Atrium | Back to the roots

  • Der Türsklave hatte die Claudia naturlich sofort durchgelassen, nachdem sie sich bei ihm angemeldet hatte. Denn obwohl sie nicht mehr der Patria Potestas ihres Vaters unterstand, sondern des Kaisers, gehörte sie, einmal vom Namen und von der Biologie her, zu der claudischen Familie. Und deshalb hatte sie auch die Pflicht, hie und da hineinzuschauen, was sie leider in letzter Zeit etwas verbasäumt hatte. Schließlich hatte sie aber auch beileibe genug zu tun gehabt! Ihre Prüfung, die Vestalia, das Anrennen gegen Vescularius, jetzt brauchte sie einmal ein bisschen freie Zeit zum Atmen. Und zu diesem Zweck würde sie zu ihren Wurzeln zurückgehen.


    Angekleidet mit ihrem Ordensornat, der weißen Tunica, Stola und Palla, jedoch die Infulae außen vor lassend, war sie in das Atrium getreten und blickte sich um. War denn niemand hier? “Vater?“, rief sie vorsichtig. Nun, wenn er nicht hier war, würde er gleich kommen. Denn schließlich war schon von der Türe her ein Sklave geschickt worden, um ihren Vater zu suchen und sie anzukündigen. Ihr Vater würde doch sicherlich kommen? Schließlich war es leider nicht alle Tage, dass er Romana sah, wohnte diese doch im Atrium Vestae. Als Discipula hatte sie nur selten Ausgang bekommen, aber jetzt, als Sacerdos, hatte sie mehr Freiheiten. Prinzipiell hätte sie auch ohne ihre Ordenstracht kommen können, aber sie hatte sich mittlerweile schon daran gewöhnt – und im Grunde war Romana ein Gewohnheitstier.


    Sie setzte sich also auf eine Liege und wartete.

  • Mit einem Geschäftsbrief und einer Wachstafel voller Zahlen war Menecrates vor einer Stunde in den Garten gegangen und hatte es sich in einem Korbsessel bequem gemacht. Das Ergründen des Rechenfehlers hatte ihn schließlich ermüdet und er war eingeschlummert. Sein Mund stand offen und der linke Arm hing zu Boden, aber die Papiere hielten sich tapfer in der erschlafften Hand, die über dem Bauch ruhte. Ein Lüftchen milderte die Wärme der Sonne.


    Dann trat ein Sklave hinzu. Zunächst leise, weil er den Unmut des Herrn nicht herausfordern wollte. Als er den schlummernden Patrizier sah, ärgerte er sich, dass er nicht geräuschvoller aufgetreten war, denn dann wäre ihm vielleicht das Wecken erspart geblieben. Er versuchte es mit einem Winken, doch das bewirkte nichts. Sein Vorbeugen erbrachte die Gewissheit, dass der Herr weiter schlief, daher umrundete er ihn. Hilflos blickte er sich um, dann hüstelte er.
    Menecrates verschluckte sich, griff instinktiv nach den Dokumenten und hielt sich anschließend die Hand über die Augen.


    "Was wird das, wenn es fertig ist?"


    "Besuch, Herr, Romana, im Atrium", berichtete der Sklave stockend.


    "Na, sowas. Bring uns zu Trinken und hilf mir erst mal auf." Menecrates streckte die Hand hin und ließ sich hochziehen. Dann richtete er die Tunika und schritt in Richtung Atrium. Dort angelangt ließ er den Blick schweifen.


    "Romana?"

  • Vorsichtig blickte Romana herum, und die Blicke, die die Gewächse im Atrium trafen, waren allesamt erfreute. Sie sahen viel besser aus. Irgendjemand schien sich um sie gekümmert zu haben. Alles in allem machte das Atrium einen viel weniger gelblich-welken Eindruck als das letzte Mal, vielmehr spross nun Grün aus den Töpfen. Romana lächelte.


    Summ. Eine Fliege setzte sich auf Romanas Arm. Die Vestalin versuchte sie zu erschlagen, aber sie endete damit, sich selber auf den Arm zu schlagen, ohne irgendetwas zu treffen. Frustriert ließ sie es sein, auch wenn sie persönlich fand, es ging nicht an, dass eine Fliege eine Claudie belästigte. Wo waren denn die Sklaven mit den Fliegenprackern, wenn man sie brauchte?


    Doch die Belästigung durch nervige Kerbtiere war plötzlich vergessen, als sie die Stimme ihres Vaters hörte. Romana, ja, das war sie. Mit einer fließenden Bewegung erhob sie sich von der Kline. “Die ehrwürdige Sacerdos Vestalis Claudia Romana!“, donnerte sie streng in der Nachahmung ihres Liktors, bevor sie aufjauchzte. “Vater!“ Dem armen Menecrates stürzte seine freudige Tochter entgegen, die den alten Senatoren ganz unvermutet umarmte und einen Kuss gab.


