Dies hier ist das Officium des Flavius Piso. Piso hatte es nach seinem Abgang aus der Kanzlei für unpraktisch gehalten, seine ganze Arbeit von nun an in seinem Cubiculum zu machen, und deshalb ein Officium eingerichtet. Es liegt direkt am Atrium und ist für Besucher leicht zugänglich. In der Mitte prunkt ein Schreibtisch von megalomanischen Ausmaßen, auf welchem sich Pergamente und Wachstafeln stapeln. Tintenfässer und Feder, sowie Ritzkeile, liegen über den Tisch verstreuselt.
Auch der Stuhl hinterm Schreibtisch ist ziemlich protzig. Weich gepolstert, sackt jeder, der hineinsitzt, ein wenig ein.
Vorm großen Schreibtisch stehen rechtwinklig davon, einer rechts und einer links, zwei kleinere Schreibtische, für Calatores und Scribae.
Rechts hinter dem Schreibtisch befindet sich eine kleine Säule, auf der eine Büste des Kaisers Vespasian steht – ein wundervoller Staubfänger. Dahinter befindet sich ein Fenster, welches den Raum erleuchtet.
Die Wände sind versteckt hinter hohen Regalen, in welchem Schriftrollen ruhen. Fein säuberlich sind sie sortiert, und so hat Piso von jedem Tempel in Rom sofort Informationen abrufbar. Auch ein Register aller im Cultus Deorum beschäftigten steht ihm zur Verfügung – es belegt gleich mehrere Abteilungen in seinen Regalen.
Dann und wann hält sich ein Sklave im Raum auf, der sämtliche Staubflankerl wegwischt. Piso legt wert auf ein hygienisches Arbeitsumfeld.
Officium | Aulus Flavius Piso
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[Blockierte Grafik: http://img192.imageshack.us/img192/2486/seydz.jpg] Appius Lollius Tubulus
Links vom großen Schreibtisch befand sich ein kleinerer. Es war kein großer, exquisiter Schreibtisch, aber immerhin war es einer. Es war das Reich des App. Lollius Tubulus. Tubulus war ein kleiner, dickleibiger Mann, der schon über 40 war und, was seine Karriere ging, noch immer dort stand, wo er mit 20 gestanden ist. Das macht ihm aber wenig aus. Immerhin verdiente er genug Geld, um damit seine Familie ernähren zu können.
Er hatte vorher bei Septemvir Decimus Tongilius Stolo gearbeitet, doch nachdem jenen ein Herzschlag in den Sarg geprackt hat, war er nun Piso zugeteilt worden. Die Villa Flavia war wohl um einiges ansprechender als die kleine Casa Tongilia, und so war er nur dabei, mit unerschütterlichem Eifer Dokumente auszufüllen und an ihn vom Flavier delegierte Aufgaben zu übernehmen.
Hätte Tubulus gewusst, wozu ihn Piso noch so alles missbrauchen würde, wäre er wohl nicht mehr ganz so heiter gewesen. -
„Da ist sie ja.“
Mit funkelnden Augen blickte Piso auf seine neue, große Patera, und die Patera funkelte zurück. Tubulus grinste Piso salbungsvoll an. „Das, Septemvir, das ist die Patera, das Symbol der Septemviri. Aus purstem Silber! Mit dem, hehe, charakteristischem Buckel in der Mitte, und verziert mit Symbolen aus der Mythologie. Ideal für Trankopfer, insbesondere, hrhr, Wein, Septemvir. Jedem Septemvir steht eine zu.“ Piso blickte auf und blickte den Lollier an. „Ja... ich weiß, was eine Patera ist. Danke.“ Tubulus blickte zufrieden drein, und zwar in einer recht blasierten Art und Weise, und zog sich zu seinem Tisch zurück. Und Piso widmete sich wieder der Patera. Sie hatte einen Durchmesser von vielleicht einem Fuß, also war sie kein minimales Ding, und hatte Verzierungen, die durchaus einen Blick wert waren. „Schiffe. Hmm. Aeneas. Den Annaeern würde das sehr gut gefallen.“ Sein Murmeln war niemandem hörbar, nicht einmal Tubulus, der schon wieder mit Scribaaufgaben beschäftigt war. „Dann ist wohl bald einmal eine Libatio fällig.“ Er stellte dieses Wunderwerk an Ästhetik vorsichtig auf einem Schemel neben sich, noch wusste er nicht, wo er die Schale denn hinstellen konnte. Aus einer solchen wundervollen Schale nahmen die Götter sicher mit noch viel größerem Belieben seine Trinkopfer an als bisher. Und man konnte damit auf Opfertieren Wein und mola salsa über den Kopf schütten – und zudem konnte man mit so einer Schale beim Opfern richtig schön protzen.
Er lehnte sich befriedigt zurück, und verharrte in dieser Position für ein paar Sekunden, bevor er sich wieder nach vorne beugte und in seine Unterlagen hineinschaute. -
„Salve, Septemvir! Die Opferprüfungen dieser Woche.“ Dieselben präsentierte Tubulus mit einem schwülstigen Grinsen dem Flavier, der vor einem Dokument grübelte. Piso nickte kurz und warf einen Blick darauf.
Als Septemvir gingen viele Dokumente jeden Tag durch seine Hände, was ihm auch gefiel, war die administrative Tätigkeit im Cultus Deorum doch sehr vergleichbar mit seiner bisherigen in der Kanzlei. Auch hier hatte er die eine oder andere Anfrage zu erledigen. Und die anstehenden Opferprüfungen sah er sich auch immer genau an. So auch diese Liste.
„Nun, nun. Aha... oho... soso...“, murmelte er, als er durch die Liste ging. Bei Fuficia Silana blickte er auf. „Lollius, es ist schon komisch. So viele Frauen gibt es. Die Frauen drohen den Cultus Deorum regelrecht zu überschwemmen. Kaum sieht man Männer die Prüfungen abzunehmen.“ Er schüttelte den Kopf. „Die gehen wohl alle lieber ins Militär, als sich bei Aktivitäten einzubringen, wo man Hirn besitzen muss. Pah.“ Seine Hand ergriff einen Weinbecher, der neben ihm stand, und trank daraus, als sein Blick wieder auf die Liste und auf den Namen, der unter der Fuficierin mit schnörkeligen Buchstaben hingekrakelt war, wanderte.
