Officium MFG | Was ein Kind braucht

  • Phoebus führte Mutter und Sohn in das Arbeitszimmer des Gracchus hinein, wo dieser schon auf sie wartete. Mit einer tiefen Verbeugung grüßte er den Herrn. „Salve, dominus Gracchus.“ Er deutete zu Bridhe und Diarmuid hin. „Das sind Flaviana Brigantica und ihr Sohn. Und, dominus Piso wird gleich dazustossen.“ Soviel hatte er von Acanthus erfahren. Wie der volle Name des Sohnes war, wusste er nicht, und so bemüßigte er sich gar nicht, ihn auszusprechen. Dies war eigentlich schon sein Werk für heute, und er wandte sich um, um zu gehen. Er öffnete die Türe wieder, und erblickte vor sich Piso, gewandet in einer legeren Tunika, die über die Knie reichte. Phrima hatte jenen ins Arbeitszimmer des Gracchus zitiert, und dieser Aufforderung war er auch nachgekommen. Es war nicht so, als ob er nicht genügend Arbeit hätte, aber diese konnte warten. Er war sehr neugierig auf den Sohn seines Vetters, was wohl auch der Grund war, wieso er hierher gekommen ist.
    „Gutes Zeitgefühl!“, grinste Piso und schritt an dem Kleinen vorbei. Hinter sich hörte er die Türe ins Schloss fallen, als Phoebus davonhuschte. Die beiden, die vor Gracchus standen, sah er sofort. „Salvete.“, begrüßte er sie, nicht unfreundlich, aber ziemlich neugierig dreinschauend. Bevor er noch etwas sagen konnte, blickte er schnell zu Gracchus. „Ich hoffe, dir macht es nichts aus, dass ich hier bin, Vetter?“ Schließlich war das Arbeitszimmer mehr als groß genug für 4 Leute. Dem Flavier aber war die Situation eigentlich ein wenig unangenehm, fast peinlich, und so tappte er zum Tisch des Gracchus hin, mit der Hand Halt daran suchend, ihn an einer Kante findend, sich daran lässig anlehnend. Dann blickte er zu Bridhe und Diarmuid hin. „Ich bin übrigens Aulus Flavius Piso. Ihr seid flavische Freigelassene?“, fragte er die beiden, eher war dies eine Feststellung als eine Frage. Die Frage, die aber implizit war, war die, was die beiden hier bloß zu suchen hatten.

  • Bridhe ergriff die Hand ihres Sohnes und zog ihn mit sich, um dem jungen Sklaven zu folgen. Die Gänge der Villa waren ihr immer noch vertraut, selbst nach so langer Zeit. Ein Anflug von Wehmut ergriff sie kurzfristig. Doch schon hatte der Sklavenjunge die Tür zu Gracchus Officium erreicht. Bridhe sammelte ihre Gedanken. Diese Begegnung war für ihre Zukunft und die ihres Sohnes enorm wichtig. Dem Jungen hatte sie in seine beste Tunika die er besaß gekleidet. Sie selbst war in eine bläuliche Tunika gehüllt, die ihre besten Tage vor einigen Jahren gesehen hatte, damals als sie noch Sklavin war. Es zeugte von der guten Qualität des Stoffes, der nach all den Jahren, zwar leicht ausgewaschen wirkte, doch noch immer passabel war.


    Als sie das Officium betrat und Flavius Gracchus erblickte, drohte ihr Mut zu sinken. Die alte Unsicherheit, die sie immer ergriffen hatte, wenn sie sich in Gegenwart eines der Herrn befand. Ob man sich ihrer überhaupt noch erinnerte. Die letzte Begegnung vor Jahren anläßlich der Saturnalien war wahrscheinlich längst aus der Erinnerung des Flaviers verschwunden.


    Fast zeitgleich erschien auch Flavius Piso. Nur dunkel erinnerte sich Bridhe seiner. Sie hatte mit ihm nie ein Wort gewechselt und konnte ihn deshalb gar nicht einschätzen.
    "Salvete!", grüßte sie sowohl Gracchus wie auch Piso und neigte dabei leicht den Kopf. Ihren Sohn schob sie vor sich, wie einen Schutzschild. Diarmuids Augen waren wachsam und darauf bedacht, jedes noch so unwichtige Detail einzufangen. Neugierig beäugte er den Römer vor sich und wandte sich schließlich der Stimme des eintretenden Piso zu.


    "Ich bin die Freigelassene des Flavius Aquilius, Flaviana Brigantica und dies ist mein Sohn, den ich nach seinem Vater genannt habe, Caius Flavianus Aquilius." Dabei strich sie dem Jungen leicht übers Haar. "Mein Sohn wurde frei geboren, Herr.", entgegnete sie, zu Piso gewandt.

  • Ein leichter Hauch nach Mandelblüten umhüllte Gracchus, welcher kurz zuvor noch sich hatte mit duftenden Öl massieren lassen, als er sein Arbeitszimmer betrat, ein wenig angespannt durchaus ob der zu erwartenden Flaviana und ihrem Sohne. Da Bridhe, die Mutter Caius' Bastards, irgendwann in jener Zeit aus dem Hause war verschwunden, da auch sein Vetter die Villa hatte verlassen, war Gracchus - ohne je detailliert darüber nachgedacht zu haben - davon ausgegangen, dass er sie mit sich hatte genommen, um den Bankert in seiner Nähe zu haben - schlussendlich hatte er immerhin entschieden, den Jungen als römischen Bürger aufwachsen zu lassen, wenn auch er ihn - zumindest soweit Gracchus dies wusste - nicht als flavischen Sohn hatte anerkannt. In jenem Irrglauben vermutete er nun auch, dass Caius seinen Sohn und dessen Mutter hatte zurück gesandt, auf dass der Jungen in Rom eine adäquate Erziehung und Bildung sollte erhalten, weshalb Gracchus gleichsam Nachricht von seinem Vetter erwartete, selbst wenn es kein Brief würde sein, so doch zumindest mündliche Kunde ob dessen Wohlergehen. Obgleich also Gracchus ob all dessen ein wenig war angespannt, obgleich er Caius' Sohn erwartete, so war er doch keineswegs auf den Anblick vorbereitet, welcher sich ihm darbot, als die ehemalige Sklavin mit ihrem Jungen den Raum betrat.
    "Caius ..."
    flüsterte er derangiert, die Augen vor Staunen geweitet, den Atem hernach stockend und jede Begrüßungsfloskel vergessend, denn dort betrat jener Caius Flavius Aquilius in beinahe perfektem Abbild den Raum, mit welchem der kleine Gracchus beinahe jeden Tag seiner Kindheit hatte verbracht, so dass dies ein Trug musste sein, ein Gespenst aus vergangenen Tagen, so vertraut schien ihm dieser Anblick, der neugierige Blick in den sanften, braunfarbenen Augen, der kecke Ausdruck um die Lippen, das fransige Haar über der Stirne. Allfällig wäre Gracchus' Frappierung in ein für die Gegenseite unangenehmes, schweigendes Starren übergegangen, hätte nicht Piso kurz darauf den Raum betreten, über dessen Anwesenheit Gracchus weit weniger war erstaunt - womöglich hatte der Sklavenjunge gar dies erwähnt als er in das Cubiculum war gekommen, so dass es dem Patrizier nur bereits wieder musste entfallen sein. Auf seines Vetters Frage ob seiner Anwesenheit schüttelte Gracchus nur stumm den Kopf, während Sciurus bereits einen weiteren Stuhl an eine der schmalen Seiten des Tisches stellte, und erhob sich sodann, um eben dies Möbelstück zu umrunden und vor Diarmuid hin zu treten, noch immer gänzlich von dessen Erscheinung fasziniert.
    "Beim Donner des Iuppiter, ... du bist deinem Vater wie aus dem Gesi'hte geschnitten!"
    , durchbrach er endlich seine Konfusion, hob sodann den Blick zu Bridhe hin.
    "Wie geht es ihm?"

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  • Mama hat mich wieder Caius genannt. Das macht sie immer, wenn ich was dummes getan habe oder sie auf mich böse ist. Im Augenblick trifft beides zu, glaube ich.
    Sie sagt etwas über meinen Vater, den ich nicht kenne. Einen Vater habe ich nie gehabt. Auch wenn Catu so tut, als wäre er es. Aber er ist es nicht. Die ganze Zeit hat mir das nichts ausgemacht, keinen Vater zu haben. Ich habe ja Mama. Aber jetzt erzählt sie mir, mein Vater gehört zu der Familie, die hier wohnt. Vor zwei Jahren war ich ihm vielleicht näher gewesen, als ich jemals geahnt hätte.


