Elfledas und Landos Zimmer

  • Witjon trat einen Schritt zur Seite, als Naha an ihm vorbeiflitzte hinein in Eilas Arme. Es machte ihn betroffen, dass das Kind ihn offenbar nicht gut leiden konnte. Wieso das so sein sollte, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Als Eila und Naha abgedampft waren, warf Witjon noch einmal einen Blick ins Zimmer während eines ruhigen Momentes. "Also dann, alles Gute," wünschte er Elfleda und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Er hatte Frigg bereits einige Tage zuvor ein Opfer dargebracht, in der Hoffnung dadurch die Geburt zu beschleunigen und durch göttliche Hilfe die Schmerzen der Gebärenden zu lindern. Und ihren Tod zu verhindern, denn den Nornen traute er zu, nun auch noch die Mutter aus Midgard zu entreißen und die Sippe erneut ins Unglück zu stürzen. Er hoffte, dass diesmal alles gut ging und zumindest die ersten Tage während und nach der Geburt keine Komplikationen auftreten würden.

  • Als Eila kam, blickte Elfleda kurz auf. Das Verhältnis zwischen ihnen beiden hatte sich irgendwie geändert, auch wenn Elfleda der Sache noch lange nicht traute. Ihrer Meinung nach veränderte absolut nichts einen Menschen, in den Tiefen seines Herzens war der Mensch, wie er war, und Veränderungen am äußeren Verhalten waren nur darauf zurückzuführen, dass irgendwas in ihnen erkannt hatte, dass diese neue Veränderung nützlicher wäre als das, was bisher passierte. Aber gut, wenn Eila zu der Erkenntnis gekommen war, dass es mehr brachte, mit Elfleda befreundet zu sein und diesen Streit einzustellen – der nach Landos Tod ohnehin etwas nutzlos geworden war – würde die Mattiakerin sie nicht davon abhalten. Erst recht nicht, wenn sie gerade von einer Wehe erfasst wilde Flüche von sich gab und im Grunde ganz froh war, dass Naha den Raum verlassen würde.


    Witjon stand noch in der Tür, als Naha sich an ihm vorbeiquetschte und mit Eila den Raum auch schon wieder verließ. Seine Worte entlockten ihr ein schiefes Grinsen. Viel Glück. Das klang so, als wolle sie sich nackt einer heranstürmenden Horde bis an die Zähne bewaffneter Chauken entgegenstellen. Ganz so waghalsig war es nun hoffentlich nicht, dieses Kind auf die Welt zu bringen. “Schloich di“, scheuchte sie ihn nur in ihrem Heimatdialekt aus der Tür, etwas leidlich wegen der Wehe, die gerade abklang. Männer aber auch! Soviel Feingefühl wie ein Flusskiesel, aber wenn man mal einen harten Kerl brauchte, dann jammerten sie!
    Eine neue Wehe kam, diesmal noch heftiger als die vorangegangenen, und Elfleda legte sich seitlich aufs Bett und fing an, sie wegzuhecheln wie ein Hund. Verdammt, so schmerzhaft hatte sie das ganze gar nicht mehr in Erinnerung gehabt.


    Als schließlich nur noch Marga und Lanthilda bei ihr war, ging die eigentliche Arbeit los. Sie konnte nun nicht mehr aufstehen und mithelfen, so gern sie das auch getan hätte. Sie hasste es, wenn sie sich nutzlos und schwach vorkam, aber die Wehen kamen immer häufiger und schmerzvoller, gefolgt von üblen Schimpftiraden über die Ungerechtigkeit der Welt und warum Männer zum Ausgleich nicht irgendwelche Backsteine ihrem Darmtrakt entreißen müssten, um es wenigstens ein wenig auszugleichen. Dass sie dabei so laut war, dass sie selbst unten im Garten unvorsichtige Besucher ins Stocken brachte, ahnte sie nicht. Und wenn, wäre es ihr just in diesem Moment egal gewesen.


