Arbeitszimmer MFG | Die Kunst das Spiel zu spielen

  • Wie eine Ente im Senat fühlte sich Gracchus, wie eine Pflaume zwischen Oliven, wie ein Schuh auf dem Hausaltar - völlig fehl am Platze in seinem Arbeitszimmer, völlig überflüssig und nutzlos. Es gab nichts zu arbeiten für ihn, nichts zu tun, gab keine Tätigkeit, welche er war im Stande zu verrichten oder aber in der Pflicht. Das Leben in Rom hatte seinen Lauf genommen auch ohne ihn, seine Familie hatte ihren Alltag, welcher auch ohne ihn ging vonstatten, alle Notwendigkeiten waren erledigt worden auch ohne hin - und so geschah dies alles noch immer, auch mit ihm. War noch in Achaia die Ruhe, die Tatenlosigkeit ihm nicht allzu beschwerlich erschienen, so ließ in Rom sie ihn nervös werden, und er konnte in sich das Brodeln der wütigen Lava spüren, welches früher oder später sich seinen Weg würde emporbrennen, durch seine Adern hindurch und zum Ausbruch des Vulkanes führen, welcher in unbotmäßigen Eifer ihn sich würde stürzen lassen, nur um hernach geschlagen festzustellen, dass Eifer jenseits der Grenzen seines Leibes lag. Mit einem tiefen Atemzug legte er den Griffel hinfort, mit welchem er vor sich auf einer Wachstafel hatte herumgekritzelt, und beobachtete das Ergebnis der halb unbewussten Aktion - mehrere, große Ms in geschwungenem Stil, mit Links geritzt kaum halb so makellos wie früher, ganz zu schweigen von der Vollkommenheit der Ms seines Vetters Marcus. Ob jener bereits in Baiae Rom hatte vergessen, im Wein war versunken? Sorgsam begann Gracchus, die Führungslinie eines der Buchstaben nachzuziehen, als er mit einem Male inne hielt und empor blickte.
    "Sciurus?"
    "Ja, Herr?"
    "Aristides erwähnte in seinem Brief diesen Sklaven ... Kallias, ... Castor, ... Kassander?"
    "Cassim, Herr."
    "Ja, richtig ... Cassim ... lebt er no'h?"
    Dass sein Vetter den Sklaven in seine Obhut hatte überlassen, musste nicht allzu viel bedeuten, schlussendlich floss in Aristides das flavische Blut, und legte er nur halb so viel Eifer in der Zucht und Züchtigung seines Haushaltes an den Tag wie sein Bruder Felix, so schien zweifelhaft, dass der Sklave seine Wunden würde überlebt haben. Sciurus indes nickte, wie stets war er über alle Vorgänge im Haushalt seines Herrn bestens unterrichtet. "Ja, Herr, er verrichtet niedere Arbeiten im Stall."
    "Im Stall? Ich möchte ihn sehen."
    Sciurus unterdrückte das Aufkommen eines erstaunten Blickes, hatte sein Herr bisherig sich doch noch nie sonderlich um seine Sklaven gekümmert, abgesehen von jenen, welche besonders nahe ihm standen oder kamen. "Es besteht keine Veranlassung hierzu, Herr. Der Maiordomus Ali hat den Haushalt in meiner Abwesenheit bestens verwaltet und den Sklaven dort eingeteilt, wo er am meisten Nutzen und keinen Schaden bringt."
    "Ich mö'hte ihn sehen, Sciurus. Jetzt."
    Gracchus konnte nicht sich daran erinnern, ob er bereits einmal besondere Aufmerksamkeit auf den Sklaven hatte gelegt, wusste jedoch, dass Aristides große Stücke auf ihn hatte gehalten, vorwiegend vermutlich da er ihn selbst hatte eingefangen, da es kein barbarischer Bauer war gewesen, sondern ein Krieger aus den parthischen Reihen, welchen durchaus ein gewisses Maß an Kultur zuzugestehen war. Zudem war der Sklave mit besonderem Argwohn zu betrachten, hatte er doch nicht nur gewagt, gegen seinen Herrn aufzubegehren, sondern auch noch dessen Familie - seine Familie - zu Schaden gebracht - schlussendlich hatte jenes Ereignis Epicharis, wie auch Marcus selbst derart derangiert, dass sie Rom waren entflohen. "Ja, Herr", antwortete Sciurus ohne weiteres Zögern und verließ den Raum, um den Sklaven persönlich zu holen.

  • Cassim betrat das Arbeitszimmer. Sein erster Blick fiel auf einen Mann mittleren Alters, vielleicht etwas jünger als Aristides es gewesen war, aber älter als er selbst, der an einem massigen Schreibtisch saß und sich über einer Wachstafel dem Schreiben hingab. Von ihm aus wanderten seine Augen weiter über die Einrichtung des Zimmers, die der übrigen Ausstattung der Villa wohl in nichts nachstand aber letztendlich dieses Zimmer doch zu dem machte, was es war, ein Arbeitszimmer.
    Sein Blick fand wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück, auf den am Schreibtisch sitzenden Mann, in dem er den Flavier erkannte, der von nun an sein neuer Herr sein sollte.
    Das Wenige, was er von Flavius Gracchus bisher wusste, trug nicht sonderlich viel dazu bei, Ehrerbietung oder Respekt ihm gegenüber zu entwickeln. Eher war es ein Gefühl der Bemitleidung gegenüber einem Schwachen und Hilflosen. Cassim hatte in ihm bislang nur den gebrechlichen Mann gesehen, der nicht einmal in der Lage war, in klaren Worten zu kommunizieren. Inwieweit Gracchus hilflos und schwach war, musste sich erst noch erweisen. Denn was, wenn ihn wohl der Schein trügen mochte und hinter der Maske des scheinbar fragilen Individuums verbarg sich ein rücksichtsloser Despot?


