atrium | Nach all den Jahren - ein Lichtblick

  • Es war ein kleiner Lichtblick, in dieser schweren Zeit, die ich gerade durchmachte. Dieser Lichtblick hatte auch einen Namen - Foslia Graeceia, eine liebe Freundin aus hispanischen Jugendtagen und eine entfernte Verwandte meiner Mutter, wie ich allerdings erst später festgestellt hatte.
    Mit Foslia Graeceia hatte mich eine innige Freundschaft verbunden, damals in Tarraco. Leider hatten wir uns nach meiner Hochzeit aus den Augen verloren. Die Briefe, die ich ihr anfangs aus Lutetia geschrieben hatte, hatten sie nie erreicht, da mein damaliger Ehemann es genau verstanden hatte, wie er mich von meinem bisherigen Leben isolieren konnte.
    Doch heute Morgen hatte sie plötzlich vor mir gestanden. Zwar waren inzwischen Jahre vergangen, doch sie hatte sich kaum verändert. Nachdem wir einen netten Vormittag verbracht hatten, lud ich sie schließlich zu mir ein. Wir hatten ja so viel nachzuholen! All die verlorenen Jahre, die schlimmen Stunden voller Verzweiflung, aber auch die kleinen Lichtblicke im Leben waren es, die wir miteinander austauschen wollten.
    Foslia Graeceia hatte alles erreicht, wovon man als junges patrizisches Mädchen nur träumen konnte. Wenige Monate nach meiner ersten Hochzeit war sie verlobt worden. Ein Jahr später heiratete sie schließlich einen hohen Beamten aus gutem Hause. In den darauffolgenden Jahren durfte sie eine erfüllte Ehe erleben, in der sie ihrem Mann vier Kinder gebar. Dann, vor etwa zwei Jahren, starb ihr Mann. Seit einigen Monaten nun, lebte sie in Italia und ausgerechnet heute hatte sie der urbs aeterna einen Besuch abgestattet. Ein ganzer Tross Sklaven hatte sie begleitet. Offenbar war sie auch noch nach dem Tod ihres Mannes gut versorgt.
    Inder Villa Aurelia hatten wir es uns zur Mittagsstunde im atrium gemütlich gemacht. Ich ließ einen kleinen Imbiss servieren lassen und verdünnten Wein und einer von Graeceias Sklaven unterhielt uns mit seinem Gesang und dem Spiel auf der Kithara. Wunderbare kurzweilige Stunden erlebten wir. Und das Spiel des schüchtern wirkenden jungen Sklaven verzauberte mich voll und ganz.



    Sim-Off:

    Reserviert! :)

  • Okhaton ließ den letzten Ton des Nachspiels sanft ausklingen. Er spürte bereits ein leichtes Kratzen im Kehlkopf, er würde seine Stimme etwas schonen müssen, wenn er noch länger durchhalten wollte. Hier war es kühl - es wurde Abend, und die Sonne war schon nicht mehr zu sehen. Er dachte an die Abende, an denen er auf dem Dach seines Elternhauses sitzend singen und spielen gelernt hatte - gerade mal zwei Jahre war es her, warm war es gewesen in jenem Sommer, bevor sein Leben in die Brüche ging. Beide Eltern am bösen Fieber gestorben, innerhalb von Wochen, ohne einen Berg von Schulden abgetragen zu haben...


    Über Umwege war er bei seiner jetzigen Besitzerin gelandet. Sie und ihr Mann ließen ihn ab und zu spielen und singen, ansonsten bediente er Gäste oder diente als Wächter, wenn nicht der alte Judäer Aaron den Herrn oder die Herrin begleitete. Okhaton sah zwar aus, als könne er kein Wässerchen trüben, aber unter der schlichten Tunika verbarg sich ein kraftvoller Körper, nachdem er ein halbes Jahr in einem Steinbruch gearbeitet hatte. Der Mitsklave, der ihm im Steinbruch sein Stück Brot hatte abknöpfen wollen, lief seit dem Versuch mit einer schiefen Nase und einem viel besseren Sinn für Mein und Dein herum. Eigentlich tat Okhaton die Sache leid - aber er hatte ihn nunmal überrascht, er hatte reflexartig reagiert.


