Elfledas und Landos Zimmer

  • Duccia Elva



    Es war etwas, das Elfleda so noch nicht gesehen hatte. Als sie zu der Hütte der Familie von Notker und seiner Familie kam, war es eigentlich ein ganz gewöhnlicher Gang gewesen. Drei der Kinder waren krank, die Familie stand unter der Munt ihrer Familie, und Elfleda war Heilerin. Natürlich war sie gekommen, um Notkers Frau zu helfen, möglichst viele der Kinder gesund zu bekommen.
    Sie hatten allesamt Fieber, was Elfleda mit kalten Umschlägen aus Essigwasser herunterkühlte, und eine seltsame Art von juckendem Ausschlag an ihrem Oberkörper. Die Germanin hatte das so noch nie gesehen, aber abgesehen von Müdigkeit und Schlaffheit aufgrund des Fiebers und einem wohl beständigem Juckreiz ging es den Kindern soweit ganz gut. Die Mutter schien sogar Elfledas Anwesenheit irgendwie unangenehm zu sein, eben weil es nicht gar so weltbewegend war. Anscheinend litten einige Kinder an diesem juckenden Ausschlag, und ihre drei Kleinsten hatten sich beim Spielen mit den Kindern der römischen Soldaten angesteckt. Vermutlich war es irgend eine Krankheit, die von den Legionen hergeschleppt worden war, die die kleinen Körper zu befallen schien und ihnen etwas Kraft nahm. Abgesehen von ein paar schweren Fällen von hohem Fieber, das vor allem bei sehr kleinen Kindern zum Tod führte, hielt sich das alles wohl aber in Grenzen.
    Mit einem Umschlag aus Haferkleie und Schafgarbe gegen die roten Pusteln und einigen guten Ratschlägen ließ Elfleda also die Familie in bestem Wissen zurück und verbrannte noch ein wenig Schwefel, um schlechte Luft um sie herum abzutöten und so ihre Gesundheit zu bewahren.



    Eine Woche später allerdings fühlte auch sie sich müde und schwindelig und musste sich hinlegen. Etwa zur selben Zeit wurde auch Notkers Frau schwer krank, und ein paar andere Frauen. Auch einige Väter von kranken Kindern hatten Fieber, so dass schließlich von Stadtseite beschlossen wurde, dass alle Kranken zuhause zu bleiben hatten, ehe sich noch mehr Leute ansteckten.
    Eigentlich sah Elfleda diese Maßnahme ja ein, aber uneigentlich protestierte sie dennoch lautstark dagegen, hier als mächtigste Frau der Stadt in ihrem eigenen Haus eingesperrt zu sein. Dennoch hielt sie sich daran, und mehr noch: Sie blieb in ihrem Zimmer und ließ auch niemanden zu sich kommen. Nur Lanthilda durfte immer wieder kommen um ihr Nachrichten oder Essen zu bringen (und den Nachttopf zum leeren mitzunehmen). Und es war wohl die klügste Entscheidung, die Elfleda noch im wachen Zustand getroffen hatte.


    Zwei Tage später hatte auch Elfleda Ausschlag an Oberkörper, Hals, Armen und Beinen. Kleine, rote Pusteln, die eiterten und juckten wie tausend Ameisen auf der Haut. Damit sie sich nicht wund kratzte, schnitt Lanthilda ihr die Fingernägel, und als das nichts nützte, bandagierte sie ihr die Hände, um sie am Kratzen zu hindern. Einspruch erheben konnte Elfleda dagegen kaum. Ihr Fieber war beständig weiter gestiegen und wurde nur durch die Wadenwickel einigermaßen in Schach gehalten. Dennoch verfiel sie zunehmend in ein Delirium, brabbelte nur immer wieder davon, wie kalt ihr sei, und das, obwohl ihr Körper nicht nur glühte, sondern zerfloss. Immer wieder wollte sie aufstehen, um sich noch eine Decke zu holen, oder um das Zimmer zu verlassen und Witjon zu befehlen, endlich den Kamin einzuheizen, damit es hier im Haus nicht so elendiglich kalt wäre. Lanthilda hielt sie nur mit mühe davon ab, und es grenzte wohl an ein Wunder, dass die Germanin sich bei ihrer Pflege von Elfleda nicht ansteckte. Sicherheitshalber schlief sie schon nicht zuhause oder bei anderen, sondern im Stall bei den Pferden.


