Peristylium | Das süße Leben

  • Blass schimmerte die winterliche Sonne durch einen Dunstschleier aus zartem Wolkenflaum, der sich seit den frühen Morgenstunden über der ewigen Stadt hielt und nicht bereit war, mehr als Licht auf die Welt hinab zu lassen. Da indes die Gefilde des Peristyliums der Villa Flavia von starken Mauern waren umgeben, an welchen in der kalten Jahreszeit in groben Abständen Feuerschalen waren platziert, die bei Anwesenheit eines der Herren entzündet wurden, die Luft somit beinahe windstill und in halbwegs angenehmer Temperierung wurde gehalten, bot sich dieser Raum durchaus zum Verweilen auch dieser kühlen Tage. Es war dieser Ort, den der Medicus Kosmas dazu hatte auserkoren, dass Gracchus seinen Leib dort sollte stärken, um gleichsam sein Innerstes mit dem frischen Atem des Winters zu durchfluten, ihn somit zu beleben und sein augenscheinlich noch immer in inkorrektem Flusse verharrendes Blut in eine harmonische Verteilung zu lenken. Weitaus gefälliger wäre Gracchus gewesen, sich in den hintersten Raum des Gebäudes zurück zu ziehen, von der Stärkung des Leibes ab zu lassen und dies auch an jenen Tagen zu tun, für deren Feierlichkeiten er sich in agreable Kondition zu bringen suchte. Nicht mehr allzu lange hin war es bis zu diesen Festtagen, an welchen die Salier die Schilde des Mars durch die Stadt trugen, tanzend und singend, in Rüstung - wenn auch in archaischer und darob nicht gar so gewichtiger wie jene der heutigen Legionäre. Allfällig würde Gracchus an seiner statt wieder den jungen Veturius Calvinus seinen Platz unter den Palatini einnehmen lassen, doch je mehr Feiertage würden vergehen, an welchen er seiner Pflicht nicht selbst nachkam, desto eher würde er die Sodalität verlassen müssen. Mehr noch, als selbst eine Schrift zu lesen, mehr noch als seine eigenen, persönlichen Briefe zu schreiben, drängte es Gracchus danach, an den Riten der Salier wieder zu partizipieren, zu tanzen, zu singen in Erfüllung alter Tradition.
    "Uhmpf"
    , entkam ein gänzlich untypischer Laut Gracchus' Kehle, als die Muskeln in seinen Armen zitternd das Gewicht seines Leibes zum wiederholten Male empor drückten. "Neun", zählte sein Vilicus dazu unbeeindruckt, wartete kurz, ehedem er wiederholte: "Neun." Krampfhaft vor Anstrengung biss Gracchus' seine Kiefer aufeinander, trotz der kühlen Luft um ihn herum perlten bereits schimmernde Schweißtropfen auf seiner Stirne und jede einzelne Faser in seinem gesamten Körper schien zu brennen. "Mehr Gewicht auf die rechte Seite", wies Sciurus ihn an und zählte unerbittlich weiter. "Noch immer neun." In der Abbewegung schien es Gracchus stets, als wäre dies der anstrengendste Part, dann wenn seine Schultern dem Boden sich näherten, das Zittern in den Armen sich verstärkte, die Rückenmuskulatur starr musste bleiben, den Leib im Lot zu halten. "Neuneinhalb", kommentierte der Sklave die höchste Anstrengung, während Gracchus die Handballen in den Boden stemmte, seinen Körper durch noch mehr Kraft wieder zurück in eine schiefe Ebene zu bringen. "Zehn." Als würde alles Leben auf einmal aus ihm entweichen, stieß Gracchus seinen Atem in die Welt hinaus und ließ seinen Körper abrupt zu Boden sinken, dass er auf dem Bauch liegen blieb, die Stirn auf der glatten Oberfläche der ledernen Matte unter sich liegend.
    "Ich bin ... zu alt ... für so etwas"
    , murmelte er atemlos zwischen seiner Brust und dem Grund hervor. "Dein Vetter Aristides war noch weitaus älter bei seiner letzen Teilnahme an den Riten", warf Sciurus ein.