Und es war genau beim Schlucken, als er diesen Namen sah. Der Wein kam ihm in die falsche Kehle, er prustete ihn wieder aus, auf den Tisch hin und begann zu husten wie ein Weltmeister, während sein Blick noch immer ungläubig an diesem Namen hing. Er hatte gehofft, ihn nie wieder sehen zu müssen, doch hier war er, eindeutig und unverkennbar.
„Septemvir?“, hörte er Tubulus besorgt fragen. Piso winkte ab. „Es ist... *hust*... nichts. Gar nichts. Ich... ähm...“ Er blickte wieder auf das Dokument und begann zu grinsen. „Ich werde, so denke ich, bei einem der Opferhändel vorbeischauen. Schließlich will ich ja auch etwas Erfahrung in der Hinsicht gewinnen.“ Sein bislang ungläubiger Gesichtsausdruck wandte sich zu einem fast diabolischen. Er würde morgen wohl jemandem einen ziemlichen Schrecken einjagen, wenn er aufkreuzen würde... hehe. Er platzierte die Rolle auf seinem Tisch, neben den See von ausgespucktem Wein hin, und verließ sein Arbeitszimmer, sich die Hände reibend. Ha! -
Für einen Moment fühlte sich Bridhe um Jahre zurück geworfen. Sie wohnte wieder in ihrer alten Kammer, die nach ihrem Auszug niemand mehr als Wohnstatt gedient hatte und in der sich nichts verändert hatte. Wie jeden Morgen kleidete sie sich an, um anschließend ihrer Arbeit nachzugehen.
Doch dieser Morgen war etwas anders. Bridhe sollte sich an diesem Morgen für ihre neue Tätigkeit vorstellen. Sie hatte noch nie als Scriba gearbeitet. Deswegen war sie auch etwas nervös. Selbstverständlich konnte sie schreiben. Darin bestand auch nicht das Problem. Es war vielmehr, ihr Dienstherr, für den sie in Zukunft arbeiten sollte. Die Hibernierin hatte Piso bisher nur ein einziges Mal getroffen, als sie mit ihrem Sohn in die Villa Flavia zurückgekehrt war. Dabei hatte er ihr die Stelle als Scriba angeboten. Trotzdem wusste sie nicht, was sie von ihm halten sollte. Er war anders als Aquilius.
Wie alle Flavier, mit denen sie bisher zu tun hatte, verfügte er gewiss auch über eine Marotte, die sie aber noch nicht näher bestimmen konnte. Gerade das machte ihn für sie so unberechenbar.
In ihrer besten Tunika, die sie besaß, es waren nicht viele, verließ sie die Kammer. Die Villa hatte sich kaum verändert. Sie fand schnell zum officium Flavius Piso und klopfte an.edit: Schrifttyp
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Piso jonglierte, und mittlerweile konnte er das schon recht gut. Nein, nicht mit Bällen. Er verachtete Gaukler, was eigentlich, wenn man Pisos Marotte, vor deren Manifestation Bridhe sich schon fürchtete, anblickte, widersinnig erschien. Doch es war ein Hass, den er über Jahre gepflegt hatte, und der direkt mit diesem Erlebnis damals zusammenhing, bei der er sich nur noch an jene Stücke erinnerte, in denen er als moralische Triumphator hervorging (selbstreden hatte er dazu einiges noch herbeidichten müssen).
Er jonglierte mit seinen Amtspflichten. Vor ihm lagen Berichte über Feste, deren Lecisternia vorzubreiten waren, und links und rechts von ihm halb fertig geschriebene Kerkerreporte. Er hatte sie sein lassen, um über die Lecisternialiste zu gehen und mit einem Stift eine zu ummalen – die zur Megalesia. Dafür war er schon eingebunden. Tja, Arbeit konnte man nicht vermeiden, vor allem nicht bei Pisos Gehalt,w elches ihm erlaubte, eine Scriba sich zu leisten... wo blieb sie eigentlich?
Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, klopfte es. Das musste sie sein, Piso war sich ziemlich sicher. Er strich sich fahrig mit der Hand noch einmal durch die Haare – er war auch nur ein Mann, der wusste, dass er gleich mit einer sehr hübsche Frau zusammentreffen würde – dann lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme und rief mit betont lässiger Stimme: “Immer nur rein!“ -
Sie drückte vorsichtig die Türklinke nach unten, als ob sie sich davor fürchten musste, was sich dahinter verbarg. Zögernd öffnete sie die Tür. Schüchtern, wie Bridhe war, trat sie ein und schloss die Tür hinter sich. Kurz hob sie ihren Blick, damit sie Piso damit kurz einfangen konnte, senkt ihn aber schnell wieder um ja nicht den Missmut des Flaviers auf sich zu ziehen. Ihre Augen starrten jetzt auf den Mosaikboden vor ihren Füßen. Nur ein oder zwei Schritte hatte sie getan, so dass sie der Tür noch immer näher stand, als dem Schreibtisch des Flaviers.
"Salve Herr, hier bin ich." Ihre Befangenheit war unübersehbar. Sie konnte einfach nicht anders. So war es schon immer gewesen, seit sie damals in der Villa angekommen war. Und es würde schwer werden, dies abzulegen.
Die Vorsicht aber war durchaus berechtigt. Der Flavier war für sie immer noch ein Fremder. Er war für sie nicht greifbar. Wenn sie allzu selbstsicher erschien, missfiel ihm dies vielleicht.
Bridhe wartete geduldig auf das, was noch auf sie zukommen sollte. -
Sehr langsam ging die Türe auf. So traten nur Sklaven ein, und es sprachen auch nur Sklaven so, wie Brigantica Piso ansprach. Unverkennbar war ihr Hintergrund als Sklavin.
Und doch war Piso angenehm überrascht. Schon, als sie mit ihrem Jungen vor ein paar Tagen in die Villa gekommen war, hatte sie ihm gefallen. Jetzt aber, mit ihrer neuen Tunika, sah sie wirklich hübsch aus. Kein Wunder, dass Aquilius sie sich damals geschnappt hatte.