    Er warf einen kurzen Blick auf seine Herrin; die schätzte ihn zwar, kümmerte sich aber sonst nicht großartig um ihn. Er fühlte sich oft einsam, aber das war ihm letzten Endes recht, so musste er nichts erklären, alles ging seinen Gang, ohne dass er dazu kam, um Chancen zu trauern, die ihm ein ungünstiges Schicksal geraubt hatte. Sein Blick schweifte weiter.


    Die Gastgeberin, Flavia Celerina hieß sie wohl, wirkte wie die meisten feinen Damen, die er gesehen hatte - geradezu überirdisch schön mit den ganzen aufwändigen Mitteln, die ihnen dafür zur Verfügung standen, aber auch verdammt weit weg von ihm selbst. Sie war aber keine von den ganz Üblen - sie hatte ihm sogar einen kleinen Wasserkrug geben lassen, damit er sich die Kehle befeuchten konnte. Die Herrin hatte seinen Blick bemerkt: "Spiel das Lied vom Wandern...mit den Sternen das..."


    Okhatons lateinischer Wortschatz speiste sich vor allem aus Liedtexten, die er leidenschaftlich und inzwischen in erheblichem Tempo auswendiglernte. Er nahm noch einen Schluck, nickte und richtete den Blick zum Himmel.


    "Ein Wanderer auf der Straße
    Kennt nicht den Weg, kaum noch sein Ziel
    Es wird schon Nacht, die Venus blinkt
    Und er bräuchte doch gar nicht so viel,
    um zufrieden zu sein..."


    Das Lied gelang ihm prächtig, überhaupt hatte er das Gefühl, schon lange nicht mehr so schön gesungen zu haben. Vielleicht war dieses Lied leichter als die anderen, weil er sich selbst so sehr darin wiederfand...


    Als auch dieses Lied verklungen war, fing er den Blick der Hausherrin auf; die schien er wirklich zu erfreuen, obwohl sie müde wirkte, traurig irgendwie. Gut! Womöglich ließ ihm seine Herrin dafür morgen ein Stück Kuchen geben, wie es manchmal vorkam.

  • Beim Klang der Kithara erzählte Graeceia davon, wie sie bereits ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Gatten erneut geheiratet hatte. Das Glück schien ihr tatsächlich über all die Jahre hold gewesen zu sein. Denn auch ihr jetziger Gatte schien reich begütert zu sein und ließ ihr gegenüber keinen Wunsch unerfüllt. Bei diesen Worten schämte ich mich beinahe dafür, was aus mit geworden war, nachdem ich Lutetia den Rücken gekehrt hatte. Ich schwieg über meine ehelichen Probleme und meiner Nebenbuhlerin, die seit einigen Tagen wieder im Haus lebte. Die Tatsache, daß ich noch nicht schwanger gewesen war, tat ich mit der Ausrede ab, wir hätten ja noch genügend Zeit und wir wollten erst einmal die schönen Seiten des Ehelebens genießen. Ich fühlte mich erbärmlich dabei, als ich meine beste Freundin anlog. Nur im Klang des Kitharaspiels fand ich ein wenig Linderung.
    Als unsere Konversation immer öfters unterbrochen wurde, weil ich lieber der Musik lauschen wollte, war wohl der Augenblick gekommen, in dem Graeceia bemerkte, mit welchen Augen ich den jungen schüchternen Sklaven beobachtete, der uns so gekonnt sein Talent präsentierte. Und als er schließlich zu singen begann, dachte ich, mein Herz müsse zerspringen.


    "Ein Wanderer auf der Straße
    Kennt nicht den Weg, kaum noch sein Ziel
    Es wird schon Nacht, die Venus blinkt
    Und er bräuchte doch gar nicht so viel,
    um zufrieden zu sein..."


