jetzt schon auf den Vergleich von Äpfeln und Birnen angewiesen? Axillas Laune verschlechterte sich zusehens. Sie hatte keine Lust, dieses Thema auch nur ansatzweise auszudiskutieren, da ihr Cousin ohnehin schon beschlossen hatte, wie er zu der ganzen Angelegenheit stand, ohne sich auch nur ansatzweise die Mühe gemacht zu haben, Axilla auch nur einmal zu fragen, warum sie ihre Ansichten hatte. Nicht. Ein. Einziges. Mal.
    “Die unrechtmäßige Sklavin hat aber auch niemand anderem einen Treueschwur vor den Göttern und Iuno höchstpersönlich, von der feinen römischen Gesellschaft ganz zu schweigen, geschworen, irgendjemandem treu zu sein und nicht mit anderen Männern ins Bett zu gehen, oder hast du mir was verschwiegen?“ Nur kurz hob sie provokant den Blick von ihren Tafeln, und schichtete sie dann feinst säuberlich sortiert auf einer Seite ihres Schreibtisches auf.
    “Und ich streite doch gar nicht“, stellte sie zudem noch klar. 'Streit ruhen lassen'... was hatte sie denn bislang zu diesem 'Streit' getan? Sie hatte vor zwanzig Jahren einen Mann geheiratet, der davor mit einer anderen verheiratet gewesen war – und zwar MONATE, nachdem er die vorangegangene Verlobung gelöst hatte. Das war neuerdings streiten?

  • "Hat sie nicht", stellte er unbeeindruckt fest. Selbst wenn es so wäre, würde er von Axilla Stillschweigen erwarten. Noch immer hatte er nämlich Axillas Warnung Seneca gegenüber im Kopf, dass sie öffentlich machen würde was ihr Cousin und die Decima getan hatten. Ein Mitglied der eigenen Gens zu verraten, käme ihm nie in den Sinn. Gut, wenn dieses Mitglied selbst seine Familie verraten oder sich von ihr losgesagt hatte, war es etwas anderes, aber keines von beidem war hier der Fall … oder? Er wusste, was sein Cousin getan hatte war falsch. Ein Verbrechen, das ihn den Kopf hätte kosten können, und den Ruf der Iunii ruiniert hätte, hätte der Terentier es damals herausgefunden. Aber es ging nicht um irgendeinen Verwandten. Avianus schämte sich kein bisschen zu sagen, dass er Seneca auch allein deswegen nicht verraten würde, weil der sein engster Freund war. Dass derartige Argumente Axilla gegenüber rein gar keinen Sinn hätten, glaubte er schon jetzt zu wissen ohne sie ausgesprochen zu haben. Für sie zählte Seneca ja nicht einmal mehr zur Familie.
    "Hier geht es also absolut kein bisschen darum, dass es sich bei dieser persona unfama um Decima Seiana handelt?", fragte er ein wenig ungläubig weiter.
    Und sie stritt nicht? Nicht in diesem Augenblick, da hatte sie Recht. Wäre Seneca im selben Raum oder Seiana ... wie würde die Situation dann wohl aussehen? Sie konnte das, was sich zwischen ihr und den beiden inzwischen verheirateten abspielte, ja nennen, wie sie wollte. Er nannte es Streit.
    "Ach nein, du bist die Friedfertigkeit in Person", bemerkte er sarkastisch, "Du weißt genau, worauf ich hinauswill: Ich möchte, dass du die beiden in Ruhe lässt. Wenn wir Iunii uns am Ende gegenseitig bekriegen, wohin soll das führen?"

  • “Nein, dass es ausgerechnet diese Person ist, setzt dem Ganzen in der Tat die Krone auf“, murmelte Axilla eher beiläufig, als Avianus anfing, zum verbalen Schlag auszuholen. Und sie anzublaffen.
    Axilla schnaufte einmal hörbar und unterbrach ihre Tätigkeit. Nachdem alle Täfelchen schon fünfmal ihren Platz gewechselt hatten, konnte sowieso wohl niemand mehr glauben, dass sie wirklich etwas sinnvolles Tat.
    “Weißt du, Aulus, ich habe doch tatsächlich irgendwie gedacht, dass du doch zumindest gewillt bist, einmal zuzuhören oder zu hinterfragen, ob es vielleicht einen Grund gibt für meine Haltung. Oder wenigstens, dass du sie respektierst, wenn du sie schon weder anzuhören noch nachzuvollziehen bereit bist. Dabei ist noch nicht einmal verlangt, dass du sie teilst.


    Um ehrlich zu sein: Nein, ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst. Und wenn du nur hierher gekommen bist, um gemein zu mir zu sein und mich zu beleidigen, dann beende ich hiermit das Gespräch. Denn für diese Kinderkacke bin ich eindeutig zu alt.“
    Und Axilla sah wirklich keinen Grund, warum sie sich in ihrem Haus auch noch beleidigen lassen sollte. Erst recht nicht, wo ihr Vetter ihr eigentlich noch dankbar sein sollte. Von Seneca hatte sie schon nichts anderes mehr erwartet. Der überließ das Denken seiner südlichen Region und wollte da nichts weiter sehen. Aber von Avianus war Axilla jetzt doch gelinde gesagt schwer enttäuscht.

  • Avianus blickte seine Cousine einen Augenblick lang verbissen über den Schreibtisch hinweg an. Er war hier also der einzige, der blöde Antworten gab. Gerade eben hatte er gesagt, dass er wollte, dass Axilla die beiden in Frieden ließ, worauf sie nicht im geringsten eingegangen war, nur um erneut so zu tun, als wüsste sie nicht, weshalb er hier war. Und trotzdem schraubte er ein Stück weit zurück und seufzte leise. Wenn er auch noch mit ihr zu zanken begann, wäre erst recht alles verloren. Und sie hatte zumindest insofern recht, dass, so wie sie jetzt miteinander sprachen, es zu nichts führen würde - was seiner Meinung nach nicht nur an ihm lag.
    "Dich beleidigen? Dafür bin ich nicht hergekommen, Axilla. Wenn du dich beleidigt fühlst, tut es mir leid", stellte er klar und schüttelte leicht den Kopf. "Aber ich kriege langsam das Gefühl, du willst mir gar nicht antworten. Damals, als Seneca von seiner Verlobung erzählt hat, sagtest du, du würdest aufdecken, was Seiana getan hat. Alles was ich wissen will ist also: Willst du Seiana - und damit auch Seneca - noch immer schaden?", fragte er vollkommen unmissverständlich. Dann konnte sie vorgeben nicht zu wissen, worum es ging.
    "Gibt es Gründe, die ich noch nicht kenne? Gut, dann erkläre sie mir, ich höre zu", forderte er sie auf. Während er das tat, hatte er dennoch nicht das Gefühl, dass es einen Unterschied machen würde. Er konnte ihren Ärger schon jetzt verstehen, das Problem war nur, ihr Ärger kratzte ihn kein Stück. Er hatte ja bereits gesagt, sie konnte denken, was sie wollte, und dafür gerne auch alle möglichen Gründe haben. Nur sollte es beim denken bleiben. Aber es war ihr wohl wichtig, deshalb würde er sein bestes versuchen, sich in sie hineinzuversetzen.

  • Axilla lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah Avianus an. Lange. Nach dem, wie Avianus eben vorgeprescht war und wie er sich ihr gegenüber gegeben hatte, war das jetzt doch schon fast eine Provokation, und jetzt in dieser Situation und nach diesem Start hatte Avianus sowieso jeglichen Vertrauensvorschuss erst einmal mit Glanz und Gloria verspielt. “Ich glaub dir nicht. Aber schön, ich spiele mit.“ Avianus gehörte zur Familie, und er verdiente ebenso eine zweite und auch eine dritte Chance, sie zu überraschen, wie jeder andere auch. Auch Seneca hatte mindestens drei Chancen bekommen, seine Handlungen zu überdenken oder sich zumindest dafür angemessen zu entschuldigen, und Avianus hatte noch nichts angestellt, was auch nur halb so schlimm gewesen wäre.