    Irgend etwas war anders an dieser Geburt als bei der letzten. Es dauerte eine ganze Weile, bis Elfleda merkte, was anders war. Das Kind schien sich nicht im Geringsten zu senken. Die Wehen wurden heftiger und auch kürzer, aber dieser befreiende Druck, wenn das Kind in Richtung Mutterkanal rutschte, der schien und schien sich nicht einstellen zu wollen. Elfleda wurde unruhiger, verpackte ihre Angst allerdings in einer gehörigen Portion Wut. Jammern nützte jetzt ja auch nichts, auch wenn sie auch schon am Verhalten von Marga und Lanthilda merkte, dass die auf ähnliche Gedanken schon gekommen waren.
    Der Mittag ging vorüber, aber noch immer lag Elfleda seitlich auf dem Bett, jede neue Wehe weghechelnd und schimpfend, bis ihr die Worte ausgingen und sie neue erfinden musste. Irgendwann war es so weit, und die Fruchtblase war geplatzt und ergoss ihren Inhalt klebrig und schleimig über die Schenkel der Mattiakerin und die Tücher, auf denen sie lag.
    “Jetzt komm aber auch endlich!“ befahl Elfleda ihrem ungeborenen Spross, der sich nicht und nicht senken wollte. Nur leider hatte sie bei diesem Kind wohl wenig Autorität, denn es ließ sich auch weiterhin Zeit.


    Der Nachmittag war schon weit vorangeschritten, als die Wehen nun so stark kamen, das Elfleda das Bedürfnis zu Pressen verspürte. In ihrem Rücken saß Lanthilda und stützte sie, Marga war inzwischen auf den Boden gekniet und sah immer wieder nach, ob sie sich denn auch weit genug geöffnet hatte. Auch wenn Elfleda nach wie vor das Gefühl hatte, das Kind sitze noch viel zu hoch, sie brauchte nicht erst Margas Hinweis, dass sie pressen konnte, um selbiges zu tun. Auch wenn sie glaubte, nach dem ganzen Tag jetzt nicht mehr die Kraft zu haben, sie hatte sie und presste, gab dabei nur ein langgezogenes “Hrnnnnnnggggg“ von sich und hielt den Atem an, bis es nicht mehr ging und sie Luft holen musste.
    “Einmal noch“ hörte sie, ob von Marga oder Lanthilda wusste sie selber nicht so genau zu eruieren, und sie strengte sich noch einmal an. Der schlimmste Druck ebbte ab, auch wenn das befreite Gefühl wie nach Nahas Geburt seltsamerweise ausblieb, und Elfleda sackte schweißgebadet einfach zurück in Lanthildas Arme.
    Erst nach ein paar Atemzügen, in denen sie einfach nur damit beschäftigt war, sich zu erholen, merkte sie, dass etwas fehlte. Irgendwas stimmte nicht, und es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, was genau es war. Es war so still im Raum. Niemand sagte was. Und da war auch kein Geschrei. Nichts. Es war einfach nur still.
    “Marga?“ fragte Elfleda und wollte sich aufrichten, aber Lanthilda hielt sie zurück. Deren Gesicht war kreideweiß. “Marga, was ist? Warum schreit es nicht?“ Und nun kam Elfleda doch halb hoch und sah nur das blaue etwas in den Händen der älteren Frau, das so leblos und reglos dalag und keinen Mucks machte. Nicht einmal ein Zucken, gar nichts.
    Der Schock tilgte für den Moment gnädigerweise allen Schmerz. Dennoch realisierte Elfleda mit verblüffender Klarheit, dass das ihr Kind war, das da tot war. Sie sah sogar, dass es ein Junge gewesen wäre. Und sie bemerkte, dass sie weinte, auch wenn sie gar nichts dazu tat. Erst dann ließ sie sich zurückfallen und der Schmerz kam zurück, zusammen mit der Erkenntnis, dass sie Landos Sohn verloren hatte. Sie schluchzte einmal, als es einfach zuviel wurde, und wollte sich wegdrehen, als sie erneut eine Wehe verspürte, die zu stark für eine normale Nachwehe war. Das Schluchzen wurde zu einem Keuchen, als sie sich auf den Bauch fasste, der sich nun doch endlich gesenkt zu haben schien. “Irgendwas stimmt nicht“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als sie auch schon wieder nach Lanthildas Hand griff und anfing, zu pressen.

  • Laut klopfte es an der Türe Rodriks. So laut, dass er fast von seinem Lager hinauskatapultiert wurde. Vollkommen verschlafen schreckte er auf, doch die Augen konnte er im ersten Moment noch nicht öffnen. Mann, war er müde... "Wat? Was denn... grummelte Rodrik mit krächzender Stimme, während seine Augenlider sich nur Milimeter für Milimeter öffnen wollten. Gähnend streckte er sich, dann kratzte er sich schmatzend an seiner Brust. Das Fell, mit dem er sich in den Nächten zudeckte, offenbarte einen kleinen Spitz, der sich von seinen Lenden erhob, was er mit einem schmutzigen "Höhöhö." bemerkte. Mutter Natur hatte wieder zugeschlagen.