“Willkommen in meinem Officium, Brigantica! Komm doch näher, nimm Platz!“ Er wollte nicht zu ihr hinbrüllen. “Setz dich doch. Und nenn mich doch nicht Herr, du bist jetzt eine freie Frau, und das schon seit langem. Piso reicht. Es bleibt ja... gewissermaßen in der Familie, oder? Ach, es macht dir doch nichts aus, wenn ich dich Brigantica nenne? Oder wäre dir Flaviana lieber? Oder doch Bridhe? Magst du Wein?“, überschüttete er sie mit Worten und Fragen und hatte schon seine Hand an einem Weinschlauch, der neben ihm stand, um ihn in zwei Becher zu füllen. Seinen Worte waren jovial, aber wohl auch ein wenig patronisierend.
“Meine Scriba willst du also werden? Du weißt sicher, was das bedeutet, oder? Vor allem bei einem Tresvir Capitalis und Septemvir.“ Sicher hatte sie sich schon erkundigt, was seine Berufe beinhalteten, und wie eine Scriba dabei von Hilfe sein konnte. Er würde sich selber sehr wohl dabei fühlen, eine flavische Freigelassene zu beschäftigen, nicht einen Sklaven oder einen Wildfremden, aber komplett herschenken wollte er die Arbeitsstelle nicht. Obwohl er sich sicher war, dass sie sich, wenn sie es nicht schon an ihrem ersten Tag getan hatte, auch jetzt nciht als dumm entpuppen würde. -
Langsam hob sie ihren Kopf an, als Piso sie ansprach. Ein Willkommensgruß und eine Aufforderung, näher zu treten und sich zu setzten. Nur zögerlich kam sie dem nach, als fürchtete sie sich vor etwas. Es war aber ihre Unsicherheit, die sie zögern ließ.
"Danke, Herr", sagte sie leise, als sie sich setzte. Auch wenn sie schon seit einigen Jahren frei war, so blieb doch immer diese Hürde bestehen, gerade dann, wenn sie in Gegenwart eines Flaviers war. Mit Fremden hatte sie weitaus weniger Probleme, denn man sah es ihr ja nicht an, dass sie einst Sklavin gewesen war.
Der Flavier versuchte ihr gegenüber freundlich zu sein, was ihr ein wenig half die Anspannung zu verlieren. Jedoch schwand dadurch nicht ihre Vorsicht, denn die Freundlichkeit konnte sich ganz schnell wieder umkehren. Bridhe hatte schon einige Mitglieder dieser Familie kennengelernt, und sie wusste um deren Tücken. In wie weit Piso gefährlich werden konnte, hatte sie noch nicht herausgefunden. Bisher überschüttete er sie nur mit lauter Fragen, die sie gar nicht alle auf einmal beantworten konnte.
"Wenn es dir nichts ausmacht, Herr... äh ich meine Piso, dann wäre mir Bridhe am liebsten. Ähm, bitte nur ein wenig Wein." Bridhe hatte sich in all den Jahren nicht an den Wein gewöhnen können. Sie lehnte ihn nur nicht ab, um Piso dadurch nicht zu verärgern. Außerdem war er gewissermaßen schon dabei, zwei Becher zu füllen.
Während er nun den Wein in die Becher goss, kam er dem eigentlichen Grund ihres Besuches zu sprechen. Bridhe konnte wohl selbst nicht erklären, weshalb sie ausgerechnet Scriba werden wollte. Sie hatte bisher noch keine Erfahrung darin gesammelt. Genauso wenig wusste sie, was das bedeutete, Scriba bei einem Tresvir Capitalis und Septemvir zu sein. Sie hätte nur raten können, um diese Frage zu beantworten.
"Ich muss auf Sorgfalt und Ordnung achten?", gab sie zur Antwort. Sorgfalt und Ordnung, das war immer sehr wichtig. Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, als Aquilius vor vielen Jahren Tresvir Capitalis gewesen war. Zu diesem Zeitpunkt war Flavius Lucanus dessen Scriba gewesen. Ihr wurde etwas Bange bei diesem Gedanken, die Aufgaben, die einst Lucanus bewältigt hatte, nicht zu schaffen. -
Schon wieder sagte sie Herr. Es war fast so, als ob Brigantica noch immer eine Sklavin wäre, eine kleine Sklavin, die niemals in den Vorzug jemals gekommen war, die Freiheit zu schnuppern. Dabei wusste Piso, dass sie vorher frei gewesen war. Zumindest bis Sklavenhändler sie in Irland geschnappt hatten, was ja durchaus das eine oder andere Mal vorgekommen war. Er musste sich kurz an den Sklavenmarkt in Londinium erinnern. Da waren einiger Hibernier zum Verkauf gestanden. Doch piso hatte sich nicht für sie interessiert.
Egal, wie sehr sich Piso bemühte, nett zu sein, Brigantica schien noch immer eingeschüchtert. Einerseits war es ja schade, wenn einen die Leute nicht mochten, Piso war da ein bisschen empfindlich. Aber andererseits... Respekt schien da zu sein. Warum also nicht?
Er nickte, als sie ihm ihre Präferenz sagte, was ihren Namen anging. “Bridhe also. Gut, machen wir das so.“ Ein kleines genüssliches Lächeln spendierte er sich, bevor er weitersprach, diesesmal auf Keltisch, im britannischen Keltischen wohlgemerkt, welches für alles Kelten recht verständlich sein sollte. Ob Piso selber aber verständlich war? “Ich selber spreck... spreche etwas Keltisch. Mein britannisches Sklave hat es mich... gelernt.“ Es war nicht perfekt, aber bei weitem mehr als das, was die meisten Römer konnten. “Gwin, Wein? Sicher, nehme... nein, nimm.“ Der Weinbecher wurde Bridhe hingehalten. Er war nur halb voll, wie gewünscht. “Aber bitte, fahren wir auf Latein fort, mein Keltisch ist leicht eingerostet“, kam er nicht umhin, einzugestehen.
