Casa Germanica - Cubiculum Calvena

  • Calvenas Tonfall veränderte sich etwas, aber ein Kind, das sehr sensibel war, konnte es wahrnehmen. Mit den Geschwistern hatte er anscheinend ausgerechnet ein Thema erwischt, das die junge Frau traurig stimmte. So sagte der 6-jährige erst einmal nichts, sondern beobachtete den Ausdruck auf dem Gesicht der Germanica, um daraus zu deuten, was nun kommen würde. Er war in dieser Disziplin Meister, wie die meisten Kinder auch. Es war die einzige Waffe, die ihm noch blieb, wenn die Laune eines Erwachsenen zu kippen drohte. Und das konnte manchmal sehr schnell gehen und sehr unerwartet kommen.


    Er lauschte ihren Worten und da sie am ihrem Ende sogar lächelte, wähnte der Junge sich und seinen Geschichtenabend in Sicherheit. Auch auf sein Gesicht stahl sich ein kleines Lächeln, das aber wieder verschwand, als Vena andeutete, wie schlimm ihr Traum gewesen sein musste. Umso froher war er, dass er sie aufgeweckt hatte. Er und nicht Valerian.


    “Ja, bitte. Irgendeine!“ munterte er sie schließlich auf. Er war wirklich nicht anspruchsvoll, was Geschichten anging. Aber es lag ihm doch sehr am Herzen, etwas über Vena zu erfahren. Schließlich wusste er wirklich wenig von ihr. “Vielleicht eine Geschichte von den Abenteuern, die du mit deinen Ziehbrüdern und –schwestern erlebt hast?“

  • Während sie in ihren Erinnerungen schwelgte, betrachtete Marcus sie aus großen Augen. Wohl aus Furcht, dass sie ihn nun doch in sein Bett schickte. Da sie aber nun auch nicht wirklich mehr einschlafen konnte, konnte sie dem Knaben den Gefallen tun und ihm eine Geschichte zu erzählen. Hoffentlich würde er aber von nun an nicht jede Nacht in ihr Zimmer schleichen, denn dann würde sie dem ganzen doch noch einen Riegel vorschieben müssen, nur damit sie auch ein paar Stunden Schlaf bekam.
    Sie schmunzelte, als Marcus noch mal darum bat, dass sie ihm eine Geschichte erzählte. Im Ausdenken war sie nicht so gut, dafür hatte sie immer Mneme gehabt, diese hatte die tollsten Geschichten sich ausdenken können, nur im erzählen war sie nicht stark gewesen. Dafür hatte sie das meist übernommen.
    Als er dann meinte, sie könnte ihm ja von den Abenteuern mit ihren Ziehgeschwistern erzählen, lachte sie. Wenn dann nur die harmlosen. Sonst würde Marcus auf dumme Ideen kommen und ihre Streiche nachahmen wollen.
    „Also na gut“, grinste sie und zwinkerte ihm. „Wir hatten einen Esel, grau und zottelig und lieb. Mit großen schwarzen Augen. Wir haben ihm immer bunte Bänder an den Schwanz gebunden und sind auf ihm durch die Gegend geritten. Er hat jeden Unsinn mit gemacht und sich nicht gesträubt“, erzählte sie. „Einmal hatten wir uns aus Holz und Sträuchern ein kleines Versteck gebaut. Der Esel, wir haben ihn Pamuk genannt, hat uns gesucht. Er konnte uns nicht finden und ging immer tiefer in den dunklen Wald. Er verlief sich und wir mussten ihn dann die halbe Nacht lang suchen. Gefunden haben wir ihn dann zwischen zwei Bäumen, er steckte fest und kam nicht mehr von allein raus!“

  • Geschafft! Als die junge Germanica sich anschickte, dem Jungen eine Geschichte zu erzählen, kuschelte er sich noch tiefer in die wärmende Decke und sah sie gebannt an. Er war sehr gespannt, was sie ihm erzählen würde, und ob die Geschichte gruselig, lustig, traurig oder spannend werden würde. Ersteres oder letzteres wäre ihm ja am liebsten gewesen, aber für heute Abend nahm er sich vor nicht rumzunörgeln, wenn die Geschichte anders ausfiel, als er sich das vorgestellt hatte.