    In Anbetracht der Ereignisse, die das Scheitern seiner Flucht mit sich gebracht hatten, war dem Parther einiges an seinem früheren Schneid verloren gegangen. Nach Hannibals Tod hatte er sich der Desillusion hingegeben, was zur Folge hatte, dass er der Realität ins Auge blicken musste und erkannte, was er von nun an war. Die Tage des glanzvollen jungen parthischen Adligen, der aufrechten Hauptes in den Krieg gezogen war, um mit Ehre und Ruhm wieder nach Hause zurück zu kehren, waren spätestens in Ravenna endgültig verlustig gegangen. Was von ihm geblieben war, war ein Sklave, der zufällig den gleichen Namen trug und der im Grunde für seine Tätigkeit im Stall mehr als überqualifiziert war. Jedoch dieser Aspekt schien niemanden groß zu stören.
    Da offenkundig sein Erscheinen allein nicht die nötige Aufmerksamkeit erregt hatte, versuchte es Cassim auf verbalem Weg, indem er den Flavier ansprach, vermied es jedoch in irgendeiner Weise unverschämt oder aufdringlich zu wirken.
    "Du hast nach mir rufen lassen, Herr?" Selbst dieses klitzekleine Wörtchen Herr ging ihm ganz leicht über die Zunge. Noch vor Monaten hätte er sich strikt geweigert, einen Römer als Herrn zu tituliern. Wie sich die Zeiten doch änderten!

  • Aus der geschwungenen Linie des M war derweil eine Sigille geworden, welche den gesamten Manius in sich fasste, dabei ohne scharfe Linien, ohne rechte Kontur, ein wenig brüchig, ein wenig diffus, zu wenig, um deutliche Stärke zu zeigen, zu viel, um übersehen zu werden, ein unsicheres Gebilde, welches sich suchte selbst zu gestalten, doch für keine Richtung sich konnte entscheiden, welches aus sich selbst heraus nur Fragen hinterließ. Tief versunken war Gracchus in diese Gestalt auf der Tabula, dass er die Sklaven nicht bemerkte, sich derer erst wurde gewahr, als sein neuer Sklave zu sprechen ansetzte. Nun, da er den Blick hob, die Gestalt im Raume zu mustern, drang auch der ungustiöse Odeur in seine Nase, nach Pferdemist, Schweiß und körperlich anstrengender Arbeit - eine Welt, welche ihm so fern war wie der Mond der Erde. Doch selbst dieser Geruch, gleichsam der Anblick des schäbigen Gewandes wie der ungepflegten Gestalt, konnte nicht verbergen, was unter der Hülle aus Dreck sich dem ersten Blicke entzog, dass Gracchus' Schultern sich aufrichteten, sein Kopf sich hob, ein wenig schief legte, und ein kühles Kribbeln den Rücken ihm hinab lief, eisigen Wassertropfen über sein Rückgrat gleich. Er war schön, dieser Cassim, schön aus sich selbst heraus, dass es nichts bedurfte als ihn selbst, dass nichts dies konnte überdecken, und in dem Augenblicke da er ihn sah, da er ihn wirklich sah, wusste Gracchus, dass er ihn wollte besitzen, musste gleichsam sich dessen erinnern, dass keinen Anlass es gab, ob dessen nervös zu werden, da der Sklave ihm bereits gehörte, da niemand dies Recht ihm würde streitig machen - vorerst zumindest. Er hatte nicht nachvollziehen können, weshalb Aristides diese Mühe sich mit einem gefangenen Parther hatte gemacht, ihn statt als Arbeitssklaven auf eines der Landgüter zu senden im Haus hatte aufgenommen, doch selbst seinem Vetter, dessen ästhetischer Sinn nicht gar so ausgeprägt war, zumeist vorwiegend nach exotischen Frauen strebte, war augenscheinlich die Erlesenheit seines Fanges nicht entgangen. Hin und hergerissen war Gracchus ob dessen nun, im Angesichte dieses Klenodiums, im Gedenken an dessen schwerwiegenden Fehltritt und die Konsequenzen daraus, mahnte sich selbst im Stillen, nicht dem äußeren Schein zu verfallen, nicht das Schaffell sich fügsam zu machen und darüber den darin verborgenen Wolf zu vergessen.
    "Cassim - ist dies dein par..thischer Name? Komme näher und beuge di'h herab, dass ich dein ... Mal sehen kann."
    Die Brandmarkung war unausweichlich gewesen, kennzeichnete sie doch den Sklaven als einen solchen, welcher eine Flucht hatte gewagt, daher nun stets gezeichnet, um seinen Besitzer im neuerlichen Fall leichter ermitteln zu können. Dennoch gab es auch hierbei Unterschiede, konnte ein solches Mal doch unter Kleidung verborgen werden an Hüfte oder Schulter, für eine gewählte Zeit sichtbar sich zeigen, etwa am Halsansatz unter einem kahl rasierten Schädel, oder aber für alle Zeiten deutlich, etwa auf der Stirn - was bei Cassim augenscheinlich jedoch erfreulicherweise nicht war der Fall.

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  • Cassims Worte hatten sein Ziel erreicht. Hellwach waren seine Sinne, die jede kleinste Regung des Flaviers erfasstend, der nun aufsah, den Parther erblickte und seine ganze Körperhaltung von der entspannt versunkenen in eine halbwegs gerade aufrechte korrigierte. Einzig allein Gracchus´ unterschwellige Gedanken, blieben für den Parther nicht einsehbar. Eine Tatsache, die nicht die schlechteste war!
    Cassim war sich durchaus um seine Wirkung auf Frauen bewusst gewesen. Er hatte immer großen Wert auf die Pflege und die Ertüchtigung seines Körpers gelegt. Selbst jetzt noch, da er nicht mehr die Gelegenheit hatte, auf ein gepflegtes Äußeres zu achten gab es hin und wieder noch Sklavinnen, die sich nach ihm umschauten, obwohl sie die strikte Anweisung hatten, ihn zu meiden. Doch dass er nun diese gleiche Wirkung auch bei Männern erzielen sollte, war ihm neu. Zumindest war es ihm niemals bewusst geworden. So sollte es auch vorerst bleiben.