    Es ging mehrere Tage so. Die Kinder waren inzwischen alle wieder putzmunter. Fast schien es, als würde ihnen die Krankheit nicht halb so schlimm zusetzen wie den Erwachsenen. Von diesen hatten die ersten die Krankheit auch schon überstanden, aber längst nicht alle. Ein Mann war am Fieber gestorben bisher.
    In ihren wacheren Momenten, in denen das Fieber zurückgeträngt war und sie sich ein paar Löffel Suppe hinunterzwängte, gab Elfleda Anweisungen. Lanthilda wurde als Botin missbraucht, um auch alles weiterzugeben, und meldete auch brav die Bestände von eingelagertem Korn und gesalzenem Fleisch zurück an Elfleda. Besuchen ließ sich die Hausherrin nicht, weder von Witjon, noch von Landulf. Erst recht nicht von Landulf, den sie keineswegs anstecken wollte. Zweimal kam er an ihre Tür, und beide Male hatte sie die Kraft, ihn durch die Tür hindurch anzufahren, dass er nicht so dumm sein solle und sich anstecken solle. Und beide Male schickte sie ihn mit einem “Ich hab dich lieb“ wieder weg.


    Es schien schon fast, dass diese seltsame Krankheit die Mattiakerin nicht in die Knie zwingen würde. Sie hatte mehrere dieser wachen Momente, und sie aß auch und verstand größtenteils. Aber dann, in einer Nacht, stieg das Fieber wieder heftig an. Lanthilda versuchte es mit kühlenden Wickeln und wusch der Germanin den kalten Schweiß vom ganzen Körper. Überall waren diese kleinen roten Punkte, vor allem im Brustbereich. Es war unheimlich.
    Erst zitterte Elfleda nur heftig aufgrund der eingebildeten Kälte, dann versuchte sie etwas zu sagen. Es schien ihr wichtig zu sein, denn sie hielt Lanthilda am Arm fest und sah sie eindringlich an. Aber als sie sprach, hatten ihre Worte keine Stimme, und was immer es war, Lanthilda verstand es nicht. Sie fragte noch nach, was denn sei.


    Aber der Griff erschlaffte, ganz langsam, und Elfledas fiebrige Augen verloren ihren glasigen Glanz.


    Und das weitere, was man hörte, war nur das laute Schluchzen der Dienerin über den Tod ihrer Herrin.

  • Es war eine Tragödie.


    Witjon hatte mit Elfleda gelitten, wie vermutlich jedes Familienmitglied hier auch. Die Krankheit hatte nur wenige Tage angedauert, doch diese Tage waren die reinste Hölle gewesen. Nicht nur, dass es von Tag zu Tag schlimmer um die Hausherrin stand. Nein, sie durfte sie nicht einmal besuchen und ihr Mut machen, ihr in der Not beistehen. Witjon hatte erst versucht einen normalen Tagesablauf zu bewahren, doch nach dem vierten Krankheitstag war er nicht mehr in der Lage länger als zwei oder drei Stunden in der Curia bei seinen Amtsgeschäften zu verweilen. Jedes Mal, wenn er die Casa Duccia betrat, verlangte er angstgepeinigt nach Neuigkeiten in der Hoffnung, dass Besserung in Sicht sei. Mal hieß es, die Krankheit lasse ein wenig nach, mal schien es völlig aussichtslos.


