Arbeitszimmer | Sank auf die Lider mir Nacht - auf ewig mag sie dort verweilen

  • Ein Augenblick träger Müdigkeit bahnte sich aus seinem Innersten den Weg empor und Gracchus gestattete sich ob seines Alleinseins ein ausgiebiges, wenn auch gleichsam dem seinem Leben lang eingeprägten Anstand folgend hinter einer Hand verborgenes Gähnen - in den zurückliegenden Nächten hatte er wenig geschlafen, zumindest wähnte er dies, denn die Gedanken an Faustus Serapio hatten ihn stets lange wach gehalten, so sehr er auch danach sich hatte gesehnt, in den Traumreichen zu versinken, um dort der ägyptischen Sonne gleich über den makedonischen Helden zu kommen, in glutvoller Ekstase sich mit ihm zu vereinigen. Ohnehin sehnte er sich mehr und mehr nach den Reichen des Morpheus, schien doch im Geleit der Nacht die Zeit viel schneller zu verrinnen denn am Tage, welcher viel zu langsam, viel zu träge und in unendlich langen Abschnitten nur dem Augenblicke sich näherte, welcher ihn würde mit Faustus Hephaistion wieder zusammen bringen. Als würde der Sklave in seinen Gedankengängen spionieren - bisweilen war Gracchus wahrhaftig davon überzeugt, dass er dies tat, obgleich sich dessen bewusst, dass dies eigentlich unmöglich war, doch war nicht andererseits der Sklave Instrument des Herrn, war nicht jenes Instrument perfekt, welches ohne ein Wort, ohne eine Geste der Kommunikation in geradezu symbiotischer Art und Weise die gedanklichen Wünsche in die Welt hinaus zu tragen und umzusetzen, die Sehnsüchte zu erfüllen vermochte? -, trat Sciurus ohne zu klopfen ein und hob ein Schriftstück empor. "Eine Nachricht von Centurio Decimus Serapio, Herr." Unweigerlich war jede Müdigkeit aus Gracchus' Sinnen, welcher begierig darauf war, die Worte zu vernehmen, jene Worte welche unbezweifelt würden verkünden, dass auch Hephaistion die Wartefrist zu lange, zu trist erschien, dass ein oder zwei oder gar drei Tage vor dem determinierten Termin doch ein weitaus pläsierlicherer Zeitpunkt für eine neuerliche Zusammenkunft war. Erwartungsvoll ließ Gracchus ab von den Schriftrollen in dem Regalfach vor ihm, deren Plaketten er gedankenverloren nach einem bestimmten Text hatte abgesucht, lehnte sich mit dem Rücken an das kantige Holz und forderte den Sklaven auf:
    "Lies!"
    Lohend wehten die flackernden Flammen hinter Gracchus' Augen, ließen sie erglühen in freudiger Euphorie, argloser Tor, der sich im Liebesglücke über Sonnenstrahlen wandeln sah. Die Zeilen des Ersehnten indes bargen nur kalte Schauer, eisige Fluten, die Feuer zu löschen mit jedem Wort, bis dass jegliches Glühen, bis dass auch der letzte Funke erstarb. Kalt, so bitterkalt die Worte, so quälend bitter kalt. Er wollte gefrieren zu einem eisernen Block, wollte als dieser zerschellen am Grunde der Endlosigkeit, doch noch ließ sein Gewissen nicht ab von ihm. "Warte, Herr, etwas ist merkwürdig an der Schrift. Durch ... Wärme ... an's Licht." Skeptisch hob der Sklave das Papyrus an seine Nase und schnüffelte daran, nickte schlussendlich, während sein Herr noch in Zwiespalt war darüber, ob der kalten Art und Weise dieser Abfuhr dem flavischen Wahne nachzugeben und Faustus ewigliche Rache zu schwören, oder aber in die tiefste Schlucht des Selbstmitleides sich zu stürzen, da er solch ein einfältiger Narr gewesen war. Wie nur hatte er so blind sein können, die kaltherzige Erbarmungslosigkeit seines Gegenübers nicht zu erkennen, der augenscheinlich weit weniger von glühender Leidenschaft war erfüllt gewesen als angenommen, der augenscheinlich nur aus war gewesen auf ein kurzweiliges Amüsement, ein unverbindliche Liaison, die jederzeit zu beenden war? Ohne Gracchus einzuweihen in seine Überlegungen, welche diesen ohnehin nicht interessierten, trat Sciurus an eine Öllampe heran - ein bronzener Adler mit eingelegten Augen aus türkisfarbenem Edelstein, aus dessen Brust eine vorgezogene Öffnung den Docht hielt - und entzündete sie, auf dass sie Wärme gab, hielt vorsichtig das papyrene Blatt davor, bis dass die klandestine Schrift darauf wurde sichtbar. "Es sind weitere Worte darauf geschrieben, die durch Wärme an's Licht gelangen." Verständnislos - solcherlei geheime Prozeduren lagen fernab seiner Kenntnisse, darob es ein Glück für ihn war, dass nicht er selbst, sondern sein in solchen Dingen überaus kundiger Sklave die Nachricht hatte gelesen - blickte Gracchus zu Sciurus hin, die Stirne gerunzelt, während der Sklave bereits ansetzte, den geheimen Text zu lesen.