    Jedoch auch Cassim nutzte den Augenblick um den Flavier noch etwas besser einschätzen zu können. Gegenüber dem Parther, der hochgewachsen, kräftig und robust war, wirkte er hager, ja fast knabenhaft. Im Gegensatz zu Aristides, war er dem Anschein nach nicht beim Militär gewesen, mutmaßte Cassim. Dies konnte durchaus von Vorteil für den Sklaven sein, wenn sein neuer Herr aufgrund der mangelnden Kriegserfahrung ihm weniger feindselig eingestellt war. Doch auch er war einer der Flavier. Mitglied jener Familie, gegen die der Parther es gewagt hatte, seine Hand zu erheben. Alleine dieses Faktum war schon ausreichend, ihm gegenüber einen stetig präsenten Argwohn walten zu lassen.
    Letztendlich ergriff der Römer das Wort. Fast vollkommen makellos war diesmal seine Artikulation, wie der Parther bemerkte. Er gab sich Mühe. Und all dies nur für einen Sklaven? Cassim war nicht in der Lage, weiter darüber nachzusinnen, als er die Worte erfasste.
    "Ja, dies ist mein Name," antwortete Cassim noch selbstsicher. Doch dann griff seine Hand wie mechanisch getrieben an jene Stelle, an der sich das Schandmal befand, nachdem der Römer dies erwähnt hatte. Er meinte, einen plötzlich stechenden Schmerz in seinem Nacken zu spüren, obwohl doch die Wunde der Brandmarkung längst wieder verheilt waren. Zuerst zögerte er. Langsam ließ er wieder die Hand sinken und trat dann neben den Flavier. Ein Mix aus Unbehagen und Scham überkam ihn. Doch letztendlich gehorchte er, senkte seinen Blick und beugte sein Haupt herab. Schnell wurde ihm bewusst, dass dies anhand seiner Größe nicht ausreichend war. Was ihn schlussendlich dazu bewog, auf die Knie zu gehen.
    In dieser devoten Haltung verharrte er. Dem Betrachter eröffnete sich dadurch die Sicht auf das Brandmal, welches sich im Nacken des Parthers befand, ein ganzes Stück unterhalb des Haaransatzes, damit es für alle Welt sichtbar war und allenfalls nur durch einen Schal verborgen werden konnte. Außerdem gewährte die nicht perfekt sitzende Tunika, die an manchen Stellen bereits eingerissen und ausgefranst war, einen kleinen Einblick auf den Rücken des Parthers, der mit den Narben der Peitschenhiebe übersät war, auch einer Konsequenz seiner Flucht, die ihm für immer daran erinnern sollte, was er von nun an war.

