Der Anbruch eines neuen Tages

  • Phraates konnte es der Keltin wirklich nicht veruebeln, dass seine narbe sie anzog wie ein magisches Schauspiel. Doch der Blick fuehrte dazu, dass er seine Tunika noch rascher als gewohnt anzog. Barbaren mochten mit ihren Narben prahlen, Parther taten das nicht. Im Gegenteil, es war ein Schoenheitsmakel, welcher zwar von Tapferkeit in der Schlacht zeugte, aber von geringem aesthetischen Wert war.
    "Im Krieg...", wiederholte er ihre Worte. Seine Augaepfel rollten kurz nach oben, als ob er an die decke sehen wuerde. Doch obwohl er in jene Richtung sah, blickte er sie nicht an. Vielmehr sah er wieder alles vor sich... die pralle Sonne, die Steppen, die vom Toenen der toedlichen Waffen und der zusammenprallenden Klingen erklangen, der Pfeilhagel, die Schilder der Legionaere, der Hieb, das letzte Roecheln seines Pferdes... der roetliche Staub der Erde seiner Heimat... der Filmriss... und dann, als er wieder zu Bewusstsein kam, das letzte, was er von seiner Heimat sah. Es war eine heruntergebrannte Huette am Euphrat gewesen, welche immer kleiner wurde, je weiter sich die Kriegsgefangenenkarawane von der parthischen Grenze entfernte.
    Er blinzelte kurz, um die Bilder zu verjagen, doch es war schwer. "Ja.", meinte er nur kurz angebunden. "Das stimmt." Mehr wollte er nicht sagen.
    Doch eines brachte ihn wieder vollends in die Realitaet zurueck - ihre Ansage, dass sie nicht in ihre Heimat zurueckkehren wollte.
    Er oeffnete kurz seinen Mund, als wolle er schon protestieren. Dann schloss er ihn wieder. Nach Sekunden brachte er schliesslich wieder etwas hervor.
    "Wieso?", fragte er. Es ging ihn nichts an, doch er wollte es trotzdem wissen. "Wieso du nicht zurueck kannst?" Er blickte Bridhe verbluefft an. "Man dich sicher wieder in deiner Heimat erkennen wird!", meinte er, doch seine Stimme war nicht mehr so ueberzeugt, wie sie gewesen war.
    Was sie nun sagte, erschuetterte ihn noch mehr. "Dann... dann nicht gehe! Du hier wohnen kannst! Wenn du nicht gehen willst, dann bleibe!", rief er aus. Es haette durchaus etwas, wenn sie hierbleiben wuerde. Er haette, vielleicht, eine Verbuendete... doch helfen wuerde ihm das nicht. Er wuerde bald schon zu den Aureliern gehen. Es gab von seiner Seite her kein Argument, dass sie nicht gehen sollte... und dennoch, er wuerde es schade finden, wenn dies das einzige Mal waere, dass sie sich ueber den Weg laufen wuerden.
    Doch ihr letztes Wort war konklusiv, er konnte ihre Meinung nicht aendern. Er konnte sie nicht aufhalten. Er seufzte, lang und leise. Dann nickte er. "Danke.", murmelte er und liess den Kopf haengen.

  • Es war, wie ich es vermutet hatte. Die Narbe stammte aus dem Krieg. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass sie dazu beigetragen hatte, dass er jetzt hier war - als Sklave. Deshalb empfand er sie wohl nicht als ein Heldenmal, sondern eher als ein Schandmal, das ihn zwar ständig begleitete, worauf er aber niemals stolz sein konnte. Er gehörte auch zu den Heimatlosen und Entehrten, von denen es hier eine Unzahl gab. Ich gehörte auch zu ihnen. Umso mehr wunderte ich mich über seine Frage, die in meinen Ohren fast schon naiv war.
    Ich hatte niemals auch nur ansatzweise versucht, mein Kind als Schandmal zu sehen. Aber in meiner Heimat würde man das mit Sicherheit. Ein dunkles Kind, mit dunklen Haaren, dunklen Augen, dunklem Teint. Man würde ihn und mich ausstoßen. Vielleicht hätte mein Vater Verständnis für mich. Doch insgeheim würde er daran zerbrechen.


