• Dass Frauen ganz offensichtlich ebenso in der Lage waren, erfolgreich eigene Betriebe zu leiten, fand Serrana ausgesprochen ermutigend und sie nickte anerkennend in Axillas Richtung. Schade, dass die ägyptischen Gesetze nicht auch in Rom galten...


    Allmählich begann Serrana sich mit ihren nassen und total verfilzten Haaren ein wenig unwohl zu fühlen, und als Adula kurz ins Balneum schaute, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war, machte sie ihr ein Zeichen dazubleiben und ihr das Badelaken anzureichen.


    "Naja kennen ist wohl zuviel gesagt. Ich hab ihn erst zwei oder dreimal getroffen, aber da war er immer sehr nett und freundlich zu mir." beantwortete sie die Frage ihrer Cousine, während sie sich vorsichtig von ihrer Stufe erhob.


    "Sei mir nicht böse, aber ich werde mich jetzt mal wieder ankleiden. Adula wird sicher noch eine ganze Weile brauchen, um mir die Haare ein zweites Mal durchzukämmen und mein Dienst im Tempel beginnt morgen schon im Morgengrauen." Mit einem entschuldigenden Lächeln in Axillas Richtung ergriff sie die Hand ihrer Sklavin und ließ sich von dieser aus dem Becken helfen und in ihr Laken einwickeln.


    "Du hast die Pyramiden aus der Nähe gesehen?" Das weckte nun doch noch einmal Serranas Interesse, genauso wie die Erwähnung des kaiserlichen Palastes.


    "Meine Güte, so wie es scheint, hast du ja schon Bekanntschaften in den allerhöchsten Kreisen geschlossen." zwinkerte sie Axilla zu, während sie sich abtrocknete.


    "Soll ich dir die anderen Sklavinnen wieder hereinholen, damit sie dir helfen?"

  • Auch Axilla erhob sich aus dem Wasser und ließ sich erstmal noch auf der Stufe stehend etwas abtropfen. Der ganze Raum war dank der Rohre unter dem Boden gut beheizt, so dass sie nicht fror.
    “Ja, das wäre sehr nett“ antwortete Axilla auf die Frage, ob sie Hilfe brauchte. Sie konnte sich zwar durchaus auch alleine abtrocknen und auch kämmen, aber warum ablehnen? Man musste sich das Leben ja nicht schwer machen, nur um zu beweisen, dass man seine Sandalen selber binden konnte, weil man ein großes Mädchen war.
    Und so kam auch schon gleich eine Sklavin herbeigeeilt und rubbelte Axilla mit einem trockenen Tuch ab, ehe sie ihr ein zweites zum Einwickeln reicht und sich dann um die langen Haare kümmerte.


    “Oh, ja, die Pyramiden waren toll. Das war... ich weiß gar nicht, wie man das beschreiben soll. Es war so ein bisschen, als würde man in die Ewigkeit schauen, verstehst du? Die sind schon so unendlich alt, und so gewaltig und groß. Und die werden noch ewig dort so gewaltig und groß sein. Das ist eine Art von Unsterblichkeit, die sonst nur die Götter haben.“
    Axilla war schwer beeindruckt von den Pyramiden gewesen, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wofür die eigentlich gebaut worden waren. Aber beeindruckend waren sie gewesen, das ganz ohne Frage.
    Axilla ließ die Sklavin ihre Haare kämmen, auch wenn es ganz schön ziepte. Aber sie war nicht wehleidig, war es nie gewesen, und verzog nur dann und wann mal das Gesicht, wenn es besonders zog.
    “Höchste Kreise? Achso, weil Archias Aelier ist, meinst du. Ja, kann schon sein, aber ich vergesse das eigentlich die meiste Zeit. Ich mag ihn ja nicht, weil er zur Kaiserfamilie gehört, sondern weil er wirklich sehr nett und witzig ist. Ich würd mich auch dann auf das Essen mit ihm freuen, wenn es auf dem Aventin mit 30 anderen Hausbewohnern stattfinden würde.“ Axilla musste verschmitzt grinsen. “Wobei ich das mit dem Palast schon sehr aufregend finde.“

  • Nachdem Serrana auf der selben Bank Platz genommen hatte, auf der sie auch schon vor dem Bad gesessen hatte, begann nun auch Adula die Haare ihrer Herrin zu entwirren, während diese mit einem verträumten Gesichtsaudruck versuchte, sich die Pyramiden vorzustellen, von denen Axilla so eindrucksvoll berichtete.


    "Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich darum beneide, dass du so etwas wundervolles schon gesehen hast! Aber ich will mal nicht so undankbar sein, immerhin bin ich jetzt in Rom und sitze nicht mehr auf dem Campania auf dem Land rum...Da gab es nämlich gar nichts zu sehen, vielleicht mit Ausnahme des Vesuvs, und so spannend ist der auch nicht."


    So wie Axilla von ihrem Bekannten erzählte, schien dieser ja wirklich sehr sympathisch zu sein, und Serrana lächelte, während sie ihrer Cousine zuhörte. Ein Mitglied der Kaiserfamilie, du liebe Güte...


