Seianas Miene war ausdruckslos, als sie Verus’ Worte hörte. Er bestand darauf, dass er die Octavia liebte. Natürlich. Wie hätte sie auch etwas anderes erwarten können, fragte sie sich ironisch. Manchmal hatte sie das Gefühl, sie sei die Einzige in einem Tollhaus, die sich einen klaren Verstand bewahrte. Ihr ehemaliger Verlobter hatte auch davon gefaselt. Von Liebe. Und auch der Teil, dass er sich nicht zu diesen Kreisen zählte, hätte von Archias stammen können. „Du gehörst zu diesen Kreisen. Ob du es willst, Verus, oder nicht. Du gehörst dazu, und was du tust, hat Auswirkungen auf deine Familie.“ Ihre Stimme klang kühl. „Aber ich sehe, dass es offenbar keinen Sinn hat, weiter darüber zu reden. Ich wünsche dir noch einen angenehmen Tag.“ Mit diesen Worten entließ sie Verus. Nachdem er so wenig bereit war, an seine Familie zu denken, daran, welche Auswirkungen sein Handeln haben könnte, war Seiana nun nicht bereit, sich noch weiter zu unterhalten. Welche Konsequenzen das nach sich ziehen würde, vor allem welche Ansprüche in Zukunft der Octavier eventuell haben würde, inwiefern dieser sich nun in der stärkeren Position ihnen gegenüber sah, nachdem Verus darauf bestand, seine Verwandte zu heiraten, obwohl Octavius Macer Livianus verklagt hatte und darüber hinaus wenigstens ein Octavier ohnehin Vorbehalte hatte… nun, das blieb abzuwarten. Im Augenblick konnte sie in dieser Hinsicht nichts mehr tun.
bibliotheca
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Seiana saß da und grübelte. Katander war gerade hier gewesen, wie sie es gewünscht hatte, und sie hatten sich unterhalten. Wobei unterhalten das falsche Wort war. Viel gesprochen hatte keiner von ihnen beiden, und wenn, dann irgendwie… aneinander vorbei, hatte sie den Eindruck gehabt. Nicht so, dass es Missverständnisse gegeben hätte, aber so, dass keiner so wirklich auf das einging, was der andere gesagt hatte. Sie hatte gefragt, wie es ihm ergangen war – er hatte lediglich oberflächlich geantwortet, in einer Art, in der klar wurde, dass er nicht darüber reden wollte. Er hatte gefragt, wie es ihr ergangen war, und sie hatte ebenso geantwortet wie er. Sie hatten auch das Thema Archias kurz angeschnitten, aber auch hier wurde deutlich, dass keiner so wirklich über den Aelier reden wollte. Seiana wusste, wie nahe Katander ihm gestanden hatte, und sie konnte sich vorstellen oder vermutete zumindest, dass ihm sein Tod nahe ging. Aber sie selbst konnte nicht verdrängen, was passiert war, vor und nach der Entlobung, so viel Zeit inzwischen auch vergangen sein mochte. Und Katander… nun, Seiana mochte sich irren, aber sie hatte den Eindruck bekommen, dass Katander ebenso wenig über Archias reden wollte wie sie. Warum, darüber konnte sie nur mutmaßen, aber ihre Vermutung war, dass er ebenso wenig wie sie wirklich begriff, warum sein Herr sich getötet hatte – und bevor er womöglich schlecht über seinen toten Herrn und Freund sprach, mied er das Thema lieber. Aber das war nur eine Vermutung.
Erst, als die Sprache auf Elena gekommen war, war Katander ein wenig aufgetaut – ebenso wie Seiana. Sie erzählte ihm, dass sie sie nach Hispania geschickt hatte, zurück auf die Landgüter ihrer Familie, und dass sie ihn ebenfalls dorthin zu schicken gedachte. Dass Katander in Rom blieb und Elena wieder hergeholt wurde, war für Seiana keine Option. Sie wollte sie nicht hier haben. Und das aus mehreren Gründen.
Elena kannte sie zu gut, wusste zu gut, was in Seiana vorging, und sagte ihr, was sie darüber dachte. Bisher war das nie ein Problem gewesen – aber mittlerweile wollte Seiana das nicht mehr. Elena machte sich Sorgen um sie, darum, wie sie sich verändert hatte, und sie hatte mehr und mehr das Gefühl bekommen, dass darin ein Vorwurf lag, auch wenn dem nicht so war. So oder so wusste sie aber, dass Elena es für falsch hielt, dass sie sich immer mehr verschloss und immer kälter wurde – sie selbst allerdings war anderer Ansicht, und das war der Punkt, an dem ihre Freundschaft auf Dauer zerbrechen konnte, wenn er überstrapaziert wurde. Und dazu war es mehr und mehr gekommen. Seiana hatte sich zunehmend bedrängt gefühlt, selbst dann, wenn Elena gar nichts gesagt hatte. Es hatte gereicht, wenn sie sie einfach nur angesehen hatte, auf diese spezielle Art. Und als es dann so weit gekommen war, dass Seiana sich sogar bedrängt gefühlt hatte, wenn sie nur an Elena dachte, hatte sie kurzerhand beschlossen, dass das ein Ende haben musste. Da war ihr entgegen gekommen, dass Elena zugleich tieftraurig gewesen war über Katanders Verschwinden. Sie mochte ihre Sklavin sein, aber sie kannten sich von klein auf und waren schlicht Freundinnen – Seiana hätte es nie fertig gebracht, sie wegzubefehlen. So aber konnte sie ihr den Vorschlag machen, zurück nach Spanien zu gehen, wo sie sich erholen, Ablenkung finden konnte. Und Elena hatte dankbar eingewilligt, nicht ohne klar zu machen, dass sie es am liebsten sähe, wenn Seiana mitkäme – aber sie hatte eingewilligt. Und für Seiana hatte ihr Abschied vieles einfacher gemacht. Es gab nun niemanden mehr in Rom, der sie wirklich gut gekannt hätte, sah man einmal von Raghnall ab, der sie aber zum einen bei weitem nicht so gut kannte wie Elena, und der sich zum anderen ohnehin raushielt.
Dann war da Katander selbst. So wenig er auch etwas für das konnte, was sein Herr getan hatte – es änderte nichts an der Tatsache, dass die beiden in ihren Augen einfach zusammen gehörten. Bliebe er hier, würde er sie ständig an Archias erinnern, und das wollte sie nicht. Sie hatte mit dieser Sache abgeschlossen. Sie wollte nicht ständig eine lebende Erinnerung für ihre Fehler und ihr Scheitern vor ihrer Nase herumlaufen haben.
Und zu guter Letzt: Elena und Katander waren ein Paar. Und sie waren glücklich zusammen, oder jedenfalls waren sie es gewesen, selbst nach der Entlobung – bis Katander verschwunden war, nach Archias’ Tod. Seiana hatte keinen Grund zu der Annahme, dass die beiden nicht dort weitermachen würden, wo sie aufgehört hatten. Und das war etwas, was sie am allerwenigsten vor ihren Augen haben wollte. Sie war sich nicht einmal so sicher, ob sie das überhaupt würde ertragen können auf Dauer.
