[Theatrum Marcelli] Ein Theaterabend zu viert

  • Keine Frage. Prisca hatte gerade ihre Fassung verloren (noch dazu in aller Öffentlichkeit) und darüber war sie gar nicht glücklich - noch dazu - da Nigrina und Piso dies zweifellos mit bekommen hatten. Die Beherrschung zu verlieren war immer ein Zeichen von Schwäche, besonders für eine Adelige, aber es war durchaus menschlich. Und niemand könnte schließlich von sich behaupten unfehlbar zu sein, wenn er denn ehrlich wäre. Auch keine junge Patrizierin von fast zwanzig Jahren - wie Prisca eine war - konnte dies behaupten, außer, sie wäre eine gefühllose tote Puppe. Aber das war sie nicht. Sie war eine heißblütige Aurelia und deren Temperament ging bekanntlich manchmal mit ihnen durch, so wie in diesem Fall. Ihr lieber Cousin hatte nun mal einen ganz empfindlichen Nerv bei Prisca getroffen, da sie davon ausgegangen war, er hätte ihre Abmachung eindeutig richtig verstanden. Er sollte gefälligst wegsehen und weghören. Aber nein, Lupus musste ihr den schönsten Moment in ihrem Leben zunichte machen. Und dann dieser Erpressungsversuch vorhin, von wegen: "er sähe sich ungern dazu gezwungen Corvinus davon zu berichten"? Ich soll ihn benutzt haben? Hatte sie ihm nicht deutlich genug zu verstehen gegeben, weswegen er sie heute begleiten sollte? Sein Problem, wenn er das nicht begriffen hat!, blieb Prisca stur auf ihrem Standpunkt.


    Gut möglich, dass ihr in dieser Hinsicht der Weitblick fehlte. Allerdings konnte und wollte Prisca es nicht akzeptieren, dass Gefühle wie die Liebe, gerade in Bezug auf die Eheschließung absolut keine Rolle spielen durfte. Nur die Traditionen und die politische Interessen der Familien sollten zählen? Pah! Am liebsten hätte sie Lupus weggestoßen, als er ihr im Flüsterton genau dies klar zu machen versuchte und dabei sein falsches Lächeln nicht darüber hinweg täuschen konnte, dass er kaum aus lauter Nächstenliebe gehandelt hätte, wenn er tatsächlich als Fürsprecher für sie und Piso aufgetreten wäre. Ach wirklich? Priscas funkelte ihren Cousin voller Zorn an und sie schnaubte verächtlich, als er sich auch noch erdreistete sie an der Schulter und am Hals zu berühren. Dieses Mal hatten seine Berührungen absolut keinen Reiz und erschwerend hinzu kam, dass seine Worte durchaus das besagten, was sie im Grunde zutiefst befürchtete. Nämlich, dass die Angelegenheit nur weiter eskalieren könnte, wenn sie jetzt ihren Gefühlen für Piso nachgeben- und mit ihm zusammen sofort zu ihrem Onkel gehen würde.


    Nein soweit hatte selbst Prisca noch den Überblick, dass dies der falsche Weg wäre. Zumal mein Onkel mir verboten hat ihn wieder zusehen Gut, wahrscheinlich würde er es postwendend von ihrem Cousin erfahren, aber das könnte sie ohnehin nicht mehr verhindern. Prisca atmete tief durch und schluckte jedes (falsche Schimpf-) Wort zu viel hinunter, auch wenn es schwer fiel, ehe sie ein ebenso falsches und aufgesetztes Lächeln zeigte. "Vielen Dank lieber Cousin, dass du mir auf diese Weise die Augen geöffnet hast. Endlich sehe ich klarer. Wie dumm ich doch war! " Es zählten nur die politischen und familiären Bande und der Nutzen, den jeder daraus zöge. Um Gefühle ging es nicht- niemals - und so würde auch niemand Verständnis dafür haben, wenn man dadurch so mache Dummheit beging. So wie der Flavier, der sich angemaßt hatte zuerst sie zu fragen und nicht ihren Onkel. Das war zwar keine neue Erkenntnis aber eine umso bitterere für Prisca, gerade weil Piso so sehr liebte. "Nur schade, dass in eurer Welt und in euren Herzen Gefühle, wie die Liebe, keinen Platz haben. Du glaubst ja gar nicht wie schön sich das anfühlt, nicht nur wie ein Vertragsgegenstand gesehen zu werden! … Aber was rede ich da schon wieder für dummes Zeug. … Allerdings wäre es für dich und deine Spartanerbrüder wahrlich einfacher, ihr würdet eure Frauen gleich verschachern wie ein Stück Vieh, anstatt sie zu heiraten und so an euch zu binden. … Wozu eigentlich der ganze Aufwand?" Nur damit wir ein feines Leben haben und euer Geld verprassen können ... Pfff … und um welchen Preis? Selbst euren Sklavinnen schenkt ihr mehr Zeit und Aufmerksamkeit wie uns, erwiderte sie ihm schließlich mit sarkastisch klingender Stimme, wobei sie bei letzterem Ausspruch gar nicht Lupus in Person meinte sondern alle, die so waren und dachten wie er.