  • Es schmerzte Gracchus in seiner Seele, diesen anmutigen Corpus derart lädiert zu sehen, denn verlieh der Schmutz Cassim noch eine Art von Verwegenheit, so glichen die Narben auf seiner Haut tiefen Kratzern in einer furnierten Tischplatte, Sprüngen in einer filigran bemalten Vase oder ausgeschlagenen Bruchstücken einer Statue - unvergänglich, beständig und niemals wieder zu beseitigen. Sanft, zärtlich beinah fuhr er mit der Spitze des linken Zeigefingers über die Narben, welche das Brandmal hatte hinterlassen.
    "Welch eine Verschwendung"
    , ein Flüstern nur war es, getränkt von tiefstem Bedauern und ein wenig Verdruss über Aristides' Tat, doch wie sein Finger die Spuren der Haut berührte, ihre Kontur erforschte, klangen in ihm die Spuren der Vergangenheit, sangen leise das Lied von Verrat und Schuld, und brachten ihm zurück in die Sinne, wofür dies Stigma gegeben ward. Gracchus' Hand wanderte zum Kinn des Sklaven, hob dieses ein wenig an, dass er dessen Gesicht sah, dessen Augen konnte blicken und sich sicher sein, dessen Aufmerksamkeit zu besitzen. Nicht viel mehr hob er seine Stimme, fehlte jener doch ohnehin der einstig wohlige Klang, war der Sklave nah genug, jedes einzelne seiner Worte in sich aufzunehmen.
    "Dieses Mal wird stets Zei'hen sein deiner Felonie, mit jedem Blick wird es mich mahnen, deine Tat nicht zu ver..gessen, ni'ht allzu viel des guten Glaubens in dich zu setzen, ... glei'hsam zeugt es davon, dass du deine Strafe hast erhalten. Ich bin ni'ht im Detail darob unter..richtet, was Marcus dir an Bestrafung hat sonstig ... zukommen lassen, doch glei'h was es war, so war es seine Entscheidung über eine Sanktionier..ung des Fehltrittes eines Sklaven in seinem Besitz. Nun stehst du in meinem Besitz."
    Es hallten ihm die eigenen Wort wider in seinem Geiste, die Bedeutung und Tragweite dessen, welche längstens nicht in all ihren Facetten für ihn waren greifbar, und doch so verlockend.
    "Ich verlange ni'ht viel von meinem Haushalt, ich verlange nur, dass er reibungs..los funktioniert. Sanktio..nierungen sind mir lästig, ... aufmüpfige Sklaven ebenso, darum gebe ich mit beidem mi'h nicht ab. Sciurus hier trägt für all diese Dinge Sorge, und ich weiß, dass ich mi'h auf ihn verlassen kann, ... doch sei dir dessen versichert, Cassim aus Par..thien, legst du nur einmal Hand an meine Familie, schaust du einen von ihnen au'h nur falsch an, so werde ich persönli'h für dein Schicksal Sorge tragen, und es wird herna'h dich nicht nur ein Brandmal an ... meinen Zorn erinnern, gleichsam verfalle nicht dem Missglau..ben, ich würde dich lei'ht davon kommen lassen mit dem Tod."
    Es waren nicht nur viele Worte hinsichtlich seiner derzeitigen Situation, es waren zudem viele Worte verschwendet an einen Sklaven, von welchen sonstig kaum einer denn Sciurus konnte behaupten, dass sein Herr mehr als einen Satz je an ihn hatte gerichtet. Während die Brüchigkeit seiner Stimme diesbezüglich Gracchus nicht im geringsten hinderte, war ihm diese gegenüber einem Sklaven doch ebenso unangenehm wie gegenüber einem Schaf oder einer Öllampe - keineswegs also -, so war es bezüglich des Sklaven das übermütige Drängen, nicht nur den Leib Cassims zu besitzen, sondern dessen gänzliches Wesen, welches mehr als sonstig ihn seine Worte ließ an diesen verlieren.
    "Ich mag nicht mich mit sol'hen Dingen beschweren, nicht mit dem Gedanken ... daran oder der Tat selbst, widerstrebt dies do'h meinem Streben nach ästhetischer Harmo..nie, doch bezügli'h der Unversehrtheit meiner Familie wirst du in mir nur das flavische Erbe ... des Wahn finden. Mit den Augen des Wahnsinns betra'htet gibt es nur eine ... Ästhetik - die Ästhetik der Zerstörung. Legst du Hand an meine Familie werde i'h dir jeden Finger- und Zehen..nagel einzeln aus dem Fleische ziehen, ich werde dir jeden einzel..nen Knochen in deinen Füßen und Händen zertrümmern, ich werde die ... Augenbrauen dir aus dem Antlitz und die Zähne ... aus deinem Munde reißen, werde Streifen von Haut dir ... von deinem Leibe ziehen und di'h in salzigem Wasser baden, deine Kehle mit acetum korro..dieren und deine Augen im Li'hte der Sonne blenden - jeden weiteren Tag deines restli'hen Lebens wirst du ... nurmehr in dir selbst gefangen darben, bis dass du ni'ht mehr weißt, ob du noch am Leben bist oder ... bereits im Tartaros schmorst. Vergiss das niemals, Cassim aus Parthien."
    Unbewegt war Gracchus' Miene, seine ohnehin derzeitig farblose Stimme glich dem Säuseln des Windes in den Blättern, gleichförmig ruhig, als würde allfällig er über das Wetter sprechen oder die alltägliche Tristesse des Senates, nur in seinen Augen flackerte für einige Herzschläge das tief in ihm verborgene Feuer des flavischen Wahnsinns, oder allfällig die Furcht davor, kündete davon, dass zumindest die rechte Durchsetzungskraft und der Wille ihm nicht würden fehlen für ein solches Unterfangen, auch wenn er tatsächlicherweise kaum selbst dazu wäre in der Lage, würde beim ersten Tropfen Cassims Blute doch bereits ihm blümerant werden, würde spätestens mit der ersten Wunde er selbst in sich versinken. Ohne eine Reaktion des Sklaven abzuwarten - war diese doch ohnehin unbedeutend - fuhr er fort, nun da die Rahmenbedingungen aus seiner Sicht - die Cassims hatte ohnehin keinen Stellenwert für ihn - hinreichend bestimmt waren.
    "Was hast du getan, als du no'h in Parthien weiltest? Warst du seit jeher nur Soldat?"
    Die parthische Lebensweise war Gracchus vollkommen fremd, all seine diesbezüglichen Informationen basierten auf einigen wenigen Schriften und der römischen Propaganda - welcher jedoch er nicht allzu viel Glauben schenkte, wusste er doch um die Macht dieser politischen Manipulation, welche der kultischen nicht unähnlich war -, und auch Aristides war stets bezüglich des Feldzuges in Schweigen versunken, kannte zudem ohnehin wohl nur diese Kultur vom Schlachtfeld her, wo selbige zumeist auf ein überaus geringes Maß wurde reduziert.