    Als der Sklavenjunge zurück kommt, geht alles schnell, viel zu schnell. Noch ehe ich Mama fragen kann, zieht sie mich mit in das riesig große Haus. Die Tür schließt sich hinter uns. Das große Haus hat uns verschluckt. Ich spüre, sie ist angespannt. Warum sie das ist, verstehe ich nicht. Ich verstehe gar nichts mehr. Aber es kommt noch besser. Der Junge führt uns in ein Zimmer, in dem ein Mann auf uns wartet. Ein zweiter kommt und Mama sagt etwas ganz komisches. Flaviana Brigantica - den Namen habe ich noch nie gehört - und sie sei eine Freigelassene. Langsam dämmert es mir, sie hat mir so einiges verschwiegen.
    Der Mann, dem ich nun gegenüber stehe, starrt mich an, als ob ich ein Geist wäre. Was habe ich denn nur getan? Mama sagt, ich heiße nach meinem Vater, Caius Flavianus Aquilius. Ich will zu Mama hoch schauen, aber der Mann lässt nicht ab mit seinem Blick. Er starrt mich unvermindert an. Nervös beginne ich an dem Amulett herum zu spielen, das ich um den Hals trage. Mama hat mir einmal gesagt, das Amulett heiße bulla und ich müsse es immer um meinen Hals tragen, damit es mich beschützt.


    Endlich sagt er etwas. Er spricht zu mir. Ich bin zu perplex, um darauf etwas zu erwidern. Verwirrt und angsterfüllt schaue ich hinauf zu Mama, aber sie sieht mich nicht. Sie steht nur da und ihr Blick ist auf den Mann gerichtet, der mir soeben bescheinigt hat, ich wäre meinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.

  • Piso betrachtete die Frau genau, wie sie die beiden Patrizier grüßte. Ihre Geste, das Neigen des Kopfes, schien servil. Ein Relikt des Lebens als Sklavin. Ja, Piso konnte sich noch daran erinnern, dass irgendwann einmal eine Freigelassene seines Vetters Aquilius hier gelebt hatte, doch dann ausgezogen war. Musste schon eine Zeit her sein, dachte er sich.
    Der Kleine war also ein Sohn seines Vetters. Es konnte sein, dass man es Piso gesagt hatte, es konnte auch nicht sein, er konnte sich nicht mehr entsinnen. Jetzt wusste er es, und leicht hob sich seine rechte flavische Augenbraue, sonst aber keine andere Bewegung im Gesicht vollziehend.
    Gracchus machte es nichts aus, dass er hinzugekommen war, was Piso auch nicht vermutet hätte bei seinem gutmütigen Vetter. Der ungläubige Gesichtsausdruck, den bemerkte Piso sofort. Gracchus schien geradewegs wie vom Donner gerührt ob der Ähnlichkeiten, dabei handelte er ein wenig befremdlich... war es normal, das man bei einem Sklavenbastard so erstaunt war? Nun ja, Gracchus war in manchen Dingen schon immer etwas eigen gewesen (wie alle Flavier), und so tat Piso innerlich das Getue des Gracchus ab, ohne nochmals darüber nachzudenken. Auch er schritt shcließlich, nach Gracchus jedoch, auf die beiden zu, mit etwas mehr Distanz vor Mutter und Kind stehen bleibend, sie begutachtend mit fast wissenschaftlicher Neugier.
    Die Mutter war von einer herausragenden Schönheit, welche von ihren blassen Teint unterstrichen wurde, befand der Schöngeist Piso. Da das Äußere halt doch immer sehr wichtig war, besonders bei Ästheten, war Piso von Anfang an schon durchaus eingenommen. Auf der Knabe war ein ganz lieber Bub. Ein Lächeln bildete sich auf Pisos Lippen, als er auf ihn schaute, und betrachtete, wie Gracchus noch immer ganz aus dem Häuschen schien.
    Die Sklavin klärte ihn auf über ihren Status, und den ihres Kindes. „Flaviana Brigantica.“ Seine Worte schienen wie das Echo von Bridhes Worten zu sein. “Früher aber nannte man dich anders, oder? Früher nannten sie dich Bridhe.” Die Aussprache ihres gälischen Namens von seinen Lippen war durchaus passabel. „Und Caius ist in diesem Falle also...“ Er beugte sich ein klein wenig runter... „...ein freier römsicher Bürger.“ Sein Blick verharrte auf der Bulla des Knaben, an welcher jener, wohl etwas eingeschüchtert, herumzufingern begann, bevor er zu Bridhe blickte. „Doch er wurde von seinem Vater nicht akzeptiert?“ Es war eher eine rhetorische Frage, die Antwort, welche nur nein lauten konnte, kannte er. Wäre er akzeptiert worden, hieße er jetzt nicht Flavianus, wie seine Mutter, sondern Flavius, wie sein Vater, und hätte zwei lustige Halbmonde von seinen Sandalen baumeln.
    Er trat einen Schritt wieder zurück, um einen besseren Überblick über die beiden zu bekommen. Sein Blick wanderte zwischen der sehr attraktiven Mutter und dem Sohn hin und her. Zwar fand er die beiden sehr sympathisch, aber die Frage war, was sie hier wollten. Suchten sie sich unter den Flaviern einen neuen Patron, jetzt, da Aquilius weg war, und seine Aufgaben als Patron nicht mehr wahr nahm? Piso fühlte sich innerlich durchaus geschmeichelt, dass er, wenn dem so wäre, in Erwägung gezogen werden würde – wenn auch die Wahl der beiden ziemlich sicher auf Gracchus, den sie gut zu kennen schien, fallen würde.
    Gracchus‘ Frage ließ Piso wundern, ob jener Vater oder Sohn meinte. Aber ihm konnte das egal sein, er war ja nicht der Gefragte. So legte er seinen Kopf nur ganz leicht schief und wartete auf Bridhes Antwort auf die Frage.

  • Das Herz der jungen Frau fing an, schneller zu schlagen. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, obwohl man nicht gerade behaupten konnte, dass die Temperatur des Raumes besonders hoch war. Ihre Befürchtung, auf der Stelle wieder hinausgeworfen zu werden, war durchaus begründet, da sie nicht sagen konnte, ob man ihr wohlgesonnen war. Gracchus starrer Blick ließ nichts Gutes erwarten. All ihre Hoffnungen begannen auf ein Minimum zu schwinden. Wie blauäugig war es denn, hierher zu kommen und zu glauben, man würde zumindest ihren Sohn mit offenen Armen begrüßen.
    Nun war es nicht nur Graucchus´ Blick, auch Piso hegte eine gewisse Neugier und dies nicht nur für den Jungen, wie Bridhe zu glauben meinte.
    "Ja Herr, Bridhe nannte man mich früher." Piso hatte sich besondere Mühe mit der Aussprache des, für römische Ohren, fremdklingenden Namens gegeben. Doch die Hibernierin konnte dies gar nicht richtig würdigen, da sie mit dieser Situation regelrecht überfordert war. Spätestens dann, als er sich zu ihrem Sohn hinunter beugte und er weiter sprach, fühlte sie wieder diesen alten Schmerz in sich aufsteigen. Nein, es war kein Schmerz, es war die Kränkung, die sie nach der Geburt ihres Sohnes erfahren hatte. Tagelang hatte sie damals darauf gewartet, darauf gehofft, der Vater würde den Sohn sehen wollen. Aquilius jedoch war seinem Kind und dessen Mutter fern geblieben. Er war ab diesem Zweitpunkt allem fern geblieben, denn wie sie später erfuhr, hatte er sich aus seinem bisherigen Leben zurückgezogen.
    Ein Schluchzen unterdrücken wollend, antwortete sie auf Pisos süffisante Feststellung. "Nein Herr, das hat er nicht." Um ihre Verbitterung zu kaschieren, senkte sie ihren Blick. Sie schämte sich, dafür dass sie hierhergekommen war und dass ihr Sohn nun Zeuge alldessen wurde.
    Doch jäh wurde sie aus ihrem Schwermut gerissen, als sich nun Gracchus äußerte. Im Gegensatz zu Piso versuchte er nicht noch tiefer in der nicht verheilten Wunde herumzustochern. Ganz im Gegenteil, seine Worte gaben ihr wieder Hoffnung. Bridhe war sich nicht der frappierenden Ähnlichkeit ihres Sohnes mit seinem Vater bewusst. Das lag in erster Linie daran, da sie ihren ehemaligen Herrn nicht bereits in dessen Kindheit kennengelernt hatte. Langsam schoben sich ihre Mundwinkel nach oben. Dies konnte nur bedeuten, der Flavier war ihnen wohlgesonnen. Dabei war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens, denn bei Gracchus´ nächster Frage begann es ihr zu dämmern. Die beiden Flavier oder zumindest Gracchus war der Meinung, Aquilius hätte die beiden, Mutter und Sohn geschickt. Doch dem war nicht so! Bridhes diffizile Aufgabe war es nun, den Flavier davon in Kenntnis zu setzten, ohne dass dieser dabei das Interesse an dem Jungen zu verlieren.
    "Ich bedaure, Herr, dir nichts über deinen Vetter berichten zu können. Ich selbst habe ihn zuletzt vor der Geburt meines Kindes gesehen. Er kennt seinen Sohn nicht. Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, ihn hier anzutreffen, damit der Junge die Gelegenheit erhält, seine Familie kennenzulernen."