    Weil ich es versprochen habe. Dem Vater meines Kindes. Mein dominus ist… Deshalb bin ich jetzt frei!


    Meine Tränen verrieten, wie sehr dieses Versprechen auf mir lastete. Es war Ironie! Während meiner ganzen zeit in der Sklaverei, hielt ich mich mit dem Gedanken am Leben, eines Tages wieder nach Hause zu können. Nun war ich frei und alle Türen waren mir verschlossen.
    Seine Aufforderung war nett gemeint, und ich wusste auch, dass er nicht alleine dies Meinung vertrat, auch wenn er "nur" ein Sklave war. Aber ich schüttelte den Kopf. Ich wusste genau, es ging nicht. Ich brauchte Abstand, um letztendlich nicht noch ganz den Verstand zu verlieren. Vielleicht… vielleicht würde ich eines Tages wieder zurückkommen, wenn ich versagt hatte. Dann war die Villa mein letzter Zufluchtsort.


    Nichts zu danken! Leb wohl!


    Ich nahm die Hand des kleinen Diarmuid. In der anderen hatte ich die Tasche mir meinen wenigen Habseligkeiten. Ich wollte schon gehen, doch dann hielt ich noch einmal inne.


    Ach bitte, würdest du das dominus Aristides und domina Epicharis geben?


    Ich hielt ihm eine kleine Wachstafel entgegen, worauf ich einige Zeilen gekritzelt hatte.



    Dominus, domina!
    Bitte verzeiht mir, wenn ich nun gehe. Doch ich hielt es für das Beste.
    Ich möchte euch noch dafür danken, dass ich nach meiner Freilassung noch hier wohnen durfte.
    Mögen euch eure Götter beschützen.
    Bridhe

  • Noch nachdem er seine Tunika angezogen hatte, spuerte er seinen Magen rumoren. Es war ein Gefuehl, welches er erst seit Kurzem hatte. Seit weniger als einem Jahr. Als er verwundet worden war. Nur knapp hatte der Hieb seinen Magen verfehlt. Hie und da schmerzte es, am manchen Tagen sogar so, dass es fast an sein Heimweh heranreichte.
    Bridhe beantwortete seine Frage, so gut es ging, doch Phraates spuerte, es war nicht die ganze Wahrheit. War er noch erschrocken gewesen ueber die Bleichheit der Frau, hatte er anfangs an Wasserleichen gedacht, hatte der Junge eine gesunde Hautfarbe. Bei den Hiberniern wuerde der sicher ein Aussenseiter sein. Fuer den Rest seines Lebens. Sie tat es nur fuer ihn, dass sie nicht zurueckging.
    Die Einsicht traf ihn derbe. Und wieder wurde seine Gewissheit bestaetigt. Die Sklaverei war ein Schweinesystem. Es sollte nicht sein. Es war nicht rechtens. Es war gegen die Natur.
    Und doch so teuflisch effizient, und nichts und niemand konnte etwas dagegen tun.
    Er nickte nur leicht, als er ihre Traenen sah. Sie konnte sie nicht mehr verbergen. Was sollte er bloss tun? Haette er sie besser gekannt, waere er auf sie zugegangen, haette ihr die Traenen weggetupft. Doch angemessen war dies nicht, kannten sie sich doch gerade einmal 20 Minuten. Und er wuerde sie auch nicht besser kennen lernen. Doch ihr Gesicht praegte er sich ein. Er wuerde sie wieder erkennen, wenn er sie wieder sah. Irgendwann.
    Er wollte schon etwas entgegnen auf ihr Lebewohl, da drueckte sie ihm etwas in die Hand. Eine Botschaft. Er hielt sie sich vor die Augen und entzifferte die Schrift - mit den lateinischen Lettern hatte er noch immer Schwierigkeiten.
    Dann liess er den Zettel sinken, als er die Botschaft verdaut hatte.
    "Ich tun es werde.", versprach er ihr. "Mach es gut. Ahura Mazda dich beschuetzen wird.", sagte er. Er meinte es ernst.
    "Dann gehe. Gehe, sonst man dich bemerkt.", riet er.

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