    Calvena erzählte ihm von einem Esel namens Pamuk. Vor Marcus innerem Auge wurde das Tier wahrhaftig lebendig und er sah die Kinder auf seinem Rücken sitzen, während Pamuk gutmütig und gemütlich dahin trottete. Die Vorstellung entlockte dem Kind erneut ein Lächeln, bis sich die Geschichte dem Versteck zuwandte, dass Calvena und die anderen Kinder gebaut hatten. Der dumme Esel verlief sich natürlich und während der Nacht musste er gesucht werden. In einem dunklen, finsteren Wald. Wie gruselig! Es wurde spannend. Für seinen Geschmack war die Erzählung jedoch viel zu schnell zu einem Ende gekommen. Oder ging die Geschichte noch weiter?


    “Habt ihr es geschafft, Pamuk zu befreien?“ fragte er gespannt nach und machte große Augen. Nun flüsterte er. “In einem Wald ist es nachts sehr dunkel und man hört viele seltsame Geräusche. Es ist gefährlich.“

  • Marcus kuschelte sich neben ihr tiefer in die Decken und Kissen und sah sie erwartungsvoll aus großen Augen an. Er hatte sein Ziel erreicht und sie konnte sehen wie zufrieden er mit sich selbst war. Wieder musste sie schmunzeln. Besonders als er ihr dann Fragen stellte und mehr erfahren wollte. Der Knabe war aufgeweckt und für ihn war Rom noch eine ungewohnte Umgebung, von daher suchte nach etwas vertrautem und Geschichten waren für jedes Kind vertraut.
    „Wir haben es geschafft Pamuk zu beschreiben, aber wirklich leicht war es nicht. Er wollte immer vorwärts laufen, aber das ging ja nicht“, sie kicherte und zwinkerte dem Junge zu. „Irgendwann haben wir ihn dann dazu gebracht endlich einmal einige Schritte Rückwarts zu machen. So konnten wir ihn aus seiner misslichen Lage befreien!“ erzählte sie weiter und zog sich ihre Decke noch einmal ein wenig zu recht.
    Marcus meinte es sei im Wald Nachts gefährlich und dunkel. Leicht nickte sie, so war es oft, aber es gab auch Wälder in denen man sich nicht fürchten mussten. „Wir waren ja nicht allein im Wald. Die Erwachsenen haben uns begleitet und dabei geholfen Pamuk zu befreien! Wir brauchten uns gar nicht fürchten.“
    Schließlich sah sie Marcus an. „Warst du auch schon mal Nachts im Wald?“ fragte sie ihn dann. „Was hast du alles mit Paullus erlebt?“

  • Auch Marcus musste kicher. Die Vorstellung war wirklich lustig. Er konnte sich vorstellen, dass es nicht einfach gewesen war, den Esel zum Rückwärtsgehen zu bewegen. “Da hatte Pamuk aber Glück, dass ihr ihn gefunden habt. Allein wäre er bestimmt für immer zwischen den Bäumen gefangen gewesen.“ Ausnahmsweise fiel es dem Knaben nicht schwer leise zu sprechen.
    Nun nickte der Knabe, was man kaum sehen konnte, da er so eingekuschelt dalag. Seine Füße waren wieder warm geworden. “Ja, war ich schon einmal.“ Die Erinnerung an die Nacht im Wald machte dem Jungen eine Gänsehaut. “Paullus wollte nach Mantua gehen. Wir hatten nur ein Pferd, das unsere Sachen getragen hat, wir mussten den ganzen Weg laufen. Einmal haben wir uns auch verirrt. In einem Wald gab es einen Trampelpfad und wir dachten, dass das der richtige Weg ist. Aber der Pfad hatte kein Ende. Wir sind gelaufen, bis es dunkel wurde und dann sind wir umgedreht, weil Paullus sagte, dass wir die Nacht besser nicht im Wald verbringen. Aber es war sooo dunkel, dass wir den Weg nicht mehr sehen konnten.“ Er hatte flüsterleise gesprochen und sah Vena erneut mit großen, etwas ängstlichen Augen an. Er fürchtete sich nicht, er wollte nur für Stimmung sorgen.

