Cubiculum FC | Abgründig


  • Die Nacht war voller Unruhe gewesen. Draußen hatte es gestürmt und geregnet. Ein Gewitter, wie es im Frühjahr häufiger vorkam, hatte sich entladen. Ich hatte die halbe Nacht wach gelegen. Fand keinen Schlaf. Sobald ich die Augen schloß, sah ich ihn wieder direkt vor mir. Ich konnte sogar seinen stinkig faulen Atem auf meiner Haut spüren. Die Nachricht von seinem kläglichen Ende hatte mich am Tag zuvor erreicht und dennoch verschaffte es mir keine Genugtuung. Es war eher so, als wäre es ihm noch einmal mehr gelungen, über mich zu triumphieren. Durch sein Dahinsiechen, war er mir etwas schuldig geblieben und wie so oft zuvor, war es, als stünde er mit Pluto im Bunde, hatte er mir mit seinem Ende ein Schnippchen geschlagen. Die Nachricht von seinem Tod, war keine Befreiung. Sie war der Beginn einer Tortur, die mich bis zum Abgrund der menschlichen Existenz bringen sollte.
    Der Morgen brachte die Gewissheit…

  • Die Nacht hatte ihre Spuren in meinem Gesicht und in meinem Gemüt hinterlassen. Ich saß vor meiner Kommode und schaute in meinen Handspiegel. Mein zerfurchtes Gesicht war wahrlich keine Augenweide. Selbst die beste Kosmetik konnte da nicht viel ausrichten. Das Spiegelbild spiegelte das wider, was ich war und das war keine glückliche junge Frau, die demnächst heiratete. Mein Anblick war grauenhaft und genauso fühlte ich mich – grauenhaft.
    Ich hatte endgültige Gewissheit erlangt über meinen Körperzustand. Nachdem wochenlang der Zyklus ausgeblieben war, kam nun auch noch ein Unwohlsein hinzu. Das waren ganz klare Indizien, die keinen Zweifel mehr ließen.
    In diesem Zustand konnte ich unmöglich eine Ehe eingehen! Das war mein erster Gedanke. Was sollte ich nur tun? Wem konnte ich mich jetzt noch anvertrauen? Epicharis war fort und Antonia hatte auch schon genug Sorgen. Vor allen Dingen durfte es nicht publik werden. Wenn dieses Gerücht die Runde machte, dann war alles verloren. Selbst Charis, die sehr besorgt um mich war, konnte und wollte ich es nicht anvertrauen. Sie war erst seit kurzem in meinen Diensten. Das bedingungslose Vertrauen zu ihr, das ich einst meiner Ylva entgegen gebracht hatte, bestand noch nicht. Stattdessen war ich launisch und unausstehlich.
    "Laß mich alleine! Ich muß nachdenken!" Ich mochte mich selbst nicht leiden, wenn ich so war. Charis verließ leise und unauffällig mein cubiculum. Ich sah ihr nicht nach. Meine Blicke waren nur auf mein Spiegelbild geheftet.
    Für einen Trank, der zudem auch nicht ungefährlich war, um das Problem aus der Welt zu schaffen, war es bereits zu spät. Ich mußte einen anderen Weg finden.

  • Nachdem Charis die Gemächer der Celerina verlassen hat und Olin wohl mitgeteilt hat, dass es keine gute Idee ist, sie aufzusuchen, tritt er trotzdem ein, selbst wenn Celerina auf kurzes Klopfen gar nicht oder negativ reagieren sollte.


    Olin tritt ein, gekleidet in eine schwarz-rote Stoffkomposition, den Togen nicht unähnlich, aber in vielerlei Hinsicht exotisch. Lederriemen an den Armen und der Brust geben halt, Nieten machen das Aussehen etwas verwegener, alles in allem eine exotische Kluft die vom Wert her dem Hause Flavia sicher zu pass kommt.


    "Deine Leibsklavin ist besorgt..." begrüsst er Celerina und neigt den Kopf vor ihr, als Zeichen kurzer Demut...oder zumindest als lästige Pflicht.