    “Ich hoffe, du sitzt bequem, ich muss nämlich einmal ein wenig weiter ausholen.“ Immerhin ging es um einen Zeitraum, der nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte umfasste.
    “Als ich 16 war, lebte ich bei Urgulania und Silanus in Alexandria. Ich hatte sogar eine Stelle als Schreiber, und das noch für den höchsten Beamten der Stadt. An einem wirklich verflucht heißen Tag – und das will in Ägypten wirklich etwas heißen – ging ich zum Cursus Publicus und traf dort Aelius Archias, der dort arbeitete. Wir unterhielten uns nett, ganz normal, er erzählte mir auch von seiner Verlobten und lud mich ein, von Römer zu Römerin, doch mit ihnen gemeinsam etwas zu essen. So lernte ich Decima Seiana überhaupt erst kennen, denn sie war diese Verlobte.
    Ich bekam das damals gar nicht so wirklich mit, aber Archias fand immer neue Gründe, mich zu sehen. Ich sollte ihm bei einem Liebesbrief an seine verlobte helfen, beispielsweise. Oder er machte mit ihr eine Reise zu den Pyramiden, und fragte mich, ob ich sie begleiten wollte. Erst, als er zurück nach Rom beordert wurde, merkte ich, dass es von ihm nur Vorwände waren, mich zu sehen. Als er sich verabschieden kam, gestattete ich ihm einen Abschiedskuss – auf die Wange natürlich. Aber er zog mich auf seinen Schoß und küsste mich, und... ich gebe zu, ich fühlte mich geschmeichelt und überrumpelt, und... um es kurz zu machen, ich ließ es zu, dass wir im Bett landeten. Ich wusste ja, er geht, und dachte, wir sehen uns nie wieder, und für mich war das auch vollkommen in Ordnung so.


    Einen knappen Monat später reiste ich aber selbst ungeplant nach Rom, nachdem Silanus dorthin schon hinversetzt worden war und dessen Patron mich – wohl auf sein zureden hin – auch kennenlernen wollte. Wahrscheinlich spielte auch mit rein, dass Urgulania sich mit Terentius Cyprianus – ja, DER – angelegt hatte und Angst hatte, er würde sich an mir vergreifen, um ihr zu schaden. Dass er sie selbst umbringen würde, daran hätte wohl keiner gedacht... Ich schweife ab.
    In jedem Fall war ich auch in Rom, natürlich erhielt auch Archias hiervon Nachricht und nahm den Kontakt auch wieder auf – wobei ich mehrfach klar stellte, dass er seine Verlobung einhalten sollte und das mit uns nur ein Ausrutscher war. Und ich lernte auch jemand anderen kennen, und... egal, es ist lange her. Als ich also dann mit diesem anderen auf einer Hochzeit war, auf der auch er mit der Decima war, rastete Archias aus, übergoss meinen Begleiter mit einer Nachspeise und löste die Verlobung zu der Decima.


    Und seit dieser Zeit kreidet sie mir alles mögliche an, erfindet Dinge und bringt die Leute gegen mich auf. Nur, weil ich einen Monat später den Antrag von Archias angenommen habe. Natürlich angenommen, er war der Vetter des Kaisers und Procurator...
    Ich fühlte mich deshalb auch schuldig und habe mehrfach versucht, die Sache wieder zu bereinigen, schon allein, weil Silanus der Klient von Decimus Livianus ist. Ich habe mich bei ihr persönlich entschuldigt. Mehrfach. Was sie nicht angenommen hat. Ich habe unter ihr in der Acta gearbeitet und sie gedeckt. Sowohl, dass sie in der ganzen Zeit kaum Arbeit beigesteuert hat, als auch, dass sie Anweisungen des Senats einfach mal geflissentlich ignoriert hat. Nur 'glücklicherweise' erinnert sich der Senat an die eigenen Auflagen kaum, wie beispielsweise Rechenschaftsberichte. Ich habe sie auch gedeckt, als sie dutzende Unterlagen vernichtet hat, die sie ins Lager der Salinator-Kritiker gerückt hätten. Ich hab ihr sogar höchstselbst dabei geholfen, obwohl mein Kopf da absolut sicher war. Und wofür ich ironischerweise von Seneca höchstselbst zusammengeschissen wurde, wie ich mich in die Nähe von 'so einer Person' wagen kann, da ich damit den Ruf unserer Familie schädigen würde! Nach Archias' Tod und der Beschlagnahmung seines Besitzes bin ich auch höchstselbst zu Vescularius gegangen, um wenigstens die Sklaven freizubetteln, die er ihr vermacht hatte – und habe sie höchstselbst dann zu ihr gebracht, obwohl sie selbst da noch nur hochmütige und herablassende Worte übrig hatte.
    Jahrelang habe ich mich darum bemüht, das Verhältnis wieder auszugleichen, und was war das Ende davon? Ich durfte mich von ihrem Bruder in aller Öffentlichkeit anpöbeln lassen wegen einer Geschichte, die weit mehr als ein Jahrzehnt zurück lag. Und bis dahin hatte ich mich bemüht, aber irgendwann ist einmal eine Grenze erreicht. Sie war bei den Göttern bei weitem nicht die erste Frau, deren Verlobung gelöst wurde, und wird da auch nicht die letzte sein, und eine gelöste Verlobung rechtfertigt in keinem Fall solch ein Verhalten. Und dann noch sich als Opfer darzustellen, wo man ja selbst überhaupt nichts getan habe, das eine Ablehnung dann provoziert hätte... Hahahaha, das ist sogar für sie absurd.


    Aber dem Fass den Boden ausgeschlagen hat sie in der Tat erst durch den Ehebruch mit Seneca. Zu diesem Zeitpunkt war sie mir dann komplett gleichgültig, ich habe sie vollständig ignoriert – was auf der Arbeit auch nicht weiter schwierig war, sie hat sowieso nie gearbeitet und kam nur vorbei, wenn es aus Prestigegründen irgendwas zu holen gab.
    Aber Ehebruch begehen mit Seneca... nein, das ist eine eindeutige Grenze. Die römische Gesellschaft – nein! Jede Gesellschaft funktioniert nach einer einfachen Wahrheit: Die Mutter eines Kindes ist gewiss, der Vater ist es nicht. Deshalb ist es in einer Ehe – die einzig dem Zwecke dient, legitime Nachkommen hervorzubringen, die über jeden Zweifel erhaben sind – unabdingbar notwendig, dass die Frau treu ist. Und deshalb wird eine Untreue auch so hart bestraft. Und gerade wir als Iunii sollten das am besten wissen, war Lucretia doch die Tante unseres Ahnen. Und was sagte sie damals doch vor ihrem Selbstmord? Sie tue dies, damit keine Ehebrecherin sich auf sie als Ausrede berufen kann?
    Ganz abgesehen davon, dass sie nicht nur sich selber damit in Gefahr gebracht hat, sondern gerade auch Seneca. Ich weiß zwar nicht, ob die Sache mit dem Rettich wirklich so noch durchgeführt wird, oder ob nur der ein oder andere Dichter das als Stilmittel gerne zum Drohen nimmt. Aber in jedem Fall wäre er öffentlich gebrandmarkt worden, hätte Silanus da mit rein gezogen – in doppelter Weise als Klient des Onkels der Frau und als Onkel von Seneca – und hätte sich von jeglichen Plänen bezüglich seiner Ritterschaft verabschieden können. Und Silanus sich von seiner weiteren Karriere. Und alle von uns von irgendwelchen Plänen bezüglich Ritterschaft.
    Noch dazu, dass er mit der Frau seines vorgesetzten Offiziers geschlafen hat, und der Schwester seines späteren Offiziers. Sehr toll. Und als ich es gewagt habe, ihn darauf anzusprechen, was für einen riesigen Mist er da eigentlich tut, war seine einzige Reaktion, mich erst anzuschreien und anzupöbeln und dann jämmerlich herumzuweinen, dass er nicht anders könne. Und als ich daraufhin, da mit ihm ja in seiner Blindheit nicht zu reden war, die Decima zur Rede gestellt habe und – ja, ich gebe es offen zu – verlangt habe, dass sie nicht fortan Ehebruch begehen, weil es gefährlich ist, weißt du auch, was da passiert ist? Zuerst hat sie mich beleidigt, wie schon so oft, und sehr deutlich Bezug auf die Jahrzehnte zurückliegende Geschichte mit Archias genommen, weshalb sie jetzt so handele. Und dann hat sie mir gedroht. Nicht anders herum. Sie hat gedroht, die Iunii zu vernichten, sie hat Rache geschworen.


