Hauptverhandlung IUD PUB I/DCCCLX - Faustus Octavius Macer vs. Gnaeus Varius Burrus

  • Der Flavier winkte ab.
    "Ich habe noch viel zu tun heute. Einen angenehmen Tag. Valete.", schließlich würden seine Mitiudices ihn von den Ergebnissen ihrer Erkundung in Kenntnis setzen. Und ein so schöner Tag war nicht von den Göttern geboren, um ihn im carcer verstreichen zu lassen.
    Also entfernte sich der Flavier unter einem vorgetäuschten Aufwand und verließ das Gerichtsgebäude wenige Minuten später in Richtung Villa Flavia Felix.

  • Am Tag nach der Verhandlung, die noch von einem Besuch um Kerker gefolgt wurde, trafen sich am Morgen zunächst der Praetor und seine Iudices zur gemeinsamen Urteilsfindung. "Guten Morgen!", grüßte Macer in die kleine Runde, als alle anwesend waren. "Alle Beweisanträge wurden gesichtet, alle Zeugen gehört. Die Anklage lautet auf Mord nach §73 des Codex Iuridicialis, insbesondere Absatz 2", fasste er den Stand der Dinge zusammen. Da über gerade jenen Paragraphen auch im Senat debattiert wurde, gestattete sich Macer, die für diesen Prozess noch gültige Fassung vorzulegen:


    § 73 Mord
    (1) Wer einen anderen ohne staatliche oder militärische Befugnis tötet, ist mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.
    (2) In besonders schweren Fällen kann das Gericht auf Todesstrafe erkennen.


    "Sind wir also überzeugt, dass Gnaeus Varius Burrus einen anderen ohne Befugnis getötet hat? Und falls ja, ist dies auch ein besonders schwerer Fall?" stellte er dann die Frage, über die das Gericht zu befinden hatte.

  • Als erster meldete ich mich zu Wort....


    "Nun, für mich steht außer Frage, dass er an der Tat beteiligt war.... die Frage dabei ist, hat ER selbst die Waffe geführt, oder ist es so, wie er sagt, dass sein Kumpane die Tat an sich durchgeführt hat."

  • Der Flavier hatte darüber recht lange nachgedacht und als sein vinicischer Kollege sich äußerte, spielte er gerade, wie so oft, an seiner Unterlippe, welche er zwischen dem Daumen und Zeigefinger zu knetete. Dann jedoch hielt er inne und räusperte sich.


    "Ich würde beides verneinen.", sprach er zu Macer, um dann wieder auf die Aussage des Viniciers Stellung zu nehmen."Im Zweifel für den Angeklagten und da es keine Zeugen für die Ausführung der Tat gab, können wir auch nicht entscheiden, dass dem so war.
    Natürlich sprechen viele Annahmen dafür, doch unsere Aufgabe ist es, die Wahrheit heraus zu finden oder ihr nahe zu kommen, daher dürfen wir uns nicht auf bloße Annahmen stützen. Es gibt keinen Beweis, dass jener Mann mit der Waffe auf das Opfer einstach, noch gibt es nicht den Beweis, dass jener, falls er einstach, dem Opfer die tödliche Wunde zutrug."

    Auch wenn der Mann zum Pöbel, einem aggressiven Metier angehörte, konnte man ihn nicht aufgrund dessen des Mordes verantwortlich machen.
    "Zudem finde ich es recht außergewöhnlich, dass der einzige Zeuge, nämlich sein Kumpane, nicht am Leben ist. Er wäre der einzige gewesen, welcher den Angeklagten entlasten könnte."

  • Macer hörte seine beiden Iudices an und war durchaus überrascht über deren Meinung. "Ihr möchtet also das Geständnis des Angeklagten, nach dem er dem Opfer das Messer in den Rücken gerammt hat, völlig unbeachtet lassen?" erkundigte er sich. "Er hat dieses zwar gestern unter Verweis auf die angebliche Folter wiederrufen, aber wie wir uns selbst überzeugen konnten, ist seinem Körper in der Haft kein Schaden zugefügt worden. Unabhängig davon, werden wir das Geständnis als Teil der Ermittlungsarbeit der Cohortes Urbanae in jedem Fall in der Begründung des Urteils berücksichtigen müssen."

  • "Durchaus nicht.", entgegnete er recht schnell, um dann ein wenig länger auszuführen.
    "Hier steht dennoch eine Aussage wider der anderen. Er hat seine eigene widerlegt. Zu berücksichtigen ist sie schon, jedoch hat für mich eine Aussage vor Gericht eine größere Gewichtung.", denn wenn auch keine sichtbaren physischen Schäden zu sehen waren, wusste niemand, wie das Verhör bei den Cohortes vonstatten gegangen ist. Mitnichten wollte er dem Staatsapparat Willkür unterstellen, doch die ein oder andere Methode zur schnellen Wahrheitsfindung war jener nicht immer dienlich - das war eine weit verbreitete Annahme.
    "Zweifelsohne ist der Angeklagte einer der Hauptbeteiligten an einem Gewaltverbrechen, ich denke diese untere Grenze der Strafzufuhr sollten wir markieren. Ob er sich jedoch in höheren Sphären aufhält, muss ausdiskutiert werden."

  • "Wie schon erwähnt..... für mich steht außer Frage, dass er beteiligt war, aufgrund des Geständnisses..... die Widerrufung vor Gericht und die Vorwürfe an die Urbaner, welches sich nicht bestätigt haben, untermauern meine Ansicht auch noch.
    Die Frage ist, ob wir ihn wegen Mordes verurteilen können.... er gab zu, zugestochen zu haben, doch es kann nicht bewiesen werden, wie mein Kollege, Seantor Flavius schon sagte, dass dieser Stich tödlich war....."