Nachdem er sie gefragt hatte, was sie sich vorstellte, gab sie ihre Antwort. Pisos Augenbraue zog er kurz hoch, bevor er loslachte, leicht spöttisch mochte es klingen. “Sorgfalt und Ordnung, Bridhe? Originelle Antworten, muss ich sagen, einfach und zutreffend!“ Er erhob sich, stützte sich mit nur drei Fingern seiner linken Hand auf dem Tisch auf und machte mit der rechten Hand eine affektierte Geste. “Tatsächlich musste du wissen, in vielen meiner Arbeiten werde ich – bei priesterlichen Aufgaben - von meinen Calatoren und – bei politischen Aufgaben - von meinen Viatoren unterstützt. Ich brauche dich eher als... ja, als Lückenfüller, das heißt, vor allem Officiumsarbeit. Und ja, dabei ist Sorgfalt und Ordnung sehr wichtig.“ Er nickte bedeutungsvoll. “Und, was wichtig ist, und was ich mir von einer Scriba durchaus erwarte – ein Gespür für...“ Er hielt inne und ließ seinen Blick durchs Officium schweifen, als ob er eine göttliche Präsenz hier wähnte, bevor er mit pompöser Stimme fortfuhr. “...für Ästhetik und Schönheit. Denn ohne diesem, Bridhe, sind wir keine Menschen mehr, sondern nur Tiere, die ihr Leben auf Instinkt bauen.“ Er ließ seine rechte Hand, bisher erhoben, sinken. “Wenn du diese Qualitäten hast, stelle ich dich gerne ein.“ Er ließ sich wieder nieder, lächelnd. -
Ein klein wenig wagte sie sich ihrem Schneckenhaus heraus, als er keinen Einwand darauf gab, sie einfach nur Bridhe zu nennen. An Brigantica hatte sie sich nicht gewöhnen können, denn dann hätte sie einen wichtigen Teil ihrer selbst aufgeben müssen - ihren Namen und ihre Identität.
Was nun folgte, ließ ihre Stirn in Falten legen. Piso versuchte sich ganz offensichtlich in einer keltischen Sprache. So interpretierte sie zumindest die eigenartigen Laute, die er von sich gab. Es klang so ähnlich wie das, was die Menschen jenseits der hibernischen See sprachen, in Cymru. Sicher dachte er sich, Bridhes Sprache wäre dieselbe, doch das war sie nicht. Sie war dieser Sprache zwar nicht ganz unähnlich, doch sie war eine eigenständige Sprache. Bridhe gelang es, so einiges davon kzu verstehen. Er gab sich große Mühe, das musste man schon sagen. Piso war bisher der einzigste Römer, der sich in ihrer Gegenwart einer anderen Fremdsprache als Griechisch bedient hatte. Ganz nach seiner Aufforderung, nahm sie den halb gefüllten Becher und bedankte sich in ihrer Sprache. "Go raibh míle maith agat!"
Einen winzigen Schluck nur trank sie, verzog dabei etwas das Gesicht, als das säuerliche Getränk ihren Gaumen traf, doch sie versuchte das so gut wie möglich zu verstecken. Stattdessen lächelte sie wieder, wodurch sich ein Teil ihrer inneren Anspannung löste. Allerdings nur solange, bis Piso auf Bridhes Antwort auf dessen Frage einging und sie regelrecht deswegen auslachte. Die Veränderung, die dabei in der Hibernierin vorging, war nicht von der Hand zu weisen. Blitzschnell senkte sie wieder ihren Blick und wäre am liebsten in einem Mäuseloch verschwunden, um sich dort für den Rest des Tages zu verkriechen. Leider war das aber nicht möglich.
Mittlerweile hatte sich Piso von seinem Platz erhoben und referierte über seine Tätigkeit als Tresvir Capitalis und auch über das, was ihr zufallen würde, könnte er sich für sie entscheiden. Bridhe hatte wenig Ahnung von dem, was seine priesterlichen oder politischen Aufgaben waren. Sie war niemals im Innern eines römischen Tempels gewesen, noch interessierte sie sich sonderlich für Politik. Doch bei einem, was er sagte, blieb sie hängen. Sie zerbrach sich den Kopf darüber, was er damit gemeint haben könnte. Schließlich fragte sie verunsichert nach.
"Ästhetik und Schönheit, Herr? Du meinst.. meine Schrift? Ich habe mich in den letzten Jahren darum bemüht, mir eine saubere und gut lesbare Schrift anzueignen. Wenn du willst, kann ich dir eine Schriftprobe geben, Herr." Sie sah sich noch einem Schreibgerät und einem Blatt Papyrus um, behielt dabei aber Pisos Gesicht nicht im Blickwinkel. -
Er musste es sich selber gestehen, ein wenig keltisch zu sprechen schlauchte doch ein wenig. Die ungewohnten Konsonanten drohten immer wieder gerne die Zunge zu verknoten, und die guttural-heiseren Laute bewirkten, dass sich seine Kehle anfühlte, als habe er Sand geschluckt. Einen großen Schluck Wein musste er trinken, um das unangenehme Gefühl wegzubringen.
Er nickte aber doch, als sich Bridhe bedankte. Auf hibernisch zwar, aber was soll’s? „Go raibh míle maith agat“, das klang doch praktisch ganz gleich wie „Diolch fawr“, wie man es in der britannischen römischen Provinz sagen würde.
Bridhe allerdings schien der Wein nicht wirklich zu schmecken. Naja, Kelten konnten nicht ihre barbarischen Wurzeln verleugnen, das stand für Piso fest, denn obwohl er dem Keltentum schon einen gewissen Respekt gegenüber hatte, am Besten lebte es sich doch als Römer. Um ganz ehrlich zu sein, eigentlich bemerkte dies Piso nur am Rande, und er ging nicht darauf ein, denn er hatte ja seine Tirade abzuschmettern.
