Der Anbruch eines neuen Tages

  • No Second Troy

    Why should I blame her that she filled my days

    With misery, or that she would of late

    Have taught to ignorant men most violent ways,

    Or hurled the little streets upon the great.

    Had they but courage equal to desire?

    What could have made her peaceful with a mind

    That nobleness made simple as a fire,

    With beauty like a tightened bow, a kind

    That is not natural in an age like this,

    Being high and solitary and most stern?

    Why, what could she have done, being what she is?

    Was there another Troy for her to burn?

    by W.B. Yeats



    Was sollte ich nur mit meinem Leben anfangen? Mit dieser Frage war ich zu Bett gegangen und mit dieser Frage war ich aufgewacht. Wie ein Geschwür saß sie auf mir und quälte mich, denn sie wollte beantwortet werden. Jetzt!
    Das Kind lag noch friedlich in seinem Bettchen und schlief. Gleichmäßig ging sein Atem. Er war zu beneiden, der kleine Mann, denn er lebte jeden Tag, um die Welt kennen zu lernen. Er wusste noch nicht viel von der Welt dort draußen. Sein Kosmos beschränkte sich auf das Zimmerchen seiner Mutter und die Räume, zu denen sie Zutritt hatte. Nur ganz selten verließ er diese bekannten Gefilde, stets in der Begleitung seiner Mutter, um die weißen Stellen auf der Karte mit Farbe zu füllen.
    Ich sah durch das kleine Fensterchen hinaus. Ein wenig Grün konnte ich einfangen und das klare Blau des Himmels. Was hielt mich hier noch? Alle Bande waren durchtrennt. Nichts konnte mich noch aufhalten und dennoch gab es etwas, was mich zurückhielt, einfach den Käfig zu verlassen. Ich war der Vogel, dem plötzlich die Welt offen stand, der sich aber nicht traute, den letzten Schritt zu wagen.
    Dabei gab es so viele Möglichkeiten!

  • Heute aber würde ich ihn wagen, den ersten Schritt, ohne zu wissen, wohin er mich brachte. Ungewissheit war es, die draußen auf mich wartete. Doch lag es nicht in der Natur des Menschen neugierig zu sein? Immer wieder ein Stück weiter ins Unbekannte zu gehen?
    Unweigerlich fühlte ich mich wieder in meine Kindheit zurückversetzt. Der Tag, an dem ich schwimmen lernte. Ich hatte am Ufer des Flusses gestanden. Vor mir eine seichte Stelle ohne viel Strömung, ideal für die ersten Schwimmübungen. Mein Vater war vorausgegangen und redete mir gut zu, auch ins Wasser zu kommen. Ich hatte all meinen Mut zusammen genommen und hatte mit meinem Füßchen die Wasseroberfläche berührt, war aber wegen der Temperatur wieder zurückgeschreckt. Doch das Wasser lockte und auch mein Vater, den ich stolz machen wollte. Schließlich fasste ich mir ein Herz und sprang hinein ins Wasser. Die Temperatur machte mir nichts mehr aus. Ich lief soweit, bis ich kaum noch stehen konnte. Als ich mit meinen Füßen den Halt verloren hatte, begann ich ängstlich um mich zu rudern. An diesem Tag hatte ich viel Wasser der Bóinne geschluckt. Mein Vater war es schließlich, der mir zu Hilfe gekommen war.


    Diesmal war ich auf mich allein gestellt. Niemand war da, der mich rechtzeitig zurückholen würde. Ob ich ertrank oder schwamm, lag allein in meinen Händen.


    Die wenigen Sachen, die in meiner Truhe lagen, waren schnell zusammen gepackt. Als Diarmuid aufwachte, hielt mich nichts mehr. Ich wusch den Jungen noch und kleidete ihn an. Das war´s! Ich war bereit, zu gehen.

  • Niemand wuerde Phraates es veruebeln koennte, dass ihm die Aufgabe, mit der er beauftragt worden war, ihm nicht ganz gefallen wollte.
    Betten machen. Wer in aller Welt brauchte so was? Mit einigen Bettbezuegen in der Hand schritt Phraateds durchs Haus. Ah! Dies war die Tuere! Die dritte links im Gang, genau das war sie. Hier wohnten die Freigelassenen der Flavier. Neidisch blickte Phraates kurz auf die Tueren. Ob man ihm auch einmal ein Dokument jener Art ausstellen wuerde? Doch dies lag in weiter Ferne.
    Er legte die meisten Leintuecher vor sich am Boden ab, bis auf drei, die er mit in den Raum nehmen wuerde.
    Er klopfte an die Tuere an, oeffnete sie und eilte hinein. Drinnen sah er eine junge Frau sowie ein kleines Kind, vermutlich ihren Sohn, herumstehen.
    "Gutes Morgen! Ich hier habe Tuch, ich werde machen das Bett sofort, nicht dich stoeren laaaAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA...", mit einem Bruellen endete seine Ansage, als er ueber die Truhe, die die Freigelassene, die in diesem Raum lebte, mitten in den Raum hineingestellt hatte. Jeder Tropf haette sie gesehen, doch nicht der das war nicht der Fall mit dem Ungluecksraben Phraates.
    Er fiel am Boden hin. Rechtzeitig fing er den Sturz mit seinen Haenden ab, aber die Leintuecher entwickelten einige haessliche Falten dadurch und lagen am Boden verstreuselt herum wie achtlos hingeworfen. Phraates hatte durch den Sturz einen Schock gekriegt fluchte leise auf parthisch wie ein Fuhrmann. Mit einem deftigen "Khange khodah!" machte er sich daran, sich aufzurichten. Wenn das der Hohepriester von Aspadana hoeren wuerde...