    "Er ist auch ... ein Soldat."
    "Ein Veteran, dazu um einiges schwerer. Claudius Menecrates ist ebenfalls um einiges älter als du."
    "Auch ein Soldat ..."
    "Schon lange nicht mehr." Schwerfällig stemmte Gracchus mit der Linken sich zur Seite, um hernach auf den Rücken zu rollen.
    "Dann bin ich nicht zu alt - nur inkompetent, ... defizitär und unzulänglich. Ist es das, was du sagen mö'htest?"
    Es schwang keine Verärgerung in seiner Stimme mit, nur Resignation und Desperation. Sciurus indes kniete sich neben seinem Herrn hin und wischte mit einem weichen Tuch den Schweiß von dessen Stirne. "Defätistisch und disziplinlos."
    "Schatten meines Gewissens ..."
    In einer indifferenten Bewegung schob Gracchus die Hand des Sklaven hinfort und schloss die Augen, während er dem Pochen seines Herzens in seinen Ohren lauschte und der Frage nachhing, wozu er wem was wollte beweisen?

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  • Träge wehte ein lauer Luftzug durch die Gefilde des flavischen Peristylium hindurch, ließ kaum nur Blätter und Blütenkelche wanken, hatte nichts der sommerlichen Hitze entgegen zu setzen, welche sich über Rom hatte gelegt. Uneins mit sich selbst, ob die steinerne Kühle des Gemäuers ihm angenehmer war oder die der natürlichen Schatten, hatte Gracchus letztendlich nach draußen seinen Tätigkeitsbereich verlagert, nicht zuletzt da sich dort besser auf einer Kline ließ verharren, während ein eingeölter, bronzehäutiger Sklave zur Seite einen großen Fächer aus Palmblättern auf und ab bewegte, einen angenehmen Luftstrom damit erzeugte. Sciurus indes hantierte mit allerlei Tabulae, setzte seinen Herrn über anstehende Feiertage in Kenntnis und notierte dessen Anweisungen über darob bevorstehende, zu erledigende organisatorische Tätigkeiten, als der junge Alkmaion die Fläche betrat, den Blick des älteren Sklaven suchte und ihn über den vor der Türe wartenden Liktor informierte. "Herr, ein Liktor des Praetor Urbanus Annaeus Modestus wartet an der Porta", unterrichtete schlussendlich Sciurus seinen Herrn. "Der Praetor hat dich zum Iudex für einen Prozess am Dreizehten vor den Kalenden des Augustus nominiert. Wirst du diese Ernennung annehmen?"
    "Gewiss"
    , antwortete Gracchus reflexartig und schneller als er noch über den genauen Sachverhalt konnte nachdenken, war doch zu tief in ihm verwurzelt, der Pflicht des Imperium Romanum zu folgen, so sie denn rief. Sciurus wies Alkmaion an, die Bestätigung zurück zur Porta zu überbringen, sowie den Liktor zudem fragen zu lassen, um welchen Prozess genau es sich würde handeln, so dass er seinen Herrn und sich selbst darauf würde vorbereiten können. Gracchus indes troffen währenddessen erste Zweifel an seiner freimütigen Zusage durch die Sinne, nachdenklich hob er die Linke zu seiner Unterlippe, begann daran zu kneten.
    "Das war doch kein Fehler?"
    , fragte er seinen Vilicus, der nicht unbedingt ein Vertrauter war, mehr ein Teil seiner selbst. "Aber nein, Herr."
    "Nein, natürlich nicht. Es ist schließlich nicht das erste mal, dass ich diesem Ruf folge."
    Noch immer zweifelnd suchte er aus Sciurus' Blick eine Regung abzulesen, fand dort indes wie stets nur undurchdringliches, eisiges Blau. Nur die Worte des Sklaven waren ein wenig zögerlicher als sonst. "Genau genommen ist es das erste Mal, Herr."

  • Mutlos ließ Gracchus seine Hand sinken, dazu ein wenig aufgebracht gegenüber seinem Sklaven.