  • Dass Bridhe nichts hatte über seinen Caius zu berichten, traf Gracchus einem Schlag in die Magengrube gleich, und die Enttäuschung darob war deutlich ihm anzusehen, nicht nur in seinem Antlitz sich spiegelnd, sondern gleichsam kenntlich an seinen herabsinkenden Schultern. Wie so vieles in seinem Leben verdrängte er sonstig auch die Gedanken an seinen weit fort weilenden Vetter und Geliebten, vergrub seine diesbezüglichen Sehnsüchte und Empfindungen unter den schweren Bodenplatten im tiefen Keller seines Gedankengebäudes, doch die Aussicht auf einen winzigen Blick aus der Ferne auf das Leben Aquilius', mochte er noch so marginal sein, hatte diese Regungen aus der Erde sich emporwinden, die steinernen Beschwernisse mühelos anheben und bis in die Räume seiner Aufmerksamkeit sich schleichen lassen. Einige Herzschläge schien es, als hätte der Patrizier ob der Desillusionierung gänzlich das Interesse an der Freigelassenen und ihrem Sohne verloren, ehedem ein unscheinbarer Ruck durch seinen Leib sich zog, er seiner Pflichten sich wieder entsann, welchen nun ohnehin nicht mehr zu entkommen war.
    "Bitte, nehmt Platz."
    Mit einer flüchtigen Handbewegung wies er auf die beiden Stühle vor dem Schreibtisch, ehedem er selbst um Piso herum trat und sich auf seinen eigenen Platz nieder ließ. Während sie sich setzten brachte Sciurus von der Seite her frische Gläser an den Tisch, schenkte zuerst seinem Herrn ein wenig verdünnten Wein ein, füllte sodann das Gefäß vor Piso und hernach jene vor Brigantica und Caius, ohne darum sich zu scheren, ob der Junge bereits verdünnten Wein vertrug, ohnehin jederzeit nur auf eine Unverschämtheit der Freigelassenen oder ihres Sohnes lauernd - denn gegensätzlich zu seinem Herrn erinnerte er sich der ehemaligen Sklavin sehr genau - eines jener unfähigen, dummen Dinger, welche im Haushalt der Vettern seines Herrn stets so zahlreich waren vertreten -, wiewohl er davon ausging, dass Bridhe nur darob war gekommen, da ihr das Geld zur Neige ging. Gracchus indes entsann sich des durchaus denkwürdigen Saturnalienfestes, an welchem Aristides hatte darauf vergessen, für die Anstellung freier Angestellter Sorge zu tragen, welche der täglichen Aufgaben der Sklaven statt sich annahmen, so dass er letztlich selbst, unterstützt durch Bridhe und Gracchus das Festmahl hatte zubereitet, wiewohl Gracchus auch die beschwerlichen Tage danach noch in Sinnen waren, an welchen ob der Absenz jeglicher dienstbaren Geister das Leben überaus kompliziert sich hatte gestaltet - kein einziges Mal hatte er dieser Tage auch nur einen Fuß vor die Türe gesetzt, war er doch gänzlich unfähig zu einem eigenständigen Alltagsleben - beginnend mit einer ein wenig infantilen Ahnungslosigkeit, die alle Verrichtungen betraf, welche üblicherweise von Sklaven wurden ausgeführt - inklusive der Nahrungszubereitung oder einer Rasur etwa -, bis hin zum kognitiven Erinnern all der Einzelteile, welche einen Tag ausfüllten - nicht erst seit dem Zusammenbruch während seines Ädilates hatte Gracchus eine Schwäche dafür, diese nebensächlichen Kleinigkeiten zu vergessen. Trotz dieser im Nachhinein durchaus amüsanten Erinnerungen jedoch war er nicht gewillt, über den Familienstolz hinweg zu sehen.
    "Dies ist nicht seine Familie"
    , stellte er darob von vorneherein klar.
    "Er ist der Bankert eines Flaviers. Ein römischer Bürger, immerhin, doch der Sohn einer Freige..lassenen, gezeugt von und herangereift in einer Sklavin."
    Gleichsam war der Junge das Abbild seines Vaters, ob dessen in Gracchus' Brust zwei Herzen schlugen und miteinander rangen, jenes abgehärtete, stolze, patrizische und jenes weiche, welches seinem Vetter gänzlich war verfallen und nur allzu gerne dem Impuls wollte nachgeben, den jungen Caius in Schutz zu nehmen vor allen Widrigkeiten des Lebens und jedem, der mit Unbill ihm dräute. Ein Seufzen unterdrückend schloss er ob dessen in etwas milderem Tonfall seine Frage an.
    "Bist du Klientin seines Vaters?"
    Nach der Freilassung wäre dies logische Konsequenz gewesen, wiewohl in diesem Falle die Familie für sie wie für alle anderen zurück gelassenen Klienten seines Vetters wäre verantwortlich, gleichsam auch das Gegenteil Gracchus nicht würde verwundern, war Caius diesbezüglich doch stets ein wenig pflichtleidig.

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  • Mamas Worte klingen verschämt. Sie wirkt unsicher. So kenne ich sie gar nicht. Hier ist sie nicht die resolute Frau, die auf alle meine Fragen eine Antwort weiß. Ich spüre, sie hat Angst. Sie hat Angst vor dem Mann, der eben noch zu mir gesprochen hat. Aber ich verstehe nicht, warum. So furchterregend ist der doch gar nicht.


    Dem Mann gefällt nicht, was Mama sagt. Das sieht man ihm an. Er bietet uns an, uns zu setzen. Ein blonder Sklave, der mir nicht ganz geheuer ist, bringt uns etwas zu trinken. Meine Nase täuscht mich nicht, es ist Wein! Ich habe noch nie Wein getrunken. Mama sagt, das ist nichts für Kinder.
    Ich weiß nicht was jetzt geschieht. Mir geht es wie Mama. Ich bin auch verunsichert, Schaue zu den beiden Männern, die uns jetzt gegenüber sitzen, schaue zu dem Sklaven, der jetzt im Hintergrund steht und keinen Hehl daraus macht, dass er mich nicht mag. Ich weiß nicht, warum er mich nicht mag. Ich habe ihm doch gar nichts getan!
    Und dann fahre ich erschrocken zusammen, als der Mann, der soeben noch behauptete hat, ich sehe meinem Vater ähnlich, seine Stimme erhebt. Mein Blick schnellt zurück auf ihn und bleibt dort. Dies ist nicht meine Familie, sagt er. Er nennt mich einen Bankert. Ich weiß nicht was das ist, aber ich glaube, es ist nicht nettes. Als er aber Mama eine Sklavin nennt, werde ich böse. Das darf er nicht sagen! Mama ist keine Sklavin! Das lasse ich mir nicht gefallen. Ich traue mich nicht sofort aber als er zu ende gesprochen, traue ich mich. Ich schreie es ihm entgegen: "Mama ist keine Sklavin!"
    Mama begegnet meinem Aufbegehren sofort. Sie wirft mir einen bösen Blick zu. Sie ist aufgebracht. So sehr, dass sie in ihrer Sprache spricht. "Bí ciúin!", zischt sie und meint damit, ich solle still sein. Dabei wollte ich sie doch nur verteidigen! Niemand darf sagen, sie sei eine Sklavin! Denn sie ist doch keine. Oder etwa doch?