  • Meine Tür öffnete sich erneut, was meine Stimmung keinen Deut besserte. Ganz im Gegenteil! Ohne auch nur aufzusehen polterte ich sofort darauf los! "Bei den Furien, hatte ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt? Du sollst mich alleine lassen! Verschwinde! Auf der Stelle! Ehe ich mich vergesse!"
    Mit zornig entstelltem Gesicht sah ich auf. Es war Charis, die ich erwartet hatte. Doch die Stimme die gerade an mein Ohr gedrungen war, war die des neuen Sklaven. Diese Tatsache milderte meinen Zorn nicht im Geringsten.
    "Was du nicht sagst! Sie sollte auch um dich besorgt sein, dass du es wagst, hier unaufgefordert einzutreten! Verschwinde, oder du lernst mich von einer anderen Seite kennen!" Um zu verdeutlichen, wie sehr ich in Rage war und wie bitterernst ich es meinte, hatte ich mich erhoben und wies ihm mir meiner Hand die Tür. Dabei hatte ich gar keine Augen für das neue Gewand, welches er sich anfertigen sollte.

  • Olin mustert Celerina ohne merklich von ihrem Aufbegehren beeindruckt zu sein, als würde er ihre Körpersprache, ihre Augen, selbst die wahrscheinlich zwischen Wut und Verzweiflung bibbernden Lippen, lesen.


    "Ich sehe." erklärt er nur, wie er es schonmal tat, dann verneigt er sich angedeutet und wendet sich ab um den Raum wieder zu verlassen.

  • Diese Sklaven! Sobald sie anfingen, selbstständig zudenken, begannen sie, lästig zu werden. Ich sah ihm noch nach, wie er wieder verschwand. Meine Miene verriet noch immer, wie verärgert ich war. Ich konnte es nicht leiden, wenn meinen Anweisungen keine Folge leitete.


    Nach dieser kleinen Unterbrechung, war ich mit meinem Problem wieder allein. Ich zermarterte mir weiterhin das Hirn, was ich tun konnte. Zu wem ich gehen konnte. Wem ich vertrauen konnte…

  • Schon viel zu lange hatte Antonia jenen Besuch vor sich hergeschoben, hatte Tag um Tag vermieden, Celerina gegenüber zu treten, hatte allein den Gedanken an sie verdrängt. Zu sehr würde ihr Anblick die Claudia verstören, wie sie fürchtete. Stets war die Flavia ihr so stolz, so schön, so erhaben erschienen. Jene Entführung hatte ihr die Wahrheit schmerzlich vor Augen geführt. Auch Celerina war nur ein Mensch. Ein Mensch wie sie selbst, der vor Schicksalsschlägen nicht gewappnet war. Und mit einem Mal waren all die kleinen Sorgen und Problemchen, über die sie sich selbst in letzter Zeit so geärgert hatte, ihr lächerlich erschienen im Vergleich zur Vorstellung, von barbarischem Pack verschleppt zu werden.
    Unbewusst nahm sie in dieser Sekunde eine Pose ein, die ihr Gatte Gracchus schon so oft vor ihrem eigenen Cubiculum eingenommen hatte. Unfähig die Hand zu heben, um zu klopfen, stand sie da, starrte die feine Holzmaserung der Türe an und wäre am liebsten davon gelaufen. Celerina gebrochen zu sehen würde sie selbst aus der Bahn werfen, wie sie glaubte. Wie sollte eine schmale Birke bestehen, wenn schon eine stolze Eiche entwurzelt worden war? Doch vielleicht täuschte sie sich. Celerina war gewiss stärker, als sie selbst es in einer vergleichbaren Situation wäre. Sicher, so musste es sein. Endlich fasste die Claudia sich ein Herz und klopfte, wenn auch leise, an.

