[Tempel] Isis und Mater Magna

  • Nervös betrat Phryne den von einigen Öllampen schummrig beleuchteten Raum. Die Männer und Frauen, die sich dort versammelt hatten, musterten sie neugierig, vielleicht ein wenig mißtrauisch. Es war ihnen nicht zu verdenken, begehrte sie doch Einlass in einen Geheimkult und behauptete, bereits eingeweiht zu sein - Teil des großen Mysteriums geworden zu sein.


    Sie lächelte und grüßte leise. Die Stimmung war sehr feierlich. Phrynes Herz begann zu hämmern. Sie liebte diese besondere Atmosphäre und war sich sicher, die ihr gestellten Prüfungsfragen beantworten zu können. Ihr Blick ging vom Gallus zu dem bärtigen Kelten, der die einheimische Kleidung trug. Er durfte die erste Frage stellen.


    "Wie heißt der Vater der großen Mutter?"


    Phryne hob die Augenbrauen. Er schien sie wirklich prüfen zu wollen, denn darüber gab es verschiedene Ansichten. Woher sollte sie wissen, welche er hören wollte? Also begann sie vorsichtig.


    Nun, das ist keine leichte Frage. Ein Mythos erzählt, dass die Göttermutter aus einem Stein erwuchs, den Deukalion und Pyrrha nach der großen Sinnflut warfen. Als der Auftrag an Deukalion hieß: "Nimm die Knochen deiner Mutter und wirf sie hinter dich." Doch die allgemein übliche Überlieferung ist, dass Meon der König von Phrygien und Lydien ihr Vater gewesen sei, Dindyma ihre Mutter.

  • Der versammelte Kreis lauschte gebannt der abwägenden Antwort Phrynes. Dann nickte der bärtige Kelte zufrieden - scheinbar hatte sie die Frage richtig beantwortet.


    Nun kam eine Germanin an die Reihe, die im Stehen wohl einen guten Kopf größer gewesen wäre als Phryne selbst.


    "Welches ist das bevorzugte Opfertier der großen Mutter?"


    Nebenan saß ein älterer Römer, der offenbar recht stolz auf seinen Bürgerstatus war, denn er trug eine Toga. Auch er stellte seine Frage:


    "Welches ist das wichtigste Fest der Magna Mater in Rom?"

  • Zitat

    "Welches ist das bevorzugte Opfertier der großen Mutter?"


    Diese Frage war leicht zu beantworten.


    Das beliebteste Opfertier der Magna Mater ist der Stier. Doch nicht selten wird ihr auch ein Widder geopfert.


    Zitat

    "Welches ist das wichtigste Fest der Magna Mater in Rom?"


    Phryne nickte auf die Frage des älteren Togatus. Sie lächelte wissend.


    Heute ist das wichtigste Fest der Großen Mutter die Hilaria, das große Frühlingsfest. Es beginnt an den Iden des März und dauert bis zum Tag IV vor den Kalenden des Aprils. Noch bis zu den Zeiten des göttlichen Claudius war das wichtigste Fest die Megalesia, die im April gefeiert wurden.


    Selbstsicher blickte Phryne in die Runde. Bislang lief es gut.

  • Sim-Off:

    Sorry, bin momentan anderweitig relativ beschäftigt :(


    Zitat

    Original von Phryne
    Das beliebteste Opfertier der Magna Mater ist der Stier. Doch nicht selten wird ihr auch ein Widder geopfert.


    Die Frau legte den Kopf schief - scheinbar war sie mit der Antwort nicht ganz so zufrieden...


    "Der Stier ist natürlich gut. Wir bringen ihr hier aber selten ein so opulentes Opfer dar. Dafür opfern wir ihr häufig Hähne, wie es schon von Alters her in dieser Gegend üblich ist."


    belehrte sie die Anwärterin.

    Zitat

    Heute ist das wichtigste Fest der Großen Mutter die Hilaria, das große Frühlingsfest. Es beginnt an den Iden des März und dauert bis zum Tag IV vor den Kalenden des Aprils. Noch bis zu den Zeiten des göttlichen Claudius war das wichtigste Fest die Megalesia, die im April gefeiert wurden.


    Die zweite Antwort war dagegen scheinbar richtig, denn der Römer bemerkte nichts dazu.


    "Was ist der Dies Sanguis?"


    "Was verbirgt sich im Kernos?"


    "Wer ist Attis?"


    strömten weitere Fragen auf die junge Frau ein.

