[CAMERA] Ausbildung der Claudia

  • Tatsächlich war Occia eine große Freundin des berühmten Aristoteles und hielt es daher wie er für das beste, wenn der Schüler durch eigenes Nachdenken weitergebracht wurde. Daher stellte sie möglicherweise auch mehr Fragen als andere Lehrerinnen.


    "Richtig, richtig. Ein Prodigium wird durch den Senat festgestellt. Ebenso legt er die Form der Entsühnung fest, häufig in Form von Supplicationes oder Opfern. Dabei kann er sich jedoch auch den Rat einiger Priestercollegia einholen. Weißt du, von welchen? Und was diese Collegia sonst für Aufgaben haben?"


    Sicherlich wusste sie es! Romana kannte sich bereits sehr gut aus!

  • Romana wusste es tatsächlich, auch wenn sie kurz überlegen musste. „Es handelt sich dabei um die Pontifices, die Quindecimvires, und die Haruspices. Die Pontifices geben allgemeine Ratschläge zur Reaktion auf Prodigien, die Quindecimvires konsultieren die sibyllinischen Bücher, und die Haruspices analysieren das Prodigium mittels Leberschau, Beobachtung von Blitz und Donner und fixe Rituale.“, antwortete Romana. „Die Pontifices sind verantwortlich für das religiöse Leben im Reich allgemein, umgangssprachlich ausgedrückt sind sie das Mädchen für alles. Sie übernehmen alle Aufgaben, die den anderen Kollegien nicht zugeordnet sind. Die Quindecimviri haben Einsicht in die sibyllinischen Bücher und haben die Oberaufsicht über fremde, unrömische Kulte.“ Ihr Gesicht verzog sich leicht. Leicht beunruhigend, dass ihr Vetter sich wohl bald mit solchem Schmarren befassen werden musste. „Die Haruspices!“ Ihr Gesicht leuchtete kurz auf. Wäre sie ein Mann geworden, das wusste sie, wäre sie den Haruspices beigetreten so bald wie möglich. Der Orden der Vestalinnen kam aber den Aufgaben dieses Kollegiums stellenweise recht nahe. „Die Haruspices sind Weissager und Spezialisten der Disciplina Etrusca, der Eingeweideschau. Oft nehmen sie Deutungen von Zeichen im Auftrag des Senats wahr, aber auch die von Wunderzeichen.“ Soweit ihr Wissen zu den Kollegien, vermutlich hatte Occia noch einiges mehr dazu zu sagen.

  • Abgesehen von der Tatsache, dass der Plural vor 'Quindecemvir' 'Quindecemviri' lautete, hatte Romana erwartungsgemäß weitestgehend richtig geantwortet. Und diesen kleinen grammatikalischen Fehler übersah die Papirierin wohlwollend. Dafür beschloss sie jedoch, ein paar inhaltliche Anmerkungen zu machen:


    "'Unrömisch' klingt etwas stark. Dazu gehören auch alle Kulte im Graecus Ritus, also etwa der Kult des Hercules oder des Apoll. Und im weitesten Sinne können ihnen natürlich auch die Auguren helfen, indem sie den Entschluss durch Auspizien prüfen.


    Das ist auch die Hauptaufgabe der Auguren: Auspicia, die rituelle Einholung der göttlichen Zustimmung. Nur Magistrate mit Imperium, also die Proconsuln, der Kaiser, die Consuln und Praetoren können dies für den Staat tun. Daneben spielen sie auch bei Amtseinführungen und Tempelweihen eine wichtige Rolle."


    Sie legte einen Finger an die Lippen und schien nachzudenken, dann meinte sie


    "Wo wir gerade bei Amtseinführungen sind: In Kürze werden ja die Magistrate der Stadt inauguriert. Die Consuln und Praetoren legen dabei Vota, Gelübde, ab. Auch ein Privatmann kann ein Gelübde ablegen, etwa für die Heilung von Krankheit ein Votiv.


    Weißt du, welche Votivgaben für diese Anlässe üblich sind und an gegenüber wem man ein solches Gelübde am besten ablegt?"

  • Der Versprecher lag sicherlich und ohne geringsten Zweifel nur an Romana, der vor lauter Nervösität dieser Schnitzer entfuhr, sicherlich nicht an, sagen wir, den leider doch leicht eingerosteten Lateinkenntnissen einer Person 1900 Jahre später, welche ihre Geschichte erzählen würde. :P


    Für Romana war prinzipiell alles, was nicht urrömsich war, auch unrömisch. Dieses Credo war tief verankert in der claudischen Seele, und so zuckte sie nur leicht mit den Wimpern, als sie über die wahre Natur der Religionen, für die die Quindecimviri zuständig waren, aufgeklärt wurde. War doch alles Stola wie Tunika. Als Occia weiter fortfuhr über die Auguren, hörte sie andächtig zu und nickte dann und wann, um ihre Aufmerksamkeit der Papirierin zu signalisieren.