    Ja, das hört sich wirklich nett an. Dann halt ihn dir mal gut warm, diesen Freund, denn so viele Männer, die gleichzeitig nett und witzig sind gibt es sicher nicht in Rom."

  • “Warmhalten?“ Axilla blinzelte einmal verwirrt und es dauerte einen Augenblick, bis sie begriffen hatte, was Serrana damit andeuten wollte. Ganz hektisch und mit viel Gestik versuchte sie sofort, es richtig zu stellen. “Nein, nein, das ist ganz anders. Archi und ich... nein, also, so ist das nicht! Ganz bestimmt nicht! Wir sind wirklich nur Freunde!“
    In diesem Moment glaubte Axilla, dass man es ihr an der Nasenspitze würde ablesen können müssen, dass sie mit dem Aelier dieses eine Mal im Bett gewesen war. Aber selbst das änderte nichts daran, dass sie wirklich nur Freunde waren und nichts anderes.
    “Er ist doch mit Decima Seiana verlobt, und, und, ich hab ja sogar ein Gedicht für ihn geschrieben! Also, nicht für ihn, sondern für Seiana. Also von ihm. Also, ich hab's geschrieben, aber damit er es ihr schenken kann.“
    Axilla hoffte, dass das nun einigermaßen verständlich war. Sie wollte nur ganz sicher klarstellen, dass sie kein Interesse an Archias hatte, was eine Beziehung anging, oder gar eine Ehe. Für ihre Familie wäre das zwar wahrscheinlich ein unheimlicher Prestige-Gewinn, aber... das könnte sie ihm als Freund doch nicht antun! Er liebte Decima Seiana ja!

  • Da Axilla derart hektisch auf Serranas Bemerkung reagierte, überlegte diese einen Moment lang, ob es sich bei dem ihr unbekannten Aelier wohl um die unglückliche Liebe ihrer Cousine handeln könnte. Aber es gab doch wohl hoffentlich keine Männer, die ihren Verlobten Gedichte schenkten, obwohl sie in Wirklichkeit in eine andere verliebt waren... Und keine noch so verliebte Frau würde es wohl fertig bringen, ein solches Gedicht für die Verlobte ihres Angebeteten zu schreiben....nein, das war wirklich undenkbar!


    "Schade eigentlich." sagte sie daher munter und zuckte kurz zusammen, als Adulas Kamm an einer besonders verknoteten Stelle in ihren langen Haarsträhnen hängenblieb. "Dann hat diese Decima Seiana wohl großes Glück, dass sie so einen treusorgenden Verlobten gefunden hat. Ist sie eigentlich die Tochter des Senators?" Wenn diese Decima ungefähr in Axillas und ihrem eigenen Alter war, dann würde das ja in etwa hinkommen.

  • “Ja, sie hat wirklich Glück“, meinte Axilla lächelnd. Archias war wirklich ein toller Kerl, und sie konnte sich ganz ohne Eifersucht für ihn freuen. Und aus rein strategischen Gesichtspunkten wäre er sicher ein toller Fang. Aber sie liebte ihn eben nicht. Nicht ein bisschen. Sie hatte ihn als Freund unheimlich gern und vertraute ihm, aber sie hatte kein brennendes Gefühl der Leidenschaft, wenn sie an ihn dachte, oder sah ihn als Vater ihrer Kinder. Da war... nichts, nur Freundschaft.
    Die andere Frage aber brachte Axilla zum nachdenken. Sie überlegte kurz, was sie eigentlich über Seiana so wusste. Doch im Grunde wusste sie so gut wie gar nichts über diese Frau. “Öhm... ich glaube nicht. Nicht, dass ich wüsste. Ich meine, sie war siene Nichte. Oder die vom Stier von Tarraco?“ Sie überlegte kurz. Von irgendwem wichtigen war Seiana die Nichte, aber von wem? Axilla hatte doch keine Ahnung von den decimischen Familienverhältnissen! “Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“ Sie zuckte leicht hin mit den Schultern.

  • Nein, Archias war eindeutig nicht der geheimnisvolle Unbekannte in Axillas Leben, sonst würde diese jetzt wohl nicht so entspannt lächeln... Die schlimmsten Knoten in Serranas Haar waren mittlerweile beseitigt und Adulas Kamm fuhr nun gleichmässig, und ohne von weiteren Hindernissen aufgehalten zu werden, durch ihr Haar. Serrana schloss die Augen und spürte, wie sie unter den Händen ihrer Leibsklavin und deren Bewegungen allmählich wegdämmerte. Eine von Axillas Bemerkungen brachte sie jedoch kurzfristig noch einmal in die Gegenwart zurück.


    "Wer um alles in der Welt ist denn der Stier von Tarraco?" fragte sie ungläubig und konnte ein Kichern nicht unterdrücken, obwohl ihr bereits schwahnte, dass sie damit eine üble Wissenslücke offenbarte.
    "Ich kenne nur Minos, den kretischen Stier, aber der arbeitet als Masseur in den Thermen und ist ganz sicher nicht mit den Decimern verwandt." Ein weiteres Kichern folgte.