  • Sim-Off:

    no problem


    Phryne musste feststellen, dass die Bräuche in der Provinz sich doch von denen in Rom unterschieden. Hähne wurde sicher auch im Tempel in Rom geopfert, aber nicht zu den großen Feierlichkeiten. Doch sie nickte verständinisvoll, als sie von der Germanin korrigiert wurde. Nun fühlten sich alle anderen Mitglieder des Kultvereins anscheinend angespornt, Phryne mit ihren Fragen zu überschütten. Sie musste achtgeben, dass sie nichts überhörte und auf alle Fragen antwortete.


    Zitat

    "Was ist der Dies Sanguis?"


    "Was verbirgt sich im Kernos?"


    "Wer ist Attis?"


    Phryne begann die Fragen der Reihe nach zu beantworten.


    Nun, der Dies Sanguis ist einer der wichtigsten Termine im Ablauf der Hilaria. Es ist der Tag des Blutes, der göttlichen Ekstase, in der die Mysten versuchen, sich in den Zustand der göttlichen Entrückung zu bringen, der den göttlichen Attis dazu brachte, seiner geliebten Göttin Kybele das größte Opfer zu bringen, zu dem er fähig war. Er wird mit ekstatischen Tänzen und Geisselungen gefeiert. Die Mysten bringen sich selbst blutige Wunden bei und opfern dieses Blut am Altar der Göttin. Natürlich ist auch das Opferblut von TIeren dabei. Römischen Bürgern ist selbstverständlich der letzte Schritt, die Entmannung, verboten. Sie steht nur Nichtrömern zu.


    Sie wandte sich einer Frau zu, die die zweite Frage gestellt hatte.


    Im Kernos werden die "vitres", die Geschlechtsorgane des Opferstiers aufbewahrt. Dieses Gefäß wird in der feierlichen Prozession während der Hilaria vorangetragen. Und jeder, der Aufnahme in den Kult der Großen Mutter beantragt, muss ihn einmal getragen haben.


    Damit war sich Phryne sehr sicher, denn sie hatte den Kernos bei der Prozession in Rom auch getragen, bevor sie die rituelle Aufnahme erleben durfte. Noch immer war sie bewegt, wenn sie an die Gefühle dachte, die sie überflutet hatten, als sie in die Geheimnisse der Mysterien eingeweiht worden war. Sie musste sich zwingen, auch die letzte Frage korrekt zu beantworten.


    Attis ist der Geliebte der phrygischen Göttin. Es gibt verschiedene Mythen über seine Herkunft. Sicher aber ist, dass die Göttin ihn vermutlich aus Eifersucht mit Wahnsinn schlug, infolge dessen er sich selbst entmannte. Heute verehren wir ihn als Gott und streben danach wie er das Mysterium aus Tod und Verwandlung zu erleben.
    Aus Ehrfurcht vor jenen, die das Mysterium des Attis am eigenen Leib erfahren haben, nennen wir den obersten Priester des Kultes Attis
    .


    Ihre Augen strahlten, als sie die zentrale Botschaft des Kultes aussprach.

  • Die Mysten reagierten wieder nicht auf Phrynes Antworten, was wohl so viel bedeutete, dass sie zufrieden waren. Nun war der junge Mann in Frauenkleidern an der Reihe, der sie eingelassen hatte. Er lächelte seltsam, als er sich eine Frage überlegte. Dann schien er etwas gefunden zu haben:


    "Was ist das Taurobilium?"


    Zuletzt blieb nur noch der Gallus übrig, der die letzte Frage stellte:


    "Welches Wunder wirkte die Große Mutter, dass sie auch in der Stadt Rom verehrt wurde?"

  • Die Frage des so eigentümlich gekleideten Mysten schien nicht weiter schwierig zu sein, wenngleich sein seltsames Lächeln Phryne etwas verunsicherte.


    Das Taurobolium ist ein spezieller Entsühnungsritus, bei dem sich der Gläubige mit dem Blut eines über ihm geopferten Stieres reinigt. Der Stier wird auf einem Rost über einer Grube getötet. Das Blut läuft durch die Zwischenräume und reinigt so den Mysten. Es handelt sich um ein privates Opferfest im Kult.


    Phryne wartete nun auf die Frage des Gallus. Nervös knabbert sie an ihrer Unterlippe. Als sie die Frage hörte, nickte sie. Ein historisches Thema.