    Auf ihre Frage erwartete Prisca nicht wirklich eine Antwort und so wandte sie sich nun mit einem tiefen Seufzer direkt wieder an alle: "Ich fürchte ich habe meinem lieben Cousin gerade sehr unrecht getan. Wie dumm ich doch bin! ... Dabei hat er es nur gut mit mir gemeint. Entschuldigt bitte!", meinte sie so ehrlich wie möglich klingend und mit einem entschuldigenden Lächeln in die Runde. "Ich denke auch, dass derlei Verhandlungen, wenngleich es die ehrenwerte gens Flavia betrifft, nicht überstürzt geführt werden sollten. Von daher wäre mein Onkel sicher nicht besonders erfreut, wenn er heute Abend noch aus dem Bauch heraus eine Entscheidung treffen soll. Warum verabreden wir uns nicht alle zu einem offiziellen Treffen bei uns in der villa Aurelia? Dann können die Männer in Ruhe verhandeln, während wir Frauen uns über unwichtige Dinge unterhalten, ganz so, wie es von uns erwartet wird, nicht wahr? War das diplomatisch genug, oder schwang der Sarkasmus dennoch mit? ...


    Prisca gab sich wirklich alle Mühe jedem der Beteiligten so neutral wie möglich anzusehen, um nichts von ihrer inneren Aufgewühltheit zu verraten. Am schwersten fiel es ihr bei Piso, den sie verliebt, aber auch ein wenig traurig ansah. Sollte dieser eine unbedachte Kuss wirklich derartige Auswirkungen haben, dass sie nicht zueinander finden dürften? Nur das leichte Zucken ihrer Mundwinkel nach oben mochte Piso zeigen, dass sie voll und ganz auf ihn vertraute. Sie liebte ihn und - egal wie es ausgehen würde - zumindest hatte sie bereits eine Entscheidung getroffen.