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  • Die Zeit, die Cassim in dieser Haltung zubrachte, kam ihm wie bleiern vor. Wie tief konnte ein Mensch nur sinken? Auf den Knien rutschend vor einem Römer! Einem von der verweichlichten Sorte auch noch, wie es sie zu Hauf gab in dieser Stadt. Aristides hatte wenigstens gewusst, was es hieß zu kämpfen. Er war ein würdiger Gegner gewesen, gegen den er letztlich doch gescheitert war. Nun fand sich der Parther in den Händen dieses vermeintlich Schwachen wieder.
    Er zuckte zusammen, als er das leichte Antippen des römischen Fingers in seinem Nacken spürte. Cassim, der Verlierer kniete vor seinem Meister, der für ihn trotz seiner Beobachtungsgabe nicht richtig greifbar werden wollte. Plötzlich spürte er Gracchus´ Hand unter seinem Kinn. Er zwang den Parther in sein Antlitz zu blicken. Und Cassim starrte ihn an, ohne seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Selbst dann nicht, als der Römer ihm jede Hoffnung nahm, dieser könne ihm weniger feindselig gesonnen sein. Genau wie damals, Gracchus hatte ebensowenig wie Aristides keinen Zweifel darüber offen gelassen, was geschah, würde der Parther es noch einmal wagen, zu rebellieren. Für einen Augenblick wanderten Cassims Augen zu Sciurus hinüber, der sich völlig bewegungslos, einer Staue gleich, im Hintergrund hielt.
    Die Drohungen, die der Flavier ihm in feingewählten Worten und in einer gleichförmig ruhigen Stimmlage auf eine sehr bedrückende Weise nahelegte, die bis ins Detail beschriebenen Grausamkeiten und Repressalien die dem Parther drohten, sollte er noch einmal ein Fehlverhalten dieses Ausmaßes an den Tag legen, perlten an Cassim einfach nur ab. All das hatte er bereits so oder so ähnlich schon einmal gehört und mittlerweile hatte er es am eigenen Leibe auch feststellen müssen, dass aus den Drohungen, die man ihm gegenüber im Hause der Flavier aussprach auch meist Fakten wurden. Die Flavier liebten es zu quälen, einen Menschen bis auf die Knochen zu schinden und es ihn darüber hinaus tagtäglich spüren zu lassen, dass er nicht mehr wert war, als der Dreck unter ihren Schuhen. Den Tataros auf Erden hatte er bereits schon erlebt.
    Cassims Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. Was nicht nur an dem eben gehörten lag. Vielmehr war es ihm unangenehm, weiterhin kniend zu verharren. Lieber hatte er aufrecht vor dem Römer gestanden. Er schluckte mehrmals und brachte dann ein einziges Gekrächzte hervor.
    "Ich werde dir keinen Ärger mehr bereiten, Herr. Das verspreche ich! Bei meiner.." Ehre. Er verstummte. Ehre? Er besaß keine Ehre mehr. Wie der Römer es bereits so treffend formuliert hatte, er trug das Zeichen der Felonie. Seine Kenntnisse, die Sprache der Römer betreffend, reichten aus, um zu verstehen, was er damit gemeint hatte. Er war ein Verräter und er hatte das Vertrauen gebrochen zwischen Herrn und Sklaven. Dies alles hatte nichts mehr mit Ehre zu tun. Einem Sklaven glaubte man nicht. Erst recht nicht, wenn er bereits einmal geflohen war und die Frau seines Herren entführt hatte. Er war ehrlos.
    Dabei hatte er Epicharis gar nicht entführen wollen. Sie war einfach plötzlich da gewesen. Hatte sich ihnen aufgedrängt. Sie hätte sie verraten, das stand fest, noch ehe sie die Stadt verlassen hatten. Statt ihr die Kehle zu durchschneiden, hatte er sie notgedrungen mitgenommen und er war heilfroh gewesen, als er sie wieder los geworden war.
    Umso mehr erschütternd empfand der Sklave schließlich die doch recht einfach anmutende Frage des Gracchus nach seinem Vorleben, die Zeit, bevor er in den Krieg gezogen war, bevor er verwundet und anschließend gefangengenommen wurde und Monate später wie ein Stück Vieh auf dem Markt verkauft wurde. Seit er in Ketten gelegt, wieder die Schwelle der Villa Flavia überschritten hatte, hatte er es nicht mehr gewagt, an die Seinen in der Heimat zu denken. Er hatte jegliche Chancen, jemals wieder sein Zuhause zu sehen, verspielt. Die Bilder seiner Frauen, seiner Kinder, die Schönheit Yasminas, die Sanftheit ihrer Finger und die Geschmeidigkeit ihres Körpers waren wie Rauch vergangen. Was geblieben war, war die Leere in seinem Herzen, die es ihm auf eine gewisse Art auch erträglicher machte, die Repressalien gegen ihn besser zu ertragen.
    "Nein, nicht nur, Herr. Ich entstamme einer alten angesehenen Familie, die bereits seit Generationen die Geschicke Dura Europos mitbestimmte. Als mein Vater vor einigen Jahren starb, war es mir bestimmt, mich um das Wohl meiner Familie und um unsere Besitzungen zu kümmern. Der Tradition entsprechend zog ich in den Krieg, als der Shah in Shah zur Verteidigung unseres Landes aufrief. Ich diente bei den Kataphrakten, der gepanzerten Reiterei."
    Cassim vermied es, dem Römer einen Einblick in sein familiäres Leben zu gewähren. Er vermied es Namen zu nennen, von seinen Frauen und seiner Kinder zu sprechen. Merals dunkle Augen, ihre liebreizende Stimme, wenn sie den Kindern ein Lied vorsang. Und Yasmina, seiner Lieblingssklavin, die ihm so manchen schönen Abend bereitet hatte. Es berichtete nichts von seinen Vorlieben. Von so machen abenteuerlichen Jagdausflügen mit seinem Falken. Sein ältester Sohn, der ihn manchmal dabei begleitet hatte. Von seinem Hang zu den schönen Künsten. Den lieblichen Klängen der Kithara, die Yasmina so formvollendet spielen konnte und deren Melodien er so schätzte. Er behielt es für sich, woran er geglaubt hatte, wie er Ahuhra Mazda gedient hatte, wofür er gebetet hatte. Nichts kam über seine Lippen von der starken Beziehung zu seinem Vater, den er über alles geliebt hatte und von dem er sich unter Tränen verabschiedet hatte, als er gestorben war. Dies alles und noch viel mehr enthielt er dem Römer vor. Dies waren seine Erinnerungen, die ihm niemand nehmen konnte, selbst jetzt nicht, da er nur noch ein Sklave war.
    Cassims Augen wurden feucht. Die Macht der Erinnerungen hielt ihn fest umschlungen. Er konnte nichts dagegen unternehmen. Dies war die ärgste Qual für ihn, schlimmer als jeder Schlag, den man ihm versetzte. Die Qual, sich erinnern zu müssen.