  • So sehr wie ich das Alleinsein verabscheute, so sehr hasste ich es, schon wieder gestört zu werden. Niemand konnte mir helfen, auch die Sklaven nicht, die sich plötzlich alle der Reihe nach berufen fühlten, mir eine Stütze zu sein.
    Das Klopfen an der Tür, riß mich wieder aus meiner Grübelei. Ich sah verärgert auf und wollte schon erbost los schimpfen. Was sich dieses Sklavenpack alles erlaubte! Konnte ich denn nicht einmal mit meinen Problemen alleine sein? Diese Sklaven konnten mir sowieso keinen Rat gegen, was eine Patrizierin tun sollte, wenn sie in einer solchen Lage war, in der ich mich gerade befand.
    Je länger ich darüber nachsann, geriet ich mehr in Rage. Voller Zorn erhob ich mich, schritt zur Tür und riß sie auf. Ich hatte Charis, Phraates oder irgendeinen anderen verdammten Sklaven erwartet. Nicht aber Antonia!
    "Oh Antonia, du bist es!" rief ich überrascht aus. "Wie schön, dich zu sehen!" Zum ersten Mal an diesem Tag war mein Lächeln zurückgekehrt. Seit meiner Rückkehr hatte ich sie nicht mehr gesehen. Mir schien, als fürchtete sie sich vor einer Begegnung mit mir. Oder war es nur die Abscheu vor dem, was mir widerfahren war? Was, wenn ich sie einweihte?

  • Für einen Moment gab sich Antonia der Hoffnung hin, ihr zaghaftes Klopfen sei entweder überhört worden, oder aber Celerina gerade ohnehin nicht im Raume, da zunächst keine Geräusche aus dem Inneren an ihr Ohr drangen. So angestrengt lauschte sie, dass sie wohl eine Feder hätte fallen hören und so entging es ihr nicht, dass sich schließlich doch Schritte in Richtung Tür bewegten.
    Kurz war sie versucht, schnell ihre Tunika zu raffen und hinter der nächsten Ecke zu verschwinden, ehe sie sich des völligen Verlusts der eigenen Dignitas gewahr wurde, den eine solche Aktion nach sich ziehen würde.
    Als die Tür, die bislang noch schützend die Claudia vom Rauminneren trennte, plötzlich und wenig sachte aufgerissen wurde, wich Antonia erschrocken zurück. Doch statt der erwarteten Ausgeburt des Tartaros stand lediglich Celerina im Türrahmen. Sogar lächelnd. Verdutzt benötigte die Claudia einige Momente, um sich erneut zu sammeln, um zu verarbeiten, was die Verwandte sagte und endlich ein Lächeln als Erwiderung auf die Lippen zu zaubern.
    “Celerina.. “, kam es also zunächst krächzend aus ihrer Kehle. Ein Räuspern schuf Abhilfe.
    “Entschuldige. Ich wollte dich nicht stören.. nur einmal wieder nach dir sehen. Doch wenn es dir im Moment nicht passt.. ?“

  • Die Verwunderung stand Antonia ins Gesicht geschrieben. Hatte sie mein Anblick dermaßen aus der Fassung bringen können oder war es etwas anders? Ich wollte nicht näher darauf eingehen und schon auf gar keinen Fall wollte ich sie bloß stellen. Schließlich war ich für jede Abwechslung, die sich mir bot, froh, denn das hielt mich davon ab, noch mehr zu grübeln und in dem elenden Pfuhl aus Sorgen zu ertrinken.
    "Aber du störst nicht Antonia! Ganz und gar nicht! Bitte, komm doch! Tritt ein!" Es klang schon fast flehentlich, als ich sie ihr versicherte, daß sie nicht ungelegen kam und sie hereinbat. Wenn es einen Menschen in diesem Haus gab, mit dem man solch delikate Angelegenheiten im Vertrauen besprechen konnte, dann war es Antonia! Mir war einfach danach mich endlich jemandem mitteilen zu können, der mich verstand und der mir eventuell auch mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte. Die Claudia hätte in keinem besseren Moment zu mir hereinschneien können.
    Ich sah mich um, schließlich wollte ich Antonia einen Platz anbieten. Mein cubiculum war noch immer mittels eines dichten Vorhanges abgedunkelt, damit sich auch ja kein Sonnenstrahl herein verirrte. Etwas entnervt riß ich den Vorhang auf und öffnete das Fenster. "Dieses faule Sklavenpack! Alles muß man selber machen!", maulte ich. Dabei hatte ich erst kurz davor alle dienstbaren Geister aus meinem Umfeld vertrieben, weil ich allein sein wollte.
    "Bitte Antonia, nimm doch Platz!" Ich bot ihr einen der Ebenholzstühle an, auf die ich einst so stolz gewesen war und setzte mich ebenfalls.