  • "Meines Erachtens ist es nicht notwendig, dass wir nachweisen, dass dieser eine Stich tödlich war", führte nun auch Macer seine Meinung aus. "Er reicht mir, um darin einen versuchten Mord zu sehen. Auch der versuchte Mord ist strafbar. Hinzu kommt meines Erachtens, dass das Gesetz in §48, Satz 2 ausdrücklich vorsieht, dass bei gemeinschaftlich verübten Taten alle beteiligten Mittäter als Täter zu bestrafen sind. Nach meinem Verständnis existiert dieser Satz genau deswegen, damit bei einem gemeinschaftlich verübten Mord wie dem vorliegenden nicht jeder darauf verweisen kann, dass der andere den letztlich tödlichen Stich gesetzt hat. Damit würden beide Täter straffrei ausgehen, was dem Gesetz krass widersprechen würde."


    Nach einer nur kurzen Pause sprach er weiter. "Dies ist meine Sicht, soweit wir überzeugt sind, dass er an der Tat beteiligt war. Sollten wir allerdings grundsätzlich in Zweifel ziehen, dass er überhaupt am Tatort war und sein Geständnis somit ignorieren, sieht es anders aus. Ich bin jedoch geneigt, das Geständnis für glaubwürdig zu halten."

  • Seine Sichtweise schien die beiden Iudices sehr nachdenklich gemacht zu haben, so dass Macer ziemlich lange abwartend in die kleine Runde blicken musste, während alle drei schwiegen.

  • Macer nickte, da die Wortmeldung zumindest halbwegs auf seiner Linie lag. "Dann sind wir uns also schonmal einig, dass er an der Tat beteiligt war?" fragte er und blickte dabei insbesondere in Richtung von Flavius Furianus.

  • "ja, seine widersprüchlichen Aussagen beim Verhör und dann bei der Verhandlungen bringen mich dazu, das so zu sehen! Ausserdem hat er ja bei der Verhandlung nicht geleugnet dabei gewesen zu sein. Von daher ist dies wohl unumstritten!"

  • Erneut setzte langes Schweigen ein. "Wir sind uns also einig, dass der Angeklagte an der Tat beteiligt war", resümierte Macer, da von Flavius Furianus kein Widerspruch gekommen war. "Als Tatbeteiligter ist er meines Erachtens als Mörder zu bestrafen", wiederholte er seine schon einmal getätigten Äußerungen in Kurzform. "Höre ich Widerspruch?"

  • Macer wartete das Kopfzerbrechen von Furianus noch ein wenig ab, aber da dieser entgegen seiner ersten Äußerungen keinen weiteren Widerspruch erhob, nahm er dies als Zustimmung. "Gut, dann sind wir uns also einig, dass der Angeklagte als Mörder zu betrachten ist. Wie halten wir es mit dem speziellen Punkt der Anklage, also die Verurteilung zum Tode wegen eines besonders schweren Falles? Ich bin geneigt, diesem nicht zu folgen, da die Anklage meines Erachtens nicht einmal einen Ansatz gemacht hat, die besondere Schwere zu belegen." Erneut blickte er in die Runde. Wenn wieder kein Widerspruch kam, waren sie endlich fertig und konnten eine lebenslage Freiheitsstrafe verkünden.

  • Es kamen keine weiteren Einwände seiner Iudices, also klopfte Macer zufrieden auf den Tisch. "Sehr schön, damit sind wir uns also einig. Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Mordes", fasste er das Urteil zusammen. Ein Schreiber würde es schriftlich abfassen, während sich die Richter darauf vorbereiteten, es später im Gerichtssaal zu verkünden.


    In selbigem Saal mussten sie noch etwas warten, bis alle Prozessbeteiligten anwesend waren. Dann erhob sich Macer von seinem Stuhl und wartete auf Ruhe. "Nach eingehender Beratung des Gerichts ergeht folgendes Urteil: Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Gnaeus Varius Burrus am Mord an Caius Octavius Cato beteiligt war und als Mörder zu bestrafen ist. Das Gericht folgt damit in diesem Punkt der Anklage und dem Geständnis des Angeklagten. Dem Vorwurf des Angeklagten, zu dem Geständnis durch Anwendung von Gewalt gezwungen worden zu sein, folgt das Gericht nicht. Ferner folgt das Gericht nicht dem zweiten Punkt der Anklage und stellt keine besonders schwere Schuld des Gnaeus Varius Burrus fest. Als Strafmaß ergibt sich damit aus dem Gesetz die lebenslange Freiheitsstrafe."

  • Flavius Furianus saß regungslos da und versuchte sein Gewissen zu beruhigen. In dem entscheidenden Augenblick seine Meinung kund zu tun, die verschiedener nicht sein konnte von der offiziellen, hatte er geschwiegen. Reue empfand er zunächst nicht, wäre er ohnehin doch eindeutig überstimmt worden, doch den Mann wollte er - auch wenn er das Opfer gut kannte und überaus schätzte - nicht auf diese Weise verurteilen. Eine Beteiligung am Mord hätte er durchsetzen müssen, hätte rhetorische Fingerfärtigkeiten einsetzen müssen - vergeblich, denn ihm versagte es aus einem unbekannten Grund in der Stimme.
    Mochten ihn die Götter dafür richten - sein Gewissen tat es schon jetzt. Denn obgleich dieser Mann nicht unbeteiligt, mehr noch, sehr involviert war, so konnte seine Schuld so groß nicht sein.

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