    Es gab nichts, was meine Situation hätte besser umschreiben können, als diese Verse. Tränen standen mir deswegen in den Augen, aber auch die liebliche Stimme war es, die so gefühlvoll mich gefangen hatte und mich nicht mehr loslassen wollte.
    Als der Sklave sein Lied beendet hatte sah ich ihm noch für eine Weile in seine schwarzen Augen. Was mochten diese Augen schon alles gesehen haben? Für gewöhnlich verschwendete ich keine Gedanken über die Schicksale von Sklaven. Doch dieser hier hatte mein Herz berührt.
    Ich nahm einige Trauben und beugte mich zu ihm hin. "Darf ich ihn füttern?", fragte ich seine Herrin. "Sein Gesang war einfach unbeschreiblich schön!"

  • Füttern... was war das? Okhaton verstand nicht. Er verkniff sich ein selbstzufriedenes Grinsen - die Dame war ja völlig hin und weg. Darf ich ihn...ach um das Essen ging es? Er mochte Trauben, aber als er zuletzt nachgesehen hatte, hatte er noch eigene Hände gehabt. Egal... die Herrin nickte bestätigend. Sollte er ihrer Freundin jetzt aus der Hand füttern, oder wie das hieß? Da musste er zwar das Instrument nicht aus der Hang legen, aber irgendwie war es doch eigenartig...

  • Graeceia schien es offensichtlich ein wenig zu belustigen, wie sehr ich von ihrem Sklaven eingenommen war. Ihr nicken und dann das dazugehörige nur zu! waren für mich Aufforderung genug. Ich beugte mich noch etwas weiter vor, damit ich dem jungen Sklaven die Trauben direkt vor den Mund halten konnte. Eigentlich hätte er nun nur noch danach schnappen müssen, denn ich hatte nicht die Absicht, mit ihm ein Spiel zu spielen. Doch mir schwante, er verstand nicht recht. Sein Gesang hatte mir suggeriert, daß er des Lateinischen mächtig war, doch offenbar war es lediglich der Text, in dem er sicher war.
    "Nun nimm schon! Hab keine Angst!", ermutigte ich ihn noch. Allerdings bezweifelte ich, daß er jedes meiner Worte verstand. Dem Aussehen her, ordnete ich ihn nach Achaia, der Levante oder sogar dem Orient ein. Vielleicht verstand er mich ja dann, wenn ich es auf Griechisch versuchte. Also widerholte ich meine Worte auf Griechisch.
    Zu meiner Freundin gewandt fragte ich sie nach seinem Herkunftsland, denn daß er nicht in Rom als Sklave geboren war, stand für mich fest.

  • Griechisch! Viel besser. Sie meinte es also ernst - nun gut, es gab Schlimmeres, als von der sauiberen Hand einer schönen Frau Trauben zu essen. "Angst" ging etwas an der Sache vorbei, er war vielmehr etwas ungläubig gewesen. Okhaton erlaubte sich ein leicht verschmitztes Lächeln und schnappte eine der Weinbeeren. "Danke, Flavia." antwortete er auf Latein. Er hätte noch hinzugefügt, dass ich mich freute, dass ihr seine Musik zu gefallen schien, aber das schien mir unpassend. In seinem neuen unfreien Leben war ein Wort weniger immer besser als eines mehr.


    Graeceia nannte Aegyptus als mein Heimatland. Ich dachte an den wundervollen Nilstrom, der viel zu erzählen wusste von den Ebenen und Wäldern der Länder im Süden, jenseits des imperium. Mein Vater war als junger Mann einmal weit in den Süden gereist zu den Nubiern; er schwärmte bis zuletzt davon, die Reise kam sogar in seinen letzten Fieberträumen vor...