  • Celerina dachte nicht daran, Antonia vor einer peinlichen Situation zu bewahren, im Gegenteil, sie bat sie herein, freute sich offensichtlich gar über ihr Erscheinen. Das eigene Unbehagen zum Wohle der armen Flavia hintan stellend trat sie also ein, in jenen Raum, in dem zunächst noch die Dunkelheit herrschte. Die Claudia kannte Phasen, in denen man jegliches Licht und jeden Menschen aus seiner Umgebung verbannte nur zu gut, vor Jahren hatte sie sich selbst dergestalt eingesperrt und vor der Welt verborgen. Doch weniger aufgrund traumatischer Erlebnisse und vielmehr aus Selbstzweifeln und Angst. So sagte sie nichts weiter hierzu, nickte lediglich, scheinbar verständig, als Celerina die Sklaven beschuldigte.
    Den angebotenen Platz dankbar annehmend, wusste sie auf diese Art doch wenigstens einen Ort für ihre Hände, setzte sich die Claudia hin, bemüht Celerina nicht zu direkt anzusehen. Schließlich wollte sie sie nicht in Verlegenheit bringen. Wer konnte schließlich sagen, wie schlimm die Verletzungen noch waren. Antonia zumindest wollte es nicht zu genau wissen.
    Stille drohte sich über die beiden Frauen zu senken, weshalb die Claudia sich genötigt sah, nun doch die unausweichliche Frage zu stellen.
    “Wie geht es dir denn, meine Liebe? Sorgt man gut für dich?“

  • Ich saß nun Antonia gegenüber. Im Gegensatz zu ihr starrte ich sie an. Sie jedoch vermied es, den direkten Augenkontakt zu halten. Hatte ich mich eben noch über ihren Besuch noch gefreut, fragte ich mich jetzt schon, was sie hier wollte. Hatte mein Geheimnis vielleicht doch schon die Runde gemacht? Diese elenden Sklaven! Die Zungen sollte man ihnen herausschneiden! Aber sollte sie etwas erfahren haben. Niemand außer mir wußte davon. Mit niemand hatte ich darüber gesprochen. Also war der Grund ihres Besuches doch ein anderer. Ich begann mich über meinen Verfolgungswahn, unter dem ich augenscheinlich litt, zu schämen. Ichfühlte mich schmutzig, befleckt!
    Die Claudia brach das Schweigen und ich war ihr dankbar dafür. Sie erkundigte sich nach meinem Befinden. Das Übliche eben. Und ich würde ihr mit dem Üblichen antworten. Natürlich! Nur nicht offenbaren.
    "Oh, danke der Nachfrage, liebe Antonia! Danke, es geht mir, den Umständen entsprechend, gut." Ich lächelte wieder und wahrte den schönen Schein, so wie es sein sollte. Den Umständen entsprechend… Welch einer Übertreibung! Mir war es niemals schlechter ergangen als in diesen Stunden, in denen ich in der Verzweiflung zu ertrinken drohte.
    Doch dann verschwand das Strahlen aus meinem Gesicht und der wahre Seelenzustand offenbarte sich.
    "Antonia, ich bin.. Ich brauche deine Hilfe, Antonia! Nichts ist gut! Ganz und gar nicht!"