  • Jetzt war es an Axilla, doch einmal ganz erstaunt zu schauen. Sie war ja wirklich weit ab von allem, was man als 'Gesellschaft' bezeichnen konnte, aufgewachsen, aber sogar sie hatte den Triumphzug damals als Kind mitbekommen. Es geschah ja nicht alle Tage, dass es in Tarraco einen Helden zu feiern gab – auch wenn einige ihm den Triumph neideten und seine Leistung dabei schmälerten. Trotzdem war das für Axilla so selbstverständlich gewesen, dass sie nicht einmal darüber nachgedacht hatte und deshalb jetzt einen Moment ganz verdattert dasaß.
    “Der Stier von Tarraco? Das.. äh, das ist Maximus Decimus Meridius. Er hat Sertorius, den Schrecken Iberias, bei Septimanca und bei Utturae geschlagen und dafür vom Senat die Ehre eines Triumphzuges erhalten. As war... uff... vor zehn Jahren? Auf jeden Fall noch gar nicht so lange her, ich erinnere mich noch, dass Vater mich mit nach Tarraco genommen hat, und...“ Und kurze Zeit später doch noch gefallen war bei einer kleinen Revolte im Norden Hispanias, die noch als Nachbeben zu dieser ausgebrochen war. Axilla aber behielt eisern die Maske der Fröhlichkeit bei und wandte sich nur rasch dem Spiegel zu, um damit ihren Blick zu verstecken, und fuhr sich durch die frisch gekämmten Haare.
    “Auf jeden Fall wohl der größte momentan lebende Decimer. Eine große Ehre für die Familie. Aber ich weiß gar nicht, was der jetzt macht, ob er noch Feldherr ist oder irgendwas anderes.“
    Den Schlachtplan von Septimanca hätte Axilla wahrschienlich aus dem Stegreif runterrattern können, allerdings irgendwelche politischen Karrieren... das war etwas, das sie nicht verstand und sie sich daher auch nicht merken konnte.
    “Ich kann ja vielleicht nachfragen, wenn ich Senator Decimus Livianus besuche? Jetzt bin ich irgendwie schon neugierig.“

  • Oh, wie peinlich. Der besagte "Stier" war offenbar eine lebende Legende und trotzdem war seine Existenz bislang komplett an ihr vorbeigegangen... Eigentlich seltsam, dass ihr Großvater daheim nie über diesen Meridius gesprochen hatte. Wenn dieser Triumph allerdings tatsächlich vor zehn Jahren stattgefunden hatte, dann war es kein Wunder, dass er von ihrer Familie weitgehend unbeachtet geblieben war, denn zu dieser Zeit hatte sie selbst gerade um ihre Mutter und ihre Großeltern um ihre Tochter getrauert und andere Dinge im Kopf gehabt als das ferne Hispania. Serrana spürte wie bei der Erinnerung an dieses dunkle Jahr eine Welle der Traurigkeit über sie zu kommen drohte, schüttelte diese dann jedoch so schnell wie möglich ab. Schließlich hatte sie heute endlich ein paar neue Familienmitglieder kennengelernt, da musste die Trauer um die bereits verstorbenen einmal zurückstehen.


    "Ja, das ist eine gute Idee." stimmte sie Axillas Vorschlag zu. Es schadete ja nicht, wenn man ein wenig über die Familienverhältnisse seiner Nachbarn bescheid wusste, wobei sich Serranas Kenntnisse über ihre eigene Gens nach wie vor ebenfalls sehr in Grenzen hielten...
    Jetzt wurde es aber wirklich allmählich Zeit für's Bett, Serrana spürte wie sie immer müder wurde und sich nur noch nach ihrem gemütlichen Bett und ein paar Zeilen aus einer ihrer Schriftrollen sehnte.


    "Grüß den Senator bitte von mir, wenn du ihn besuchst, und Narcissa auch. Ich hab sie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr zu Gesicht bekommen und keine Ahnung, wie es ihr geht." bat sie ihre Cousine und stand dann auf, um sich wieder anzukleiden. "Ich werde mich jetzt hinlegen, aber ich wünsche dir eine schöne und erholsame erste Nacht in der Casa Iunia und natürlich wundervolle Träume. Morgen können wir uns dann in Ruhe weiter unterhalten." Serrana lächelte Axilla noch ein letztes Mal zum Abschied zu und verließ dann gemeinsam mit Adula das Balneum, um sich für die Nacht in ihr Cubiculum zu begeben.

