Seiana ließ langsam das Stück Papyrus sinken, das sie in den Händen hielt. Ihre Augen waren geschlossen, aber nicht um den Schein der Frühlingssonne zu genießen, wie es für Vorübergehende den Anschein haben konnte. Wer genauer hinsah, mochte den harten Zug um ihre Mundwinkel entdecken. Umso mehr allerdings machte Decima Seiana von sich reden. Sie hatte gewusst, dass diese Aktion von Caius Gerede nach sich ziehen würde. Sie hatte es gewusst. Aber sie hatte nicht gedacht, dass es sogar in der Acta verewigt sein würde. Sie fragte sich, ob das der Grund war, warum sie diesen Artikel nicht vorab bekommen hatte zum Korrektur lesen. Nicht, dass es wirklich eine Rolle spielte – sie hätte daran kaum etwas geändert. Wie hätte das dann ausgesehen, allein schon in der Redaktion? Oder hätte sie? Ihre Finger schlossen sich unwillkürlich ein wenig. Wenn sie die Garantie gehabt hätte, dass es keiner erfahren würde, hätte sie es getan. Sie hätte den Artikel gänzlich verschwinden lassen, außer den Teil über Faustus. Aber irgendwer hatte diesen Artikel geschrieben, er war eingereicht worden, irgendwer in der Redaktion hatte ihn entgegen genommen und gelesen und weiter gereicht… Und wenn herausgekommen wäre, dass ein Artikel völlig unter den Tisch fiel, wenn herausgekommen wäre, dass sie dafür verantwortlich war, hätte das vermutlich für noch mehr negatives Aufsehen gesorgt. Für sie und ihre Familie. Und das einzige, was sie tun konnten gegen das negative Bild, das gerade die Runde machte über ihre Familie, war: das Gegenteil zu beweisen. Livianus war nun als Legat berufen. Faustus ging ohnehin seinen Weg, Mattiacus und Magnus genauso. Dennoch wünschte sich ein Teil von ihr, Meridius möge zurückkehren aus Spanien. Aber nach dem tragischen Verlust, den er nun erlitten hatte, schien es nur noch unwahrscheinlicher zu werden, dass sein Weg ihn wieder nach Rom führen würde.
Der Zug um ihre Mundwinkel verhärtete sich noch etwas und gewann für einen Augenblick an Bitterkeit. Wenn sie selbst Auctrix war… wenn sich der Senat tatsächlich für sie entschied… würde sie auch nicht mehr tun können. Und es gab auch nichts, was sie tun konnte wegen dieser elendigen Brotgeschichte, die nun noch festgeschrieben war, sichtbar für alle, die es noch nicht mitbekommen hatten. Aber wenigstens schien Piso Erfolg gehabt zu haben. In jedem Fall war es ruhig, bisher. Das Eis in ihr knisterte, flüsterte beinahe zärtlich, als sich Splitter bewegten bei dem Gedanken an ihr Scheitern. Und an die Hilflosigkeit, die sie dabei empfunden hatte. Sie flüchtete sich regelrecht in die Kälte, die den Schmerz und die Scham betäubte und nur noch verletzten Stolz übrig ließ. Und mit diesem konnte sie umgehen. Dieser führte nicht dazu, dass sie sich noch kleiner fühlte… er brachte sie eher dazu, sich wieder aufzurichten. Eisklotz, hatte er sie genannt. Schneekönigin. Er hatte keine Ahnung von ihr gehabt. Er hatte sie nie gekannt, nie wirklich… Ihre Augen öffneten sich wieder, und ihr Blick fiel auf die letzten Worte des Artikels. Gerade wo sich mindestens eine heiratswillige Dame unter den Decimern befindet. Jetzt hoben sich ihre Mundwinkel in einem hauchfeinen, zynischen Lächeln. Es war schade. Um ihr Ansehen war es schade. Um die Jahre war es schade, die sie damit vergeudet hatte, die sie mit ihm vergeudet hatte. Sie konnte nicht leugnen, dass es auch sein Gutes gehabt hatte, die Zeit in Alexandria, aber die Verhältnisse in Rom waren nun einmal wie sie waren. Sie hätte schon längst verheiratet sein sollen. Vor allem aber war es, jedenfalls redete sie sich das in diesem Augenblick ein, um die Verbindung zum Kaiserhaus schade.
Wer mag?