    Wieder schmatzend schlurfte er manche Augenblicke später aus seiner Kammer und trottete gemächlich in die Küche, wo er eigentlich Marga vorzufinden gedachte. Doch die war nicht da. Genauso wenig wie ein Frühstück. Aber irgendwie, er wusste selber nicht warum, überraschte ihn das nicht wirklich. Also nahm er sich einen Becher, füllte diesen mit Dickmilch an und verließ die Küche mit dem Becher in der Hand. Genussvoll schlürfte er den ersten Schluck, als er Witjon vor der Kammer von Elfi und Lando sah. Einen Schrei später erkannte er endlich die Situation. Elfi bekam wohl ihr Kind. Er trottete also zu Witjon. "Geht wohl los, hm?" Das würde ein langer Tag werden.

  • Uh, alles klar. Witjon hob nur entschuldigend seine Arme in die Höhe und zog in Unschuldsmiene die Augenbrauen hoch. "Bin schon weg," warf er in den Raum und schloss schnell die Tür hinter sich, bevor Elfleda ihn nicht nur mit Worten hinauskomplimentieren konnte, sondern diese auch noch in Landostyle mit geworfenen Schuhen oder ähnlichem unterstrich. Auf dem Flur begegnete ihm dann auch noch Rodrik. "Jep, geht los. Hört man, eh?" Er ging einfach mal davon aus, dass der Goldschmiedslehrling ebenfalls von Naha oder Albin aus dem Bett geworfen worden war. Ein herzhaftes Gähnen folgte, woraufhin er sich gen Treppe wandte. "Frühstück?" war seine Frage, als er Rodrik auf die Schulter klopfte und ihn beiläufig in entsprechende Richtung dirigierte, aus der der Junge gerade gekommen war. Keiner wollte alleine essen, auch Witjon nicht. Und heute würde ein verdammt langer Tag werden, wenn die Geburt genauso nervenaufreibend würde wie die letzte. Herrje, immer diese Blagen!

  • Noch eins. Die Worte hallten in Elfledas Geist wieder. Da kam noch eins. Noch ein Kind. Vielleicht noch ein Sohn. Vielleicht ein lebendiger Sohn. Vielleicht.
    Lanthilda stützte ihren Rücken und hielt ihre Hand. Marga hatte das tote Kind einfach auf den Boden gelegt. Später würden sie es den Göttern zurückgeben und vergraben, ohne dass es einen Namen oder ähnliches erhalten würde. Es war tot, wie so viele bei der Geburt, da gab es keine langen Trauerreden oder große Verbrennungszeremonien. Wenn die Götter ein Kind so früh holten, erhielten sie es. Trauer war unangebracht, wenngleich Elfleda wohl zwischen dem Keuchen und Pressen durchaus den Schmerz des Verlustes fühlte. Und sie presste, so gut sie noch konnte. Sie fühlte sich unendlich erschöpft, aber ihr Körper ließ noch keine Erholung zu, und die Hoffnung auf ein lebendiges Kind ließen sie wach bleiben und weiter kämpfen.
    Der Kopf kam, dann die Schultern, und schließlich war es geschafft, der Druck verschwunden und nur ein unbestimmtes Gefühl von Leere und Müdigkeit blieb. Aber noch traute Elfleda sich nicht, zurückzusinken. Sie musste es wissen, solange sie noch einigermaßen wach war. Lanthilda wollte sie zurückziehen und strich ihr eine schweißverklebte Strähne aus der Stirn, aber Elfleda wehrte sich gegen den sanften druck. “Was ist es?“ fragte sie erschöpft und noch keuchend, als auch schon ein erlösendes, kleines Quäken erschallte.
    Marga stand auf, ächzend und schimpfend, in ihren Händen ein klebriges Bündel. Die Nabelschnur stand grotesk vom Bauchnabel auf, die Beinchen zuckten, ebenso die Ärmchen. Sie wickelte das Kind in ein sauberes Tuch und wischte ihm die Reste der Geburtsflüssigkeiten aus dem Gesicht, ehe sie es Elfleda auf den Bauch legte. Instinktiv griff die Mattiakerin nach dem Kind, hielt ihm eine erschöpft zitternde Hand hin und lächelte, als die kleine Hand sich kräftig darum schloss und zupackte. Ein befreites, leises Lachen erklang, und sie ließ sich zurücksinken.
    “Es ist ein Sohn. Du hast einen Sohn geboren.“ Marga sah ein wenig grübelnd auf Elfleda herunter, deren befreites Lachen etwas lauter wurde. Ein Sohn. Sie hatte einen Sohn! Einen lebendigen Sohn!
    “Und wie hübsch er ist!“ warf Lanthilda ein und streichelte auch einmal über das Kindergesichtchen.
    “Er ist recht klein. Aber wohl normal für einen Zwilling“, warf Marga ein.
    Elfledas Lachen erstarb und sie besah sich ihren Sohn. Ja, er war etwas kleiner, als sie Naha in Erinnerung hatte, aber das mochte täuschen. Aber er hatte kräftige Lungen und einen starken Griff. “Er lebt.“ Mehr konnte Elfleda nicht sagen, mehr war gerade nicht wichtig. Er lebte, und sie würde alles in ihrer Macht stehende dafür tun, dass es so blieb.


