Es war der Abend nach Sivs Freilassung. Der Tag von Celerinas Rückkehr. Ich war am Morgen früh aufgestanden, weil ich ohnehin nicht mehr hatte schlafen können. Und überhaupt hatte ich kaum geschlafen in der Nacht, trotz des Weines nicht, den ich getrunken hatte. Eingekleidet hatten mich Dina und Sofia, die beide überaus stumm gewesen waren. Dann hatte ich einer Senatssitzung beigewohnt, anschließend Apollo ein kleines Opfer dargebracht. Als ich davon heimgekehrt war, hatte mich die Nachricht erwartet, dass Celerina inzwischen eingetroffen war, und nach unserem Gespräch hatte ich mich in meinem Arbeitzimmer mit unwichtigen Dokumenten und der ergebnislosen Prüfung von Gesuchen und Angeboten vergnügt. Die cena hatte ich erfolgreich und allein hinter mich gebracht. Und nun war es Abend, die Dämmerung war bereits vor einer Stunde der Nacht gewichen, und ich stand in meinem Schlafgemach und sah in die Dunkelheit hinaus. Der rechtsseitig gelegenen Verbindungstür zu Sivs Schlafkammer war ich mir so bewusst wie sonst selten. Ab und an hörte man ein leichtes Schaben durch den Türspalt, wie als ginge jemand auf und ab oder als schlage jemand eine Buchseite um. Oder tat etwas anderes. Ein mattes Leuchten quoll unter dem Türblatt hindurch und verriet zusätzlich zu dein kaum wahrnehmbaren Geräuschen, dass jemand anwesend war. Mein Zimmer hingegen war dunkel, und ich hatte von meinem Platz am Fenster schon beobachtete, wie der Tag allmählich zur Nacht wurde.
Ich wollte es ihr sagen. Das wollte ich wirklich. Aber bewies es nicht ungeheure Schwäche, sie an mich zu pressen und ihr zu sagen, dass ich sie liebte? Und gerade jetzt, wo Celerina nach Hause gekommen war, wäre es erst recht falsch gewesen. Mehr noch als am Tag zuvor, wo ich es nicht gekonnt hatte.
Mitten in meine Überlegungen hinein öffnete sich die Tür. "Oh. dominus, da steckst du. Es tut mir leid, ich hätte anklopfen sollen. Ich hätte nicht gedacht, dass du hier bist." Brix. Ich wandte mich um und sah ihn an. "Schon gut", erwiderte ich. Er trat ein und schloss die Tür. In der Hand hielt er ein Pergament. "Ich habe hier die Abschrift der Freilassungspapiere", sagte er dann und legte sie auf den Tisch neben eine halbvolle Karaffe Wein. "Ich wollte sie dir herlegen. Ich wusste nicht, ob du sie ihr geben oder selbst verwahren willst." Mein Blick folgte ihm. Ich sah dabei zu, wie er das Dokument auf das dunkle Holz des Tisches legte und mich dann anssah, als läge ihm sonst noch etwas auf dem Herzen. "Und?" fragte ich daher und hob die Brauen. "Und... Ich wollte dich fragen, was mit ihr wird. Ob sie hier bleiben wird", sagte Brix und beobachtete mich. "Das ist ihre Entscheidung", erwiderte ich eine Spur zu schnell, und Brix hob eine Braue um eine Spur, was ich ob der Lichtverhältnisse nicht sah. "Ich nehme an, sie wird ein eigenes Zimmer bekommen? Ein größeres, meine ich. Zumindest bis zur Niederkunft... Du kannst sie in diesem Zustand nicht fortschicken, dominus. Sie würde es nicht schaffen, von dem Kind einmal abgesehen." Brix' Stimme war zwar leise, doch nachdrücklich. Ich starrte ihn einen Moment lang an, wandte mich dann mit einer ärgerlichen Geste ab. "Gib ihr ein Zimmer, wenn sie das will. Ich werde sie nicht hinauswerfen, sie kann bleiben, wenn sie das möchte. Das weiß sie!" fauchte ich. Brix erwiderte nichts. Und kurz darauf hörte ich, wie die Tür leise ins Schloss fiel.
Ich schalt mich in Gedanken einen Narren. Warum brachte es mich derart aus der Bahn, darüber nachzudenken? Allmählich begann ich, Campanien doch als eine gute Alternative zu sehen. Vielleicht würde es mir gelingen, all das hinter mir zu lassen, zumindest für ein paar Tage? Ich stand wieder am Fenster und sah hinaus. Von einem Ast starrten kurz zwei goldgelbe Augen zurück, dann raschelte es und der Uhu flog davon in die kalte Nacht.
- Ein Zimmer weiter -
[Blockierte Grafik: http://img70.imageshack.us/img70/2005/sklave9vv4.jpg] | Brix
Eine Tür weiter stand Brix im Gang und überlegte. Weder Siv noch der Hausherr sahen besonders glücklich aus während der letzten Tage. Und Wochen. Wenn er es sich recht überlegte, wann hatte Siv dann zum letzten Mal glücklich auf ihn gewirkt? Brix war ein Mann, der seine Pflichten ernst nahm. Und dazu gehörte, für einen reibungslosen Ablauf der häuslichen Abläufe zu sorgen. Allerdings hätte er auch an Sivs Tür geklopft, wenn er nicht der maiordomus gewesen wäre. Denn er war Germane und ein lebenslustiger Mensch, und außerdem mochte er Siv. Deswegen klopfte er an ihre Tür. "Siv?" fragte er leise.