Nein, dass Elena zurück nach Rom kam und die beiden hier blieben, war ganz und gar keine Option. Aber Katander schien zum Glück nichts dagegen zu haben, im Gegenteil, er wirkte heilfroh über die Aussicht, Rom den Rücken kehren zu können. Und das war Grundvoraussetzung für das, was Seiana ihm als nächstes eröffnet hatte: dass sie ihn und Elena freilassen würde. Hätte sie den Eindruck gehabt, Katander wolle gern in Rom bleiben, hätte sie auch nur vermutet, er könnte entscheiden hier mit Elena zu leben, wenn er frei war, hätte sie damit noch länger gewartet, aber Katander schien weg zu wollen – nicht einfach nur zu Elena, sondern weg, weg von Rom. Also hatte sie es ihm gesagt, und sie hatte auch gleich zwei entsprechende Schreiben aufgesetzt, die die Freilassung bestätigten. Damit, und mit ihrer Zusage, dass sie sich um finanzielle Belange kümmern würde, war Katander dann verschwunden, um seine Abreise zu organisieren.Und nun saß Seiana da und grübelte, über das Gespräch, über Katander und Elena, und über Archias. Sie hatte Archias überreden wollen, dass sie gemeinsam zur Hochzeit Elena und Katander die Freiheit schenkten. Dieser nicht umgesetzte Beschluss war letztlich das einzige gewesen, was wirklich noch offen geblieben war von dieser ganzen Sache. Das nun doch noch tun zu können… war unerwartet, und es verlieh diesem Abschnitt ihres Lebens eine Form von förmlichem Abschluss, den sie bislang nicht hatte finden können. Sie war ja nicht einmal dabei gewesen, als Archias die Verlobung hatte austragen lassen, weil er, dickköpfig wie er war, darauf bestanden hatte das selbst – und allein – zu tun. Jetzt hatte sie doch noch etwas bekommen, was sie hatte tun können, etwas zu erledigen, etwas, was einen offiziellen Charakter hatte. Sie hatte sich im Grunde schon damit abgefunden, dass sie das nie haben würde, und dass es nun doch so war… Sie wusste nicht so recht, ob das gut war oder schlecht. In diesem Augenblick fühlte es sich einfach nur merkwürdig an. Mit einem Seufzen setzte sie sich zurecht, zog ihre Schreibutensilien zu sich und begann, den Brief an Faustus aufzusetzen.
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Müde. Sie war so müde. Sie saß in der Bibliothek, zwei Briefe vor sich auf dem Tisch, einen, der ganz normal abgegeben, und einen, der bei Nacht und Nebel an der Porta hinterlassen worden war. Mit letzterem wusste sie nichts anzufangen. Sie fragte sich, welcher Verrückte sich nun an ihre Fersen geheftet haben mochte, aber das war etwas, worum sie sich weniger Sorgen machte. Die Worte auf der Tafel ergaben wenig Sinn, aber wenigstens so weit schienen sie ihr klar zu sein, dass sie keine Gewalttätigkeit verrieten, nichts, was sie oder die Decima unmittelbar bedrohen würde. Sie würde die Tafel dem Maiordomus übergeben und ihn bitten, die Augen und Ohren offen zu halten, aber das war auch alles.
Der zweite Brief bereitete ihr weit mehr Magenschmerzen. Magnus war tot. Einer ihrer Onkel. Nicht dass sie in den letzten Jahren viel mit ihm zu tun gehabt hätte, aber dennoch, einer der Brüder ihres Vaters. Und einer der wenigen, den die Decima noch in einer hohen Position hatte. Der letzte, wenn man bedachte, dass sich nun auch Livianus nach Hispania zurückgezogen hatte, so wie Meridius vor einigen Jahren.Seiana stützte die Ellbogen auf der Tischplatte auf, senkte ihren Kopf ein wenig und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Irgendwie... schien alles zu zerrinnen, wie Wasser, das zerlief, oder Sand, der durch ihre Finger rieselte. Kein decimischer Senator mehr in Rom. Kein hochrangiger Ritter mehr. Faustus war Tribun, aber er war in Aegyptus, und sie wusste noch nicht einmal, wie es ihm ging – und welche Ambitionen Mattiacus haben mochte, davon hatte sie keine Ahnung. Und Magnus hatte die Flotte kommandiert. Ein Posten wie dieser konnte kein Mann so einfach für sich gewinnen.
Langsam ließ sie ihre Hände sinken, starrte auf die nach oben gewandten Handflächen. Etwas musste sich doch tun lassen. Irgendetwas. Aber ihr wollte nichts einfallen. Sie selbst tat, was sie konnte, aber es war nicht genug, so wie es nie genug zu sein schien – und es war nach wie vor nicht das, was von einer Frau eigentlich erwartet wurde.
Ihre Hände begannen zu zittern, noch während sie sanken, während sie beobachtete, und abrupt drehte sie sie und presste sie, Innenflächen nach unten, hart auf den Tisch. Sie war ungeeignet. Sie konnte das nicht. Sie hatte das Gefühl, dass es ihr zu viel wurde, was sie hier versuchte zu tun. Sie konnte nicht einmal ihr eigenes Leben in den Griff bekommen. Nicht einmal sich selbst, wenn sie an die Abende dachte, die Nächte, die nach wie vor geplagt waren von Bildern, die sie regelmäßig schreiend aufwachen ließen. Immerhin gelang es ihr mittlerweile, mit Raghnall zu schlafen, ohne dass sie... irgendetwas... irgendetwas anstellte. Wie beispielsweise einfach zu erstarren, vor Angst, vor Horror, weil die Bilder sie überwältigten. Oder völlig unkontrolliert zu zittern. Oder gar zu heulen. Das erste Mal war furchtbar gewesen, und sie wollte gar nicht daran denken, was für ein Bild des Elends sie abgegeben haben musste. Natürlich hatte sie sich nicht gut genug unter Kontrolle gehabt, bei weitem nicht gut genug, und als Raghnall schließlich gefragt hatte, was los war, war das der Tropfen gewesen, der in diesem Moment das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Der Sklave hatte sich zunächst schlichtweg geweigert, sie weiter anzurühren, als sie zusammengebrochen war, selbst, als sie es ihm befohlen hatte. Erst, als sie ihm mit der Peitsche gedroht hatte – und ihn absurderweise zugleich gebeten hatte, sie nicht betteln zu lassen –, hatte er schließlich getan, was sie wollte.
Die nächsten Male hatte sie sich davor mit Wein beholfen, was allerdings nicht immer funktionierte. Es gab die Momente, in denen ihr der Alkohol half, aber ebenso häufig gab es jene, in denen er alles nur noch verschlimmerte, und so verzichtete sie bald wieder darauf. Und zumindest insofern erwies sich ihre Theorie als richtig, dass sie sich daran gewöhnte. Dass es ihr leichter zu fallen begann, auch in diesen Momenten gewisse Erinnerungen zu verbannen.
Dennoch gelang es ihr nicht, ihre Träume zu kontrollieren. Es gelang ihr nicht, sich so zu beherrschen, wie sie es müsste, jedenfalls in ihrer Vorstellung. Wie sollte sie es da schaffen, die Decima hier in Rom die Stellung zu halten? Sie war dafür einfach nicht geeignet, sie war nicht die Richtige, und doch: mit Mattiacus war sie die Einzige hier. Und der war nun schon seit längerem fort, weilte bei Magnus, der nun gestorben war.Seiana spreizte die Finger, die auf dem Tisch lagen. Es half nichts, zu jammern, auch nicht in Gedanken. Sie konnte nur weiter machen – und wenn sie im Augenblick nicht in der Lage zu sein schien, ein größeres Konzept zu erstellen, dann musste sie eben Schritt für Schritt das Notwendige tun. Und der nächste Schritt war die Reise zu den Albaner Bergen. Sie rief einen Sklaven herbei und beauftragte ihn damit, alles herzurichten dafür, bevor sie die Amme der Kinder zu sich holte und auch diese instruierte. Anschließend regelte sie, Stück für Stück, Schritt für Schritt, alles weitere, was nötig war während ihrer Abwesenheit. Und noch am selben Tag brachen sie auf.
