• Als Vala eintrat, tat er dies mit einer Bestimmtheit die garnicht dem entsprach, was gerade in ihm vor ging. Um genau zu sein: der Anblick der Iunia traf ihn wie der Schlag.
    Wieso all diese Trauer? Wieso die ganze, schon fast greifbare Melancholie in der Luft?


    "Axilla.", grüßte er sie knapp, und blieb mit betont betroffener Miene vor ihr stehen. Vielleicht war noch jemand im Hause verstorben, wovon er nichts wusste, und so galt es ihm, sich so einfühlsam wie möglich zu geben. Eigentlich wollte er nur ein wenig Aufmerksamkeit heucheln, jetzt schien sich der Besuch allerdings etwas zu dramatisieren.


    "Ich habe von dem Überfall gehört.. dass dir nichts geschehen ist, beruhigt mich doch sehr.", begann er, während es hinter seiner Stirn heftig arbeitete. Was ging hier vor?
    Der Verdacht, der Verlust ihres Begleiters könnte sie in diese Trauer gestürzt haben, schien ihm zu absurd. Vala sah, wie die meisten Germanen, die Mitglieder des Haushalts mit einer Art Gleichmacherei an, die sich nur dann als oberflächlich entpuppte wenn es um Entscheidungsfindung und um Politik ging. Die Römer hingegen sahen Servi, wie sie sie schon nannten, als Gebrauchsgegenstände mit geringerer Menschlichkeit an. Für ihn gab es also überhaupt keinen Grund davon auszugehen, bei der Iunia war es anders.
    Wovon Vala allerdings ausging, war, dass es da etwas gab, von dem man sich in gewissen Kreisen eben nichts erzählte. Corvus hatte da eine sehr eindeutige Sprache gesprochen.


    "Wie geht es dir?"

  • Als Vala eintrat, konnte Axilla nicht anders, als ihm ganz kurz und traurig zuzulächeln. Seit der Hochzeit hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und irgendwie erschien ihr das Treffen jetzt so irreal. Sie hatte keine Ahnung, warum er hier war, und trotzdem war sie froh, dass er hier war. Auch wenn Archias dafür vermutlich für verrückt halten würde.
    Als er dann sprach, ließ Axilla kurz den Kopf in trauriger Schwermut sinken und blickte verlegen beiseite. Er war also nicht zufällig hier, sondern wirklich wegen dem Überfall. Und er hatte sich Sorgen um sie gemacht. Ein Teil von Axilla war ehrlich gerührt deswegen. Wie konnte Archias nur auf die Idee kommen, jemand, der so ehrlich war, könnte ihr etwas tun wollen?
    Sie sammelte sich einen kurzen Moment, und blickte dann wieder direkt zu ihm hoch. Seine grauen Augen sahen fragend drein, und Axilla hatte wieder Mühe, ihren Blick davon loszureißen. “Ich bin unverletzt“, meinte sie schließlich nickend. Was sollte sie ihm schon vorjammern von ihrem Gefühl des Verlustes wegen Leander? Und dass sie das Kind verloren hatte konnte sie ihm ja auch nicht sagen, abgesehen davon dass das für Axilla nicht wirklich schwer wog. Das war nunmal passiert, darüber war sie hinweg.
    “Setz dich doch. Möchtest du etwas trinken?“ bot sie ihm einen Platz auf den bequemen Klinen hier an und setzte sich auch gleichfalls schon auf eine. Sie mussten hier ja nicht herumstehen und so künstlich eine Atmosphäre der Unbehaglichkeit erschaffen.


    “Es ist nur... der Sklave, der getötet wurde, war mir ein guter Freund. Ich hätte ihn schon längst freilassen sollen, aber... das Schicksal hatte wohl anderes vorgesehen. Aber mir geht es gut, du musst dir keine Sorgen machen“
    irgendwie tat es ihr leid, dass sie Vala offenbar solchen Kummer gemacht hatte. Sie sah sich geradezu gezwungen, es ihm zu erklären, und ihm gleichsam zu versichern, dass alles in Ordnung war. Sie mochte es nicht, wenn er sie auf diese Art und Weise ansah.

  • "Wasser.", wandte sich Vala an einen der Sklaven, und erhielt dies auch in gebecherter Form einen Augenblick später, was er mit einem dankbaren Nicken quittierte, dabei jedoch die Iunia nicht einen Augenblick aus demselben zu lassen.


    Der Sklave war ihr ein guter Freund? Also war es wirklich der Grund für diese ganze Aufmachung. Vala war ehrlich überrascht, auch wenn er sein möglichstes tat, dies zu verbergen, und stattdessen mit einem "Das tut mir leid.." noch ein Stück weiter den Betroffenen Freund gab.
    Ihm kam die Situation zunehmend absurd vor, blickte er doch in die Augen einer Frau, die, wenn es nach ihm gegangen wäre, mittlerweile in eine hübsche Portion Asche flambiert irgendwo in einem Familiengrab hocken müsste. Allerdings war es nicht nach ihm gegangen, und so hatte ein sehr idealistischer Römer dafür gesorgt, dass die Herrin nun um den Sklaven trauern durfte, und nicht umgekehrt.


    "Schicksal..", sponn Vala den Faden weiter, und fragte sich inwieweit übermenschliche Fügung mit dieser Wendung zu tun hatte. Er fragte sich auch, ob das Weib von Aelius diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte. Und ob er bereits an seiner Vergeltung arbeitete. Oder ob er es überhaupt wagte, was Vala sich bei der weibischen Art der Konfliktführung nicht vorstellen konnte.


    "Ich habe gehört, der Täter hat den Angriff nicht überlebt. Vielleicht kann man da doch von göttlicher Fügung sprechen, wenn sie sich auch entschieden hat, nur auf halbem Wege einzuschreiten.", führte er das Thema weiter, bis er sich schließlich entschloss, auf etwas anderes zu sprechen zu kommen: "Was hat dich eigentlich in diese Gegend geführt? Ich meine, alleine am Hafen entlang zu spazieren und Leuten Bäder im Tiber zu verabreichen ist eine Sache. Aber durch die Subura? Ich müsste nicht lange nachdenken, um da Geld zu riechen, wenn zwischen dem ganzen Pöbel auf einmal eine Dame von Stand quasi ungeschützt durch die Gegend läuft.."
    Valas Blick wurde hierbei ein wenig hart, perfektes Schauspiel, eben. Es war, als würde ein guter Freund eine noch bessere Freundin für eine Dummheit schelten, deren Ausmaß man schon im vorneherein hätte bemessen können.

