Cubiculum | Aulus Flavius Piso

  • Sie hatte es getan! Sie hatte es tatsächlich getan! Unglaublich! Semiramis, war in diesem Moment von sich selbst geschockt. Außer einem "Oh!" entwich nun nichts mehr ihrem Mund. Eigentlich war es doch nur ein Reflex gewesen, um ihn abzuwehren. Denn der Flavier wurde immer zudringlicher und schreckte selbst vor Gewalt nicht zurück. Zwar hatte er sie noch nicht geschlagen, dennoch zwang er sie, sich ihm hinzugeben.
    Die Spucke sah nicht besonders ästhetisch aus, in seinem Gesicht. Doch bewirkte es, daß er seine Arme von ihr nahm. Diese hatten genug damit zu tun, wie wild in der Luft herum zu wirbeln. Aus seinem Ekel vezogenen Mund kamen entsprechende Kommentare. Meine Güte, es war doch nur Spucke! Also im Prinzip nur Wasser. Einfach nur eine Körperflüssigkeit. Dessen Austausch er selbst bis eben noch forsch vorangetrieben hatte! Die Syrerin war jedoch so perplex über sich selbst, so daß sie sich darüber gar keine Gedanken machen konnte.
    So lag sie also da, unter Piso, der wie ein Irrer versuchte, sich die Spucke aus dem Gesicht zu reiben, was aufgrund der hektischen Bewegungen allerdings nur schleichend vonstattenging. Wenn sie jetzt geschaltet hätte, wäre jetzt die Gelegenheit günstig gewesen, sich des Flaviers zu entziehen. Aber das syrische Hirn war aufgrund des Schreckens zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.
    Was würde jetzt als nächstes geschehen? Würde die Syrerin noch heute Bekanntschaft mit dem berühmt berüchtigten Loch machen? Oder würde der Zorn den Flavier noch zu härteren Maßnahmen veranlassen?
    Nein, das war alles zu viel gewesen für sie. Sie hatte doch nur versucht, nett zu sein. Wo sie sich doch ohnehin schon mit ihrer neuen Rolle abgefunden hatte. Semiramis rebellische Tage gehörten schon seit einiger Zeit der Vergangenheit an. Wäre da ein Entgegenkommen des Flaviers nicht mehr als angebracht gewesen? Doch der, statt sie als Mitmenschen anzuerkennen, wollte nur das eine. Und das mit Gewalt. Männer waren eben doch alle Schweine. Mit gewissen Ausnahmen, natürlich. Aber außer dem alten Aziz fiel ihr gerade keine andere Ausnahme ein.
    Die Angst übermannte die syrische Sklavin. Furcht spielgelte sich in ihren Augen wider und sie begann zu schluchzen. Wenigstens blieben ihre Augen (vorerst) noch trocken. Ob sie ihre Tat bereute? Nein, natürlich nicht!

  • Oh? Das würde Piso wohl laut sagen können! Und eigentlich tat er es ja auch, nur halt, dass es kein Oh war, sondern ein Ih, und dass er es nicht sagte, sondern brüllte. Markerschütternd. Wie konnte man ihm nur diese Pietätlosigkeit antun? Spucke! Unästhetik destilliert und konzentriert auf eine kleine Masse Flüssigkeit! In seinem Gesicht! Wuäh!
    Piso machte derweil keinen rechten Forstschritt darinnen, die Spucke aus seinem Gesicht zu wischen. Hysterisch fuchtelte er in seinem Gesicht herum, drehte sich einmal gänzlich um die Achse und polterte von Semiramis weg aus dem Bett hinaus. Der harte Boden fühlte sich bei diesem Sturz nicht angenehm an. Nein, rein gar nicht. Piso quakte einen Schmerzensaufschrei und riss das Bettlaken mit soviel Kraft, wie es nur ging, vom Bett hinunter, um damit sich das Gesicht abzuwischen. Umständlich und kompliziert raffte er das Webeprodukt zusammen, und dückte sein Gesicht hinein, heftig herumrubbelnd. Die Spucke verteilte sich regelmäßig auf dem Leintuch, dann und wann feuchte Flecken hinterlassend. Der Flavier drehte das Tuch um und benutzte nun die andere Seite, um sich damit großflächig und peinibelst abzuwischen. Seine Hysterie, die er walten ließ, sorgte noch immer nicht einwandfrei dafür, dass er alles wegbrachte. Aber einiges immerhin. Langsam wurden seine Bewegungen sorgsamer, gewählter, bedachter, al ser sich die letzten Reste der nun über sein Gesicht verschmierten Spucke abtupfte. Oh, wie ihm jetzt nach einem Waschgang war.
    Achtlos ließ er die Decke neben sich zu Boden fallen, bevor er einen Blick zu Semiramis warf. Auf eines war bei Piso Verlass – urplötzliche Stimmungsschwankungen. Wie zum Beispiel auf einen Schlag aufkommende Gewissensbisse. Wie nun.
    Einerseits hatte die Sklavin ihn geschlagen. Wofür, dachte sich Pso dumpf. Andererseits, es war jetzt nicht so rühmlich, was er gemacht hatte. Freilich, er hatte sie bestrafen wollen. Und er hatte Semiramis als (im wahrsten Sinne des Wortes) greifbaren Priscaersatz benutzen wollen. Doch nun, wie sie dalag... schluchzend, wegen ihm... und als er daran denken musste, wie Prisca hier auch liegen könnte, wegen ihm weinend, aus Furcht, aus Abscheu... er schluckte. Das war vielleicht doch keine gute Idee gewesen. Nein, keine gute Idee. Überhaupt nicht. Denn er hatte nichts erreicht... außer, dass er Semiramis gegen sich aufgebracht hatte.
    Beschämt, nicht wissend, was er jetzt sagen sollte, wandte er sich ab. Was sollte er auch sonst tun? Sie zu trösten versuchen? Oh blanker Hohn. Sie ansprechen? Dämlich. Er war hier zu Ende.
    Der Tür wandte er sich zu, das Cubiculum verlassen wollend, das geisterhafte Schluchzen seiner Sklavin hinter sich lassen versuchend. Mit einem raschen Schritt war er dort, öffnete sie, schritt durch und knallte sie hinter sich zu, hoffend, das Kapitel damit beendet zu haben.
    Und doch würde das Schluchzen den ganzen Tag noch in seinem Hirn präsent sein.