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Seneca und sein Kamerad wurden vom Sklaven mit dem seltsamen Namen dessen sich Seneca auch zu faul zu merken, geschweige denn ihn richtig auszusprechen, in die bibliotheca geführt. Freundlich hielt der Sklave den beiden Herren er Garde die Tür auf, die aber hatten die Faxen ein wenig satt und so schob Seneca den Mann in den Raum, momentan war er irgendwie nicht in Stimmung für Höflichkeiten, geschweige denn von einem Sklaven welchen er lieber dümmlich in der Arena hätte grinsen sehen wollen als in sein Gesicht wie er es die ganze Zeit schon tat. Aber bis er mal in der Lage sein würde dies in die Wege zu leiten würden wohl noch etliche Dienstjahre vergehen und so konzentrierte sich der Iunier wieder auf die Gegenwart...
Die Decima behandelte den Sklaven also ganz gut, was an sich nichts besonderes war, das tat Seneca's Cousine Axilla mit den iunischen Sklaven ebenfalls, es war nur irgendwie schade dass Seneca keine Informationen aus dem Unfreien herausbekommen würde, aber man kann ja nicht alles haben...
"Gut Sklave, mach dich nützlich, du weißt was wir suchen, wenn sich hier etwas aus der Acta befindet, such es uns raus, bevor wir wieder alles absuchen müssen. Das macht es leichter für alle Beteiligten.", eigentlich hatte Seneca einfach nur keine Lust mehr in den Sachen der Decima rumzuwühlen, denn letztlich war es wohl gleich, zur Not würde man sich etwas zurechtschustern, aber der erste Plan war natürlich immer etwas handfestes zu haben...
"Sind öfters Leute der Acta zu besuch? Oder hält deine Herrin außerhalb der Arbeit keine Beziehung zu den einzelnen Mitarbeitern?", fragte Seneca verschwörerisch, er sah sie schon vor sich, die Anklageschrift der Verschwörung, bei geheimen Treffen in der Casa würden die Kritiken am Praefectus und dem Kaiser verfasst...
Seneca wanderte die Regale entlang und las sich einige Schriften flüchtig durch, er fragte sich was wohl die anderen Miles in der Casa gerade so treiben würden.. -
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Raghnall ließ sich bereitwillig in den Raum schieben – war ja nicht seine Schuld, wenn sein Anflug von Höflichkeit nicht ankam – und sah sich schon mal vorsorglich nach einer Sitzgelegenheit um, von der aus er bewundern konnte, wie die beiden Schwarzröcke nun den nächsten Raum in seine Einzelteile zerlegten. Aber diesmal hatten die zwei anderes im Sinn. Ein wenig verdutzt sah der Gallier den Prätorianer an, als dieser ihn aufforderte, behilflich zu sein. Das brachte ihn nun in eine kleine Zwickmühle, denn eigentlich hatte er nicht vorgehabt, den beiden tatsächlich zu helfen. Mit einem Achselzucken schob er seine Zweifel dann aber beiseite. Eine Wahl hatte er ja nicht wirklich – und wo die Decima kritisches Zeug hatte, wusste er auch nicht so genau, denn so weit vertraute sie dann niemandem. Er ging allerdings davon aus, dass sie das wohl in ihrem Zimmer aufbewahrte – oder besser aufbewahrt hatte – und nicht in der Bibliothek, die jedem Familienmitglied offen stand. Und er ging auch davon aus, dass es ihr lieber war, wenn nicht noch ein Raum verwüstet wurde.
Er führte die Prätorianer ein Regal entlang, vorbei an allgemeinen Schriften von verschiedensten Autoren, und deutete dann auf einige Unterlagen. „Da sind die Unterlagen von ihren Betrieben... falls euch das interessiert.“ Er warf dem Sprecher der beiden einen Blick zu, als dieser eine Frage stellte. „Sicher, ab und zu kommt schon jemand vorbei. Sie ist ja nicht immer im Domus der Acta, sondern arbeitet viel hier. Wenn da wer was braucht, kommen die auch vorbei.“ Raghnall zuckte die Achseln. „Beziehungen? Sie ist da mit niemandem befreundet, wenn du das meinst. Oder anderweitig verbandelt.“ Jetzt grinste er wieder.
SKLAVE - DECIMA SEIANA -
Seneca hörte dem Sklaven zu, als er zu den Akten der Betriebe kam horchte Seneca auf, zwar musste da nicht zwingend was drin sein, aber mehr Akten konnte ja auch nicht schaden..
"Die nehmen wir mit.", sagte er kurz und knapp, und griff einen ganzen Stapel raus und verstaute diese widerrum.. Bestimmt würde er bei diesen Akten nichts finden, aber immerhin konnte man dem Praefecten zeigen dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hatten und alles was auch nur annähernd mit der Decima persönlich zutun hatte eingesteckt hat.
"Ab und zu sind also Acta Mitarbeiter hier sagst du? Hast du irgendwelche Namen?", fragte er und erwartete natürlich nicht dass nun irgendwas dabei herauskam. Selbst wenn der Kerl was wüsste, würde er sich schön zurückhalten und nichts dazu sagen, von daher schaute sich Seneca weiter im Raum um, während der Sklave mal wieder grinste, so wie immer eigentlich, "Aus dir kriegen wir eh nichts raus oder?", sagte Seneca leicht gewitzelt, zumindest würden sie hier nichts aus ihm rausbekommen, und da die ganze Sache hier scheinbar etwas unauffälliger ablaufen sollte, könnten sie ihn auch nicht in die Castra mitnehmen um dort mit ihm zu 'Plaudern'.
Seneca's Kamerad Figulus schaute derweil auch eine Rollen durch, fand jedoch auch nichts außer nutzlosen Krempel..
"Hier ist nichts Kamerad.", sagte der Hüne lustlos und lehnte sich gegen die Wand... -
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Der Decima würde das nicht gefallen. Oh nein, ihr würde das gar nicht gefallen, dass jetzt auch noch die Unterlagen ihrer Betriebe dran glauben mussten. „Öhm. Namen? Keine Ahnung wie die heißen. Ich bin nur nen Sklave. Und nicht der, der an der Tür steht.“ Er zuckte die Achseln, überlegte... Da gab's einen Caius Columnus, der war auffällig, und der legte auch Wert drauf, dass alle Welt ihn kannte. Aber bevor er das sagen konnte, machte der Prätorianer, ganz plötzlich – einen Witz. Einen Witz! Wahnsinn! Es geschahen ja doch noch Zeichen und Wunder! Raghnall grinste breit. „Kommt ganz drauf an, was ihr rauskriegen wollt. Ich könnt euch ne Menge erzählen, aber ich glaub das interessiert euch grad weniger...“ Er warf dem anderen Prätorianer einen Blick zu, der bisher reichlich maulfaul gewesen war. „Naja. Jede Menge Schriften von Griechen und Römern... aber von der Decima selbst... da waren ihre privaten Räume schon die beste Quelle“, stimmte er zu.
SKLAVE - DECIMA SEIANA -
Seneca fand seinen eigenen Witz nicht gerade überragend, aber auf eine bizarre Art und Weise freute es ihn dass der Sklave Freude daran hatte, wie dem auch sei, die Hoffnung auf wertvolle Unterlagen schwand, und eigentlich müssten die eingesackten Dokumente reichen sodass Seneca drauf und dran war Figulus zurückzupfeifen, es waren ja auch noch andere Miles im Haus, die sicherlich auch etwas gefunden hatten...
