Cursus Continuus | cursus praeceptorum stoicorum

  • Auch Seiana wurde sehr bald still und stellte keine Fragen mehr. Der Kurs war sehr interessant, aber es war recht viel in sehr kurzer Zeit, und so beschränkte sie sich darauf, zuzuhören und sich gelegentlich Notizen zu machen. Die Arbeitsatmosphäre selbst schien eine ziemlich konzentrierte zu sein, in jedem Fall gab es auch sonst keinen, der einen Kommentar zum Vortrag gemacht hätte, und auch sonst gab es niemanden, der ein Gespräch angefangen hätte.


    Als es dann um Seneca ging, sah Seiana wieder auf. „Was ich nicht verstehe: Warum hat Seneca diesen Reichtum überhaupt angehäuft? Ich meine, du sagst er ist daran gescheitert, dass sich die stoische Lehre nicht mit einer politischen Arbeit vereinbaren ließe, aber musste er sich nicht deshalb zurückziehen, weil die Menschen ihn nicht mehr für glaubwürdig hielten?“ Seneca war vor wenig mehr als 40 Jahren gestorben, und natürlich sprachen die Menschen immer noch über einen Mann wie ihn. Aber so sehr Seiana seine Haltung, seine Lebensart nach der Stoa faszinierte, das war ein Punkt, den sie nicht nachvollziehen konnte. „Er hat doch selbst gesagt, ein Weiser müsse fähig sein, auf Reichtum zu verzichten. Warum ist er in diesem Fall nicht mit gutem Beispiel vorangegangen?“

  • Wieder fiel die Dame der Gruppe positiv auf, für Macer schien sie immer interessanter zu wirken. Er speicherte sich ihr Gesicht, ihr Name im Hinterkopf, vielleicht sollte sich da noch etwas ergeben.


    Da Seneca nicht selber auf deine Frage antworten kann, werde ich versuchen dies zu tun. Natürlich ist das großteils Spekulation, vielleicht kann mir jemand von euch auch widersprechen. Ich habe sowohl gesagt, dass er dem öffentlich Druck nicht mehr gewachsen war als auch, dass sich seine Lehre mit seiner Politik nicht mehr verbinden lassen konnte. Nach seiner Rückkehr von der Verbannung schaffte er es zwar die Karriereleiter weiter hochzuklettern, doch ist dies mit einem stoischen Leben nicht zu vereinen. In der Politik gibt es viel Korruption und auch ein starker Wille ist irgendwann einmal gebrochen... Macer wollte keine wirren Thesen über Seneca auftischen, weshalb ihm die Antwort auch besonders schwer fiel.
    So ist auch sein später Reichtum zu erklären. Er war der Privatlehrer des Kaisers, Seneca war kein älterer Stoiker mehr, sondern ein angewandter Stoiker, sein Wille sicher nicht so stark wie eines Chrysippos.

  • Seiana wartete einen Augenblick, ob jemand anderes etwas sagen wollte, aber nachdem das nicht der Fall war, ergriff doch wieder sie das Wort. „Verzeih mir, wenn ich erneut widerspreche. Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun? Was hat ein starker Wille mit Inkonsequenz im Reden und Verhalten zu tun? Es ist leicht zu sagen, dass ein Weiser theoretisch in der Lage sein sollte, auf Reichtum zu verzichten. Wer den Beweis dafür dann nicht erbringt, kann noch so viel sagen und fordern, aber der muss sich dann nicht wundern, wenn seine Glaubwürdigkeit leidet.“ Seneca mochte ein hervorragender Theoretiker gewesen sein, aber was die Praxis betraf, leuchtete Seiana seine Lebens- und Argumentationsweise nicht ganz ein.

  • Wieder war es nur Seiana, die antwortete. Der Rest schien lieber zuzuhören.


    Es hat meiner Meinung nach schon miteinander zu tun. Denn erst wenn der Wille gebrochen ist, kann es zu inkonsequenzem Handeln führen. Seneca war in seinen Anfängen ein sehr starker Mann mit einem großen Willen und erst als dieser Wille gebrochen war, kam es zu seinem Absturz in der Politik...Im Bezug auf den Weisen gebe ich dir vollkommen recht,auch mir scheint seine theoretische Vorstellung des Weisen schlecht argumentiert. Er konnte auf ihre letzte Aussage nicht weiter eingehen, schließlich hatte sie einfach recht und so konnte Macer auch einfach nicht widersprechen.
    Vielleicht konnte noch ein anderer Kursteilnehmer sich einbringen und ein gutes Argument bringen.