    Rom wurde damals, also vor mehr als dreihundert Jahren, von mehreren Katastrophen heimgesucht. Der punische Hannibal bedrohte das Reich ebenso wie Hungersnöte durch Missernten. Nach der Überführung der Göttin nach Rom konnten die Gefahren gebannt werden. Hannibal wurde besiegt und gute Ernten beendeten die Hungersnöte. Die Menschen dankten Kybele für ihre Gnade, indem sie ihr einen Tempel, das dazugehörige Kultpersonal und Spiele gewährten.


    Sie forschte im Gesicht des Priesters, ob er mit ihrer Antwort zufrieden war.

  • "Sehr richtig."


    bestätigte der Gallus zufrieden und erhob sich.


    "Und wie es scheint hat die Große Mutter nun uns neues Kultpersonal gewährt - herzlich willkommen im Collegium Cultorum Magnae Matris et Isidis!"


    Auch die anderen Mysten erhoben sich, während der Fanaticus ins Dunkel des Raumes verschwand, um kurz darauf mit einem weiteren Hocker zurückzukehren, der in den Kreis gestellt wurde.


    "Zum Einstand ist es in unserem Collegium üblich, ein Dankopfer an die Große Mutter und die Isis darzubringen. Ein Hahn nämlich, den du mit eigener Hand schlachten musst."


    erklärte unterdessen der Gallus das Verfahren, das Phryne erwarten würde.


    "Doch nun lasst uns gemeinsam aus vom Tympanon essen und aus der Zimbel trinken, um unsere erweiterte Gemeinschaft vor der Göttin zu bezeugen!"

  • Phryne strahlte über das ganze Gesicht. Sie hatte die intensive Befragung überstanden und war in die Kultgemeinschaft aufgenommen worden. Dass sie ihr Einstandsopfer eigenhändig darbringen musste, führte bei der Libertina zu einem Schaudern. SIe selbst sollte das blutige Opfer vollziehen? Das konnte sie sich einzig während eines ekstatischen Zustandes der göttlichen Entrückung vorstellen.
    Da das Fest der Hilaria nicht mehr weit war, fragte sie deshalb den Gallus:


    Kann ich das Einstandsopfer am Dies Sanguis vollziehen, ehrenwerter Gallus? Es ist ja nicht mehr lang hin bis zum Fest der Großen Mutter. Zu gerne würde ich im Rahmen der Festabläufe mein Opfer darbringen. Wäre das möglich?


    Als der Hocker für sie gebracht wurde und das gemeinsame Festmahl anstand, bat sie darum, ihre Diener mit den für diesen Abend mitgebrachten Speisen rufen zu dürfen. Es war ein erhebender Augenblick nun im Kreis ihrer neuen Kultgenossen das heilige Mahl zu vollziehen.

  • "Das sei dir gestattet. So wird die Stadt auch sogleich sehen, dass du nun unserem Collegium angehörst."


    antwortete der Gallus.

  • Mit demütig gesenktem Blick dankte Phryne dem Gallus.


    Besten Dank werter Gallus. Ich werde das Opfer also am Dies Sanguis, vornehmen.


    Dann genoss sie das gemeinsame Kultmahl mit den anderen Mysten. Es wurde gegessen, getrunken, musiziert und getanzt. So wie sie es aus Rom kannte. Den provinziellen Einschlag durch die einheimischen Teilnehmer fand sie inzwischen durchaus apart. Sie tauschte interssierte Blicke mit dem älteren Togatus. Wer weiss, vielleicht ergab sich aus dieser Kultgemeinschaft auch mehr...

  • Aufgeregt begab sich Phryne zum Tempelbezirk der Magna Mater. Der Gallus und die anderen Kultgenossen warteten schon. Am ersten Tag des großen Frühlingsfestes, das Canna intrat, also "das Schilf tritt auf" hieß, würde das Kultdrama um Attis und Kybele beginnen. In Rom hatte es innerhalb der Kultgemeinde eine eigene Bruderschaft gegeben, die Cannophoroi. Ihre Aufgabe war es, an diesem ersten Tag die Aussetzung des Attis in einem Binsenkörbchen nachzustellen.


    In der Kultgemeinschaft von Mogontiacum gab es nicht so viele Mysten. Deshalb übernahmen sie alle gemeinsam das Schilfschneiden. Mit scharfen Messern bewaffnet machten sie sich auf den Weg zu einem Nebenarm des Rhenus, an dem hohe Schilfrohre wuchsen.
    Phryne und die anderen Eingeweihten schnitten und sammelten die Schilfrohre. Anschließend verteilten sie das Schilf auf alle Teilnehmer. Unter der Führung des Gallus begannen sie singend und tanzend, die Schilfbündel vor sich her tragend in die Stadt zu laufen.