Und es tat gut, dies zu tun. Er fühlte sich wichtig, und das war schön. Irgendwann war er dann doch zu Ende, und Bridhe schaute drein wie ein Fragezeichen. Die Arme konnte sich wohl keinen Reim daraus machen, was Piso meinte. Nicht verwunderlich in den Augen aller außer Piso, und sogar der verstand. Es konnten nicht alle solch unerreichte Genies wie er sein, das wusste er, und er wusste, dass es eine schwere Bürde war zu tragen. Jaja, das Schicksal der großen Künstler, Piso könnte ganz traurig werden, wenn er daran dachte. Hie und da dachte er sich ja, Götter, warum habt ihr mich mit solch abgöttischer Genialität geboren? Es war schon gemein, wenn man darüber nachdachte.
Er seufzte nur und schüttelte den Kopf. “Lass gut sein, Bridhe. Ich glaube dir, dass du eine leserliche Schrift besitzt, und Gespür für Ästhetik kann man nicht nur einfach so beweisen, innerhalb einiger Minuten. Ästhetik ist wie ein Prozess, kein Zustand“, orakelte er und seufzte abermals. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte es Bridhe eigentlich schon klar geworden sein, dass auch Piso, in bester flavischer Familientradition, einen nicht ungewaltigen Sprung in der Amphore hatte.
Dann stand er auf und streckte seine Hand vor. “Ich glaube dir aber, dass du meinen Anforderungen gewachsen bist. Ich biete dir den Posten an, ich habe ein gutes Gefühl dabei, und bisher habe ich meinem Einschätzungsvermögen trauen können. Du wirst meine Scriba, und ich gebe dir 40 Sesterzen wöchentlich. Wenn du damit leben kannst, schlag ein.“ Fordernd wackelte er mit seinen Fingern kurz, schon in Erwartung der Berührung einer zarten weiblichen Hand. Eine impulsive Entscheidung war dies wohl gewesen. Aber, so etwas sah Piso sehr ähnlich.Sim-Off: CP!
Da ich bis Donnerstag weg bin, kommt leider erst dann die erste Bezahlung, wenn du Bridhe akzeptieren lässt. -
Ästhetik und Schönheit! Dies beiden Begriffe ließen Bridhe keine Ruhe. Immer noch suchend nach einem Schreibgerät oder wenigstens einer Wachstafel, um ihr Können damit zu demonstrieren, traf sie sein Seufzen und der daraufhin folgende Satz. Ästhetik und Schönheit hatten ganz offensichtlich nichts mit Bridhes Handschrift zu tun. Es sei ein Prozess, kein Zustand. Sie verstand kein Wort, von dem, was Piso meinte. Bridhe hatte sich nie mit solchen tiefgründigen Fragen beschäftigt, wie man der Ästhetik und Schönheit im harten Alltag in einer Bäckerei oder einer Taverne einen Platz einräumen konnte. Sie war praktisch veranlagt und konnte mit solch theoretischem Firlefanz kaum etwas anfangen. Wann hatte sie sich zum letzten Mal den schönen Dingen gewidmet? Wann hatte sie ihr letztes Buch gelesen? Wann hatte sie zum letzten Mal eine Skulptur, ein Mosaik oder ein Bauwerk bestaunt? Das lag schon so lange zurück! Wie in aller Welt hätte sie da Zeit erübrigen können, sich um Schönheit und Ästhetik Gedanken zu machen.
Aufgrund seines Seufzers hatten sich ihre Hoffnungen in Sekundenschnelle in Luft aufgelöst. Ganz desillusioniert ließ sie ihre Schultern hängen. Sciurus hätte seine helle Freude an ihrem Anblick gehabt, denn wieder einmal bestätigte sich das, was er auch schon damals über sie gesagt hatte. Zu nichts Nütze zu sein, genau das traf es. Aus war es mit dem Traum, in der Villa eine Anstellung zu bekommen, damit sie auch tagsüber ganz in der Nähe ihres Sohnes sein konnte. Das Beste war, sie ging gleich, nachdem sie Piso fortschicken würde, zu diesem elenden Wurm Sciurus und bettelte förmlich darum, wieder in der Küche arbeiten zu dürfen.
Doch dann, sie traute ihren Ohren nicht, kam alles anders! Sie sah ganz ungläubig auf, in sein Gesicht. Sie hatte sich nicht verhört! Vorsichtig bewegten sich ihre Mundwinkel nach oben und brachten ein Lächeln hervor. Dann fielen ihr die zappelnden Finger Pisos auf, die nach einer Berührung ihrer Hand lechzten. Ein echter Flavier, dachte sie still in sich hinein.
"Danke sehr! Vielen Dank!" Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Ihre rechte Hand näherte sich Pisos, bis sie schließlich aufeinander trafen, um ihrer beider Entscheidung zu besiegeln.
"Vierzig Sesterzen, das ist sehr großzügig Herr! Wie viel habe ich für die Kost und Logis für meinen Sohn und mich zu zahlen?", fragte sie kurz darauf. Sie wollte den Flaviern rein nichts schuldig bleiben. -
Wenn Piso ihre Gedanken lesen hätte können, hätte er es sich vielleicht doch noch anders überlegt. Leute, die niemals über die genannten hehren Konzepte nachdachten, waren ihm suspekt, waren es ihm schon immer gewesen. Dann gab es sogar noch welche, die es als aus den Fingern gesaugten Bockmist bezeichnen würden. So etwas machte Piso traurig. Und wütend. Ja, die Gesellschaft verrohte, wenn man so drüber nachdachte...
...doch der Flavier zwang sich dazu, doch noch über etwas anderes nachzudenken (wobei er sich fragte, wie er denn überhaupt erstmal auf diesen Gedanken gekommen war). Schließlich war er hier dabei, einen Deal mit einer hübschen Frau zu besiegeln. Und so etwas war immer wieder etwas Erhebendes. Dass Bridhe seinen theatralischen Seufzer als ablehnend interpretierte, darauf kam Piso erst gar nicht. Nein, sein Seufzen war eine brilliante Manifestation seiner inhärenten Empfindsamkeit! Genau so war es, und nicht anders, basta.
Das Lächeln und die komplett fassungslosen Dankesworte der Hibernierin veranlassten Piso seinerseits zu einem Schmunzeln. Es war doch immer wieder nett, Menschen Freude zu bereiten. Nur war es jetzt auch eben so, dass Bridhe fliegen würde, sollte sie seine Anforderungen nicht erfüllen. Aber schon alleine die Tatsache, dass jemand von flavischem Blut es für richtig erachtet hatte, sie freizulassen, gab ihm die Zuversicht darob, dass die Gelder, mit denen er sie entlohnen würde, nicht verschwendet wären.