  • Zu hause. Endlich zu hause. Axilla war erst im Hof der Casa aus der Sänfte gekrabbelt und durch die Küche ins Haus gegangen. Sie wollte mit niemandem reden, hielt die ganzen fragenden Gesichter mit hochgehobener Hand einfach auf Distanz und schwankte ins Haus. Sie fühlte sich schlecht. Furchtbar übel. Sie ekelte sich vor sich selbst, vor ihrem Körper, vor diesem Geruch, der überall an ihr klebte, vor allem an diesem Kleid. Noch im Gang riss sie es mit heftigen, zittrigen Bewegungen von ihrem Körper, während ihr der Ekel ins Gesicht geschrieben war. Mit einem “Hrrrg“ warf sie den feinen Stoff von sich auf den Boden, ihr Schmuck folgte kurz später. Die verschreckten Sklaven sahen sich nur hilfesuchend gegenseitig an, ehe sich einer traute, auf die scheinbar verrückt gewordene Iunia zuzugehen, die nun nackt dastand und sich haltsuchend an die Wand hinter ihr stützte.
    “Herrin, alles in Ordnung?“
    Ein leerer Blick aus schreckgeweiteten Augen. Axilla atmete so heftig, dass ihr ganzer Oberkörper sich bei jedem Zug bewegte. Sie hatte immernoch diesen Geruch in der Nase. Seinen Geruch. Überall an ihrer haut. “Ein Bad. Ich will baden.“
    “Ähm, ja, Herrin, wir machen Wasser warm. Das dauert ein...“ “NEIN! Jetzt! Jetzt gleich!“ Sie wollte jetzt gleich das abwaschen. Sie konnte es nicht ertragen.


    Und schon war sie losgegangen ins Balneum, hatte mit ungewohnt harschen Worten die Sklaven rumgescheucht und das Becken mit kaltem Wasser füllen lassen und sich hineingesetzt. Sie zitterte heftig, aber nicht wegen des kalten Wassers. Ihr war schlecht. So schlecht. Und sie ekelte sich so entsetzlich.
    Nach und nach wurde heißes Wasser hinzugeschüttet, aber das interessierte Axilla nicht. Mit dem Schwamm wusch sie sich zwischen den Schenkeln, so gut sie konnte. So tief sie konnte. Sie wollte nichts von Salinator in sich haben, nicht mehr. Sie schrubbte sich mit Bimsstein die Haut ab. Über die Arme, bis diese brannten, über die Beine, so gut sie sie erreichen konnte. Die Sklavin, die hier immer half, musste ihr den Rücken schrubben, und Axilla fauchte sie an, weil sie nicht kräftig genug schrubbte. Aber dieser Geruch musste von ihr weggehen, sie wollte ihn nicht an sich haben. Und sie hatte ihn immernoch in der Nase. Verzweifelt schrie sie das Mädchen an, so dass diese schließlich flüchtete und Axilla allein im Becken saß.


    Und weinte. Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Sie ekelte sich so! Sie hätte sich wehren müssen. Sie hätte Salinator zwingen müssen, ihr das Erbe von Archias zu geben. Sie hätte nicht bitten dürfen. Aber erst recht hätte sie nicht zulassen dürfen, dass er mit ihr geschlafen hatte. Und auf gar keinen Fall hätte sie ihn dabei küssen dürfen. Allein bei dem Gedanken wurde ihr schlecht, und sie beugte sich vor, krabbelte auf die Steinbank und lehnte sich nach außen, hielt sich den Bauch. Ihr war so schlecht. Sie hustete, würgte, ächzte, hielt sich den Bauch. Sie wollte sich übergeben, aber konnte es nicht. Es kam nichts. Was das ganze nur schlimmer machte. Sie meinte, seinen Geschmack immer noch im Mund zu haben. Da wäre ihr bittere Galle lieber gewesen.
    Sie schluchzte, weinte, ließ sich einfach nach vorne sinken, bis ihr Kopf auf dem kalten Marmorboden des Balneums lag.
    Und überall war noch dieser Geruch! Ihr Weinen ging in wütendes Schreien über, als die Verzweiflung darüber in blanken Selbsthass überging. Sie roch an der Haut an ihrem Unterarm. Es stank nach Salinator. Sie hatte sich so geschrubbt, und dennoch den Geruch nach seinem Schweiß an ihr. Sie bekam ihn nicht aus der Nase, und es ekelte sie so ungemein.
    Sie schnappte sich den Stein wieder, schrubbte sich, heftig, bis die Haut rot war. Als das nicht genug war, warf sie das Ding quer durch den Raum und kratzte sich mit blanken Nägeln über die Haut, bis sie blutete. Rot tropfte es in das Wasser, aber Axilla bemerkte es nicht. Sie wollte nur diesen Geruch loswerden.


    Und dann war Malachi da. Er stieg schnell neben ihr ins Wasser, angezogen, wie er war, und hielt ihre beiden Arme fest. Seine großen Hände schlossen sich um ihre brennenden, blutenden Unterarme und hielten sie fest, so dass sie sich nicht weiter kratzen konnte. Axilla schrie, brüllte unartikuliertes Wutgeheul ihm entgegen. Aber sie befahl nicht, dass er sie los ließ. Sie schrie ihm einfach nur den ganzen Schmerz und den ganzen Ekel, den sie empfand, entgegen, bis sie keine Kraft mehr hatte und sich einfach sinken ließ. Und Malachi hielt sie, zog sie an sich und hielt sie. Er sagte kein einziges Wort, streichelte nicht oder versuchte, irgendeinen Ratschlag anzubringen. Er hielt sie einfach, bis sie apathisch war und sich nicht mehr rührte. Vorsichtig stieg er aus dem Bad, übergab sie den Sklavinnen, die Axilla abtrockneten und in ihr Bett brachten. Aber er sagte kein Wort zu ihr. Nicht eines.