  • „Bridhe also.“ Piso nickte langsam. Nun hatte er sich wohl selber in die Situation gebracht, dass er nicht wusste, wie er die Frau nennen sollte. Doch sie sagte ihm, Bridhe hätte sie früher geheißen – das implizierte wohl deutlich, dass sie jetzt nicht mehr so genannt werden wollte. Flaviana Brigantica also, so würde er sie nennen.
    Gracchus schien nicht erbaut darüber, dass die gewesene Sklavin ihm nichts über seinen Vetter sagen konnte. Direktgehend erschüttert schien er, als wäre eine Welt für ihn zusammengebrochen. Piso blickte etwas erstaunt zu ihm. Er wusste, dass sein Vetter eine melancholische Ader hatte, doch sie zeigte sich ziemlich deutlich. Geradezu herunterziehend war es, als er sah, wie verzweifelt Gracchus war darüber, dass er nichts von Aquilius hören würde. Der Jüngere atmete ein und dachte nach. Ob Gracchus ebenso bestürzt wäre, wenn er einmal verschwinden würde, und er nichts hören würde von ihm? Es war zu bezweifeln. Der Gedanke alleine daran ließ das Lächeln, das eben noch auf Pisos Lippen gewesen war, entschwinden, und er setzte sich, wie von Gracchus aufgefordert, nieder, und zwar Seite an Seite mit ihm, an seinem Schreibtisch, gegenüber den beiden, Mutter und Sohn. Er war etwas verwundert darüber, dass Sciurus dem Kleinen Wein einschenkte. Piso blickte scheel zu dem Sklaven hin. Er mochte Sciurus nicht, und die Tatsache, dass der Leibsklave des Gracchus die Kleinfamilie nicht mochte, machte sie in den Augen des Flaviers umso sympathischer. Piso fasste den Wein nicht an, entgegen seiner Gewohnheiten, und dachte lieber kurz nach.
    Aber auch nachdem Piso in sich gegangen war und gesucht hatte nach einem Erinnerungsfetzen, das er zweifelsohne Brigantica zuordnen hätte können, er scheiterte damit. Er konnte sich gar nicht mehr an sie erinnern. Es war schon einige Zeit her, und er hatte keinen Kontakt mit ihr gehabt. Bis heute nicht.
    Gracchus war es schließlich, der die Stimme erhob und seine Meinung den hier versammelten angedeihen ließ. Hmm, ein wenig harsch klangen seine Worte, doch sie waren richtig. Piso hätte fast geschmunzelt, aber nur fast, als er das Wort Bankert hörte. Um wieviel nobler es klang als Bastard, und doch nicht so euphemistisch wie lediges Kind. Piso beschloss, es sich zu merken, und noch etwas dazu zu sagen. „Nun, Mitglied der patrizischen Flavier ist er wahrhaft nicht... aber, Gracchus, die biologische Komponente kann man nicht abstreiten. Wir sind immerhin seine Onkel.“ Onkelhaft war deshalb auch das Lächeln, welches er dem kleinen Caius gab. Natürlich hatten Piso und Gracchus dem Kleinen gegenüber gar keine Verpflichtungen... diese lagen bei Aquilius. Doch Aquilius war nicht da. Gingen da nicht ein Teil jener Verpflichtungen auf andere Familienmitglieder über? Oder spielte Pisos Anschauung ihm einen Streich?
    Gracchus‘ Frage war natürlich berechtigt, doch die Antwort war klar – natürlich war sie seine Klientin, als seine Freigelassene. Alles andere wäre abstrus. Oder hatte er sie mit ihrer Freilassung auch aus dem Klientelverhältnis geworfen, und so sie geissermaßen im Stich gelassen? Das wäre sehr harsch, dachte er sich, und sein Blick fiel unversehens kurz nachsinnend auf seinen Neffen.
    Der auch sofort losgreinte, irgendetwas wegen keine Sklavin. Piso zuckte zurück, fast so, als wäre der Ausbruch eine Nadelspitze, die man ihm in die Nase gerammt hätte. Mit kuriosem Gesichtsausdruck blickte er auf den Kleinen und lehnte sich wieder vor. „Nein, ist sie nicht. Aber sie war eine.“ Brigantica hatte es ihm doch erzählt, oder? Die Aufforderung der Mutter, still zu sein, erkannte er anhand seines leider eher suboptimalen Keltisch, welches er in Britannien und von seinen Sklaven erlernt hatte, sofort als eine, und nickte leicht dazu. Der Kleine würde gut daran tun. Rauswerfen lassen wollte er die beiden deshalb aber nicht, er war viel zu interessiert an diesen beiden. Man machte ja schließlich nicht jeden Tag Bekanntschaft mit einem Neffen zweiten Grades.

  • Die junge Frau war sich bewusst gewesen, dass dies kein leichter Gang werden würde, gleich wen sie hier antraf. Dass Aquilius nicht wieder zurück zu den Seinen gefunden hatte, machte ihr Vorhaben nur noch um ein Vielfaches schwieriger. All die Jahre hatte er nichts von sich hören lassen, so dass ihre Verflichtung ihm gegenüber mehr oder wenig hinfällig geworden war. Doch gerade in den letzten Tagen war ihr bewusst geworden, wie essentiell es war, sich nicht vor der Welt zu verschließen. Umso enttäuschender war es für sie schon an der porta gewesen, erfahren zu müssen, dass sie ihn heute und wahrscheinlich auch in naher Zukunft nicht wiedersehen würde.
    Aber auch für Gracchus war Bridhes Absage mehr als nur das. Seine Enttäuschung darüber war nicht zu verleugnen. Die Gestik und Körperhaltung des Flaviers sprach Bände. In Bridhe machte sich deshalb Resignation breit, je länger sie hier stand. Ganz zu schweigen, was diese Erfahrung bei ihrem Sohn anrichtete. Er hatte kaum Zeit bekommen, um sich mit den neuen Gegebenheiten zurecht zu finden.


    Wider ihrer Erwartung, warf man sie nicht sofort hinaus. Gracchus besann sich und bot ihnen einen Platz an, den sie auch ohne zu zögern einnahm. Als nun aber Sciurus plötzlich aus der Versenkung auftauchte, versetzte dies bei der Hibernierin ein dumpfes Gefühl in der Magengegend. Während ihrer Zeit als Sklavin war sie stets darauf bedacht gewesen, ihm aus den Weg zu gehen. Der Sklave hatte seit ihrer ersten Begegnung vor so vielen Jahren immer noch etwas unheimliches an sich. Heute aber trat sie ihm nicht mehr als Sklavin gegenüber. Jetzt war sie frei und es hätte ihr reichlich Genugtuung bereitet, wenn sie ihm direkt ins Gesicht hätte sagen können, dass sie nicht bei den Löwen gelandet war. Das war allerdings im Augenblick sehr unpassend. Weder Sciurus noch einem der beiden Flavier wollte sie eine Möglichkeit zur Klage liefern. Selbst dann, als Gracchus mit, für ihr Empfinden, harten Worten klarstellte, dass dies nicht die Familie ihres Sohnes war. Die Betonung, die auf dem Wort Bankert lag, glich einem Schlag ins Gesicht. Doch letztlich hatte er doch selbst bemerkt, dass eine Verbindung bestand. Für das Verständnis der Hibernerin jedenfalls, war es ganz natürlich gewesen, das die Familie des Vaters ihres Kindes auch die Familie des Kindes war. Jedoch in Rom war alles anders. Das hatte in den letzten Jahren lernen müssen. Aber auch Pisos Einwand konnte nichts an ihrem Gefühl ändern, sich plötzlich wie zugeschnürt zu fühlen. Sie schluckte. Konnte darauf nichts erwidern. Das tat ein anderer. Nämlich ihr Sohn!
    Die Fassungslosigkeit dieses groben Fehlers lähmte sie für den Augenblick, den Jungen ordentlich zurechtzuweisen. Auf eine solche Gelegenheit hatte Sciurus nur gewartet! Der Junge hatte doch gar keine Ahnung davon, in welche Gefahr er sich damit begeben hatte. Schnell zischte sie ihm etwas hibernisches entgegen, still zu sein, damit er nicht noch schlimmeres verursachte. Und wieder war es Piso, der diesmal den Jungen ansprach und die Tatsachen zurecht rückte, was eigentlich ihre Aufgabe gewesen wäre. Zu ihrer Überraschung hatte er auch ihren hibernischen Ausruf verstanden, so deutete sie zumindest sein Nicken und dies verriet auch ihr perplexer Blick, der, zwar nur kurz, auf ihm ruhte.


    Für den Jungen war das zu viel gewesen. Er war an diesem Tag schon mit einer Vielzahl von neuen Fakten konfrontiert worden, die unmittelbar mit ihm zu tun hatten. Aber erfahren zu müssen, dass seine Mutter einmal eine Sklavin gewesen war, sprengt alles, was er sich vorstellen konnte. Seine Welt, wie er sie bisher kannte, droht aus den Fugen zu geraten. Die Bestürzung stand ihm im Gesicht und sie wollte einfach nicht weichen. Der Mutter brach es fast das Herz, ihren Sohn so sehen zu müssen. Sie nahm sich zusammen, nicht schluchzen zu müssen.
    "Herr, bitte vergib meinem Sohn, er weiß nicht wovon er spricht. Ich habe ihm nur wenig von meiner und seiner Vergangenheit vermittelt. Es ist mein Fehler." Bridhe versuchte zu retten, was noch zu retten war, ehe sie versuchte, sich wieder zu fangen, auch wenn sie das alles sehr mitnahm. Ihr Versuch, dem Sohn ein besseres Leben zu bieten, drohte zu scheitern, wenn sie sich jetzt nicht zusammen nahm. Sie versuchte sich deshalb auf Gracchus´ Frage zu konzentrieren. Die Frage, ob sie die Klientin ihres ehemaligen Herrn war, konnte sie bejahen. Wenigstens das war sie. Ihr Selbstvertrauen, das eh schon auf klapprigen Füßen stand, drohte in sich zusammenzubrechen. Hatte Sciurus am Ende doch gesiegt?
    "Ja, das bin ich, Herr.", antwortete sie ihm befangen.