  • Ob ich nun das Richtige tat oder gerade dabei war, den größten Fehler meines Lebens zu begehen, ich wusste es nicht. Eines konnte man mir jedoch nicht vorwerfen. Ich handelte nicht unüberlegt! Wie viele Nächte hatte ich wachgelegen und darüber nachgedacht, was ich tun sollte? Wie oft hatte ich das Für und Wider meiner Situation abgewägt? Manche würden mich vielleicht als hochmütig und zu stolz titulieren Diejenigen kannten mich nicht und verstanden nicht, worum es mir ging. Andere wiederum würde ich mit meiner Entscheidung zu gehen, vor den Kopf stoßen. Um die tat es mir Leid und das bereitete mir auch ein schlechtes Gewissen.
    Es war zwar bequem, hier im Überfluss zu leben, ein Dach über dem Kopf zu haben und sich keine Sorgen machen zu müssen, ob der nächste Tag genug Nahrung bereit hielt. Ich hatte mich nie vor einer Arbeit gedrückt, weder vor noch nach meiner Freilassung. Und doch gab es Neider, die mir nichts gönnen wollten, die es vorzogen, über mich herzuziehen.
    Sollte ich nicht doch noch einen Brief zurücklassen, indem ich alles erklärte? Noch einmal nahm ich an meinem Tisch Platz und wollte einen Brief aufsetzen. Als die Tür plötzlich auf gestoßen wurde, fuhr ich erschrocken auf.
    Dieser Sklave musste sich in der Tür geirrt haben! Ich machte für gewöhnlich mein Bett selbst. Er aber ließ sich nicht beirren und kam voller Elan hereingestürzt, mit einem Stapel Wäsche in den Armen. Ich konnte nicht nachvollziehen, was geschah, als er mein Bett anteuerte. Der Unglücksrabe stolperte über meine Truhe und ging mit einem Aufschrei zu Boden.


    Oh! rief ich entsetzt. Hast du dich verletzt?


    Ich eilte zu ihm, um ihm behilflich zu sein und reichte ihm meine Hand, auf dass er sich daran hochziehen konnte.

  • Phraates Versuch, sich aufzurichten, scheiterte am Schmerz, der ihm durchs Kreuz fuhr. Ahh! Hatte er sich jetzt beim Sturz den Ruecken versaut?
    Immerhin schien sein Pech das Mitleid der Frau zu erregen, die hergehastet kam und ihn fragte, ob er sich was getan hatte.
    Er griff sich an den Ruecken und verzerrte sein Gesicht kurz, dann ergriff er ide Hand der Frau und liess sich hochziehen. "Danke dir, danke.", meinte er aechzend und blickte ratlos zu den zermuddelten Leintuechern am Boden hinunter. Was jetzt? Nur gut, dass er noch draussen Leintuecher hatte.
    "Tut mir Leid! Tut mir Leid!", beteuerte er der hellhaeutigen Frau (so hellhaeutig, gab es das denn? So bleich waren nicht einmal die Skythen!) und wollte gerade die Leintuecher aufnehmen, als auf einmal der Schmerz zurueckkam. Es schmerzte ungeheuer, und Phraates gab ein leises, sich relativ unkavalierhaft anhoerendes Grunzen von sich, so weh tat es. Unglaublich, dass ihm so etwas passieren musste. Er hatte eine grauenhafte Schwertwunde ueberlebt, doch nicht einmal das hatte so sehr geschmerzt wie das Feuer, dass sein Kreuz zu durchdringen schien.
    Er liess von seinem Vorhaben ab und stoehnte dabei entsetzlich. Schnell besann er sich der Anwesenheit der Dame vor ihm und biss sich auf die Unterlippe, um diverse Schmerzensschreie zu unterdruecken. Er kruemmte seinen Ruecken, doch das schien alles nichts zu helfen. Am besten war es immer noch, wenn er kerzengerade herumstand, als ob er einen Besen verschluckt hatte. Er versuchte, die Frau anzulaecheln, doch eine gewisse Verkrampftheit durchdrang seinen Gesichtsausdruck.

  • Oje, er hatte sich richtig weh getan! Das konnte ich an seinem Gesicht erkennen. Nachdem er sich an meinen Händen hochgezogen hatte, bat ich ihm meinen Stuhl an. Doch er hatte nur Augen für seine Leinentücher, die auf dem Boden verteilt lagen, entschuldigte sich vielmals bei mir und versuchte sofort die Tücher einzusammeln. Das gelang ihm aber nicht, denn er stöhnte vor Schmerz.
    Ich war es nicht gewohnt, dass ein Sklave sich in meiner Gegenwart so benahm. Wahrscheinlich war er neu in der Villa und kannte mich deshalb noch nicht.


    Das ist wirklich nicht schlimm! Hier, bitte! Setz dich doch! Hast du dir sehr weh getan?


    Diesmal zog ich den Stuhl zu ihm, damit er sich auch tatsächlich setzte.
    Diarmuid fand die Tücher, die auf dem Boden lagen lustig. Eine willkommene Abwechslung, ein neues Spiel, das er noch nicht kannte. Er trottete zu einem der Tücher und hob es auf, um sich damit einzuwickeln. Damit sah er fast aus wie ein kleiner Römer in einer Toga.


    Nein, nein Diarmuid, sagte ich ihm in meiner Muttersprache, was für den Sklaven mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr befremdlich klingen musste, und machte mit meinem Zeigefinger eine verneinende Bewegung. Dann sammelte ich die Tücher ein und legte sie auf dem Tisch ab.


    Du bist noch nicht lange hier, nicht wahr? Ich bin Bridhe und wer bist du?


    Einen Moment rätselte ich, zu welchem Volk er gehörte. Es musste ein Volk aus dem Süden sein. Seinem dunklen Teint zu urteilen, war er vielleicht aus Ägypter oder Parther. Seine Aussprache erinnerte mich ein wenig an Cassim, den Parther, der ebenfalls in der Villa lebte. Allerdings schien er ganz anders als Cassim zu sein. Nicht so arrogant.