Als er die Hand fühlte, erpackte er sie. Sein Händedruck war recht schwach, für einen Mann zumindest. “Nichts zu danken! Beweise mir deine Dankbarkeit, indem du mich nicht enttäuschst!“, intonierte Piso das, was sicher schon viele erfolgreiche Berufssuchende von ihren neuen Vorsitzenden gehört haben mochten.
“Und, keine Sorgen wegen Kost und Logis. Wir sind hier keine Herberge. Wir sind eine Familienvilla.“ Er winkte ab. Bridhes Gehalt sollte nicht wieder für ihren Aufenthalt zurück zu den Flaviern fließen, das wäre doch ein wenig unfair.
Piso erhob sich und deutete zur Türe hin. “Nun denn, meine liebe Scriba. Ich wollte gerade zur Basilica Ulpia, dort muss noch etwas Arbeit gemacht werden. Und, ach ja.“ Er duckte sich, und zog aus einer Lade eine Wachstafel samt Griffel hervor, wie auch eine Schriftrolle. Die Wachstafel übergab er in einer feierlichen Geste über den Tisch hinweg an Bridhe. “Diese wirst du hoffentlich von Nutzen finden.“ Die Schriftrolle aber behielt er ein. Erklärend deutete er drauf. “Das ist die Liste derer, deren Prozesskosten ich noch einzutreiben habe. Die müssen wir wohl bald mal abklappern.“ Er ging um den Tisch herum und stellte sich vor Bridhe mit einem breiten Grinsen auf. “Also? Gehen wir?“ -
Vielleicht gab es ja wirklich auch ein paar nette Flavier. Piso jedenfalls, auch wenn er so seine Eigenheiten hatte, war einer davon. Zu dieser Überzeugung kam Bridhe. Doch noch immer wollte sie vorsichtig sein. Man wusste nie, was der nächste Tag bereit hielt. Bridhe für ihren Teil wollte ihr Bestes geben und das versicherte sie ihm auch, so wie sie es jedem anderen versichert hätte. "Ich werde dich nicht enttäuschen, Herr. Wenn ich etwas nicht kann, dann werde ich es lernen."
Dass sie nun auch nichts für ihre Unterkunft und Verköstigung zahlen sollte, machte sie ein wenig verlegen. Umso mehr würde sie sich anstrengen. Und auch ihrem Sohn würde sie es klarmachen, dass er fleißig sein sollte und das Wissen, das man ihm vermittelte, in sich einzusaugen, wie ein Schwamm.
"Danke, du bist überaus großzügig. Wie gesagt, mein Sohn uns ich, wir werden euch nicht enttäuschen."
Dann erhob sich Piso. Bridhes Blicke folgten ihm. Ihre Augen hingen an seinen Lippen. Nichts wollte sie verpassen, von dem was er sagte. Dann plötzlich griff er nach etwas und zog eine Wachstafel samt Griffel hervor und gab es ihr. Jetzt war sie in der Tat eine Scriba. Dieser Moment erinnerte sie an damals, als Aquilius ihr das Schreibset geschenkt hatte, damit sie Schreiben und auch Lesen lernen konnte. Wieder bedankte sie sich und besah sich ihr zukünftiges Handwerkzeug. Dann schweifte ihr Blick zu der Schriftrolle in Pisos Hand und sie hörte seinen erläuternden Worten aufmerksam zu. Gleich heute konnte sie sich schon beweisen.
Sie erhob sich von dem Stuhl, als er nun direkt vor ihr stand ind lächelte, wenn auch etwas unsicher.
"Ja, dann gehen wir!" -
Pisos Grinsen wurde grade noch ein Stückchen breiter, als er sah, wie sehr sich Bridhe offenbar freute. “Das hoffe ich doch!“, stellte er fest, als Bridhe ihm versicherte, sie würde lernen. Nun, jeder musste sich mal einarbeiten. Er dachte noch an seine Anfänge in der Kanzlei... schlimm... jetzt war er aber ein alter Hase, was Verwaltungskram anging, und das war auch gut so. Was ihm auffiel, sie nannte ihn schon wieder Herr. Nun gut, sei es drum, an so etwas konnte sich ein Flavier immer wieder durchaus gewöhnen.
Dass die Villa Flavia keine Gaststätte war, wunderte Bridhe wohl ein wenig, und sie tat sehr überrascht, als Piso so eine Zahlung ablehnte. Nun gut, eigentlich war es ja so, dass Piso sich vorgestellt war, dass er ihr in Wirklichkeit eine größere Summe zahlen würde, aber gleichzeitig von dieser auch wieder Bridhes Unkosten abzöge, sodass am Ende sich 40 ergaben. Aber in so komplizierte Denkspiele wollte er die Flaviana nicht einweihen.
Er nickte deshalb nur, hoffend, dass dadurch Bridhe ihm umso loyaler sein würde, und nicht so schnell um eine Lohnerhöhung betteln würde.
Sie stand auf, als er zu ihr hinging, und er nickte, als sie sich bereit erklärte.