  • Heiss und durchdringend fühlte Antonia Celerinas Blick auf sich liegen. Spürte förmlich, wie sich ihre dunklen Augen durch die ungeschützte helle Haut der Claudia bohrten, die schützende Schale wegätzten.. erst als die Flavia das Wort wieder an sie richtete, bemerkte Antonia, dass sie sich in einem Tagtraum verloren hatte. So schrak sie ein wenig zusammen, als sie die unerwartete Stimme hörte, richtete ihren Blick auf die andere Frau, wie das Reh, das vom Jäger gestellt wurde. Peinlich berührt über ihre eigene Ungeschicklichkeit und Unaufmerksamkeit zuckten ihre Mundwinkel einen Moment nach oben, ein laienhaftes Lächeln formend um doch gleich wieder zum emotionslosen Strich zu verkommen. Celerinas Versicherung, es ginge ihr gut, vermochte für einen Moment die Nervosität Antonias zu legen, erlaubte ihr sich einige Augenblicke der Illusion hinzugeben, man könne nun, da das Eis gebrochen war, dazu übergehen wie früher über Mode und den aktuellen Klatsch zu sprechen.
    Doch noch ehe sie 'Das freut mich zu hören' formulieren konnte, wandelte sich Celerinas Miene. Alle aufgesetzte Fröhlichkeit wich, unaufhaltsam wie die Sonne dem Mond wich, ließ nur eine Celerina zurück, die für Antonia nicht angsteinflößender hätte sein können.
    "Meine Hilfe?", krächzte die Claudia, die eindeutig auf dem falschen Fuß erwischt worden war. Sicher, innerlich hatte sie sich auf fast alles vorbereitet.. jedoch nicht darauf, dass Celerina sie, augenscheinlich verzweifelt, um Beistand bitten würde. Sie schalt sich in Gedanken bereits eine dumme Gans. Wie oft hatte man ihr in diesem Hause geholfen, wie oft hatte es eine Schulter zum anlehnen, ein Verwandter zum Trost ihr geboten. Und wie oft hatte sie an den Gitterstäben gerüttelt..
    Sie fasste sich ein Herz, überwand den Fluchtreflex, der ihr bereits seit sie den Raum betreten hatte unaufhörlich einflüsterte, es sei Zeit zu gehen, und rutschte auf ihrem Sessel nach vorne, mit ihrer Hand die Celerinas ergreifend.
    "Natürlich.. natürlich werde ich dir helfen. Was ist denn nur los?"

  • Nun da mir der Hilferuf endlich über die Lippen gekommen war, überwog in mir bereits das schlechte Gewissen, mich eventuell doch zu weit hinausgewagt zu haben. Die Züge der Claudia ließen erahnen, wie unvorbereitet sie das alles getroffen haben musste, war es doch an diesem Nachmittag bestimmt nicht ihr Bestreben gewesen, sich die Sorgen anderer aufladen zu lassen. Und was war mit der Schande, die über mich gekommen war? Durfte ich damit einfach hausieren gehen, oder hätte ich lieber im Erdboden versinken müssen und mir notfalls das Messer in die Brust stoßen sollen? Die Ehre der Familie stand auf dem Spiel, wenn jemand davon erfahren würde. Wem wenn nicht Antonia hätte ich vertrauen können? Wer, wenn nicht Antonia hätte vielleicht sogar Verständnis aufbringen können. Schließlich war ich unschuldig an dieser ganzen Misere.
    "Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll…" fing ich an und begann erneut zu zweifeln, ob ich mich ihr tatsächlich offenbaren sollte. Schließlich entschied ich mich für den Mittelweg.
    "Nun ja, stelle dir bitte einmal vor, eine Dame unseres Standes, ist im Begriff zu heiraten. Ein Mann aus gutem Hause, versteht sich. Was nun, wenn sie in diese Ehe geht und sie ist… in guter Hoffnung?" Ich wagte es kaum auszusprechen und errötete sogleich, geschweige denn daß ihr danach direkt in die Augen blicken konnte. Sie ahnte bestimmt schon, wer diese Dame war und in welcher Verfassung sie war.