  • Auf das Versprechen des Sklaven gab Gracchus nicht sonderlich viel, selbst ein tadelloses Exemplar dieser Schicht besaß kein Anrecht darauf, dass man ihm glaubte, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen - würde Gracchus doch dem Wort seines Vilicus bei weitem mehr vertrauen denn jenem eines beliebigen Pleb, auch wenn dies ein römisches Gericht nicht würde anerkennen. Ohnehin reichten Worte nicht aus, die Taten des Parthers vergessen zu machen, nur Handeln würde seine Schande allmählich in Vergessenheit geraten, oder zumindest in den Hintergrund rücken lassen können.
    "Stehe auf und ... tritt ein Stück zurück."
    Ein Wink unterstrich die Aufforderung, welche nicht etwa dem geheimen Wunsch des Sklaven nachgab, sondern allein der Tatsache Rechnung trug, dass dessen ungustiöser Odeur Gracchus allmählich enervierte und er nicht länger sich dem wollte ausgesetzt wissen. Einem Adelsgeschlecht also entstammte dieser triste Anblick, und tatsächlich änderte dies ein wenig Gracchus‘ Sicht auf seinen Besitz. Selbstredend änderte es nichts daran, dass Cassim ein Sklave war, war dies doch seit jeher Vorrecht der Sieger, über das Leben der Besiegten zu verfügen - dass der Feldzug in Parthia nicht in einem Sieg hatte geendet, war dabei aus der Sicht des Römers nurmehr nebensächlich -, doch gab es durchaus einen Unterschied zwischen einem eingefangenen Bauern und einem Adeligen - schlussendlich hätte bei einem anderen Ausgang der Geschehnisse ebenso gut Aristides in die Gefangenschaft der Parther geraten können, und es wäre Gracchus nicht nur unerträglich zu wissen, dass sein Vetter den Mist parthischer Pferde schaufelte, sondern gleichsam eine unerträgliche Verschwendung seines Potentials.
    "So weißt du also dur'haus, dich kultiviert zu benehmen. Dies soll dir zum Vorteile ge..reichen, denn ich möchte dich um mi'h herum wissen."
    Noch einmal prüfte er die Kontur, die Qualität seines neuen Sklaven mit dem Blick, wandte sodann sich Sciurus zu, dessen Missfallen über den Entschluss seines Herrn nicht ihm anzusehen war, sprach zu ihm über Cassim, als wäre jener nicht mehr anwesend.
    "Ich mö'hte, dass er gewaschen und an..gemessen gekleidet wird, und sofern es ihm dana'h verlangt, soll er mehr zu essen bekommen, er sieht ein wenig abge..magert aus. Ich werde ihn ab und an mit außer Haus nehmen, er soll dementspre'hend präsentabel sein. Wenn mein Sohn oder meine Gemahlin anwesend sind, ... wird es dir obliegen, ein Auge auf ihn zu halten, zudem trage dafür Sorge, dass er ... niemals mit einem von beiden allein ist."
    Der angesprochene Sklave nickte stumm, noch immer hinter seiner unbewegten Miene verbergend, welcherlei Gedanken durch seine Sinne trieben - durchaus keine positiven den parthischen Neuzugang unter seiner Herrschaft betreffend.

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  • Die Erinnerung drohte ihn zu übermannen, ihm das Herz noch schwerer werden zu lassen, als es eh schon war, seit Ravenna. Das Wissen, alles verloren zu haben, war wieder so real wie am ersten Tag im flavischen Carcer. Doch dem Römer dies wissen zu lassen, konnte nicht Cassims Bestreben sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach, tangierte dies den Flavier sowieso in keinster Weise. Warum sollte es auch? Ein Sklave wie er, der am Boden kroch und von den Almosen lebte, die man ihm vorwarf, als sei er ein Hund, konnte sich nur befleißigen, um seinem Herrn zu gefallen, damit er darauf hoffen konnte, eines Tages vielleicht doch noch in den Genuss von Vergünstigungen zu kommen. Dies machte das Los des Parthers noch schwerer, noch unerträglicher, als es schon war.
    Die Aufforderung, aufzustehen und zurückzutreten, die mit einem energisch wirkenden Wink einherging, kam überraschend für den Parther. Der Römer hatte wohl schon genug von seinem neuen Spielzeug, welches in einer sehr unqualifizierten Verpackung dahergekommen war. Der Stallgeruch und die Ausdünstungen des parthischen Schweißes waren auf Dauer nichts für empfindliche römische Nasen. Cassim rechnete fest damit, wieder zurück an seine Arbeit geschickt zu werden, wo er dann bis zum Ende seiner Tage verrotten konnte.
    Wenigstens aber konnte er sich aus dieser unangenehmen Stellung des kniens befreien. Dabei fiel ihm der prüfende Blick des Römers auf, was ihn aber nicht weiter beschäftigte. Nun, da der Flavier wusste, dass er einen Edlen seines Landes zum Sklaven hatte, sah er diesen gar mit anderen Augen an. Dies bestätigte er letztendlich auch mit seiner Bemerkung. Genau dies war der Punkt, an dem Cassim aufhorchte. Es sollte ihm zum Vorteile gereichen, denn er mochte den Parther um sich herum wissen. Dies konnte alles Mögliche bedeuten. So zum Beispiel konnte er ihm als Schreiber oder Vorleser dienen, als derjenige, der ihn allmorgendlich ankleidete, ihm jeden Wunsch erfüllte, den er zu äußern gewillt war. Doch darüber, wie er ihn in Zukunft zu nutzen gedachte, verlor er kaum Worte.
    Dem Sklaven, der bewegungslos im Hintergrund verharrte, erteilte er indes Anweisungen, wie mit dem Parther zu verfahren sei. Dabei wurde ihm selbst gar keine Beachtung mehr geschenkt, obwohl er doch nur unwesentlich seine Position geändert hatte. Dadurch jedoch erhielt Cassim einen Einblick, welch wunderbare Geschenke auf ihn warteten. Die Gelegenheit, sich einmal wieder richtig waschen zu können und frische saubere Kleidung tragen zu können, sich wieder satt essen zu dürfen und mit niemandem teilen zu müssen. Dies alles ließ ihn erstaunt aufblicken. Er traute kaum seinen Ohren. Und so erwuchs auch gleich sein Misstrauen. Hüte dich vor Griechen, die mit Geschenken kommen!
    Flavius Gracchus war zwar kein Grieche, doch aus reiner Menschenfreundlichkeit handelte er gewiss nicht. Diese Sache musste irgendwo einen Haken haben. Warum hätte er sonst ausgerechnet ihn, der doch jedes Recht auf ein Entgegenkommen verloren hatte, aus einer großen Anzahl von Sklaven herauspicken sollen?
    "Darf ich erfahren, wie ich dir in Zukunft dienlich sein kann, Herr?" Er hatte gewagt, das Wort zu ergreifen und zu fragen, kaum dass der Flavier seine Anweisungen an Sciurus weitergegeben hatte.