  • Leider beteiligte sich keiner mehr am Fortgang der Diskussion, sodass Macer zunächst nichts weiter übrig blieb als eine kleine Pause einzulegen bevor er dann den letzten Teil seiner Vorlesung abhandlen würde.
    Vielleicht würde die Diskussion danach noch weiter fortgeführt.


    Zum Abschluss unseres Stoffes betrachten wir noch den Unterschied der zwei großen hellenistischen Philosophieschulen, nämlich die der Stoiker und die der Epikureer. Da beide Schulen in etwa der gleichen Zeit entstanden, doch vom Inhalt der Lehre komplett verschieden sind, gab es immer wieder heftige Konflikte zwischen ihnen.
    Da wir hier den Cursus über die Stoa haben, kann ich leider nicht genaustens über den Epikureismus berichten, doch hoffe ich, dass es zu eurem Genüge ist.


    Zunächst sei gesagt, dass beide Lehren zwar in drei Bereiche, nämlich Physik, Logik und Ethik geteilt werden, doch schon in der Physik und der damit verbundenen Vorstellung der Welt die ersten Gegensätze zu erkennen sind. Während die Stoa ein Schicksal, das durch den göttlichen Logos bestimmt wird, als Ziel vor Augen hat, glaubt man im Epikureismus an den Zufall der Geschehnisse. Bei ihnen entsteht die Erde letztendlich durch ein zufälliges Aufeinanderprallen verschiedener Atome. Die Gottheit wird zwar als vorhanden erwähnt, jedoch nicht wie in der Stoa als Schöpfer oder gar Lenker der Erde.
    Ein weiteres Beispiel für den Gegensatz spiegelt das Lebensgefühl und das Lebensziel wieder. So sehen die Epikureer, entgegensetzt zu den Stoiker, die Tugend nicht als Weg und das höchste Gut, die Weisheit, nicht als Ziel, sondern die Lust am Leben als den Weg zu einem seelenruhigen Leben. Hier nutzen sie das Sprichwort Carpe Diem (Nutze den Tag).
    Zuletzt ist der Gegensatz in der Einbindung ihres Wesens in die Gesellschaft zu erkennen. Während die Stoiker die Gemeinschaft sehr hoch schreiben und sich dazu verpflichtet fühlen ihr zu helfen, sind die Epikureer der Überzeugung, dass ein zurückgezogenes, privates Leben nur Vorteile verschafft. Passendes Sprichwort ist hier Lathe biosas. (Lebe im Verborgenen)....
    So hoffe ich, dass ich euch damit den Unterschied verdeutlichen konnte.


    Ihr habt jetzt noch die Möglichkeit Fragen zu stellen, die wir hier diskutieren könnten. Ansonsten sehen wir uns in sechs Tagen wieder hier, dann um den Stoff in einer Prüfung abzufragen.


    Macer war stolz, dass er seinen ersten Cursus hier an der Schola abgeleistet hatte. Er konnte sich selber nicht besonders gut einschätzen, erst bei der Prüfung wird er wohl sehen, wie sein Talent als Lehrer gefruchtet hat.

  • Es meldete sich keiner mehr, sodass Macer davon ausging, dass keine weiteren Fragen waren. So löste er den Unterricht auf...


    Nach sechs Tagen war es dann soweit, nacheinander kamen alle Kursteilnehmer in die Schola, ein paar von ihnen sichtlich nervös. Macer war gespannt, wie sein Unterricht bei ihnen gefruchtet hat.


    Salve. Ich hoffe ihr habt euch alle gut vorbereitet. Ich teile jetzt die Prüfung aus und wer fertig ist, gibt ab und verlässt bitte leise den Raum.


    Damit war alles gesagt, ab jetzt hies es das Gelernte Anzuwenden.




    Sim-Off:

    Fragebogen per PN verschickt. Abgabe ist spätestens der 24.5.2010


  • DER KURS


    cursus praeceptorum stoicorum


    WURDE BESTANDEN VON


    Decimus Annaeus Varus
    Titus Duccius Vala
    Iullus Quintilius Sermo
    Lucius Flavius Furianus
    Decima Seiana


    EINE AUSZEICHNUNG ERHALTEN



    Lucius Flavius Furianus
    Decima Seiana



    Faustus Octavius Macer, MAGISTER PHILOSOPHIAE


    ANTE DIEM IV NON IUN DCCCLX A.U.C. (2.6.2010/107 n.Chr.)


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