  • Sie spürte ein leichtes ziehen in der Magengegend, als sie an ihre Kindheit dachte, an ihre Ziehgeschwister mit denen sie viele Streiche ausgeheckt hatte und auch an den Esel Pamuk der eigentlich alles mit sich hatte machen lassen. Leider war das Tier damals schon alt gewesen und als er dann an Alterschwäche gestorben war, waren sie alle traurig gewesen. Er war ein Freund gewesen.
    „Pamuk war eigentlich nicht schwer zu finden“, erklärte sie ihm. „Er hat ne Menge krach gemacht“, grinste sie. „Man hat ihn überall gehört.“ Dennoch hatten sie ihn einige Stunden lang suchen müssen, ehe sie das Tier zwischen den Bäumen gefunden hatten.
    Kurz sah sie auf Marcus hinunter. Er kuschelte sich immer mehr in seine Decke. Anscheinend würde der Junge auch noch irgendwann einschlafen. Aber erst einmal erzählte er seine kleine Geschichte. „Du hast ganz schön viel erlebt mit deinem Bruder. Vermisst du ihn?“ fragte sie dann in eine kleine Pause hinein. Es fiel dem Knaben anscheinend schwer sich richtig einzuleben, zumal sein Bruder ja keine zeit für ihn hatte und nicht einmal eine kleine Weile dageblieben ist, um Marcus den Einstieg einfacher zu machen. Sie konnte zwar Paullus verstehen, der wohl froh war, die Verantwortung für seinen Bruder jemand anderem zu übertragen, aber Marcus brauchte dennoch jemanden an den er sich wenden konnte. Bia war zwar ein gutes Kindermädchen, aber wesentlich strenger als der Junge es gewohnt war.
    „Ihr habt euch mitten in der Nacht in einem Wald verlaufen?“ fragte sie und erwiderte den Blick aus großen Kinderaugen. „Das ist ja furchtbar. Haben euch Geister verfolgt?“ fragte sie flüsternd.

  • Zitat

    Original von Germanica Calvena
    Kurz sah sie noch einmal auf die Liste. Oha, da hatte sie tatsächlich den Tiberius übersehen. Sie nahm den Griffel zur Hand und Strich den Namen durch.


    „Soweit ich weiß ist er derzeit eh auf dem Lande mit seiner Frau!“ meine sie nachdenklich und zuckte dann mit den Schultern. War sowieso unwichtig.


    „Wen willst du einladen?“ fragte sie dann.


    'Wen willst du einladen?' Hm war das seine Hochzeit? 8)


    "Nuujaaa, ansich habt ihr doch schon ganz erfolgreich in meinen Weidegründen gegrast. Neben den bereits auf der Liste stehenden Senatoren würde ich vielleicht noch Matinius Agrippa sowie Helvetius Geminus einladen. Nicht das die beiden in letzter Zeit viel von sich Reden gemacht hätten -auch weiß ich nicht ob sie überhaupt in der Stadt sind- doch beide Männer sind neben dem bereits gewählten Publikum immer für eine anständige Gesprächsrunde gut. Ich hoffe mal dazu wird es auch Zeit geben auf diesem Fest?"


    Durchaus war es allerdings nöglich, das weder der Eine noch der Andere kam oder überhaupt Reaktion zeigte, lud man sie zu einer Hochzeit ins Haus Germanica ein.

  • Schließlich setzte sie noch die zwei Namen auf die Liste. Von den Gedankengängen von Avarus konnte sie ja nichts ahnen. Aber es gab ja immer Gäste die nicht kamen oder sich nicht meldeten oder eine andere Verpflichtung hatten.


    „Also ich hab dann alles!“ sagte sie und sah ihn an.

  • "Gut, dann bis später. Vielleicht sehen wir uns ja zum Abendessen. Calvena Vale bis dahin."


    Und schon schickte sich Avarus an die Räumlichkeiten zu verlassen, um zu seinem Officium zurückzukehren, denn er hatte auch nichts weiter -vorerst- mit ihr zu besprechen.