  • Es waren keine Widerworte, welche der Sklave von sich vornehmen ließ, und dennoch gereichten sie dazu, dass Gracchus' Braue sich hob und er Cassim einige Augenblicke mit einem Maß an Verwunderung bedachte, war es doch eine Frage, die auf das Individuum selbst sich bezog, aus eigenem Selbstinteresse ohne Hinblick auf Erfüllung einer Aufgabe geboren - keinerlei Art von Frage, wie sie aus dem Munde eines Sklaven zu erwarten war. Gracchus entsann sich an die Worte - obgleich er sich nicht mehr dessen konnte erinnern, wer sie mochte ausgesprochen haben -, dass ein ein in Freiheit geborener Mensch niemals würde einen passablen Sklaven abgeben, dass stets nur die nachfolgende Generation tauglich war, und er erkannte im Anblick des heruntergekommenen Etwas inmitten des Raumes die Wahrheit darin. Was auch immer man mit ihm würde tun, welche Strafe auch Aristides ihm hatte angedeihen lassen - dieser Cassim würde niemals ein Sklave sein, stets ein Mensch bleiben, Gefangener in einem ihm fremden Land, besiegter Feind eines unentschiedenen Krieges, dessen Gracchus selbst nicht einmal Teil gewesen war. Weshalb hatte sein Vetter ihm diesen Menschen überlassen? Allfällig weil er ihn
    nur durch die Augen des Legionärs hatte sehen, ihm nicht mehr jenen Respekt hatte entgegenbringen können, der dem besiegten Feind entgegenzubringen war? Rom war nicht groß geworden, indem es seine Feinde vernichtet und ausgelöscht hatte, nach deren Unterwerfung hatte es stets ihnen geboten Teil eines mächtigen Reiches, Wohlstandes und Größe zu werden, hatte gar Eigenheiten und selbst Götter der Besiegten in sich assimiliert, ihre Stärken zu den seinen hinzugefügt. War es das, was Aristides im kleinen zu erreichen suchte, indem er Cassim in Gracchus‘ Obhut hatte übergeben, im Vertrauen darauf, dass sein Vetter dies würde von selbst erkennen - Marcus' Vertrauen in Gracchus' Fähigkeiten war unbegreiflicherweise stets grenzenlos -, hatte er etwa dieser Pflicht nur sich entledigen wollen oder hatte er - was zugegebenermaßen die wahrscheinlichste der Optionen war - dies gar nicht bedacht? Schlussendlich indes brachte alles Grübeln nichts, und Gracchus blieb zurück mit jenem Sklaven, welcher nie ein Sklave würde sein, mit einer Errungenschaft des Krieges, welchen er nicht hatte geführt, einem Gefangenen, den er nicht hatte eingefangen, und mit der Erkenntnis eben jenes Sachverhaltes.
    "Es gibt viele Mögli'hkeiten, und letztlich wird es davon ab..hängen, was du kannst."
    Im Zweifelsfalle indes würde Cassim nur einfach da sein, sich betrachten lassen müssen und damit das Gemüt des Betrachters erfreuen - allfällig mehr über sich ergehen lassen müssen.
    "Bist du der lateini..schen oder hellenischen Schrift kundig?"
    Womöglich würde der Parther sich dazu eigenen, Texte ihm vorzulesen, denn obgleich Sciurus dies mit überaus geschulter und wohlklingender Stimme tat, so war Gracchus diese doch ein wenig eintönig geworden, seitdem er gezwungen war, jedes Schriftstück sich vortragen zu lassen.

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  • Wie der Flavier das ungefragte erheben der parthischen Stimme bewertete, war für Cassim nicht sofort klar ersichtlich. Möglicherweise hatte er sich damit bereits alles wieder verbaut. War er doch ein nichts in den Augen des Römers. Doch dieser schien ernsthaft über die gestellte Frage nachzudenken, wenn der Parther die Resonanz darauf richtig gedeutet hatte. Cassim aus Parthien, so wie sich der Flavier noch vor wenigen Minuten auszudrücken pflegte, konnte eine ganze Menge. Nur hing es letztlich davon ab, für was für eine Art Sklaven Gracchus Verwendung hatte. Dies konnte nun tatsächlich alles beinhalten, da er jenen Mann, der sich nun sein Eigentümer nannte so gut wie kaum kannte. Wohl weniger würde er es in Zukunft mit der Aufzucht und der Haltung von Jagdfalken zu tun haben, da er den Römer dafür als zu anfällig einschätzte. Also wofür nur sollte er sich als geeignet erweisen?
    Cassim war keineswegs nur ein Mann gewesen, der es liebte, sich der Jagd und des Kampfes hinzugeben. Nein, auch er hatte schon seit seiner frühesten Jugend eine Neigung für die schönen Künste entwickelt. Nicht etwa, weil seine Lehrer ihm mit griechischer und römischer Literatur zu Leibe gerückt waren. Er hatte aus freien Stücken seinen Weg dorthin gefunden und hatte für sich somit eine wundervolle neue Welt entdeckt, die sich scheinbar ständig neu erfinden konnte.
    Und ob er der hellenistischen wie auch der lateinischen Schrift mächtig war! Er der er aus einer Familie stammte, deren Ahnen einst mit Alexander selbst gen Osten geritten waren, um die Welt zu erobern, hatte selbstverständlich auf eine umfassende Bildung zurückgreifen können, die ihm sein Vater, wie auch dessen Vater zuvor, angedeihen ließ. Nicht zuletzt war es seinem römischen Sklaven zu verdanken, dass er auch die lateinischen Lettern sicher beherrschte.
    "Ich beherrsche beides, Herr." Er beantwortete die Frage des Römers, ohne dabei auch nur die Spur von Stolz oder gar Überheblichkeit aufkommen zu lassen. Cassim erwartete sich nichts davon, dass allein diese Tatsache Ursache dafür sein konnte, seine desaströse Lage zu verändern oder gar verbessern konnte.