    Sie hätte zu jeder Zeit es einfach gut sein lassen können. Sie hätte die Sache mit Archias jederzeit begraben können und einfach weiterleben können. Sie hätte sich auch jederzeit von Terentius Cyprianus scheiden lassen können. Alles, was man dafür tun muss, ist vor fünf Leuten zu verkünden, dass man geschieden sein will, fertig. Und spätestens, als Terentius nicht mehr Praefectus Praetorio war, sondern ihr eigener Bruder, war auch jegliches Status-und-Gesellschaftsstands-Blabla auch nichts weiter als dass: Inhaltsleeres Blabla. Sie hätte sich trennen können und dann ganz offiziell und legal mit Seneca zusammen sein können. Aber nein, wollte sie gar nicht. Er war ihr dafür nicht gut genug. Ihr, der Ehebrecherin, war er nicht gut genug.
    So, und was macht dein Freund Seneca? Schnauzt mich an, wie ich es wagen kann, von ihr zu verlangen, mit dem Ehebruch aufzuhören! Und besser noch, als Terentius Cyprianus, der ja auch kein vollkommener Vollidiot ist, langsam mitbekommen hat, dass seine Frau ihn betrügt, und da auch Ermittlungen aufgenommen hat und da wohl auch schon Seneca ins Visier genommen hat, hat dieser Vollidiot auch noch die Chutzpe, mich anzumachen, dass ich ja damit unbedingt zu tun haben müsse.“
    Ihr Ton wandelte sich ins stark übertrieben ironische. “Nein, das kann natürlich nichts damit zu tun haben, dass er verheiratet ist und es vielleicht merkt, wenn an anderer Mann seine Frau fickt. Und nein, der Schluss ist natürlich total abwegig, dass es ein Mann sein muss, mit dem seine Frau Kontakt hat. Zum Beispiel einer der Prätorianer, die er als Ehemann höchstselbst als Wache bei ihr abgestellt hat, nein, niemals könnte er da selbst drauf kommen. Das muss die böse, böse Axilla ja erzählt haben, weil man ja sonst soooo vorsichtig war und nur im Schlafzimmer der Hausherrin unter dem Wissen von zig Sklaven miteinander gepoppt hat. Aber das muss die missgünstige Cousine gewesen sein. Ja, ne, is klar.“ Axilla schnaubte.


    So, und wenn dir das noch nicht reicht, dass sie“, Axilla nahm ihre Finger nun, um zu zählen, “sich jahrelang trotz einer Vielzahl von Hilfen und Unterstützung sich geweigert hat, Gras über eine alltägliche und einfache Sache wachsen zu lassen und selbst eine Entschuldigung anzunehmen“ Nächster Finger “Sie ausgerechnet den Mann geheiratet hat, dem man es nie beweisen konnte, dass er unsere Cousine Urgulania getötet hat“ Nächster Finger “Sie ihren Bruder aufgehetzt hat gegen mich, und das noch nach Jahren“ Nächster Finger “sie mit Seneca dann Ehebruch begangen hat“ Erste Hand voll, nächste Hand. “sie sich aber geweigert hat, sich scheiden zu lassen, um völlig legal mit ihm zusammen zu sein, obwohl sie ihn doch angeblich so sehr liebte“ Nächster Finger “Und sie statt dessen lieber den gesamten Iunii drohte und alles nach wie vor mit Archias begründete“ Nächster Finger “Und anschließend dann auch noch Seneca aufhetzte und ihm einredete, dass ich ja irgendwas mit ihrem Ehemann zu schaffen hätte“ nächster Finger “Woraufhin der mich dann auch erstmal anzuschreien meinte, anstatt vielleicht irgendwannmal zu sehen, dass sein und ihr Verhalten da vielleicht ausschlaggebend für die Misere hätten sein können...“
    Axilla betrachtete die beträchtliche Fingersammlung und atmete erst einmal durch. “Sie beide hatten jede Menge Chancen, das alles auszubügeln, an unzähligen Stellen. Und an keiner von diesen hatte ich maßgeblich etwas mit einer Eskalation. Abgesehen von der einen Sache, dass sich vor knapp zwanzig Jahren ihr Verlobter in mich verliebt hat und sie daraufhin nicht mehr haben wollte. Aber selbst das ohne größeres Zutun von meiner Seite. Und entgegen meinen Rat an ihn.
    Aber falls dir das noch nicht reicht, erzähle ich dir noch gerne eine Geschichte, für die ich leider keinerlei Beweise habe.


    Es war einmal ein Mädchen, das eine Dummheit begangen hatte. Aufgrund dieser Dummheit wurde sie schwanger. Als sie es merkte, wollte sie das Kind nicht haben, also ging sie los und suchte einen Arzt. Sie fand auch einen, aber wie das Schicksal so spielt, arbeitete dieser Arzt für ausgerechnet die Verlobte des Mannes, mit dem diese Dummheit stattgefunden hatte.
    Sie wäre auch beinahe gestorben bei dem Versuch, das Kind abzutreiben, aber sie überlebte es. Nur bekam der Arzt so nun mit, wer der Vater des Kindes war. Und dieser war auch überzeugt, dass da kein Kind mehr wäre und alles nun wieder weiter gehen konnte, wie es sein sollte.
    Alles war gut und etwas Zeit verstrich. Da merkte der Mann aber, dass er das Mädchen liebte und die Vorstellung nicht ertrug, sie könne einen anderen heiraten. Also trennte er sich von seiner Verlobten und fragte einige Zeit später das Mädchen, ob sie ihn heiraten wollte. Sie willigte ein.


    Und eines schönen Tages also, als sie auf dem Weg zu ihm war, auf einer belebten Straße, auf der sie weder besonders auffällig war, nicht besonders schnell, nicht besonders langsam, stürzte sich ein bewaffneter Mann mit einem Messer auf das Mädchen. Sie ging jeden Tag zur selben Zeit diesen Weg zu dem Mann, also war es ein leichtes, sie dort dann zu finden, wenn man denn wollte. Auch wollte der Bewaffnete sie nicht ausrauben, er bedrohte sich nicht, sondern hob direkt die Waffe, um ausgerechnet sie in einer größeren Menschenmenge vor aller Augen umzubringen. Und wäre nicht der treue Leibsklave des Mädchens dazwischen gegangen und hätte sich geopfert, und hätte daraufhin nicht jemand aus der Menge geholfen, der Bewaffnete hätte sie auf offener Straße am helllichten Tag getötet.
    Na, großer Urbaner, das ist doch mal ein toller Zufall, nicht wahr?“


    Axilla ließ das Ganze einen Moment sacken. So im Nachhinein musste sie immer wieder feststellen, wie unsäglich dumm sie doch all die Jahre gewesen war, den Anschlag nicht direkt mit der Decima in Verbindung zu bringen und noch jahrelang zu versuchen, das Verhältnis wieder zu kitten. Wie hatte sie sich nur jemals ein schlechtes Gewissen einreden lassen können? Sie war ja so naiv gewesen in ihrer Jugend.