    Korone schlug den Tympanon. Sie begleitete ihre Herrin. Man feierte die Auffindung des kindlichen Attis durch die Magna Mater. Glücklich hatte die Göttin das Kind aufgenommen. Die Kultgemeinde feierte sie als Mutter. Stolz und ohne Scheu bewegte sich die kleine Kultgesellschaft durch die Straßen der Stadt auf den Tempelbezirk zu. Dort schuf man mit den Schilfrohren eine Kulisse, die den Aussetzungsort des Attis am Fluss Sangarios darstellen sollte.


    Normalerweise sollte nun vor dem Tempel ein Stieropfer folgen. Doch die Kultgemeinschaft Mogontiacums war zu klein und nicht finanzstark genug, um sich einen Stier leisten zu können. Obwohl Phryne einen Großteil der finanziellen Belastungen trug hatte es nur für einen Widder gereicht. Aus der Haut des geopfeten Stieres wurden üblicherweise neue Tympana gefertigt.
    Das Opfer des Widders sollte der nach dem Winter brach liegenden Erde neue Fruchtbarkeit verleihen. Wie der Regen des Himmelsgottes auf den trockenen Acker der Erdgöttin fiel, so sollte das Blut des Stieres oder in diesem Fall des Widders den Boden Mogontiacums und seiner unliegenden Felder fruchtbar machen.


    Gebannt verfolgte Phyne das Geschehen und beendete den Tag mit allen anderen Mysten mit einer letzten großen Mahlzeit, den Resten des Opfertieres, bevor ein siebentägiges Brotfasten beginnen sollte.

  • Nach einer Woche des "Brotfastens", das Phryne mehr oder weniger strickt eingehalten hatte, wurde das große Frühlingsfest endlich fortgeführt. Für das Fest des "Arbor intrat" war eine Kiefer gefällt worden, da es hier im kühlen Germanien natürlich keine Pinien gab, wie es das ursprüngliche Ritual vorsah. Die männlichen Kultgenossen hatten den Baum bis auf die Krone von Ästen befreit. Der gefällte Baum sollte an die Entmannung und den Tod des Attis erinnern.


    Phryne und die anderen Frauen der Kultgemeinde machten sich nun daran den Stamm mit bunten Wollbinden zu schmücken. Ein Kranz aus Veilchen sollte sie Spitze schmücken. Unter Gebeten und Gesängen, begleitet von Cymbala und Tympanon, richteten die Festteilnehmer schließlich den Baum auf. Begeistert betrachtete Phryne dieses starke Symbol. Gegen Abend würden sie den Baum wieder umlegen und ihn schließlich sogar begraben - wie den Kultheros Attis. Für den kommenden Tag war ein Trauertag angesetzt mit Klageliedern und Fasten.

  • Nach einem Tag, der der Trauer und der Klage um den Kultheros Attis gewidmet war, stand an diesem Tag der "Dies sanguis" - Bluttag genannte letzte Trauertag an. An diesem Tag vergoss man das Opferblut nicht nur von Opfertieren, sondern in der Regel vergossen auch die Kultanhänger ihr eigenes Blut.


    Phryne hatte diesem Tag entgegengefiebert. Er würde nach ihrem Einstandsopfer, das sie mit eigenen Händen vollziehen musste, ihre Aufnahme in die Kultgemeinde zur Folge haben. Nervös machte sie sich mit ihren Sklaven auf den Weg zum Heiligtum der Magna Mater. Glaucus trug den Käfig mit dem besonders schönen Hahn, den sie erstanden hatte, Korone das Tympanon und einen Korb mit Speisen.



    Der Gallus erwartete sie, er trug das mit vielen Bändern und Amuletten geschmückte Gewand der Fanatici, wie es für den Charakter des heutigen Festes angemessen war.


    "Salve, Phryne. Ich sehe, du bist gerüstet."


    Er ließ sich von einem Opferhelfer den Hahn zeigen. Genau untersuchte er das Tier, ob es für das Opfer geeignet war. Dann nickte er.


    Phryne half den anderen Kultgenossen beim Schmücken des Vorplatzes des Magna Mater-Tempels. Als sie damit fertig waren, begann der Gallus das Fest mit einem gesungenen Gebet an die Große Mutter und ihren Geliebten. Er wurde begleitet von einer leisen Melodie aus Cymbeln und Rasseln.