  • Darling, stop confusing me
    With your wishful thinking
    Hopeful embraces
    Don't you understand?


    I have to go through this, I belong to here
    Where no one cares and no one loves
    No light, no air to live in
    A place called Hate, The City of Fear


    I play dead, it stops the hurting
    I play dead and the hurt stops


    It's sometimes just like sleeping
    Curling up inside my private tortures
    I nestle into pain
    Hug suffering, caress every ache


    I play dead, it stops the hurting...


    "Play dead" von Björk Gudmundsdóttir
    aus ihrem Album „Debut“, 1993



    Sibel betrat den kleinen Raum, in dessen Mitte sich ein mit warmem Wasser gefülltes Becken befand. Die Wände des Balneums waren mit Abbildern mythologischer Szenen ausgestattet und ein passendes Mosaik dazu schmückte en Fußboden. Dafür aber hatte die Lykierin gerade keine Augen. Auch der feine aromatische Duft nach Lavendel, der ihre Nase umschmeichelte und von einem Badezusatz herrührte, hatte sie nicht entzücken können.


    Eine Sklavin erwartete sie bereits dort und wollte ihr beim entkleiden helfen. Sibel war es aber peinlich, sich von ihr bedienen zu lassen. Eine Sklavin, die sich von einer Sklavin bedienen lässt? Nein, das war es nicht, was sie wollte! „Danke, das geht schon.“ Zuerst legte sie die Bernsteinkette ab, dann streifte sie die Tunika ab. Zum Schluss öffnete sie ihr Haar, das mit Nadeln zusammen gehalten waren.
    Um sich nicht völlig überflüssig vorzukommen, nahm die Sklavin schließlich die Kleidung Sibels und verwahrte sie in einem Regalfach, das speziell für die Aufbewahrung solcher Gegenstände gedacht war.


    Vorsichtig stieg Sibel schließlich ins Wasser und ließ sich ganz hinein gleiten. Die Wärme fühlte sich gut an und auch die Leichtigkeit, die das Wasser ihrem Körper verlieh. Ruhig und nahezu bewegungslos lag sie auf dem Wasser und starrte die Decke an. Ihre Aufmerksamkeit kehrte erst wieder zurück, als auch die Sklavin zu ihr ins Wasser stieg. „Soll ich dich waschen, Domina?“, fragte sie Sibel.
    Die Lykierin versuchte, wieder einen festen Stand im Becken zu erlangen. „Nenn mich nicht so! Ich bin keine „Domina“. Ich bin nicht mehr oder weniger als du selbst.“ Die Sklavin, die es eigentlich nur gut gemeint hatte, wich zurück und beobachtete Sibel einen Moment lang. „Du willst damit sagen, du bist auch nur eine Sklavin? Und was willst du dann hier?“ Die letzte Frage der Sklavin hatte einen leicht vorwurfsvollen Klang, den Sibel natürlich nicht überhört hatte.
    „Das frage ich mich auch,“ antwortete sie und schwieg dann.

  • Sibel lag auf dem Wasser. Sie bewegte sich kaum uns balancierte ihren Körper so, dass er nicht unterging. Das hatte sie früher als Kind auch schon gemacht, wenn auch nicht immer ganz freiwillig.. Damals als sie noch die Spielgefährtin für die Kinder ihrer Herrschaft gewesen war. ‚Tot spielen‘, hatte der junge Aurius, der damals noch ein Knabe war, das Spiel genannt. Von Anfang an hatte sie dieses Spiel nicht mitspielen wollen. Wahrscheinlich weil es sie auf so schmerzliche Weise an ihr eigenes Schicksal erinnerte. ‚Tot spielen‘ hatte so etwas erschreckend Reales für sie gehabt. Diejenigen, die damals die Schiffskatastrophe nicht überlebt hatten und tot im Wasser schwammen, spielten nicht tot. Sie waren es.


    Nach einer Weile der Stille, war es dann die Sklavin, die das Wort an Sibel richtete. Auch wenn sie vorhin nicht im Atrium zugegen gewesen war, hatte sie dennoch mitbekommen, dass etwas vorgefallen war. Nicht jeden Tag schrie jemand im Atrium herum. Wie überall tratschten die Sklaven auch in dieser Casa. Und die Sklavin hoffte darauf, nun noch ein wenig mehr über die Fremde zu erfahren. Sie hatte sie bereits die ganze Zeit über beobachtet. Bislang aber hatte ihr noch der Mut gefehlt, weiter nachzuhaken. Doch nach einiger Zeit traute sie sich etwas mehr zu. „Wessen Sklavin bist du eigentlich?“
    „Die von Iunius Avianus,“ antwortete Sibel gleichgültig und versuchte dabei weiter die Balance zu halten. Doch das gelang ihr nicht. Sibel ließ wieder ihre Füße zu Boden sinken.
    „Und warum hast du so geschrien, vorhin im Atrium?“ Es gab vieles, was die Sklavin nicht verstand. Diese seltsame Beziehung, die der Iunier zu seiner Sklavin pflegte, zum Beispiel. Oder weshalb sie eigentlich hier war und nicht bei ihrem Herrn, so wie es sich für eine gute Sklavin gehörte.
    Die Fragerei der Sklavin begann Sibel lästig zu werden. Statt zu antworten, hielt sie die Luft an und tauchte unter. Hier unten, unter Wasser, hatte alles einen anderen Klang. Alles war viel dumpfer. Wie es wohl war, für immer hier unten zu bleiben?