  • Jetzt auch noch sein Mitleid zu hören war fast zu viel für Axilla. Sie schluckte und nickte nur Stumm, während sie auf der Kline die Beine mit nach oben zog, um sich so in ihre Übliche Schutzhaltung zu begeben. Es half einfach dabei, sich zu beherrschen, und Axilla wollte auf keinen Fall einen schlechten Eindruck hinterlassen.
    Als Vala dann von dem Überfall sprach, wandte Axilla ihren Blick von ihm ab und dem Fenster zum Perystil zu, das hier für Licht sorgte. Wieder kamen ungewollt die Bilder hoch, und sie unterdrückte ein Schütteln. “Ja, ein Passant ist eingeschritten“ bekräftigte sie mit abwesender Stimmlage, als Vala dann auf etwas anderes zu sprechen kam. Abrupt wandte Axilla sich wieder ihm zu und sah ihn einen Moment erschrocken an. War das auch ihre Schuld? Hätte sie die Subura umgehen müssen? Wäre Leander dann noch am Leben, wenn sie nachgedacht hätte?
    “Ich... ich wollte nur“ Kurz wandte sie wieder den Blick zum Fenster und wischte sich möglichst unauffällig über die Augenwinkel mit den Fingern ihrer rechten Hand. Sie machte sich so schwere Vorwürfe, weil sie nicht eingeschritten war, als der Überfall stattgefunden hatte. Auch wenn Archias sie zu überzeugen versucht hatte, dass sie ja doch nichts hätte tun können, Axilla fühlte es anders. Tief in ihr drinnen war sie einfach überzeugt, dass sie irgendwas anderes hätte tun müssen. Oder eben gar nicht erst dahingehen sollen.
    Die aufkeimenden Tränen waren mit einem Blinzeln schon unter Kontrolle, und Axilla sah Vala mit einem entschuldigenden und zerknirschten Lächeln wieder an, ehe sie sich erklärte. “Ich wollte nur auf dem schnellsten Weg von hier zum Palast. Es ist so, ich...“ Irgendwie kam sie sich wie eine Verräterin vor. Sie schaute ihm in seine grauen Augen, und mit einem Mal tat es ihr fast leid, dass sie ihm die Wahrheit sagen musste. “... werde demnächst Aelius Archias heiraten.“ Wobei sie keine Ahnung hatte, wann denn genau. Er hatte ihr nur gesagt, dass er sie heiraten wolle, nicht wann. “Und an dem Tag wollte ich zu ihm. Durch die Subura ging das am schnellsten... Ich hätte besser darüber nachdenken müssen.“
    Axilla sah einen Augenblick einfach nur weiter zu ihm, fast, als wollte sie um Entschuldigung bitten. “Ich hoffe, du bist mir nicht böse?“ Und was sie damit genau meinte, wusste sie selber nichtmal so genau.
    Aber vielleicht sollte sie auch einfach das Thema wechseln versuchen. Sie konnten ja nicht nur über diese trüben Sachen sprechen. Oder über Dinge, die Axilla mit einem Mal unangenehm schienen. Und sie war schon immer gut darin, ohne ersichtlichen Grund einfach ein neues Thema zu beginnen.
    “Aber erzähl mir lieber ein bisschen was von dir. Wir haben uns jetzt ja eine ganze Weile nicht gesehen. Hat dir das Buch gefallen?“ Vielleicht hatte er das Buch, das sie ihm geschenkt hatte, auch gar nicht gelesen. Aber ein besseres Thema fiel Axilla auf Anhieb nicht ein.

  • "Achwas?", entglitt es Vala, bevor er seine Worte wieder in Zaum legte, "Aelius Archias. Interessant.. dann wünsche ich euch beiden, trotz dieses unglücklichen Moments, alles Gute. Auch wenn ich zugeben muss, dass Silanus' Wahl besser hätte sein können." Zumindest war das Valas Gedanke. Wie konnte er auch ahnen, dass es sich hier um eine der im römischen Reich so absolut untypischen Liebesverbindungen handeln konnte? Der kleine Stich gegen Archias war das einzige, was er sich an Frotzelei im Moment leistete, Vala zog es vor, diesen Konflikt auf andere Art und Weise auszutragen.


    "Wie könnte ich dir böse sein?", lächelte Vala dann wieder nonchalant, "Ich bin ja froh, dass du diesen Überfall überlebt hast, nicht jeder ist so glücklich, wie die arme Seele des Leander ja bewiesen hat. Töricht war es dennoch, gerade, wenn man an das denkt, was noch kommen wird. Du hättest die Verbindung deines Hauses mit dem der Aelier riskiert. Als Frau hat man mehr zu verlieren, als nur das eigene Leben."


    Er stützte das Kinn auf die geballte Faust und blickte nachdenklich an Axilla vorbei. Er hatte einmal, kaum zehnjährig, miterlebt, wie ein Stammesfürst einen des Verrats beschuldigten Mannes durch Worte in die Ecke getrieben hatte, bis er sich schließlich selbst verriet, und damit sein Schicksal und das seiner gesamten Sippe besiegelt hatte. Die Rache des Richs war fürchterlich ausgefallen, für jeden Mann, der durch den Verräter sein Leben verloren hatte, hatte er sich eins aus der Sippe des Mannes zurück geholt. Das hatte Vala sehr imponiert, vor allem die Art und Weise, wie der Mann mit Worten umgegangen war. Seitdem hielt Vala auf die Rhetorik große Stücke, und übte sich darin wann es nur ging. Wie zum Beispiel jetzt.


    "Rom ist gefährlich, fürwahr.", er schlug mit der Hand auf das Knie, und lächelte Axilla erleichtert an, "Es mag seltsam erscheinen, aber da können wir ja von Glück reden, dass dich dieses Unglück VOR der Hochzeit ereilt hat, und nicht etwa danach... gar mit einem Kind unter dem Herzen."


    Hätte Vala das spätneuzeitliche Billard gekannt, er hätte eine solche Allegorie gezogen: es kam immer darauf an, wie man die Kugeln spielte. Jede Kombination aus Kraft und Winkel führte im gekonnten Umgang mit Bande und Kugeln zum gewünschten Resultat. Oder zum Sieg des Gegners.


    Unbekümmert und mit aufmerksam lächelndem Blick stellte Vala eine Frage, deren Antwort er schon kannte. Der Aelius würde den Loki tun und ihn auf seiner eigenen Hochzeit dulden. Allerdings folgte die Frage einem ganz anderen Ziel als der simplen Antwort. Die Frage allein barf schon Valas Absicht, sich als Freund Axillas zu positionieren. Er würde gegenüber einem bestimmten Römer Stillschweigen darüber bewahren müssen, wollte er sichergehen, dass dieser ihm nicht vor die Füße kotzt.


    "Ich hoffe, ich bin eingeladen? Als Freund?"