    Die Nachgeburt kam weniger schmerzhaft und nachdem Marga sie geprüft hatte und festgestellt hatte, dass nciths zurückgeblieben war, konnten sie das Bett richten. Elfleda musste kurz mit zittrigen Beinen aufstehen und auf einen nahen Stuhl, wo sie ihren Sohn dann das erste Mal stillte. Noch während des Trinkens schlief er ein und wurde von ihr noch einmal sanft wach gemacht. Auch sie wollte schlafen, aber die erste Milch war wichtig. Er musste sie behalten, oder sein Tod war so gut wie gewiss. Elfleda wusste das.
    Während Marga und Lanthilda die Laken entfernten und einen Teil des Strohs der Matratze austauschen, blickte Elfleda auch immer wieder auf den toten Säugling. Seine Nabelschnur lag eng an seinem Körper an und war um seinen Hals gewickelt. Und er sah furchtbar blau aus. Sie versuchte, sich auf ihren lebenden Sohn zu konzentrieren und gar nicht weiter darüber nachzudenken, was geschehen war. Viel wichtiger war, dass ihr Sohn die ersten Tage überstand. Und dann die ersten Jahre. Und dann die Kindheit. Es gab so viele Gelegenheiten, jung zu sterben, da sollte sie sich um diese eine keine Gedanken machen.


    Marga und Lanthilda waren schließlich fertig und halfen Elfleda, die auf dem Stuhl schon halb eingenickt war, wieder ins Bett. Nur zu willig ließ sich Elfleda darin nieder, das Kind neben sich. Sanft und halb im Einschlafen begriffen streichelte sie über das schlafende, kleine Gesichtchen, das dem Vater wie die meisten Neugeborenen, so man es interpretieren wollte, so ähnlich sah.
    “Hast du einen Namen?“ fragte Lanthilda treuherzig.
    “Landulf... Landulf, Sohn des Lando....“, murmelte Elfleda. Und wenig später war sie auch schon eingeschlafen, während Lanthilda und Marga alle restlichen Spuren der Geburt, inklusive des toten Kindes, beseitigten. Ganz vorsichtig nahm Marga danach das kleine Kind, um es nun auch den anderen vorzustellen.

  • Die Männer saßen zusammen und aßen und tranken. Und sie würfelten und gewannen oder verloren und fluchten und frohlockten. Und sie warteten und horchten und schreckten auf, wenn der nächste fiese Fluch aus Elfledas hübschem Mund hervorbrach. Und sie warteten und tranken und warteten und entleerten ihre Blasen - gemeinsam, selbstverständlich im Weitpinkelwettbewerb - und sie tranken weiter. Witjon hielt sich halbwegs zurück, denn er wollte als Sippenoberhaupt in diesem wichtigen Augenblick nicht völlig blau sein. Es ging um Leben und Tod. Um neues Leben und um weiteren Tod. Zwischendurch legten sie eine Pause ein, eine Gebetspause. Sie stellten sich um den Küchenstich, vergossen ihr Bier auf dem Boden - zumindest so viel wie sie wieder problemlos aufwischen konnten - und Witjon sprach ein Stoßgebet an Frigg und Freya und alle göttlichen Gestalten droben in den übermenschlichen Gefilden. Und dann spielten und warteten und tranken sie weiter. Sie machten Späße und verfielen in berührende Erinnerungen. Sie dachten an Abenteuer und Gefahren und scherzten über lustige Geschichten. Die ganze Zeit begleitete sie das dumpfe Schreien, das durch die Deckenbalken zu ihnen durchdrang.
    Und dann wurde es plötzlich still.