    Ach ja, die Wahlen. Wieder kein Claudier, der sich zur Wahl gestellt hatte. Hoffentlich würde sich das mit ihrem Vetter das nächste Jahr ändern. Von dort aus leitete Occia weiter über zu den Votivgaben, relativ geschickt, wie Romana anerkennend dachte.


    „Votivgaben. Für Krankheiten. Also, man kann als Votivgaben Statuen der Götter, an die man sich wendet, vergeben. Oder aber Abbildungen der Körperteile, die von Krankheiten betroffen sind. Man spendet diese einem Gott der Heilkunst, also Apollo oder Aesculapius.“, antwortete sie wieder recht kurz, hoffend, dass sie nicht daneben lag.

  • "Richtig, richtig. Ich denke, das genügt für heute. Und da du so viel wusstest, darfst du heute auch gern in die Stadt gehen und dich etwas umsehen."


    erklärte Occia und erhob sich.


    "Morgen früh werden wir Wasser bei der Egerischen Quelle holen - da fällt mir ein: Ich habe dir ja noch gar nicht den Tempel und den Rest des Atrium gezeigt! Wollen wir das jetzt noch tun oder morgen?"

  • „Genügt das?“, fragte Romana positiv überrascht. „Das ist nicht schlecht!“, untertrieb sie. „Ich habe also Ausgang? Das ist ja sehr schön. Ich würde mir liebend gerne den Tempel und den Rest des Gebäudes ansehen, aber weißt du, heute sind die Ludi Romani, die würde ich mir sehr gerne anschauen.“, gab sie zu. Sie wollte unbedingt die Spiele ansehen, den Tempel ansehen konnte sie ja morgen noch. Den würde sie im Lauf der nächsten 30 Jahre wohl noch sehr gut kennen lerne.


    „Können wir das also morgen machen? Hättest du etwas dagegen?“, fragte sie Occia. Hoffentlich nicht, denn die Vestalin hatte es ihr ja frei gestellt!

  • „Occia?“, fragte Romana nach. Hörte die Vestalin sie noch oder war sie in Erwartung auf eine erholsame Pause schon längst in einen Dämmerschlaf verfallen? 8)

  • Die Vestalin blickte etwas verträumt zu dem kleinen Fenster in den Hof. Sie musste bei der Erwähnung an die Ludi Romani an eine Begebenheit ihrer Jugend denken. Dann wurde sie jedoch von ihrer Schülerin aus der Erinnerung zurück ins Atrium Vestae geholt.


    "Ähm...ja. Dann machen wir das morgen. Geh' und amüsier' dich!"


    Sie machte eine scheuchende Handbewegung und rollte dann die Papyrus-Rolle auf ihrem Schoß zusammen. Für heute war genug gelernt worden!

  • Nach dem Besuch der Quelle, dem Reinigungsritual und einem weiteren kurzen Rundgang durch das Atrium kehrten die beiden wieder in den Ausbildungsraum zurück und Occia begann mit dem Unterricht.


    "So, fahren wir fort."

  • Romana war Occia durch das ganze Atrium, dieses wundervolle Gebäude, gefolgt und setzte sich wieder vor ihr hin, als der Rundgang vorbei war. Aufmerksam blickte sie die Vestalin an. Sie war ganz Ohr.

  • Einen Augenblick besann sich die Papirierin, dann meinte sie.


    "Heute sind wir bei den traditionellen Riten des Staatskultes angekommen. Welche Möglichkeiten gibt es denn, Kontakt mit den Göttern aufzunehmen?"

  • „Ah ja.“, meinte Romana. Die Riten des Staatskultes. Klang interessant. Die Frage der Papirierin stellte sie jedoch vor ein Rätsel. Sie kannte nur eine einzige Möglichkeit. „Weihrauch. Die Verbrennung vom heiligen Weihrauch.“, meinte sie und schaute Occia seltsam an. „Das ist das einzige, was ich jemals bei Opfern gesehen habe. Gibt es denn andere Möglichkeiten?“ Es war ihr etwas peinlich, das nicht zu wissen, vermutlich hatte sie einfach die Frage nicht verstanden...

  • Occia runzelte die Stirn. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet! Aber vielleicht hatte sie ihre Frage auch nicht präzise genug ausgedrückt!


    "Nein, das lässt sich so nicht sagen. Wobei der Weihrauch zu Beginn eines Opfers selbstverständlich dazu dient, die Aufmerksamkeit der Götter auf den Opfernden zu ziehen.


    Das Opfer insgesamt wäre eine Möglichkeit. Welche Riten gibt es aber noch?"


    versuchte sie es daher noch einmal. Vielleicht klappte es diesmal!