    “Und um deine Frage nun zu beantworten: Ja, ich überlege noch immer, es öffentlich zu machen, was geschehen ist. Dann muss ich mich nicht mehr für nichts und wieder nichts anmaulen und anfeinden lassen, sondern dann gibt es wenigstens einen Grund dafür. Und vielleicht lernen die beiden dann endlich einmal, für das, was sie getan haben, Konsequenzen zu tragen. Und komm mir nicht mit dem Zusammenhalt in der Familie, den hat die Decima schon lange zerstört, bevor ich auch nur irgend etwas gesagt habe. Und um ehrlich zu sein, je öfter ich angemault und angemacht werde, dass ich ja die arme, arme Decima in Ruhe lassen soll, umso mehr festigt sich mein Entschluss, es doch zu tun.“

  • Avianus hörte zu und sagte vorerst nichts, obwohl er an manchen Stellen liebend gerne einen Kommentar abgegeben oder genauer nachgefragt hätte. Dennoch vermied er es, seine Cousine zu unterbrechen und sagte sich selbst, er hätte später noch genug Zeit, seine Meinung abzugeben oder Unklarheiten zu beseitigen. Genauso versuchte er, gereizte oder provokante Bemerkungen ihrerseits zu ignorieren. Am Ende war er dann durch die vielen Informationen so erschlagen, dass er Axilla einen Augenblick lang sprachlos anblickte.
    "Äh …", machte Avianus erst nur, weil er das Gefühl hatte, die Hälfte davon schon wieder vergessen zu haben, und versuchte in Gedanken, Axillas Erklärungen erneut durchzugehen und sich gleichzeitig daran zu erinnern, was Seiana ihm damals in den Albaner Bergen erzählt hatte. Seine Cousine hatte mit deren Verlobten geschlafen, so viel stand schon einmal fest, und dass die Decima keine Entschuldigung hatte annehmen wollen. Eine Frau, die mit dem Verlobten einer anderen schlief, einfach nur … zum Spaß? So hätte er seine Cousine in ihrer Jugend nicht eingeschätzt.
    "Du warst also wirklich mit ihrem Verlobten im Bett, hast ihn später geheiratet, sobald er wieder zu haben war, und wunderst dich dann, dass du bei ihr unten durch bist?", fragte er ganz direkt und mit einem Stirnrunzeln zurück, "Gibt es in unserer Familie eigentlich irgendwen, der nicht irgendwelche Affären hatte?", murmelte er leise, mehr zu sich selbst, nur um sich kurz darauf wieder auf das Entwirren der Vorgeschichte des jahrelangen Zickenkriegs zu konzentrieren. Seiana meinte damals, sie wollte nur von seiner Cousine in Frieden gelassen werden, die wiederum sagte, die Decima wollte ihr schaden, doch selbst wenn er Axilla blind vertraute, hatte sie sich irgendwie selbst zum Opfer gemacht.
    "Du hast Fehler gemacht und Seiana hat …" … zumindest in Axillas Version der Geschichte … "... ebenso dazu beigetragen, dass eure Auseinandersetzung kein Ende nahm. Von euch beiden ist doch keine unschuldig. Lass den alten Mist ruhen. Alles andere ist doch Blödsinn."
    Denn im Grunde hatte der alte Mist sowieso nichts mit Seianas Ehebruch zu tun. Nein, seine Meinung hatte sich nicht geändert. Für ihn mochte es einfacher sein, er konnte die Geschehene als Außenstehender, der gegen keine der beiden Parteien ernsthaften Groll hegte, objektiv betrachten, objektiver als seine Cousine jedenfalls – seiner Meinung nach zumindest.
    Avianus ging also ihre Finger im Kopf selbst noch einmal durch …
    Nummer eins: Die alte Geschichte mit dem Aelius hatte nichts mit dem Ehebruch zu tun und war eine alte Kamelle, die längst ad acta gelegt gehörte.
    Nummer zwei: Was der Terentier möglicherweise getan hatte, war eine komplett andere Sache und damit hatte die Decima im Prinzip nichts am Hut.
    Nummer drei: Hatte nichts mit dem Ehebruch zu tun, sondern wieder nur mit der persönlichen Fehde, die Axilla mit der Decima hatte.
    Nummer vier: Zum ersten Mal ein akzeptables Argument.
    Nummer fünf: Ein weiteres akzeptables Argument, wenngleich er sich wünschte, noch einmal mit Seiana sprechen zu können, um herauszufinden, ob sie möglicherweise ihre Gründe gehabt hatte.
    Nummer sechs: Angeblich eine leere Drohung, auf die Axilla mit einem buchstäblichen Schlag ins Gesicht geantwortet hatte …
    Nummer sieben: Wieder das leidige Thema. Welcher Geschichte sollte er Glauben schenken? Dass Axilla dem Terentius auf die Sprünge geholfen hatte oder der anderweitig vom Ehebruch seiner Frau erfahren hatte?
    Nummer acht: Wieder irgendwelche Streitereien, nur dieses Mal mit Seneca. Was wohl unter anderem eine Folge der Vielzahl anderer Streitereien war, denn Avianus hatte nie ein Problem damit gehabt, in Ruhe mit ihrem gemeinsamen Cousin zu sprechen, und war fest davon überzeugt, dass man sich schon verdammt anstrengen musste, um diesen zur Weisglut zu bringen.
    Die Erzählung über das Mädchen ließ ihn allerdings wieder nachdenklich werden. Wenn Seiana tatsächlich versucht hatte, seine Cousine ermorden zu lassen – wenn er richtig verstand –, war das mehr als nur eine schwerwiegende Anschuldigung.
    "Axilla, wenn du dieses Mädchen warst … bist, dann tut mir das leid. Ich kann dir nur sagen, dass Seiana mir versichert hat, dass sie seit jeher lediglich ihre Ruhe will. Ich behaupte nicht, dass sie die Unschuldigkeit in Person ist, ganz bestimmt nicht, nur bist du die genauso wenig. Aber es geht mir im Grunde nicht einmal darum, dass du die Decima in Frieden lassen sollst, viel eher darum, dass du Seneca in Ruhe lässt", erklärte er möglichst ruhig, "Und ja, ich komme mit Zusammenhalt, denn zu meiner Familie gehört er noch. Er hat nämlich nicht mit meiner Erzfeindin geschlafen, sondern nur mit deiner. Ja, es hätte ihn den Kopf kosten können und uns alle den Ruf, und glaub mir, hätte ich eher davon erfahren, hätte ich ihm vermutlich eine gescheuert. Hat es aber nicht, ich werde also nicht für den Rest meines Lebens darauf rumreiten, was hätte sein können. Vor allem dann nicht, wenn es um den geht, ohne den ich es wahrscheinlich nicht bis zum Centurio geschafft hätte. Ohne den ich ziemlich sicher nicht verlobt wäre. Und ohne den ich heute vielleicht gar nicht erst hier wäre."
    Er war sich ziemlich sicher, das Axilla vollkommen egal war, was er sagte. Denn wie sie hatte auch er seine persönlichen Gründe, sie für sie keine Rolle spielten, so wie ihre persönlichen Gründe für ihn wenig Relevanz hatten, auch weil er, gerade als großer Urbaner, darauf geeicht war, nicht nur einer Seite der Geschichte absolut und ohne jegliche Zweifel zu vertrauen, selbst wenn er es wollte.

  • Axilla rieb sich leicht mit der linken Hand ihre Schläfe. “Nein, ich habe ihn geheiratet, als er mich gefragt hat, und nicht mich auf ihn gestürzt und ihn gedrängt oder sonstwas. Wenn ein Angehöriger der Kaiserfamilie einen fragt, ob man ihn heiraten will, sagt man üblicherweise ja. Ich will auch gar nicht so tun, als hätte ich Archias nicht gern gehabt, aber ich hätte auch fröhlichst leben können, ohne ihn zu heiraten.
    Und ich habe noch nie erwartet, dass die Decima in Jubelstürme ausbricht, wenn sie mich sieht. Ich habe sie immer in Ruhe gelassen mit 'dem alten Mist' und wohl durch Taten und Worte mehr als genug bewiesen, dass von meiner Seite aus es keinen Grund gibt, warum da irgend ein Aufsehen drum gemacht wird.


    Was ich aber sehr wohl erwarte und verlangen darf, dass mir von jemandem, der angeblich nur seine Ruhe haben will, ebenso Ruhe entgegen gebracht wird. Und weder, dass diese Person ihre Verwandten anstachelt, in der Öffentlichkeit diese Geschichte auch nach Jahren wieder und wieder hervorzubringen, noch, in mein Zuhause zu kommen und mich zu beleidigen und nach verfluchten zwanzig Jahren immer noch mit derselben Leier anzukommen. Irgendwie macht das die Behauptung, dass man ja nur seine Ruhe haben will, extrem unglaubwürdig, wenn sämtliche Taten doch immer nur auf dasselbe hinauslaufen.