    "Hört ihr das?" fragte Witjon in die Runde. Er erntete verwirrte Blicke und stellte fest: "Stille." Sie horchten in die Stille hinein, um sicherzugehen, dass die Geburt vorüber war. Und sie horchten gespannt darauf, ob das schrille Plärren eines Neugeborenen erklingen würde. Nichts war zu hören. Da erhob Witjon sich so hastig, dass sein Stuhl nach hinten wegkippte. Er wollte lossprinten, da hörte er erneut das schmerzerfüllte Stöhnen. Was war da nur los? Witjon setzte sich wieder und verlor eine weitere Runde im Würfelspiel, dann war plötzlich wieder Stille. "Was bei Freyas göttlichen Titten ist da oben denn los?" Fragte er in die Runde, als plötzlich das helle Schreien erklang, das sie so lange ersehnt hatten. "Endlich!" rief er erleichtert aus und diesmal stürmte er die Stufen hinauf zu Elfledas Gemach.
    Vor der Tür hielt er kurz inne und atmete tief durch. Dann öffnete er und trat ein. Er sah Elfleda, die ihr Kind im Arm hielt. Welch erleichternder Anblick. Alle Last fiel von Witjon ab in diesem Moment und er atmete tief ein und aus. Dann ging er langsam auf die zweifache Mutter zu, wobei er ein breites Lächeln zeigte wie schon lange nicht mehr. "Meinen Glückwunsch, Elfleda. Ist es ein Sohn?" Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante, um das Kind näher zu betrachten. Wahrhaft, ein prächtiges Balg hatte sie da geworfen. Er betete, dass das neue Leben die ersten Wochen und Monate überstehen würde.

  • Schon fast eingeschlafen bekam Elfleda nur am Rande mit, wie jemand hereinkam und sich zu ihr aufs Bett setzte. Marga hatte ihren Sohn schon auf den Arm genommen, und sie sah noch, dass die alte Frau dem Mann das Kind zeigte. Sie sah nur längeres, rotbraunes Haar und ein wenig Bart von der Seite und lächelte ganz leicht. “Ja, Lando...“, antwortete sie erschöpft auf die Frage. Ja, sie hatte ihrem Mann einen Sohn geboren. Einen lebenden, und einen toten. Aber nur der lebende zählte jetzt, nur der war wichtig.


    Auch Lanthilda hörte die Antwort und legte Elfleda einmal besorgt die Hand auf die Stirn. Sie fühlte, dass die Mattiakerin etwas warm war, aber nicht in besorgniserregendem Maße. Sie war nur müde und erschöpft und hatte wohl im Halbschlaf Witjon mit seinem verstorbenen Vetter verwechselt. Mitleidig schaute sie auf die jetzt schlafende junge Frau hinunter und packte noch die letzten blutigen Tücher und das eingewickelte blaue Bündel, um sie zu entfernen.
    Marga hingegen sah sowohl die schlafende Elfleda als auch Witjon etwas skeptisch an. “Da, nimm ihn mal“, verfrachtete sie den schlafenden Landulf einfach in Witjons Arme und gab ihm noch ein “Und lass ihn ja nicht fallen!“ mit dazu, ehe sie sich auch die Mattiakerin ansah. “Es waren Zwillinge“, klärte sie den neuen Anführer der Sippe knapp auf, während sie Elfleda befühlte und schließlich ein zufriedenes Grunzen hören ließ. Erst dann sah sie wieder zu Witjon und blickte ihn etwas auffordernd an. “Willst du jetzt hier sitzen bleiben oder den kleinen Kerl noch den anderen zeigen?“

  • Lando? Witjon warf der zweifachen Mutter einen kritischen Blick zu. Nach kurzem Überlegen beachtete er die Worte jedoch nicht mehr, die der schlaftrunkenen Mattiakerin entsprungen waren. Der Anblick des Kleinen machte ihn schwermütig und glücklich zugleich und er freute sich umso mehr, als er ihn halten durfte. "Ja ja," zischte er nur, als Marga ihm so argwöhnisch das Kind überreichte. Es waren Zwillinge gewesen. Kurz ruckte Witjons Kopf auf der Suche nach der Totgeburt, bevor er sich dagegen entschied, das Ungeborene überhaupt anzusehen. "Ich geh ja schon! Menschenskinder..." Plötzlich hochgescheucht machte Witjon sich vom Acker und trat schnell auf den Flur hinaus, den Bengel sanft im Arm wiegend, sofern das möglich war.