  • Marcus kicherte. “Er wollte, dass ihr ihn findet. Er war ganz zerzweifelt!“ Da er das Wort selten benutzte, bemerkte er nicht, dass sich ein Fehler eingeschlichen hatte. Wieder kicherte er. “Iiiii-Aaaa!“ Doch aus Marcus Mund kam es nur ganz leise.
    Vena kam auf seinen Bruder zu sprechen. Marcus sah von ihr weg in das Dunkel des Zimmers. Er nickte leicht. “Aber er kommt ja bald wieder zu Besuch.“ Natürlich vermisste er seinen Bruder. Er war nie getrennt gewesen von ihm und nun lebten sie sogar in unterschiedlichen Städten. So konnten sie nur noch sehr selten herum blödeln und sich raufen. Der Wunsch, auf der Stelle Paullus sehen zu wollen, war groß und machte den Knaben traurig. Doch das wollte er sich nicht anmerken lassen. Also sah er Calvena wieder an. Nachdenklich Gar ein wenig durchringend. “So doll, wie du deine Ziehgeschwister vermisst.“ Das hatte er im Gespür, aber mehr auch nicht.
    Von jetzt auf gleich war der Knabe wieder in der gruseligen Erinnerung. “Ja!“ bestätigte er flüsternd. “Ich glaube schon, dass es Geister waren. Paullus hat gesagt, ich soll so einen Unsinn nicht denken, aber er hat nicht gehört, was ich gehört habe… Sie waren überall und haben geraschelt!“

  • Zitat

    Original von Medicus Germanicus Avarus
    "Gut, dann bis später. Vielleicht sehen wir uns ja zum Abendessen. Calvena Vale bis dahin."


    Und schon schickte sich Avarus an die Räumlichkeiten zu verlassen, um zu seinem Officium zurückzukehren, denn er hatte auch nichts weiter -vorerst- mit ihr zu besprechen.


    Avarus ließ sie wieder allein. „Bis später“, meinte sie recht fröhlich. Bei der Cena kam eigentlich fast immer die gesamte Familie zusammen. Kurz betrachtete sie noch einmal die Gästeliste und legte diese dann mit einem leichten Schulterzucken beiseite. Später würde sie sich darum noch einmal kümmern, jetzt galt es erst einmal wieder den Kampf gegen ein anderes Ungeheuer aufzunehmen: der Webrahm. Ihr wahr gewordener Alptraum aus Holz und Wolle. Zwar versuchte sie sich erneut an diesem Ding, doch nach einer knappen Stunde landete es wieder unter der Kommode und sie ergriff die Flucht, in dem sie einen kleinen Bummel über die Märkte machte.

  • Zitat

    Original von Marcus Germanicus Pius
    Marcus kicherte. “Er wollte, dass ihr ihn findet. Er war ganz zerzweifelt!“ Da er das Wort selten benutzte, bemerkte er nicht, dass sich ein Fehler eingeschlichen hatte. Wieder kicherte er. “Iiiii-Aaaa!“ Doch aus Marcus Mund kam es nur ganz leise.
    Vena kam auf seinen Bruder zu sprechen. Marcus sah von ihr weg in das Dunkel des Zimmers. Er nickte leicht. “Aber er kommt ja bald wieder zu Besuch.“ Natürlich vermisste er seinen Bruder. Er war nie getrennt gewesen von ihm und nun lebten sie sogar in unterschiedlichen Städten. So konnten sie nur noch sehr selten herum blödeln und sich raufen. Der Wunsch, auf der Stelle Paullus sehen zu wollen, war groß und machte den Knaben traurig. Doch das wollte er sich nicht anmerken lassen. Also sah er Calvena wieder an. Nachdenklich Gar ein wenig durchringend. “So doll, wie du deine Ziehgeschwister vermisst.“ Das hatte er im Gespür, aber mehr auch nicht.
    Von jetzt auf gleich war der Knabe wieder in der gruseligen Erinnerung. “Ja!“ bestätigte er flüsternd. “Ich glaube schon, dass es Geister waren. Paullus hat gesagt, ich soll so einen Unsinn nicht denken, aber er hat nicht gehört, was ich gehört habe… Sie waren überall und haben geraschelt!“