  • Der emotionale Ausbruch des jungen Caius derangierte Gracchus derart, dass seine linke Braue deutlich sich empor hob ob der Tatsache, dass das Kind jedwede Etikette ließ vermissen - zugute zu halten war ihm einzig, dass er suchte die Ehre seiner Mutter zu verteidigen, ein Affekt somit, welcher Gracchus in dieser und ähnlicher Form nicht allzu fremd war, wiewohl er nicht soweit wollte gehen, in dieser emotionalen Regung eine Spur des favischen Wahns zu detektieren, denn obgleich Pisos Einwand der biologischen Komponente durchaus nicht unberechtigt war, so war das flavische Blut in den Adern des Jungen doch überaus verpanscht - ähnlich einem Glase besonders schmackhaften Weines, welchem zu gleichem Teile billiger Essig wurde beigemisch, woraus ein in den Garküchen des Plebs noch durchaus verwertbarer Weinessig mochte entstehen, der jedoch dem feinfühligen Gaumen als Trinkgenuss überaus ungustiös würde sein.
    "Es erweckt dies keinen sonderli'h honorigen Eindruck deiner Person, vor deinem Sohn die Wahrheit zu verbergen, insbesondere seine Herkunft betreffend."
    Nicht nur die Familie, auch die Wahrheit war eines jener Güter, deren Wahrung Gracchus als oberste Maximen des Lebens erachtete, und ein Säumnis in beiderlei Hinsicht war in seinen Augen nicht nur ein abominables Vergehen, sondern zeugte zudem von affrösem Charakter. Indes, als Klientin seines geliebten Vetters fiel die Flaviana nun augenscheinlich auch in seinen Zuständigkeitsbereich, war es doch seit jeher Familientraditon, dass die in Rom weilenden Flavier sich auch um die Belange jener Klienten kümmerten, deren verwandte Patrone in der Ferne weilten.
    "Wann warst du zuletzt hier?"
    , fragte er sodann ein wenig unvermittelt, nicht einmal sich dessen sicher, ob er nicht etwa selbst sie irgendwann in den letzten Jahren hatte empfangen und dies, wie so vieles, wieder vergessen.

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  • Befangen von der Zurechtweisung seiner Mutter schwieg der Junge. Auch auf die Äußerungen Pisos wusste er nichts zu sagen. Lediglich seine Augen verrieten seine Verstörtheit. Ob er seiner Mutter deswegen böse sein sollte, weil sie ihm all die Jahre davon nichts erzählt hatte? Diese Frage hätte er im Augenblick nicht beantworten können, denn all diese Neuigkeiten lagen auf ihm, wie eine schwere Last.
    Der Mutter des Jungen ging es im ersten Moment auch nicht besser, nachdem sie ihren Sohn zurechtgewiesen hatte und sie anschließend der Tadel des Flaviers sie traf. Wie damals, als sie in diesem Haus als Sklavin diente, verkrampfte sie sich, traute sich kaum mehr aufzusehen und versuchte jetzt umso mehr die Tränen zu unterdrücken. Es schien, als hätte sich nichts geändert, als musste sie auch weiterhin immer nur schlucken und schlucken, ohne das Recht auf eine Rechtfertigung. Nein, das musste ein Ende haben! Sie war keine Sklavin mehr, sie hatte jetzt eine eigene Stimme und die wollte sie, nein, sie musste sie jetzt auch erheben, koste es was es wolle!
    "Ich habe meinem Sohn all die Jahre über das gegeben, was ich ihm geben konnte. Sei es genügend Nahrung und Kleidung, ein Dach über dem Kopf. Dafür habe ich jeden Tag hart gearbeitet. Darüber hinaus habe ich ihm auch nahegebracht, was seine Wurzeln mütterlicherseits sind. All mein Wissen habe ich versucht, ihm zu vermitteln. Doch eines habe ich nicht übers Herz gebracht: ihm zu sagen, das seine Mutter in den Augen der Römer nur minderwertig ist und dass er somit auch nur minderwertig ist. Auch wenn ich schuldlos in diese Lage geraten bin. Und außerdem, wie hätte ich einem kleinen Jungen erzählen können, dass sein Vater ihn nicht sehen will, dass seine Anwesenheit an seiner Seite unerwünscht ist? Damit wollte ich warten, bis er älter ist, damit er verstehen kann. Nun ist er acht Jahre alt und ich sehe es ihm an, wie schwer es ihm fällt, zu verstehen. Es ist für ihn an der Zeit, nun auch etwas über die andere Seite seiner Herkunft zu erfahren. Deswegen bin ich hier. Wegen nichts anderem. Ich will weder um Almosen betteln noch will ich etwas geschenkt haben. Ich kann ihn nicht lehren, wie ein Römer sein soll oder wie er denkt. Das kann er nur von euch lernen. Darum bitte ich euch."
    Das hatte Bridhe enorm viel Mut gekostet, doch das versuchte sie sich nicht anmerken zu lassen, ebenso ihre Verbitterung. Sie wollte auf keinen Fall Schwäche zeigen. Umso überraschter traf sie Gracchus´ Frage nach ihrem letzten Besuch. Der lag schon einige Jahre zurück. Um genau zu sein, waren es schon mehr als sechs Jahre. Nachdem sie aus der Villa ausgezogen war, gab es keinen Grund mehr für einen weiteren Besuch. Er wollte ihr doch am Ende nicht zur Last legen, ihrer Pflichtgen als Klientin nicht nachgekommen zu sein. Mit Aquilius´ Verschwinden, sah sie sich nicht mehr in der Pflicht und da sie all die Jahre nichts von ihm gehört hatte sah sie sich darin bestätigt.
    "Es sind etwas mehr als sechs Jahre, Herr." Dass sie währenddessen immer wieder den Weg zur Villa gemacht hatte, auch mit ihrem Sohn, aber sich nie getraut hatte, um Einlass zu bitten, verschwieg sie. Nur ihr Sohn rührte sich plötzlich wieder, der etwas zu beichten hatte, was seine Mutter zwar schon wusste, aber die Flavier noch nicht.

    "Ich war aber schon mal hier! Vor ungefähr zwei Jahren. Ähm, hier drin. Also mehr im Garten. Eigentlich. Und da habe ich auch einen Jungen getroffen, der so alt war, wie ich. Minimus hieß der. Mit dem hab ich gespielt. Und ich wollte..."
    Bridhe war überhaupt nicht von der Redseligkeit ihres Sohnes begeistert. Hatte sie sich nicht verständlich ausgedrückt? "Diarmuid!",rief sie ermahnend und Diarmuid, oder vielmehr Caius verstummte wieder.

  • Als der Knabe seinen Protest laut äußerte, und Piso ihn aufklärte, war erst einmal alles ruhig. Piso hatte den Blick, dem die junge Frau ihm zugeworfen hatte, durchaus registriert. Er lächelte kurz zurück. Sie hatte wohl verstanden, dass ihre Geheimsprache in seiner Gegenwart nicht funktionierte.
    Sie schien ohnehin kurz vor den Tränen zu stehen. Nur mit äußerster mühe, so schien es, gebot sie ihren Tränen Einhalt. Sie bat Gracchus um Verzeihung, und bestätigte, dass sie die Klientin seines Vetters war. Das war also der Anknüpfungspunkt zwischen ihr und den patrizischen Flaviern. Piso lehnte sich leicht zurück und harrte dessen, was nun noch kommen mochte.
    Gracchus schien die Bitte nach Verzeihung zu ignorieren, und tadelte sie ob ihrer Verschwiegenheit gegenüber ihres Sohnes. Was die ohnehin schon komplett aufgelöste junge Frau von sich gab, das veranlasste ihn, den Kopf leicht schief zu legen, jedoch nicht die berühmte flavische Augenbraue hochzustellen. Seinem Gesicht war nicht zu entnehmen, ob er dem Ansinnen gewogen oder abgeneigt war. Ihre Verteidigungsrede ließ er unkommentiert. Eigentlich tangierte es ihn nicht im Geringsten, was für eine Mutter sie war, und was sie ihm beigebracht hatte.
    „Sag, Flaviana Brigantica – als was hast du denn all diese Jahre hindurch gearbeitet?“, wollte er wissen. Die Beschäftigung war wichtig, dessen war er sich sicher. Es gab ehrbare und unehrbare Tätigkeiten, und anhand der Beschäftigung der Leute konnte man schon sehen, was für Charaktere man da vor sich hatte. Die Hibernierin würde ihm aber wohl nicht sagen, dass sie sich in einem Lupanar verhurt hatte, selbst wenn sie dies getan hatte. Trotdem war er durchaus gespannt auf ihre Antwort.
    Er lehnte sich leicht zurück in seinem Stuhl. Derselbe knarzte leicht. Fragend blickte er die Keltin an. „Also, damit ich dich nicht falsch verstehe. Du willst uns, einem von uns zumindest, die Fürsorge über deinen Sohn überlassen? Dass jemand von uns die Tutela über Caius übernimmt? Und dass du somit auch die Verantwortung, die du über ihn hast, ablegst?“ Ein bisschen gemein war diese Frage formuliert, doch er wollte etwas über die wahren Absichten der Keltin herausbekommen. „Und selbst wenn einer von uns bereit wäre, dies zu machen - und du willst nicht betteln gehen, sowie ich das verstanden habe – was kannst du uns im Austausch bieten?“
    6 Jahre, das war ja schon eine Zeit her, dachte er sich und beugte sich wieder weiter nach vorne, wo er seine Hände auf dem Schreibtisch aufstützte. Er wollte gerade verstehend nicken, da platzte der Sohn der Hibernierin dazwischen.
    Er war schon hier gewesen? Was? Und... Minimus? Piso wandte seinen Kopf ruckartig nach links, zu seinem Vetter Gracchus hin, und bedachte ihm mit einem komplett verwunderten, verständnislosen Blick. Was um alles in der Welt ging hier vor? Brigantica wies ihren Jungen zurecht, doch es war schon zu spät. Sein Blick fixierte sie wieder. „W... wie?“, brachte er nur noch mehr hervor und schüttelte den Kopf voller Ungläubigkeit.

