Auch Seiana wurde sehr bald still und stellte keine Fragen mehr. Der Kurs war sehr interessant, aber es war recht viel in sehr kurzer Zeit, und so beschränkte sie sich darauf, zuzuhören und sich gelegentlich Notizen zu machen. Die Arbeitsatmosphäre selbst schien eine ziemlich konzentrierte zu sein, in jedem Fall gab es auch sonst keinen, der einen Kommentar zum Vortrag gemacht hätte, und auch sonst gab es niemanden, der ein Gespräch angefangen hätte.
Als es dann um Seneca ging, sah Seiana wieder auf. „Was ich nicht verstehe: Warum hat Seneca diesen Reichtum überhaupt angehäuft? Ich meine, du sagst er ist daran gescheitert, dass sich die stoische Lehre nicht mit einer politischen Arbeit vereinbaren ließe, aber musste er sich nicht deshalb zurückziehen, weil die Menschen ihn nicht mehr für glaubwürdig hielten?“ Seneca war vor wenig mehr als 40 Jahren gestorben, und natürlich sprachen die Menschen immer noch über einen Mann wie ihn. Aber so sehr Seiana seine Haltung, seine Lebensart nach der Stoa faszinierte, das war ein Punkt, den sie nicht nachvollziehen konnte. „Er hat doch selbst gesagt, ein Weiser müsse fähig sein, auf Reichtum zu verzichten. Warum ist er in diesem Fall nicht mit gutem Beispiel vorangegangen?“