  • Ja, Piso fühlte sich ganz, ganz sicher, dass er die Situation kontrollierte. Und das wäre ja auch gelacht, dachte er sich selbstgefällig, nachdem er seine Absichten verkündet hatte.
    Vielleicht 5 Sekunden lang. Denn dann trat Lupus auf ihn zu, nachdem er, Pisos Meinung nach, ihn leicht stupide nachgemacht hatte.
    Piso war kein Mann der Gewalt. Das war nicht wegen seiner angeborenen friedfertigen Art, nein, viel eher, weil er haute wie ein Mädchen – Archias hatte ihm das einmal gesagt, und es stimmte ja auch. Und zweitens war Gewalt so... so... es gab keinen anderen Kraftausdruck als unästhetisch! Unästhetisch freilich nicht für den Sieger, viel eher für den Verlierer, der sich am Boden in seinem Blut windend die Zähne aushusten musste. Und Piso war zwangsläufig ein Verlierertyp, wenn es ums Prügeln ging. Diese Gedanken schossen Piso ins Hirn, da es ihm klar wie Kloßbrühe nun schien, dass er verhauen werden würde. Vor allen Zusehern, in der Öffentlichkeit. Er würde nach den Wachen rufen müssen – doch welch Humiliation! Und am Ende verlor er dann auch noch seine Zähne...
    Sein Selbstbewusstsein also verhielt sich, kurz gesagt, wie eine Schweineblase, die man aufgestochen hatte, als er sah, dass sich Lupus nicht mehr länger spielte, sondern ernst machte. Bei den Göttern, was für ein Schlägertyp, schoss es dem Flavier durchs Hirn, der dabei unterließ, dem Gedanken zu schenken, was denn gewesen wäre, wäre er in Lupus‘ Schuhen gesteckt.
    Und so sah Piso seine Zukunft als zahnloser Tatterer eigentlich schon so beschlossen, wie er seine Heirat mit Prisca noch vor ein paar Sekunden für beschlossen gehalten hatte. Doch was konnte man sich bei Rüpeln wie dem da mit Reue kaufen? Da musste doch was zu tun sein, Aulus, strenge dein Hirn an!
    Doch während er noch überlegte, sich diverse Möglichkeiten und Hypothesen durch den Kopf gehen ließ, die aber alle damit endeten, dass er eine gewischt bekam, war die Rettung nicht eine der – seiner Meinung nach – zahlreichen Geistesblitze, die er hatte, sondern seine Schwester. Seine Schwester versuchte ihn vor dem Typen da zu retten. Was redete sie da von Brüdern und Schwestern? Piso war baff. Er machte zwar schon den Mund auf, ja, aber kein Wort entrann ihm. Viel eher war es Nigrina, die ihre Worte nun auf ihn richtete. Hatte er sich verhört, oder wollte sie tatsächlich alleine bei Lupus bleiben, wenn er zur Villa Aurelia gehen würde – auch wenn er sich nun, nachdem er schon quasi in seinem Kopf dem Tod in die Augen geschaut hatte, ganz und gar nicht mehr so sicher war, ob er das noch immer als eine gute Idee bezeichnen konnte – denn das wäre ein Fanal! Piso würde sich nicht mehr sicher sein können, ob Lupus ihr nciht was antun würde... sie spielte einfach nicht mit. Piso sah seinen schönen Plan durch seine Finger zerrinnen. Kräftig hatte er da ins Wasser gehauen, kam ihm nun.
    Irgendein eigentümliches Gefühl hielt Piso aber trotzdem noch zurück, gänzlich sich weichklopfen zu lassen – da brachte Nigrina ihren Vater ins Spiel. Papa! Piso ächzte kurz. Er hatte irgendwie ganz darauf vergessen, dass er in der ganzen Sache nicht das alleinige Sagen hatte. Da gab es ja auch noch seinen Vater. Piso sah schon, wie alles über seinen Kopf wieder mal hinweg bestimmt werden würde. Am Liebsten hätte er ja schon nun ganz drastische Maßnahmen gesetzt, das heißt wohl, was Dummes getan, noch dümmer als seine bisherigen Operationen. Aber Papa... au weia. Au weia.
    Piso blickte kurz auf Prisca, der Lupus vorhin was zugeflüstert hatte, was der Flavier aber nicht verstanden hatte, es war zu leise. Troja glaubte er zu hören, aber sicher war er sich nicht. Er war sich nur sicher, dass ihn die Flüsterei verunsicherte. Verdammtes Selbstvertrauen, so schnell kommst du, so schnell gehst du! Pisos Emotionen überschlugen sich in ihm selber.
    Doch das führte zu gar nichts. Sein Hirn machte ein paar Leerläufe, als Lupus wieder zu Nigrina sprach, und Prisca schlussendlich auch noch einlenkte. War denn alles gegen seinen Plan? Nun ja, wenn man ihn so richtig unter die Lupe nahm... war er vielleicht doch nicht so toll? Interessante Frage. Gut, Abend war vielleicht eine schlechte Zeit. So blickte Piso Prisca nur an mit einem irgendwie entschuldigenden Blick. Wie traurig sie dreinsah, und doch hoffnungsvoll. Es tut mir Leid, Prisca, dass ich mich nicht gegen den Heini durchsetzen konnte, dachte er sich. Aber in ihm keimte bereits die Intention, es dem Kerl heimzuzahlen. Morgen. Oder übermorgen. Oder sonstwann.
    Er riss sich von ihrem Blick los und brachte endlich wieder mal seine Kiefer auseinander. “Morgen zur neunten Stunde erscheint mir gut.“ Er würde keine pseudo-netten Worte jetzt mehr schwingen, es erschien ihm ziemlich unpassend. “Die Hälfte vom Stück haben wir jetzt eh versäumt. Nigrina, komm mit, gehen wir heim.“ Dass er diesen Abend nur noch mit einer sicherlich diabolisch schlecht aufgelegten Nigrina unterwegs sein würde, statt mit Prisca, grämte ihn, aber hier gab es nichts mehr für ihn zu holen. Und was er auch tun würde, außer zu gehen, würde die Situation garantiert eskalieren lassen. Nicht einmal der liebestolle Flavier wollte das, einmal nicht bewusst.