  • Es war nicht ohne Bedeutung, wie Graeceia Aegyptus, das Heimatland des Sklaven betont hatte. Sie hatte es also nicht vergessen! All die Jahre über war es ihr im Gedächtnis geblieben, diese Vorliebe, die ich schon als junges Mädchen hegte, für das ferne Land am Nil.
    Merklich erhellte sich meine Mine und zu meiner Freude schnappte sich der Sklave nun auch eine Traube. Daraufhin bedankte er sich auch noch, was mir sehr imponierte.
    "Aegyptus!" Rief ich. "Ach, wie lange ich mich schon danach sehne! Leider habe ich es immer noch nicht geschafft, diesem herrlichen Land einen Besuch abzustatten! Weißt du noch, wie wir früher immer Cleopatra gespielt haben?" Da wurden wieder lang verborgene Kindheitserinnerungen wach.
    "Stell dir vor, Marcus, mein Mann hat mir vor einiger Zeit eine ägyptische Katze geschenkt!" Natürlich mußte ich meiner Freundin die Katze sofort zeigen.
    "Charis, geh und hole Saba!", rief ich umgehend meiner Sklavin zu. Charis verbeugte sich andeutungsweise und ging. Wenig später kehrte sie mit meiner Katze auf dem Arm zurück. Saba trug ihr goldenes, mit Lapislazulisteinen verziertes Halsband.
    "Schau, das ist Saba! Eine von Bastets Töchtern."
    Kurzzeitig hatte ich etwas das Interesse an dem Sklaven verloren, denn nun stand meine Katze im Mittelpunkt, die von den Tempelkatzen Ägyptens abstammte.

  • Okhaton beobachtete, wie die Herrin mit der Flavierin die Katze umschmeichelte. Wirklich ein hübsches Tier - er erinnerte sich, vor vielen Jahren einmal so eine gesehen zu haben, bei einem der Priester.


    Er überprüfte die Stimmung seiner Laute und betrachtete diskret diese Flavierin; nicht nur ihre Hände waren schön und feingliedrig, auch ihr Gesicht mit dem schmalen Mund und den rosigen Wangen (wenn auch letztere künstlich "verbessert" sein mochten, so war es von Könnerhand geschehen). Der Ägypter konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken - sie war jedenfalls ein schönerer Anblick als der alte Ubius, mit dem er sich bei Graeceia eine winzige Kammer teilte.


    Im Moment wurde nichts von ihm verlangt, so blickte er zum Himmel, wo langsam die Sterne auftauchten. In Rom gab es sehr schöne Gebäude, und dieses gehörte in jedem Fall dazu. Er klimperte leise auf dem Instrument, in diesen Tongruppen, für die er keinen richtigen Namen hatte, den er sich hätte merken können, die aber irgendwie zusammenpassten. Er erkannte Müdigkeit bei der Herrin - kein Wunder. Sie waren den ganzen Tag schon unterwegs gewesen, bei dutzenden von Besuchen, von denen aber keiner auch nur annähernd so lang oder so bedeutsam gewesen wäre wie dieser.

  • Was war es doch schön, in alten Erinnerungen zu schwelgen! Und Graeceia genoß dies auch. Besonders angetan hatte es ihr meine Saba, die unter ihrem Streicheln eifrig schnurrte. Allerdings nach einer Weile hatte sie genug davon uns sprang hinunter auf den Boden. Schmeichelnd strich sie ihren Körper um den Fuß meiner Kline. Dann näherte sie sich interessiert dem ägyptischen Sklaven, den sie zweifellos mochte. Im Gegensatz zu fast all meinen anderen Sklaven suchte sie freiwillig seine Gegenwart, ohne drohend zu fauchen oder gar zu beißen.
    Natürlich war mir dieser Umstand auch aufgefallen und ich kam nicht umhin, meine Freundin darauf hinzuweisen. Sie meinte scherzhaft gleiches würde gleiches suchen, wobei sie natürlich auf die Herkunft des Sklaven anspielte.
    Unglücklicherweise ging die Zeit viel zu schnell vorbei. Graeceia war gewillt, noch am Abend wieder nach Ostia zurückzukehren. Deswegen kam die Zeit, da sie aufbrechen mußte. Eine letze Umarmung, ein letzter freundschaftlicher Kuss, dann wollte ich sie ziehen lassen. Doch bevor Graeceia entschwand, hielt sie noch einmal kurz inne. Sie sah den Sklaven an, der mich mit seiner Stimme so sehr betört hatte. Dann meinte sie plötzlich, sie wolle ihn mir schenken. Ich wußte erst gar nicht, was ich sagen sollte. Ich glaubte sie scherzte, Doch dann gab sie mir unmißverständlich zu verstehen, daß es ihr ernst damit gewesen war.
    So ging sie und nur ihr Sklave, mein Sklave blieb zurück.