    “Wie schön es ist, dich zu sehen!“ Etwas schamvoll stellte sie fest, dass sie gar nicht mehr wusste, wann sie das letzte Mal hier gewesen war – vor ihrer Priesterprüfung wohl. “Ich habe gute Neuigkeiten. Ich habe meine Prüfung bestanden – jetzt bin ich keine Vestalinnenschülerin mehr, sondern eine Vestalinnenpriesterin!“ Sie strahlte ihren Vater an. Sicher würde sich jener für sie freuen!

  • Eine resolute Frauenstimme ließ Menecrates zusammenfahren. Schließlich erkannte er die Klangfarbe seiner Tochter und musste über deren Tonfall schmunzeln, weil er ihn an den Militärdienst erinnerte. Erinnerungen dieser Art mochte der Claudier durchaus. Plötzlich kam ein Wirbelwind auf den noch immer etwas schläfrigen Menecrates zugeflogen. Er hielt die Arme instinktiv schützend vor seinen Körper, schnitt eine Grimasse der Belustigung, um dann doch die Arme zu öffnen und seine Tochter aufzufangen.


    Ein Kuss raubte ihm zunächst die Möglichkeit der Sprache, dann aber fragte er: "Habe ich richtig gehört? Sacerdos?" Aber die Frage ging in Romanas Wortschwall unter, von dem Menecrates kein Wort verstanden hatte - bis auf das letzte: Vestalinnenpristerin.


    "Die Götter sind mein Zeuge, ich bin SO stolz auf dich!", erwiderte Menecrates, dem Romanas Strahlen den letzten Zweifel nahm, dass er sich verhört haben könnte. "Da habe ich also doch irgendetwas richtig gemacht, wenn mir so eine Tochter vergönnt ist", fügte er lächelnd an. Er führte beide Hände zu Romanas Kopf, zog ihn heran und drückte seine Lippen auf ihre Stirn. "Die Götter mögen immer mit dir sein, und nun erzähl erst einmal."


    Währenddessen löste er seine rechte Hand und wies einladend auf die Liegen im Schatten des Atriums.

  • Menecrates schien zuerst ein bisschen erschrocken, doch Romana kannte ihren Vater. Er war für solche Scherze zu haben, natürlich, wenn man sie nicht zu weit trieb. Als Soldatenkind – und als solches bezeichnete sie sich sehr gerne – hatte vielleicht auch ein wenig vom Militärischen auf sie abgefärbt. Und nun war sie hier, ihren Vater umarmend, sich von ihm selber, vielleicht etwas linksich, umarmen lassend.


    “Du hat ganz richtig gehört. Ich habe es geschafft. Ich bin jetzt jemand.“ Sie war jetzt mehr wert als eine Aeditua, als eine Matrone, als eine einfache Senatorentochter. Sie war jetzt eine Vestalinnenpriesterin. Als ihr Vater ihr dann verkündete, dass er stolz war auf sie, ging ihr Herz ihr auf. Innerlich, das stimmte schon, war es nicht nur so, dass sie all dies für sich selber tat, für jenes Rom, nach dem ihr Vater sie einst benannt hatte, oder für die Göttin Vesta. Nein, auch für ihren Vater. Was hatte er denn sonst für Kinder? Versager. Romana hatte es weiter geschafft als all ihre anderen Geschwister, und das als Frau. Ja, darauf konnte man stolz sein.


    Sie verspürte seine Lippen auf ihrer Stirn, als er sie väterlich küsste, und ein wohliges Gefühl durchfuhr sie. Familie! Etwas Schöneres gab es doch nicht. Sie sollte erzählen? Gut, auch sie löste sich von ihrem Vater und setzte sich, wie angewiesen, in die Liege.


    “Nun. Meine Prüfung wurde abgenommen von Aurelius Corvinus und Flavius Gracchus. So ein Zufall, oder? Gracchus – ein ein bisschen seltsamer Mensch, sage ich dir – ist Antonias Ehemann, und Corvinus... wollte der nicht mal Deandra heiraten?“ Genaueres wusste sie nicht darüber, ihre Adoptivschwester war ihr immer fremd geblieben.


    “Auf jeden Fall, ich habe beim Tempel der Pax geopfert, und Gracchus hat meine Künste sehr gelobt. Hernach habe ich die beiden auch noch herumgeführt im Atrium Vestae“, plauderte sie über ihre Prüfung.