  • Auf seine Überraschung hätte Axilla eigentlich gefasst sein sollen, achwas, müssen, und trotzdem zuckte Axilla schuldbewusst etwas zusammen und sah fast schon verlegen drein. Sie schämte sich sicher nicht für ihre Hochzeit mit Archias. Zum einen hegte sie wirkliche Gefühle für ihn und war sich sicher, dass das auch lange so sein würde. Und zum anderen war er Aelier, mit dem Kaiser verwandt, war Eques, hatte einen guten Posten. Also selbst nach außen hin war es eine sehr glückliche Fügung. Axilla hatte zwar ganz sicher nicht deshalb zugestimmt, und erst recht war sie mit ihm nicht deshalb im Bett gewesen, aber es war doch ein durchaus positiver Nebeneffekt.
    Und dennoch kam sie sich grade irgendwie vor, als hätte sie etwas schlimmes gemacht, für das sie sich eigentlich schämen sollte. Als hätte sie Vala etwas getan, wofür sie ihn um Entschuldigung bitten sollte. Auch wenn es absolut widersinnig war, denn bei ihm fühlte sie anders. Ganz anders. Da war es eher ein Flattern in ihrem Bauch, da hüpfte ihr Herz und sie wollte in seinen Augen ertrinken. Aber das war ein schnelles, heißes Feuer, gegen das sie sich nicht so recht wehren konnte, aber es hatte nicht die Beständigkeit wie bei Archias. Nichts desto trotz fühlte sie sich gerade ziemlich schuldig.
    “Bessere Wahl?“ echote sie ein wenig leise, als Vala sie mit seinen nächsten Worten auch schon wieder gleich zum Schweigen brachte. Er war ihr also nicht böse und verstand es als politische Entscheidung? Gut, sehr gut, denn das war nichts verwerfliches. Liebe hingegen schon, sowas gehörte sich nicht. Wenngleich seine nachgeschobenen Worte Axilla zum Überlegen zwangen. Dabei bemerkte sie noch nichtmal, dass Vala Leanders Namen genannt hatte, obwohl er ihn doch eigentlich nie kennengelernt hatte.


    Allerdings wäre selbst das vergessen gewesen, als Vala auf einmal von dem Kind anfing. Axilla sah erschreckt auf, ihre Augen weiteten sich einen kleinen, verräterischen Moment und sie wurde noch einen Hauch blasser, ehe sie beiseite schauen konnte, um sich zu fangen. Er wusste es nicht, er konnte es ja auch gar nicht wissen.
    “Ja, wirklich, ein großes Glück. Ich meine... sowas passiert ja schnell, nicht? Und das wäre ja dann noch tragischer gewesen.“
    Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr Mund fühlte sich trocken an. Axilla war nicht so geübt darin, zu lügen. Nicht, was das betraf. Sie konnte jedem vormachen, sie sie fröhlich, obwohl sie es nicht war, und sie konnte sehr überzeugend dann lächeln und so tun, als sei sie gedankenlos. Aber eine ausgewachsene Lüge, das war etwas anderes, und sie sah Vala auch nicht an, während sie sprach. Erst danach fixierte sie ihn beinahe schon mit ihrem Blick, um zu sehen, ob er die Lüge geschluckt hatte und es auf sich beruhen lassen würde.


    Als er auf die Hochzeit dann auch noch zu sprechen kam, musste Axilla sehr verlegen Lächeln. Warum hatte sie bei Urgulania nicht besser gelernt, wie man mit solchen Situationen umging? Axilla konnte zwar durchaus nein sagen, nur war das meistens laut, energisch und unmissverständlich. Das Nein so zu verpacken, dass es so klang, als würde man damit sienem Gegenüber den Gefallen seines Lebens erweisen, das konnte sie nicht.
    “Ich würde dich wirklich sehr gerne einladen. Aber ich weiß nicht... also, ich meine, ich weiß schon. Ich...“, sie ruckte kurz und hörte auf, rumzudrucksen. Sie sah Vala offen und ehrlich an und um ein Haar hätte sie ihn einfach kurz berührt, besann sich dann aber darauf, dass er das nicht mochte. “Ich glaube, Archias fände das nicht so gut. Er ist irgendwie der Meinung, du könntest mich nicht leiden und wolltest mir was tun.“ Axilla rettete sich in ein kleines Lachen, weil dieser Satz allein schon so absurd klang. “Ich weiß, es ist absolut absurd, und ich glaube, ich bin da schuld daran. Also, wegen der Hochzeitsfeier bei Aurelius....ähm, und Septima.“ Welcher Aurelius war das doch gleich wieder gewesen? Irgendein Senator, und der Neffe von dem älteren, mit dem sie sich unterhalten hatte. Egal. “Ich glaube, er ist ein wenig besorgt, ich könnte... also, du weißt schon. Eifersucht eben.“
    Axilla hoffte, dass ihr es einigermaßen gelungen war, es ihm nahe zu bringen. Eigentlich hatte sie ja sogar die Wahrheit gesagt und nichtmal gelogen. Höchstens ein wenig untertrieben.

  • Um es in Neulatein auszudrücken: Bam(us)!!!!
    Da war er, genau DAS Einbrechen der in jahrelang durch soziales Geplänkel trainierten Maskerade, das es brauchte um Geheimnisse zu verraten. Ihr Gesichtsausdruck, ihr Wegschauen, selbst ihre Gesichtsfarbe! Er hatte sie.
    Und reagierte sofort: gerade noch den Becher mit Wasser zu den Lippen führend hielt er mitten in der Bewegung inne, und starrte sie einen Moment lang gekonnt perplex an. Dann setzte er betont langsam den Becher wieder ab, und sah sie wiederrum einige Sekunden lang stillschweigend an, mit einem Ausdruck, der zunehmend kritisch wurde.
    "Ist das dein Ernst?", flüsterte er schon fast, als hätte sie gerade erzählt, dass man Valhalla aufgrund von Sanierungsarbeiten geschlossen hatte. Er ließ ihr Zeit zu schweigen und ihn weiterhin zu fixieren, bevor er sich zu einem schalkhaften Lächeln durchrang.
    "Iunia Axilla. Ich bin überrascht... nein, schon fast beeindruckt.", er lachte sie an, offen und beinahe ehrlich, "Das hätte ich nicht erwartet. Vielleicht ist die junge Frau vor mir nicht halb so bieder, wie man es von den römischen Frauen gemeinhein so mitbekommt. Ich bin wirklich fast... nein, ich BIN beeindruckt. Stellt sich allerdings die Frage: ist es von ihm?"


    Vala, immernoch leise lachend, nahm den Becher mit Wasser wieder an sich und genoss sachte den Kopf schüttelnd einen Schluck, während er im richtigen Moment an seiner Gastgeberin vorbeisah. Hatte Corvus also recht gehabt. Nicht, dass es ihn in Wirklichkeit entsetzen ließ. Vala hatte in seinem bisher doch recht kurzen Leben genug Dinge gesehen, die ihm alle Tugend und Moral und die damit verbundenen Traditionen als Staffage um die grässliche Fratze der Menschheit zu verschleiern erscheinen ließ, als hölzerner Käfig um eine uralte Bestie einzusperren. Für Vala war das alles vollkommen normal, und hinter jeder noch so trickreich zusammengekleisterten Fassade vermutete er einsturzgefährdetes Mauerwerk.


    Als Axilla ihm jedoch tatsächlich beschrieb, dass Archias ihn nicht auf der Hochzeit haben würde, gab Vala sich erst überrascht... und dann unsäglich betroffen: "DAS hat er gesagt? Wieso.. ich meine... warum? " Der Becher in seiner Hand avancierte mittlerweile zum bedeutungsschwangeren Instrument seines Schauspiels, mit nichts ließen sich plötzliche Emotionen besser orchestrieren, als mit einem Alltagsgegenstand, der genau im richtigen Moment in der Luft stehen blieb.