  • Nachdem nun Sibel untergetaucht war, um ihre Frage unbeantwortet zu lassen, wurde es der Sklavin zu bunt. Weshalb sollte sie noch länger hier im Becken bleiben und die Launen dieser Sklavin zu ertragen? So wendete sie sich ab und stieg wieder aus dem Becken heraus und schenkte der Untergetauchten so gut wie keine Beachtung mehr. Mit einem Handtuch trocknete sie sich noch ab und wollte bereits gehen. Doch dann beschlich sie eine seltsame Ahnung. Avianus‘ Sklavin war scheinbar immer noch unter Wasser. Wenn sie so lange die Luft anhalten konnte, dann alle Achtung! Dann aber riskierte sie doch lieber noch einmal einen Blick über den Beckenrand.


    „He du! Wie lange willst du noch da unten bleiben?!“ Es folgte keine Reaktion. Die Frau dort im Becken bewegte sie auch gar nicht. Nun bekam die Sklavin doch Angst. Wenn dieser Frau etwas geschah, während sie bei ihr war, würde das auf sie zurückfallen!
    Die Sklavin, die sich der Folgen bewusst geworden war, die ihr drohen konnten, sprang direkt von Rand ins Becken. Auch sie tauchte unter und versuchte, Sibel zum Auftauchen zu bewegen. Doch was sie dort unten vorfand, war ein scheinbar lebloser Körper. Nur mit viel Mühe konnte sie Sibel wieder über Wasser ziehen und noch mehr Kraft und Anstrengung hatte es sie gekostet, sie aus dem Becken herauszuziehen.
    Mit letzter Kraft versuchte sie Sibel zu schütteln, damit sie wieder atme. Doch diesen Gefallen tat sie ihr nicht. So blieb ihr nur eins übrig, um Hilfe zu schreien!

  • Atticus kam außer Atem im Balneum angetrabt und war mehr als froh, dass scheinbar doch kein Gegner zu sehen war. Wenn jetzt hier jemand bewaffnetes gewesen wäre, wäre er wohl zu sehr außer Atem gewesen, um ernsthafte Gegenwehr zu leisten und dieses Haus zu verteidigen. Zum Glück war Malachi weit weniger außer Atem und schien durchaus kampfbereiter zu sein. Auch wenn ihre Waffen hier zur allgemeinen Sicherheit aus Holz waren. Aber auch mit einem guten Stück Haus konnte man schließlich einem anderen durchaus mehrere Knochen brechen oder in die Augen stoßen und ähnliche unangenehme Dinge. Aber all das war offenbar auch gar nicht nötig. Hier waren nur zwei sehr nasse Mädchen.


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    “Was ist los?“ fragte Malachi auch schon, kaum, dass sie zur Tür herein waren. Es schrie ja keiner nur so zum Spaß um Hilfe. Und eines der beiden Mädchen schien ja auch ohnmächtig zu sein.

  • Welch ein Glück! Es kam auch sofort Hilfe. Die Sklavin,deren Name im Übrigen Corinna lautete, versuchte noch immer, nur durch bloßes Rütteln der Lykierin wieder Leben einzuflößen und geriet allmählich in Panik, da ihre Bemühungen nicht fruchten wollten. Sie sich bereits am nächsten Kreuz baumeln.
    Umso größer lasteten nun ihre Hoffnungen auf dem Sklaven, der soeben eingetreten war und dessen Stimme sie vernommen hatten. „Schnell! So hilf mir doch, sonst stirbt sie!“ rief Corinna und befürchtete, dass es fast schon zu spät war. „Sie hat ein Bad genommen und ist untergetaucht. Aber dann kam sie nicht mehr hoch,“ versuchte Corinna sich aufgelöst zu erklären. „Mach, dass sie wieder atmet! Bitte!“, flehte die Skavin.

  • Atticus ließ jetzt auch endlich sein Schwert sinken und ließ das Schild los, das mit einem ziemlich lauten und dumpfen Knall auf dem Boden landete. Irgendwie war er ja erleichtert, dass hier kein Einbrecher war, der irgendwen totgeschlagen hatte. Aber offenbar gab es trotzdem eine Verletzte. Wie konnte man sonst erklären, wie jemand in nicht einmal hüfttiefem Wasser ertrank? “Weißt du... was man... da machen muss?“ schnaufte er ein bisschen außer Atem und sah Malachi an. Der war ja immerhin Gladiator und nicht Medicus. Und auch sonst war niemand mit dieser Befähigung im Haus. Wer dachte da auch schon daran?


