Regnum obscurum | Sängerknaben

  • | Sciurus


    Es blieb Sciurus nicht sonderlich viel Zeit. Zwar schlief sein Herr bereits, doch konnte er jederzeit durch einen Albtraum geweckt werden, woraufhin er stets seinen Sklaven erwartete. Dieser konnte in einem solchen Fall nur hoffen, dass Gracchus nicht allzu weit erwachen und seine Absenz gleichfalls den Träumen zuschreiben würde. Den Weg hinab in die Welt unter Rom kannte der Sklave nur allzu gut, obgleich er in der letzten Zeit nur selten seinen Weg dort hinab fand - zu fordernd war sein Herr geworden, ließ ihn kaum noch aus seiner Nähe aus der Furcht heraus, irgendwer würde sonstig bemerken können, dass bereits ein Brief zu lesen ihm zu viel Mühe abrang. Sciurus war es einerlei, er hatte seine Aktivitäten umorganisieren müssen, doch die noch größere Nähe zu seinem Herrn bot ihm ebenfalls neue Möglichkeiten.


    In dieser Nacht jedoch musste er einen Gefallen einlösen bei dem gefiederten König dieses dunklen Reiches, wiewohl er persönlich mit ihm sprechen wollte, denn je weniger Ohren sein Anliegen hörten, desto weniger Zungen würden es ausplaudern können. Ohne Acht auf den beißenden Gestank suchte Sciurus seinen Weg durch die Kanalisation, folgte den Spuren der verlorenen Seelen, die hier hausten, trat schlussendlich durch geheime Türen und wurde nach einem Klopfen und der Musterung eines breitschultrigen, grobschlächtigen Hünen eingelassen in das Reich des Mannes mit der Vogelmaske.


    "Welch seltener Besuch! Ich fühle mich geehrt!" setzte der Vogelmann in seinem säuselnden Singsang an, als der Sklave vor ihn trat.
    "Ich habe nicht viel Zeit."
    "Nie! Nie hast du viel Zeit für deine Freunde!", fiel er Sciurus ins Wort.
    "Ich habe keine Freunde."
    "Ach, du lässt mein kaltes Herz bluten! Aber wohl, daran wird es liegen!" Das breite Grinsen unter der Maske war nicht zu übersehen und der Schalk zog sich bis in die Augen des Vogelmannes. Der Sklave gestattete sich eine marginale Erwiderung, so winzig, dass sie kaum auf seinen Lippen zu sehen war. "Vielen Dank übrigens für die kleine Aufmerksamkeit letzten Monat. Es gefällt mir wirklich gut, dass du schon so lange in deinem Kobel ausharrst. Aber ich will deine Zeit nicht unnötig stehlen - nach was also steht dir der Sinn?"
    "Ich brauche einen schweigsamen Läufer für Cleopatra."
    Der Mann mit der Maske schürzte die Lippen und sog die Luft ein. "Uh, Cleopatra, die gefahrvolle Schöne. Wann?"
    "Bald, mehrmals und mit viel Geduld."
    "Ist es der Beginn eines Triumphzuges oder ein Gladiatorenspiel?"
    "Nur ein Theaterstück."
    "Ah, nun gut, ich habe genau den richtigen Mann für dich." Der Vogelmann wollte die Hand heben, einen seiner Lakeien heranzuwinken, doch diesmalig fiel Sciurus ihm ins Wort.
    "Das ist nicht nötig. In Rom wird sein Unterschlupf hier sein. Habe ich ein Lied, schicke ich einen Läufer, hat er eine Antwort, wirst du einen Läufer senden. Bei Cleopatra auf die gleiche Weise - kennst du ein Nest?"
    Die Maske legte sich ein wenig schief, dann nickte der Kopf dahinter. "Die lachende Hyäne im Sumpf."
    "Gut, dort soll er jeweils so lange warten bis der Sänger singt, selbst oder durch einen anderen. Sein Hochzeitsgeschenk erhält er von dir, und nur von dir. Ich werde dir die Imperialen im Voraus zukommen lassen und die Augmenta hinzufügen."
    "Sehr schön. Es freut mich doch immer, mit dir Geschäfte zu machen, insbesondere solange deinem Herrn nicht sein Vermögen ausgeht. Aber dafür wirst du schon sorgen, nicht wahr?"
    "Treu bis in den Tod." Erneut stahl sich der Anflug eines minimalen Schmunzelns auf Sciurus' Lippen, welches durch ein lautes Lachen des Vogelmannes erwidert wurde.
    "Dann überbringe ihm meinen Kuss, kleines Eichhörnchen."
    Sciurus verbeugte sich übertrieben und wandte sich sodann grußlos um, den unterirdischen Palast wieder zu verlassen, nach Hause zu seinem Herrn, welcher selig schlief und nichts ahnte von den Bemühungen seines Sklaven.



    edit: einen historischen Fauxpas eliminiert und den Kojoten in eine Hyäne transformiert.