  • "Kleines, du bist schon immer jemand gewesen", widersprach Menecrates. "Nicht erst seit der bestandenen Prüfung." Zumindest für ihn stellte sie seit jeher einen wichtigen Teil seines Lebens dar. Über die Betitelung 'Kleines' freilich konnte man streiten, denn Romana maß einige Nasenlängen mehr als ihre Freundinnen.
    Er überlegte kurz und versuchte sich an die Hochzeitsfeier Antonias zu erinnern. Oder war es nur die Verlobung gewesen? Dann schüttelte er den Kopf. "Du hast recht", sagte er, und es klang seltsam - wegen dem Kopfschütteln. "So richtig schlau bin ich aus Gracchus damals auch nicht geworden. Ich kenne ihn nur als öffentliche Person, der Blick dahinter gelang mir nie."
    Den Part mit Corvinus und Deandra kommentierte er nicht. Mit gelösten Verlobungen konnte man sich bei ihm nicht beliebt machen, aber er ließ sich dennoch nicht dazu herab, familiär oder gar öffentlich darüber herzuziehen.


    Menecrates ächzte. "Lass uns doch lieber aufstehen", schlug er vor und machte den Anfang, während seine Hand in die Lendengegend griff. "Es gibt so viele unförmige Fleischhaufen in meiner Altersklasse. Da möchte ich zusehen, dass ich etwas beweglicher bleibe." Freilich hatte auch er etwas angesetzt, wenngleich längst nicht in dem Maße wie andere Senatoren. Schließlich lagen viele Jahre körperlicher Ertüchtigung hinter ihm.


    "Mit was könnte ich dir denn zur Feier deiner Ernennung eine Freude machen?" Sein Blick ruhte lächelnd auf Romana, die Hände ausgebreitet.

  • Romanas Lippen umspielte ein schiefes Grinsen. Kleines. Nicht, dass es die Realität widerspiegelte, sie so zu nennen, aber trotzdem hatte sie es gerne, dass ihr Vater sie mit solch liebevollen Begriffen betitelte. Denn dass er klein nicht im physischen Sinne gemeint hatte, war eh klar. “Stimmt. Ich bin schon immer eine Claudia gewesen“, machte sie stolz. “Und werde es auch immer bleiben. Denn eine höhere Ehre, als in unsere Gens hineingeboren zu werden, kann eine Frau in Rom kaum noch erlangen.“ Da mochten andere Gentes sich noch so brüsten über ihre Abstammung, der Claudia konnte niemand das Wasser reichen. Den Claudiae auch nicht.


    Sie zuckte die Achseln. “Es ist nur mit magnifiziöser Derangierung, dass meine unkonditionelle Zustimmung ich dir muss geben“, ahmte sie die wunderliche Ausdrucksweise des Pontifex nach. “So wie der spricht, das wird mir nie aus dem Kopf gehen. Ich glaube, er hat zuviele alte Bücher gelesen.“ Sie grinste keck. Niemand anderem als ihrem Vater gegenüber würde sie solch eine Meinung äußern – vielleicht nur ihren engsten Freundinnen.


    Kaum hingesetzt, wollte ihr Vater aber nun doch wieder aufstehen. Also spielte Romana brav Stehauffrauchen und erhob sich wieder. “Nein, du hast dich wirklich gut in Form gehalten“, log Romana, die immer wegen der Gesundheit ihres Vaters hatte, jenem vor. “Wir sollten mal eine Runde ums Atrium drehen. Hmm?“ Ihr kam das nicht allzu unintelligent vor als Idee.


    Die nächste Ansage ihres Vaters veranlasste sie doch dazu, ihre Augen aufzureißen. Ein Geschenk bot ihr Vater ihr an? Die Claudia lächelte. Die Großzügigkeit ihres Vaters! Bei solchen Anlässen könnte sie ihn wirklich alles abverlangen, aber so etwas fiel ihr ja nicht im Traum ein. “Du bist so großmütig! Aber was sollte ich schon wollen? Hmm...“ Geld? Wozu bräuchte sie denn das, ihr wurde im Atrium Vestae eh alles geboten. Ein Familienfest? Nun ja, das war eh schon lange angekündigt, und außerdem riss sie sich nicht gerade drum, ihrem doofen Bruder die ganze Zeit gegenüberzusitzen, ihn anzuglotzen und dabei freundlich dreinzuschauen. Ein Stück Land, vielleicht in ihrem geliebten Etrurien, käme gelegen, aber ob ihr Vater da mitmachen würde? Überlegend schaute sie ihn an, vielleicht etwas ratlos.

  • Menecrates hörte seiner Tochter immer gerne zu, wenn sie sprach. Ging es um das Thema Familie und Stolz, dann umso mehr. Sie konnte in Worte kleiden, was er fühlte. Er selbst besaß nur bei sachlichen Dingen dieses Talent, weniger bei emotionalen. Er lehnte sich zu ihr rüber und tätschelte ihren Handrücken.