  • Geradehalten konnte er sich nicht lange. Sein Ruecekn sackte zusammen, und Schmerz durchfuhr ihn wie Glut, als ob jetzt Ahura Mazda beschlossen haette, ihn zu bestrafen fuer irgendetwas. Ahh, das tat waeh. Er biss seine Zaehne zusammen.
    Sie bat ihm einen Stuhl an. Er haette gerne abgelehnt, doch sein Zustand erlaubte es ihm nicht, den harten Kerl zu spielen - die Moeglichkeit, solch einen Eindruck zu bieten, war sowieso schon komplett dahin. Also konnte er sich jetzt genausogut hinsetzen.
    Der Stuhl knarzte leicht, als Phraates sich hinsetzte, und seiner Wirbelsaeule erging es gleich. Was haette er jetzt getan fuer etwas Linderung seiner Schmerzen.
    Er hoerte, wie die Frau etwas zu ihm sagte. Er hob die Haende hoch. "Nein, nein, nicht schlimm!", beteuerte er. Sein Gesichtsausdruck strafte jener Behauptung Luegen. "Es ist nur..." Voruebergehend, was hiess das bloss auf latein? War das aergerlich, wenn man eine Fremdsprache zu sprechen versuchte und einem wichtige Woerter entfielen! Er beliess es dabei, hoffend, dass die Frau ihn verstehen wuerde.
    "Nicht die Tuche...", meinte er schwach zum Kleinen hin, der sich daran machte, das Chaos noch zu verschlimmern. Doch im Grunde seines Herzens waren ihm die Tuecher wurscht, er haette sie gerne gegen ein bisschen von seinen Rueckenschmerzen umgetauscht.
    Die Frau sagte etwas zum Kleinen. Wie? Was war denn das fuer eine Sprache? Es klang anderes wie alles, was er bisher gehoert hatte. Interessant. Er beugte sich unwillkuerlich vor, wobei sein Ruecken sich wieder im Aufstand uebte. Scheusslich!
    Sie stellte ihm eine Frage, und er brachte ein Nicken zustande. "Ich bin noch nicht lange hier.", kopierte er ihre Worte. Ueber ihren Namen war er erstaunt. "Beri... wie?"* Er wusste allerdings, dass die Aussprache seines Namens den leuten auch Probleme machte. "Ich bin Phra... AAAAAAAA...tes.", jaulte er auf, als ihm wieder der Schmerz in Mark und Gebein schoss. "Phraates. Aus Parthien.", schaffte er zwischen zusammengebissenen Zaehnen hervorzubringen. "Und ich nicht habe viel Glueck.", fuegte er hinzu, wobei er aber nur das Offensichtliche aussprach.


    Sim-Off:

    *Sag, wie wird der Name eigentlich ausgesprochen? Wie Brie (der Kaese)?

  • Sim-Off:

    Das dhe wird wie j ausgesprochen. Also Briej ;)



    Mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte er sich endlich. Ich machte mir schon einige Sorgen, denn es war ja meine Schuld gewesen, weswegen er gefallen war. Hätte ich die leere Truhe wieder etwas weiter zurückgestellt, wäre er nicht drübergestolpert. Ich machte mir deswegen jetzt richtige Vorwürfe. Er behauptete zwar, er hätte keine Schmerzen mehr, aber sein Gesicht sprach eine andere Sprache. Nein, der Mann hatte sich ordentlich verletzt. Vielleicht war es besser, wenn er sich erst einmal hinlegte.
    Wenigstens Diarmuid hatte ein Einsehen und war artig. Er ließ von dem Tuch ab, auch wenn er es nicht so richtig verstehen konnte, weshalb er ein so schönes Spielzeug aufgeben sollte.
    Wie der Sklave so da saß, machte er einfach nur den Eindruck eines Häufchen Elends. Nicht nur seine Schmerzen waren es, die ihm zu schaffen machten. Auch hatte er mit der Sprache zu kämpfen, die er nicht perfekt beherrschte. Wenn ich da an meine ersten Monate in Rom zurückdachte, konnte ich es gut nachvollziehen, wie er sich fühlen musste. Damals hatte ich nichts außer einigen Wörtern, die ich auf dem Weg nach Rom aufgeschnappt hatte, verstanden. Mein Bestreben war es gewesen, die Sprache so schnell wie möglich zu erlernen. Zu meinem Glück war mir das auch gelungen.
    Wie ich vermutet hatte, war er noch nicht lange hier, sonst hätte ich ihn bestimmt schon einmal vorher gesehen. Wie die meisten hier in Rom, so hatte auch er Probleme mit der Aussprache meines Namens.


    B r i d h e, mein Name ist B r i d h e. Ich komme aus Hibernia. Das ist eine Insel. Sie liegt im äußeren Nordwesten.


    Bestimmt hatte er noch nie etwas von Èirinn gehört, so wie die meisten hier. Woher sollte er auch. Bisher war mein
    Heimatland den hungrigen Fängen des römischen Imperiums entgangen und ich betete zu Brigid, Lugh und Dagda, dass dies auch in Zukunft so bliebe.


    Ich konnte es nicht mehr mit ansehen, wie Phraates, so stellte er sich mir vor, weiterhin litt. Es war besser, wenn er sich ein wenig hinlegt und ausruhte. Vielleicht sollte ich mir auch einmal seinen Rücken ansehen. Ich war zwar keine Heilerin, aber Dank Severus hatte ich einige Massagegriffe gelernt, die dem Parther sicher Linderung verschaffen konnten.


    Phra ates, möchtest du dich nicht auf mein Bett legen, wenn du solche Schmerzen hast? Ich könnte nach deinem Rücken schauen oder notfalls auch einen Medicus holen.


    Ich hatte mindestens genau so viele Schwierigkeiten, seinen Namen korrekt auszusprechen, wie er mit meinem und mit großer Wahrscheinlichkeit war ich auch nicht die Einzige. Also hatten wir beide doch wenigstens eines gemeinsam.

  • Sim-Off:

    Grummel... gaelisch... immerhin habe ich mir gemerkt, dass man das d in dh nicht ausspricht. ;)