    War der Aelius also zu seinem Mädchen gerannt und hatte sich ausgeheult. Er fragte sich immer mehr, ob er jetzt die Frau oder den Kerl in dieser interessanten Konstellation zum Feind hatte. Ein spöttisches Lächeln schlich sich auf Valas Züge bevor er es realisierte, und als er es tat, blieb ihm nicht viel mehr übrig, als damit zu arbeiten.
    "Bewahre dich, Freundin, vor Eifersucht, dem grüngeäugten Scheusal, das besudelt die Speise, die es nährt.", zitierte Vala frei mit Schalk in den Augen gleich mal 1500 Jahre in die Zukunft einen britannischen Dichter, "Ich hoffe, das wird nicht zwischen uns stehen. Ich wäre wirklich untröstlich, wenn ich dich auf einmal nichtmehr sehen dürfte, nur weil dein Zukünftiger es nicht erträgt, wenn sich auch andere an deinem schönen Gesicht und den Gesprächen mit demselben ergötzen dürfen."

  • Hatte Axilla noch gehofft, verbergen zu können, was geschehen war, machte Vala diese Hoffnung schon mit seinem ersten Satz zunichte. Wieder ging ihr Blick beiseite, wich seinem Aus, während sie mit halb offenem Mund nach einer passenden Lüge suchte. Es musste ja nichts großes sein, sie musste einfach nur abstreiten, was sie abstreiten musste. Das sollte doch unter keinen Umständen publik werden! Und wenn sie sich schon bei Vala verriet, wie sollte sie das dann erst abstreiten, wenn es wirklich drauf ankam?
    “Ich weiß nicht, was du meinst...“ versuchte sie es schwach, wurde dann aber von ihrem Gesprächspartner vollkommen überrascht.
    Ihr Blick ruckte kurz zu ihm und sie konnte gerade noch verhindern, dass ihr der Mund offen stand. Er fand das gut und war davon beeindruckt. Axilla blinzelte einmal und musste sich den Moment zusammenreißen, nicht wie ein Schaf nachzufragen, was er daran gut finden könnte. Auch wenn sie manchmal etwas länger brauchte, zwei Sekunden später kam ihr eine mögliche Erklärung. Auch wenn ihr diese nicht wirklich in Bezug auf ihren Charakter gefallen wollte.
    Wenn man davon ausging, sie habe Archias absichtlich verführt und wäre absichtlich schwanger geworden, um ihre Gens an die des Kaisers zu binden und ihn so zu überzeugen, sie anstatt Seiana zu halten, dann wäre das natürlich ein gewagtes, aber doch taktisch vortreffliches Meisterwerk gewesen. Wenn man Axilla soviel Kalkül und Gewissenlosigkeit unterstellen wollte, war das sicher etwas, was auf gewisse Weise beeindrucken konnte. Aber so war es ja gar nicht gewesen! Sie hatte ganz sicher nicht schwanger werden wollen, und eigentlich schämte sie sich dafür, dass Archias ihretwegen Seiana verlassen hatte. Nur konnte sie das Vala jetzt nicht sagen, denn auch, wenn es ein Lob aus falschen Gründen war, sie genoss seine Aufmerksamkeit und Anerkennung.
    “Ähm. Also...“ Die Entscheidung war nicht wirklich einfach, und Axilla war sich auch sicher, dass Abstreiten jetzt nichts nützen würde. Die Wahrheit sagen ging aber auch nicht, zumindest nicht ganz. Sie war sich sehr unschlüssig, was sie darauf erwidern sollte, versuchte es dann aber doch damit, sich seinen Respekt zu erhalten und nicht wieder kaputtzumachen, indem sie zugab, dass es nur ein Unfall gewesen sei. “Natürlich war es von ihm.“ Sie versuchte, es so klingen zu lassen, als sei sie über die Frage kein wenig entrüstet und als kratze sie nicht an ihrer Ehre. Eher wie eine Belanglosigkeit, wenngleich ihr das wohl nicht gelang.


    Da war das Thema der Hochzeit ja geradezu erbaulich dagegen, und Axilla fast froh, hier etwas erklären zu können, was sie nicht durch irgendwelche Lügenkonstrukte künstlich aufrecht erhalten musste. Hier konnte sie einfach reden, was sie dachte, und musste keine Wirkung nach außen dabei mit im Kopf behalten. Das war um Welten einfacher für sie, als sich so zu verstellen, nur um seinen Respekt zu behalten.
    Seine ersten Worte klangen poetisch, und das überraschte Axilla doch, hatte sie ihn so doch bisher noch nie sprechen hören. War das von ihm, oder rezitierte er wohl? Sie wollte ihn fast danach fragen, als er schon fortfuhr und Axilla aus dem ganzen Konstrukt an Informationen die eine raushörte, die sie verlegen lächeln ließ. Er fand sie schön! Die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück und legte sich als sanfte Röte auf ihre Wangen, als sie kurz verlegen zu ihm hochschaute, als er das sagte. Erst danach wurde sie beinahe erschrocken ernst, und diesmal vergaß sie seine Abneigung gegen Berührungen und griff kurz nach seiner Hand. “Nein, ganz bestimmt nicht.“ Sie schüttelte kurz den Kopf, ehe sie merkte, dass sie ihn berührte, und ihn verlegen wieder losließ. Sie lächelte ihn an, legte den Kopf leicht schief. Nicht mehr mit ihm reden, wie kam er auf die Idee? “Wir können uns nur vielleicht nicht im Palast treffen.“ Es klang fast ein wenig kokett. Vor allem, als sie noch etwas anfügte. “Aber Archias muss ja auch nicht alles wissen, nicht?“ Sie würde sich sicher nicht vorschreiben lassen, wen sie gernhaben durfte und wen nicht.

  • "Es war von ihm?", zog Vala eine Augenbraue hoch, und sah Axilla kritisch an. Nicht, dass er nicht schon wusste, dass das kleine ungeborene Ding ins Gras gebissen hatte bevor es es überhaupt zu sehen bekam, aber kausale Aneinanderreihung war wichtig, um nicht irgendwann im Carcer zu landen, bevor man die Mittel hatte, sich aus diesem frei zu kaufen.


    "Und dennoch will er dich heiraten?", murmelte Vala, scheinbar mehr zu sich selbst als zu seiner Gastgeberin, "Das ist interessant. Anscheinend hat Silanus ihn wirklich überzeugen können. Oder weiß er etwa noch nicht davon? Das wäre ein heikles Spiel, was du da treibst."
    Was er ihr so garnicht zutraute. Seine Meinung von Axillas Intelligenz war.. nun, sie hatte viel zu lernen. Wie er wahrscheinlich auch. Wie er sicherlich auch. Nur während er sich im Dreck der dunklen Seite der Menschlichkeit suhlte, sonnte sich Axilla in der künstlichen und doch schützenden Sonne menschlicher Naivität. Vala fragte sich insgeheim, ob er irgendwann auch mal wieder die Sorglosigkeit erfahren würde, die er schon vor so vielen Jahren in den blutgetränkten Sümpfen seiner Heimat verloren hatte. Einen kurzen, verschwindend kurzen Augenblick war Valas Blick beinahe Wehmütig, und ein Gefühl machte sich bemerkbar, dass er schon lange verlernt glaubte: Heimweh.


