Ob der schrecklichen Vorkommnisse der letzten Tage, litt ich nicht nur unter dem Verlust meines Sklaven. Auch der Frevel, den die Geflohenen, Marcus, mir und auch dem Rest der Familie angetan hatten, nagte an mir, was sich offenkundig in Schlaflosigkeit in der Nacht abzeichnete. Am Tage versuchte ich, meine wahren Gefühle zu verbergen, damit ich nicht vollkommen an ihnen zugrunde ging.
Mit offenen Augen lag ich da, starrte die Decke an und hoffte, diese niemals enden wollende Nacht hätte ein Einsehen mit mir und wäre bald vorbei. Regentropfen klopften an das Fenster und draußen stürmte es, was ein Einschlafen umso schwieriger machte. Dies war nicht die erste Nacht, in der ich wachgelegen hatte. Ihr waren schon viele vorausgegangen. Der Saft des Schlafmohnes sollte in dieser Nacht Abhilfe schaffen und mich in Morpheus Arme treiben. Neben meinem Lager stand ein Teller mit Opium getränkten Konfekt. Die Süße des Honigs sollte den herben Geschmack der Droge überdecken.
Langsam begann der Schlafmohn seine Wirkung zu entfalten. Meine Glieder wurden schwerer und schwerer. Die Augenlider schlossen sich. Allmählich versank mein Körper in der Tiefe meines Lakens.
Plötzlich fühlte sich auf einmal alles so leicht und unbedeutend an. Ich spürte, wie eine schwere Last von mir genommen wurde, wie ich wieder durchatmen konnte und der Knoten gelöst wurde. Es war, als wäre ich an einen anderen, besseren Ort getragen worden. An einem Ort der Glückseligkeit, einem Platz meiner Phantasie, nach dem man nie aufhörte, zu streben.
Meine nackten Füße wandelten durch das grüne saftige Gras, das durch den Morgentau noch ganz feucht war. Junge Knaben und Mädchen in hellen Gewändern und Blumen bekränzten Häuptern sprangen lachend und feixend umher. So wie sie, war auch ich, darauf hoffend, mein Geliebter würde mir heute die Ehre geben und mich mit seiner Anwesenheit beglücken.
Flötenspieler stimmten eine fröhliche Musik an. Ich ließ mich anstecken durch ihre Fröhlichkeit und stimmte in ihren Reigen mit ein. Erschöpft sank ich auf ein weiches Lager nieder, welches sich in einer grünen Laube befand. Hier fand ich Ruhe und Schlaf.
Nachdem ich wieder aufgewacht war, hatte sich alles um mich herum gewandelt. Die grüne Laube und das Lachen der Kinder war verschwunden. Es schien, als hätte sich alle Häßlichkeit der Welt um mich herum versammelt. Eine Schlange kroch auf dem Boden davon. Todeskälte um mich herum und Todeskälte in mir.
"Orpheus, Geliebter?"
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