  • Nigrina hatte das Gefühl, es funktionierte. Die Spannung, die gerade eben auf die Siedepunkt gewesen zu sein schien, nahm spürbar ab. Ihr Bruder sah sie an, als ob er zunächst nicht ganz verstand, wovon sie überhaupt redete, widersprach aber auch nicht – und der Aurelier, nun, der Aurelier antwortete auf ihre Worte in einer Art, die sie schon wieder zu einem leichten Lächeln brachte. Auch wenn es ihr nicht unbedingt gefiel, dass es ausgerechnet sanfte Worte waren, die dazu führten dass sie Erfolg hatte, aber was sollte man tun? Sanfte Worte, wenn sie nur richtig ausgesprochen waren, gehörten zu den so ziemlich einzigen Waffen, die einer Frau, einer Römerin, einer Adeligen überhaupt zur Verfügung standen. Und Nigrina gehörte zu den Menschen, die nicht darauf verzichteten eine wie auch immer geartete Waffe einzusetzen, nur weil es andere gab, die ihr besser gefallen hätten – die zu nutzen sie aber aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage war. Nein, da war ihr ein Sieg deutlich lieber, egal mit welchen Mitteln sie ihn errungen hatte, und Lupus’ Worte schmeichelten ihr so oder so. Sie warf ihm also ein neuerliches Lächeln zu und lauschte dann Priscas Worten, die ebenfalls zurücksteckte. Nigrina tat sie fast leid dabei. Ihr selbst hätte eine derartige Entschuldigung wohl beinahe körperliche Schmerzen zugefügt, hätte sie sie aussprechen müssen, ganz gleich ob sie sie nun so meinte oder nicht. Es war eindeutig besser, fand sie, die Beherrschung zu wahren, als sich im Nachhinein selbst klein machen zu müssen. Auch ihr lächelte sie zu, den Sarkasmus, den sie im letzten Satz – schon allein aufgrund der Wortwahl – zu hören glaubte ignorierend. Sollten die Männer doch denken, sie würden sich über Unwichtiges unterhalten. Vielleicht würden sie das auch tatsächlich, Nigrina kannte Prisca einfach noch nicht gut genug, um einschätzen zu können, wie sie dachte. Aber sie selbst hatte zumindest nicht vor, ihr Leben damit zu fristen, sich stets nur über Unwichtiges auszutauschen. Frauen hatten auch Macht – eine deutlich anders gelagerte als Frauen, aber: Macht. Und diese Macht beruhte zu einem guten Teil darauf, das wusste sie trotz ihrer jungen Jahre, dass die meisten Männer sich nicht im Mindesten darüber bewusst waren, wozu Frauen in der Lage waren, und je mehr man sie in diesem Glauben ließ, umso besser. Dafür blieb Nigrina gern irgendwelchen Verhandlungen fern, in denen es nur um ihre Mitgift ging, die sie ja noch nicht einmal zu bezahlen hatte.


    „Ich freue mich schon darauf, dich wiederzusehen“, lächelte sie Prisca also zu. „Es gibt noch einiges, was du mir über Rom erzählen musst.“ Wie es Piso unterdessen ging, was in seinem Kopf vorging, konnte Nigrina indes nur erahnen, sah sie ihn in diesen Augenblicken doch nicht einmal an. Nur sein andauerndes Schweigen verriet ihr, dass es in ihm nach wie vor arbeitete, war er doch sonst selten um Worte verlegen. Schließlich jedoch brachte auch er die Zähne wieder auseinander – und als er dann sprach, warf sie ihm einen kurzen Blick zu, in dem es schon wieder leicht loderte. Gehen. Natürlich. Natürlich würden sie nach dieser Szene nicht bleiben, nicht zu zweit, und erst recht nicht zu viert, als wäre nichts passiert. Das war ihr klar gewesen. Aber Pisos Worte erinnerten sie wieder daran, wer Schuld daran war, dass der Abend – auf den sie sich doch ziemlich gefreut hatte – diese Wendung genommen hatte, genauer: dass er völlig im Eimer war. Sie hatten kaum etwas von der sorgfältig hergerichteten Loge gehabt, nichts von dem Essen, nichts von dem Theaterstück, und sie hatte im Grunde nicht wirklich etwas von ihrem Begleiter gehabt, der, nun ja, doch einen recht vielversprechenden Eindruck machte. Aber nein… sie würden gehen. Und Piso fand noch nicht einmal ein paar höfliche Worte des Abschieds, also würde auch das an ihr hängen bleiben, obwohl sie in diesem Augenblick schon wieder lieber gewettert hätte als Diplomatie zu heucheln. „Mein Bruder hat sicher Recht, wir haben zu viel verpasst, um den Rest des Stücks noch adäquat genießen zu können.“ Sie verlieh ihrer Stimme einen leicht bedauernden Klang. „Prisca, ich danke dir für den Abend. Wir sollten unbedingt häufiger etwas gemeinsam unternehmen.“ Nur vielleicht ohne die Männer… aber das sprach Nigrina nicht laut aus. „Lupus, es würde mich freuen, würden wir uns ebenfalls beizeiten wiedersehen. Die Antwort auf die Frage, wie du zur Nacht und ihren Geheimnissen stehst, bist du mir noch schuldig.“ Jetzt bekam ihr Lächeln etwas Verschmitztes, während sie zugleich einen Schritt zurücktrat, so dass sie nicht mehr zwischen Lupus und ihrem Bruder stand, sondern nun an Pisos Seite war.