    Die Treppenstufen knarzten fürchterlich und schließlich folgte das dumpfe Patschen von Ledersohlen auf dem Steinboden des Atriums. Dort wartete schon der Rest der duccischen Bande. Den Vettern und Basen, die gerade zugegen waren, präsentierte Witjon das Kleinkind. In diesem Moment war er so stolz, als wäre er selbst der Vater. "Es ist ein Junge!" erklärte er fröhlich. Strahlend zeigte er das Kind herum. "Er heißt..." Puh, wie hieß das Balg denn überhaupt? In dem Moment huschte Lanthilda vorbei und warf ein fröhliches 'Landulf!' in den Raum. "Landulf! Er heißt Landulf, Sohn des Lando!" Er grinste in die Runde. "Lasst uns feiern!" Und vor Schreck quäkte der Hosenmatz lauthals.

  • Sönke trat gerade mit der kleinen Naha auf seinen Schultern durch die große Tür zum Garten, als Witjon mit einem Bündel im Arm die Treppe hinuntergestapft kam. Seine Miene deutete auf gutes hin, auch wenn Sönke ob der Worte Nahas ein gewisses Gefühl der Beklemmung beim Anblick des neuen Ober-Duccius verspürte.


    Stumm hörte er die Verkündung des Namens des Nachwuchses, und nur halbherzig fiel er in den Jubel ein, der im Atrium aufbrandete.
    "Na schau...", rief er zu Naha hinauf, "..du hast ein Brüderchen bekommen. Herzlichen Glückwunsch, das ist ein gutes Zeichen, die Nornen sind euch anscheinend wohlgesonnen!"

  • Landulf wurde herumgereicht und bestaunt, während Phelan und Rodrik alberne Grimassen schnitten und den Kleinen zum Lachen bringen wollten. Es war eine ausgelassene Stimmung und die Duccii freuten sich. Witjon gab den Jungen bald an Lanthilda ab, die nun darauf achtete, dass die durchgeknallte Männerschaft der Casa das Kind nicht gleich vor Albernheit umbrachte. Da bemerkte er einen jungen Mann im Raum, der definitiv kein Duccier und auch niemand aus der näheren Umgebung der Casa war. Irgendwoher kannte er jedoch das Gesicht. Richtig, das war Hartwigs Sohn. Einer der Männer, die die Felder seiner Sippe bewirtschafteten. Wie war gleich sein Name? Sirko...Sigurt...Suntja..."Sönke!"
    Witjon näherte sich dem jungen Mann, reichte ihm die Hand zum Gruß. "Was treibt dich in dieser frohen Stunde in die Casa?" Im Hintergrund machte Rodrik gerade Furzartige Geräusche mithilfe von Landulfs Bauchspeck. Lanthilda keifte den Duccius erschreckt an, dass er das Kind fast hätte fallen lassen, was Witjon mit einem kritischen Seitenblick quittierte, jedoch ansonsten nicht weiter beachtete.

  • Wie Kinder nunmal waren, fing Naha bald an zu zappeln, um das Neugeborene in Augenschein nehmen zu können. Sönke setzte die kleine Dame alsbald ab, und mit einem Satz war sie in der Menge verschwunden, immer demjenigen hinterhereifernd, der gerade ihren kleinen Bruder trug.


    "Eh.. was?", erschreckte Sönke sich erst einmal, als jemand seinen Namen rief. Schon fast automatisch ergriff er die ihm entgegengestreckte Hand samt Unterarm, und begriff erst dann, dass es Witjon war, der ihn grüßte.


    "Achso.. na... ich... eh... ich war im Garten, und habe Naha davor bewahrt sich den Hals zu brechen. Mal wieder... und... eigentlich... Glückwünsche, Witjon! Glückwünsche! Ein Sohn ist ein gutes Zeichen!", verhaspelte er sich erst, um mit einem Ruck dann doch mit dem eigentlichen Grund heraus zu rücken, "Ich wollte mit dir sprechen. Über meine Zukunft."