  • Bridhe hatte sich ihren Besuch bestimmt etwas anders vorgestellt. Jedoch wäre es sehr blauäugig gewesen, zu glauben, mit offenen Armen begrüßt zu werden. Man machte ihr hier sehr deutlich, was Bridhe war und was man von ihr hielt. Die junge Frau verkrampfte zusehends, ihr Puls ging schneller und sie errötete schließlich. Nicht nur wegen der Bedrängungen von Gracchus, auch weil ihr eigener Sohn dazu beitrug, den Erfolg dieses Besuches ins Wanken zu bringen. Noch ruhte ihr Blick auf dem Jungen, der sie nach seinen letzten Aufmucken nun trotzig anstarrte und sich fragte, was er denn so schlimmes verbrochen hatte. Er hatte doch nur die Mutter verteidigen wollen!


    Es war Piso, der das Wort an sie richtete. Diesen Flavier, der für sie bisher ein unbeschriebenes Blatt war, konnte Bridhe nur unzureichend einschätzen, ob er ihr wohlgesonnen war oder sie am Ende doch nur auflaufen lassen wollte. Jedenfalls konnte sie die Frage des Flaviers mit gutem Gewissen beantworten. In all den Jahren, seitdem sie auf eigenen Füßen stand, hatte sie sich nichts zu Schulden kommen lassen und hatte ihr Brot mit ehrlicher Arbeit verdient.
    "Anfangs hatte ich in einer Taverne gearbeitet, vielmehr in der Küche der Taverne. Aber ich habe auch die Gäste bedient. Danach habe ich in einer Bäckerei gearbeitet." Von Pisos Vermutungen, sie könne einer anstößigen Tätigkeit nachgegangen sein, ahnte sie nichts. Hätte sie es, wäre sie vor Scham errötet. Stückweise fühlte sie sich wieder auf der sicheren Seite zu sein. So sehr, dass die Anspannung nachließ und sie wieder beruhigt durchatmete. Dennoch behielt sie Piso im Auge, der sich in seinem Stuhl zurücklehnte, auf dass das Möbelstück ein knarzendes Geräusch von sich gab. Die Frage, oder vielmehr war es Pisos Feststellung, die nun folgte, stürzte sie in ein tiefes schwarzes Loch. Die schlimmsten Befürchtungen, die ein solcher Besuch mit sich bringen konnte, hatte der Flavier soeben ausgesprochen. Die Hibernierin schluckte zuerst, bevor sie auch nur eine Silbe über die Lippen brachte. Ihr Sohn war ihr Ein und Alles. Nie im Leben hätte sie ihn hergeben können.
    "Nein... nein. Nein! Ich.. - Bitte nehmt mir mein Kind nicht weg!" Einem Tier gleich, das man in die Enge getrieben hatte, sah sie voller Verzweiflung von Piso zu Gracchus und schließlich wieder zu Piso. Ihre Arme hatten sich schützend um den Jungen geschlungen, der nicht verstand, warum seine Mutter plötzlich so in Sorge um ihn war.
    "Ich bitte euch, trennt den Jungen nicht von seiner Mutter!" Bridhe bemühte sich, sich selbst Einhalt zu gebieten. Weitaus gefasster sprach sie weiter. "Ich habe nicht viel, was ich euch geben kann. Ich besitze nur ein paar Habseligkeiten. Nichts von Wert, außer meiner Arbeitskraft." Die Hibernierin resignierte. Sie war nicht zum Betteln hergekommen und doch bettelte sie gerade, weil sie gar nicht anders gekonnt hätte. Sie war nun sogar so weit, dass sie sogar auf ihre eigene Freiheit verzichtet hätte, nur um nicht von ihrem Sohn getrennt zu werden.
    Was nun Diarmuids Einwurf zur Folge hatte, den sie zwar soebeb noch gerügt hatte, war ihr beinahe schon gleichgültig. Sie rechnete nun fest damit, hinausgeworfen zu werden. Alles war umsonst gewesen. All die Jahre, in denen sie sich selbst immer wieder vorgesagt hatte, sie habe ein Versprechen einzuhalten. Ein Versprechen, dass ihr am Ende den Sohn nehmen sollte.

  • In ungläubigem Verharren blickte Gracchus auf den Knaben, welcher hatte verkündet in diesem Hause mit Minimus, mit seinem Sohn, gespielt zu haben, was eine Flut an unzähligen Reminiszenzen an seine eigene Kindheit nach sich zog - Caius und Manius, die Zeit schien sich zurück zu drehen, und auch wenn Gracchus nicht konnte mit Bestimmtheit sagen, dass sein eigener Sohn ihm in diesem Alter sehr ähnlich sah, so spielte das Schicksal augenscheinlich ein wunderliches Spiel -, ob dessen er vorerst in Schweigen verfiel. Die Worte der Freigelassenen befriedigten ihn gleichsam ebenso wenig wie seinen Vetter Piso, welchen sie zu einem verbalen Angriff reizten, dem eine latenter Hauch Infamie inne wohnte, welcher in seiner Art und Weise Gracchus ein wenig an Pisos Vater Aetius erinnerte. Die hypothetische These indes traf Bridhe sichtbar, dass diese in regelrechte, ein wenig animalisch anmutende Panik ob ihres Sohnes verfiel. Obgleich eine Freigelassene kaum mit einer Patrizierin zu vergleichen war, so suchte Gracchus in seinen beiläufigen Hintergedanken zu eruieren, wie Antonia als Mutter in einem solchen Augenblicke der gefühlten Gefahr des Verlustes ihres Sohnes wohl hätte reagiert, und er war sich zweifelsohne sicher, dass vermutlich sie Piso längst die Augen hätte ausgekratzt und hernach ihre Krallen dicht an die seinen hätte gelegt, aus ihm auszupressen, was sie für ihren Sohn verlangte. Doch Freigelassene konnten wahrhaftig nicht verglichen werden mit Frauen patrizischen Standes, ob dessen diese Gedanken augenscheinlich ein wenig unfair waren, wiewohl Bridhes Reaktion Gracchus doch überaus befremdlich war - allfällig auch, da er kaum wusste, wie das Sklavenleben in der Villa Flavia - oder sonstig - sich gestaltete, nur die bürgerliche Seite des Hauses mit ihren zumeist spendablen und umsichtigen Patronen und loyalen Klienten kannte, darob die fraglos in gewissem Maße begründete Angst der Mutter kaum konnte nachvollziehen, ob dessen seine Stimme mehr Härte in sich trug denn Verständnis.
    "Du hast viele Jahre fern dieses Haus gelebt, sechs Jahre lang diesem Jungen, in dessen Adern das Blut Caius' fließt, sein römisches Erbe verwehrt, hast keinen Wert gelegt auf das Patronat unseres Vetters, keinen Wert auf Unterstützung durch diese Familie, hast dich allfällig gefür'htet, in unserer Schuld zu stehen, und nun kommst du zu uns und möchtest, dass wir deinen Sohn lehren ein Römer zu sein, doch gleichsam scheint es, als wolltest du eben dies ver..hindern, sprichst über die andere Seite seiner Herkunft als wäre sein Vater sein Manko, zeigst in deinem affektiven Verhalten uns keinen Respekt und gibst mit einem male nun uns den Anschein, als wären wir re'hte Ungeheuer, die einer Mutter ihr Kind rauben wollten."
    Mit festem Blick fixierte Gracchus die Freigelassene.
    "Wenn du wirklich willst, dass er die Familie seines Vaters kennen lernt, sich seines römischen Erbes bewusst wird, dann wird er hier bleiben, hier in diesem Hause, als be..sonderer Klient seines Vaters - doch niemals als eines Flaviers Sohn -, wird alle Mögli'hkeiten seines Standes ausschöpfen können, wird sogar gemeinsam mit meinem Sohn lernen dürfen - seine Defizite wird der Altersunterschied wohl ausglei'hen - und ausgestattet mit dieser Prämisse wird er später allfällig einen Platz in der Verwaltung finden, womöglich eine lokalpolitische Karriere erringen. Du selbst kannst am Tage weiter deiner Arbeit nachgehen, am Abend indes hierher zurückkehren - es findet sich sicherlich noch ein Zimmer für eine spe..zielle Klientin Caius', allfällig findet sich auch hier etwas, das du tun kannst, dir deinen Unterhalt zu verdienen."
    Es war dies unbezweifelt mehr als einem normalen Klienten zustand, doch der junge Caius war nun einmal kein normaler Klient und sein Anblick wirkte auf Gracchus wie eine Möglichkeit, sich tagtäglich seiner Vergangenheit zu entsinnen, einzutauchen in eine ferne Erinnerung, diese unbeschwerte Zeit als die Welt noch beinahe gänzlich in Ordnung war.
    "Wenn du dies nicht möchtest, dann sei Klientin dieses Hauses, komme zur Salutatio und übe dich in klientischer Pfli'ht, dass wir dir die Gunst deines Patrons zuteilwerden lassen wie all seinen anderen Klienten, dass der Junge seine tägliche sportula erhält und aus der Ferne erahnt, was römisches Leben ausmacht."
    Ob Bridhe eine andere Möglichkeit für sich und ihren Sohn sah, dies tangierte Gracchus nicht weiter, einen Einwand würde er höchstens von Piso akzeptieren.
    "Ist diese Klientschaft indes unter deiner Würde, dann löse dich von deinem Patronat, kehre nicht wieder hierher zurück, lehre deinem Sohn deine eigenen Wurzeln und lasse einen halben Wilden aus ihm werden, dass er in keiner Welt zuhause ist. Die Entscheidung liegt ganz bei dir, eine andere Mögli'hkeit gibt es nicht."