  • Solch liebliche Töne auf einmal? Sextus besah sich seine Cousine, schräg hinter ihr stehend, ihren weißen Hals und wie sich die Muskeln dort anspannten. Die Worte mussten sie schmerzen, so sehr wie sie sich dabei anspannte. Sie hatte recht, er hatte wirklich keine Ahnung, wie das war, so zu lieben und geliebt zu werden. Nur im Gegensatz zu ihr war ihm das auch vollkommen gleichgültig. Liebe war etwas für Poeten, wenn sie keine Heldentaten zu besingen hatten. Eine Ehe hatte damit rein gar nichts zu tun, und sie war auch absolut nicht nötig, um eine für beide Seiten vorteilhafte Verbindung einzugehen. Sie redete da in seinen Augen wirklich dummes Zeug. Er war kurz davor, sie darüber aufzuklären, dass Männer deshalb ihre Frauen etwas besser als das Vieh behandelten, weil Vieh nunmal keine Erben gebären konnte, aber er ließ es. Sie jetzt vollkommen gegen sich aufzubringen brachte keinen Gewinn. “Du tust mir Unrecht, Prisca. Ich habe nur versucht, dich wie auch meine Familie zu beschützen.“
    Ganz von der Hand zu weisen war es nicht, auch wenn er sich vorhin dazu hatte hinreißen lassen, ihr zu drohen. Damit war es wohl nicht möglich, sich gänzlich als Unschuldslamm zu präsentieren. Allerdings waren seine Argumente nur schwer von der Hand zu weisen, denn wenn sie diesen Hanswurst wirklich heiraten wollte, war diese Vorgehensweise die denkbar schlechteste, um an ihr Ziel zu kommen. Und dennoch konnte er auch bei aller Wahrheitsdehnung doch nicht umhin, vor sich selbst zugeben zu müssen, dass er dem Flavier keinen Erfolg wünschte. Er wollte sehen, wie dieser versagte und abgewiesen wurde. Viel mehr noch, für diese Anmaßung wollte er ihn nur zu gerne leiden sehen. Das einzige, was ihn abhielt, war, dass er dessen Schwester wohl noch brauchte, wollte er die Flavier als Fürsprecher für seine Karriere behalten. Man konnte eben nicht alles haben.