  • Das sonst hübsche Gesicht Okhatons verzog sich in einem Ausdruck größter Überraschung, der ihn wenig intelligent aussehen ließ. Hatte er nur wieder nicht aufgepasst oder ein Wort missverstanden? "Te eum dono...multos servos Camenis praelatos habemus." - das hieß doch wohl "Ich schenke ihn dir, wir haben viele Sklaven" und dann irgendwas mit Musen, weil die Römer ihre Musen "Camenen" nannten. Und dann war sie abgerauscht. Nicht, dass Okhaton ihr nachtrauerte, er hatte das Gefühl, das sie nicht besonders viel von Musik verstand, und besonders mit ihm befasst hatte sich ohnehin niemand bei ihr und ihrem Mann, aber überraschend war die Sache nun doch.


    Er drehte sich noch immer verwirrt zu Flavia. "Domina..." murmelte er in einem etwas misslungenen Versuch, sie zu grüßen. Was hatte das jetzt alles zu sagen? Nicht einmal ein philosophos konnte die Frauen verstehen, schon gar nicht die feinen Römerinnen.

  • Schließlich wandte ich mich zu meinem neuen Sklaven um, der vollkommen verdattert da stand. In Ermangelung seiner Sprachkenntnisse, hatte er wohl nur die Hälfte dessen verstanden, was soeben über sein Schicksal entschieden worden war.
    Indessen schenkte ich ihm ein gütiges Lächeln und betrachtete mir ihn dabei noch einmal genau, nun da er in voller Größe vor mir stand. Ein stattlicher junger Mann mit einem hübschen Gesicht und einer goldenen Kehle, wie ich fand.
    "Von nun an befindest du dich in meinem Besitz. Du bist jetzt mein Sklave," versuchte ich auf Griechisch zu erklären. Es gab noch so vieles, was ich den Sklaven hätte fragen wollen. Doch zuerst war es wohl angebracht, seinen Namen zu erfahren. Desweiteren war von Interesse, welche Fähigkeiten er besaß. Graeceia hatte mir nicht verraten, welche Aufgaben sie ihm für gewöhnlich aufgetragen hatte.
    Ich begab mich wieder zu meiner Kline, trank noch einen Schluck. Dann gab ich ihm ein Handzeichen, er solle an meine Kline herantreten. Am Fußende derselben gebot ich ihm Platz zu nehmen, damit ich mich mit ihm unterhalten konnte.
    "Sag mir, wie hat man dich bisher gerufen?", fragte ich, der Einfachheit halber auf Griechisch.

  • "Okhaton heiße ich." erklärte derselbe, ebenso auf Griechisch, das bei ihm die Klangfarbe der ägyptischen Region hatte. Seine Stimme war vom Singen und von der Überraschung etwas rau, aber immer noch war ihre enorme Resonanz zu hören, und auch der melancholische Unterton, der, wie Okhaton wohl als einziger wusste, eine angeborene Eigenschaft war, war nicht verschwunden.