    "Du bist ein sehr wohlgeratenes Kind. Kannst du mir erklären, was ich bei dir richtig und bei anderen falsch gemacht habe? Oder kommt die Einsicht bei den anderen erst später?" Menecrates wollte keine Namen nennen, Romana würde ohnehin wissen, an wen er dachte.
    Dann folgten seine Gedanken dem Zitat, oder zumindest versuchten sie es. Er war gewiss nicht sofort bei der Sache gewesen, aber auch als die Worte in seinem Ohr nachklangen, erschloss sich ihm der Sinn nicht. Ein scharfer Verstand reichte offenbar nicht, Gracchus Wortakrobatik in sinnvolles Normallatein zu übersetzen.
    "Es ist aber nicht unbedingt nötig, dass du dir diese Ausdrucksweise zum Vorbild nimmst. Man kann sich auf gefälligere Weise ins Abseits stellen."


    Er nickte zum Vorschlag, die Umrundung des Atriums betreffend. Schweigend schlenderte er im Schatten des Säulengangs, amüsierte sich heimlich über Romanas Verblüffung und sann über einen Abstecher in die angrenzende Gartenanlage nach.


    "Du bist so ganz anders als andere Frauen", begann er schließlich und dachte dabei an Ofella. "Wochen-, ja monatelang kommt kein Wunsch über deine Lippen. Du entdeckst weder neuen Schmuck, noch ein neues Kleid, willst die Wohnungseinrichtung nicht auf den Kopf stellen oder nagelneue Vorhänge nach kurzem wieder austauschen. Um ehrlich zu sein, bin ich von diesen Gegensätzen derart irritiert, dass ich nicht weiß, ob dein Verhalten normal ist oder das dieser anderen Frauen. Oder ist jede Frau anders, sodass man sie wie eine fremde Sprache erst erlernen muss?"

  • Das Lob tat gut. Romana mochte Lob, aber nur von Personen, von denen sie wusste, dass diese es ehrlich mit ihr meinten. Ihr Vater war einer davon. Sie lächelte, auch wenn die Frage eine potentielle Zwickmühle darstellte. Wie sollte sie nun antworten? Die Antwort suggerierte schon im Vorhinein, dass Menecrates sie als etwas Besseres als seine anderen Kinder hielt. Nun, um der Ehrlichkeit Genüge zu tun, welches andere Kind von Claudius Menecrates hatte in seinem Leben soviel erreicht wie sie selber? Ihr Bruder war irgendwann einmal Aedituus gewesen in Hispania, ihre Schwester Prisca war selbiges in Sicilia – es ärgerte sie ein wenig, dass sie nie etwas von ihr hörte. Das war nicht das selbe wie Vestalin zu sein.


    “Bitte, denke nicht, dass du bei den anderen etwas falsch gemacht hast. Es ist nur so...“ Manlierblut sticht Lucretierblut aus. Daran gab es nichts zu diskutieren. “...gib ihnen Zeit. Wir alle sind noch jung, und es liegt in der Natur der Schwesternschaft der Vestalinnen, früh schon aufzusteigen. Bei meinen Geschwistern sind die Bedingungen ganz andere!“ Sie hoffte, das jetzt halbwegs diplomatisch gerettet zu haben.


    Bei den Worten ihres Vaters über Gracchus musste sie jedoch lachen. Sich auf gefällige Art ins Abseits stellen, darin mochte sie selber Spezialistin sein. “Da hast du wohl Recht“, blieb ihr ncihts anderes übrig, als beizupflichten. Nein, sie würde nicht so anfangen, wie der Flavius zu palavern... obwohl, sie wusste nicht recht, was mit ihr sein würde, wenn sie einmal Obervestalin war. Von einer solchen erwartete man sich ja auch eine etwas, hmm, gewähltere Ausdrucksweise.


    Während sie noch immer, ganz langsam, durch das Atrium schlenderten, und Romana noch immer hin und weg war, begann ihr Vater auch schon zu sprechen. Bei seinen Worten vergaß Romana fast ihr vorheriges Erstaunen, und schaute ihn ganz groß an, während sie sich wieder gezwungen sah, etwas halbwegs Bescheidenes zu erwiedern.