    Ich hab nie behauptet, dass ich unschuldig bin. Dass ich mit Archias geschlafen habe, war sicherlich nicht nett. Vielleicht – nein, sogar höchst wahrscheinlich – hätte ich damals nein sagen sollen. Aber, so sehr man da auch über hättewärewenn philosophieren mag, eine Sache ist eine Tatsache: Archias hat mich geliebt. Sehr sogar. Über ein vernünftiges Maß weit hinaus. Seiana hatte er gern, will ich gar nicht bestreiten. Aber er hatte nie auch nur annähernd solche Gefühle für sie, und mir tut es ehrlich leid, dass ich seine Gefühle nicht im selben Maße erwidern konnte.
    Ich will jetzt nichts schwören, aber ich glaube, er hätte sich selbst dann von Seiana getrennt, wenn ich damals nein gesagt hätte, einzig und allein aus dem zu schließen, wie er auf der Hochzeit von Aurelius Ursus reagiert hat, als er gesehen hat, dass ein anderer Mann an meiner Seite war. Nur will sie das nicht sehen, nicht wissen und nicht hören.
    Ich hatte keinen Grund, sie da zu hassen, also spar dir diesen Blödsinn mit Erzfeindin und plapper nicht auch diesen Blödsinn nach, dass ich das alles wegen Archias tun würde. Damit habe ich schon sehr lange abgeschlossen.


    Aber es kann sich wohl niemand wundern, dass wenn ein Mensch einen anderen immer und immer und immer wieder herablassend behandelt und beleidigt, dass dieser Mensch dann irgendwann schlicht und ergreifend die Schnauze gestrichen voll hat.“
    Axilla konnte es an dieser Stelle wirklich nicht mehr hören. Welchen Sinn sollte das machen, dass sie wegen Archias sauer wäre und da irgendeine Feindschaft aufbauen hätte wollen? Warum hätte sie dann die ganzen Dinge, die sie Avianus gerade eben ja noch haarklein aufgelistet hatte, tun sollen? Sie hatte sicherlich besseres zu tun, als ihrer 'Erzfeindin' immer und immer wieder den Hintern zu retten.


    “Ich habe nie behauptet, dass ich völlig unschuldig wäre und nie Fehler gemacht hätte. Ich habe einen Fehler gemacht, und ich stehe auch zu diesem Fehler. Ich bestreite ihn überhaupt nicht. Aber mein Fehler macht nicht einen anderen Fehler dadurch ungeschehen. Weder rechtfertigt das den Ehebruch der beiden, noch die Anschuldigungen an mich, und erst recht nicht die Drohungen und Beleidigungen. Und tut mir leid, die beiden hatten mehr als genug Chancen, zu versuchen, das wenigstens in der Familie auszubügeln und vernünftig zu alledem zu stehen und um Verzeihung zu bitten. Das haben sie verweigert. Und nach Senecas 'Ich mach, was ich will und muss auf niemanden Rücksicht nehmen'-Rede sehe ich keinen Grund, warum ich nicht machen können sollte, was ich will und auf ihn Rücksicht nehmen müsste.“
    Denn das war der Casus Knaxus, der Axilla an der Sache wirklich störte: Der unsägliche Egoismus und die Selbstgefälligkeit, mit der die beiden ihre Handlungen für sakrosant erklärt hatten und mitnichten auch nur ansatzweise dafür geradezustehen gedachten. Die Decima hatte Axilla gegenüber ja sogar noch alles an sich bestritten und Seneca als Lügner dargestellt.

  • Avianus seufzte, wieder mal. Er empfand die Unterhaltung als unfassbar anstrengend – vermutlich nicht als einziger im Raum – und sah auch nicht mehr besonders viel Sinn darin, in der Vergangenheit herumzustochern. So wie er es schon ganz zu Beginn erwartet hatte, bevor Axilla zu erzählen begonnen hatte, . Er verstand nicht, was daran, dass es allen Beteiligten nur schaden würde, wenn Axilla zum Gegenschlag ausholte, so schwer zu verstehen war. Es würde den Decimern schaden, der Beziehungen der Iunii zu diesen und Seneca ebenso. Und wofür? Nur damit in den Augen seiner Cousine der Gerechtigkeit genüge getan war. Die wiederum sprach, als müsste sie wöchentlich irgendwelche Pöbeleien erdulden, was er wiederum nicht recht glauben konnte.
    "Wann hat sie dir denn das letzte Mal wirklich etwas angetan? Wann hattet ihr überhaupt das letzte Mal miteinander zu tun?", fragte er ungläubig zurück, "Ich habe mit ihr gesprochen, in aller Ruhe. Sie hat damals sogar aus freien Stücken zugegeben, dass sie unserer Gens damals gedroht hat, aber nie hat sie ihre Drohung wahr gemacht. Nie hat sie etwas unternommen. Und sie hat betont, dass sie den Iunii auch in Zukunft keinen Schaden zufügen wird, selbst dir nicht."
    Ihn beschlich ja langsam das Gefühl, dass die beiden Frauen mit der jeweils anderen in Verbindung brachten, was auch immer an unangenehmen Geschehnissen ihren Weg kreuzte. Wenn es zwischen Axilla und Seneca oder dem Bruder der Decima ein Problem gab, musste es Seiana gewesen sein, die alle gegen seine Cousine aufhetzte. Wenn deren Mann von ihrer Affäre erfuhr, war wiederum natürlich Axilla schuld daran.
    Angestrengt fasste er sich an die Nasenwurzel. Irgendetwas musste her, irgendein Argument. Nur war es zugegebenermaßen verdammt schwer, Seneca zu verteidigen, wenn man nicht einmal wusste, was er konkret gesagt hatte. Dafür, dass er sich das antat, hatte Avianus definitiv etwas gut bei seinem Vetter. Am liebsten würde er Axilla einfach mal die Meinung geigen, dass es ihm vollkommen egal war, welchen Streit sie mit Seiana hatte oder auch nicht hatte, aber sie verdammt nochmal, so sehr er sie als Cousine auch mochte, diese sinnlose Zickerei bleiben lassen sollte. Sie konnte ihm nämlich so oft sagen wie sie wollte, dass sie mit dem Streit nichts zu tun hatte. Die eine beleidigte und bedrohte die andere, die wiederum verpasste der anderen einen Schlag ins Gesicht und nahm sich vor, deren Leben zu ruinieren, von dem Hin und Her davor mal ganz abgesehen ... aber nein, dass da Streitereien existierten, die beide gleichermaßen zu verantworten hatten, war pure Einbildung.
    "Seiana sagte, sie will nichts mehr mit dir zu tun haben, in keiner Weise. Ich bitte dich also inständig, wenn du genauso deinen Frieden willst, dann lass es jetzt gut sein, bevor alles wieder von vorne anfängt. Auch um deinetwillen. Denn glaubst du wirklich, dass du deine Ruhe hast, wenn du sie verrätst? Ich weiß du willst deinem Ärger Luft machen, aber das ist nicht der richtige Weg, sondern einer, der mehr Probleme schafft als er löst", versuchte er seine Gedanken möglichst freundlich zu verpacken.

  • Wann die Decima ihr zuletzt etwas getan hatte? “Du meinst abgesehen davon, dass sie in meinem Haus stand, mich beleidigt hat und mir gedroht hat? Nun, eine knappe Woche später stand sie vor meinem Mann und hat ihm gedroht, dass sie mich aus der Acta rauswerfen will, was sie sich wohl aus bekannten Gründen dann nicht getraut hat. Und davor.... dass sie die Acta-Mitarbeiter, mich eingeschlossen, ein gutes Jahr nicht bezahlt hat, hatte ich erwähnt? Die vielen, kleinen Hochnäsigkeiten mal außen vor, ist der Mordversuch zugegebenermaßen schon ein paar Jahre her.“ Axilla bemühte sich wirklich, sachlich zu bleiben. Was aber alles andere als einfach war. Dafür war zu viel Keramik zerschlagen, wie man so schön sagte.