    'Mi anime ...'
    , hallte es laut wider hinter Gracchus' Stirne,
    '... will Feuer von Deinem Feuer sein ...'
    Kein Narr war er gewesen, kein liebestrunkener Träumer, jedes Wort, jede Berührung war Funke ihrer flammenden Glut gewesen - und doch bargen die innigen, sehnsuchtsvollen Worte keine Leichtigkeit, legten sich nurmehr enger noch um seine Brust. Aegypten - welch Hohn der Parzen! Hephaistion würde wandeln unter der sengenden Sonne Aegyptens, während Aton fern von ihm einsam im Mare Tyrrhenum verblasste.

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  • "Nein ..."
    , drang endlich die Negation des Gehörten zuerst nur einem Flüstern gleich über Gracchus' Lippen, wie die Erkenntnis ihm in seine Gedanken tropfte.
    "Nein ... das kann nicht ... kann nicht ..."
    Es konnte. Es war.
    "Nein!"
    In einem Aufbrausen innerer Wut, lohenden Zornes - über die Welt, die Ungerechtigkeit, den Fluch, die vertane Chance, letztlich über sich selbst und nur gegen sich selbst - fuhr Gracchus herum und seine Hand fegte über den Regalboden vor ihm und die dort befindliche kleine, in griechischem Stil bemalte, tönerne Vase in einer harschen Bewegung aus der Sicherheit des Möbelstückes, dass die Spur der Translokation einige Augenblicke durch die Luft sie zog, hernach doch unweigerlich sie zu Boden sauste, in einem dumpfen Splittern zerbarst in mehrere Teile, welche unbeachtet in diesem Moment Gracchus' Gemüt spiegelten, der seine Finger fest um den hölzernen Regalboden krallte, dass die blutführenden Adern leicht aus der Haut an den Handrücken hervortraten, seine Stirn hart gegen die Kante presste, im klandestinen, traumwandlerischen Bemühen seinen Kopf zweizuteilen, den Schmerz in seinem Herzen, in seiner Seele von seinem bewussten Geiste abzutrennen. Doch obgleich Dickköpfigkeit nicht zu Gracchus' primären Schwächen zählte, so war sein Haupt doch zu robust, sich einfach zerteilen zulassen, trieb der Schmerz, der innere wie äußere, nur sukzessive feuchte Tropfen zwischen seinen Lidern hindurch. War es zuerst, mit den sichtbaren Zeilen, ein eisiger oceanos gewesen, welcher seine Glut hatte ausgelöscht, so blieb letztlich, nach den klandestinen, nur für ihn bestimmten Worten nurmehr Absenz - die Absenz der Kohle, des Holzes, des Brennstoffes seiner Flammen, welche ihn nährten und die er verzehrte - und weitaus schlimmer riss dieses Loch wahrhaftiger Wonne sich in seine Brust als die Auslöschung eines vernarrten Funkens. Hatte er sich bisherig einzureden versucht, dass dies alles nur eine Möglichkeit mit unbestimmtem Ausgang war gewesen, eine flammende Leidenschaft unbezweifelt, doch nur eine Leidenschaft, so wurde in diesen Augenblicken ihm bewusst, dass es bereits mehr gewesen war, viel mehr - dass er sich längst darin hatte verloren, dass er bereits sein Korrelat glaubte gefunden zu haben, dass er bereit gewesen war bedingungslos zu sein - was gleichsam nicht die Publizität mit einschloss, gehörte diese doch gegenteilig vielmehr zur Maskerade denn zur Bedingungslosigkeit. Und war es die Vehemenz, die ausufernde Dynamik gewesen, welche diese Relation hatte bestimmt, so war ihr Ende mit gleichsam ebenso urgenter Gewalt über sie hereingebrochen - so war sein Fluch mit drakonischer Härte über sie gekommen. Er hatte geglaubt mit Geburt seines Sohnes dem Fluch endlich entronnen zu sein - wie sonst hätte dies Glück