    “Nun, du musst wissen, mit Frauen ist es so – unter uns gibt es so große und viele Unterschiede wie bei den Männern. Es gibt auch Männer, die sich mit prunkvoller Kleidung und Ringen schmücken, und ebenso Frauen, die das ablehnen. Ich selber denke, Schmuck macht mich dick. Wirklich! Als Vestalin dürfte ich eh keinen tragen. Kleidung – ich habe schlechte Erfahrungen damit gemacht, etwas anderes als meinen Ornat zu tragen. Was Wohnungseinrichtungen und Vorhänge angeht, du weißt, ich bin schon immer ein Gewohnheitstier gewesen. Du brauchst keine eigenartigere Sprache für uns zu erlernen, als wir es müssen für euch Männer.“ Sie lächelte kurz, befeuchtete dann leicht ihre Lippen mit ihrer Zunge und überlegte kurz. Was könnte sie brauchen? “Weißt du, Vater... weißt du, was schön wäre? Wenn du dich wieder ein bisschen öffentlich betätigst. Vielleicht nimmst du wieder ein Tribunat an? Oder kandidierst als Ädil?“ Fragend schaute sie ihn an.

  • "Hm", brummte Menecrates, als er die mögliche Erklärung für die weniger steile Karriere seiner anderen Kinder hörte. Der Laut konnte zweifelsfrei in 'bestimmt nicht' oder 'unwahrscheinlich' übersetzt werden. Von Zustimmung war er jedenfalls weit entfernt. "Wie du die Dinge erklärst, rühmt dich."
    Er seufzte. "Wir sollten den Fortschritt der Bauarbeiten am Nordhang begutachten", schlug er vor. "Ich habe besten Granit für die hinab führenden Steinstufen liefern lassen." Er wusste nicht, ob sich Romana, wie er, für Architektur, Baustoffe und Bauwerke interessierte, aber es lenkte vom bisherigen Thema ab.


    Er bog Richtung Gartenanlage ab, hielt seinen Arm hin und wartete, bis sich Romana eingehenkelt hatte. Dann beschleunigte er den Schritt, als könne er dadurch das unliebsame Thema gänzlich hinter sich lassen. Einen straffen Marschschritt konnte er noch immer an den Tag legen, auch auf längeren Strecken hin. Als später jedoch die Stufen begannen, ließ er Vorsicht vor Forschheit walten.


    "Du findest tatsächlich, dass Männer ebensolche Unterschiede aufweisen wie Frauen", fragte er ungläubig, während seine Hand über den Handlauf der marmornen Brüstung glitt. Seine Gedanken wanderte in die Legio I, wo er vor vielen Jahren eine kaum überschaubare Anzahl von Soldaten befehligt hatte. Die Bemerkung 'Schmuck macht mich dick' holte ihn jedoch in die Gegenwart zurück und reizte ihn zum Lachen.
    "Das musst du mir erklären", sagte er mit Nachdruck, während er den restlichen Aussagen lauschte.
    Tja, und dann verblüffte ihn Romana derart, dass er stehenblieb und sie Momente lang sprachlos anschaute.


    "Du möchtest, dass dein Vater erfolgreich ist, hm?", spekulierte er. Dann formten sich Bilder beider Ämter in seiner Vorstellung. Er sah den Pöbel voller Belustigung bei Spielen grölen, und er diskutierte mit anderen Stabsoffizieren während einer Besprechung. "Ein Tribunat, ein Ädilat - Kind, das sind zeitaufwendige Posten. Da hängt eine Menge Verantwortung dran. Ich bin alt geworden …" Hinzu kam, er hatte viele Kontakte seit seiner schweren Krankheit schleifen lassen. Er versank in Gedanken.

  • Da Romana spürte, dass dieses Thema von ihrem Vater nicht mehr angeschnitten werden wollte, nickte sie nur noch mit einem freundlcihen Lächeln, beschloss aber, es auch nciht mehr anzusprechen. Ihr missfiel Eigenlob nicht einmal wirklich, aber vor ihrem Vater sich selber zu beweihräuchern musste nicht wirklich sein. So hakte sie innerlich das Thema ab, und sich selber bei ihrem Vater ein.


    “Gut, machen wir das. Ich bin ja schon gespannt.“ Tatsächlich fand sie Architektur nicht einmal so langweilig, und das Schicksal ihres Elternhauses war ihr alles andere als egal, also war sie durchaus bereit, sich zeigen zu lassen, wie diese Bauarbeiten voranschritten. Überrascht von dem wohl demonstrativ raschen Tempo, welches ihr Vater anschlug, tat sie ihr Möglichstes, mitzuhalten – gut, dass sie das mit ihren langen Beinen konnte.


    Als er jedoch ihre Meinung kommentierte, blickte sie ihn leicht fragend an. “Öhm. Hmm. Frauen sind auch Individuen.“ Ihren Augenmerk lenkte sie auf den feinen Marmor, den ihr Vater mit einer fast schon zärtlichen Berührung streichelte. Und warum auch nicht? Der Marmor war das Feinste, was man im römischen Reich finden konnte. Er erinnerte sie an das edle von schwarzen Adern gezierte Weiß, welches im Atrium Vestae zum Beispiel im Lararium anzufinden war.