    Und es kam noch besser. Prisca brachte so etwas ähnliches wie eine Entschuldigung an die anderen hervor. Natürlich bemerkte er die bissigen Worte dabei, aber immerhin schien sie eingesehen zu haben, dass man Corvinus jetzt nicht mehr stören sollte. Fein.
    Der Flavier hingegen sah sie kurz an, als wollte er sich unter ihrem Rockzipfel verstecken. Und dann wählte er die neunte Stunde für seinen Besuch. Nicht morgens, wie von seiner Schwester vorgeschlagen – und wo er noch die Chance gehabt hätte, dass Sextus ihm einfach nichts hätte erzählen können. Unter sehr unwahrscheinlichen Umständen, aber dennoch – sondern den Nachmittag. Sextus ließ ein wölfisches Lächeln sehen, sagte aber nichts dazu. Wenn er meinte, dass Corvinus nachmittags besser gelaunt sei als morgens, war das eine amüsante Einschätzung. Er hätte einen Termin gewählt, bei dem nicht zu befürchten war, dass schon zwanzig Bittsteller erschienen waren, wobei man das ja nie so genau zu sagen vermochte.
    Statt dessen wandte er sich wieder seiner vielleicht-Zukünftigen zu. Vielleicht würde Flavius als kleine Racheaktion auch die Verlobung platzen lassen, was insofern ärgerlich wäre, als dass Sextus doch noch bei den Tiberiern vorstellig werden musste. Flavius Gracchus hatte ja recht deutlich gemacht, dass seine Unterstützung an dieser Verlobung hing. Aber andererseits hatte er dann auch seine Freiheit und konnte seinem Vater guten Gewissens berichten, dass er sein Möglichstes getan hatte, die Flavier aber ablehnten. Ein geringer Preis.
    “Wenn das heißt, dass wir uns so lange treffen werden, wie ich dir diese Antwort schuldig bin, werde ich sie selbst als Geheimnis hüten, werte Flavia. Auch wenn ich fürchte, dass ich damit enthülle, wie ich zu selbigen stehe.“ Er schenkte ihr eine charmante, kleine Verbeugung und machte dann Platz, damit sie und ihr Bruder auch aus der Loge treten konnten. Das könnten sie zwar auch so, aber Sextus wusste nicht, ob der Flavier Manns genug war, so dicht bei ihm vorbeizugehen. Also zeigte er sich ein wenig friedlicher und begab sich, als wäre nichts weiter gewesen, wieder zu Prisca.
    “Und du, liebste Cousine, möchtest du das Stück noch zuende sehen?“ Schmeichelnd, leicht, kein Anzeichen davon, dass auch nur irgendetwas vorgefallen wäre. Ganz gleich, ob es in ihm auch brodelte, er zeigte sich als der perfekte Charmeur. Ihm war es sogar recht gleichgültig, ob Prisca das durchschaute – und es war anzunehmen, dass sie seiner Art wohl nicht trauen würde. Aber es konnte ihm niemand vorwerfen, er habe sich laut im Ton vergriffen. Das hob er sich für eine Gelegenheit auf, wenn sie beide unter sich waren und er sich einen Vorteil davon versprach.

  • Oooh ja! Diese Entschuldigung bereitete Prisca durchaus innerliche Schmerzen, keine Frage, so emotional geladen wie sie augenblicklich war. Allein schon die Tatsache, dass ihr Cousin offensichtlich seine eigenen Pläne verfolgte machte Prisca wütend. Aber gut, soll er doch! Viel schlimmer fühlte sich für Prisca diese Ohnmacht an, angesichts der Borniertheit der Männer, wenn es um Gefühle ging. Nicht nur, dass Männer ihre eigenen Gefühle offensichtlich nicht zeigen konnten und sie sich derer schämten - nein - sie mussten überdies all jene als Schwächlinge bezeichnen, die sich diesen Gefühlen hingaben. Wie anders war da doch Piso! Zumindest für Prisca war er der ideale Mann und egal was andere über ihn sagen und denken mochten, ... Hallo?! Piso war schließlich ein Flavier! Selbst als buckeliger, sabbernder alter Greis wäre Piso - als Flavier - immer noch ein Flavier. Doch das war er ja nicht - ein Greis. Zum Glück. Prisca fand Piso jedenfalls sehr adrett und auch wenn er nicht unbedingt jenem Typ von Mann entsprach, den sie ansonsten bewunderte, so war er doch derjenige der sie völlig verzaubert hatte und dem sie folglich mit Leib und Seele gehören wollte, egal, wie andere auch über ihn und sie reden und denken mochten.


    Von daher überlegte Prisca ernsthaft, ob sie nicht vor Lupus zu Kreuze kriechen sollte (im wahrsten Sinne des Wortes), damit er bei ihrem Onkel nur ja als Fürsprecher auftreten würde. Die Liebe zu Piso wegen wäre Prisca allemal bereit dazu gewesen, auch wenn es den Tartarus auf Erden für sie bedeuten würde, sich dieser Demütigung auszusetzen. Doch halt! Gemach gemach!, mahnte sie ich schließlich selbst zur Ruhe. Allein die Tatsache, dass sie nicht einschätzen konnte wie Lupus reagieren würde und was genau nun seine Absichten wären, ließen die Aurelia noch zögern. Vielleicht würde sie ihn ja auf eine ganz andere Art für sich gewinnen können, wer weiß. Kommt Zeit kommt Rat, dachte Prisca mit einem flüchtigen Seitenblick zu Lupus, während sich alle Anwesenden langsam zum Aufbruch bereit machten.