    Als Axilla sich dann erschrocken zeigte, und nach seiner Hand griff um ihm auch auf die körperliche Art und Weise klarzumachen, erwischte sie ihn gerade in diesem schwachen Moment. Die Wirkung war desaströs. Als Vala realisierte, dass sie ihn wieder losließ, griff er blitzschnell mit der Hand nach der ihren, und hielt sie fest im Griff. Sonst machte er nichts. Er hielt ihre Hand einfach nur fest, und starrte gedankenverloren auf diesselbe. Was dabei in seinem Kopf vorging, blieb auch dort.
    Irgendwann hob er wieder den Blick, und sah ihr direkt in die Augen, mit einem Blick, der so ganz unvalahaft war. Verletzlich, schutzlos, welpenhaft.
    Es brauchte einen weiteren Moment, damit der Wolf sich wieder sein Revier zurückerkämpfen konnte, und den Welpen auf seinen Platz in einer düsteren Ecke verwies. Valas Züge wurden härter, die Hand wurde losgelassen, und schließlich lehnte er sich wieder zurück, eine gewisse Distanz schaffend.


    "Richtig.", sprach Vala eine Spur härter, als er es eigentlich gewollt hatte, "Er muss ja nicht alles wissen."


    Er schwieg sie einen weiteren Moment an, in dem nur die alltägliche Geschäftigkeit eines römischen Bürgerhauses zu vernehmen war, bis er sich schließlich aufraffte, und sich gegenüber der Iunia knapp verneigte.


    "Werte Iunia. Es tat gut zu sehen, dass es dir den Verhältnissen entsprechend gut geht. Wenn du mich jetzt entschuldigst?", sprach er mit der für ihn typischen warmen wie auch distanzierten Art. Dabei übersah er völlig, was er auf der Kline hatte liegen lassen: eine kleine, grob geschnitzte Figur der Göttin Frigg. Eine sehr germanische Figur, keine feinen Züge, wie sie so oft bei den mediterranen Figuren zu sehen waren, nur eine grob erkennbare Menschlichkeit mit eindeutig weiblichen Zügen. Und sie war aus Holz.

  • Warum nur musste Vala so gut hinhören? Und warum fragte er dann nach? Axilla wich seinem blick wieder aus, suchte nach Worten. Noch bevor sie eine gute Antwort parat hatte, fuhr Vala schon fort und fragte sie etwas, das weitaus leichter zu beantworten war, weshalb Axilla erst einmal darauf einging. “Ja, er heiratet mich trotzdem. Und er weiß davon. Alles. Auch, dass ich...es verloren habe...“ Es lag kein Schmerz in Axillas Stimme, als sie das sagte, und noch nichtmal Traurigkeit. Es tat ihr nicht weh, dass sie das Kind verloren hatte. Allein die Vorstellung, es hätte wegen der versuchten Abtreibung einen Makel haben können, jagte ihr Schauer über den Rücken. Ohne zu zögern hätte sie es dann ausgesetzt. Ob Archias das allerdings auch so gehandhabt hätte, war fraglich, und immerhin war es ja sein Kind. Sie hatte da kein Recht, darüber zu verfügen. Rein vom Rechtlichen her war sie ja noch nicht einmal mit ihren Kindern richtig verwandt. Außer Archias hielt Wort, und sie würden Axillas Ahnen zu den ihren aufnehmen dürfen, wenigstens Axillas Vater. Es war fast schon erleichternd, dass das Kind fort war, denn so hatte Axilla auch die Gewissheit, dass Archias Seiana nicht nur deshalb hatte sitzen lassen.
    Aber sie schämte sich. Ihre Mutter hatte so viele Kinder verloren, so viele von Axillas Geschwistern waren gestorben, bevor sie auch nur ein Jahr alt wurden. Axilla wollte nicht, dass das bei ihr ebenso war. Sie wollte nicht, dass sie am Ende noch als unfruchtbar galt, weil sie kein lebendiges Kind gebären konnte. Sie brauchte so unbedingt einen gesunden, starken Sohn, der das Erbe ihres Vaters weitertragen würde. Und da war es schwer, es zuzugeben, selbst wo Vala von ihrem gesamten Hintergrund nichts wusste. Und sie würde es ihm sicherlich nicht erzählen.


    Und mit einem Mal war die Stimmung irgendwie anders. Auch wenn Axilla sie durch einen Scherz aufzuheitern versucht hatte, irgendwas war anders. Trauriger. Als sie ihre Hand zurückzog, griff Vala danach, hielt sie fest. Axilla versuchte noch nicht einmal, sie ihm zu netziehen. Selbst wenn er jetzt ganz locker gelassen hätte, sie hätte sie dort gelassen, wo sie jetzt war. Ganz sanft schlossen sich ihre Finger leicht um seine Hand. Naja, so gut es eben ging, denn ihre Hände waren geradezu winzig im Vergleich zu seinen. Zwar nicht so feingliedrig und damenhaft, wie es ideal gewesen wäre, aber dennoch eindeutig weiblich, eindeutig weicher als seine Hände. Ganz vorsichtig fuhr sie mit ihrem Daumen über eine leichte Schwiele, die wohl früher einmal stärker gewesen war, jetzt aber in der Zeit in Rom sich zurückgebildet hatte.
    Und die ganze Zeit sah sie ihm in die Augen. Sie hatte seine grauen Augen noch nie so gesehen. Sie hatte sie schon vor Wut blitzen, im Schalk strahlen oder vor Zorn schwarz werden sehen, aber noch nie hatte sie ihn so verletzlich und sanft gesehen. Bis eben hatte sie immer, immer zu ihm hochgesehen, ihn wie ein Ideal angehimmelt. Aber jetzt, in diesem einen Moment, waren sie auf einmal auf Augenhöhe. Axilla hatte keine Ahnung, woran er dachte, konnte es noch nicht einmal erraten oder vermuten. Aber dieser eine Blick aus seinen Augen reichte, um endloses und ewiges Mitgefühl in ihr zu entfachen. Er sah so einsam in diesem Moment aus. Und wenn er nicht schon zuvor einen Teil ihres Herzens gehabt hätte, jetzt hätte er ihn mit Sicherheit erobert.
    Sie sagte nichts, konnte nichts sagen. Sie war einfach nur da, streichelte ab und an ganz vorsichtig und sanft mit ihrem Daumen über seine Handfläche und betrachtete seine grauen Augen. Sah den Wechsel darin, kurz bevor er ihre Hand losließ und sich auch zurücklehnte, sich wieder hart machte, so wie sie sich immer künstlich fröhlich machte, wenn sie das fühlte, was sie in ihm gerade gesehen hatte. Kurz ging ein Impuls durch ihren Körper, ihm nachzugehen, nachzurutschen, sich einfach nur an ihn zu kuscheln um ihm zu zeigen, dass sie noch da war. Aber sie ließ es, ließ ihm seine Kraft und ihr ihre Würde.
    Seine Worte klangen hart und kräftig, fast abweisend. Axilla holte leise Luft, um etwas zu sagen, wusste aber nicht, was. Und da stand Vala auch schon hastig auf und wollte sich verabschieden.
    “Du musst nicht gehen!“ war das erste, was blitzartig aus ihrem Mund geschossen kam, als sie ebenfalls aufstand und einen Schritt auf ihn zumachte. Alles in ihr drängte danach, die Nähe wieder herzustellen, aber sie blieb stehen. Der Moment war vorbei, sie konnte ihn nicht zurückholen. Und sie sollte das auch nicht. Er war ein Mann, ein Kämpfer, er musste stark sein. Das wusste Axilla, und im Grunde wollte sie ja auch nichts anderes. “Ich meine, also... wenn du noch wichtige Termine hast, kannst du natürlich, ich will dich nicht aufhalten. Ich meine nur... es war sehr schön, sich mit dir zu unterhalten. Es wäre schön, wenn wir das in Zukunft öfter tun könnten. Und sag doch Axilla zu mir.“
    Ihre Augen waren weiter auf die von Vala fixiert, fast wie eine Motte, die nur zum Licht streben konnte. Daher merkte sie nichts von der Figur, die auf der Kline nun lag.