    „Natürlich wollte Pamuk, dass wir ihn finden. Schließlich fürchtet sich auch ein tapferer Esel, wenn er allein Nachts im Wald ist. So ein hilfloser Esel ist ein leckerer Happen für manchen Wolf“, meinte sie. Marcus hatte sichtlich gefallen gefunden an ihrer kleinen Geschichte von dem Esel. „Das Wort heißt übrigens verzweifelt und nicht zerzweifelt, verbesserte sie ihn gelassen. Noch war es niedlich, wenn Marcus einige Worte nicht richtig konnte, aber er sollte es sich nicht angewöhnen die Worte zu verdrehen. Sie lachte, als er dann die Laute eines Esels nach ahmte.
    Das Marcus seinen Bruder vermisste, war offensichtlich. Paullus war ja die einzige Bezugsperson und er hatte den Jungen mehr oder weniger bei den entfernen Verwandten abgeliefert, die sich nun um den Jungen kümmern sollten. Noch sind dem Jungen diese Verwandten fremd und die Regeln ungewohnt. Sie konnte zwar verstehen, dass Paullus Karriere machen wollte, aber nicht unbedingt in dem er seinen Bruder dann abschob. Leise seufzte sie, nicht wirklich einfach und ihre Kritik hielt sie lieber zurück.
    „Wenn du schnell schreiben lernst, dann kannst du ihm ja Briefe schicken. Wenn du magst, dann können wir auch einmal einen Ausflug nach Ostia machen und ihn einfach besuchen!“ schlug sie vor. Schließlich war Ostia nicht so weit weg von Rom und ein Besuch ließ sich einrichten. Leicht zuckte sie bei Marcus Kommentar zusammen, es klang nicht wirklich bösartig, sondern eher wie eine traurige Feststellung. Sie wusste nicht was sie dazu sagen sollte. Im Grunde hatte sie sich damit abgefunden, doch die Welt eines Kindes war anders.
    „Natürlich gibt es Geister… dein Bruder sollte es eigentlich besser wissen“, meinte sie halb im ernst.

  • Mit großen Augen verfolgte er Venas Erzählung und der Gefahr eines Wolfes für einen eingeklemmten Esel. “Hast du schon mal einen echten Wolf gesehen?“ wollte er dann wissen und an der Art, wie er die Frage stellte, war zu erkennen, dass er noch nie einen gesehen hatte. Die Korrektur nahm Marcus hin. Verzweifelt. Er würde es sich merken.
    “Ich kann ja schon schreiben. Paullus hat es mir gezeigt. Wenn er verkauft hat, sollte ich schreiben. Er hat gesagt, so bin ich beschäftigt und lerne auch.“ Paullus konnte zwar schon etwas schreiben, aber geübt war er darin noch lange nicht. SeiN Schriftbild war ein Graus! Außerdem schrieb er eine eigene Sprache, ein noch sehr, sehr fehlerhaftes Latein mit so einigen spiegelverkehrten Buchstaben etc. Der Vorschlag mit dem Besuch war grandios! “Au ja! Und Sabina nehmen wir auch mit! Das macht bestimmt ganz viel Spaß. Können wir morgen nach Ostia gehen?“ Sehnsucht klang in der Kinderstimme mit.


    Er nickte ernst und legte einen Finger vor die Lippen. “Hast du auch schon mal Geister gesehen?“ Er überlegte kurz. “Sie haben mir Angst gemacht. Warum tun sie das denn? Und was sind Geister?“