    Oooh ja! Dies war wahrlich besonderer Theaterabend gewesen - und wohl einer der kürzesten noch dazu. Die Aurelia hatte von dem eigentlichen Stück auf der Bühne jedenfalls nichts mitbekommen, doch das störte sie auch nicht weiter. Eigentlich hatte sie den Abend ganz anders geplant. Ungestört mit Piso wollte sie sein, doch das hatte ihr übereifriger lieber Cousin bestens zu verhindern gewusst. Wenigstens an den Namen des Stückes konnte sie sich noch erinnern, doch was spielte das noch für eine Rolle? Die Vögel! Das Einzige was Prisca mit dem Titel verband war die Tatsache, dass sie mit Lupus noch ein Hühnchen zu rupfen hätte.


    Der Abend war jedenfalls gelaufen! Nigrina leitete die Verabschiedung ein und äußerte den Wunsch auf ein Wiedersehen, welchen die Aurelia nur zu gerne erwiderte: "Es hat mich sehr gefreut, dich wieder zu sehen Nigrina und - Oh ja! - ich würde mich ebenfalls sehr freuen, wenn wir öfters etwas gemeinsam unternehmen würden." Am besten ohne Männer, fügte Prisca mit einem vielsagenden Blick zu Nigrina hinzu. Auch Piso bekam einen letzten und versonnen Blick, mit dem sie sich stumm von ihm verabschiedete. Ich liebe dich, egal was passiert!.


    Nachdem die beiden Flavier gegangen waren bekamen ihre Augen jedoch schnell wieder einen wacheren Glanz. Aha! Der liebe Cosin tat also so als sei nichts gewesen. Gut, soll mir recht sein, dachte Prisca, bereit ihr gemeinsames Spiel weiter zu spielen wenn er denn Lust dazu hätte. "Nein liebster Cousin. Ich denke für heute hatten wir genug Aufregung, nicht wahr? …Und ehe ich noch eine weitere Dummheit begehe, sollten wir beide besser nach Hause gehen. Du begleitest mich doch, oder?", stellte sie mit liebreizender Stimme die rein rhetorische Frage und ohne auf Lupus zu warten, machte Prisca den Anfang und schritt einfach an ihm vorbei aus der Loge, die Treppen hinab und zum Torbogen des Theaters hinaus, ohne sich ein einziges Mal nach ihm umzudrehen. Sie tat das bewusst in der Annahme, dass Lupus sie sicher nicht hier in aller Öffentlichkeit zurück halten würde. Warum auch? Die Aufführung war ohnehin schon fast beendet.


    ~~~


    Vor dem Theater hielt Prisca jedoch nicht an, sondern ging an den wartendenden Sklaven und den Sänften einfach vorrüber, ohne diese eines Blickes zu würdigen. Die Sklaven zuckten ratlos mit den Schultern als die sie die Aurelia vorbei huschen sahen, doch das war ihr völlig egal. Sie schlug einfach eine Richtung ein, suchte wahllos eine Gasse aus und ging die erst beste Straße hinunter, ohne sich darum zu scheren wohin sie eigentlich ging. Sie musste nachdenken und einen neuen Plan fassen. Nur welchen? Prisca hatte keine Ahnung und wenn überhaupt, war sie sich momentan nur einer Sache ganz gewiss, nämlich, dass Lupus ihr auf alle Fälle folgen würde. …



    edit: Fortsetzungs-Link eingefügt ...