  • Lediglich schluchzend aber ansonsten völlig reglos war die Syrerin dort liegen geblieben. In der Hoffnung, Piso würde ihr nichts antun. Er tat ihr auch nichts. Eigentlich tat er gar nichts mehr. Nicht ein Wort kam über seine Lippen. Gar nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Sich etwa entschuldigen? Bei ihr?
    Plötzlich ging eine Tür, einige Schritte und dann ein Knall. Es vergingen einige Sekunden, bis sich Semiramis regte, bis sie sich traute, nachzusehen ob der Flavier tatsächlich gegangen war. Ers hob sie nur leicht den Kopf an. Als sie niemanden mehr erspähen konnte, setzte sie sich auf. Piso war gegangen. Ein aufatmen. Sie erhob sich, zerrte ihre Tunika zurecht, sah sich um. Dieses eine Mal war sie ihm wie durch ein Wunder noch entwischt. Aber der Flavier würde Vergeltung fordern, für die Schmach, die sie ihm zugefügt hatte. Sorgenvoll blickte sie in die Zukunft, denn sie konnte es drehen und wenden. Sie war ihm vollkommen ausgeliefert. Und irgendwann würde auch die Geduld des Flaviers ausgereizt sein.
    Ganz und gar nicht glücklich über den Sieg, den sie heute errungen hatte, begab auch sie sich zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Nein, er stand nicht davor, abwartend, bis sie das cubiculum verließ. Schnell huschte sie davon. Für den Rest des Tages vermied sie es, ihm noch einmal vor die Augen zu treten. Aber sie wußte auch, daß dies nur eine temporäre Losung war. Schon morgen vielleicht würde sie sich ihm erneut stellen müssen.

  • Fieber. Schweiß. Mundgeruch. Flatternde Augenlider. Hatte er geschlafen? Ja, hatte er. Wie lange? Gute Frage. Einen Tag? Oder nur eine Nacht? Es war Morgen.
    Schemenhaft waren die Erinnerungen. Da war die Erinnerung davon, dass Piso sich einen Husten eingefangen hatte. Er hatte ihn anfang gering geachtet, doch hatte sich daraus nun eine Grippe entwickelt. Eine wunderbare Frühlingsgrippe, wie sie schöner nicht sein konnte. Er hatte einige Zeit im Bett verbracht. Krank. Alles war so verschwommen... so verschwommen.
    Konnte er aufstehen? Hoffentlich. Piso langte nach vorne. Schlug die Decke zurück. Kalt. Kalt war es, auch mit der langen Wolltunika. Piso verzog seine Lippen zu einem Ausdruck, welcher wie eine Mischung zwischen Ekel und Pein schien.
    “Bei Iuppiter...“ Es war eher ein Gegrunze als eine kohärente Formulation. Die Versuchung war verflucht groß, sich einfach wieder die Decke über den Kopf zu ziehen und weiterzuschlafen.
    Sein Blick wanderte nach rechts, als er sich überlegte, ob er schwach sein sollte. Dort stand Titus. Die Büste des Kaisers Titus. Nach links dann. Dort hing seine Toga an seinem Haken. Mit den Streifen, die er sich so lange ersehnt hatte. Er hatte nun alles, was er sich je ersehnt hatte. Wozu noch austehen?
    Weil er es seinen Ahnen schuldig war. Deshalb. Genau deshalb.
    Er ächzte. Schwang seine Beine aus dem Bett.
    Und stand dann. Wackelig. Kritisch blickte er an sich herab.
    Spürte die Bartstoppeln, die mit seiner Tunika in Kontakt kamen. Die Tunika war alt und fleckig. Schweißflecken, andere Flecken, weiß der Kuckuck was.
    Wieder ein Ächzen, als er einen Schritt anch vorne machte. War er denn ein Weichei, fragte er sich. Die Antwort kam sofort. Natürlich war er das! Aber wollte er es zeigen? Nein, sicher nicht.
    Ein Husten. Dann streifte sich Piso seine Tunika ab, nahm hastig eine neue her und zog sie sich über.
    Und nun? Einen kleinen Spaziergang durch die Gärten machen wäre nicht schlecht.
    Oder hatte er etwa Hunger?
    “Hunger...“ Er hatte es schon seit einiger Zeit nicht mehr verspürt. Das war ein gutes Zeichen. Er fühlte, er war vielleicht ein wenig ausgehungert durch die ganze Tortur. Krankheit. Piso hasste sie.
    Er stocherte mit seinen Füßen am Boden herum, bis er mit seinem Zehen seine Sandalen verspürte. Mit zittrigen Händen hob er sie empor. Zog sie an.
    Passten. Natürlich, warum nicht? Sein trüber Blick wandterte zum Nachttisch. Ah, ein Brot lag dort. Wie war es dort hingekommen? Wurscht. Piso ergriff es sich und begann, begeistert daran herumzunagen. Jawohl, das war Hunger. Das war sehr gut. Krochen etwa die Lebensgeister wieder in ihn zurück? Der Gedanke wäre schön.


    Wird fortgesetzt...

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