    “Und natürlich hat sie ihre Drohung nicht umgesetzt. Es gibt schlicht nichts, was sie mir anlasten könnte. Ich bin mittlerweile sechzehn Jahre verheiratet, habe das ius liberorum, und obwohl mein Mann schon seit Ewigkeiten in der Versenkung verschwunden ist, gibt es keine Affären, keine Orgien, noch nicht einmal eine unangemessene Umarmung. Hätte ich nicht zwei Kinder, man könnte denken, ich wäre eine Vestalin.“ Noch mit ein Grund mehr, warum Axilla auf Ehebruch sehr allergisch reagierte. Sie wusste wohl besser als die meisten, wie einsam es in einer Ehe sein konnte. Sie wusste sehr wohl, wie sehr man sich nach Liebe, Zuneigung und Körperlichkeit sehnen konnte. Sie wusste sehr, sehr gut, dass auch der weibliche Körper seine Bedürfnisse hatte. Trotzdem beging sie keinen Ehebruch und würde das auch nicht tun. Wenn sich tatsächlich irgend jemand derartig einfinden würde, dass sie meinte, mit ihm ins Bett zu müssen, weil sie sonst platzen würde, würde sie selbstverständlich zuvor ihre Scheidung erklären! Zumal das vollkommen formlos und unkompliziert ging.
    “Und natürlich will die Decima jetzt am liebsten ihre Ruhe. Sie hat Angst. Sie hat sogar fürchterliche Angst. Du kennst sie ja kaum, aber ich kenne sie sehr gut und ich weiß, wie stolz sie auf ihren Stand ist und auf das, was sie angeblich alles erreicht hat. Deswegen hat sie Seneca ja auch erst genommen, als er Ritter war, weil es vorher nicht in ihr perfektes Bild gepasst hat. Und da hat sie eine riesige Angst, dass sie das alles verlieren würde, wenn bekannt wird, dass sie eine Ehebrecherin ist. Dass jeder über sie lachen würde. Dass sie ihr Vermögen verlieren würde. Sie wäre eine Idiotin, wenn sie da keine Angst haben würde.“ Alles andere anzunehmen, wäre wirklich mehr als naiv.


    Natürlich glaubte Axilla nicht, dass sie dann ihre Ruhe hätte. Was mit ein Grund war, warum sie nicht schon längst tätig geworden war – was aber wohl irgendwie nicht zu zählen schien, wenn ausgerechnet jetzt noch einmal mit ihr da geredet werden musste, obwohl sie keinerlei Anlass dazu gegeben hatte.
    “Du hast keine Ahnung, wie sehr ich meinem Ärger Luft machen möchte. Aber gut, dann sag mir einen alternativen Weg. So, wie sich Decimus Serapio verhalten hat, ist das Verhältnis zu den Decimern ohnehin nicht existent, Seneca weigert sich, irgendeine Schuld seinerseits einzusehen oder gar angemessen dafür um Entschuldigung zu bitten, von der Decima ganz zu schweigen, die entweder dich oder mich angelogen hat, was wir hier aber kaum diskutativ klären können. Von daher, zeig mir den Weg, der das alles auflöst und nicht darauf hinausläuft, dass ich kampflos das Feld einfach Räumen soll und es in mich hineinfressen soll. Denn das werde ich ganz sicher nicht.“

  • "Das ist doch alles schon ewig lange her", sagte Avianus mit einem leichten Kopfschütteln, "Dass sie dir gedroht hat … wann war das? Seiana war damals doch noch nicht einmal geschieden!" Und trotzdem redete seine Cousine so, als wäre es erst gestern gewesen. Er selbst war doch inzwischen schon Jahre hier in Rom.
    Und dann kam das allerbeste! Axilla gab selbst zu, dass Seiana ihre Ruhe wollte! Am liebsten hätte er sich in dem Moment die flache Hand an die Stirn geschlagen. Wenn es tatsächlich so war, weshalb war sie nicht einfach froh, dass Seiana Angst hatte und machte sich das zunutze? Nein, stattdessen plante sie, den Ehebruch öffentlich zu machen, ihr scheinbares Druckmittel aus dem Fenster zu werfen und sich gleichzeitig mit dem Decimern anzulegen. Das hielt doch langsam kein Mensch mehr aus.
    "Hörst du dir selbst eigentlich zu, Axilla? Außer dir will doch gar keiner mehr kämpfen! Aber glaubst du, die Decimi werden tatenlos zusehen und nichts unternehmen, wenn du Seianas Ruf in den Dreck ziehst? Natürlich will ich, dass du nichts unternimmst! Wir können keinen Krieg mit denen gebrauchen! Decimus Livianus ist mein eigener Vorgesetzter! Ich habe hart genug dafür gearbeitet, vom Praefectus als brauchbarer Offizier angesehen zu werden. Ich kann ich es nicht gebrauchen, dass der mich mit meiner Cousine in Verbindung bringt, die den Ruf seiner Nichte ruiniert hat. Was soll ich dann machen? Für meine rachsüchtige Cousine um Verzeihung bitten?" Er schrie seine Cousine zwar nicht an, sprach aber doch deutlich genervt. "Oder wenn auch nur einer von denen auf die Idee kommt, dass die Decimi sich das nicht gefallen lassen sollten? Dann können wir einpacken! Ein mikriger Centurio und die Frau des ehemaligen Procurator a libellis gegen die? Und was Silanus wohl dazu sagen würde, wenn er irgendwann wieder nach Rom zurückkehrt? Wenn du dich mit den Decimern anlegst, bist du kein Stück besser als Seneca. Welchen Teil von 'Lass es gut sein' hast du nicht verstanden? Wieviele Argumente musst du noch hören, um zu verstehen, was für eine saublöde Idee du da hast? Falls die Decima auch nur einen Finger rührt, kannst du ihren Ehebruch von mir aus nach Lust und Laune im ganzen Reich verbreiten, aber solange die Situation ruhig ist, hätte ich gerne, dass du es auch ruhig bleiben lässt."
    Zum Ende hin war er wieder ruhiger geworden, ließ nun lautstark den letzten Rest Luft aus seinen Lungen entweichen und lehnte sich wieder zurück. Da war es also raus. Und, bei den Göttern, das fühlte sich gut an. Damit war er dann auch fertig, denn wenn Axilla nun trotzdem sagte, dass ihr das alles egal war, wäre er mit seinem Griechisch definitiv am Ende. Aber verdammt nochmal, was musste sie auch so stur sein. Nicht ein einziges Mal hatte er bisher das Gefühl gehabt, dass sie auch nur darüber nachdenken würde, ihre Meinung zu ändern. Und als wäre das nicht genug, ärgerte er sich nicht nur über Axilla, sondern auch über sich selbst, wie er überhaupt auf die Idee gekommen war, das er irgendetwas ändern könnte, an dieser schon jahrelang andauernden Streiterei.


    Sim-Off:

    Edit: Verdammt! Nichte, nicht Tochter! Wann lerne ich es endlich? ^^

  • Axilla hatte das Gefühl, sie redete mit einer Wand. Noch dazu mit einer, die ihre Argumente nicht nur nicht hörte, sondern verdrehte. Das war doch genau Axillas Argument gewesen: Dass Seiana da nicht geschieden war, und es eben auch gar nicht wollte. Seiana hätte nur Terentius Cyprianus verlassen müssen, sich scheiden lassen müssen, dann hätte man ja über eine Affäre oder sogar eine Ehe mit Seneca reden können! Aber genau das wollte sie ja nicht! Was war daran denn wirklich so schwer zu verstehen?