    Die neue Herrin gab sich ja recht gnädig - und ein wenig mehr Interesse als Graeceia schien sie auch zu zeigen. Vielleicht wartete hier eine nette Zukunft auf ihn? Er tastete nach seinem einzigen relevanten persönlichen Besitz, einem Ohrring, der seiner Mutter gehört hatte und den er in einem Beutelchen an der Innenseite seiner Tunika trug.


    Er dachte an Aaron, wie der ihm immer gesagt hatte, dass ein kräftiger Leib auch den Geist stark macht - und er hatte rechtbehalten, denn Okhaton war weit weniger verunsichert, als er selbst geglaubt hatte.

  • "Okhaton!", echote ich und sah ihn für einen winzigen Moment voller Ehrfurcht an. Er konnte tatsächlich von sich behaupten, mich beeindruckt zu haben. Und dies nicht nur mit seinem Gesang. Seine ganze Erscheinung war es, die auf mich eine Faszination ausübte.
    Aus seiner rauen Stimme schlussfolgerte ich, daß seine Kehle recht trocken war. Auch eine gewisse Traurigkeit bemerkte ich, weshalb ich mich fragte, wie sein bisheriges Leben verlaufen sein mochte.
    Um seinen Durst zu stillen griff ich nach seinem Becher, der unmittelbar vor meiner Kliene auf dem Boden stand. Ein kleiner Rest befand sich noch darin.
    "Hier, trink!", sagte ich.
    "In deiner Stimme schwingt ein wenig Traurigkeit mit. Bist du etwa unglücklich, weil man dich hier bei mir zurückgelassen hat?", fragte ich ihn ganz unerwartet, als der Sklave den Becher zum Mund führte. Wieder musterte ich ihn, auf seine Antwort wartend. Offenbar hatte ich ihn etwas verlegen gemacht, denn plötzlich tastete er nach etwas, was sich unter seiner Tunika verbarg.
    "Was hast du da? Was ist das? Zeig her!" Zweifellos hatte er meine Neugier geweckt, auch wenn es nur wertloser Tand war, was er da versteckte. Manche Sklaven trugen kleine Erinnerungsstücke bei sich, einen Büschel Haare, ein Fetzen Stoff oder sonstiges, was sie an ihre Familie oder die Zeit vor der Sklaverei erinnerte. Meist duldete ich das. Doch manchmal auch nicht, wenn ich damit die Möglichkeit hatte,einen Sklaven zu bestrafen, der es verdient hatte, zum Beispiel.

  • Der Ägypter hatte den Becher dankend angenommen, hielt jedoch in der Bewegung inne, als Celerinas Frage kam. "Ich bin nicht unglücklich. Einer, der singt, will beachtet sein, und Graeceias familia, so gut freundlich sie sonst war, hat mich nicht beachtet." Dann trank er - er hatte geantwortet.


    Als sie doch einigermaßen heftig forderte, den Ring zu sehen, zog er sacht die Augenbrauen hoch. Impulsiv war diese Frau. Wenn man die Römerinnen und Römer immer nur als Befehlsgeber erlebte, konnte man leicht den Eindruck gewinnen, sie seien in ihren Gefühlen ganz anders als man selbst. Dann griff er ruhig in den kleinen Schlitz, unter dem der Beutel angebracht war, und zeigte ihr den simplen Ring aus Bronze. Sicher war sie viel Besseres gewohnt. "Eine Erinnerung." setzte er einsilbig, wie er gegenüber den Römern war, hinzu.