  • Ganz gleich, wie prüde, schamhaft und verklemmt Antonia sein mochte - und sie war es in einem enormen Maße - sie wusste, was in der Welt vor sich ging. Und sie wusste, dass eine Frau ihres Standes sich für gewöhnlich wenigstens einen Liebhaber hielt, sei es ein Standesgenosse oder einfach nur ein Gladiator. So fiel es ihr keineswegs schwer, sich das von Celerina geschilderte Szenario vor Augen zu rufen. Doch vermochte auch die Abstrahierung des Problems nicht davon abzulenken, dass die Verwandte zweifellos von sich selbst sprach. Daher nickte Antonia verständig und betont langsam, während im Hintergrund bereits abertausende Szenen vor ihrem geistigen Auge erschienen, in welchen sie darüber sinnierte wann und wie dieses Missgeschick zustande gekommen sein mochte. Seit Wochen hatte die Flavia schließlich das Haus nicht mehr verlassen, nicht seit..
    Glücklicherweise hatte Celerina bereits verschämt die Augen gesenkt, hätte sie doch ansonsten einen Blick Antonias gesehen, der finsterer und rachsüchtiger nicht hätte sein können. Nicht allein, dass man die Ärmste entführt hatte, nein, offenbar hatte man ihr auch noch Unaussprechliches angetan. Eine andere Möglichkeit sah die Claudia nicht, war die Flavia nach ihrer Entführung doch kaum in der Lage gewesen, einen solchen.. Akt über sich ergehen zu lassen und davor.. nun, wäre es davor geschehen, hätte sie gewiss nicht derartige Hemmungen, sich zu offenbaren. Der finstere Blick verschwand wieder, stattdessen senkte nun auch Antonia die Augen. Wut wich Angst, Zorn wich Hilflosigkeit. Was sollte sie ihr nur sagen?
    Als sie endlich bemerkte, dass sie den Atem angehalten hatte, schnappte sie schließlich nach Luft, erhob sich, entließ Celerinas Hand aus ihrer Umklammerung und ging stattdessen einige Schritte durch den Raum. Für gewöhnlich war Antonia nicht diejenige, die große Stärke in Notzeiten zeigte, jedenfalls nicht in ihren eigenen Augen. Und doch bat Celerina sie, ausgerechnet sie, um Hilfe. Es galt nun, sich dieses Vertrauensbeweises auch als würdig zu erweisen. Ohnehin schon hatte sie, kaum war die Schilderung gehört worden, bereits gewusst, welchen Rat sie der Flavia geben würde.
    "Du musst es los werden.", sagte sie, so schlicht, als spräche sie von einem alten Kleidungsstück. Und für sie war es wohl kaum mehr. Das Kind eines Verbrechers, gar ein Verbrechen selbst, ein Bastard, nicht würdig, in eine patrizische Familie geboren zu werden. Mit einem Ruck wandte sie sich um, schritt auf Celerina zu und ging schließlich vor ihr in die Hocke, abermals mit beiden Händen die der Freundin umfassend. "Dir ist Schreckliches zugestoßen, Celerina. Und ich kann dir nicht sagen, wie sehr es mir Leid tut, dass du all das ertragen musstest. Aber.. du kannst es unmöglich behalten. Unmöglich, dieses.. Du kannst Corvinus kein fremdes Kind unterschieben.. schon gar nicht ein solches."
    Die Mühe, nach wie vor von einer theoretischen Annahme auszugehen, machte die Claudia sich erst gar nicht. Wozu sollte die Flavia eine derartige Frage stellen, wenn sie rein hypothetisch wäre?


    Einziges Problem war - Antonia gab zwar den unmissverständlichen Rat, ja Befehl, einer Abtreibung, hatte jedoch selbst keine Ahnung, wie so etwas vonstatten ging. Allerdings fand sich hierfür gewiss fachkundiger Rat.. allein in ihrem eigenen Freundeskreis hatte sie einige "Kandidatinnen" hierfür.

