Im Schutz der Nacht?

  • Natürlich wusste Valerian, dass die Worte des Jungen auf sich selbst und auf seine Freunde bezogen waren. Aber selbst das waren schon zu viele. "Romaeus, es gibt keinen Ort an den Deine Freunde oder Du gehen könntet. Ihr wäret überall Diebe und in keiner Stadt können Kinder einfach so als Diebe leben. Sie gehören einer Bande an – oder sterben. So ist das Gesetz der Straße. – Meine Frau, meine Schwester und ich werden uns jetzt besprechen. In der Zeit machst Du die Sauerei im Keller weg. Wenn Du das ordentlich machst, bekommst Du etwas Gutes zu essen."

  • Der Junge schluckte betroffen, als der Centurio ihm nun genau dasselbe erklärte, wovor Varius ihn und die anderen seit Jahren gewarnt hatte. Es gab keinen anderen Ort außer ihn - und Romaeus wußte das. Spürte es umso mehr im Bauch, seitdem Ingolf verschwunden war.
    Und doch sah er nun Valerian mit großen, hilfesuchenden Augen an. Was sollte er denn machen, ganz egal, ob er seinem Herrn treu blieb oder ihn verriet, sein Schicksal bliebe dasselbe, wenn es denn nicht der Tod war.


    Valerians Verkündung, die Erwachsenen würden sich jetzt besprechen, entlockte Romaeus ein stummes Nicken. Natürlich würde er den Keller sauber machen - und etwas zu Essen bekommen? Ein halbes Lächeln, das irgendwo zwischen Trauer und Dankbarkeit hängenblieb, stahl sich auf seine Lippen.
    "Dann brauch ich Putzzeug, bitte. Und eine neue Lampe, glaub ich ..." Automatisch wandte er sich nun wieder Calvena zu, sah sie zugleich fragend und irgendwie auch verlegen an. Schließlich war die Pfütze, die er dort unten hinterlassen hatte, ihm doch etwas peinlich.

  • Calvena war ganz entzwei gerissen, der Junge tat ihr furchtbar Leid und am liebsten hätte sie ihn gern einmal tröstend in die Arme genommen und ihm gesagt, dass alles gut werden würde. Man würde schon eine Lösung finden. Aber auf der anderen Seite wollte sie ihm nicht falsche Hoffnungen machen, dann würde die zerbrechliche Kinderseele nur noch mehr leiden, weil ihm für kurze Zeit die Tür in ein anderes Leben aufstand und sie ihm dann vor der Nase grausam zugeschlagen wurde. Erst einmal würden sie sich zusammen setzen müssen und sich überlegen, was sie nun machen sollten.
    Die großen Augen des Jungen sahen sie schon fast flehend an, sie konnte sehen, dass er Angst hatte und sich wohl wünschte nicht mehr nur von Halunken wie dieser Varius abhängig zu sein.


    Es war gut, dass sie erst einmal Zeit zum nachdenken bekamen, der Junge würde genug zu tun haben, seine Schweinerei im Keller wieder weg zu machen. In der Zwischenzeit würden sie vielleicht eine Lösung finden, die allen drei Kindern half. Doch sie hatte nicht wirklich eine Ahnung, wie. Es war traurig, dass alle Brücken zu ihrer Vergangenheit abgebrochen waren, sonst würde sie vielleicht einen Platz unter den Gauklern finden. Wobei es nicht ausgeschlossen war, dass nicht vielleicht ein Paar Schausteller derzeit eine Arbeit in Mogontiacum suchten... es wäre eine Möglichkeit, aber das würde sie nicht vor dem Jungen äußern. „Wasser, Eimer und Lappen findest du in der Küche“, erklärte sie ihm. Eine Öllampe war dann auch schnell gefunden, entzündet und dem Jungen in die Hand gedrückt. „Du wirst es nicht besser machen, wenn du versuchst weg zu rennen“, warnte sie ihn sanft, aber eindringlich. Denn dann würden sie ihm gar nicht mehr helfen können. Nicht einmal ein bisschen.

  • Valerian nickte zu Calvenas Worten. "Mach Dich bitte sofort an die Arbeit. Und gründlich! Ich will da unten nichts mehr sehen oder riechen, was nicht dorthin gehört, verstanden?" Er wußte, er klang streng. Aber im Moment hielt er es noch für richtig so. Der Junge durfte sich keine falschen Hoffnungen machen, bevor sie nicht besprochen hatten, was mit ihm geschehen sollte. Doch genau das wollte er auf keinen Fall in der Gegenwart des Jungen tun.

  • Gehorsam nickte Romaeus, während er zunächst Calvenas und dann Valerians Blick erwiderte. Er war immer noch ziemlich durcheinander, weshalb er ganz einfach vergaß, laut zu antworten. Stattdessen nahm er stumm die Öllampe entgegen, die er als erstes im Keller auf dem Boden abstellte, neben der eingesauten Ecke.
    Den Weg zur Küche kannte er ja schon - und jetzt erinnerte er sich auch vage, gestern beim Durchsuchen im Halbdunkel auch Putzeimer hatte stehen sehen.