“Dann gehen wir.“ Er ging voraus, in der Gewissheit, dass Bridhe ihm folgen würde. Bald würden sie schon in der Basilica Ulpia sein, im Officium der Tresviri Capitales. -
Das Wagenrennen war vorbei. Die Gladiatorenkämpfe ebenso. Ersteres hatte für Nigrina ein positives Erlebnis beinhaltet, letzteres… keins. Ganz im Gegenteil. Haushoch verloren hatte sie! Innerlich regte sie sich immer noch auf darüber, wenn sie nur daran dachte. Und sie war überzeugt davon, dass da geschummelt worden war, denn wie sonst war zu erklären, dass sie verloren hatte? Mit einem Zähneknirschen verdrängte sie die Gedanken an die Niederlage, die sie dabei hatte erleiden müssen – selbst wenn es nur Wetten gewesen waren, eine Niederlage war eine Niederlage –, und beschloss, sich nur noch mehr auf das Positive zu konzentrieren, dass ihr bei den Wagenrennen zuteil geworden war. Sie hatte Bekanntschaft geschlossen mit einer Aurelia, einer ihres Standes, die ihr noch dazu auf Anhieb sympathisch gewesen war, die darüber hinaus ihren Bruder bereits kannte und die – hoffentlich – ihr helfen würde, sich weiter in die römische Gesellschaft einzuführen. Die richtigen Leute, die richtigen Feste, das alles musste zunächst überhaupt erst erkannt werden und dann durchdacht sein, und es war wichtig, eine zu haben, die ihr Ratschläge geben konnte. Denn dass Piso das nicht konnte, darüber machte Nigrina sich keine Illusionen. Er hatte zunächst in der Kanzlei arbeiten wollen und hing ja offenbar immer noch mit diesem Chaotenaelier herum – wie sollte er bitte unterscheiden können, was für eine junge Flavia die richtige Gesellschaft war und was nicht? Auf welchen Feiern sie sich unbedingt blicken lassen musste, auf welchen vielleicht, auf welchen gar nicht? Und das Ganze konnte ohne Ende herunter gebrochen werden. Die richtigen Geschäfte, die richtige Kleidung… Das Leben einer Römerin, gar einer Patrizierin, glich mehr einem Gesamtkunstwerk, fand Nigrina, und ebenso wie ein solches musste die Komposition der einzelnen Teile stimmig sein. Und dazu war Piso einfach nicht fähig. Das lag nicht unbedingt nur an ihm als Person, sondern auch an der Tatsache, dass er ein Mann war. Männer konnten so ein Gesamtkunstwerk genießen, aber in aller Regel nicht durchblicken, was tatsächlich dahinter steckte, oder was nötig war, um so etwas aus sich zu machen.
Während sie über diese Dinge nachgrübelte, hatte Nigrina ihr Ziel erreicht: die Tür zu Pisos Officium. Leicht, aber nicht zaghaft, klopfte sie an und betrat dann den Raum, als er sie dazu aufgefordert hatte. „Bruder“, lächelte sie ihm entgegen und kam auf ihn zu, um ihn zu umarmen und ihm einen leichten Kuss auf die Wange zu geben. „Ich hoffe ich störe dich nicht?“ Was eine rhetorische Frage war. „Ich habe eine Bitte…“
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Piso führte einen verbissenen Krieg mit einem Haufen von Dokumenten. Diese verdammten Versager, diese Schweine, die sein Grundstück in Oberitalien verwalteten, waren elende Schlamper. Jetzt musste Piso sich tatsächlich selber durch diesen losen Datenmüll, den diese Kerle ihm gesendet hatten, wühlen, um daraus halbwegs brauchbare Infos zu filtern. Er hasste es, von Herzen hasste er es, und trotzdem musste er da durch. Amsonsten würde er seine Finanzen nie mehr in Ordnung bringen. Dann und wann stieß er einen lästerlichen Fluch aus, als er sich durch sich widersprechende Zahlen wühlte, alles durchrechnete, und dann feststellte, dass er einen Rechenfehler gemacht hatte.
Es war so frustrierend. Nicht ganz so frustrierend wie die Sache mit Prisca, aber trotzdem. Wie gut, dass er nie in der Finanzabteilung der Kanzlei gearbeitet hatte. Es wäre eine verdammt willkommene Abwechslung, würde nun jemand reinkommen. Aber es sah nicht danach aus.
Piso war nicht mit seiner Schwester auf der Megalesia gewesen, hatte er sich doch auf die Götterspeisung der Cybele vorbereiten müssen. Jetzt war die asiatische Göttin proppensatt, zumindest hoffte Piso dies. Seine Amtszeit wa gerade zu Ende gegangen, und er hatte gedacht, nun würde er wieder Freizeit haben. Doch das war ein Irrgedanke.
Wischendurch sorgte er sich auch um Vera. Es ging ihr nicht gut. Gar nicht gut. Alleine der Gedanke war so deprimierend. Ja, tatsächlich hatte sich der Flavier schon beim Gedanken an Veras Todeszug erwischt. Aber das konnte doch nicht sein! So etwas konnte es nicht geben! Sie würde es schaffen, und schon bald wieder unter den Diesseitigen sein.
Doch bis es soweit war, galt es, nicht darüber nachzudenken. Besser, er arbeitete. Doch das würde er jetzt nur noch 2 Sekunden machen. Eine Sekunde. Eine halbe Sekunde.
Und da – es klopfte an der Türe! Piso hüpfte auf. “Herein!“ Er war ja schon gespannt, wer das war – und wer sollte es sein, wenn nicht seine Schwester?
Piso atmete doch erleichtert auf. Nigrina würde ihn sicherlich ablenken von diesem Papiergewürgs. Er schritt um seinen Arbeitstisch herum und ließ sich bereitwillig von ihr zur Begrüßung abschmusen. “Schwesterchen!“ Er lächelte Nigrina an. Dass sie ihn bei ihrer Ankunft so gelobt (manche konnten sagen, eingeseift) hatte, das hatte er nicht vergessen. In seinem Buch war sie auf jeden Fall um vieles höher gerutscht.
“Nein, nein, du störst nicht.“ Er lehnte sich leicht ungeschickt an seinen mächtigen Arbeitstisch und schaute Nigrina neugierig an.