    Ihr Vater lachte über eine ihrer Bemerkungen und fragte nach, was genau sie damit meinte. Romana grinste schief zurück. “Wenn ich mich so vorstelle, mit dicken Klunkern und Perlen, die von meinen Ohrläppchen und meinem Hals herunterbaumeln – das... das bin einfach nicht ich. Es steht mir nicht. Bei winzigen, zarten Wesen trägt so etwas sicher zur Präsenz bei; aber sage mir nicht, dass ich nicht so schon genug Präsenz habe.“ Sie zuckte die Achseln.


    Ihren Vorschlag, den man schon eine Bitte nennen konnte, wirkte ihr Vater aber alles andere als begeistert. Seine Frage versuchte sie diplomatisch abzutun. “Och, ich dachte nur, ein Amt würde dir wieder einmal gut zu Gesichte stehen.“ Dann blickte sie sich um, wie um sich zu vergewissern, dass niemand zuhörte. “Schau, Vater. Es geht jetzt nicht so sehr um dich oder um mich, es geht um die Gens. Möchtest du nicht allen zeigen, dass die Claudier, die Abkömmlinge von Kaisern, Helden und unzähligen Consuln, noch imstande sind, etwas zu leisten?“


    Sie seufzte kurz, als ihr Vater innerlich abzudriften schien. “Oder aber ein Platz in irgendeinem Priestercollegium. Was würdest du davon halten?“

  • Menecrates lauschte Romanas Ausführungen, obwohl sein Blick seitlich abschweifte und den Baufortschritt des nahe gelegenen Pavillons analysierte. Unweit vor ihnen endeten die fertigen Treppenstufen - es schlossen sich die Schalungen für den Unterbau der weiteren Stufen an, die nicht betreten werden durften, da sie bereits ausgerichtet waren. Die Bauarbeiten waren zu dieser Stunde bereits eingestellt, sie würden erst am kommenden Tag fortgesetzt werden.


    Als Romana behauptete, Schmuck stünde ihr nicht, betrachtete er seine Tochter und wiegte den Kopf. "Möglicherweise würde dir einfach eine andere Schmuckausführung stehen als die der meisten Römerinnen. Zur Steigerung der Präsenz brauchst du Schmuck sicherlich nicht, da hast du Recht." Er schmunzelte, bevor er sich wieder dem Abstieg zuwandte.
    "Wir müssen nachher seitlich abspringen. Meinst du, das ist für dich zu schaffen?" Der Absatz betrug gerade einmal Kniehöhe und Menecrates wollte seine Tochter nicht unterschätzen, aber er kannte auch ihre Neigung zu Fehltritten. Einen Hinweis fand er noch angebracht: "Pass auf, wenn der Handlauf endet."

    Dann seufzte er innerlich. Er konnte nachvollziehen, wieso Romana ein öffentliches Amt für ihn begrüßen würde. Vielleicht war es auch nicht das Schlechteste, nur die Verantwortung für das Ansehen der gesamten Gens lastete schon seit langem auf seinen Schultern.
    "Ich wünschte, es gäbe strebsame Abkömmlingen, Männer und Frauen jüngeren Alters, die ihre Kraft der Gens zur Verfügung stellen und ihr Ansehen mehren." Er holte Luft und endete: "Ein Priesteramt ist aber nicht meine Berufung, dann schon eher deine ersten Vorschläge."

  • Romana schob mit einem undeutbaren Lächeln ihren Kopf zurück, sodass sie gleich noch ein wenig größer wirkte. “Vielleicht hast du Recht, und wenn ich nicht die wäre, die ich wäre, würde ich sicherlich mehr ausprobieren. Das Problem ist aber, diese Fragestellungen sind allesamt akademisch“, meinte sie mit gewählten Worten. “Vestalinnen dürfen keinen Schmuck tragen.“ Nun gut, sie waren angehalten, keinen zu tragen, ein explizites Verbot gab es nicht. Aber Romana hielt sich sogar an die ungeschriebenen Regeln ihrer Schwesternschaft, ihre religiöse Devotion, die manche für Superstitio halten könnten, ließ nichts anderes zu. Immerhin gab er ihr Recht, dass sie zu ihrer Präsenz nichts mehr hinzufügen musste – die Claudia stach ohnehin von der Natur her aus jeder Menschenmenge heraus, außer vielleicht, es war eine Menschenmenge von riesigen Barbaren, unter die sich Romana ohnehin nie begeben würde.


    “Seitlich abspringen? Gut, wird schon gehen...“ Romana war keine Akrobatin, die mit gazellenhaften Darbietungen zu überzeugen wusste, und niemand wusste das selber als sie, weswegen sie dem Absprung mit einem ein wenig mulmigen Gefühl entgegensah.