    "Warum hast du mich nicht davon abge..halten? Iudex! Weißt du denn nicht, was das bedeutet!?"
    "Es gibt keinen Grund, zu zweifeln, Herr, du erfüllst alle Voraussetzungen. Immerhin hättest du Praetor werden können." Abschätzig wischte Gracchus den Einwand mit einer flüchtigen Handbewegung hinfort.
    "Theoretisch, sicherlich. Doch zuvor hätten noch immer die Senatoren zu entscheiden, ob sie mich tatsä'hlich für befähigt halten. Was sie zweifelsohne nicht würden tun."
    Einen marginalen Augenblick lang zuckten winzige Falten über Sciurus' Stirne, einem Gewitter in der Ferne gleich, von dessen Urgewalten nur ab und an hauchdünne Blitze am Horizont zu entdecken waren. "Sie haben dich mit großer Mehrheit gewählt, Herr" , warf der Sklave ein, und über die weite Distanz hinweg schien in diesem Augenblicke einer der Blitze in Gracchus' Geist einzuschlagen, welcher seinen Sklaven nun anstarrte, nicht weniger derangiert als hätte dieser ihm soeben glaubhaft eröffnet, dass sein Sohn eine Ziege sei, schon immer gewesen, eilte dabei von panischem Entsetzen ergriffen durch die weitläufigen Flure seines Gedankengebäudes auf der Suche nach einem winzigen Fetzen Reminiszenz, welches an eine Praetur ihn würde erinnern, knöcheltief durch einen Sumpf aus Furcht watend, die Erinnerung an ein gesamtes Amtsjahr verloren zu haben.
    "Wann?"
    krächzte er tonlos, die Kehle zugeschnürt als hätten die striges ihre dürren Finger darum gelegt. Sciurus indes, welcher zwar längst die meisten Marotten und Kaprizen seines Herrn kannte, doch nicht in dessen Gedanken konnte blicken, konnte nicht recht nachvollziehen, was Gracchus derart beunruhigte. "Im Jahr DCCCLIX, als dein Vetter Aristides Vigintivir war. Du konntest dein Amt nicht antreten - noch vor der Eidesabnahme reisten wir nach Achaia ab."
    "Ich habe es nicht angenommen."
    Die Couleur Gracchus' Stimme schwankte zwischen einer Frage und einer Feststellung, wiewohl augenblicklich ein schlechtes Gewissen ob des Versäumnisses ihn überkam, alsbald jedoch negiert von Erleichterung, hatte er doch nicht eine vollständige Amtszeit vergessen, sondern nur einige Tage, Wochen allfällig, welche er ohnehin bereits als verloren hatte akzeptiert. Schlussendlich schüttelte er nur müde den Kopf, verwarf alle enervierenden Gedanken und lehnte sich in das Kissen der Kline zurück, den Blick zum hellen, wolkenlosen Himmel empor als könne dort die Lösung aller Probleme geschrieben zu finden sein - was in diesem unwahrscheinlichen Fallen gleichsam erneut ihn hätte in ein Dilemma gestürzt, wäre er doch kaum in der Lage, diese Anweisungen zu lesen.
    "Diese Vita ist wahrli'h desolat. Nein, nicht nur diese Vita, diese ganze Existenz."
    Da er ohnehin darüber nicht zu befinden hatte, schwieg Sciurus, während Gracchus ein tiefes Seufzen aus den Abgründen seines Innersten empor sich gestattete.

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  • Kurze Zeit später - Gracchus starrte noch immer gedankenverloren Löcher in die Wolken am Himmel, suchte sie allein kraft seines Willens zerplatzen zu lassen - kehrte der Sklavenjunge Alkmaion zurück, eine Wange leicht gerötet, flüsterte neuerlich leise Worte an Sciurus' Ohr und entfernte sich hernach mit vorsichtigem Schritte, dass Gracchus nicht einmal bemerkte, dass der Junge im Peristylium war gewesen. Sciurus trat zu seinem Herrn, riss ihn aus seiner seichten Tagträumerei zurück in die kantige Realität, respektive die Zukunft. "Der Prozess, der verhandelt wird, ist eine Anklage des Quaestor Principis Faustus Octavius Macer gegen den Senator Marcus Decimus Livianus wegen Rechtsbeugung in zwei Fällen." Schleppend kehrte Gracchus' Aufmerksamkeit zurück, troffen die Worte in seine trägen Sinne, bis dass er endlich erstaunt aufmerkte.