    Bei Ahura Mazda, Gott der Weisheit und des Feuers, Beschuetzer unseres Landes und deren Kinder, befreie mich von diesem Schmerz, dachte Phraates, als er im Stuhl sass. Seine Sinne waren vom immer aeger werdenden Schmerz wie betaeubt. Es konnte doch nichts so Arges sein, wenn es weh tat... die richtig ueblen Verwundungen waren es, die man nicht spuerte. Er musste etwas mit seinem Rueckennerv angestellt haben. Ja, das war es, er musste sich dort irgendetwas getan haben. War der jetzt eingezwickt? Das passierte doch nur alten Knoppergreisen! Ja, so was wuerde nur denen passieren... und Phraates.
    Der Kleine liess jetzt das Tuch in Ruhe, was Phraates aber nicht sonderlich zur Kenntnis nahm. Er nickte dem Kleinen nur kurz zu... ui, sein Laecheln musste ausschauen wie die Grimasse eines Hofnarren... damit konnte man kleine Kinder ja erschrecken. Schnell drehte er seinen Kopf, aus Ruecksicht fuer seine Mitmenschen, nach unten, sodass er in seinen Schoss blickte. Die Rueckenschmerzen waren so nicht ganz so schlimm, doch lustig war die Angelegenheit noch immer nicht.
    Die Frau, Bridhe, deren Namen man wahrscheinlich komplett anders schrieb, als man ihn aussprach, sagte ihm, woher sie kam. Es war jetzt aber so, dass Phraates schon von Hibernia gehoert hatte. Ein roemischer Soldat, der in Britannien stationiert gewesen war, in der Legion von Isca,und das Kriegsgefangenenlager in Dura Europos bewacht hatte, hatte ihm dort erzaehlt, es waere ein Land voll mit Drachen und Daemonen, und voll mit gefaehrlichen Feinden. Nicht, dass Phraates ihm das damals abgekauft haette, komplett naiv war er nicht, doch irgendwie durchdrang dieser Gedanke sein von den Schmerzen komplett zerfraesten Gehirn, welches dem Aberglauben keinen Widerstand mehr bot.
    "Hibernia... auau... 'an, 'an, 'an, 'an...", jammerte er und verfiel darauf, in seiner Muttersprache leise zu zu fluchen. "Das Land, wo sind Daemonen...", meinte er schliesslich und blickte Bridhe ungluecklich an. Sein Ruecken fuehlte sich wie gefoltert an.
    Schliesslich kam ein Vorschlag, dem er ueberhaupt nicht abgeneigt war. "Bett!", rief er freudig aus, nicht der Tatsache bewusst, dass es in jener Hinsicht durchaus diverse zwiespaltige Konotationen und Doppeldeutigkeiten geben koennte, die jemanden, der latein besser konnte wie Phraates, nicht verschlossen bleiben koennten, aber Phraates entgingen. ;) Auf jeden Fall hielt er Bridhes Vorschlag fuer eine gute Idee.
    Er stand in einer Bewegung auf, die einem alten Grossvaeterchen zur Ehre gereicht haette, und bewegte sich zum Bett hin. "Ich nicht brauche Medicus. Ich schaffe... das...", brachte er heraus und liess sich ungeschickt auf Bridhes Bett fallen.

  • Eine Weile beobachtete ich noch den Mann, wie er so da saß. Irgendwie konnte ich ihn noch nicht richtig erfassen. Sehr schade, dass ich nicht mehr Gelegenheit hatte, ihn richtig kennenzulernen. Schließlich hatte ich mich heute morgen dazu entschlossen, zu gehen und alles, was mich mit der Villa Flavia verband, hinter mir zu lassen. Ich hatte beschlossen, es aus eigener Kraft zu schaffen, ohne die Hilfe der Flavier, die mich nur wieder in eine weitere Abhängigkeit hinein manöveriert hätte. Nein, es war schon gut so, wie ich mich entschieden hatte. Jedenfalls sah es im Moment danach aus, hier in meiner Kammer.


    DerSklave war schon etwas eigenartig. Trotz der Schmerzen, neckte er mir Diarmuid, der das ganz lustig fand und laut zu lachen begann. Ich liebte das Kinderlachen des Kleinen. Es erinnerte mich daran, dass es auch noch schönes im Leben gab. Der Sklave jedoch blickte betreten nieder, vielleicht weil er dachte, der Kleine könne zu weinen beginnen, wenn er weiter machte. Diarmuid schaute etwas enttäuscht drein, als der nette Mann plötzlich wegsah.


    Zu meiner Überraschung sagte ihm der Name Hibernia etwas. Nachdem der Schmerz ihn wieder durchzogen hatte, sprach er von einem Land, in dem es Dämonen gab. Ich verstand nicht ganz, was er damit meinte.


    Dämonen? Oh, nein nein. Keine Dämonen! erwiderte ich, sprach aber dann nicht weiter, denn ich sah, wie traurig er aussah. Das mussten seine Schmerzen sein, die ihn plagten. Besser, wenn ich mir das einmal ansah! Mein Vorschlag, sich auf mein Bett zu legen, fand bei ihm großen Zuspruch. Wie ausgewechselt, machte er nun einen Eindruck, als sei er plötzlich von Freude erfüllt. Einen kurzen Augenblick fragte ich mich, ob er womöglich meinen Vorschlag ganz falsch interpretiert hatte und nun mit etwas ganz anderem rechnete. Aber Unsinn! Mit einem schmerzhaften Rücken war an solche Aktivitäten gar nicht erst zu denken.
    Er meinte noch, er bräuchte keinen Medicus, währenddessen er sich zu meinem Bett schaffte und sich darauf fallen ließ. Diarmiud hatte ihm interessiert hinterher geschaut und dachte, der liebe Onkel wollte nur spielen. Ganz vergnügt, gluckste er vor sich hin. Dem armen Phraates war sicher nicht zum Glucksen zumute. Ich ging zu ihm, und wollte ihm seine Tunika überziehen, damit ich mir seinen Rücken betrachten konnte.


    Darf ich? fragte ich, bevor ich ihn auszog. Nicht, dass er einen falschen Eindruck von mir erhielt.