    Sie blickte kurz nachdenklich drein, als ihr Vater ihr seine Gedanken unterbreitete. Sicher stimmte das, nur war Lucius ein Nichtsnutz, und Romana hatte schon lange die Hoffnung aufgegeben, dass aus ihm noch etwas werden würde. Ihr Lieblingsvetter, Quintus Lepidus, hatte da schon mehr Portential, nur hatte er sich in letzter Zeit, trotz Vigintivirates, rar gemacht.


    Dann öffnete sie ihre Augen ein bisschen mehr. “Du möchtest also doch vielleicht als Ädil kandidieren? Das wäre ja wundervoll!“, freute sie sich. “Ich meine, stell dir vor, was HUCH!“ Es war nämlich gekommen, wie es kommen hatte müssen – Romana hatte den Absprung übersehen, war ins Leere hineingetreten und ruderte wie wild mit ihren Armen herum, um nicht um- und hinunterzufallen. Das Nächste, was sie erpacken konnte – den Arm ihres Vaters.

  • Mehr noch als jedem anderen Mädchen hätte Menecrates Romana den Sprung von der letzten eingebauten Stufe zugetraut. Sie wirkte niemals zimperlich und war sich auch nicht zu fein, einmal weniger damenhaft zu erscheinen, wenn es die Situation erforderte. Romanas Bemerkung diesbezüglich ließ jedoch wenig Begeisterung erkennen, doch der Claudier ging nicht darauf ein, weil ihn ihre nächste Schlussfolgerung bezüglich einer Kandodatur beschäftigte.


    "Ich habe nicht zugesagt", wandte er deswegen ein. "Aber ich kann versprechen, den Gedanken zu prüfen." Er nickte noch und weilte bereits gedanklich in seinem Arbeitszimmer, als Romanas Redefluss neben ihm plötzlich mit einem Ausruf abbracht. Noch bevor sich Menecrates orientieren konnte, spürte er einen festen Griff am Arm. Sein Gleichgewicht kam bedrohlich ins Wanken.


    "Kind, nicht nach vorne lehnen", rief er geistesgegenwärtig, dann versuchte er, den Rotorarmen seiner Tochter aus dem Weg zu gehen und deren Sog gleichzeitig entgegenzuwirken. Den Fall nach vorne konnte er abwenden, aber der Boden unter seinen Füßen gab bei der Landung nach. Menecrates prallte mit dem Rücken gegen einen Stützpahl und schnappte nach Luft.

  • Romana lächelte nur auf seine Entgegnung hin. Ihr Vater war nicht leicht um den Finger zu wickeln, aber die Aufrechterhaltung der Familienehre musste notgedrungen an ihm kleben bleiben, wenn sein Sohn nichts auf die Reihe brachte. Sie wollte schon sagen, dass er ihn auch wirklich ganz fest prüfen sollten, diesen Gedanken, als sie eben gedankenlos ins Leere trat. Der Arm ihres Vaters war da eine willkommene, wenn auch nur höchst temporäre Stütze. Menecrates rief ihr eine Warnung zu, Romana machte sich schon darauf gefasst, hart unten aufzukommen. Doch schlussendlich – es mocte nur ein ganz leichter Zug von ihrem Vater gewesen sein – schaffte sie es, wieder in eine aufrechte Lage zu kommen. Hastig trat sie einen Schritt zurück, weg von der Kante, wo es vielleicht nur 2 Fuß herabging. Mist. Und was war mit ihrem Vater? Sie drehte sich geschwind um und sah gerade, wie er an einen Holzpfahl knallte.


    Götter, oh Götter, dachte sich Romana entsetzt und ging schnell in die Hocke neben ihren Vater. “Vater! Hast du dir weh getan!?“, fragte sie mit besorgtem Gesichtsausdruck, in welchem sich Selbstvorwurf spiegelten. Sie hätte sich lieber fallen lassen sollen, als dass sie sich an ihren Vater hätte festklammern sollen! Was für eine dumme, egoistische Kuh sie doch war! Wie sie es sich manchmal in besonders deprimierten Lagen einredete – ein bäurischer Trampel!


    “Ist alles in Ordnung?“ Vorbeugend tastete sie ihren Vater schon einmal nach gebrochenen Knochen ab, wobei sie diese vermutlich kaum je entdeckt hätte, war sie doch medizinischer Laie.

  • Die Wucht, mit der Menecrates an den Pfahl geprallt war, komprimierte die Luft in der Lunge und ließ eine Art Vakuum entstehen. Der Claudier rang nach Luft, während sich seine Augen vor Schreck weiteten. Ein Hustenanfall leitete erste krampfhafte Atemzüge ein, bis nach einigen Augenblicken der Atem zwar rasselnd, aber immerhin wieder stetig ging.