  • Jetzt war es gesagt und die Claudia verstand. Auch wenn ich sie nicht anblicken konnte, weil ich mich zu tiefst schämte, erriet ich es an ihrem angehaltenem Atem, was in ihr vorgehen mußte. Antonia erhob sich, lief auf und ab, so wie ich es bereits schon am Morgen getan hatte. Ihr Urteil erwartend, sah ich ihr nach. Was würde sie darauf erwidern? Sie würde mich doch nicht im Stich lassen in dieser prekären Lage? Nein, das sicher nicht. Aber mit welchen Augen würde sie mich zukünftig betrachten? Dabei war ich in dieser Sache das Opfer! Selbst jetzt noch nach Wochen überfielen mich die schrecklichen Erinnerungen. Die Alpträume, die mich regelmäßig schweißgebadet aus dem Schlaf herausrissen. Und nun auch noch ein Spross dieses Verbrechers, das in mir heranwuchs und mir noch den Rest nehmen wollte.
    Natürlich gab es nur eine Lösung dafür, um nicht in den Abgrund zu stürzen. Nur eine Antwort, um das Gesicht zu wahren. Das wußte ich und das wußte Antonia. Deshalb überraschte es mich nicht, was sie dann sagte.
    "Ja", antwortete ich ebenso schlicht, als wäre es das normalste auf der Welt. Ich empfand nichts für das, was in mir wuchs. Es war nichts, worauf man sich freuen konnte. Ich wollte es los werden, so schnell wie nur irgend möglich. Die Hochzeit nahte schon. In wenigen Wochen durfte nichts mehr darauf hinweisen, daß so etwas geschehen war.
    Dann trat Antonia zu mir, ging vor mir in die Hocke und ergriff meine Hände, so wie es nur gute Freundinnen tun, die einander helfen. Alles was sie sagte war richtig. Dieses Kind durfte nicht sein und Marcus hatte es nicht verdient, daß man es ihm unterschob, denn eines wußte ich, dieses Geschöpf würde ich niemals lieben können!
    "Ja, Antonia! Ich weiß." Eine Träne kullerte über meine Wange während ich ins leere starrte. "Allerdings wird das hier in der Villa kaum möglich sein. Die Gefahr, entdeckt zu werden ist viel zu groß und dann erst das Getratsche der Sklaven!" Hier war eine heilkundige Frau oder ein erfahrener Arzt, der auch die Kunst des Schweigens beherrschte, von Nöten. Ich erwartete nicht wirklich, daß Antonia auf Anhieb so jemand nennen konnte, denn selbst ich mußte auf diese Frage hin passen. "Jemand müßte Erkundigungen einziehen nach solch einer Person. Wüsstest du, wer dafür geeignet sein könnte?" An meine eigenen Sklaven wollte ich da gar nicht denken, denn keinem von ihnen vertraute ich wirklich.

  • Dass Celerina nicht widersprach, nicht händeringend und mit Tränen in den Augen darum bat, doch eine andere Lösung zu finden, überraschte Antonia nicht weiter. Allein die Vorstellung, ein solches Kind in sich zu tragen, weckte bei ihr selbst eine innere Abscheu, wie die Flavia es aushielt, sich gar nach Außen hin noch recht gefasst geben konnte, empfand sie als höchst bewundernswert. Sie wusste nicht, ob sie selbst derart die Dignitas könnte wahren, doch wollte sie lieber nicht zu sehr darüber nachdenken, zogen sich doch schon jetzt sämtliche Eingeweide der Claudia in sich zusammen.
    Durchaus vernünftig waren auch Celerinas Einwände. Natürlich, hier in der Villa konnte ein solches Vorhaben nicht umgesetzt werden. Doch welches waren die Alternativen? In einem schäbigen Hinterzimmer eines Kurpfuschers? Nein, unmöglich. Celerina wäre nicht die erste Frau, die im Vorhaben einen Bastard loszuwerden das eigene Leben verlor. Diese Möglichkeit musste, so gut es nur ging, ausgeschlossen werden.
    "Hm.. ", brummte sie als erste Erwiderung und verwarf die ersten Einfälle, die ihr in den Sinn kamen sofort wieder. Jene Damen in ihrem Bekanntenkreis, die sich mit dieser Materie auskannten waren nicht minder geschwätzig als die meisten flavischen Sklaven. Sie selbst konnte sich ebenfalls unmöglich auf den Weg machen und Erkundigungen einholen, würde doch sofort jeder Mensch glauben, sie habe eine Affäre, nun, da Gracchus fernab von Rom war. Käme auch nur der Hauch eines solchen Verdachts auf, sie würde vor Scham in der Erde versinken.
    "Mh.", schloss sie schließlich das Murmeln ab, erhob sich aus ihrer Hocke und nahm erneut auf dem Sessel gegenüber Celerina Platz. Sie wusste jemanden, der verschwiegen war und der sich umhören könnte. Doch stand dieser jemand in einer derart engen Verbindung zu ihr selbst, dass sie ebenso gut jene plappernden Bekannten hätte befragen können. Allerdings sah sie derzeit keine andere Lösung. Er würde es eben so anstellen müssen, dass der Zweck seiner Recherchen nicht gar so offensichtlich erschien.
    "Mein Leibsklave. Pallas.", sagte sie also endlich. "Keine Sorge, er ist absolut loyal und wird niemandem etwas verraten. Wenn du willst, schicke ich ihn sofort los."