  • "Ausgezei'hnet!"
    erfreute Gracchus sich ehrlich an der Antwort - mehr indes als dies vordergründig mochte verständlich sein -, barg sie doch die wundervolle Gelegenheit gleich zwei ästhetische Genüsse in vergnüglicher Weise miteinander zu kombinieren - die sinnliche Hingabe an formvollendete Worte mit der Goutierung des deliziösen Anblickes eines schönen Leibes.
    "So wirst du mir Texte und ... Schriften vortragen."
    Dass er selbst derzeitig sich außer Stande sah, jeden noch so trivialen Text zu lesen, brauchte Cassim dabei nicht zu wissen, war doch nichts ungewöhnliches dabei, für literarische Kurzweil sich einen Vorleser zu halten, wiewohl persönliche Briefe und wichtige Nachrichten ohnehin durch keines anderen Mund denn Sciurus' an sein Ohr würden dringen. Allfällig würde der Parther sich gar als belesen und derart kultiviert entpuppen, dass hernach ein niveauvolles Gespräch mit ihm würde möglich sein - seit Caius die Villa hatte verlassen, sehnte sich Gracchus nach einem solchen Gesprächspartner, war Aristides' Gemüt doch von anderer Art gewesen als dass er an sprachlicher oder diskursiver Finesse hätte Freude gefunden. Ein abermaliger langer Blick auf die trotz allem noch immer mehr jämmerlich wirkende Gestalt indes dämpfte ein wenig seine Verzückung, denn womöglich war dies alles auch mehr Wunsch denn Realität, gespeist aus zu vielen Sehnsüchten seines Innersten.
    "Es soll dir Zugang zur Biblio..thek gewährt sein. Ich mö'hte, dass du für deine erste Lesung selbst eine Schrift ... daraus auswählst."
    Es wäre nicht nur überaus spannend, welchen Text der Parther würde wählen, sondern gleichsam unbezweifelt aufschlussreich bezüglich dessen Charakters.
    "Do'h nun hinaus, dieser ungustiöse Odeur ist un..erträglich! Sciurus …"
    Es bedurfte keiner weiteren Worte gegenüber seinem Leibsklaven, dass dieser vortrat und den Parther bestimmt bei der Schulter nahm, gleichsam auf dem Weg hinaus dafür würde Sorge tragen, dass ein Junge mit Räucherwerk in das Zimmer kam, den Gestank daraus auszutreiben. Gracchus indes zog ein letztes großes X über die Wachsfläche der Schreibtafel, warf den Griffel auf die Tischfläche und erhob sich langsam und schickte sich an, den Raum ebenfalls zu verlassen.

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  • Konsterniert richtete der Parther erneut sein Augenmerk auf den Flavier, dessen freudiger Ausruf Cassim eher noch mehr verwirrte. Statt teilzuhaben an der sichgtlichen Freude des Gracchus, verharrte er reglos. Sein Gesicht mutete versteinert an. Selbst dann, als der Römer ihm offenbarte, was von nun seine neue Aufgabe war, bedurfte es einen Atemzug, bis ihm bewusst wurde, was dies zu bedeuten hatte. Endlich wieder eine reinliche Umgebung, in der er sich aufhalten konnte, keine der niedrigsten und schwersten Arebeiten mehr und was noch viel wichtiger war, ein Betätigungsfeld, welches seine persönlichen Neigungern mit einschloss. Zögernd durchströmte ihn ein Gefühl der Freude. Jedoch versuchte er dies nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Lediglich zu einem überraschendem Lächeln ließ er sich hinreißen.
    Ahura Mazda musste sich seines ergebenen Dieners wieder erinnert haben. Eine andere Erklärung bot sich dem Parther in diesem Augenblick nicht. Aber nicht nur das! Es hatte den Anschein, als habe der Eine beschlossen, ihm wieder wohlgesonnen zu sein.
    Cassims Herz begann schneller zu schlagen, als Gracchus ihm weiter mitteilte, er habe zukünftig Zutritt zur Bibliothek. Nur der, der den Parther besser kannte, konnte sich vergegenwärtigen, was dies für ihn bedeutete.
    "Danke Herr, ich werde dich nicht enttäuschen, Herr!", rief er erfreut aus. Jedoch kaum hatte er das getan, spürte er den festen Zugriff Sciurus auf seiner Schulter, welcher sich aus dem Hintergrund unbemerkt nach vorne bewegt hatte und ihn bestimmt zur Tür hinaus beförderte. Noch einen Blick zurück auf Gracchus gerichtet, war Cassim vergönnt. Dann schloß sich die Tür hinter ihm. Zurück blieb nur jenes unstete Gefühl, welches für den Parther auch noch nach Stunden nicht richtig greifbar wurde.

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