  • Komischerweise schien dem Kleinen Phraates' missgluecktes Laecheln zu gefallen, und es schien ihm nicht zu taugen, dass Phraates den Kopf abwandte. Doch immerhin gab es an den Rueckenschmerzen eine gute Sache - er hatte jemanden zum lachen gebracht. Irgendwie kam ihm dieser Umstand vage vertraut vor. Nicht der Umstand, dass er gut mit Kindern umgehen konnte, sondern, dass sein kontinuierliches Unglueck stest fuer allgemeine Erheiterung sorgte. Wenn er zurueckdachte, an einige Situationen, die er im Kriegsgefangenenlager erlebt hatte... als Soldat, als freier Mann, waere ihm das niemals passiert. Seine Pechstraehne hatte mit der Kriegsgefangenschaft begonnen. Hatten die Goetter seiner Heimat beschlossen, ihn zu verlassen? War er fuer nciht wuerdig befunden worden? Dies wuerde viel erklaeren. Doch er wollte nicht, dass es so war. Nein, es war nur eine voruebergehende Periode in seinem Leben. Danach wuerde alles wieder besser werden. Oder so.
    Wenigstens war das Lachen des Kleinen nicht schadenfreudig, sondern strahlte echte Wonne ueber Phraates aus. Er musste doch schmunzeln, obwohl ihm ueberhaupt nicht danach war, und jener kurze Gemuetszustand trug auch zu seinem (begrenzten) Enthusiasmus bei, als Bridhe ihm vorschlug, sich in ihr Bett zu begeben. Nicht fuer Sachen, welche man mit Rueckenschmerzen nicht machen konnte, sondern fuer eine gute Massage. Phraates kannte Massagen aus seiner Heimat, sie haben immer gut geholfen. Ob Bridhe das konnte? Hoffentlich.
    Dass sie ihm versicherte, dass keine Daemonen im Spiel waren, beruhigte ihn. Er atmete aus und entkrampfte sich ein bisschen. "Keine Daemonen... das ist gut...", meinte er leise. In so einem Zustand war einem alles wurscht, da glaubte Phraates alles, was man ihm verzapfte, ob der irrationalen Annahme, dadurch koennte der Schmerz etwas besser werden. Nicht, dass Phraates nicht auch sonst ein kleines bisschen leichtglaeubig war.
    Nein, Bridhe sah das ganz richtig. Phraates war nicht nach Glucksen zumute. Ausser, man zog in Betracht, dass man vor Schmerzen glucksen koennte, was aber wenig Sinn machen wuerde und somit mit einiger Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
    Nun kam etwas, was ihn etwas erstaunte. Sie zog ihn aus! Zumindest wollte sie das. Phraates ueberlegte. Entweder leidest du noch weiter an Rueckenschmerzen... oder du wirst von einer huebschen Frau ausgezogen. Die Wahl war einfach. Er nickte hektisch, was wieder eine Welle des Schmerzes durch seinen Ruecken jagte. Er biss die Zaehne zusammen und liess die Prozedur ueber sich ergehen. Hoffentlich half es etwas... hoffentlich...

  • Was er nur mit den Dämonen meinte? Der Sklave musste ja sehr seltsame Vorstellungen von meiner Heimat haben. Aber war es mir früher nicht genauso gegangen, damals, zu Hause in Èirinn?
    Ich selbst hatte oft die seltsamsten Geschichten über die fernen Länder auf der anderen Seite des Meeres gehört. Auf dramatische Weise hatte ich feststellen müssen, dass sie alle nicht der Wahrheit entsprachen.


    Er war damit einverstanden, entkleidet zu werden. Behutsam versuchte ich, ihm die Tunika überseinen Kopf zu ziehen. Selbst dabei hatte er Schmerzen. Das war die reinste Tortur für ihn.
    Schließlich kam sein nackter Rücken zum Vorschein. Mit bloßem Auge war auf der hellbraunen Haut nichts zu erkennen. Keine Schürfwunde, kein Bluterguss, nichts! Nicht einmal eine Narbe, ein Andenken an den Krieg, konnte ich entdecken.
    Vorsichtig legte ich meine Hände auf seine Schulterblätter und begann sie langsam nachunten zu führen. Die Haut war ebenmäßig und zart, so als war sie einst gut gepflegt worden. Da wurde mir wieder bewusst, dass auch er eine Geschichte mit sich trug, der er nur noch nachtrauern konnte, so wie ich es noch immer tat.


    Wo tut es am meisten weh?


    Stück für Stück tastete ich seine Wirbelsäule ab, bis zu den Lendenwirbeln . Ich war kein Experte. Nur durch das reine Fühlen, konnte ich nicht feststellen, wo der Schmerz steckte.

  • Ja, es tat richtig schoen weh, als Phraates die Tortur erleiden musste, die das Ausziehen der Tunika fuer ihn darstellte. Der Schafswollstoff scheuerte unangenehm ueber seinen Ruecken, und als er seine Arme hochhob, um der Frau das Ausziehen zu erleichtern, durchzuckte wieder ein Schmerz Phraates' Ruecken. Das tat weh. Es war gar nicht mehr zum aushalten. Phraates biss sich in die Unterlippe, um ein Schmerzensgestoehne zu unterdruecken. Am liebsten haette er einfach nur noch geschrien. Doch das war nicht fuer ihn drinnen, nicht als Mann, und schon gar nicht als Angehoeriger des Kataphraktenkorps.
    Es war klar, dass die Hibernierin keine Narbe sah. Kein echter Mann sollte eine Narbe am Ruecken tragen. Es zeugte von Feigheit und der Mentalitaet, vom Feind wegzulauen. Haette Bridhe ihn jedoch umgedreht, haette sie durchaus eine gewaltige Narbe gesehen, die sich quer ueber den Bauch zog. Damals hatte sie ihm fast das Leben gekostet. Nur knapp hatte jener Schwerthieb seinen Magen verfehlt. Die Schmerzen damals waren seltsamerweise gar nicht so schrecklich gewesen. Erst spaeter konnte er immer wieder ein Aufzucken in seiner Bauchgegend bemerken, welches von der Narbe ruehrte.
    Er fuehlte die Haende der Frau auf seinem Koerper. Unter anderen Umstaenden waere das eine durchaus wohlige Beruehrung gewesen. Doch nun war so etwas unmoeglich. Sie tastete sich vorsichtig an seinem Kreuz hinunter. Bei seinen Lendenwirbeln angekommen, stiess er ein Grunzen aus, als sie eine der Wirbeln beruehrte. Das musste es sein.
    "Hier! Hier!", machte er hastig, darum bemueht, sich so wenig wie moeglich von seinen Schmerzen anmerken zu lassen. Ob dies wirklich gelang? Es war zu bezweifeln. Er selbst waere vor Schmerzen am liebsten die Waende hinaufgeklettert, haette ihm sein koerperlicher Zustand dies erlaubt.
    "Es ist hier.", knirschte er hervor. "Dieses Knochen." Er meinte natuerlich den Wirbel, doch das Wort kannte er noch nicht. "Druecke. Druecke fest." Er wusste, dass dies ein Nervproblem war. Der Nerv musste eingezwickt sein. Er hatte so etwas schon einmal gehabt, als kleiner Bub. Seine Mutter hatte ihn kuriert, indem sie ihm einfach die Stelle, an der es wehtat, so lange massierte, bis der Nerv sich wieder eingerenkt hatte. Er erinnerte sich, es war an der selben Stelle wie damals. Himmel hilf!