"Da könntest du recht haben. Ich denke wir haben alles was wir brauchen. Meinst du nicht Figulus?", fragte Seneca seinen Kameraden welcher nur grimmig raunte,
"Wir danken dir für deine.... nette... Gesellschaft, du kannst jetzt deiner Arbeit nachgehen.", erklärte Seneca' Raghnall und nahm das Bündel mit den Dokumenten, vielleicht würden sie gleich mit der Auswertung anfangen oder später in der Castra, je nachdem wie lange der Praefectus noch brauchen würde, und wann der Befehl zum abrücken käme.. -
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„Ich habe zu danken“, antwortete Raghnall. Schon wieder mit diesem leichten Grinsen auf dem Gesicht. Erneut hielt er den Prätorianern die Tür auf. „Ihr findet den Weg? Einen schönen Tag euch beiden noch… Man sieht sich!“ Fröhlich wartete er darauf, bis die beiden verschwunden waren, bevor er wieder seiner eigenen Wege ging, die vornehmlich darin bestanden, sich selbst Arbeit zu suchen, um sich bestimmte andere Arbeiten vom Hals halten zu können.
SKLAVE - DECIMA SEIANA -
Stunden später waren ihre Räume wieder aufgeräumt, und zumindest äußerlich wies nichts mehr daraufhin, was hier vorgefallen war. Solange man nicht in so manche Truhe sah, die nun leer war. Und solange man nicht Seiana selbst ansah, die – recht atypisch für sie – nun schon seit einer geraumen Weile kaum für längere Zeit die Muße fand, sich hinzusetzen und einfach sitzen zu bleiben, sondern immer wieder aufsprang und umher lief, ständig die Position wechselte. Sie stand beim Fenster und sah hinaus. Sie saß auf dem Bett, den Kopf in die Hände gelegt. Sie lehnte an der Tür mit zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen. Sie saß am Tisch, eine Hand an ihrem Kinn. Sie stand vor einer Wand und stützte sich mit den Händen daran ab. Sie stand einfach nur mitten im Raum und starrte ins Leere. Und recht bald hielt sie es in ihren Räumen überhaupt nicht mehr aus und dehnte ihre ruhelosen Wanderungen auf das Haus aus. Ihr Cubiculum fühlte sich so... so anders an. Obwohl alle Spuren des Chaos' verschwunden waren, meinte sie die Eindringlinge noch zu spüren, die dort gewesen waren, und das zehrte an ihren Nerven, machte sie nervöser als ohnehin schon. Sie hielt es nicht aus auf Dauer, und so lief sie durchs Haus, blieb mal hier stehen, mal dort sitzen, und verlagerte sich schließlich auf die Bibliothek, die nach dem Garten, in dem überhaupt kein Prätorianer gewesen war, noch am ehesten so etwas wie einen Rückzugsort darstellte.
So ging das die ganze Zeit, stundenlang. Irgendwann wurde es Nacht, aber obwohl sie müde wurde, wollte sich Schlaf nicht einstellen bei ihr. Zu drängend war die Frage, was sie dem Terentius bieten könnte, zu sehr kreisten ihre Gedanken nur um dieses Thema. Sie brauchte etwas. Irgendetwas. Ginge es nur um sie, sie allein… vielleicht hätte sie es dann sogar darauf ankommen lassen. Auf eine Verhandlung. Nach wie vor konnte sie einfach nicht so recht daran glauben, dass es wirklich zum Äußersten kommen würde. Selbst wenn es zur Anklage kam, Mattiacus konnte sie verteidigen, und wenn eines über die Decimi bekannt war, dann dass sie zwar dem Vescularius nicht freundlich gesonnen waren – aber dem Kaiser loyal. Und sie hatte nichts getan. Der Codex Iuridicialis sah die Todesstrafe aber nur für Fälle von tatsächlichem Hochverrat vor.
Aber es ging nicht nur um sie. Es ging auch um ihre Familie. Und vor allem: es ging auch um Faustus. Sie wollte, konnte und würde nicht riskieren, dass er da mit hinein gezogen wurde.
Und dann war da noch etwas, etwas, was sie kaum wagte sich einzugestehen. So sehr sie sich auch einreden mochte, dass es nicht zum Äußersten kommen würde… ein Rest Zweifel blieb. Sie konnte sich nicht sicher sein, ob es nicht doch dazu kommen würde. Wenn der Praefectus Praetorio tatsächlich an ihr ein Exempel statuieren wollte, und ihm egal war, wie schuldig oder unschuldig sie tatsächlich war… Dann würde es ein Leichtes für ihn sein, Beweise für einen Hochverrat zu fingieren, die eindeutig waren. Natürlich bestand selbst dann immer noch die Chance, dass die Iudices ihr glaubten. Nur… wie wahrscheinlich würde das sein?Und so wanderte sie weiter durch die Casa, mit der Bibliothek als Zentrum, ruhelos – und ohne eine zündende Idee. Und je länger das so ging, desto drängender, bedrückender und zugleich blockierender wurde der Gedanke, dass ihr etwas einfallen musste, wenn schon nicht wegen ihr oder ihrer Familie, dann auf jeden Fall um Faustus‘ willen.
Faustus. Seiana, die gerade wieder an einem Schreibtisch in der Bibliothek saß, stützte die Ellbogen auf, legte ihr Gesicht in die Hände und atmete tief durch. Sie musste ihm schreiben, aber sie wusste nicht was. Komm heim. Hilf mir. Komm heim. Komm heim. Komm heim. Die Worte hämmerten in ihrem Kopf, aber es war sinnlos. Kein Brief der Welt konnte ihn rechtzeitig erreichen, und erst recht konnte ihn nichts rechtzeitig herbringen. Und davon abgesehen: das würde sie ihm wohl ohnehin niemals schreiben. Sie konnte ihn nicht mit ihren Problemen belasten, sie musste irgendwie allein damit fertig werden. Sie hatte nur keine Ahnung wie. Was konnte sie dem Terentius schon bieten? Geld war kaum eine Option, davon hatte er selbst genug. Sie war nicht arm, aber bei weitem nicht so unermesslich reich, dass sie ihm eine ausreichende Summe hätte anbieten können – wenn sie das Familienvermögen mit in Betracht zog, wäre es etwas anderes, aber dafür würde sie ihre Familie hineinziehen müssen, und genau das wollte sie vermeiden. Aber was blieb dann noch? Ihr war sogar flüchtig der Gedanke gekommen, dass sie… versuchen könnte… ihn zu verführen. Aber das hatte sie so schnell wieder beiseite gewischt, wie es ihr gekommen war. Zum einen würde der Terentius dieses Angebot kaum als ausreichend erachten für das, was sie im Gegenzug wollte. Immerhin gab es genug Lupae in Rom, und ein Mann wie er dürfte auch sonst kaum Schwierigkeiten haben, Frauen für sein Bett zu finden. Und zum anderen… war das nicht sie. Sie konnte nicht verführen. Sie hätte nicht einmal gewusst, wie sie das hätte anstellen sollen. Sie würde sich nur lächerlich machen, wenn sie es versuchte, und ihm simpel hinzuknallen, dass er sie im Bett haben konnte, wenn er wollte… nein. Nein. Das war keine Option. Sie würde es sich kaum leisten können abzulehnen, wenn er damit ankam… aber sie konnte das einfach nicht auf den Tisch bringen, so verzweifelt war sie nicht. Und sie hakte diesen speziellen Gedanken ab, bevor wieder jene Bilder über sie hereinbrechen würden, die sie so mühsam bekämpft hatte und die nach wie vor in ihr lauerten. Nein. Was sie wirklich zu bieten hatte, waren ihr Einfluss und ihre Verbindungen als Decima und als Auctrix.