“Eine Bitte?“ Was wollte sie denn von ihm? Vermutlich Geld zum Ausgeben. Piso hatte mittlerweile schon einiges gespart, somit konnte er auch großzügig gegenüber seiner Schwester sein. Er wollte sie jetzt aber nicht direkt fragen, worum es ging. “Klar, sicher. Schieß los“, meinte er betont leger. -
Ihren Bruder schien es nicht sonderlich zu stören, dass sie hereingeplatzt kam – im Gegenteil, irgendwie wirkte er eher erleichtert. Umso besser für sie, befand Nigrina. Sie hatte ja keine Ahnung, was er von der Idee halten würde, mit ihr, Prisca und einem weiteren Aurelier ins Theater zu gehen. Nun, gegen das Theater an sich würde er wohl kaum etwas haben, aber sie wusste ja nicht, was er von Prisca hielt. Ob er sie wieder sehen wollte oder eher nicht. Andererseits… Theater war Theater. Und Piso konnte etwas Ablenkung gebrauchen, fand Nigrina – in den letzten Tagen hatte er recht niedergeschlagen gewirkt, die paar Mal, bei denen sie sich über den Weg gelaufen waren, niedergeschlagen oder gestresst oder sonst etwas, jedenfalls war es eine von diesen Launen gewesen, die sich negativ auswirkten. An Vera konnte es nicht liegen, Veras Zustand hatte sich nicht geändert, seit sie angekommen war – aber nun gut, vielleicht war es ja genau das, dass sich bei ihrer Schwester nichts zum Positiven zu wenden schien, was Piso immer mehr bedrückte. Oder er vermisste seine Arbeit, wer wusste das schon. „Nun…“ lächelte sie ihn an und lehnte sich ebenfalls an den Schreibtisch, so dass sie ihn nun von der Seite her ansah. „Die Sache ist die…“ Oh ja, Nigrina machte es manchmal gern spannend. „Also, ich war doch während der Megalesia bei den Wagenrennen. Und bei den Gladiatorenkämpfen – oh, die hättest du sehen sollen, das war furchtbar spannend… Nur leider haben immer die verloren, zu denen ich gehalten habe.“ Was eine schmeichelhafte Umschreibung dafür war, dass sie gewettet hatte. Und einen Haufen Kohle damit verpulvert. „Weißt du, eine der Schulen war die ravennische… Was ich aber eigentlich fragen wollte“, kam Nigrina nun doch endlich zum Punkt, „ich habe bei den Wagenrennen zufällig Bekanntschaft geschlossen mit einer Patrizierin. Und wir würden gerne gemeinsam ins Theater gehen, aber du weißt ja, wie das ist… Zwei junge Damen, ohne männliche Begleitung? Sie würde einen ihrer Verwandten fragen, und ich habe ihr zugesagt, dass ich meinen Bruder fragen würde.“ Nigrina machte eine kleine Kunstpause und lächelte ihren Bruder lieb an, zum Teil, weil sie ihn überreden wollte, zum Teil aber um zu vertuschen, dass sie nun scharf seine Reaktion beobachtete auf die Worte, die sie nun aussprechen würde. „Was sagst du? Du, ich, und Aurelia Prisca und einer ihrer Verwandten?“
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Nein, er hatte Nigrina tatsächlich nichts erzählt von seiner Liebe. Er hatte niemanden etwas davon erzählt. Wieso auch? Es war eine persönliche Sache, die er, wie er glaubte, in sien Herz fressen lassen musste, über Jahre hinweg, bis er alt, bitter und noch immer Junggeselle war. Ja, all die Sachen zusammen – die Ämter, die er nun bekleidete und bekleidet hatte, die Sache mit Vera, die mit Prisca, die hatten ihn verändert. Vielleicht zum Guten hin, wer wusste. Obwohl, hie und da blieb er doch noch gedankenverloren stehen und lugte hinter einen Topf, in welchem ein riesiger Busch gepflanzt worden war, ob dort nicht ein bisschen Ästhetik rumlungerte.
Nigrina begann zu sprechen, endlos langsam. Piso war schon kurz davor, sie aufzufordern, etwas schneller zu machen, sonst wären sie morgen noch hier. Es war wohl einfach eine der Sachen, die seiner Schwester endlos Vergnügen bereitete. Sie wusste ganz genau, wie sehr sie ihren Bruder, der die Katze immer sehr gerne sofort aus dem Sack gelassen sehen wollte, damit nerven konnte. Aber er beherrschte sich und blickte sie weiterhin an. Megalesia... tja, dann wäre es wohl so gewesen, dass er, wenn er dort mitgekommen wäre, sich bei der Auswahl von seiner Schwester leiten lassen hätte, und dann wohl massivst Wettgeld verbraten hätte – ebenso wie Nigrina, was er ja aber nicht wusste.
Das mit Ravenna ignorierte er einfach. Er war kein Ravenner mehr, sondern ein Römer. Ja, er hatte sich mit seiner Wahlheimat so verstrickt, so verbandelt, dass nichts an ihm mehr an seine oberitalienische Heimat erinnerte. Nur, wenn er hie und da fluchte, drang noch ein hörbarer norditalischer Akzent hervor.
Aha, sie hatte also eine Patrizierin kennen gelernt, und suchte nun eine Begleitung für sie. Piso hätte eigentlich nein gesagt, was wollte er denn mit der auf einem Theater? Da geschah es, dass sie sagte, dass es sich um Aurelia Prisca handelte.
Mit Piso ging eine merkliche Veränderung vor sich, als er den Namen hörte. Sein Mudn klappte auf, seine Kinnlade fiel runter. Er starrte auf einmal seine Schwester an wie ein Ufo. Seine Gesichtsfarbe oszillierte zwischen gelb und weiß. Er tart unbewusst einen Schritt zurück und wäre glatt über den Tisch, an welchem er noch gerade seine Arbeit verrichtet hatte, gestolpert, wäre dieser für solche Unterfängnisse nicht zu hoch gewesen.
“Aurrrrl Prrsc?“, fragte er mit einer grausam heiseren Stimme, endlos viele Vokale in geradezu gracchischer Manier verschluckend. Er war selber erschrocken, wie unästhetisch er ihren namen klingen hatte lassen, schluckte, und versuchte er noch einmal. “Aurelia... Prisca?“ Noch einmal schluckte er. Es war unglaublich. Von allen Patrizierinnen Roms würde Nigrina gerade Prisca über den Weg laufen. Unfassbar.
Er begann zu nicken. Zuerst langsam, dann etwas schneller. Ein dümmliches Grinsen (welches nur ein über beide Ohren hin verliebter Mann haben konnte) zog sich über sein Gesicht. Sein Nicken wurde rapide. “Ja... ja!“ Er hielt inne und blickte seine Schwester an. Seine Hautfarbe war wieder normal geworden, erstrahlte nun sogar in einem kräftigeren Farbton als vorher. Seine Hände zitterten vor Aufregung.
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