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  • Als Bridhe noch erzählte, hörte Piso mit gleichmütiger Gesichtsmiene zu. Erst, als sie abschloss, begann er, leicht, aber wohlwollend zu nicken. Sie war Köchin, Kellnerin und Bäckerin gewesen. Keine hochstehenden, heldenhaften Arbeiten. Aber auch keine für eine Freigelassene anrüchigen. Einfache Handwerke, mit denen man sich zwar keine goldene Nase, aber doch immerhin einen Lebensunterhalt verdienen konnte, wenn auch nur leidlich. Kein Vergleich natürlich damit, in einem Priestercollegium tätig zu sein, so wie die beiden Flavier, deren Blicke auf der Hibernierin lasteten. Etwas wie ein Handwerksstolz ergriff Piso, unerklärlicherweise. Dabei verachtete er Leute, die sich dem Cultus Deorum mit Fanatismus hingaben, vielmehr war es seine Aufgabe nur, den Pax Deorum zu gewährleisten, und fertig.
    Piso wusste zwar, dass seine Frage ein wenig aneckend sein würde, schließlich wollte er ausloten, was sie dachte, und was ihre Motive waren, da brach die Gute schon fast in Tränen aus und umklammerte ihr Kind. Piso blickte sie befremdet an, als langsam seine Kinnlade runterging. So grauenvoll und schlimm hatte er es doch nicht gemeint. So ein Unmensch war er nicht, da war er sich sicher. Einmal nicht gegenüber einer Frau die ihm – Piso musste das sich innerlich zugeben – durchaus sympathisch war. Einfach so zu den Flaviern hingehen und für ihren Sohn bitten erforderte Mumm.
    Ja, innerlich tat es ihm fast schon Leid, dass er so geredet hatte, doch er hatte sich eine solche Reaktion nicht erwartet. Weiber, schoss es ihm durch den Kopf. Komische Wesen sind das schon.
    Das Gequake des Kleinen schien allerdings schon lange Oblivio, die Göttin des Vergessens, mit sich gerissen zu haben, denn nicht einmal mehr Piso, der sich eines guten Gedächtnisses brüstete, konnte sich mehr daran erinnern. Er hatte es vergessen, verdrängt, wie auch immer, er war nämlich gut darinnen, und war jetzt nur noch interessiert an dem Jetzt und Da – welches Gracchus darstellte. Jener hub an, eine ziemliche Rede zu schwingen. Und in jedem Wort konnte er ihm recht geben. Ja, Bridhe stand alles offen. Ihm würde es nichts ausmachen, sie in der Villa zu beherbergen. Oder regelmäßig zur Salutatio hier zu sehen.
    Er hüstelte nicht einmal, als Gracchus sein Wortkonstrukt Bridhe und Piso angedeihen ließ. Bei der Möglichkeit, dass es Arbeit in der Villa Flavia für Bridhe geben konnte, horchte Piso auf. Es war nur ein Nebensatz, doch es erinnerte Piso daran, dass er einen Scriba suchte. Oder aber eine Scriba.
    Er sprach weiter, als Gracchus zu Ende war. „Dem kann ich zustimmen. All jene 3 Optionen stehen dir offen. Und bedenke, Caius könnte es mit flavischer Unterstützung weit schaffen – in der ritterlichen Laufbahn – man denke an Narcissus und Isidorus.“ Die beiden hatten in der Zeit der claudischen Kaiser die Oberaufsicht über die Kanzlei inne gehabt, wieso sollte Caius das nicht einmal schaffen? Piso hatte eh noch Kontakte dorthin. „Und, was Arbeit innerhalb der Villa Flavia angeht... ich suche eine Scriba. Ich könnte ein adäquates Gehalt bieten. Sofern du lesen und schreiben kannst, natürlich!“, beeilte er sich anzumerken, denn schließlich war diese Fähigkeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Doch schrieb er allen, die Sklaven in der Villa Flavia waren oder gewesen war, zuerst einmal ein gewisses Maß an Bildung zu. Auch wenn sich dies nicht als richtig erweisen musste.
    „Also, entscheide dich. Doch wenn du jetzt nein sagst, kann ich dir nicht garantieren, dass irgendjemand in dieser Villa dich nochmals empfangen will, Flaviana Brigantica.“ Er legte seinen Kopf leicht schief, er war ja schon gespannt. Obwohl, er würde sie als ziemlich dumm einschätzen, ein solch großmütiges Offert einfach nur abzuschlagen. Und, um ehrlich zu sein, es wuerde ihn eigentlich ziemlich freuen, wenn sie hier waere - die beiden ruehrten in ihn ewas an. Mutter und Sohn, Mutter und Sohn... es schien so natuerlich. Er hatte keine Mutter gehabt, weil sie ihm von seinem Vater genommen wurde... sehr musste er sich beherrschen, um aus seinen Augen keinen flammenden Hass, gegen Gnaeus Flavius Aetius gerichtet, herauszuschiessen lassen.

  • "Du tust mir weh, Mama!", quiekte der Junge unter dem festen Griff seiner Mutter, woraufhin sie ihn sofort lockerte und ihm einen entschuldigenden Blick zu warf. Ganz wollte sie ihn aber nicht freigeben, denn sie befürchtete noch immer, ihn verlieren zu können.
    Der kleine Caius aber verstand die Welt nicht mehr, warum seine Mutter plötzlich so Angst um ihn hatte und wieso jemand auf die Idee kommen konnte, ihm seiner Mutter wegzunehmen. Seltsam fand er auch, warum der eine Mann ihn so durchdringend ansah. Dass es sich dabei um Minimus´ Vater handelte, ahnte er auch nicht. Auf die Dauer wurde es ihm sogar richtig unangenehm. Am liebsten wäre er aufgesprungen und davongelaufen. Überhaupt machten ihm die beiden Männer Angst, denn offenbar brachten sie seine Mütter zum fürchten. Etwas anderes konnte er aus dem, was sich direkt vor seiner Nase zutrug, nicht interpretieren.
    Bridhe dachte einen Augenblick nur an die letzten Tage, deren Ereignisse sie Stück für Stück dazu gebracht hatten, nach so langer Zeit wieder in der Villa aufzutauchen. Das Warum hatte offen auf der Hand gelegen. Über die Frage aber, wie man sie empfangen würde, hatte sie sich nicht den Kopf zerbrochen. Wäre sie denn allen ernstes wieder zurückgekehrt, wenn sie im Voraus gewusst hätte, was sie erwartet? In den allerseltensten Fällen hatte sie sich in ihrem Leben vor den unangenehmen Dingen gedrückt, denn meistens hatte sie gar keine Wahl gehabt. Und auch jetzt, so glaubte sie, hatte sie gar keine andere Wahl, als hier zu sitzen und mit den Flaviern zu verhandeln, denn es gab doch dieses Versprechen, an das sich der der es abverlangt hatte höchstwahrscheinlich gar nicht mehr erinnerte. Aber Bridhe erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen, denn dieses Versprechen hatte ihr all die Jahre über eine Heimkehr verweigert.
    Ihre Muskeln verkrampften sich wieder als Gracchus erneut das Wort an sie richtete. Er warf sie nicht hinaus, wie sie erst vermutet hatte. Er überschüttete sie lediglich mit Vorhaltungen und ließ sie ganz genau wissen, was er von ihr hielt. Die Hibernierin wusste gar nicht mehr, wohin sie ihren Blick noch richten konnte. Da, endlich machte er eine Pause und sah sie fest an. Leicht hob sie ihren Kopf und ihr gequälter Blick traf für einen Moment auf seinen.
    Schließlich fuhr er fort, ihr aufzuzählen, welche Möglichkeiten sie hatte. Für einen winzigen Augenblick, zeigte sich der weiche Kern unter der rauen und festen Schale des Flaviers Die erstere der drei Möglichkeiten boten der jungen Frau mehr, als sie erwartet hatte. Wenn ihr Sohn von nun an hier wohnte und alles lernte und sie ihn spätestens abends dann wieder für sich hatte und sogar hier wohnen konnte, war das mehr als großzügig.
    Auch Piso bestätigte dieses Angebot, das ihr unterbreitet worden war und ergänzte es noch. Im Gegensatz zu Gracchus, bei dem sie genau wusste, was sie zu erwarten hatte, war es ihr bei Piso noch nicht gelungen, ihn wahrhaftig einzuschätzen. Eben noch wollte er ihr das Kind nehmen und nun bot er ihr eine Arbeit an. Eine Scriba? Bridhe konnte schreiben und lesen. Sie hatte es recht schnell gelernt, wie vieles, nachdem sie hierher gebracht worden war. Aber bisher hatte sie nur das gemacht, was sie auch schon von Haus aus konnte.
    "Ich danke euch für euer großzügiges Angebot! Im Interesse meines Sohnes und weil ich das Versprechen halten möchte, das ich meinem einstigen dominus gab, werde ich es annehmen. Wenn ich dann noch hier wohnen und arbeiten kann, ist das mehr, als ich mir hätte vorstellen können. Vielen Dank dafür!", antwortete sie den beiden, wandte sich zum Schluss aber dann zu Piso.
    "Ich kann lesen und schreiben. Aber ich habe leider keine Erfahrungen als Scriba. Wenn du es trotzdem mit mir versuchen möchtest, Herr, dann werde ich mich anstrengen."