Und genau das hatte ihm in ihrem Gespräch schon nicht gereicht.So verging die Nacht, ohne dass sie ein Auge zutat, und als der Tag anbrach, war sie kein Stück weiter. Sie stand am Fenster und sah zu, wie der Morgen dämmerte… und sie hatte immer noch keine Idee, keine Lösung, nichts. Stattdessen hatte sie das Gefühl, dass ihr Kopf dröhnte, so sehr, dass es immer schwerer fiel klar zu denken. Und erst in diesem Moment, als ihr das bewusst wurde, traf sie die Entscheidung, um Hilfe zu bitten.
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Die Begegnung, die Unterhaltung mit dem Iunius hing ihr immer noch im Kopf, trieb durch die Peripherie ihrer Gedanken – nicht wie ein Raubtier auf der Lauer, das jederzeit drohte zuzuschlagen, sondern mehr wie ein Paria, der zurück in die Gemeinschaft wollte, ohne es zu erreichen. Sie ließ nichts zu, was diesen Gedanken Raum geboten hätte sich zu entfalten. Der Iunius war auf sie zugekommen, hatte sie um einen Gefallen gebeten, hatte sie im Anschluss noch begleitet und sich mit ihr unterhalten, nachdem er sein Anliegen vorgebracht hatte. Daran war nichts Unübliches… nicht einmal daran, dass er seine Hilfe beim Training ihres neuen Leibwächters angeboten hatte. Und was unüblich gewesen war, für sie jedenfalls – wie leicht die Unterhaltung mit ihm geworden war –, verdrängte sie einfach.
Ganz wegschieben konnte sie die Begegnung jedoch nicht, auch wenn ein Teil von ihr – der, der Distanz als Sicherheitsmaßnahme nutzte und zu schätzen wusste – das wollte. Sie hatte sich ja nicht nur mit dem Iunius unterhalten, sie hatte einen Sklaven gekauft, und obwohl sie sich sicher war, dass ihre Sklaven hier sich ausreichend um ihn gekümmert hatten, wollte sie dennoch gleich den ersten Tag nutzen, um mit ihm zu reden. Also ließ sie Delon in die Bibliothek rufen, wo sie gerade war und arbeitete.
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Delon war froh das er sich etwas hatte hinlegen können bevor er zu Seiana gerufen wurde. Seine Kastrationswunde schmertzte nicht mehr so stark und er fühlte sich besser. Der Haushalt der Decimer schien ganz in Ordnung mit seinen Sklaven umzugehen. Nun war er gespannt was seine Herrin von ihm wolte. Als er die Bibliotheca betrat war er sehr beeindruckt. Als gebildeter Sklave wusste er Literatur durchaus zu schätzen und das schien auch für seine neue Herrin zu gelten. Er sagte:
"Ihr habt nach mir gerufen, Herrin."
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„Ja“, antwortete Seiana mit einem vagen Lächeln. Sie machte eine Handbewegung zu einem Korbstuhl ihr gegenüber. „Komm her, setz dich. Nimm dir etwas zu trinken.“ Auf dem Tisch, an dem sie saß, standen Wein und Wasser und sowie Becher bereit, so dass Delon sich selbst würde einschenken können, was er wollte.
Sie wartete, bis er sich gesetzt hatte, bevor sie weiter sprach. „Sicherlich hast du bereits einiges vom Haus gesehen und von den anderen Sklaven erfahren. Dennoch ein paar Hinweise von mir... Wenn du etwas brauchst, wende dich an den Maiordomus, oder an Raghnall. Du bist nun ein Sklave der Gens Decima, was heißt, dass du ein gewisses Bild repräsentierst, wenn Gäste dich hier sehen oder wenn du das Haus verlässt, mehr noch, wenn du mich begleitest. Die gute Kleidung, die du dafür brauchst, wirst du bekommen – von dir erwarte ich, dass du auf dein Äußeres achtest. Und selbstverständlich ein entsprechendes Verhalten. Als Leibwächter wird das hauptsächlich sein, dass du dich im Hintergrund hältst... Aber wenn der Händler die Wahrheit erzählt hast, hast du noch einige andere Talente, die zu schade sind um sie verkommen zu lassen.“ Sie machte eine kleine Pause und musterte Delon. „WIe ist deine Einschätzung? Hältst du dich für einen Leibwächter geeignet? Oder würdest du einen anderen Aufgabenbereich vorziehen?“
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Hinfort - seit Tagen bereits war Faustus hinfortgeweht durch die lauen Winde des Schicksales, welche längst zu einem aufbrausenden Sturme sich hatten geformt, der unbarmherzig hinwegfegte über Rom und das gesamte Imperium Romanum, allerorten Söhne, Väter, Brüder und Männer entwurzelten Bäumen gleich aus ihrem Leben riss, sie in einen Krieg zu führen, welcher alles würde verändern. Zurück blieben Mütter, Töchter, Schwestern und Mütter, in Sorge und Gram - und Aton. Manius Aton, der in sich spürte, dass dies alles, dies wuchernde Geschwür ihrer Zeit, letztlich aus seiner Schuld heraus war geboren worden, er es hatte genährt, gepflegt und protegiert, wiewohl es ursprünglich gar noch weit älter war als er selbst. Im Grunde musste dies wohl der konturlose Fluch sein, welchen er seit jeher auf seinen Schultern hatte gespürt, der Fluch seiner Familie, welcher der Preis war für eine Zeit als kaiserliches Geschlecht, der Preis für eine kurze Periode des Ruhmes, einen kurzen Triumph in der Endlosigkeit der Geschichte. Lag darob also der Anfang in ihm begründet oder war auch er nur Spielball des Schicksals, unfähig sich seiner Aufgabe im großen Kessel des Lebens zu entledigen? Beständig quälten Manius diese Gedanken, von welchen er glaubte, dass sie nicht die seinen waren, dass sie aus einem anderen Hirn mussten stammen, denn sein einziger Gedanke galt Serapio, galt der Sehnsucht und der Sorge um den Geliebten im Krieg. Zuvorderst grämte er sich in seinem Cubiculum, zeichnete komplexe Muster in die dünne Schicht aus Staub, welche sich unter dem Bett hatte angesammelt - duldete er doch keinen Sklaven in seiner Anwesenheit in diesem Raume, so dass es auch für den Cubicularius nicht einfach war, sich um dieses Zimmer des Hauses zu kümmern. Doch als aller Staub zur genüge war bewegt worden, als der Ausblick auf Wände und Möbel ihm fad und desperierend wurde, als niemals die Türe noch sich öffnete, um seinen geliebten Faustus einzulassen, mochte Aton nicht mehr dort ausharren in defätistischer Untätigkeit. Aus diesem Grunde also hielt er sich vermehrt wieder in jenem Raum auf, über welchen er vordergründig die Obhut hatte übernommen - in der Bibliothek, in welcher die Gens Decima über Jahre hinweg durchaus eine stolze Sammlung an Schriftstücken hatte angesammelt. Indes hatte der vorherige Bibliothecarius alle Werke geordnet nach alphabetischer Reihenfolge der Autoren und innerhalb dieser Cluster wiederum nach alphabetischer Reihenfolge der Titel - eine Sortierung, welche Manius derart geistlos anmutete, dass allein das bloße Wissen darum ihm als palpables Brennen auf seiner Seele deutlich war. Diese Art der Katalogisierung schien ihm in etwa als würde ein Dichter für sein Werk Buchstaben mit Nummern kennzeichnen und so zusammensetzen, dass in jeder Zeile eine bestimmte Quersumme wurde erreicht, ganz ohne dabei auf Sinn, Klang und Schönheit der entstehenden Worte und Sätze zu achten. Aus diesem Grunde also hatte Manius Aton die zurückliegenden Tage damit verbracht, die Bibliothek der Decima neu zu ordnen - sich ein wenig Platz geschaffen für einen Anfang, hernach die Schriften nach seinem eigenen Ordnungsprinzip herausgesucht und dem neuen System gemäß platziert. Jene Katalogisierung basierte auf der emotionalen Anrührung, welche die Klangfarbe des Titels in Manius evozierte, und dass außer ihm niemand dieses System würde nachvollzieren können war für ihn in diesem Augenblicke weder im Fokus seiner Aufmerksamkeit, noch von marginalstem Belang.