  • "Ich muss.", flüsterte Vala fast, und als er das bemerkte, riss er sich noch ein Stück mehr zusammen: "Ich muss."
    Ihre Worte gingen an ihm vorbei, er verschloss die Ohren vor ihr. Er hasste solche Momente. Mit ganzem Herzen.. er hasste sie. Sich selbst zu fragen, was das sollte brachte ihn auch nicht weiter, und so blickte er Axilla einen Moment lang unschlüssig an. Wenn das zur Angewohnheit wurde, dass er bei ihr die Contenance verlor, würde er sie wirklich umbringen müssen, einfach nur um sich einer persönlichen Schwachstelle zu entledigen. Und andererseits...
    Und da war es wieder. Mit fassungslos erstarrtem Geist beobachtete Vala sich selbst dabei, wie er einen Schritt an Axilla herantrat, ihr eine Hand auf die Schulter legte und sich elend langsam zu ihr beugte.
    Um sie schließlich auf die Stirn zu küssen, eine sehr germanische Ehrerbietung für Frauen von Stand. 'Nochmal Schwein gehabt, du gefühlsduseliges Weichei.' schalt Vala sich dabei selbst, als er sich letztendlich umwandte und gen Ausgang schritt, ohne sich noch einmal umzudrehen.

  • Es war Axillas erster Aufenthalt in der Casa Iunia, seit sie aus Ravenna zurück waren. Dementsprechen viel hatte sie vor, oder besser gesagt, sie meinte, es vorzuhaben. Im Grunde gab es nicht wirklich etwas zu tun, die Sklaven hüteten das Haus hervorragend und kümmerten sich um alles. Natürlich, sie gehörten ja auch zur familia, das hier war auch ihr Haus, und ihre Laren, denen sie opferten. Nunja, die meisten von Ihnen. Malachi, den Axilla erst kürzlich gekauft hatte, tat das nicht. Aber sie ließ ihn gewähren, sie selber glaubte ja auch nicht daran, dass es wirklich so immens wichtig war, dass jeder mit Inbrunst täglich am Ara opferte. Tat sie ja auch nicht.


    Nun, so aber war sie durch das Haus gewirbelt und hatte mit allen gesprochen, ob es nicht doch etwas gab, was eine Entscheidung verlangte, oder die Unterschrift eines Iuniers. Allerdings gab es nur etwas Post, die sie beantworten musste. Hauptsächlich solche, die an Silanus gerichtet war, von irgendwelchen Bittstellern, die sie erstmal darüber aufklären musste, dass ihr Vetter nicht mehr in Rom weilte. Seit seinem ominösen Brief, in dem er ihr alles übertrug, hatte sie auch nichts mehr von ihm gehört. Oder von seinem Patron, dem sie ja auch geschrieben hatte.
    So also drehte sie gerade völlig in Gedanken eine dicke Gänsefeder in den Fingern, während sie nachdachte, was sie schreiben sollte – und sich dabei nebenbei die Finger mit Tinte verschmierte – als Araros hereinkam.
    “Domina. Ein Mann steht vor der Tür, der sagt, er sei der Sohn des dominus Iunius Valentinus. Möchtest du ihn empfangen?“
    Als Araros erwähnte, dass ein vermeintlicher Verwandter vor der Tür stand, wurde Axilla kurz so hektisch, dass sie die Feder fallen ließ, die ihr auch gleich unter ihre Liege kullerte. “Ach, verdammter Mist!“ schimpfte sie etwas ungehalten. Sofort machte sie sich daran, nach der Feder zu angeln.
    “Also soll ich ihn wegschicken?“ fragte Araros, der ihre Äußerung auf den Iunier bezog.
    Verwirrt schaute Axilla auf, sich mit einer Hand am Boden abstützend, so dass sie nicht von der Liege fiel. “Hm, was? Nein, den bringst du rein, den will ich mir ansehen. Gib mir nur ein bisschen Vorsprung, ja?“


    Araros nickte nur und verkniff sich jeglichen amüsierten Gesichtsausdruck, als seine Herrin auf allen Vieren auf den Boden hockte, um die flüchtige Feder zu holen und dann dann alles zusammenzuräumen. Also ging er wieder zur Porta, um besagten Iunius hineinzulassen.


    Axilla unterdessen verstaute das halb angefangene Schreiben mitsamt der Feder unauffällig irgendwo am Rand und scheuchte dann noch einen Sklaven nach einem Tuch für ihre Finger. Ganz bekam sie die Farbe zwar nicht von den Fingern, aber nunja, sie hatte ja auch gerade geschrieben! Dennoch mühte sie sich, soviel davon wegzureiben, wie eben möglich war.

  • Seneca wurde von Araros ins Tablinum geführt. Schweigend folgte er ihm, vielleicht war es die Ungewissheit, wie würden seine Verwandten reagieren? Würden sie eventuell wütend sein weil sich Seneca nicht schon viel früher hat blicken lassen? Oder würden sie ihn mit offenen Armen empfangen?


    Er setzte einen Schritt vor den anderen und versuchte unterwegs soviele Eindrücke wie möglich aus der iunischen Casa mitzunehmen... staunend Schritt er hinter dem Mann her, welchen er noch immer nicht wirklich einordnen konnte.


    Je weiter er ging, desto schneller wurde sein Herzschlag, als ob es vorlaufen wollte um den sehnlich erwarteten Moment einen ticken früher zu erleben. Das Atmen viel schwer, Seneca wunderte sich über sein inneres Chaos hielt er sich doch selbst immer für so abgeklärt und einen Charakter der nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen war.


