Keine Frage. Prisca hatte gerade ihre Fassung verloren (noch dazu in aller Öffentlichkeit) und darüber war sie gar nicht glücklich - noch dazu - da Nigrina und Piso dies zweifellos mit bekommen hatten. Die Beherrschung zu verlieren war immer ein Zeichen von Schwäche, besonders für eine Adelige, aber es war durchaus menschlich. Und niemand könnte schließlich von sich behaupten unfehlbar zu sein, wenn er denn ehrlich wäre. Auch keine junge Patrizierin von fast zwanzig Jahren - wie Prisca eine war - konnte dies behaupten, außer, sie wäre eine gefühllose tote Puppe. Aber das war sie nicht. Sie war eine heißblütige Aurelia und deren Temperament ging bekanntlich manchmal mit ihnen durch, so wie in diesem Fall. Ihr lieber Cousin hatte nun mal einen ganz empfindlichen Nerv bei Prisca getroffen, da sie davon ausgegangen war, er hätte ihre Abmachung eindeutig richtig verstanden. Er sollte gefälligst wegsehen und weghören. Aber nein, Lupus musste ihr den schönsten Moment in ihrem Leben zunichte machen. Und dann dieser Erpressungsversuch vorhin, von wegen: "er sähe sich ungern dazu gezwungen Corvinus davon zu berichten"? Ich soll ihn benutzt haben? Hatte sie ihm nicht deutlich genug zu verstehen gegeben, weswegen er sie heute begleiten sollte? Sein Problem, wenn er das nicht begriffen hat!, blieb Prisca stur auf ihrem Standpunkt.
Gut möglich, dass ihr in dieser Hinsicht der Weitblick fehlte. Allerdings konnte und wollte Prisca es nicht akzeptieren, dass Gefühle wie die Liebe, gerade in Bezug auf die Eheschließung absolut keine Rolle spielen durfte. Nur die Traditionen und die politische Interessen der Familien sollten zählen? Pah! Am liebsten hätte sie Lupus weggestoßen, als er ihr im Flüsterton genau dies klar zu machen versuchte und dabei sein falsches Lächeln nicht darüber hinweg täuschen konnte, dass er kaum aus lauter Nächstenliebe gehandelt hätte, wenn er tatsächlich als Fürsprecher für sie und Piso aufgetreten wäre. Ach wirklich? Priscas funkelte ihren Cousin voller Zorn an und sie schnaubte verächtlich, als er sich auch noch erdreistete sie an der Schulter und am Hals zu berühren. Dieses Mal hatten seine Berührungen absolut keinen Reiz und erschwerend hinzu kam, dass seine Worte durchaus das besagten, was sie im Grunde zutiefst befürchtete. Nämlich, dass die Angelegenheit nur weiter eskalieren könnte, wenn sie jetzt ihren Gefühlen für Piso nachgeben- und mit ihm zusammen sofort zu ihrem Onkel gehen würde.
Nein soweit hatte selbst Prisca noch den Überblick, dass dies der falsche Weg wäre. Zumal mein Onkel mir verboten hat ihn wieder zusehen Gut, wahrscheinlich würde er es postwendend von ihrem Cousin erfahren, aber das könnte sie ohnehin nicht mehr verhindern. Prisca atmete tief durch und schluckte jedes (falsche Schimpf-) Wort zu viel hinunter, auch wenn es schwer fiel, ehe sie ein ebenso falsches und aufgesetztes Lächeln zeigte. "Vielen Dank lieber Cousin, dass du mir auf diese Weise die Augen geöffnet hast. Endlich sehe ich klarer. Wie dumm ich doch war! " Es zählten nur die politischen und familiären Bande und der Nutzen, den jeder daraus zöge. Um Gefühle ging es nicht- niemals - und so würde auch niemand Verständnis dafür haben, wenn man dadurch so mache Dummheit beging. So wie der Flavier, der sich angemaßt hatte zuerst sie zu fragen und nicht ihren Onkel. Das war zwar keine neue Erkenntnis aber eine umso bitterere für Prisca, gerade weil Piso so sehr liebte. "Nur schade, dass in eurer Welt und in euren Herzen Gefühle, wie die Liebe, keinen Platz haben. Du glaubst ja gar nicht wie schön sich das anfühlt, nicht nur wie ein Vertragsgegenstand gesehen zu werden! … Aber was rede ich da schon wieder für dummes Zeug. … Allerdings wäre es für dich und deine Spartanerbrüder wahrlich einfacher, ihr würdet eure Frauen gleich verschachern wie ein Stück Vieh, anstatt sie zu heiraten und so an euch zu binden. … Wozu eigentlich der ganze Aufwand?" Nur damit wir ein feines Leben haben und euer Geld verprassen können ... Pfff … und um welchen Preis? Selbst euren Sklavinnen schenkt ihr mehr Zeit und Aufmerksamkeit wie uns, erwiderte sie ihm schließlich mit sarkastisch klingender Stimme, wobei sie bei letzterem Ausspruch gar nicht Lupus in Person meinte sondern alle, die so waren und dachten wie er.
Auf ihre Frage erwartete Prisca nicht wirklich eine Antwort und so wandte sie sich nun mit einem tiefen Seufzer direkt wieder an alle: "Ich fürchte ich habe meinem lieben Cousin gerade sehr unrecht getan. Wie dumm ich doch bin! ... Dabei hat er es nur gut mit mir gemeint. Entschuldigt bitte!", meinte sie so ehrlich wie möglich klingend und mit einem entschuldigenden Lächeln in die Runde. "Ich denke auch, dass derlei Verhandlungen, wenngleich es die ehrenwerte gens Flavia betrifft, nicht überstürzt geführt werden sollten. Von daher wäre mein Onkel sicher nicht besonders erfreut, wenn er heute Abend noch aus dem Bauch heraus eine Entscheidung treffen soll. Warum verabreden wir uns nicht alle zu einem offiziellen Treffen bei uns in der villa Aurelia? Dann können die Männer in Ruhe verhandeln, während wir Frauen uns über unwichtige Dinge unterhalten, ganz so, wie es von uns erwartet wird, nicht wahr? War das diplomatisch genug, oder schwang der Sarkasmus dennoch mit? ...
Prisca gab sich wirklich alle Mühe jedem der Beteiligten so neutral wie möglich anzusehen, um nichts von ihrer inneren Aufgewühltheit zu verraten. Am schwersten fiel es ihr bei Piso, den sie verliebt, aber auch ein wenig traurig ansah. Sollte dieser eine unbedachte Kuss wirklich derartige Auswirkungen haben, dass sie nicht zueinander finden dürften? Nur das leichte Zucken ihrer Mundwinkel nach oben mochte Piso zeigen, dass sie voll und ganz auf ihn vertraute. Sie liebte ihn und - egal wie es ausgehen würde - zumindest hatte sie bereits eine Entscheidung getroffen.