"De viris illustribus ... viris ... illustribus ..."
, murmelte Aton den Titel des Werkes eines gewissen Sueton vor sich hin - ein Name, welchen er in den letzten Jahren bereits einmal hatte gehört im Zusammenhang mit aufstrebenden Talenten ihrer Zeit, dessen Werk er jedoch nicht kannte.
"De viris illustribus ... illustribus ..."
Er zog das erste i der Männer ein wenig und legte besondere Betonung auf das erste U, nickte dann zufrieden. Dies klang zweifelsfrei nach einem grünstichigen Blau, nicht gar so hell wie Eisblau, aber auch noch nicht Türkisblau, mehr von einem zarten, luziden Hauch Grün belegt. Mit wenigen Schritten war er bei der entsprechenden Sektion, welche zwischen Meerblau und Lindgrün angesiedelt war, und legte die Schriftrolle dort zu Ciceros De finibus bonorum et malorum, das ebenfalls dort eingeordnet war - wenngleich dieses Werk ein wenig mehr zu Meerblau hin tendierte, gar durchzogen war von einer leichten Brise frischer Seeluft, welche ihn an frühere Zeiten erinnerte, die Küste, allfällig in Aegyptus, allfällig an einem anderen Ort seines Lebens. -
Ein weiteres Schriftstück aus dem Korb voller noch nicht sortierter Schriften fand seinen Weg in Atons Hände. Er drehte das kleine Schild, welches an der Rolle befestigt war, und las den Namen des Autors - Gaius Plinius Caecilius Secundus.
"Ah"
, bemerkte er beifällig.
"Plinius Minor."
In diesem Augenblicke jedoch, als der Name des jüngeren Plinius über Manius' Lippen war geflossen, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig - intrinsisch wie extrinsisch. Im Äußeren weiteten Atons Augen sich, wie sein Blick starr wurde, alle Kraft floss aus seiner Hand, dass seine Finger sich lösten von dem Pergament, so dass die Schriftrolle angezogen von den Kräften des Erdbodens unaufhaltsam dem Grund entgegen fiel. In seinem Inneren indes brachen einige Konstrukte seiner sorgsam errichteten Fassade in sich zusammen, gaben durch einen krummen Spalt den Blick frei auf ein zerstörtes Gebäude, auf verwüstetes und brach liegendes Land, in welchem kein Schimmer, keine Couleur mehr vorherrschend war, jeder Lichtstrahl verschluckt wurde von Schatten und Düsternis, jede einst allfällig vorherrschende Schönheit und Anmut überzogen war von Moder und Staub.
"Minor"
, echappierte ihm als mit einem leisen, dumpfen Schlag die Pergamentrolle auf dem Boden aufschlug, ein Ton, welcher viel zu gering, viel zu unbedeutend war, um die Bedeutsamkeit dieses Ausspruches zu unterlegen, denn Manius wusste, dass noch ein Donnerschlag, dass ein Erdbeben wären zu leise gewesen, diesen Namen zu geleiten.
"Minor"
, flüsterte er noch einmal, schüttelte hernach langsam den Kopf, so als könne er die quälende Reminiszenz damit aus seinen Gedanken treiben, doch der Schmerz, die Gewissensbisse und die Last seiner Schuld lagen schwer über ihm, einem dunklen Tuche gleich, das über ihn gebreitet war, einem Berg aus Erde, welcher über ihm war aufgehäuft worden. Sukzessive neigte sein Kopf sich bis dass die Schriftrolle wieder in seinen Blick geriet, doch es war nicht Plinius, dessen Signifikanz ihn derart derangierte, es war Minor. Minor. Manius Minor.
"Manius Minor"
, suchte er den Klang des Namens zu erfassen, welcher ihm so traut, so teuer zu sein schien.
"Manius Aton Minor."
Aton zerstörte die Vertrautheit binnen weniger Herzschläge, zerstörte das heimelige Gefühl, nach welchem Manius sich beständig sehnte. Allfällig war es nur ein Trug, ein Fetzen aus einem Alb, welcher aus der zurückliegenden Nacht geblieben war, gänzlich ohne Bedeutsamkeit. Einige Augenblicke noch kämpften in ihm Bewusstsein und Erinnerung, Lüge und Wahrheit um die Vorherrschaft, dann vertrieb Aton blinzelnd die Unsicherheit aus seinem Selbst, bückte sich und hob die Schriftrolle auf. Nur ein leises, fernes Flüstern der Unsicherheit blieb aus seiner Tiefe, während er damit fortfuhr, die Schriftstücke der Bibliothek zu ordnen, seiner Existenz einen Sinn zu verschaffen. -
Versonnen blickte Manius Aton in das Licht der Öllampe auf dem Tisch voller Pergament - der Winter schien ihm selbst am Tage zu trist als dass der trübe Schein des wolkenverhangenen Himmels ihm genügte - und rezitierte leise.
"O Zeus und Gaia und ihr Götter dieser Stadt! Erinnys meines Vaters, allgewaltger Fluch! Nicht tilgt mir so die wurzelaufhinsterbende Kadmeerfeste, feindbewältigt, mitgewohnt der Griechenspra'he, nicht der Heimat Herd hinweg!"
Ein kurzer Augenblick der sammelnden Stille folgte, ehedem er noch einmal repetierte, ein wenig mehr Couleur diesmalig in seine Stimme legend.
"O Zeus und Gaia und ihr Götter dieser Stadt! Erinnys meines Vaters, allge..waltger Fluch! Nicht tilgt mir so die wurzelaufhinsterbende Kadmeerfeste, feindbewältigt, mitgewohnt der Griechensprache, nicht der Heimat Herd hinweg!"
Sodann blickte er wieder auf das Pergament vor sich, schob die beiden leeren Blätter darüber eine Zeile weiter und las, die Worte dabei murmelnd:
"Dies freie Land darf, diese teure Kadmosburg das Joch der Kne'htschaft nun und nimmermehr umfahn ... Dies freie Land darf, diese teure Kadmosburg das Joch der Knechtschaft nun und nimmer..mehr umfahn."
Neuerlich blickte er empor, die Worte nun klar und deutlich vor Augen in seinem Innersten ablesend.
"O Zeus und Gaia und ihr Götter dieser Stadt! Erinnys meines Vaters, allge..waltger Fluch! Nicht tilgt mir so die wurzelaufhinsterbende Kadmeerfeste, feindbewältigt, mitgewohnt der Griechensprache, nicht der Heimat Herd hinweg! Dies freie Land darf, diese teure Kadmosburg das Joch der Kne'htschaft nun und nimmermehr umfahn."