    Als er das Tablinum betrat, sah er dort diese Frau, er wollte sich eigentlich sofort vorstellen, seine Lebensgeschichte erzählen, tausend Fragen stellen, in ihm brodelte es förmlich, soviele Dinge die raus sollten und soviel was er erfahren wollte... Jedoch wollte er nicht mit der Tür ins Haus fallen und hielt sich zunächst zurück, gespannt der Dinge die da kommen würden...

  • Als Axilla die Schritte auf dem Steinboden hörte, versteckte sie hektisch das Tuch mitsamt ihrer Hand hinter ihrem Rücken und versuchte möglichst matronenhaft auszusehen. Doch vermutlich verriet der ertappte Gesichtsausdruck zu sehr, wie unsicher sie war. Und das versteckt hinter dem Rücken gehaltene Tuch ließ sie vermutlich auch nicht unbedingt erwachsen wirken, aber sie bemühte sich und stand möglichst gerade.
    Der junge Mann wurde von Araros hereingebracht. Der Ianitor verabschiedete sich dann auch gleich, um seinen Posten bei der Tür wieder wahrzunehmen, und ließ die beiden miteinander allein. Axilla sah ihm noch kurz mit einem etwas angespannten Lächeln nach, ehe sie sich den vermeintlichen Verwandten ansah. Zu gut war ihr noch der letzte im Gedächtnis, der sich als Iunier ausgegeben hatte und sie um einiges ihrer Börse erleichtert hatte, ehe er verschwunden war. Aber wer hätte das auch ahnen können? Der hatte ja eine durchaus gute Geschichte gehabt, sogar seinen Klumpfuß hatte er erklärt. Axilla war ja kein misstrauischer Mensch, auch nach den letzten Ereignissen nicht, aber dennoch hatte diese Begegnung sie etwas Vorsicht gelehrt.
    Und so schaute sie sich den jungen Mann mal an, der da nun auch etwas unsicher vor ihr stand. Er war ein bisschen älter als sie, und über einen Kopf größer. Und er sagte auch nichts, sondern schaute sie nur so an, wie sie ihn anschaute. Axilla erinnerte sich noch daran, wie sie damals in Ägypten vor Urgulania stand und sich selbst kaum getraut hatte, etwas zu sagen, bis Urgulania sie gefragt und ein bisschen ärgerlich gemacht hatte. Kurz wurde sie etwas wehmütig, als sie an die Zeit zurückdachte, die eigenltich noch gar nicht so lange zurück lag und ihr doch wie eine andere Welt vorkam. Wie sehr sie ihre Cousine doch vermisste!
    Aber im hier und jetzt sollte sie vielleicht reagieren und nicht nur dastehen und in Erinnerungen schwelgen. “Salve“, war allerdings das intelligenteste, das ihr einfiel. Sie hatte doch keine Ahnung, wie sie herausfinden sollte, ob dieser Mann hier mit ihr verwandt war. Aber das würde ihr schon noch einfallen.

  • Seneca war erleichtert als das peinliche Schweigen endlich gebrochen war, er hatte schon bemerkt dass sein Gegenüber auch nicht die Ruhe selbst zu seinen schien, das widerrum beruhigte ihn ein wenig und so verlangsamte sich sein bis dato rasender Herzschlag, er konnte sich sogar ein kleines Lächeln abringen und antworte, während er sich unbeholfen die Hände rieb weil er einfach keine Ahnung hatte was er sonst mit seinen Händen in diesen Moment anfangen sollten...



    "Salve... Aulus Iunius Seneca ist mein Name...", antwortete er, während er wie bestellt und nicht abgeholt im Raum stand und wie ein fünfjähriger Junge schüchtern ins leere blickte...


    Was hätte er sonst sagen sollen? Er wusste ja nichtmal mit wem er da gerade sprach oder was sie von ihm hält. Auf der anderen Seite hatte Seneca allerdings Angst dass wenn er nicht schnell genug nachlegen würde, seine große Chance seine Familie kennenzulernen dahin sei. Er fasste also seinen Mut zusammen..



    "Ich bin der Sohn des Iunius Valentius...", mehr bekam er nicht raus.


    Er hängte noch ein unsicheres Grinsen hintendran, welches mehr vom Ausdruck her irgendwo zwischen Ratlosigkeit und peinlicher Berührtheit pendelte und von den zunehmend röter werdenen Wangen untermalt wurde...

  • Sein Name sagte Axilla nichts. Aber wie auch, sie kannte nicht ihre gesamte Familie, und so genau hatte sie sich mit den weiten Verzweigungen des Familienstammbaums auch nie auseinandergesetzt. Die, die im Kampf gefallen waren, ihre Helden, die kannte sie, und ihre Onkel – wobei das hierbei in den meisten Fällen identisch war . Aber sonst wusste sie eigentlich herzlich wenig. Aber den Vater von Seneca, den wiederum kannte sie. Sie hatte ihn zwar nie gesehen oder getroffen, sie wusste nur, dass es Silanus Bruder war. Und auch, dass der Kinder gehabt hatte.


    Es war interessant, Seneca so gegenüber zu stehen. Er war der erste Mensch, auf den Axilla traf, von dem sie glaubte, dass er Angst vor ihr hatte. Noch nie hatte jemand Angst vor ihr gehabt! Nungut, der eine Iulier bei der Verlobungsfeier von Centho und Caliphania hatte auch vor sich hingestottert bei ihr, aber das war was anderes. Seneca schien weniger schüchtern, sondern wirklich eher besorgt, sie könne ihm was tun. Und das war ganz neu für die Iunia, die mit ihrer zierlichen Gestalt und dem tintenverschmierten Tuch hinter dem Rücken sich ungefähr so gefährlich vorkam wie ein Hundewelpe. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf ihre Züge, die sich etwas weiter entspannten. Sie war gefährlich! Hah! Das war neu, das war aufregend.
    “Ich bin Iunia Axilla. Und dein Vater hat dich hergeschickt nach Rom...?“ Sie gefiel sich in der Rolle als erschreckende Matrone und erinnerte sich an die kleine Falle, die Urgulania ihr damals gestellt hatte, als sie in Alexandria an die Porta der Iunier geklopft hatte. Ja, sie würde es einfach so machen, wie Urgulania damals, dann würde sie doch sicher rausfinden, ob dieser Iunier hier wirklich echt war! Ihr Grinsen wurde etwas breiter.

  • Seneca wusste nicht wie er sich verhalten sollte. Scheinbar war seine Gesprächspartnerin doch nicht so unsicher wie er es selbst war. Wen ein Centurio in diesem Moment im Raum gewesen wäre, er hätte Seneca wahrscheinlich am Tag seiner Rekrutierung persönlich aus dem Officum gezerrt und ihn Schafe hüten geschickt, oder besser die Lämmer... Auch Seneca selbst konnte sich nicht erklären warum er vor dieser zierlichen Person so fürchtete.. Vielleicht war es auch nicht die Person an sich sondern die Gesamtsituation, jedoch wusste Seneca das nicht.