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    “Nicht genau“ antwortete Malachi nur knapp und schnappte sich auch schon den Körper der Frau. Er war kein Heiler und kein Seefahrer, noch nicht einmal war er im früheren Leben Fischer gewesen. Aber wenigstens hatte er seinem Rabbi als Kind einigermaßen gut zugehört und erinnerte sich an die Geschichte des Elisha. Also legte er das Mädchen flach auf den Rücken und begab sich rittlings über sie, legte seine Hände auf die ihren, brachte ihre Köpfe auf gleiche Höhe und atmete einmal kräftig mit seinem Mund in ihren. Entweder, das half wirklich, oder wie die vielen anderen Geschichten der Nevi'im war auch das mehr Wunsch als Wirklichkeit.

  • Das Geschrei, dass im Balneum etwas vorgefallen war, war auch bis zu ihm vorgedrungen, und Avianus verlor keine Zeit, durch die Casa dorthin zu hetzen, wohl wissend dass außer Sibel und der ein oder anderen Sklavin niemand anderes dort gewesen war. Von außen hörte er bereits die aufgeregte Stimme einer Sklavin und es war eindeutig nicht Sibel.
    Voller Angst eilte er durch die Tür ins Balneum. Wie ein Schlag traf ihn dort das Bild des leblosen Körpers, der im Balneum lag, nicht aber wie der einer Faust oder eines Knüppels, viel eher wie der einer Abrissbirne. Ein Fremder war über sie gebeugt, und versperrte ihm ansonsten die Sicht, aber ihr Anblick - nackt, blass, ohne jegliche Regung, die feuchten, schwarzen Haare, ... - wischte alle Gedanken fort, ließ nur Panik zurück und alle anderen im Raum, der Junge der da stand und auch die Sklavin, nebensächlich werden.
    Jedes Wort blieb ihm im Hals stecken und sein Herz hämmerte ihm bis zum Hals, als er auf sie zuhetzte und erkannte, dass der Fremde bereits Beatmungsversuche startete. Nein, war alles was er gerade dachte. Nein, das kann nicht sein. Nein, tu' mir das nicht an. Sie musste atmen, alles andere war egal … sie musste einfach.
    "Ist sie ...?", brachte er endlich Worte hervor, wenn auch nicht viele, stockte und betete innerlich zu allen Göttern, die da sein mochten, dass es nicht zu spät war. Wie hatte er sie nur allein lassen können, nach allem, was heute geschehen war.

  • Corinna schluchzte in einem fort. Sie saß kauernd neben Sibel und hatte Malachi Platz gemacht. Ihr war erst jetzt bewusst geworden, dass der Sklave keineswegs alleine das Balneum betreten hatte. Sie erkannte nun auch seinen Dominus, den Sohn der Domina Axilla, der sich etwas abseits aufhielt und Zeuge dessen wurde, was sein Sklave nun vollbrachte.


    Sibel war hinuntergeglitten. Für einen Augenblick lang dachte sie darüber nach, wie es wäre, für immer hier unten zu bleiben. Die Welt von hier aus zu erleben, war weniger qualvoll. Denn das Wasser schuf eine natürliche Distanz zu den Dingen. Von hier aus war es weitaus erträglicher.
    Noch waren ihre Lungen voller Luft, doch sie spürte bereits den Drang, wieder atmen zu wollen. Statt aber wieder an die Oberfläche zurückzukehren, blieb sie an diesem wundersamen Ort, der ihr mehr und mehr vertraut wurde.
    Sie hatte ihren Mund geöffnet und ließ das Wasser in ihre Lungen strömen. Zunächst war es noch ungewohnt und sie wollte sich auch schon dagegen sträuben. Dann aber akzeptierte sie es für sich und alles um sie herum begann dunkel zu werden…


    Jammernd beobachtete Corinna nun die Handgriffe Malachis. Sie betete, ganz gleich zu welchem Gott, sie hoffte und bangte, der Sklave möge Erfolg haben! Indessen flößte Malachi ihr neuen Atem ein, auf dass sie selbst wieder atmete.
    Die ganze Sache erreichte schließlich ihren Höhepunkt, als auch noch Avianus ins Balneum geeilt kam, angetrieben von den Schreien und dem Tumult, der von hier ausging. Für die Sklavin war es wohl das Schlimmste, ihm in die Augen blicken zu müssen und jammernd seine Frage mit einem Nicken zu beantworten, denn auch die Anstrengungen Malachis schienen keinen Erfolg zu haben.


    Doch dann plötzlich, es ging ein Aufbäumen durch Sibels Körper. Als habe eine höhere Macht Einfluss genommen. Ein Schwall Wasser verließ ihren Mund und sie begann heftig zu husten.
    Als Sibel die Augen aufschlug, blickte sie in das fremde Gesicht eines Mannes, der sich über sie gebeugt hatte. Alles wiederholt sich wieder…

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    Die Frau hustete und würgte Wasser hervor. Malachi drehte sie sofort zur Seite, damit sie leichter das Wasser herauswürgen konnte, und klopfte ihr ein paar Mal so kräftig auf den Rücken, dass wohl sogar der römische Neptun Wasser ausgespuckt hätte. Anscheinend wirkte diese Methode tatsächlich und war keine Erfindung. Über alles weitere und die Konsequenzen daraus allerdings musste wohl doch ein Medicus urteilen, das überstieg nun wirklich sämtliche seiner Kenntnisse.
    Also stieg er dann auch gleich von der Frau herunter und begab sich ohne den geringsten Kommentar oder erklärendes Wort beiseite und sammelte einfach nur Stumm wieder seine Übungswaffen ein.