    Witjon konnte nicht schlafen. Nach drei Tagen hatte er bereits grauenvolle Augenringe und nickte tagsüber immer häufiger irgendwo ein, wenn er sich im Kaminzimmer niedergelassen hatte, oder wenn er antriebslos auf seinem Bett herumhockte. Er erwischte sich immer wieder beim Gedanken was er wohl täte, wenn Elfleda das Fieber nicht überstehen sollte. In diesen Tagen war er unglaublich glücklich, dass er Audaod hatte. Sein Sohn spendete ihm Trost allein durch seine Anwesenheit. Auch Audaod war besorgt und ängstlich. Er fragte ständig was jetzt aus Elfleda werden würde, ob sie nicht bald wieder gesund würde. Witjon konnte darauf keine Antwort geben, so gern er das auch getan hätte. Auch Landulf versuchte Witjon so gut es ging zu beruhigen, doch das war so gut wie unmöglich. Der Junge schlich um Elfledas Zimmer herum wie ein hungernder Wolf. So wie ein Wolf nach Fleisch hungerte, so hungerte Landulf nach der Liebe seiner Mutter, doch die konnte und wollte sie ihm in diesen Tagen nicht geben, sofern es nicht durch die geschlossene Tür hindurch geschah. Im ganzen Haushalt herrschte eine bedrückte Stimmung und das Herbstwetter, das nur allzu deutlich seine Meinung in Form von kühlen Winden und Regenschauern offenbarte, tat sein Übriges.


    Und dann kam alles so wie Witjon befürchtet hatte.


    Witjon lag wach in seinem Bett. Die Stille der Nacht wurde nur vom unregelmäßigen Schnarchen seines Sohnes gestört. Vor dem Fenster meinte er den Ruf einer Eule hören zu können. Doch da war noch etwas. Ein auf- und abbebbendes Geräusch, das nicht tierisch sein konnte. Witjon setzte sich auf und lauschte angestrengt in die Dunkelheit hinein. War das...ein Schluchzen? Mit einem Mal war Witjon von Panik erfüllt. Er rollte sich aus dem Bett und streifte sich schnell Hose und Hemd über. Audaod schlief zum Glück noch seelenruhig weiter. Mit großen Schritten erreichte Witjon dann Elfledas Zimmer. Witjon blieb abrupt stehen. Hinter der verschlossenen Tür schluchzte jemand aufs Jämmerlichste. Die Angst lähmte ihn, machte ihn unfähig zum Handeln. War Elfleda...


    Witjon öffnete die Tür und erblickte eine alptraumhafte Szenerie. Lanthilda hockte zusammengesunken vor dem Bett der Hausherrin und weinte bitterlich. Die entsetzliche Erkenntnis traf Witjon wie ein Faustschlag ins Gesicht. Elfleda war tot. Wie im Traum taumelte er langsam auf das Bett zu, in dem eine vom Fieber entstellte Elfleda lag. Das bleiche Gesicht offenbarte wie eh und je ihre Schönheit, doch wirkten die leblosen Gesichtszüge mit den geschlossenen Augen jetzt kalt und schrecklich fremd. Witjon wurde ganz schwach. Seine Knie wurden weich, er sank zu Boden. Sei stark, stark wie Lando. Stark wie dein Vater. Stark, für die Sippe! schoss es ihm durch den Kopf, doch eine hässliche Stimme schrie dagegen an. Es war alles aus. Vorbei. Witjon war allein, ganz allein auf dieser Welt. Sie hatten ihn alle allein gelassen. Sein Vater war gestorben, sein Bruder trieb sich irgendwo in Rom herum. Lando war tot, Irminar verschwunden. Eila hatte sich aus dem Staub gemacht und Phelan hatte ihn ebenfalls im Stich gelassen. Alrik war sowieso nicht lange da gewesen, er war nur eine finanzielle Belastung und Ragin hatte außerhalb Mogontiacums sein Glück gefunden. Zu viele seiner Vettern und Basen waren im Kampf gefallen oder von Krankheit dahingerafft worden wie Sigmar, Gero oder Dagny. Dann hatten die Nornen ihm auch noch Callista, sein wundervolles Weib, genommen und jetzt war Elfleda gestorben. Witjon fühlte sich plötzlich unfassbar einsam. Still hockte er da, bemerkte nicht wie Tränen über seine Wangen liefen, spürte nicht seine schmerzenden Glieder, fühlte nicht die kühle Nachtluft auf seiner Haut. Er war fassungslos, hilflos, handlungsunfähig.


    Elfleda war tot und Witjon wusste nicht, was er tun sollte.

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