    VILICUS - MANIUS FLAVIUS GRACCHUS

  • Der Vogelmann rief Baalberith zu sich, und Baalberith kam.
    "Baalberith, mein Freund, tritt näher!" Ohne Vorwarnung warf er ihm einen einfachen, braunen Lederbeutel zu. Baalberith fing den Beutel auf. "Eine Umlage für den Lauf und deine Anzahlung. Du wirst hier auf dein Lied warten und es zu Cleopatra bringen. Gleiches Spiel dort. Der Großteil deiner Arbeit wird also Geduld sein, hier, in der Schüssel, bei Cleopatra. Es gelten die Spielregeln des Theaters. Und kein Wort zu niemandem." Der Mann mit der Maske lachte laut über seinen eigenen Scherz. Baalberith sprach nicht. Baalberith sprach nie. Auch an diesem Tag nicht. Er drehte sich um und ging, um zu warten.

  • Baalberith hatte gewartet. Er hatte gewürfelt. Allein. Als der Vogelmann ihm die Botschaft samt detaillierter Instruktionen bringen ließ, machte er sich auf den Weg. Er brauchte nicht packen. Er brauchte nichts.
    Als er das dunkle Reich verließ war es Nacht. Bis zum Morgen würde er in Ostia sein, bis zum Mittag auf See.

  • In Alexandria im Sommer herrschte trockene Hitze. Auf dem Mare internum im Sommer ein lauer Wind. In Rom im Sommer staute sich schwüle Luft. Doch unter Rom war es kühl. Beinahe wie im Winter. Und Dunkel. Wie in ewiger Nacht.


    Baalberith brauchte kein Licht. Er kannte das unterirdische Labyrinth wie sein Zuhause. Es war sein Zuhause. Zielsicher lenkten ihn seine Schritte bis in die Höhle des Königs. Dort übergab er Cleopatras Lied. Sein Auftrag war damit beendet. Bis zur nächsten Nachricht nach Aegyptus.


    Ein anderer Bote des Vogelmannes brach auf. Er brachte den Brief bis zur Villa Flavia.

  • Baalberith hatte gewartet. Viele Tage. Es störte ihn nicht. Er wurde für's Warten bezahlt. Er aß. Er trank. Er schlief. Er würfelte. Er vergnügte sich in den Bordellen. Er ging in die Thermen. Er ging zu den Wagenrennen. Er fühlte sich beinah wie ein Römer. Und war doch nur ein Schatten.


    Als das neue Lied durch die Gewölbe hallte war er bereit. Er hatte kein Gepäck. Er hatte nur ein Ziel. In Rom war es noch dunkel wie unter Rom als er aufbrauch. Als die Sonne hoch am Himmel stand hatte er Italia bereits verlassen.

  • Rom erwachte langsam aus dem Winterschlaf. Doch unter Rom gab es keine Jahreszeiten. Die Natur hatte dort ihren eigenen Rhythmus. Wie auch die Bewohner. Baalberith kehrte zurück in die Dunkelheit. Und vermisste Alexandria. Er flüchtete sich in Wein und Würfelspiel. Nachdem er die Nachricht abgegeben hatte. Sie würde ohne ihn das letzte Stück ihres Wegs finden. Er kannte den Empfänger sowieso nicht.

  • Es war beinahe dunkel, als Sciurus sich durch die Straßen Roms schlängelte. Zwischen Handwerkern, die von ihrem Tagwerk nach Hause zurückkehrten, Müßiggängern, die immer unterwegs waren, und ehrbaren Männern, die sich auf den Weg machten ihre hart erarbeiteten Sesterzen unter ebenso ehrbaren Lupae zu verteilen, eilte er durch die Stadtviertel bis nahe zum Circus Maximus. Dort verschwand er in einem unscheinbaren Haus, von dessen Keller aus er in die Gefilde des unterirdischen Reiches eindrang. So sicher als würde er durch die Gänge der Villa Flavia wandeln durchquerte er die dunklen Tunnel und folgte den Spuren, die ihn zur derzeitigen Bleibe des Mannes mit der Vogelmaske führten. Es war nicht viel, was er zu übergeben hatte, doch wenig später war auch diese Nachricht seines Herrn auf dem Weg in das ferne Aegypten, und der Sklave auf dem Weg zurück zur Villa Flavia.

  • Baalberith hatte gewartet. Er hatte nicht nur gewartet. Er hatte auch andere Aufgaben erledigt. Die der Vogelmann ihm aufgetragen hatte. Aber trotzdem war er jederzeit bereit. Zu einer weiteren Reise nach Alexandria. Das Pergament steckte in einer Lederhülle. Diese trug er unter der Tunika. Baalberith hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Darum reiste er noch in der Nacht ab. Erst Richtung Ostia. Von dort aus über's Meer.

  • Die Winden standen günstig. Die See war ruhig. So dass auch die Überfahrt von Alexandria ruhig verlief. In Rom war es angenehm kühl. Verglichen mit der drückenden Hitze in Aegyptus. Baalberith übergab die Nachricht an die Männer des Vogelmannes. Diese würden sie weiter zu ihrem Ziel bringen.

  • Es dauerte nicht lange. Bis wieder eine Nachricht kam. Es hätte mehr Zeit verstreichen können. Bis zur nächsten Reise. Wäre es nach Baalberith gegangen. Doch nach Baalberith ging es nie. Also brach er auf. Zurück nach Alexandria. Beinahe schien es im als würde er dort schon mehr Zeit verbringen als in Rom. Und wer wusste es schon, vielleicht würde er sich irgendwann tatsächlich dort niederlassen. Wenn er genug Geld verdient hatte. Oder wenn es keine Antwort mehr von Cleopatra gab.

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