  • Der Schmerz saß im Lendenwirbelbereich. Das hatte ich fast schon vermutet. Vielleicht würde ihm fürs erste eine Massage helfen. Aber um massieren zu können, wäre etwas Öl nicht schlecht gewesen. Ich überlegte kurz. In meiner Kammer gab es kein Öl, aber im balneum! Wenn ich Glück hatte, war um diese Zeit das balneum gerade nicht in Gebrauch.


    Bleib hier liegen und warte, ich bin gleich wieder zurück!


    Ich huschte über den Korridor bis hin zum Bad. Langsam und mit einiger Vorsicht öffnete ich die Tür und lugte erst mit einem Auge hinein, um zu prüfen, ob sich niemand darin aufhielt. Im Bad war es ganz still. Einige Kerzen hatte man schon entzündet und begonnen zu heizen. Das bedeutete, es war Eile geboten. Trotz aller Eile fiel mein erster Blick auf die Wandmalereien und Mosaike, die es mir schon von je her angetan hatten. Wie jedes Mal, wenn ich in diesem Raum war, zogen sie mich auch jetzt wieder in ihren Bann. Ganz ergeben hatte sich mein Blick an die wundersamen Wasserwesen an der Wand fixiert. Dieser Raum barg viele Erinnerungen. Hier hatte mein Unglück seinen Anfang genommen und nun stand ich hier ein letztes Mal, bevor ich dieser Villa den Rücken kehrte. Ich begann zu schluchzen und einige Tränen rannen mir die Wange hinunter. Vorbei! Alles vorbei! Heute galt es, einen Schlussstrich unter all das zu ziehen!


    Endlich konnte ich mich losreißen. Ich wendete mich dem Schrank mit den Ölen zu und griff nach einem schlichten Olivenöl, dessen Geruch wenig Aufsehen erregte. Schließlich wollte ich nicht, dass Phraates noch Ärger bekam, weil er ich an den wertvollen Ölen der Herrschaft vergriffen hatte.
    Ich schaute nicht noch einmal zurück, als ich das balneum verließ.


    Zurück in meiner Kammer, sah ich Phraates noch immer auf meinem Bett liegen. Ich trat zu ihm, öffnete das Fläschchen und goss ein wenig Öl auf seinen Rücken.


    So, das wird dir gut tun!


    Mit meinen Händen begann ich, das Öl in die Haut einzumassieren. Ich konzentrierte mich nicht nur auf die akute Stelle, in der der Scherz saß, sondern bearbeitete den ganzen Rücken. Um die Lendenwirbel herum verstärkte ich den Druck etwas.


    Ist es gut so? erkundigte ich mich.

  • Als Bridhe die schmerzende Stelle ertastet hatte, rief sie ihm zu, er sollte hier bleiben und warten. Nun ja, er wuerde das sicherlich machen. Eine Alternative hatte er nicht, wie sollte er denn aufstehen? Er war von seinen Scherzen ja fast schon paralysiert. Er machte nur ein schwaches "Ja" und hoerte zu, wie die Laute, die ihre Schritte machten, immer leiser wurden, als sie sich entfernte.
    Phraates seufzte und drehte seinen Kopf herum. Als er dies berwerkstelligt hatte (unter einigem an Schmerzen, welche er heunterschluckte), bemerkte er den kleinen Jungen, der ihn verwundert anstarrte.
    Phraates laechlete ihn an, zumindest versuchte er das. Vermutlich war das Resultat nur wieder einmal eine amuesante Grimasse.
    "Ja, so ist es, Buerschelchen.", machte er leise, dabei seine Muttersprache benutzend. "Du hast eine gute Mama, das sag ich dir. Viel besser, wie es meine gewesen war." Wieso redete er ueberhaupt, der Kleine wurde keinen Ton verstehen. Aber er war schon ein putziger Kleiner. Vielleicht haette er auch einmal so einen Sohn gehabt. Nicht so hellhaeutig vielleicht. Wenn man ihn lassen haette... wenn man ihn doch nur lassen haette.
    Er seufzte wieder und versuchte wieder ein Laecheln zustande zu bringen. "Sieh gut zu. So leidet ein echter Mann. So etwas wirst du selten zu sehen bekommen.", meinte er zu Diarmuid und redete sich so selbst fast etwas wie eine Vorbildfunktion ein... wobei man zugeben musste, das es schon fuerwahr trefflichere Vorbilder gegeben hatte als den vom Unglueck verfolgten parthischen Mannes, der frueher Kataphrakt aus adeligem Hause und jetzt roemischer Sklave war.
    Da! Wieder Fussschritte. Es musste Bridhe sein. Und das stimmte auch. Er liess sich bereitwillig das Olivenoel ueber den Ruecken schmieren. Er war durchaus bereit, an ihr Versprechen, dass alles besser kommen wuerde, zu glauben.
    Anschliessend kam das Massieren. Ah, das tat gut! Er spuerte regelrecht, wie die geschickten Haende der Keltin den Schmerz zuerst daran hinderten, sich zu vergroessern, und danach zurueckdraengte. Sie massierte sehr grossraeumig. Phraates kannte sich ueberhaupt nicht mit der Massierkunst aus, liess es aber bereitwillig uber sich ergehen.
    Da, ploetzlich! Er spuerte etwas. Sie war ueber den Wirbel gestreift, von welchem er glaubte, dass sein ganzer Schmerz ausging. "Ja!", rief er aus als Antwort zu Bridhes zeitgleich gestellter Frage. "Hier! Hier druecke!"