  • Antonia dachte nach. Es war ausgeschlossen! Es gab keine andere Möglichkeit. Diese Etwas, was in mir heranwuchs, es musste weg. So schnell wie möglich. Am besten sofort!
    Sie erhob sich aus der Hocke und setzte sich wieder. Hoffend beobachtete ich sie, so als könne sie mir nun aus dem Nichts die Lösung meines Problems herzaubern. Und tatsächlich, was sie nun vorschlug, war äußerst wagemutig und großherzig zugleich. Sie bot ihren eigenen Leibsklaven an. Meine Augen begannen wieder zu leuchten. Ich sah wieder Licht am Ende des Tunnels. Dabei drängte sich mir der Gedanke auf, meine eigene Leibsklavin ebenfalls mitzuschicken, auch wenn ich ihr noch nicht ganz und gar vertraute. Dies aber konnte eine Prüfung für ihre Loyalität sein, bei der sich herausstellen konnte, was sie wirklich wert war.
    "Das würdest du wirklich tun? Oh Antonia! Du bist so gut zu mir! Du bist eine wahre Freundin!" Von der es bekanntlich nicht so viele gab. Ich strahlte wieder über mein ganzes Gesicht und sprang auf. Von einer überstürzten Umarmung und zu engem Körperkontakt sah ich aber ab. Das kam Antonia sicherlich auch sehr entgegen. Auf jeden Fall machte mir ihr Angebot wieder neuen Mut, nicht den Kopf hängen zu lassen.
    "Gut, dann schicke ihn los. Ich werde ihm meine Leibsklavin auch mit geben. Dann werden wir ja sehen, ob ich ihr vertrauen kann. Er soll ein Auge auf sie werfen."

  • An Celerinas Reaktion sah die Claudia, dass sie offenbar wieder Hoffnung in ihr geweckt hatte. Ein sonderbares Gefühl ergriff Besitz von ihr. Sie war ein klein wenig stolz auf sich. Etwas, das so gut wie nie vorkam. Daher lächelte sie etwas unbeholfen, als die Flavia eine wahre Lobeshymne auf sie herabregnen ließ.
    "Ach.. du würdest doch dasselbe auch für mich tun."
    Nun, falls sie es vorher nicht getan hätte, so zumindest von nun an, war dies doch wahrlich kein kleiner Gefallen, den diese Aktion ihr abverlangte. Wenngleich Antonia diesbezüglich momentan keine Hintergedanken hegte. Doch wer wusste schon, was die Zukunft bringen würde?
    Ihre eigene Sklavin sollte also noch mitkommen. Das war umso besser, würde es doch zumindest die potentiellen Verdachtsmomente auf zwei Frauen verteilen.. und somit auch die sich verbreitenden Gerüchte. Doch nein, Pallas wusste, was er tat, niemand würde davon erfahren. Dass weibliche Wesen in seiner Umgebung den Ärmsten allerdings meist mehr verunsicherten, als ihm eine Stütze zu sein, war Antonia in diesem Moment nicht bewusst. Allerdings spielte es wohl auch keine Rolle, ob der Sklave sich wohl fühlte oder nicht.
    "Gut. Ich werde ihm sagen, er soll sie abholen und keine Sekunde aus den Augen lassen.", erwiderte sie daher und nahm sich vor, nachdem sie Celerina verlassen hatte, sofort alles in die Wege zu leiten. Schließlich galt es hier keine Zeit zu verlieren.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!