  • Papa. Seit Nigrina ihn erwähnt hatte, bekam Piso ihn nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte irgendwie Angst, seinem Vater gegenüber zu treten, nach all dem, was passiert war. Was hieß Angst, Angst war das falsche Wort. Widerwillen würde es besser treffen, tiefstes Widerwillen. Er wollte nicht. Und nun schüttelte sie ihn aus dem Ärmel, wohl zu seinem Besten, damit er jetzt nicht noch was Dummes tat – denn dass seine vorigen Aktionen ziemlich dämlich gewesen waren, das war noch nicht ganz in sein Hirn eingesickert, auch wenn er langsam ein immer mulmigeres Gefühl bei der Geschichte bekam, je mehr Worte überhaupt getauscht wurden.
    Ich freue mich schon darauf, dich wiederzusehen, hörte Piso, während er noch immer durch die Labyrinthe seiner Gedankengänge stromerte, wurde aus ihnen herausgerissen, und starrte seine Schwester an. Den Kerl wieder sehen! Das konnte sie vergessen! Das konnte sie abhaken, als erledigt ansehen, als... Scheiße, Alter, dachte er sich. Du fängst an, wie Corvinus zu denken. Genau so wie er zu reagieren. Sag nichts. Halt einfach mal die Fresse. Ausnahmsweise. Piso dachte daran zurück, was Gracchus gesagt hatte. Es gibt keinen perfekten Römer, aber jeder Römer sollte versuchen, diesem Ideal entgegenzustreben. Ach ihr Götter, hatte er dieses Idealbild irgendwie schon satt, fuhr es ihm durchs Gehirn! Warum konnte die Welt nicht etwas weniger römisch-strikt und etwas poetischer sein? Nicht etwas angenehmer, nicht etwas weniger harsch, bevölkert von Lupi und Corvini? Über Rom erzählen, pah. Er würde sich jetzt nicht mehr entblöden, da was hinzuzusetzen. Piso schaffte es, neutral dreinzuschauen, als sich Nigrina und Lupus vollsülzten.
    Lupus. Piso glaubte noch immer nicht, dass der Kerl Ernst zu nehmen war. Für einen Kerl vom Kaliber eines Flavius Piso ein Pausenbrotgegner. Aber trotz allem... der Mann ließ ihn erschaudern. Er hatte was Unheimliches an sich, was Piso nicht gänzlich ausloten konnte. Piso war sehr allergisch auf alle Formen der Agressivität, und Lupus‘ Andeutungen gingen ihm nicht aus seinem Kopf. Der hätte ihn wirklich geschlagen, wenn Nigrina nicht dazwischen getreten wäre. Wirklich. Das musste man sich vorstellen.
    Die Vorstellung alleine davon veranlasste ihn schon, gehen zu wollen. So nickte er langsam, als alle ihm Recht gaben, vermutlich recht widerwillig. Der Abend war kaputt. Und nicht Piso hatte ihn kaputt gemacht, war der Flavier voll und ganz überzeugt, sondern Aurelius Lupus, dieses borstige Hinterteil eines Esels! Für einen kurzen Augenblick überlegte sich Piso tatsächlich, dem Aurelier doch noch die Meinung zu sagen, entschied sich aber dagegen.
    “Tja, dann wäre alles gesagt.“ Es blieb nur noch, zu gehen. Und Piso hätte keinen Augenblick gezögert, hätte es nicht noch etwas gegeben – Lupus, der sich am Ausgang positioniert hatte. Kurz schoss ein Gedanke durch Pisos Kopf. Der wartet da sicher mit einem Messer und versucht, es durch deine Rippen zu jagen! Doch Piso verscheuchte den Gedanken. Er wollte raus hier, und zwar zackig.
    Also wandte er sich zu Prisca, zur wundervollen, holden, himmlischen, grandiosen Prisca, die als Lichtgestalt in so einem Kontrast zu ihrem infernalen Cousin stand, dass es einen blenden mochte. “Vale, Prisca.“ Seine grauen Augen widerspiegelten einen Schimmer von Trauer, Trauer über den so niederträchtig zerstörten Abend. Dann schritt er an Lupus vorbei, nicht ohne ihm im Vorbeigehen noch ein mit Müh und Not nicht allzu feindselig gehaltes Nicken angedeihen zu lassen. “Vale, Aurelius Lupus.“
    Was für Konsequenzen mochte diese kleine Episode noch haben? Er wusste es nicht, versuchte gleichfalls, krampfhaft nicht darüber nachzudenken, um sich seine mühevoll aufgebaute kleine süße romantische Fantasievorstellung von seiner Zukunft nicht zu zerstören. Denn in weldfremden kleinen Fantasieländern zu schwelgen, das war etwas, was Piso gerne mochte. Und einem ekelerregenden Schmierfinken wie Lupus würde er es sicher nicht erlauben, ihn da rauszuzerren. Denn es würde spätestens auf der Straße, und zwar von der Seite seiner Schwester, deftig Zores geben. Das musste er sich selber jetzt noch nicht geben.
    Im Wissen, von Nigrina gefolgt zu sein, ging er also. Er ging heraus aus der Vorführung, verließ das Theater und fand sich kurz später in der Straße nach Hause ein.

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