Ein sublimes Lächeln umschmeichelte seine Lippen beim Klang der Worte, umfingen sie ihn doch mit einer warmen Wonne beinahe schon vergessen geglaubten Genusses. Es war an den Meditrinalia gewesen als Manius begonnen hatte, den anmutigen Liebreiz längerer Texte wieder für sich zu entdecken. Noch immer war es ihm unmöglich, Zeile um Zeile eines Blattes in sich aufzunehmen ohne dabei beständig in der Folge dieser Zeilen zu verrutschen, dass die Bestandteile des Textes wahllos sich vermengten zu gänzlich absurdem Inhalt. Doch Faustus' Gedicht in seiner Gänze hatte er nicht einfach nur sich vorlesen lassen wollen, er wollte es in sich verschlingen, tief in sein Herzen aufnehmen, dass niemand je wieder es ihm würde nehmen können. So hatte er ein leeres Pergament zu Hilfe genommen und den Text damit abgedeckt bis auf die erste Zeile. Am ersten Tage hatte er diese verinnerlicht, am nächsten sodann das leere Pergament eine Zeile nach unten verrückt, wiewohl die oberste mit einem weiteren Blatt verdeckt, so dass er in Ruhe die zweite Zeile hatte auswendig lernen können. Erst am dritten Tag war der Gedanke ihm gekommen, dass dies nicht nur zum Verinnerlichen so würde gelingen müssen, sondern gleichsam auch, um längere Texte schlichtweg nur zu lesen, ohne dass dabei seine Aufmerksamkeit würde derangiert werden. Voller Elan hatte er darob in der Bibliothek sich ein Stück gesucht, welches inhaltlich ihm noch nicht geläufig war - Aischylos, die Sieben gegen Theben - und rückte seitdem die beiden Pergamente Zeile um Zeile. Zwar war dies mühsam, denn obgleich er den Text nicht wollte auswendig lernen, musste er doch ihn abschnittsweise verinnerlichen, da einzelne Zeilen herausgerissen aus dem Kontext selbstredend längstens nicht derart ästhetisch sich präsentierten wie in ihren Kontext eingebunden, gleichwohl bereitete ihm das Studium der Schrift eine derartige, lange vermisste Pläsier, dass er gerne diese Mühe auf sich nahm, beinahe sogar darüber die Misere seiner Existenz, der Abwesenheit Faustus' und des Bürgerkrieges konnte vergessen.
"Gönnt Rettung; beiden, uns und euch, frommt, was ich bat, des Glückes froh ehrt ihre Götter auch die Stadt!" -
Seiana wusste, dass sie sich nicht ewig in ihrem Cubiculum verstecken konnte. Schon gar nicht lange genug, bis sich wenigstens ein Teil ihrer Probleme von selbst erledigt haben würde. Also verließ sie es auch bereits nach wenigen Tagen das erste Mal wieder. Sie hatte nicht vor, gemeinsam mit der Familie zu essen oder dergleichen, noch nicht, schon allein, weil man noch viel zu deutlich die Spuren sah, die Terentius hinterlassen hatte... und sie fühlte sich noch nicht bereit dafür, den Blicken zu begegnen, oder gar Fragen zu beantworten – nicht von mehreren gleichzeitig. Aber wenn sie hin und wieder einem oder zwei Verwandten begegnete, würde das gehen... und so würde es leichter sein, wieder einer Cena beizuwohnen, irgendwann, wenn sie es nicht mehr hinauszögern konnte.
Als sie ihr Cubiculum verlassen hatte, hatte sie zum Garten gewollt, um ein wenig frische Luft zu schnappen, aber als sie auf dem Weg dorthin an der Bibliothek vorbei kam, beschloss sie, dieser einen Besuch abzustatten. Der Vorrat an Schriftrollen in ihrem neu eingerichteten Cubiculum musste aufgestockt werden, und die Chance, dass sie dort gleich der halben Familie begegnen würde, war eher gering einzuschätzen... dachte sie jedenfalls. Kaum hatte sie jedoch leise die Tür geöffnet und war eingetreten, drang eine Stimme an ihr Ohr, die davon zeugte, dass sie nicht alleine sein würde hier. Sie zögerte einen Moment, unschlüssig, ob sie nicht lieber gehen sollte... zögerte lange genug, um festzustellen, dass etwas anders war, dass das keine Unterhaltung war, die da stattfand, sondern dass jemand etwas rezitierte. Einen Text einübte. Seiana betrat den Raum vollends und schloss vorsichtig die Tür hinter sich, bevor sie weiter hinein ging und sich dem Sprecher näherte, der weiter hinten, beschienen von einer Öllampe, Pergamente vor sich, mit dem Rücken zu ihr Passagen wiederholte. Versonnen stand Seiana da und lauschte ihm. „Gönnt Rettung; beiden“, echote sie ihn leise, ohne dass ihr wirklich bewusst war, dass sie laut sprach. Gönnt Rettung; beiden. Sie schickte ein Stoßgebet zu den Göttern, dass Faustus und Seneca beide wohlbehalten zurückkehren würden. Erst nach einem weiteren Moment wurde ihr klar, dass sie beide Male laut gesprochen, nicht gedacht hatte, und unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück. „Verzeih bitte, ich wollte dich nicht stören.“ Und blieb dann doch stehen, als sie daran dachte, dass sie nicht ewig davon laufen konnte vor einer Begegnung mit Menschen, die nicht zu dem kleinen Kreis ihrer engsten Sklaven zählten.
-
Zunächst glaubte Manius ein Echo der Muse Calliope in seinen Sinnen zu vernehmen, allfällig auch seine eigenen Wunschgedanken, welche beiden - Faustus und Aton - die unwahrscheinliche Rettung wollten zugedacht wissen, doch während seine Wunschgedanken nicht in einer derart wohlklingenden Stimme in ihm widerhallten, so war es nicht der Calliope Art, sich für etwaige Unterbrechungen seines Gedankenflusses zu entschuldigen - schlussendlich war sie eine Muse und dies ihre Aufgabe! Als ihm ob dessen wurde gewahr, dass nur ein Gespinst der Larven oder aber eine Person der Realität verantwortlich konnte sein für die Unterbrechung, drehte er seinen Oberkörper ein wenig abrupt, erhob sich indes sogleich als er Decima Seiana entdeckte - seine Rolle mochte die des alexandrinischen Gelehrten sein, doch sein Habitus und seine Präsenz waren noch immer jene eines Patriziers, Pontifex und Senators, insbesondere da er sich dessen nicht mehr bewusst war, dass sein Leib die lebenslange Prägung seines Daseins nicht konnte verhehlen - und ließ ein feines Lächeln seine Lippen umspielen. Er kannte Seiana nicht, nicht nur da sie selbst es vermied mit der Familie zu speisen, sondern ebenso da auch er dies scheute - obgleich es nicht ungewöhnlich wäre gewesen, dass ein freier Gast des Hauses ab und an teilhatte an der familiären Cena. Doch war ihm stets in Sinnen, dass Faustus ihn vor allem anderen in diesem Hause versteckt hielt, wenngleich er den Grund dafür längst aus seiner Aufmerksamkeit hatte verdrängt, so dass er zumeist seine Mahlzeiten sich aus der Küche mit in sein Cubiclum nahm, darob nicht einmal genau wusste, welche Decima derzeit überhaupt das Haus bewohnten. Doch die junge Frau gab nicht den Anschein einer Sklavin, so dass sie entweder ebenfalls ein Gast oder aber eine Decima musste sein.
"Es ist nichts geschehen, das eine Verzeihung würde be..dingen."
Zum einen hatte sie zwar sein Studium der Schrift unterbrochen, andererseits jedoch war er schlussendlich der Bibliothekar - zumindest stellte er dies augenblicklich dar, obgleich wohl mittlerweile jeder in der Casa wusste, dass er hauptsächlich aufgrund seiner Liaison zu Faustus in der Casa weilte -, so dass es unter anderem seine Aufgabe war, lesewilligen Decima entsprechende Schriften zu suchen oder diese zurück zu nehmen.
"Mein Name ist Aton"
, begann er ob dessen, zögerte einen Augenblick, ehedem er hinzufügte:
"Manius Aton. Ich bin der ... bibliothecarius ... dieser Bibliothek."
Laut ausgesprochen klang es überaus seltsam.
"Suchst du eine Schrift? Einen speziellen Titel, etwas Kurzweiliges oder ein sp..ezifisches Genre?"