  • Aus Gracchus' patrizischer - und durchaus ein wenig weltfremder - Sicht konnte es keinen Zweifel geben an Bridhes Antwort, war doch das flavische Angebot überaus großzügig, genau genommen derart großzügig, dass bereits noch während Piso seine Worte an die Freigelassene richtete er bei sich überlegte, ob es nicht gar zu großzügig gewesen war, Caius' Sohn hin oder her, denn schlussendlich war und blieb er ein Bankert. Andererseits war die Familie zu ihren Freigelassenen - so es sie überhaupt gab - stets großzügig, zudem schien die Frau weder pflichtvergessen, noch träge, und letztlich war es auch nicht zum Nachteil der Flavia, so eines Tages ein Bürger einen bedeutsamen ritterlichen Posten würde besetzen, welcher durch mehr als nur Pflichtschuldigkeit oder Dankbarkeit an sie gebunden war. So kam es, dass neben den Möglichkeiten der Laufbahn seines eigenen Sohnes nun auch noch jene des Jungen ihm gegenüber sich in seine Gedanken schoben, er bereits abwägte, welche Position Caius' im Staat für Minor würde am vorteilhaftesten sein, so dass er die tatsächliche Bestätigung der Annahme Bridhes nurmehr mit einem Nicken abtat.
    "Nun, so ist dies ein überaus vorteilhaftes Arrangement, für alle Seiten"
    , kommentierte er die Tatsache, dass nun auch Piso eine Scriba hatte gefunden, obgleich ein wenig ihn irritierte, dass sein Vetter keinen verantwortungsvollen Schreiber um sich hatte - doch augenscheinlich war dies auch ein Zugeständnis seinerseits -, und wandte sich sodann Caius zu, welcher nun weitaus mehr sein Interesse weckte, denn wo und wie die Freigelassene mit ihrem Sohn in der Villa würde unterkommen, dies lag außerhalb seiner Angelegenheiten, kümmerten sich um solcherlei doch Verwalter, Sklaven und andere.
    "Caius"
    , ließ er den Namen gedehnt, beinahe ein wenig genussvoll über seine Lippen perlen - denn obgleich es viele Caii mochte geben, so war es doch die Kombination des Namens mit dem Anblick des Jungen, welche den Anklang an Aquilius - und all die sentimentalen Erinnerungen an seine Kindheit, welche mit ihm waren verknüpft - ließen in Gracchus lebendig werden.
    "Wer hat dich bisher unterri'htet, hattest du schon einmal einen paedagogen? Bist du des Griechischen mächtig? Hast du bereits die klassi..schen Epen Homers gelesen? Du kannst doch lesen?"
    Es war jenseits Gracchus' Vorstellungskraft, wie der Alltag eines minder privilegierten Kindes aussah, so dass für ihn nahezu unvorstellbar war, dass Aquilius nicht zumindest eine öffentliche Schule würde besucht haben.

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  • Ein wenig langweilig ist es schon hier, die ganze Zeit soll man still sitzen und nichts sagen oder tun. Von dem, was die Erwachsenen reden, verstehe ich nur die Hälfte. Ich beobachte Mama, die vor den beiden Männern ganz anders ist, als ich sie kenne. Fast glaube ich, sie fürchtet sich vor denen. Und die beiden Männer beobachte ich auch. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein. Der Ältere wirkt ernst und fast schon starr. Der jüngere lacht ab und zu. Aber deshalb finde ich ihn noch lange nicht nett. Ich weiß nicht, ob er nett ist zu Mama. Zumindest wirkt sie plötzlich wesentlich erleichterter, als er ihr anbietet, bei ihm zu arbeiten. Nachdem er lange geschwiegen hat, während Mama mit dem jüngeren Mann gesprochen hat, meldet sich der Ältere wieder zurück. Er spricht von einem Arrangement, für alle Seiten. Unauffällig schaue ich mich daraufhin um, nach allen Seiten, aber nichts passiert. Ich finde es bestimmt noch heraus, was so ein Arrangement ist!
    Dass sich Minimus´ Vater inzwischen mir zugewandt hat, bemerke ich erst, als er mich anspricht und Caius nennt. Daraufhin zucke ich leicht zusammen, denn von Mama werde ich immer nur Caius genannt, wernn ich wieder mal was angestellt habe. Dieses Caius aber klingt gar nicht ermahnend und vorwurfsvoll. Es ist bewusst in die Länge gezogen und klingt irgendwie sehnsuchtsvoll. Dabei kenne ich den Mann gar nicht. Seltsam!
    "Ja?", frage ich artig. Meine Aufmerksamkeit habe ich nun ganz dem Mann gewidmet. Als er mich nach meiner bisherigen Schulkarriere fragt, erwischt er mich auf dem falschen Fuß. Vor gut zwei Jahren hat mich Mama in eine Schule geschickt. Dort sind fast alle Kinder in meinem Alter aus meiner Straße. Ein bisschen lesen und schreiben kann ich auch schon. Rechnen mag ich besonders. Nur hat mir einer meinen Abakus geklaut und Mama hat kein Geld, mir einen Neuen zu kaufen. Unser magister ludi ist ein Grieche und der versteht überhaupt keinen Spaß. Das ist auch der Grund, weshalb mein Freund Lucius und ich gelegentlich den Unterricht schwänzen und uns lieber in der Stadt herumtreiben, sozusagen Anschauungsunterricht vor Ort nehmen. Mama weiß davon nichts, noch nicht!
    "Mein magister ludi heißt Charon. Der ist ein Grieche aber der spricht nie griechisch, jedenfalls nicht mit uns." Schnell schaue ich zu Mama, weil ich Angst davor habe, was falsches zu sagen. "Homer? Ähm, ...ist das auch ein Grieche?" Mama schaut mich auch an, aber hilft mir nicht. "Ja klar, kann ich lesen. Ein bisschen." Wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist es mir meinen Lesekünsten nicht weit her. Ich tue mir dabei recht schwer, lese eher holprig als zusammenhängend und meine Schrift ist eine Katastrophe, sagt Mama.

  • In seiner zumeist gutgläubigen Art zweifelte Gracchus nicht im Geringsten an Diarmuids Aussage, gegenteilig überhörte er geflissentlich dessen nachgeschobene Einschränkung, implizierte ob seiner eigenen Erwartungen ausreichend Kenntnis in die Worte, dass der Junge zumindest hinsichtlich lateinischer Texte mit dem ein wenig jüngeren Minor würde mithalten können, respektive diesen beim Vorankommen seiner Studien nicht würde behindern - abgesehen davon, dass ohnehin kein Junge würde exakt mithalten können mit Minor, welchem eine außerordentlich beträchtliche Begabung innewohnte, wie seine Mutter stets zu betonen wusste, und woran selbstredend auch der Vater keinen Zweifel hegte. Indes war die Nichtbeherrschung des griechischen Sprachschatzes tatsächlich ein größeres Problem, wurde Minor doch beinahe ausschließlich in dieser Sprache unterrichtet - soweit Gracchus dies wusste.
    "Nun, so wirst du dich zuerst dem Studium der griechischen Sprache widmen müssen, wiewohl dein Grundlagenwissen einige Lücken auf..zuweisen scheint."
    Dass dem armen Jungen nicht einmal Homer war ein Begriff lastete Gracchus der Mutter an, welche er ob dessen erneut mit einen kurzen, vorwurfsvollen Blick bedachte, ehedem er weiter mit Aquilius sprach.
    "Doch wenn du dich anstrengst, wirst du diese Defizite sicherli'h bald aufholen können."

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