Der Geruch von Pergament hatte schon immer etwas anziehendes gehabt. Seitdem sich die Geheimnisse der Schriftzeichen der Hibernierin vor vielen Jahren offenbart hatten, war aus ihr eine begeisterte Leserin geworden. Früher war sie oft in der Bibliothek gewesen und hatte geschmökert. Einige der hier gelagerten Schriftrollen hatte sie verschlungen und dabei vieles, für sie bis dahin unbekanntes, gelernt. Doch damit war vor sechs Jahren Schluss gewesen, als sie die Freiheit wieder erlangt hatte und sie mit ihrem Kind weggezogen war. Wenn man auf sich allein gestellt war und für sein eigenes Auskommen sorgen musste, blieb wenig Zeit zum Lesen. Zumal sie auch nicht das nötige Geld dazu gehabt hätte, sich Bücher zu kaufen.
Aber das Leben aber änderte sich immerfort. Bridhe war zurückgekehrt. Nicht mehr als Sklavin! Die Freigelassene war jetzt Pisos Scriba personalis und als solches genoss sie auch wieder den Zugang zur flavischen Bibliothek mit all ihren Schatzen, die ihr einst Lieb und Teuer waren.
Im Grunde war ihr Auftrag ganz einfach gewesen. Piso hatte ihr eine Liste mit diversen Titeln in die Hand gedrückt. Ungefähr zehn Schriftrollen sollte sie herbei holen. Darunter war nichts, was Bridhes Interesse erregt hätte. Beinahe schon gelangweilt zog sie die entsprechenden Rollen aus den Regalen, bis sie auch den letzten gewünschten Text gefunden hatte. Doch wenn sie schon einmal hier war, konnte sie doch auch für sich etwas mitnehmen, was ihr später am Abend etwas Zerstreuung schenken konnte. Da fiel ihr jener Strabo wieder ein, von dem Serapio vor einigen Wochen gesprochen hatte, nachdem er sie aus dem Tiber gefischt hatte. Bridhe wollte nun selbst lesen, was dieser griechische Schreiberling über ihr Volk geschrieben hatte. Nach einigem Suchen fand sie schließlich die entsprechende Schriftrolle.
Voll beladen mit den Pergamentrollen verließ sie wieder die Bibliothek und machte sich auf den Weg zu Pisos officium. Aufgrund der Menge der Schriftrollen in ihren Armen war ihr Blickwinkel sehr eingeschränkt. Dadurch hatte sie einige Mühe, vorauszuschauen. Sie hoffte einfach auf die Vernunft der ihr entgegenkommenden Personen, damit diese auf sie Rücksicht nehmen würden.
Sie hatte noch die Umrisse einer ihr entgegenkommenden Gestalt wahrgenommen. Sie wollte auch noch zur Vorsicht mahnen. Doch dafür war es zu spät, als sie mit jemandem zusammen prallte. Bridhe ließ vor Schreck alle Rollen fallen. Aber es kam noch viel schlimmer, als sie erst entdeckte, mit wem sie kollidiert war. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Die unguten Gefühle von damals waren wieder da, als wäre es erst gestern gewesen, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war.
Reserviert!