    "Bei den Göttern", schimpfte Menecrates, "es ist unglaublich, wie schnell man körperlich abbaut. Ich sollte wirklich mehr für meine Gesundheit und den Körper tun." Romanas tastende Hände wehrte er ab. Schließ0lich war der Ausrutscher peinlich genug. Er rappelte sich auf, vermied jedoch den Blick nach hinten. Er konnte sich ausmahlen, dass die Kleidung in Mitleidenschaft gezogen wurde. Jede Streckung des Körpers tat weh, er ächzte.

  • Ihr Vater blockte jegliche Hilfe ab, an seiner Körpersprache war eindeutig abzulesen, dass er darauf bestand, selber aufzustehen. Bedröppelt und verlegen erhob sich auch Romana und blickte beschämt den Mann an, der ihr noch vor ein paar Minuten erst bescheinigt hatte, sie wäre die Nützlichste seiner Kinder. Genau, als ob! Im Gegenteil, sie war und blieb ein fürchterlicher Klotz. “Ich... es... es tut mir Leid, Vater...“, konnte sie nur noch herausbringen, die noch immer unter Schock stand. Romana fühlte sich wie ein kleines Mädchen, das etwas kaputt gemacht hatte und nun mit hängendem Kopf vor ihrem Vater stand, sich selbst darauf vorbereitend, eine Tracht Prügel zu kriegen. Instinktiv also senkte sie, was zu ihren Gedanken korrespondierte, ihren Blick zu Boden, hob von ungefähr ihre Hand, und sah, dass diese vor Schrecken ganz leicht zitterte. Sie ballte sie zur Faust, um das zu unterdrücken – eine Claudia zeigte keine Schwäche, nie! Ihr Vater tat zwar alles, um von ihr auf sich abzulenken, aber alleine der Gedanke, dass sie ihrem Vater weh getan hatte, wenn auch nur unabsichtig, löste fast schon physische Übelkeit in ihr hervor.

  • "Du kannst nichts dafür, ich werde eben alt", erwiderte Menecrates, während er seine Hand in die Lendengegend stützte und versuchte, sich aufzurichten.


    "Wir sollten zurückkehren. Wenn Handlauf und Stufen fertiggestellt sind, können wir uns ja noch einmal an einen Abstieg wagen." Er wartete nicht Romanas Zustimmung ab, sondern setzte sogleich seinen Fuß auf den eben verlassenen Absatz. Mit der Hand auf das Knie gestützt, drückte er sich nach oben. Ein Ächzen erklang, dann stand er wieder auf der Treppe und hielt Romana die Hand hin.

  • Sim-Off:

    Was für ein Avatar... *lol* :D


    Die junge Claudia verzog leicht ihre Lippen und widerstand dem Drang, verlegen zu grinsen – das sah blöd aus, und war der Situation wenig angemessen, denn komisch war das ganz und gar nicht. Sie ließ seine Äußerung, mit der er die Schuld auf sich nahm, unkommentiert. Sie hatte sich schon genug zum Trottel gemacht, sie musste das jetzt nicht noch unterstreichen, indem sie noch etwas sagte. Es blieb ihr also nichts übrig, als nur den Kopf zu senken und still zu sein.


    Sie nickte bei seinem nächsten Vorschlag. ”Ich denke, das wäre gut”, machte sie und hoffte damit einen Schlussstrich unter der Sache ziehen zu können. Ihr Vater stemmte sich selber gekonnt am Absatz hoch und reichte ihr dann, ganz Gentleman, die Hand. Die Claudia zögerte nur eine Sekunde lang, dann ergriff sie die Hand ihres Vaters, bevor sie ihr rechtes Bein hob. Gut, dass ihr Kleid weit geschnitten war, denn so kam sie mit dem Fuß gerade auf den Absatz hinauf. Die Hand ihres Vaters als Anhaltepunkt verwendend, wuchtete sie sich hoch, und kam, leicht wankend, aber die Balance gerade noch rechtzeitig findend, bevor sie wieder runtergefallen wäre, vor ihm zu stehen. ”Dann... dann gehen wir zum Atrium zurück... oder?” man merkte ihr den leichten Schock in der Stimme noch immer an.

  • Sim-Off:

    Ein Hoch auf die Schönheitschirurgie :D


    Menecrates hielt Romana wieder den Arm zum Einhänkeln hin und legte anschließend seine Hand auf ihre. So schlenderten sie - die Sonne im Rücken - der Villa entgegen. Im Geiste beschäftigte sich der Claudier mit Romanas Fragestellung und versuchte eine Antwort für sich selbst zu finden.

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