    "Gegen Senator Decimus Livianus? Den Legaten des Parthienfeld..zuges?"
    Einen kurzen Augenblick lang hielt er inne, sodann hob sich seine rechte Braue in flavischer Manier empor.
    "Er scheint sich keine Freunde gemacht zu haben, seitdem die Parther ihm seine Freiheit gaben. Nun, dies wird zweifelsohne eine interessante Ver..handlung werden."
    "Er scheint sich mit dem Praefectus Urbi ein wenig überworfen zu haben. Zudem ist er der Vater von Faustus Decimus Serapio", warf Sciurus der Information halber ein, da er in Hinblick auf die Anklage konnte noch keine Details vorweisen. Gracchus' Augen weiteten sich.
    "Faustus' Vater? Meines Faustus ... Hephaistion?"
    "Ja, Herr." Gedanklich seufzend schloss Gracchus die Augen, hob die Linke zu seiner Nasewurzel, sie leicht zu massieren.
    "Warum hast du dies nicht vorab erwähnt? Es wird mir unmöglich sein, in dieser Causa unbefangen zu richten!"
    "Ich werde dem Liktor einen Boten hernach senden, wenn du es wünschst, Herr." Gracchus riss seine Augen wieder auf.
    "Nein! Wie sollte ich dies vor dem Praetor re'htfertigen, wenn nicht durch Lug? Soll ich etwa den richterlichen Beisitz aus Befangenheit ablehnen, da ich eine klandestine Liaison zu dem Sohn des Angeklagten pflege?"
    Seine Stimme war mit jedem Worte in Exaltation und Lautstärke angestiegen, dass er, als er dessen sich wurde gewahr, ein wenig kleinmütig im Peristyl sich umsah, doch außer den herumstehenden Sklaven war niemand zu blicken, wiewohl letztere in Gracchus' Weltbild nicht mehr galten als die Staubkörner zu seinen Füßen - dass sie dennoch kein Wort zu niemandem würden verlautbaren, dafür trug gewöhnlich Sciurus ohne sein Wissen Sorge mit Methoden, von welchen es mehr als gut war, dass Gracchus nichts davon ahnte.
    "Nein"
    , fuhr er etwas leiser fort.
    "Es gibt kein Zurück mehr."
    Er würde einfach seinen Prinzipien folgen, wie er es immer tat - der Wahrheit, dem Wohle des Imperium Romanum -, ohnehin konnte es für eine andere Entscheidung keinen noch so gewichtigen Grund geben. Und wann hatte er zuletzt von Faustus gehört? Beinahe jede Nacht träumte er in der einen oder anderen Art und Weise von ihm, doch die letzten wahrhaftigen Worte waren jene des Abschiedes gewesen. Was, wenn Faustus ihn längst hatte vergessen, längst in den heißen Strahlen einer neuen Sonne in Ägypten sich aalte? Doch was indes, wenn er hinwieder an ihn dachte, nach ihm sehnte und sich verzehrte? Hätte er nicht selbst von einem Liebhaber in solchem Falle erwartet, dass jener zu Gerichte berufen zu Gunsten seines Vaters würde entscheiden - selbst eingedenk des ambivalenten Verhältnisses, welches mit seinem Vater ihn hatte verbunden und von welchem Faustus mit dem seinen zweifelsohne weit war entfernt? War es nicht die Familie, welche stets schwerer wog als das Imperium und die Wahrheit? Gracchus seufzte - hörbar diesmalig - und hoffte aus der Tiefe seiner Seele und seines Herzens, das Senator Decimus ohnehin zweifellos frei von Schuld würde sein, dass nicht erst in diesem Dilemma er würde enden.

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