  • Er war also nicht unglücklich, so sagte er jedenfalls. Möglich, daß es gelogen war, um mich nicht zornig zu machen. Seine Erklärung jedoch klang plausibel.
    "So, deine familia hat dir zu wenig Beachtung geschenkt? Als was hast du ihnen denn gedient? Nur als Sänger?" So wie mir Graeceia erzählte, hatten sie und ihr Mann einen ganzen Stall voll Sklaven, ähnlich, wie es in der Villa Aurelia der Fall war. Schon möglich, daß es dann auch einen gab, der nur zu Unterhaltungszwecken gehalten wurde.
    Mir war gar nicht die Schärfe meines Tons bewußt gewesen, der Sklave jedoch schien davon überrascht zu sein. Misstrauisch sah ich ihm zu, wie er etwas unter seiner Tunika hervorholte. Dieses Etwas stellte sich als ein einfacher Bronzering heraus, der nun in seiner Hand ruhte. Nichts wertvolles. Und mit Bestimmtheit auch nichts, was er seiner früheren Herrin gestohlen hatte. Eine Erinnerung eben, wie er sagte.
    "Eine Erinnerung?" Mein Ton hatte die Schärfe längst verloren. "An wen oder an was?", fragte ich weiter und besah mir seine Hände, die für einen musicus etwas rau waren.

  • Okhaton war von ihrem Stimmungswechsel wiederum irritiert, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Die Katze, die den Hals nicht zeigt, wird auch nicht gebissen, so hatte sein Vater immer gesagt. "Ich habe gesungen und die Herrin oder den Herrn bewacht, wenn sie ausgingen...aber das war nur meine zweite Aufgabe. Und ich habe manchmal kleinere Botengänge gemacht." erklärte er, wobei er kurz in Celerinas Augen blickte. Schwer zu lesen, wie die meisten - dass im Auge an sich gesehen werden konnte, wie ein Mensch war, war Hokuspokus. Manche konnten es spüren, aber direkt zu sehen war es nicht. "Meine Mutter. Sie ist tot." beantwortete er die zweite Frage. Er hatte das Misstrauen schon bemerkt - aber es war ja auch selten, dass Sklaven irgendeinen Privatbesitz hatten, insbesondere junge wie er. Irgendwann würde er vielleicht etwas haben, womit er sich freikaufen konnte...aber das waren jetzt nicht einmal Träume, er hatte andere Probleme.


    Eine kurze Pause entstand; dann beschloss er, sich doch etwas aus der Deckung zu wagen. "Welche Aufgaben wirst du mir geben, Herrin?"

  • "Aha, verstehe!", sagte ich nickend.
    "Und wie lange warst du in ihren Diensten?", wollte ich dann noch wissen. Ich sann bereits darüber nach, was er hier tun konnte. Doch bevor ich mich dafür entschied, welcher Aufgabe er zugeteilt werden sollte, wollte ich noch mehr über ihn erfahren. In Bezug auf sich selbst und seine Geschichte, schien er mir sehr verstockt zu sein.
    "Deine Mutter ist tot, aha," Ich sah ihn etwas nachdenklich an. In meinen Worten hatten wenig Mitgefühl gelegen, denn er war nur ein Sklave, dem man keine Pietät schuldig war.
    "Wieso ist sie tot? Und was ist eigentlich mit deinem Vater, ist der auch tot? Ach ja, seit wann bist du Sklave, Wurdest du bereits so geboren?" Das waren eine Menge Fragen, doch ich wollte mehr wissen und vor allen Dingen, wollte ich, daß die Informationen nur so aus ihm heraussprudelten, was sie im Augenblick ganz gewiß noch nicht taten.

  • Okhaton ließ den Schwall an Fragen auf sich einprasseln, sein Gesicht blieb kühl, so gut wie unbewegt. Er hatte kein Interesse daran, seine wenig erfreuliche, aber auch wenig bemerkenswerte Lebensgeschichte hier auszubreiten. "Ich war seit einem Jahr bei Graecia, davor war ich nur ein paar Monate in einem Steinbruch in Hispania, der aufgegeben wurde. Und davor war ich eben bei meinen Eltern, mein Vater war Händler in Alexandria, Freier natürlich. Sind beide vor zwei Jahren im Sommer am Fieber gestorben. Es war der schlechte Teil vom Jahr, ich hatte mehr Schulden als Besitz geerbt, so kam das mit der servitudo." Er streute das lateinische Wort ein, er war schließlich servus bei den Römern und nicht bei den Griechen. "Ich konnte schon singen und Kithara spielen, ich habe dann noch etwas Ringen und mit dem Stock zu schlagen gelernt, ich kann das alles ganz gut."