  • Ach, so meinte sie das! Romanas Gesicht erhellte sich. „Gut, da wären die Prozessionen. Dann die Hochzeiten. Dann Weihungen, zum Beispiel von Tempeln.“, zählte sie auf, was ihr in den Sinn kam. „Und Lustrationes. Und Begräbnisse. Eide. Religiöse Feste im Allgemeinen.“


    Sie blickte ihre Lehrerin treuherzig an. „Riten gibt es viele.“, meinte sie, als eine Art Abschlusswort auf ihre wild durcheinandergewürfelte Aufzählung.

  • Noch einmal seufzte Occia. Sie musste wohl noch sehr daran arbeiten, ihre Gedanken auszudrücken um ihre Schülerinnen nicht zu verwirren. Sie hatte an etwas allgemeineres gedacht - viel allgemeiner.


    "Das stimmt, das alles sind Riten. Aber ich meinte die Akte, die die Verbindung zu den Göttern herstellen - einige hast du auch schon geanannt. Das Opfer ist eines, das Gelübde durchaus auch. Dann gibt es noch die Divination, also die direkte Befragung der Götter. Weißt du, wie wir den Willen der Götter erfahren können? Wir haben gestern schon etwas davon gesprochen."

  • Akte, die Verbindungen mit Göttern herstellten. Das war doch ein wenig abstrakt. Vielleicht lag es einfach an ihr, dass es nicht recht zünden wollte.


    „Die Disciplina Etrusca.“, antwortete Romana. „Die Leberschau, und die Analyse von Blitz und Donner. Aber auch durch das Betrachten von Vögeln. Und... die sibyllinischen Bücher.“ Sie klang, durch ihr bisher ungewohntes Danebenhauen beim Antworten, jetzt schon um einiges vorsichtiger und leiser.

  • "Ganz genau. Daneben gibt es natürlich auch die Astrologie und sonstige Wahrsagerei. Aber das, was da dem einfachen Volk aufgeschwatzt wird, sollte man mit Vorsicht genießen. Auch diese Scharlatane, die als Haruspices durchs Land ziehen."


    bestätigte Occia. Dass sie nicht an diese "unrömischen" Methoden gedacht hatte, hatte sie sogar fast erwartet, denn die Claudier waren, was das betraf, schon sehr konservativ. Und auch, wenn wohl fast jeder reiche Römer ein Horoskop besaß, glaubte wohl nicht jeder daran.


    "Beginnen wir aber mit dem Opfer. Hast du schon einmal ein Opfer durchgeführt? Einem zugesehen hast du ja sicher schon einmal."

  • Wem sagte Occia das. Romana hasste die Scharlatane, die sich am Forum herumtrieben, und sich selber wohl wie Götter vorkamen. „Elende Kreaturen.“, presste sie durch ihre Lippen durch. Ein Funken Fanatismus flackerte ihn ihren Augen auf, wobei jener nach ein paar Sekunden wieder erlosch, und sie wieder ein Bild von Gleichmut und hehrem Anstand bot.


    „Opfer. Ich habe schon einigen beigewohnt, aber noch nie selber geopfert. Wirst du mir beibringen, wie das geht?“, fragte sie. Sie wollte unbedingt wissen, wie das ging.

  • Etwas ratlos verflogte Papiria den kurzen Wutausbruch des Mädchens. Manchmal war sie ihr fast ein wenig unheimlich! Sie hatte noch nie einen fanatischen Anhänger des römischen Staatskultes gesehen! Vielmehr war er doch geradezu von Tolleranz bestimmt - andererseits konnte man deswegen trotzdem auf diese Scharlatane herabschauen, die Geld aus der Angst kleiner Leute machten!


    "Natürlich werde ich das! Dafür bist du ja hier! Was weißt du denn zum Ablauf eines Opfers? Sicher hast du schon einmal gesehen, wie dein Vater nacheinander vorgegangen ist!"


    Die Claudier waren als sittenstrenge Familie bekannt, daher war sich Occia sicher, dass dort regelmäßig den Göttern und Laren geopfert wurde!

  • Nein, Romana war nicht tolerant. Sie wusste, dass man dies ihr als Schwäche auslegen konnte – doch sie verabscheute den Gedanken, dass ordentliche Römer etwas anderem als dem Staatskult frönen sollten. Peregrini sollten machen, was sie wollten, doch Römer hatten die Verpflichtung, ihren Göttern zu huldigen, und sich solchen Quacksalbern fern zu halten (Letztere sollte man sowieso den Löwen zum Fraß vorwerfen, oder einfach die Via Appia entlang kreuzigen).


    Irgendwie war es schon eine blöde Frage gewesen, aber Romana war absolut begeistert. „Ja, ich habe schon des Öfteren meinen Vater beobachtet. Er opfert zuerst Weihrauch und dann Wein den Ianus und dem Iuppiter, danach den Penaten.“ Sie dachte nach. „Wie jeder Römer betet er dabei ordentlich. Die Handflächen nach oben, und wenn das Gebet vorbei ist, dreht er sich nach rechts. Ich denke, ich könnte ihn ohne Probleme nachmachen, wenn ich den Penaten opfern soll.“, vertraute sie Occia an.

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