    "Der Himmelsherrin, der großen Herrin,
    der ersten von Himmel und Erde,
    der Königin aller Götter, der überlegen starken,
    deren Geheiß in den Tempeln der Welt Gewicht hat."


    Der Gallus hielt inne, wog sich in der Melodie, dann setzte er zur Klage um Attis an.


    "Um den Fernen erhebe ich Klage,
    diese Klage ist die Klage um den Geliebten unserer Herrin,
    klagend geht mein Herz nach dem Orte,
    nach der Unterwelt, dem Aufenthaltsort des Hirten,
    nach dem Ort, an dem der Jüngling gefesselt ist,
    klagend geht mein Herz!"


    Alle stimmten ein, man sang gemeinsam die Klage um Attis.


    Das Fest nahm seinen Lauf. Jeder spielte ein Instrument. Zur aufpeitschenden Musik von Flöten, Tamburinen, Rasseln, Cymbala und dem Tympanon drehten sich die Mysten immer schneller im Tanz. Alles schien sich auf den einen großen Höhepunkt hin zu steigern. Die Priester teilten die Petischen aus, an deren Schnüre man scharfe Knochensplitter gebunden hatte. Manche der Teilnehmer hatten sich kleine Messer mitgebracht, mit deren Hilfe sie sich an den Armen Wunden beibrachten und das Blut fließen ließen.


    Auch Phryne hatte sich in Ekstase getanzt, sie drehte sich berauscht im Kreis, griff nach der Peitsche und ließ sie auf ihren sonst doch so gepflegten Körper niedersausen. Rotes Blut verfärbte ihr buntes Gewand. Der Schmerz machte sie nur noch wilder, sie drehte sich noch schneller. Die Zurufe und das Klatschen der Kultgenossen trieben sie zu immer weiteren ekstatischen Darbietungen.


    Plötzlich setzte die Musik aus. Erschöpft blieb Phryne stehen. Die sich um sie drehende Welt kam nur langsam zur Ruhe. Farben verschmolzen mit Klängen. Ein fordernder, treibender Rhythmus des Tympanon gab ihr einen Takt vor. Alles war bereit für ihr Opfer. Der Opferpriester plazierte den Hahn über dem Altar, ein anderer hielt die Kultschale, in der das Blut aufgefangen werden sollte. Mit einem auffordernden Blick rief der Gallus Phryne zum Opfer. Er reichte ihr das Opfermesser. Der Rhythmus der Tympana steigerte sich, Phryne trat vor.


    Magna Mater, du Stütze der Versammlung, erhöre mein Gebet.
    Stolze Königin der Götter, Höchste under dem Himmel.
    Du lässt die Himmel erzittern und die Erde erbeben!
    Für dich, Kybele soteria, opfere ich.
    Nimm mein Opfer gnädig an und gewähre mir die Gnade
    in deine Kultgemeinschaft aufgenommen zu werden,
    gewähre mit die Gunst des ewigen Lebens - der vita aeterna!


    Mit einer Sicherheit, die sie selbst sich am allerwenigsten zugetraut hätte, schnitt sie dem Hahn die Kehle durch und ließ sich auch durch sein Gezappel und Flügelschlagen nicht irritieren. Mit nach rechts gewandtem Blick hielt Phryne ihn über das Kultgefäß und sah zufrieden zu, wie sich sein Blut in der Schale sammelte.
    Der Opferschlächter nahm ihr das tote Tier ab. Phryne hingegen goss einen Teil des Blutes über den Altar und die Statue der Göttin, den anderen Teil hielt sie über ihren Kopf und schloss die Augen während die warme Flüssigkeit sich in ihrem Haar und auf ihrem Körper verteilte. Bei den verbliebenen Resten konnten sich die Kultgenossen bedienen.


    Das Lächeln des Gallus verriet Zufriedenheit. Die Musik setzte wieder ein. Phryne begann sich erneut in wilder Ekstase im Kreis zu drehen, sie wirbelte und tanzte...

  • Die Nachtfeier, die sich an den "Dies sanguis" anschloss wurde zunächst von den Klageliedern der Mysten begleitet. Gemeinsam spielten sie traurige Weisen auf den Kultinstrumenten. Auch Phryne stimmte in die Totenklage um den göttlichen Attis ein.


    Klagt um Attis, zerreißt das Gewand,
    schlagt an die Brust euch, jammert mit mir.
    Mysten, ich vermag nicht so ergreifend zu singen,
    dass Attis zu neuem Leben erwacht.
    Noch ist die Zeit nicht gekommen.
    Klagt um Attis.
    Stumm bleibt der Frühling,
    tot sind die Blumen.
    Weint um Attis, zerreißt das Gewand.