Außer Sklaven, welche Schriften hatten zurückgebracht, die in den Cubicula waren liegen geblieben, hatte bisherig noch niemand ihn in seiner Funktion als Bibliothekar angetroffen, doch Aton hatte sich diesen Augenblick bereits des öfteren in Gedanken ausgestaltet - similär zu seiner Vergangenheit -, so dass seine Frage tatsächlich ein wenig einstudiert klang. -
Seiana musterte den Mann, als dieser sich zu ihr umdrehte, mit diesem vagen Gefühl, dass sie ihn irgendwoher kannte. Was nicht allzu ungewöhnlich war, immerhin befand sie sich im Haus ihrer Familie... sie war sich nur unsicher, woher sie ihn kannte. Sie zwang sich zu einem angedeuteten Lächeln, als er antwortete, ihre Entschuldigung abtat, während ihr unangenehm bewusst wurde, dass er sie nun ansah. Und damit auch die Spuren der Verletzungen in ihrem Gesicht sehen konnte, die Schwellung und dunklere Färbung am Auge, die aufgeplatzte Lippe... eine ihrer Hände zuckte nach oben in dem Drang, es irgendwie zu verdecken, aber da gab es keine Möglichkeit, außer die Hand oben zu behalten – also wandelte sie die Bewegung nur dazu ab, sich eine nicht vorhandene Strähne aus dem Gesicht zu streichen und die Arme danach zu verschränken, um ungewollte Bewegungen dieser Art zu vermeiden. „Decima Seiana“, antwortete sie auf seine Vorstellung hin und musterte ihn dann erneut, diesmal eindringlicher. Bibliothecarius? Der Mann vor ihr wirkte nicht wie einer, seine Haltung, seine Sprache, seine Ausstrahlung... hätten sie nie vermuten lassen, dass er hier arbeitete. Sie hatte vermutetet er wäre ein Verwandter, den sie lange Jahre nicht gesehen hatte, oder vielleicht ein Freund der Familie, der zu Besuch war... aber kein Angestellter. Davon abgesehen hatten sie doch einen Bibliothecarius gehabt... das war einer der wenigen Sklaven außer ihren eigenen, die sie wirklich kannte, weil sie hier häufig Zeit verbracht hatte, vor ihrer Ehe. Und Seiana konnte sich nicht vorstellen, dass der Bibliothecarius... der ehemalige, hieß das nun wohl – seine Aufgabe hier freiwillig aufgegeben hätte.
„Nein... nichts spezielles, heißt das. Ich wollte nur... ein bisschen stöbern. Ein paar Schriften suchen, die ich mitnehmen kann für lange Abende in der nächsten Zeit.“ Sie versuchte sich erneut an einem Lächeln und räusperte sich. „Was ist mit deinem Vorgänger... Orosius?“
-
Ihren Namen, Seiana, hatte Serapio zwei oder dreimal beiläufig in Hinblick auf seine Schwester erwähnt, so dass Aton nun ihr Antlitz genauer betrachtete im Ansinnen, Similaritäten zu dem ihm so trauten Anblick Faustus' zu entdecken, um so fundamentieren zu können, dass dies tatsächlich jene Seiana war und nicht nur eine entfernte Verwandte gleichen Namens, so dass er nicht mehr umhin kam, der Spuren der Gewalt gewahr zu werden, welche er zuvor für ein unvorteilhaftes Spiel aus Licht und Schatten hatte gehalten, schon alleine deswegen, da ihm der Tatbestand einer handgreiflichen Aktion gegen eine Frau wie die Decima überaus absurd erschien. Es schien gleichwohl unbezweifelt, dass dies ein Werk von Menschenhand war, ob dessen in ihm der Impuls aufkam, zu Seiana heranzutreten, dies näher in Augenschein zu nehmen und Auskunft von ihr zu verlangen, wer für diese Blessuren war verantwortlich, und ob in Anbetracht der Absenz ihres Bruders bereits einer ihrer anderen Verwandten hatte für adäquate Satisfaktion Sorge getragen. Doch letztlich entsann Aton sich beizeiten, dass er nur ein Gast war in diesem Hause, ein unbedeutender Gast zudem, und mehr noch ein im Verborgenen gehaltener Gast, dass wohl kaum ihm derartiges Gebaren zustand, ob dessen er froh war, Seianas Frage zur Ablenkung nutzen zu können, obgleich auch dies zuerst ein gewisses Maß an Derangierung in ihm evozierte.
"Orosius?"
Im ersten Augenblicke wusste er nicht, worin dies sein Vorgänger mochte gewesen sein, denn letztlich war das, was er augenblicklich darstellte, in ihm nicht derart fest definiert, dass es allzeit ihm präsent war, zudem er selbst darin stets uneins, so dass es einige Herzschläge dauerte bis er im Geiste sich über seine eben erst geäußerte Vorstellung und dem Ort seines gegenwärtigen Wirkens zu dem bibliothecarius zurück hangelte, von welchem Serapio nur hatte angedeutet, dass es von eminenter Wichtigkeit war, dass er ihm nicht von Angesicht zu Angesichte gegenüber trat.
"Ah, ja, Orosius. Faustus hat ihn gen Westen entsandt, nach Massilia oder Arelate, sofern ich mich recht ent..sinne, um eine Abschrift der Tarpeia zu erstellen."
Da dies noch immer nicht seine eigenen Anwesenheit erklärte, fuhr er nach einem kurzen Zögern fort.
"Faustus und ich haben uns in Alexandria kennen gelernt, in jener Zeit als er bei der dortigen Legion stationiert war. Er sprach damals eine Invitation nach Rom aus, und als ich hier eintraf entbot er mir, die Schriften dieses Hauses zu studieren und glei'hsam für einige Zeit die Obhut über die Bibliothek zu übernehmen, so dass er Orosius mit der Aufgabe der Abschrift konnte betrauen. Dass auch Faustus alsbald Rom würde verlassen müssen, war zu diesem Zeitpunkt nicht vor..herzusehen, und er bat mich, zu verweilen bis er wieder zurückkehrt. "
An diesem Punkt glaubte Aton die Erklärung über seine eigene Person zur genüge ausgeführt zu haben, denn letztlich gab es ohnehin nicht mehr in seinem Leben, so dass er sich Seianas Anliegen zuwandte.
"Für vergnügli'he Kurzweil während langer Abende ist zweifelsohne ein Epos adäquat, allfällig die Argonautica, sofern du sie nicht bereits kennst. Ist dir Valerius Flaccus ein Begriff? Er hat die Argonautica neu verfasst - selbstredend anhand der Originalversion des Apollonios von Rhodos, doch nicht als bloße Übersetzung in das Lateinische, sondern in ganz eigener, er..frischender Art. Einen Augenblick ..."
Er trat an eines der Regale heran, suchte es von oben nach unten ab, stockte sodann jedoch in seiner Suche.
"Ich ... ich fürchte, es war eine andere Bib..liothek, in welcher ich es gelesen habe."
Eine Art von Melancholie lag in der Couleur seiner Stimme, denn es war seine eigene Bibliothek gewesen, welcher er sich entsann, und nicht etwa in Alexandria, sondern an einem Ort, an welchen eine tiefe Sehnsucht ihn zurück zog auch ohne dass er dessen sich bewusst war.
"Womögli'h in einem anderen Leben"
, murmelte er vor sich hin, dass es für Seiana wohl nurmehr ein Flüstern war. Sodann fiel der Schatten der Vergangenheit wieder ab von ihm als er sich zu ihr umwandte.
"Den Schild des Herakles habe ich indes unzweifelhaft in diesen Bestand situiert, ein Eypllion des Hesiod. Wäre dies all..fällig eine Alternative für dich?"
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