Zeitlich nach dem Pentathlon und vor den noch folgenden anderen gymnischen Disziplinen.
Das Odeion* war dem Anlaß entsprechend herausgeputzt. Wobei im Gegensatz zur Palästra die Dekoration zurückhaltender war, um die akustischen Eigenschaften des Raumes nicht zu schmälern.
In der ersten Reihe waren Klappstühle aus Ebenholz aufgestellt, die für die Ehrengäste - wie den Statthalter und den Legionspräfekten-, für die Vertreter der Polis und für das Preisrichterkollegium reserviert waren. Dahinter war eine zweite Reihe, für die Vertreter anderer Poleis, sofern die Athleten nach dem anstrengenden Pentathlon noch Lust hatten, den Darbietungen der Dichter beizuwohnen. Alle anderen Zuschauer mussten mit steinernen Sitzreihen vorlieb nehmen, die von der Orchestra stufenförmig aufstiegen. Am Eingang verteilten Staatssklaven Sitzkissen.
Der Gymnasiarch saß nahe des Statthalters und dessen Gefolge und nahe der Preisrichter. Dessen Vorsitzender, ein bärtiger, alter Mann mit unangenehm hoher Stimme, verteilte aufgeregt an seine Kollegen Griffel und Wachstafeln, behauptete ernsthaft, die Musen selbst seien letzte Nacht auf sein Lager gekrochen und hätten ihm ins Ohr geflüstert, wie die Bewertung mit Sicherheit objektiv wäre - leider sei er nicht der einzige Preisrichter, hoffe jedoch auf die Vernunft der anderen. Er behauptete auch, er nähe aus Mitleid mit den anderen Poeten nicht selbst teil. Im zarten Alter von drei Jahren sei er Gespiele der Musenschwestern geworden und daran habe sich bis zu diesem Tag nichts geändert.
Nikolaos konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Philomenes, das war der Name des Vorsitzenden, war in der Polis bekannt mit seinen dichterischen Ergüssen, die er bei jeder Gelegenheit jedem aufzwang. Glücklicherweise war Philomenes geizig, sodass er selten Gastmähler veranstaltete, bei denen er stundenlang Epen über die Geschichte Alexandreias und seiner eigenen, nach eigenem Bekunden ruhmreichen Sippe vortragen konnte, ohne müde zu werden.
*Ich weiß leider nicht, ob es wirklich in Alexandria ein Odeion gab, geschweige denn, in welcher Gegend es stand. Aber ich vermute, dass eine so große Stadt dieses Gebäude sehr wahrscheinlich hatte. Schließlich gehörten Odeia wohl seit dem Hellenismus zum Stadtbild.