    Als sich Axilla vorstellte, und sich, wie erwartet, als Teil von Senecas Familie zu erkennen gab, freute er sich auf der einen Seite, auf der anderen Seite machte ihn der Tonfall nervös da Axilla ihm offensichtlich misstraute, was nicht so überraschend war da sie sich gerade einmal einen Augenblick kannten, daran dachte der sonst eigentlich recht aufgeschlossene Seneca jedoch nicht..




    "Mein Vater ist Tod, er starb an einer Wunde welche er im Kampf erlitten hat. Ich hatte auch eine Schwester, auch sie in verstorben. Ich war lange allein, lebte zwischenzeitlich in einem kleinen Städtchen nahe Tarraco doch die Einsamkeit machte mir auf Dauer zu schaffen und ich machte mich auf die Suche nach meiner Familie.."


    Seneca stockte.. Hatte er es gerade etwa wirklich geschafft einen kompletten Satz auszusprechen? Tatsächlich.. Die Erinnerungen an seine Familie schmerzten ein wenig jedoch hatte die Zeit auch schon einige Wunde geheilt..

  • Aus der Nähe von Tarraco? “Oh, von wo denn?“ fragte Axilla neugierig und vergaß dabei die gerade noch so mühsam erstellte Fassade der furchteinflößenden Matrona. “Ich komm auch von da in der Nähe. Mein Vater hatte den Hof gebaut, wenn man Von Tarraco aus Richtung Nordwesten der Straße folgt und dann Richtung Westen abbiegt... ähm, also... ungefähr.“ Ein wenig Heimweh schlich sich in Axillas Stimmung, und sie schüttelte es wie immer ab und erinnerte sich daran, dass sie doch furchteinflößend sein wollte. Was ein wenig schwieriger wurde, denn sie hatte beim Reden die Hände vorgenommen und offenbarte damit das Tuch und die Tintenflecken an ihrer rechten Hand, die trotz allen Reibens nicht ganz wegzubekommen gewesen waren.
    “Ähm.. oh.“ Peinlich berührt schaute sie auf das Tuch und wusste einen Moment nicht, wohin damit, bis sich einer der Sklaven pflichtschuldig zu ihr gesellte und ihn ihr abnahm. “Danke“, murmelte sie noch und sah ihm einen Moment hinterher, ehe sie sich wieder ihrem Verwandten zuwandte. “Ähm, ja, ich hab eben noch Briefe geschrieben“, entschuldigte sie sich etwas verlegen. Sie räusperte sich kurz und versuchte, ihr eben noch so mühsam aufgebautes Selbstbewusstsein wieder zu reaktivieren. “Und du willst uns kennenlernen?“ Es klang bei weitem nicht so böse und skeptisch, wie Axilla das wohl gerne hätte, sondern wie immer eher neugierig.

  • Axilla's Fassade bröckelte ein wenig, was Seneca spürbar beruhigt, so langsam bekam er etwas Sicherheit und seine seit einer gefühlten Ewigkeit zappelnden Hände wurden still.


    "Tut mir leid das sagt mir spontan nichts...", sagte Seneca leicht lächelnd,


    "Ich komme aus einem Fischerort südlich von Tarraco. Dort war es eigentlich gar nicht mal so schlecht. Allerdings fühlte ich mich ohne Familie ein wenig wie ein Peregrinus."...


    Seneca bemerkte das Tuch, und musste sich ein breites Grinsen sichtlich verkneifen, er war sich sicher, wenn sich Axilla und er erstmal besser kennen würden sie sich wunderbar verstehen.
    Als Axilla das Missgeschick aufklärte, nickte Seneca nur und lächelte..
    Dann, als sie schließlich fortfuhr, bemerkte Seneca dass sie versuchte wieder in ihren ernsten Tonfall zurückfallen. Jedoch war Seneca innerlich schon so erleichtert dass er relativ entspannt weitersprach, immernoch mit einer gewissen Distanz, aber nicht mehr so wie eine Schmusekatze.


    "Ja das will ich. Ich hab meinen Vater kaum gekannt. Jeder Römer spricht von seinen Ahnen, seiner ehrbaren Familie, von seinen Lieben. Immer wenn ich mich vorstellte, wurde mir gesagt welch gutes Blut in mir fließe und mich wurde für meinen Familiennamen respektiert..."


    Seneca blickte auf den Bodenund stockte, er faltete die Hände vor sich zusammen, und sprach weiter..



    "...jedoch, für mich waren das alles nur nette Phrasen verstehst du? Ich weiß nichts über meine Familie, sicher habe ich viele Geschichten gehört als ich noch klein war, aber letztlich ist dieses Wort Familie für mich eine Hülle ohne Inhalt, welchen ich nun suche..."


    Seneca hasste es etwas so tief in ihm verborgenes ans Tageslicht zu fördern und es auch noch laut zu erzählen, allerdings konnte er die Frage nur so aufrichtig und ehrlich beantworten..

  • Axilla hörte ihm zu und versuchte, ihm zu folgen. Immer wieder nickte sie, aber eigentlich war das nur, um Zeit für eine Antwort zu gewinnen. Im Grunde konnte sie ihn da nicht verstehen. Sie war in dieser Beziehung vollkommen anders. Für sie war es nie eine Frage gewesen, was für ein Blut in ihr floss. Ihr Kopf war voll von den Geschichten, die ihr Vater ihr erzählt hatte, die guten wie die schlechten. Auch wenn sie abgelegen aufgewachsen war und ihren Vater ja auch nicht immer sehen konnte, eben weil er bei der Legion war, sie hatte nie das Gefühl, nicht zu wissen, wo sie hingehörte. Sie war eine Iunia, und wenn es sonst nichts gab, dessen sie sich sicher war: Sie war eine Iunia. Sie fühlte sich zwar oft verloren und fehl am Platz, aber das hatte nichts mit ihrer Gens oder ihren Ahnen zu tun, sondern eher mit dem, wie sie war. Von daher war es ein wenig schwierig, da zu verstehen, wie es Seneca ging.
    Sie kaute sich also nur noch nickend auf der Unterlippe herum und überlegte an einer möglichst eloquenten Antwort. Nur fiel ihr auch dann keine ein, als sich auf ihrer Lippe schon ein kleiner Bleigeschmack bildete, ohne dass man wirklich sehen konnte, dass es blutete. “Ähm, ja. Also bist du nur nach Rom gekommen, um deine Verwandten kennenzulernen?“ Das war an Eloquenz nicht zu unterbieten, aber Axilla fiel einfach nichts vernünftiges ein. “Ich meine, was willst du denn dann hier in Rom machen? Was hast du denn in Tarraco bisher gemacht?“ So richtig realisiert, dass da nun jemand war, der sie gerne kennenlernen wollte, hatte Axilla noch nicht. Sie schwankte noch zwischen dem Misstrauen, das sie sich vorgenommen hatte, und ihrer üblichen Naivität. Einen Moment wünschte sie sich, Silanus wäre hier.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!