    Atticus hatte das alles mit Erstaunen mit angesehen. Offensichtlich schnappten Mädchen wohl nach Luft, wenn man sie küsste. Warum auch immer. Vielleicht gehörte das einfach zu den Mysterien der Weiblichkeit, die sich keinem Mann – und ganz besonders ihm nicht – erschlossen.
    Irgendwie vermutete er, dass er als quasi-Hausherr irgendwas sinnvolles zu der Sache sagen sollte. Der andere Mann, der dazu gekommen war, musste einer der Vettern seiner Mutter sein, aber Atticus hatte keine Ahnung, welcher von den beiden. Dafür waren die Vettern seiner Mutter schlicht zu wenig im Haus, als dass er mehr von ihnen als den Namen wusste. Vermutlich ging es ihnen aber anders herum genauso.
    Eigentlich hatte er die beiden ja im Haus noch richtig willkommen heißen wollen. Sein Vetter Silanus war ja vermutlich auch wieder tagelang absolut unabkömmlich, so dass er als einziger Mann im Haus übrig blieb. Was an sich ja schon kurios war, war er eigentlich ja Pompeier. Aber alle Leute nahmen ihn immer nur als Sohn seiner Mutter wahr, nie als der seines Vaters.
    Aber wie dem auch sein mochte, das hier jetzt war definitiv nicht auf seinem Plan gewesen, und jetzt den Verwandten unbekannterweise zu grüßen erschien irgendwie unpassend. Überhaupt, wer war die Frau, die es geschafft hatte, in einem Balneum fast zu ertrinken?
    “Ähm....“, kam es also wenig redegewandt aus ihm heraus, und er wusste wirklich nicht, was man in so einer Situation zu sagen hatte. Irgendwie rettete er sich in ein “Holt schon jemand einen Medicus?“

  • Vollkommen hilflos stand Avianus diesem Moment da und spürte wie seine Knie nachgeben wollten. Nur ein Nicken hatte ihm die Sklavin zukommen lassen, doch es reichte, um ihm damit den Atem zu rauben. Sie war weg … so plötzlich, als hätte ihm jemand ein Schwert in den Rücken gerammt. Er hatte es nicht kommen sehen und das obwohl er Mitschuld trug. Er hatte sie hierher gebracht, zugelassen, dass das Gespräch zwischen Seneca und ihm sie verletzte, und es danach nicht einmal für nötig befunden, an ihrer Seite zu bleiben, sie zu trösten und ihr zu zeigen, wie viel sie ihm doch bedeutete.
    Dann ging ein Zucken durch ihren Körper, das erlösende Geräusch eines Hustens drang langsam aber sicher zu ihm durch. Ihr Oberkörper regte sich. Eine gefühlte Ewigkeit dauerte es, bis er ihre Laute und Regungen voll und ganz realisierte und sich endlich aus seiner Starre löste. Verdammt, sie lebte. Avianus griff nach einem Handtuch und ging neben dem Kerl, der Sibel zu Hilfe geeilt war, in die Knie. Der drehte sie nur zur Seite und zog sich zurück. Sie war haarscharf am Tod vorbei geschlittert, hätte man ihr nur ein paar Minuten später geholfen, vielleicht auch weniger, hätte er sie wahrscheinlich verloren. Er würde sich nachher noch die Zeit nehmen, dem Mann ausreichend zu danken.
    "Du lebst …", sagte er nun einfach nur erleichtert zu Sibel und strich ihr die feuchten Haare aus dem Gesicht, brachte nach all der Aufregung aber noch kein Lächeln zustande. Damit sie nicht weiterhin nackt vor den Leuten lag, legte er ihr das Handtuch über die Schulter und würde ihr helfen, sich aufzusetzen, wenn sie soweit war.
    Ein Medicus. Natürlich. Noch hatte er gar keine Zeit dazu gehabt, sich darüber Gedanken zu machen, wie es überhaupt soweit kommen konnte, das Sibel im Balneum fast ertrank. Aber selbst jetzt schien das nebensächlich. Erst sollte sie wieder halbwegs auf die Beine kommen. "Ja… ein Medicus", stimmte er dem Jungen zu, hatte sich dabei noch immer nicht ganz gefasst und blickte zu der Sklavin hinüber, die wimmernd dasaß, "Zieh dir was über und sie zu, dass einer vorbeikommt!" Dann blickte er zurück zu dem Jungen, den er nicht einmal kannte, aber mit solch einer Selbstverständlichkeit herumstand, dass anzunehmen war, dass er hier wohnte. "Salve", grüßte er knapp, ohne recht zu wissen, wie er sich nach dem Drama, das gerade stattgefunden hatte, vorstellen sollte. Die Umstände unter denen sie sich hier kennenlernten, waren wohl alles andere als gewöhnlich.

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