bereits derart lange währen können? - doch allfällig warteten die daimones nur auf jenen Augenblick, da der Verlust ihn am meisten würde schmerzen, denn nichts hatte sich geändert, nichts - und Antonias Glück war es nur, dass er nicht sie bedingungslos konnte lieben, dass nicht all sein Geist, all sein Leib und seine Seele sich nach ihr verzehrten, und wohl war es Faustus' Glück, dass das Schicksal ihn begünstigte, dass Fortuna ihn liebte - so dass er nur Gracchus war entrissen worden doch nicht dem Leben. An der senkrechten Strebe des Regales glitt Gracchus' Schulter entlang als sein Leib zitternd in sich zusammen sank, als nichts blieb denn ein fahles Häufchen Mensch. Vorsichtig trat Sciurus zu seinem Herrn, legte behutsam eine Hand auf dessen Schulter, doch Gracchus zuckte nur zurück, barg sein Gesicht, auf dessen Stirne sich die Kante des Holzes hatte abgezeichnet, noch tiefer zwischen den Knien.
    "Geh ..."
    Es war nicht an dem Sklaven, sich den Worten seines Herrn zu widersetzen, dass er leise aufstand und das Zimmer verließ, davor indes sich positionierte, dass niemand seinen Herrn würde stören, wiewohl er jederzeit wäre anwesend, so er nach ihm verlangte. Als hätte Sciurus die Welt mit sich hinfort genommen, zog in das Innere des Cubiculums eine Leere ein, wie sie absoluter nicht konnte sein, eine Absenz von Leben, eine Absenz von Schmerz, Absenz von Emotion und Sein, nurmehr Stille, Leere, Nichtigkeit. Kein Gedanke noch streifte durch Gracchus' Sinne, kein Gefühl zog seinen Leib zusammen, leer starrte der verwässerte Blick auf die Furchen des Bodens - von dem Feuer in seinem Inneren war keine Spur geblieben, nicht einmal mehr Asche, und selbst sein Gedankengebäude war fort, als hätte ein mundus unter ihm sich aufgetan und alles gierig in sich verschlungen. Manius Flavius Gracchus wollte nicht mehr sein, löschte jede Erinnerung an sich selbst aus der Welt, verwischte alle Spuren und löste sich auf.

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  • Deplorablerweise hatte die Welt noch nie sich danach gerichtet, was Gracchus in seinen Sinnen sich hatte erträumt, was er selbst für sein Leben hatte bestimmt, so dass auch diesmalig er nicht vom Angesicht der Erde verschwand, dass irgendwann er sich musste der Realität stellen als sein Sklave Stunden später das Häufchen Leib erneut berührte und somit zweifellos bewies, dass er nicht zu Nichts sich hatte aufgelöst, obschon die Zeit ihn tatsächlich vergessen zu haben schien, konnte Gracchus sich doch nicht ihres Vergehens während dieser Stunden entsinnen, wiewohl er sich selbst hatte vergessen, denn auch seine eigene Existenz währenddessen war ihm nicht mehr präsent. "Herr, es ist Zeit, aufzustehen und nach vorne zu blicken. Denke an deinen Sohn, Herr, er wird dich beim Abendessen erwarten."
    "Hmm"
    , drang ein unwilliges, heiseres Brummen aus Gracchus' Kehle, wiewohl er langsam seinen Kopf hob, blinzelnd in die vom Licht einer Öllampe goldfarben illuminierte Szenerie des Zimmers blickte, an den Scherben der zerstörten Vase mit seiner Aufmerksamkeit hängen blieb.
    "Sie war aus Achaia, kein teures Stück, im Rausch der Sinne erstanden, und doch eine Kostbar..keit, denn es war während eines denkwürdigen Abends gewesen, da Marcus in seiner vorbildli'hen Heiterkeit seine halbreifen Vettern Caius und Manius in die endlose Welt der Sinnli'hkeit hatte eingeführt."