  • Das man Marcus mit wilden Tieren locken konnte hatte sie bereits bei ihrem Ausflug zu den Tiergehegen des Circus mitbekommen. Und eine Geschichte von einem wilden Wolf, weckte natürlich die Neugierde. „Nein, einen Wolf hab ich noch nie gesehen. Aber gehört. Mitten in der acht da hat er geheult. Das war richtig gruselig und ich hatte ganz viel Angst!“ gab sie zu und übertrieb ein wenig. Wölfe waren scheue Tiere und wagten sich nicht in die Nähe von Menschen und Feuer. Aber das musste der Junge jetzt nicht erfahren. Er hatte ja eine Geschichte hören wollen und Geschichten durfte man etwas übertreiben.
    „Da du schon schreiben kannst, dann kannst du ihm ja auch einen Brief schreiben und den geben wir dann einem der Sklaven, der bringt ihn dann nach Ostia. Dein Bruder wird sich darüber freuen“, lächelte sie und sah wie ihr Vorschlag den Jungen begeisterte. Er wollte nach Ostia, schon morgen, aber das würde sie dann doch nicht einrichten können. Sie würde seiner Freude einen kleinen Dämpfer verpassen müssen.
    „Sabina können wir gern mitnehmen, nur Morgen wird das nichts. Du wirst dich etwas gedulden müssen. Du weißt doch ich hab auch meine Verpflichtungen und dann ist da noch die Hochzeit. Aber ich verspreche dir, wir machen einen Ausflug nach Ostia!“ sagte sie sanft und hoffte, dass Marcus jetzt kein Theater machte.


    Langsam schüttelte sie den Kopf. „Geister hab ich noch nicht gesehen... aber gespürt“, antwortete sie ihm. „Es gibt gute und schlechte Geister. Die guten heißen Laren und Penaten und beschützen die Familie. Und dann gibt es noch die Lemuren, dass sind böse Geister. Seelen von Sterblichen die verflucht wurden oder ganz unglücklich im Leben waren. Und deswegen jagen sie uns Angst ein oder spielen böse Streiche oder machen ganz andere furchtbare Dinge. Damit uns aber die Laren beschützen, opfern wir ihnen am Hausaltar!“ erklärte sie ihm.

  • Marcus nickte bestätigend, als Vena von dem heulenden Wolf erzählte und bekam eine Gänsehaut, weil allein die Erzählung schon total gruselig war. “Hatten denn Romulus und Remus keine Angst vor dem Wolf? Sie waren doch noch ganz kleine Kinder.“ Das Wolfsthema war wirklich sehr interessant für den Buben.


    Den Vorschlag mit dem Brief an Paullus brachte Vena ein Schulterzucken, was man kaum sah, ein. “Das dauert vieeeeel zu lange und außerdem macht es keinen Spaß.“ Er nickte erwachsen, denn er hatte sich denken können, dass ein Besuch in Ostia gleich morgen nahezu unmöglich war. “Versprochen ist versprochen“ mahnte er lächelnd und damit war das Thema schon für ihn gegessen.


    Auch die Geister interessierten ihn. Während Calvena ihm von ihnen erzählte und die guten und schlechten erklärte, fiel Marcus ein, dass er ja für die Penaten schon einen Kranz gebastelt hatte. “Meine Mama und mein Papa sind jetzt bei den Penaten. Sind die Laren auch die Geister unserer Ahnen?“ Kurz dachte er nach. “Die Geister im Wald waren Lemuren. Sie waren böse! Aber hier sind sie nicht, oder?“ Dann gähnte er einmal.

  • Der Junge konnte ja Fragen stellen. Sie hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht ob die Romulus und Remus Angst vor der Wölfin gehabt hatte, als diese sie adoptiert hatte. Eigentlich unwahrscheinlich, sie waren Babys gewesen und eher für den Schutz der Wölfin dankbar, als sich vor ihr zu fürchten.
    „Ich glaub nicht, dass sie Angst hatten. Sie waren ja noch ganz klein und die Wölfin wollte ihnen ja nichts Böses. Aber so genau kann ich dir das nicht beantworten, dazu ist nichts niedergeschrieben“, gab sie zu und sah den Knaben etwas ratlos an. Marcus zeigte noch keine Anzeichen von Müdigkeit. Im Gegenteil er war quicklebendig und so von ihrer Geschichte begeistert, dass er wohl gar nicht einschlafen würde.


    „Ich pflege meine Versprechen zu halten“, sagte sie leise und ernst, aber mit einem zwinkern. Der Junge brauchte sich keine Sorgen machen. Den Ausflug nach Ostia würde sie nicht vergessen. Auch weil sie wusste das Marcus ihr wohl keine Ruhe lassen würde und wenn Sabina von den Ausflugsplänen erfuhr, dann würde sie wohl ständig daran erinnert werden. Es war einfach die Art von Kindern etwas ungeduldig zu sein.


