"Bona Dea, sie ist wundervoll!" Schwärmerisch schaut Lucilla durch das weitläufige, licht- und luftdurchflutete Atrium.
"Nicht wahr? Ich iebe es, wie viel Platz man in jeder Stadt der Welt außer Rom für wenig Geld haben kann! Hier, du musst dir unbedingt das Impluvium genauer ansehen!" Mit schwungvollem Schritt und über das ganze Gesicht strahlend tänzelt die Hausherrin durch den Raum und zieht Lucilla kichernd an der Hand mit sich.
Erwartungsvoll begutachtet diese das Wasserbecken und die Statuen darum herum und prustet auf einmal los. "Jocasta! Das hast doch nicht etwa du zu verantworten?! Herrlich! Ach, ich bin ja so froh, hier zu sein!"
"Und ich erst, Lucilla, und ich erst! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie verzweifelt ich war, als Appius diesen Posten angenommen hat. Aber was hätte ich tun sollen?"
"Warum bist du nicht in eurem Haus in Rom geblieben?"
"Es ist wegen Appius Familie. Davon abgesehen, dass sie mich nicht ausstehen können, suchen sie doch nur einen Vorwand, der unsere Scheidung herbeiführt. Und du weißt doch, dass ich mir das nicht leisten kann. Wo sollte ich denn hin? Meine Mitgift würde nicht einmal für eine Wohnung in der Subura reichen. Außerdem ist es hier sicherlich nicht so schlecht, wenn man sich erst einmal eingewöhnt hat. Es fällt mir nur so schwer, Kontakte zu knüpfen, vor allem während Appius in der Provinz unterwegs ist."
"Oh, da mach dir mal keine Sorgen. Ich habe mich schon kundig gemacht, in der Via Pepullia soll es einen exzellenten Schneider geben. Wenn wir dort einkaufen, dann wird jede Frau dieser Stadt unsere Namen kennen. Außerdem kenne ich den Praefectus Vehiculorum. Er war lange Zeit Stationarius in Emporiae, bevor er nach Narbonensis zog. Über ihn kommen wir sicher zur ein oder anderen Einladung, denn wer würde nicht die Frau des Regionarius auf seiner Feier haben wollen?"
"Ganz abgesehen von einer Senatorengattin."
"Ganz genau." Lucilla grinst breit. "Ist es nicht fast schon jämmerlich, wie berechenbar das Imperium ist?"
"Ein wenig, ja."
"Siehst du, und genau deswegen liebe ich es!"
Einige Zeit zuvor in der Casa Decima Lucilla, Tarraco, Hispania
Schon seit einiger Zeit fühlte sich Lucilla mit ihrem Sohn überfordert. Wenn er nur ständig vor sich hin plappern würde, könnte sie darüber hinweg hören (diese Fähigkeit hat sie in den Damenkreisen Roms perfektioniert). Doch das Kind stellt dauernd bohrende Fragen an sie. Mama, was ist ein Cingulum? Mama, woher wissen die Frauen auf dem Markt, wie viele Früchte sie jeden Tag mit nach Tarraco bringen müssen, dass sie am Abend nichts mehr übrig haben? Mama, wieso ist Mars Gott des Krieges und der Felder? Mama, wie berechnet ein Architekt die Stabilität eines Hauses? Mama, wenn zwei Parallelen sich in der Unendlichkeit treffen, warum sind sie dann noch parallel, wenn doch parallel bedeutet, dass zwei Geraden keinen Schnittpunkt miteinander haben? Mama, was ist der Unterschied zwischen einem Delikt und einem Verbrechen und warum ist für das eine das Iudicium Privatum und für das andere das Iudicium Publicum zuständig?
Das Kind machte sie halb wahnsinnig, schließlich ist Lucilla nur ein Landei aus Tarraco und nicht die wandelnde Bibliothek von Alexandria.
Schon seit einiger Zeit minus etwas Zeit surren Lucilla die sprichwörtlichen Hummeln im Hintern. Tarraco im Winter ist recht öde und wegen des unfähigen Proconsuls von Hispania gibt es kaum noch öffentliche Feiern. Aus Furcht, der Fiscus könnte bald an sie heran treten, halten neuerdings auch noch die Reichen der Stadt ihr Geld zusammen, so dass es auch kaum noch private Feiern gibt.
Etwa vor drei Wochen dann hat Lucilla einen Brief von ihrer besten Freundin Cluvia Jocasta aus Narbo Martius erhalten. Deren Ehemann, Roscius Blosius, ist zum Regionarius der Region Narbonensis befördert (oder abgeschoben) worden, so dass das Ehepaar aus Rom nach Gallien umgezogen ist. Obwohl Narbo Martius die größte Stadt der Provinz ist und voller Leben steckt, blies die schüchterne Jocasta Trübsal.
Etwa vor drei Wochen minus einen Tag kam dann noch ein Brief von Lucillas (eigentlichem) Lieblinsneffen Faustus in Tarraco an. In ihrer Wut über den Inhalt (des Briefes, nicht Faustus) verwüstete Lucilla das halbe Atrium der Casa Decima Lucilla. Selbst Magister Properus hat da nur noch schwarz sehen können und ihr schonend beigebracht, dass sie um eine Renovierung kaum herum kommen würde. Lucilla hasst den Lärm, Dreck und Staub, den so eine Renovierung mit sich bringt.
Es sind all diese Gründe, die Lucilla am Ende dazu veranlasst haben in Tarraco ihre Kisten zu packen.
Caius Germanicus Cossus hat sie liebevoll verabschiedet und auf ein Schiff in Richtung Ägypten verschifft. Wenn der Junge eine Bibliothek braucht, um seinen Kopf zu füllen, dann soll er die bekommen und dann soll es nur die beste der besten sein: Alexandria. Immerhin ist er der Sohn eines Senators. Natürlich vermisste Lucilla ihren Sohn schon am nächsten Tag, aber da war er schon fort und sie schalt sich selbst, nicht zu einer dieser verschrumpelten Glucken zu mutieren, denen nach dem Auszug ihrer Küken jede Lebensgrundlage entzogen wird. Sie hat sich vor der Geburt ihres Sohnes amüsiert, sie hat sich mit ihrem Sohn amüsiert und sie würde sich auch ohne ihren Sohn amüsieren können.
Den Renovierungsauftrag für das Atrium der Casa Decima Lucilla hat sie getrost ihrem Hausverwalter überlassen. Er würde sich schon um alles kümmern. Und wenn es nicht ordentlich wäre, dann wäre es eben das letzte, worum er sich kümmert. Zumindest in ihren Belangen. Eine Antwort an Faustus hat sie ebenfalls verfasst. Vorher hatte sie eine ausgiebige Massage genossen, sich mit Lavendeldampf benebeln lassen, ausgleichenden Kräutersud getrunken und sogar ein kleines Opiumpfeifchen geraucht. Am Ende hat sie sich trotzdem wieder fürchterlich aufgeregt, aber der Brief ist ganz moderat ausgefallen (findet sie).
Ein paar Tage danach rumpelte ein Reisewagen mit Kisten voller Kleider, Schuhen, Kosmetika, Düften und sonstiger wichtiger Utensilien die hispanische Küste entlang in Richtung des gallischen Colonia Narbo Martius. In seinem Inneren saß Decima Lucilla, die ausgezogen war, ihre Freundin (und ein bisschen auch sich selbst) vor der gesellschaftlichen Verwahrlosung zu erretten.