    Er wusste sehr gut, dass seine Vorlieben nach menschlichem Ermessen keine Rolle spielen würden, und dass auch seine sonstigen Gefühle mit "unbedeutend" noch übertrieben wichtig bezeichnet waren - und so erwähnte er die mit keinem Wort. Er mochte eigentlich alle Aufgaben, das Wachen vielleicht sogar noch lieber als das Singen, das irgendwie immer beinhaltete, dass er eine ganze Menge von sich zeigen musste.

  • "Oh!", war mein einziger Kommentar zu dieser rührenden Geschichte eines jungen Mannes, der unschuldig in die Sklaverei geraten war. Dies erklärte auch die Beschaffenheit seiner Hände, die die Rauheit eines Handwerkers aufwiesen. Ihm nun auch noch mit Mitleidsbekundungen zu kommen, wäre sicher falsch und unpassend gewesen.
    "Mhm, einen custos besitze ich bereits. Erst kürzlich habe ich einen Gallier für diesen Posten erworben, der den Parther ersetzen soll. Aber vielleicht wäre es sinnvoll, wenn ihr beide euch von Zeit zu Zeit miteinander übt. Dafür solltest du dein Latein verbessern, denn ich fürchte, der Gallier spricht kein Griechisch."Vielleicht war es ja doch seine herzzerreißende Geschichte, die mich dazu bewog, ihm gegenüber nachsichtig, ja sogar zuvorkommend zu sein. Und so beschloß ich, sein Talent, welches er zweiffellos besaß, nicht verkümmern zu lassen.
    "Wegen deiner Zukunft brauchst du dir von nun an keine Sorgen mehr zu machen! Du wirst es hier in diesem Haus gut haben, sofern du mir ergeben bist. Dir soll es an nichts mangeln. Du wirst immer genügend Nahrung haben und eine ordentliche Kleidung, welche dich draußen auf der Straße kaum von einem Freien unterscheiden wird," sagte ich, und lächelte ihn dabei aufmunternd zu.
    "Du hast mich heute mit deinem Gesang verzaubert und ich möchte, daß du dieses auch in Zukunft tun wirst. Kannst du auch lesen und Texte vortragen?"

  • Okhaton lächelte entschuldigend. "Nein, lesen kann ich nicht...aber so schwer kann das ja nicht sein...ich kann es bestimmt lernen. Aber vortragen kann ich, ich kenne ein paar Geschichten, aber natürlich auf Griechisch." Ihre Aussage, er werde keinen Mangel an Lebensmitteln und Kleidung leiden, sogar einen Überfluss daran haben, beruhigte ihn - ohne ihn aber zu überraschen, das Haus war offenkundig ein mehr als nur wohlhabendes. Hunger war Geschichte, und wahrscheinlich auch Überanstrengung, außer vielleicht die der Stimme. Er verbarg seine Zufriedenheit darüber sorgfältig. "Mit den Wächtern würde ich gerne trainieren."


    Er reckte sich leicht und suchte seine Schultern etwas zu lockern. Durch die verrutschende Tunika wurden erst seine kräftigen Oberarme, dann seine auf den zweiten Blick beinahe wuchtig zu nennende Nacken- und Schulterpartie ins Licht gerückt. Eine Narbe hob sich weiß von der linken Schulter ab, aber der Gesamteindruck schien nicht mit dem feinsinnigen Musiker zusammenzupassen, sondern sprach Bände von seiner Zeit im Steinbruch. Er ließ die Schultern wieder fallen und blickte in die dunklen Augen Celerinas, sein Ausdruck alles andere als unfreundlich, aber ohne mehr als ein grundsätzliches Wohlwollen zu verraten. Er wusste, wie er aussah - nachdem ihn die Sache mit dem Lesen durcheinandergebracht hatte, hatte er nun wieder festen Boden unter den Füßen.

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