    Doch gegen Morgen, als die rosenfingrige Eos ihre Pferde anschirrte, wandelte sich der Charakter des Gesangs. Aus den Klageliedern wurden Freudentänze. Jubel brandete auf.


    Sobald der Morgen graut,
    freut euch und tanzt in der Runde.
    Singet für das göttliche Kind,
    das aus der Unterwelt aufsteigt,
    umhüllt von glorreichem Schimmer!

  • Hilaria, Fest der Freude und der Heiterkeit, hieß der folgende Festtag im Ablauf des großen Frühlingsfestes der Magna Mater. Die Kultgemeinde feierte die Wiederkehr des Lichts, als das der Kultheros Attis auch bezeichnet wurde. Die Rückkehr des Geliebten der Großen Mutter aus der Unterwelt würde der Erde neue Fruchtbarkeit geben. Aus diesem Grund feierte man ausgelassen mit einem ausgiebigen Kultmahl. Die Stimmung war ausgelassen, die Heiterkeit ansteckend.

  • Der Tag nach dem fröhlichen Hilaria-Fest war der Ruhe und Erholung gewidmet. Man nannte ihn sinnigerweise "Requietio" - Ruhe. Außerdem diente der Tag der Vorbereitung der großen Prozession, die am kommenden Tag das Standbild der Göttin auf einem Wagen durch die Stadt zum Fluss hinunterführen würde. Dort sollte das Götterbild dann gereinigt und mit Blumen geschmückt werden. Es war der einzige Teil des Festes, bei dem man die Öffentlichkeit mit einbezog. Wie alle anderen Mysten freute sich Phryne gerade auf diesen Teil des Festes besonders.

  • Der letzte Tag des großen Frühlingsfestes der Magna Mater war angebrochen. An diesem besonderen Tag, der eine große Kultprozession und die Waschung der Kybelestatue zum Inhalt hatte, waren alle Mysten vollzählig angetreten. Heute wollte man die gesamte Bevölkerng der Provinzhauptstadt an dem freudigen Ereignis teilhaben lassen.


    Den Anfang nahmen die Feierlichkeiten wie immer im Heiligtum der Magna Mater. Räucheropfer und Gebete begleiteten die Göttin als sie in Gestalt der Kultstatue den Tempel verließ und von den Mysten auf einen blumengeschmückten Wagen gehoben wurde. Die Kultgenossen waren in aufwändige, bunte Gewänder gekleidet, Amulette und bunte Bänder schmückten sie. Auch Phryne hatte sich entsprechend herausgeputzt. Ihr Haar war offen, mit bunten Bändern durchwirkt und mit Glöckchen behängt. Ein fließenden Seidengewand umspielte ihren Körper. Als sich der Wagen in Bewegung setzte und den Kultbezirk verließ, gab Korone ihrer Herrin das Tympanon.

  • Phryne war nun schon eine ganze Weile Mitglied des Collegiums der Magna Mater in Mogontiacum. Sie unterstützte die kleine Gemeinde nach Kräften, sowohl finanziell als auch durch Speisebeiträge für die Versammlungen und die Kultfeste. Im Collegium fühlte sie sich gut aufgenommen.


    Der Alltag ließ Phryne viel Zeit, zu viel Zeit wie sie fand. Aus diesem Grund hatte sie sich entschlossen, den Gallus des Kybeletempels aufzusuchen und ihn darum zu bitten, sie zur Aeditua des Tempels auszubilden. Aus diesem Grund machte sie sich auf zum Haus des Gallus Claudius Atticus, gleich am Eingang zum Tempelbezirk der Magna Mater. Sie klopfte vernehmlich.


    Klopf, Klopf


  • Der Gallus öffnete die Tür. Mürrisch wie immer musterte er Phryne.
    Salve Phryne. Tritt ein.


    Er trat zur Seite und machte den Weg frei. Phryne erwiderte die Begrüßung und betrat das Haus. Sie kannte den Versammlungsraum in dem sie ihre Versammlungen abhielten. Wie selbstverständlich betrat sie den Raum. Der Gallus folgte ihr. Er wies auf die bunten Kissen, die zum Sitzen einluden.
    Nimm Platz.


    Phryne bedankte sich und nahm Platz. Der alte Gallus brauchte ein wenig, bis er sich ächzend auf einem der Kissen niedergelassen hatte. Dann sah er sie erwartungsvoll an.
    Wie kann ich dir helfen?

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