  • Während Diarmuids Mutter fort war, blieb der Kleine zurück. Zuerst wollte er schon losheulen, als seine Mutter einfach aus der Kammer lief, ohne ihn mitzunehmen. Doch dann fiel ihm ein, dass er doch nicht ganz alleine war. Der lustige Mann lag ja noch auf Mamas Bett. Kaum hatte er ihn mit seinen kleinen dunklen Augen angeschaut, begann der mit ihm zu erzählen. Es stimmte, Diarmuid verstand kein Wort und doch fand er den Mann interessant. Seinerseits brabbelnd lief er zu dem Mann. Dabei fiel er einmal hin. Aber das konnte ihn nicht erschüttern! Er stand wieder auf, lief weiter und lächelte ihn an, so dass seine drei Zähnchen sichtbar wurden, die er bereits hatte.
    Als Diarmuid endlich das Bett seiner Mutter erreicht hatte, streckte er seine Fingerchen nach dem Mann aus und packte ihn an seiner Nase, als ob er testen wollte, ob sie auch echt war. Der Kleine fand das so lustig, dass er laut zu lachen begann. Als die Nase nicht nachgab, ließ er sie wieder los und betrachtete den Mann.


    Mama Haia! sagte er auf einmal. Es klang fast vorwurfsvoll. Allerdings konnte er an dem Zustand nicht viel ändern. Der fremde Mann auf Mamas Bett blieb trotzdem liegen. Der Kleine verlor allmählich das Interesse an dem Mann, denn er schnitt keine lustigen Grimassen mehr. Schließlich trotte er davon. Es dauerte nicht lange, bis er etwas Neues zum spielen fand.



    Von dem, was der kleine Diarmuid getrieben hatte, während ich das Öl geholt hatte, wusste ich natürlich nichts. Inzwischen saß er schon wieder auf dem Boden und spielte mit einer einfachen Puppe, die ich ihm genäht hatte.
    Meine Hände glitten indessen über den Rücken des Sklaven. Mit kreisenden Bewegungen massierte ich das Öl ein und stieß dabei bald auf die schmerzende Stelle. Den Rest seines Rückens vernachlässigte ich nun und konzentrierte mich ganz auf diese Stelle. Ich intensivierte den Druck.


    Spürst du schon eine Besserung?

  • Nein, der Kleine verstand nichts. Es verwunderte Phraates nicht. Er brummte nur, als sich der Kleine desinteressiert abwandte und mit irgendeinem Schmarren, welcher ihm gehoerte, zu spielen anfing. Phraates Augen erfassten das Glump gar nicht, er war viel zu sehr beschaeftigt mit seinem Ruecken. Auch dass der Kleine seine Nase erforschte, liess er ueber sich ergehen, widerstandslos und zu angegriffen von seinen Rueckenproblemen, als dass er noch etwas dagegen tun konnte oder wollte.
    Doch als die Frau kam, welche ihm so aufopfernd half, schien es irgendwie, als kaemen seine Lebensgeister zurueck. Oh ja, sie massierte gut, und es war ein angenehmes Gefuel. Er erinnerte sich kurz an jene Massagen, welche er sich zuhause, in Aspadana, und in Ktesiphon, jener praechtigen Hauptstadt des parthischen Reiches, gegoennt hatte. Es erinnerte ihn daran. Zwar waren nicht jene feine Handgriffe, welche nur orientalische Frauen, die ihr Leben mit der Kunst das Massierens verbracht hatten, involviert, doch die Frau machte eine gute Arbeit.
    Sie leistete seinen Anweisungen Folge und konzentrierte sich auf eine Stelle. Wie das schmerzte, es war unmoeglich, es in Worte auszudruecken. Noch niemals hatte Phraates so etwas Schreckliches erlebt. Nun gut, wenn man seine Verwundung am Bauch ausser acht liess.
    In seiner Wirbelsaeule knackste es ganz leise. Es gab ein ganz feines, unendlich leises Geraeusch, welches sich ein bisschen wie ein Schluerfen anhoerte.
    Phraates riss seine Augen auf, als fuer eine Sekunde eine Explosion an Schmerz kam, welche er seinem aergsten Feind nicht wuenschen wuerde.
    Der Nervstrang, welcher sich durch die Wirbelsaeule zog, hatte sich verklemmt zwischen zwei Knochen, welche nun aber Bridhe eingerenkt hatte. Der Schmerz verebbte fast genauso schnell, wie er gekommen war.
    "Ja, vieles besser!", rief Phraates mit einem Entzuecken in seiner Stimme aus. "Vieles besser!" Ja, der Schmerz schien von Sekunde zu Sekunde besser zu werden. Er frsagte sich, wie Bridhe das gemacht hatte.

  • Ein medicus war nicht mehr von Nöten. Ich hatte die richtige Stelle getroffen und er spürte eine Besserung. Trotzdem massierte ich noch einen Moment weiter, bis auch das letzte Öl in die Haut eingedrungen war.


    Du bist die körperliche Arbeit nicht gewohnt, hm?


    Wenn er aus Parthien war und erst seit kurzem hier war, dann war er wahrscheinlich auch noch nicht lange Sklave. Ich selbst wusste ja nur zu genau, welch tiefgreifender Einschnitt dies für das Leben bedeutete, wenn man plötzlich über Nacht in diese Rolle hineingedrängt wurde. Man hatte keine Wahl, wenn man leben wollte. Man musste sich dieser Rolle ergeben und darauf hoffen, dass man auf Menschen traf, die es gut mit einem meinten.


    Du kannst dich wieder anziehen!


    Ein letztes Mal strich ich über seinen Rücken. Dann wischte ich mir meine Hände an einem Tuch ab. Jetzt gab es hier nicht mehr viel für mich zu tun, als Abschied zu nehmen.
    Es war eigenartig. Ich fühlte diese Schwere, die mich auf einmal umgab, jetzt als der Moment immer näher kam. Es hatte eine Zeit gegeben, da wäre ich ohne weiteres gegangen, weil ich wusste, es gab ein Zuhause für mich. Aber jetzt wartete nur die Ungewissheit da draußen.


    Als ich hier angekommen bin, beherrschte ich kaum ein Wort ihrer Sprache. Wenn du überleben willst, dann musst du lernen. Ich habe auch vieles lernen müssen. Schade, dass wir keine Gelegenheit mehr haben werden, uns näher kennenzulernen. Ich wünsche dir viel Glück!


    Ich hatte meinen Blick auf Phraates gerichtet, als der sich wieder erhoben hatte. Mein sanftes Lächeln sollte ihm Mut machen. Dann sah ich mich nach meinem Sohn um, der spielend am Boden saß.


    Diarmuid, wir müssen jetzt gehen!