    „Die Laren sind Schutzgeister. Sie passen auf Heim und Herd auf. Auch passen die Laren auf Rom auf und auf Wegkreuzungen. Die Laren stehen als Helfer und Beschützer im Zusammenhang mit Mars", erklärte sie dem Jungen der sie aus großen Augen ansah und voller Fragen war. "Nein, wir haben keine Lemuren im Haus... einmal von dem frechen Kobold hier in meinem Bett", beruhigte sie den Jungen und scherzte dabei. "Unsere Laren passen darauf auf, dass keine ins Haus kommen. Deswegen wird den Laren regelmässig geopfert!"

  • “Hm,“ kommentierte Marcus nachdenklich und versuchte sich vorzustellen, wie ein großer Wolf auf zwei kleine Kinder aufpasste. Dann schüttete er seinen Kopf langsam. “Ich glaube auch, sie hatten keine Angst. Weil, also…“ Er holte seine Arme unter der Decke hervor und fing an zu gestikulieren. “Es gibt ja auch liebe und böse Hunde. Also gibt es bestimmt auch liebe Wölfe. Weil alle Angst vor ihnen haben, hat nur noch keiner versucht einen mal zu streicheln.“


    Marcus nickte grinsend. Nicht alle Erwachsenen hielten das, was sie versprechen. Er war jedoch davon überzeugt, dass Calvena nicht zu dieser Art von Erwachsenen gehörte. Sie war zu nett und gut, um ein Versprechen nicht halten zu können. Er vertraute ihr


    Das Zuhören fiel dem Jungen zu dieser Stunde schwerer, als das Sprechen. Es machte ihn ruhig und allmählich müde. Das zeigte sich zuerst daran, dass seine Augen anfingen zu brennen und er häufiger blinzeln musste. Als sie ihn einen Kobold nannte, fiel sein Grinsen schon sehr viel matter aus. “Darf ich beim nächsten Opfer für die Laren mithelfen? Damit die Lemuren auch wirklich nicht hierher kommen.“

  • Sie musste Lächeln, es war schön zu sehen, dass Marcus nicht einfach die Tatsachen als gegeben hinnahm, sondern sich Gedanken machte. Wobei sie kaum glaubte, dass sich ein Wolf einfach so streicheln ließe. „Wölfe sind eigentlich sehr scheue Tiere. Ich glaub kaum, dass sie sich von einem Menschen streicheln lassen“, sagte sie und lächelte ihm zu. „Kennst du eigentlich die Geschichte von Romulus und Remus?“ fragte sie ihn dann. Vielleicht wurde der Knabe ja endlich müde, wenn sie ihm eine weitere Geschichte erzählte.


    Es freute sie, dass Marcus gern einmal den Laren opfern wollte und es überraschte sie. Sabina ging nur mit halb soviel Elan an das Thema Hauskult und Kult im Allgemeinen. „Gern darfst du mir helfen. Du darfst aber den laren auch ein eigenes kleines Opfer bringen wenn du willst. Über Obst freuen sie sich immer. Du musst nicht wirklich was sagen. Die Geste die dahinter steckt ist wichtig“, erklärte sie ihm und freute sich über diesen Charakterzug des Jungen.

  • Marcus konnte sich dem nicht gänzlich anschließen. “Aber Babys weinen laut und die Wölfin hat sich davon nicht ängstigen lassen,“ warf er ein und nickte dann. “Das ist meine Lieblingsgeschichte!“ Er hatte sie schon häufig erzählt bekommen, doch sie war für ihn immer noch sehr interessant. “Erzählst du sie mir bitte?“


    Nun ja, Marcus hatte ja auch einmal Bekanntschaft mit den bösen Geistern gemacht, sodass er nun sicher war, dass er diese hier nicht haben wollte. Und wenn die Laren dabei halfen, sie von hier fernzuhalten, dann würde er gerne opfern. Ansonsten waren seine Beziehungen zur Götterwelt noch recht spärlich.
    Er nickte und fasste den Plan, den Laren in den kommenden Tagen Obst vorbei zubringen. Ihm wurde immer wieder ein Happen davon gebracht, in der Hoffnung, dass er wenigstens ein bisschen davon aß. Aber der Knabe mochte es einfach nicht und verschmähte folglich das meiste.