  • "Dankesehr. Die Götter sind uns heute wohlgesonnen. Du hast Naha gerettet? Dann bin ich dir umso mehr zu Dank verpflichtet." Ein flüchtiges Grinsen huschte über Witjons Miene. Sönke wirkte nicht gerade selbstbewusst. Womöglich war es der ganze Trubel, der hier herrschte? Witjon entschied, dass man unter diesen Umständen kein vernünftiges Gespräch führen konnte und erklärte deshalb: "Über deine Zukunft? Komm, im Arbeitszimmer lässt's sich besser reden." Ohne Umschweife wies er in Richtung Atrium, von wo aus sie zum Arbeitszimmer gingen. Im Vorbeigehen ermahnte er noch einmal die ausgelassenen Feiernden, doch als er sah, dass Landulf mittlerweile in die Sicherheit von Margas Armen zurückgekehrt war, beließ er es bei einem glücklichen, überbreiten Lächeln.

  • Mehrere Tage schon wollte er es tun, doch es kam immer irgendwas dazwischen. Mal war so viel Arbeit zu tun, mal brüllte das Kleinkind, mal war Elfleda schlecht drauf und dann traute Rodrik sich einfach nicht. Wenn Frauen schlecht drauf waren, war man als Mann lieber ganz wo anders, das hatte er schon bei seiner Mutter gemerkt.


    Aber an diesem Abend nahm er sich ein Herz und klopfte an. "Elfi? Biste da?"

  • Ruhe. Unendlich süße Ruhe. Landulf schlief, Naha war mit ihren Freunden draußen am Spielen, für das Essen war alles bereitet, die Ernte war so gut wie eingefahren und es gab nichts, was dringend ihrer Aufmerksamkeit bedurft hätte. Einfach. Nur. Ruhe.
    Elfleda saß in dem Stuhl im Zimmer, eine Decke mehr aus Behaglichkeitsgründen denn aus Kälte. Noch war es angenehm, wenn es auch zunehmend frischer wurde. Und sie sah aus dem Fenster, ließ einen Moment einfach die Gedanken schweifen, ohne wirklich aktiv darauf zu achten, wohin sie denn schweiften.
    Es klopfte und Rodrik fragte nach ihr. Ein letzter Blick in die herbstlich goldene Gegend und Elfleda stand auf, legte die Decke auf den Stuhl. “Ja, komm rein. Was gibt es denn, Rodrik?“ So ohne Decke war es dann doch mit einem Mal etwas frisch, aber nur ein Kind würde darüber jammern.

  • Natürlich war sie da, Rodrik hatte das gewusst. Also nicht mit absoluter Sicherheit, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Doch jetzt, wo er nun die letzte Gewissheit hatte (selbst er ging in diesem Moment nicht von Paralleluniversen und schwarzen Löchern aus oder von Doppelgängern und dergleichen, obwohl in seinem Kopf solche Gedanken nicht unwahrscheinlich wären), verliess ihn fast der Mut. "Was für ein Blödsinn... Geh rein!" schalt er sich selbst in Gedanken, denn es war ja nun wirklich lächerlich, so zaudernd zu sein, das wusste er sogar selbst.


    Also kam er in ihr Zimmer, nicht forsch, sondern - trotz seiner Überlegungen - zaghaft, wie es seine Art war. Eigentlich steckte er nur seinen Kopf hinein. "Ähm... Heilsa. Du... äh... störe ich?" fragte er mit einem schüchternen und schiefen Grinsen.

  • Irgendwannmal musste Elfleda ihm eins übergebraten haben. Also, so richtig, nicht nur die verschiedentlichen leichten Schläge auf den Hinterkopf, die jeder der Männer hier ab und an erhielt, damit sein Denkvermögen sich steigerte. Elfleda erinnerte sich nur nicht, wann das gewesen sein mochte, aber Rodrik sah sie immer an, als wäre sie eine ausgewachsene Bärin und er ein Kaninchen, das auf dem Speiseplan stand. Vielleicht einmal früher noch als Kinder... vielleicht hatte sie ihm bei einem Thing mal eine reingehauen... sie wusste es nicht. Sie beobachtete nur fasziniert, dass dieser Bursche ihr mit noch mehr Respekt gegenübertrat als die restliche Männerschaft des Hauses.
    “Nein, ich habe grade Zeit. Du störst nicht.“ Was er wollte, hatte er aber nicht gesagt, obwohl sie ihn schon danach gefragt hatte. Elfleda beschloss, mal ein wenig lieb zu tun, um es aus ihm herauszukitzeln. Im Moment war sie ganz entspannt, da konnte sie das auch einfach mal so sein, ohne etwas bestimmtes zu wollen. “Und was führt dich zu mir?“ fragte sie also mit scheinbar unbekümmerter Leichtigkeit.