    Der Kleine verzog zuerst das Gesicht, weil er sich in seinem Spiel gestört fühlte. Dann besann er sich aber und stand auf.

  • Der Schmerz verklang nun langsam, und Phraates hatte nun die Chance, die Massage wirklich zu geniessen. Allerdings waehrte sie nicht sehr lange, was schade war.
    "Arbeit...", machte er. "Hmpf...", er musste ueberlegen. "Ich Soldat bin.", erklaerte er schliesslich kurz angebunden. Er wollte nicht viel naeher darauf eingehen. Allerdings konnte man eines hoeren. Er benutzte das Wort bin, und zwar ganz bewusst. Er hatte sich noch immer nicht damit abgefunden, dass dies vorbei war. Nun, er war Kataphrakt, das hiess, er war die meiste Zeit von einer Ganzkoerperruestung beschuetzt, welche auch Verletzungen von seiner Wirbelsaeule abhielt. Und die schwere Last der Ruestung, verbunden mit der Tatsache, dass Phraates amsonsten noch nie wirklich schwere Arbeiten machen musste, hatten wohl zu einer Destabilisierung seiner Wirbelsaeule gefuehrt.
    "Danke.", meinte Phraates und setzte sich auf. Als er seinen Oberkoerper zu Bridhe hindrehte, kam die grosse Narbe zum Vorschein, welche sich ueber seinen Bauch zog. Sie war schon komplett verheilt, aber man konnte sie immer noch gut sehen, denn sie zeichnete sich deutlich von der amsonsten makellosen hellbraunen Haut ab.
    Er griff nach seiner Tunika und zog sie sich ueber sich selbst drueber. Wie gut es war, die Haende wieder frei bewegen zu koennen, und Handgriffe ganz normal auszufuhren, ohne dass man bei jeder Bewegung schmerzhaft zusammenfuhr.
    Bei ihren Worten nickte er. Ja, er wusste es. Sein Latein war bei weitem nicht so gut, wie er es von sich selbst wollte. "Ich lerne.", meinte er. Er selbst hatte nur wenig Latein gekonnt, als er gefangen genommen worden war. Es war besser geworden, doch es lag noch einiges vor ihm. Er wuerde zuerst einmal die Faelle und die Wortstellung verbessern, bevor er sein Vokabular erweitern wuerde. Er wusste, Latein war praktisch die Fahrkarte nach Parthien.
    Aber halt. Wollte sie gehen? Phraates blickte die Frau erstaunt an, bevor es ihm daemmerte. Sie wuerde gehen, fuer immer. "Zurueck nach Hibernia.", meinte er. Er war sich sicher, wie wollte nun dorthin gehen. "Nach Hause." Er senkte seinen Kopf und druekcte die Augen zusammen, in der Hoffnung, sich so die Traenen der Verzweiflung verkneifen zu koennen. Nicht, dass er Bridhe die Freiheit missgoennte, aber er waere gerne auch frei, so wie frueher.
    Er stand jetzt entgueltig auf. "Dann ich dich nicht kann... stoppen.", sagte er und blickte Bridhe in die Augen. "Viel Glueck. Und... danke. Danke, dass gemacht du hast meinen Ruecken."
    Seine Danksagung kam von Herzen, und er laechelte ihr ebenfalls zu.

  • Phraates Antwort kam prompt und war eindeutig. Wie ich es mir gedacht hatte, war auch er ein Opfer des Krieges geworden. Ich dachte mir, dass das noch schlimmer sein musste, im Kampf gefangen genommen zu werden und dann als Sklave zu enden, als einfach nur geraubt und seiner Familie entrissen worden zu sein, wie es mir widerfahren war. Mein Volk hegte gegen die Menschen jenseits des großen Wassers keinen Groll, solange sie nicht Wurzeln schlugen, wenn sie auf unsere Insel kamen. Doch sein Volk war der erklärte Feind der Römer und ein ebenbürtiger Gegner.
    Er bedankte sich und drehte sich zu mir um, nachdem er aufgestanden war. Dabei kam eine große Narbe zum Vorschein, die ihm höchstwahrscheinlich zum Verhängnis geworden war. Ich staunte nicht schlecht, als ich sie sah.


    Du bist verletzt worden, im Krieg, mutmaßte ich und konnte gar nicht von der Narbe lassen, bis er sie schließlich mit seiner Tunika wieder bedeckte. Jetzt erst merkte ich, wie ich ihn angestarrt haben musste. Ich sah schnell zu Boden und wollte auf der Stelle mit dem Rückzug beginnen Es war schon Zeit. Ich wollte nicht warten, bis mir alle Flavier über den Weg liefen. Etwas aber hielt mich zurück. Seine Frage, die mehr wie eine Feststellung klang und meine Heimat, die ich verloren hatte.


    Nein, nicht nach Hibernia. Hibernia wird immer für mich verschlossen bleiben, antwortete ich traurig. Ich hatte mit mir zu kämpfen, nicht in Tränen auszubrechen. Immer wieder hatte ich mir gesagt, dass es kein Zurück geben durfte. Als Entschädigung hatte mir Brigid meinen Sohn geschenkt. Und trotzdem war es schwer, sich damit abzufinden, nie mehr die grünen Hügel sehen zu dürfen, die sich in mehr als vierzig verschiedenen Schattierungen dem Betrachter zeigten. Die kleinen wilden Bäche, mit ihrem klaren frischen Wasser, dem das Moor eine braune Färbung verliehen hatte. Das alles war in unendliche Ferne gerückt. Unerreichbar für mich!


    Eigentlich möchte ich ja gar nicht fort. Aber ich muss, hörte ich mich plötzlich sagen. Ich war wieder unverbesserlicher Vogel, der zu lange in seinem Käfig gesessen hatte und jetzt nur widerwillig hinaus wollte, als er die Möglichkeit hatte. Ich sah an mir herab und suchte die Hand meines Kindes.


    Nein, das kannst du nicht! Danke! Ich wünsche dir auch viel Glück.


    Ich vermied es, Phraates direkt anzuschauen, damit er nicht die Trauer in meinen Augen sehen konnte. Er sollte durch mich nicht auch noch seinen letzten Funken Hoffnung verlieren. Ich hatte schon genug Menschen schlimmes angetan.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!