    Ein subliminales Lächeln stahl sich auf seine Lippen in Gedenken dieses unvergessenen Abends, welcher kaum mehr zur Hälfte ihm war präsent und welcher doch - allfällig gerade ob dessen - so erinnerungswert war, wiewohl er seine Hand streckte, eine der Scherben zu ergreifen, dabei indes bemerkte, dass sein Leib ob der kauernden Haltung gänzlich verspannt und steif war, die Hand wieder sinken ließ.
    "Manche Dinge braucht nicht einmal der bittere Hauch dieses elen..digen Fluches zu zerstören, denn was er nicht angreift, weiß ich gar treffli'h selbst zu zerschlagen. Wohl ist es besser, wenn der Junge nicht auf mich wartet, wenn sein Vater ihm einerlei ist wie mir der Sohn, dass das Ver..derben mit seinen ätzenden Pranken ablässt von ihm, dass meine Liebe nicht ihn zer..stört wie weiland so viele."
    "Es war doch nur ein Abend, Herr, du wirst ein anderes Vergnügen finden", suchte Sciurus seinen Herrn abzulenken von trüben Gedanken, doch jener fuhr ihn barsch an und nur der misslichen Lage, in welcher sein Leib sich befand, war es geschuldet, dass er den Sklaven nicht schlug.
    "Schweig! Was weißt du schon von Ver..gnügen und Liebe, was von Fatum und Fluch!? Ni'hts weißt du von wonnigem Froh..sinn, nichts von haltlosem Taumel der Sinne, nichts weißt du von aleatorischen Be..gebenheiten, nichts von der Energie obskurer Macht!"
    Müde schloss Gracchus die Augen und lehnte seinen Kopf an das Holz hinter sich, seine Worte beinahe flüsternd.
    "Du lebst nur, weil dein Leben kein menschli'hes ist. Du lebst nur, weil du unfähig bist, meine Zuneigung zu er..widern."
    Er öffnete wieder die Augen und blickte zu Sciurus empor, welcher seinen Blick ausdruckslos entgegnete.
    "Irgendeiner der Götter muss mich noch lieben, dass er mir dich zum Geschenk machte, ein boden..loses Gefäß für meine Narreteien, unzerstörbar durch diesen Flu'h."

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  • Unerreichbar war der Sklave auch nur für die kleinste emotionale Regung, starrte Gracchus an gleich einer Statue aus Marmor, dass schlussendlich jener den Kopf schüttelte und seine Hand ihm entgegen streckte.
    "Hilf mir auf."
    So geheißen tat dies der Sklave. "Willst du ihm schreiben? Nun ist er ohnehin aus der Reichweite dieses Fluches." Obgleich er nicht die düstersten Tuche von Gracchus' Seele konnte nehmen, so wusste Sciurus doch zumeist dem gequälten Geiste ein wenig Linderung zu schaffen, ganz ohne dass dieser dies realisierte. Gracchus jedoch seufzte nur, bewegte seine Schultern ein wenig, die Verspannung darin zu lösen, hatte trotz des Verlustes seiner Seele nicht gänzlich seinen Verstand eingebüßt.
    "Es ist unmöglich. Die kaiserli'he Post verzeichnet jede Nachricht penibelst mit Datum, Absender, Ziel und Empfänger. Irgendeinem dieser pe..dantischen Beamten wird es ins Auge fallen, wenn ein Senator in Rom und ein Centurio der aegyptischen Legion auffallend häufig miteinander korres..pondieren, zumal nichts mich mit Faustus Serapio verbindet, nicht einmal mit der Gens Decima. Wenn nicht soglei'h eine Untersuchung ob dieses Umstandes würde angesetzt, würden dem zweifellos Gerüchte folgen über eine Verschwörung oder eine Liaison - und beides ist nichts, was ich Faustus, noch meiner Familie möchte zumuten."
    "Diktiere du deine Briefe, Herr, und lass die Sorge der Überbringung die meine sein. Niemand wird von dieser Korrespondenz erfahren."
    Ein wenig skeptisch blickte Gracchus den Sklaven an, indes bereits beinahe überzeugt, denn so sein Sklave dies behauptete, hatte er kaum nur Zweifel daran.
    "Nun ... dann womöglich, doch nicht heute. Heute würde ich nur schmerzli'he Worte finden, welche doch ihm nicht könnten gereichen."
    Ein schmales Lächeln legte sich um Gracchus' Lippen bei dem Gedanken an seinen Hephaistion, einem winzigen Hoffnungsschimmer gleich - was war ein Meer schon für die Strahlen der Sonne, was ein Oceanos für das Feuer der Leidenschaft?

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