    “Hör doch auf, uns so klein zu machen! Wir müssen uns sicher nicht hinter den Decimern verstecken! Die bilden sich wer weiß was auf sich ein, aber außer einen auf dicke Tunika zu machen ist da weniger als nichts!
    Und selbst wenn sie wollten, was könnten sie denn machen, hm? Nicht ich habe etwas getan, sondern sie. Sie hat Schande über ihre Familie gebracht, sie hat Ehebruch begangen, sie[ hat sich zur persona infama gemacht. Und wenn das öffentlich ist, dann können sie nicht dagegen machen, ohne sich selbst mit dieser Infamie anzustecken!“

    Axilla hatte wirklich genug davon, sich auch nur ein einziges Mal noch sagen lassen zu sollen, wie toll die Decimer doch angeblich waren, insbesondere Seiana. Sie hatte diese Leier so satt, sie hatte es so oft hören müssen. Aber was war denn die Wahrheit? War denn nicht auch die Wahrheit, dass die Decimer in sich völlig uneins waren? Hatte nicht Livianus' adoptierter Sohn sich höchstselbst gegen den Vater gewandt und gegen alles, wofür der Consular eingetreten war, Krieg geführt, an der Seite des größten Feindes seines Vaters und Grund für dessen Exil? Hatte sich derselbe Sohn nicht wie ein Verrückter schon seit Jahren gebärdet, ohne irgendwas zu tun, dass auch nur einen Hauch öffentlichen Respekt verdient hätte? Und hatte besagter Consular selbst nicht höchstselbst eines der unspektakulärsten, uninovativsten und ineffizientesten Consulate überhaupt bestritten?
    Und abgesehen von diesen beiden Figuren, die sich nicht wirklich mit Ruhm bekleckerten, wo sie gingen und standen, wer war denn in den letzten Jahrzehnten überhaupt noch von Bedeutung gewesen? Seiana als Auctrix der Acta – wo sie in ihrer ganzen Zeit keine fünf Artikel selbst auch nur ansatzweise verfasst hatte, vergessen hatte, Mitarbeiter zu bezahlen und ihrer Auskunftspflicht gegenüber dem Senat eher zurückhaltend nachgekommen war – und Rectrix der Schola – die geschlossen wurde. Und die Ehebruch begangen hatte, der Familie ihrer angeblichen Liebe drohte und sich auch nur für eine Erklärung zu fein war.
    Wirklich, Axilla konnte sich vor Ehrfurcht kaum halten...


    Trotzdem war sie dieses ganze Gestreite und Diskutieren so satt und wollte eigentlich nur ihre Ruhe vor dem ganzen Thema haben. Endgültig. Vor allen Dingen wollte sie Ruhe vor den Decimern haben, und sich nicht andauernd anhören müssen, wie toll diese doch angeblich so waren. Sie atmete einmal tief durch, dann seufzte sie.
    “Wenn ich auch nur die Hoffnung hätte, dass wirklich Ruhe wäre, wenn ich es gut sein lasse, Aulus, würde ich ja sogar darüber nachdenken. Aber selbst, wenn ich nichts mache, denkst du denn, die Decimer lassen mich dafür im Gegenzug auch endlich einmal in Ruhe? Denkst du denn, dass ihr Bruder dann aufhört, beleidigend zu mir zu sein? Denkst du denn, dass irgendeiner dieser ganzen Bande auch nur den Hauch von Dankbarkeit zeigen wird, wenn ich ihre ach so hoch gelobte Familienehre unangetastet lasse, obwohl ich jeden Grund und jedes Argument hätte, es nicht zu tun? Ich denke, dass ich von keinem von ihnen dafür auch nur ein einziges freundliches Wort bekäme. Von einer Entschuldigung für die ganzen Schmähungen der Vergangenheit ganz zu schweigen. Oder einer Entschuldigung.
    Aber das wäre das Einzige, was mich wirklich überzeugen könnte. Von daher lass uns nicht mehr darüber reden. Das ist nichts, was du und ich diskutativ lösen können.“

  • Die Iunii klein machen? Avianus erkannte lediglich, wenn ihm jemand gegenüberstand, mit dem er sich nicht grundlos anlegen sollte. Denn natürlich konnten die Decimi ihnen schaden. Wäre es nicht bereits Schaden genug, einen starken Gegner anstatt eines starken Verbündeten zu haben? Ein klein wenig hatte er vielleicht übertrieben, aber zumindest für ihn persönlich konnten die Decimi einen gewaltigen Unterschied bedeuten, was seine Karriere anging, denn dass die Decimer Einfluss hatten, konnte doch selbst Axilla nicht leugnen, vollkommen egal, was sie ansonsten von ihnen halten mochte.
    "Versteh' mich nicht falsch, wenn einer von denen einem Iunius grundlos in die Suppe spuckt, bin ich der erste, der auf deiner Seite steht, um dagegen vorzugehen. Nur seh ich nicht, wie das im Moment der Fall sein soll … Decimus Livianus unterstützt Silanus und mich noch dazu, Seiana heiratet Seneca … die einzige, die Streit mit den Decimi hat, bist du, selbst wenn du es nicht hören oder verstehen willst. Und anstatt ihn zu beenden, willst du ihn in die Länge ziehen …"
    Seufzend fuhr er sich durch die Haare und ließ anschließend beide Hände resigniert auf den Schenkeln landen. Das würde heute nichts mehr werden, soviel stand fest. Ob es daran lag, dass er sie nicht recht verstand, so sehr er es auch versuchte, oder daran, dass sie ihre Meinung gar nicht erst ändern wollte … wer wusste das schon. Er hatte ohnehin keine Nerven mehr für weitere Diskussionen, so leid ihm das für Seneca auch tat, doch selbst der hatte es ja schon längst aufgegeben, irgendetwas an der Situation zu ändern. Nun musste sich auch Avianus eingestehen, dass was er sich vorgenommen hatte, ein hoffnungsloses Unterfangen war.
    "Dann hat sich das hier erledigt, würde ich sagen. Wenn du meine Hilfe brauchst, kannst du immer auf mich zählen Axilla, aber was auch immer du wegen dieser Sache vorhast, wirst du allein durchziehen müssen", zog er einen Schlussstrich unter das Gespräch und schenkte ihr verständnislose Blicke kombiniert mit einem leichten Kopfschütteln, bevor er sich erhob. Eine Entschuldigung. Das würde ausreichen, um seine Cousine umzustimmen, aber kein einziges rationales Argument. Dass es hier in erster Linie darum ging, dass die Decima infam war, kaufte er ihr exakt wegen solcher Aussagen nach wie vor nicht ab. Was bei den Göttern würde da eine Entschuldigung wieder gut machen. Die war lediglich nötig, wenn es mindestens so sehr um persönliche Angelegenheiten und alte Streitereien ging, oder zumindest war es wohl kaum verwunderlich, wenn Avianus so dachte. Als er noch den Stuhl zurechtrückte, sah er erneut etwas zerknirscht auf, brachte sich allerdings dazu, auf andere Gedanken zu kommen.
    "Ich habe Sibels Freilassung veranlasst und Kontakt zum Praefectus Urbi wegen des Conubiums aufgenommen … wenn in den nächsten Tagen die Hochzeit stattfindet, bestehe ich selbstverständlich darauf, dass du uns Gesellschaft leistest", verkündete er wesentlich weniger euphorisch, als er es vorgehabt hatte, noch die jüngsten Neuigkeiten, bevor er sich verziehen würde.

  • Irgendwie wollte Avianus wohl einfach nicht zuhören. Ja, sie hörte seine Argumente, und sie verstand sie sogar. Dennoch war nicht sie es, die irgendwas beenden musste. Die Ehe mit Archias, die das alles losgetreten hatte, war schon seit bald zwanzig Jahren beendet. Die persönliche Entschuldigung bezüglich der Umstände, unter denen sie Archias Frau geworden war, lag noch länger zurück. Noch beendeter konnte das von ihrer Seite aus nicht sein. “Wenn es die Sache beenden würde, wenn ich nichts sagte, würde ich wie gesagt darüber nachdenken. Doch eben dies hätte ich gerne als Verbindlichkeit von deren Seite und nicht als Vorschussvertrauen von meiner Seite, das sie sicher nicht verdient haben.“
    Und genau der Punkt, dass auch Avianus eben das einfach nicht garantieren konnte, machte auch seine ganze Argumentation in Axillas Augen einfach zunichte. Ja, es wäre durchaus überdenkenswert, wenn sie dadurch dann endgültig Ruhe hätte. Nur nach all dem, was vorgefallen war, wer garantierte ihr da, dass sie ihre Ruhe hätte? Das konnte Avianus gar nicht, da war er schlicht und ergreifend in der falschen Position.