  • Puh, die erste Hürde war geschafft. Rodrik schob sich selbst in ihr Zimmer und schloss die Tür. Dann ging er die paar Schritte zu Elfleda hin.


    "Nuja, also..." In seiner rechten Hand hielt er etwas noch verborgen. "Eigentlich wollte ich dir das hier geben." Rodrik öffnete seine Hand und hielt es ihr hin. Es war eine goldene Brosche. "Ich habe das zum Abschluss meiner Ausbildung angefertigt." erklärte er. "Sieh mal, ich habe auch etwas eingraviert. Da oben ein kleines Kind und hier unten sind Wasserwellen." Sichtlich stolz war er auf seine Arbeit. "Es ist nicht perfekt." fügte er entschuldigend hinzu. "Aber weisst du, als das im Garten passierte musste ich es einfach als Vorlage verwenden."

  • “Rodrik, das ist wunderschön!“ Ihre Stimme nahm eine gänzlich unbekannte Tonlage an. Elfleda war freudig überrascht. Das war selten. Aber es kam schon dann und wann mal vor, zu seltenen ausgesuchten Anlässen wie dem, wenn sie eine goldene Brosche geschenkt bekam. Einfach so. Es war doch einfach so, oder? Sie sah ganz kurz leicht skeptisch zu Rodrik auf, verwarf den Gedanken dann aber gleich wieder. Ihm fehlte der Sinn für Verschlagenheit, um ihr so ein Geschenk aus Kalkül zu machen.
    Sie nahm also die Brosche und fuhr mit den Fingern über die Wellen und das kleine Kind. Sie erinnerte sich noch an den Tag, Naha war noch so klein, dass sie nichtmal richtig laufen konnte. Es kam ihr so unendlich lange her vor. Ganz kurz ertappte sich Elfleda bei einem sehr sentimentalen Moment, während sie etwas traurig vor sich hinlächelte, ehe sie sich wieder fing und zusammen riss. Es nützte nichts, in Erinnerungen zu schwelgen. So bekam Rodrik nur ein hocherfreutes Lächeln. “Eine wirklich sehr schöne Arbeit. Ich danke dir.“ Jetzt war ihre Stimme wieder normal, zwar immernoch viel freundlicher als gewöhnlich, aber frei von diesem erstaunten Jauchzen.

  • Rodrik musste innerlich zugeben, dass er kurz die Befürchtung hatte, Elfleda würde sich nicht mehr an die Geschichte im Garten erinnern. Aber so wie sie über die Gravur strich, war er sich sicher, dass sie genau wusste, wovon er sprach.


    "Schön, dass es dir gefällt." Etwas verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Und da war sie wieder dahin, der seltene Moment der Selbstsicherheit. "Öhm... nuja... das wars eigentlich schon. Äh... ja... wir sehen uns... denke ich." Wie eigentlich verliess man einen Raum, ohne sich wie ein kompletter Idiot zu verhalten?

  • Anscheinend war das wirklich alles gewesen, was er gewollt hatte. Elfleda sah ihn kurz einmal fragend an, als er auch schon wieder flüchten wollte. Sie kam sich kurz so vor wie vor etlichen Jahren, wenn sie mit ihren Cousinen im Pulk dagestanden war und dann und wann ein Junge vorbeigekommen war, der mit hochrotem Kopf einem der Mädchen etwas geschenkt hatte, ehe er panikartig geflüchtet war. Woraufhin die ganze Mädchenbande in helles Lachen ausgebrochen war. Wobei der ein oder andere auch mal einen Kuss bekommen hatte, bevor er geflüchtet war... Aber das war albern in diesem Zusammenhang.
    Elfleda beschloss, die Situation zu nutzen, wenn sie Rodrik schon einmal ganz allein erwischte und er nicht so wirklich flüchten konnte. Immerhin hatte er sie gefragt, ob sie Zeit hatte, was implizierte, dass er welche hatte. “Bleib doch noch einen Moment. Ich weiß gar nicht, ob ich dich schon gefragt habe, wie es dir in der Schmiede denn gefällt? Jetzt, wo sie deine ist?“ Naja, auf dem Papier.

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