  • Der Einwand von Marcus war durchaus berechtigt, aber wer konnte wirklich sagen, was Wahrheit war und Fiktion. Eine Sage war eben auch nicht mehr wie eine Geschichte, meist über viele Generationen weiter erzählt und ein klein wenig verändert. Als Marcus erklärte, dass es seine Lieblingsgeschichte war, seufzte sie Schicksalsergeben. „Das ist dann aber die letzte Geschichte für Heute!“ meinte sie und sah ihn ernst an. Schließlich fing sie an zu erzählen:



    "Vor langer, langer Zeit lebte in der Stadt Alba Longa in Italien ein König mit Namen Numitor.
    Sein Bruder Amulius war neidisch, er wollte selbst König sein. Er stieß Numitor vom Thron, jagte ihn aus der Stadt
    und machte sich selbst zum König. Numitors Sohn ließ er heimlich ermorden.
    Numitors Tochter, Rhea Silvia, sperrte er als Priesterin in einen
    Tempel. Rhea Silvia gebar Zwillinge, zwei Knaben. Sie gab ihnen die
    Namen Romulus und Remus. Als der böse Amulius davon erfuhr, ließ er
    Rhea Silvia in einem Fluss ertränken. Die Zwillinge ließ er in einen Weidenkorb
    legen und in den Fluss Tiber werfen. Nun war Amulius froh. Er
    glaubte, die Kinder und Enkel seines Bruders wären tot. Aber die Zwillinge
    Romulus und Remus ertranken nicht. Der Weidenkorb blieb an einem
    Baum am Ufer des Flusses hängen. Die kleinen Knaben weinten. Das
    hörte eine Wölfin, die ihre eigenen Kinder verloren hatte. Sie trug die
    Knaben in ihre Höhle. Sie wärmte sie mit ihrem dichten Fell und säugte
    sie (ließ sie ihre Milch trinken). Eines Tages kam ein Schafhirte vorüber.
    Er fand die Kinder in der Wolfshöhle. Er nahm sie mit nach Hause. Seine
    Frau pflegte die Knaben wie ihre eigenen Kinder. Romulus und Remus
    wuchsen heran. Sie spielten mit den anderen Hirtenknaben. Bald waren
    sie die Anführer der Jungen. Sie übten auch mit den Waffen, mit Dolch,
    Schwert, Speer und Schild. Als Romulus und Remus Männer geworden
    waren, trafen sie ihren Großvater Numitor. Die Freude war groß! Numitor
    hatte nun zwei Enkelsöhne. Gemeinsam besiegten sie Amulius und Numitor
    wurde wieder König in Alba Longa. Romulus und Remus wohnten
    im Königspalast. Sie blieben aber nicht lange bei ihrem Großvater. Sie
    wollten in die Welt hinaus. So zogen sie mit ihren Freunden, den Hirten,
    an den Fluss Tiber. Dort wollten sie eine neue Stadt bauen. Da gab es
    einen Streit zwischen den Zwillingsbrüdern. Wer sollte König der neuen
    Stadt werden? Und wer sollte der Stadt den Namen geben? Die Brüder
    konnten sich nicht einig werden. Sie gingen als Feinde auseinander.
    Romulus begann sofort mit dem Bau der Stadt. Mit seinen Freunden hob
    er einen Graben aus und schüttete einen Erdwall auf. Dann begann er,
    eine Stadtmauer zu errichten. Remus beobachtete Romulus voller Neid.
    Eines Tages verspottete Remus seinen Bruder Romulus. Er lachte und
    sprang über die niedrige Mauer. Romulus wurde so wütend, dass er seinen
    Bruder totschlug. Nun war Romulus Alleinherrscher der neuen Stadt.
    Sie wurde nach ihm Rom genannt." *




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