    Kurz überlegte Axilla, dass wenn Avianus da helfen würde, wenn jemand einem Iunier, wie er meinte, in die Suppe spuckte, sie ihm vorschlagen sollte, Decimus Serapio noch einmal kräftig vors Schienbein zu treten, aber das war nach dieser Zeit auch schon nicht mehr so wichtig. Nur kurz blickte sie auf, als er meinte, sie würde diese Sache allein durchziehen müssen. Nichts anderes hatte sie erwartet. “Ich habe von dir nie verlangt, dass du dich da auf meine Seite stellen musst“, erinnerte sie ihn schon weitaus milder. Natürlich fänd sie es schön, wenn sie auch einmal wirklich Unterstützung erhalten würde. Aber sie wusste, dass nicht jeder ihren kämpferischen Geist besaß. Und sie wusste, dass Avianus Seneca nach wie vor für zu vieles dankbar war, als dass er sich gegen ihn stellen würde.


    Aber zum Glück schien das Thema endlich damit beendet zu sein. Axilla hätte in seiner Gänze verzichten können, das alles wieder und wieder durchkauen zu müssen. Erst recht mit Avianus, mit dem sie deshalb eigentlich nicht auch noch Streit anfangen wollte.
    Auch wenn Avianus irgendwie niedergeschlagen wirkte, war Axilla wirklich froh, dass das Thema damit vom Tisch war. “Wenn ihr noch irgend etwas bezüglich der Hochzeit braucht, sagt einfach bescheid.“

  • Nein, sie hatte nie irgendetwas verlangt, nicht von ihm. Auch nicht, dass er sie in ihrem kleinen Krieg unterstützte, doch Avianus hatte es satt, ewig zwischen den Fronten zu stehen und nichts zu bewirken, weil beide Seiten zu stolz waren, um nachzugeben. Nur was Axilla tun wollte, konnte er auf keinen Fall unterstützen. Vielleicht würde er es auch einfach bleiben lassen und Axilla und Seneca könnten ihren Streit wieder ungestört untereinander ausfechten, ganz ohne ihn, so sehr er es auch hasste aufgeben und sich eingestehen zu müssen, dass er schlicht und ergreifend nichts tun konnte, aber genau das wäre vermutlich der schlaueste Weg. Und es war ja nicht so, als hätte er nicht schon ohne die beiden genug Sorgen.
    Ihr Angebot ihm und Sibel mit der Hochzeit zu helfen, ließ Avianus vermuten, dass sie ihm seinen Versuch, ihr ins Gewissen zu reden, zumindest nicht übel nahm. Gut, denn Lust auf noch mehr zerstrittene Familienmitglieder hatte er definitiv nicht. Er nickte also noch knapp und stimmte ihr zu: "Das werden wir." Das war's dann aber auch schon, bevor er sich abwendete und das Officium verließ.

  • Vom Tablinum kommend klopfte Dicon zaghaft an der Tür. Er wusste weder, ob die Hausherrin, wie die Alte gesagt hatte, etwas Zeit erübrigen konnte, noch ob sie überhaupt anwesend war. Super. Aber was musste er sich auch immer um alles kümmern. In den letzten Monaten war er von einem Schreibsklaven zu einem Mädchen für alles geworden, ohne dass er es wirklich bemerkt hatte. Es hatte neue Zimmer einzurichten, Hochzeiten und große Cenae zu organisieren gegeben, und immer hieß es Dicon. Dicon hier, Dicon da, mach dieses, mach jenes. Und dann war es verwunderlich, wenn er den Überblick verlor? Oder ihm so langsam der Kragen platzte? Sowie er bemerkte, dass aus seinem erst zaghaften Klopfen fast schon ein Hämmern geworden war, starrte er leicht betreten auf die Tür, räusperte sich, ließ den Blick zum Fußboden hinunter wandern und beschloss, einfach dessen zu harren, was ihn erwarten würde. Wahrscheinlich war Axilla sowieso nicht da.

  • Warum sie alle Welt immer sprechen wollte, wenn sie gerade arbeitete? Warum kam das nie vor, wenn sie badete? Oder sich hinlegte? Oder im Garten war? Oder irgendwo unten im Haus? Nicht, dass Axilla besonders scharf darauf war, ausgerechnet bei diesen Gelegenheiten unterbrochen zu werden. Trotzdem traute sie sich bald nicht mehr, ihre Betriebsabrechnungen zu prüfen, weil jedes Mal, wenn sie eine bestimmte Tabula anfasste, klopfte es an der Tür. Vielleicht hatte der Verwalter ihres Marmorbruchs die Tafel auch mit einem Fluch belegt? Bei Gelegenheit sollte sie das Ding einmal öffnen, ob nicht irgendwo ein kleines Bleitäfelchen versteckt war...


    Jetzt aber sagte sie erst einmal “Ja, was gibt’s?“ und bat damit, wer auch immer da vor der Türe war, gleich herein.

  • Dicon öffnete die Tür, an der er zuvor noch herumgehämmert hatte, und steckte vorsichtig den Kopf durch den Spalt. Die motzte ihn gar nicht an? Ganz und gar nicht. Hatte sie ihn überhaupt schonmal angemotzt? Eine gute Frage, auf die er nicht so recht eine Antwort wusste. Vermutlich nicht, nein. Jedenfalls nicht, weil er irgendwann mal zu laut geklopft hatte. Ach, seine Nerven ... die waren auch nicht mehr das, was sie vor Jahren mal gewesen waren. Oder vor ein paar Wochen, bevor jeder Iunier im Umkreis von 500 Meilen beschlossen hatte, in die Domus Iunia zu ziehen. Ruhig Dicon, du überreagierst. Und wie du das tust. Noch betretener als zuvor blickte er Axilla an, als er bemerkte, dass er schon eine gefühlte Ewigkeit in den Raum starrte, ohne etwas gesagt zu haben.
    "Ja ... äh ... also ... da sind Gäste", fand er seine Stimme wieder und brachte es nach kleinen Anlaufschwierigkeiten sogar auf die Reihe, ein paar ansatzweise sinnvolle Worte zu artikulieren. Ein erneutes Räuspern folgte und Dicon ermahnte sich, sich endlich zusammenzureißen. "Eine Frau mit Namen Nysa und zwei Kinder ... Iunius Crassus und Iunia Marsa. Eine gewisse Racilia Decula habe sie beauftragt, die beiden Kinder hierher zu bringen. Sie warten allesamt unten im Tablinum."

  • Zwei... Kinder? Iunius Crassus und Iunia Marsa? Sollte ihr das irgendwas sagen? Axilla versuchte, ihr Gedächtnis anzustrengen, aber das summte nur fröhlich eine Melodie. Beim Namen Racilia Decula klingelte irgendwas ganz schwach, aber auch hier konnte Axilla noch nicht sagen, wo sie diese ganzen Namen denn nun einordnen sollte. So genau kannte Axilla die weiten Zweige ihrer Gens wirklich nicht, dass sie jedes Kind und jeden angeheirateten Partner beim Namen sofort wusste.
    Dennoch sagte sie: “Ja... in Ordnung, ich komme gleich runter.“ Sie konnte die drei, wer auch immer sie nun waren, ja schlecht unten stehen lassen.

  • Silanus hatte von den Sklaven erfahren, dass sich Axilla in ihrem Officium aufhielt und so klopfte er an und öffnete die Türe. Es war ein komisches Gefühl als er sein altes Officium betrat, welches nun seiner Großcousine gehörte. Manches war gleich geblieben, doch einiges hatte sie auch verändert und nach ihrem Geschmack eingerichtet. Doch das alles konnte seine gute Stimmung nicht beeinflussen, die man ihm auch sichtlich ansah, als er mit breitem Lächeln auf seine Verwandte zuging.


    "Hallo Axilla! Hast du einen Moment Zeit für mich? Es gibt Neuigkeiten, die ich gerne mit dir besprechen möchte."

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