    Nun, bei Tageslicht, genügte ein kurzer Rundblick durch die Küche, schon hatte er die beiden Wasserbottiche unter dem großen Arbeitstisch entdeckt. Einer von ihnen war tatsächlich gefüllt und über dem anderen hingen zwei trockene, frische Lappen.
    Romaeus nahm beide mit. Vorsichtig hob er den Bottich mit beiden Händen an um diesen dann zügig, aber nicht allzu schnell, zurück in den Keller zu balancieren. Der Eimer war zum Glück nicht übermäßig voll, so daß es ihm leicht fiel, nichts zu verschütten.


    Unten angekommen, legte er einen Lappen auf dem Regal ab, ehe er den anderen ins Wasser tunkte. Gerade hatte er ihn ausgewrungen und wollte losputzen, da hielt er mitten in der Bewegung inne.
    Wenn er sowieso schon hier am Saubermachen war, dann konnte er sich selbst auch gleich waschen, fiel es ihm ein.
    So landete nun sein löchriges Hemd auch auf dem Regal, dicht gefolgt von seiner Hose. Als erstes landeten zwei Handvoll Wasser auf seinem Kopf und er rubbelte sich mit den Fingern durch die nassen Haare. Anschließend schubberte Romaeus der Reihe nach gründlich Beine, Arme, Bauch, Hals und Gesicht mit dem feuchten Tuch ab. Sogar seine Füße kamen dran, indem er zunächst den einen, dann den anderen in den Eimer tunkte.
    Leider hatte er aber nur zwei Putztücher, weshalb mal wieder sein altes Hemd als Trockentuch dienen mußte. Das war nach dieser Aktion natürlich triefend nass, aber immerhin konnte er nun wieder seine Hose anziehen.

  • Valerian war zu Recht sauer über die Sauerei, die der Knabe angestellt hatte. Calvena war auch nicht gerade erbaut, aber dem Jungen war sein schlechtes Gewissen anzusehen. Er würde mit Sicherheit jetzt den Keller wieder sauber machen, was ihnen die Zeit geben würde, sich Gedanken zu diesem Burschen zu machen. Wirklich eine Idee hatte sie nicht, was sie nun machen sollten. Den Jungen wollte sie nicht einfach wieder auf die Straße lassen, das würde vermutlich sein Tod sein. Und dann gab es ja auch noch die kleinen Freunde. Das war eine verzwickte Lage, nur zu gern würde sie ihm ja helfen, aber sie konnten auch nicht jedem helfen.
    Der Junge stapfte davon um sich an die Arbeit zu machen und gab ihnen so die Gelegenheit sich in aller Ruhe zu besprechen.
    „Was machen wir?“ fragte sie dann in die Runde, kaum war Romaeus außerhalb der Hörweite.

  • Der Junge ging und machte sich an die Arbeit. Valerian nickte zufrieden und wandte sich gleich den Frauen zu, als der Junge im Keller verschwunden war. Calvenas Frage war berechtigt, aber nicht leicht zu beantworten. "Wie ich eben schon sagte: Rettest Du eine Handvoll, rückt die nächste Handvoll nach. Wir können nicht alle retten und ich habe auch nicht vor, hier ein Heim für Straßenkinder zu errichten. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß ihr das tun möchtet." Er schaute die beiden Frauen an und hoffte auf Zustimmung, fürchtete aber vehementen Protest.

  • Ein war sicher, sie konnten nicht allen Straßenkindern helfen, das wäre eine Aufgabe, die ihnen viel zu schnell über den Kopf wachsen würde. Aber sie konnten ja auch nicht einfach nur nichts tun und darauf hoffen, dass sich das Problem von allein lösen ließ. Solche Probleme würde es nicht geben, wenn die Eltern einfach zu ihren Bastardkindern stehen würden, anstatt diese dann der Kriminalität zu überlassen. Doch es brachte ja auch etliche Probleme und Skandale mit sich, wenn man zu seinem nicht gewollten Nachwuchs stand. Da war es nun einmal einfacher die Kinder auf den Straßen ihrem eigenen Schicksal zu überlassen. Meist war die Überlebenschance auch nicht sonderlich groß, besonders im kalten Germanien…
    Wenigstens aber wollte sie dem Jungen und seinen beiden kleinen Freunden helfen. Das Schicksal der Kinder rührte sie. Außerdem konnte sie den Jungen nicht einfach wieder zurück schicken. Das würde sie sich selbst einfach nicht verzeihen können. Eine einfache schnell Lösung gab es jedenfalls nicht. Der Junge erinnerte sie daran, dass sie eigentlich nur Glück gehabt hatte in ihrem Leben. Ihre Mutter hätte sich auch anders entscheiden können. Was sie auf den Gedanken brachte, dass sie Kontakt zu den Gauklern der Gegend aufnehmen könnte. Es war zwar vielleicht etwas unkonventionell gedacht, aber immerhin eine Lösung.
    „Allen könnten wir sowieso nicht helfen“, zeigte sie sich Einsichtig. „Aber wir können den Jungen jetzt nicht einfach zurück schicken… das würde nur schlimm ausgehen! Und selbst wenn sein Herr ihn laufen lässt, dann wird es nicht lange dauern bis er bei irgendwem anderes einbricht. Über kurz oder lang würde er dann wieder erwischt werden.“ Das war eine Tatsache, die sie nicht einfach vom Tisch weisen konnten. „Ich könnte versuchen mit ein paar alten Freunden zu reden“, Valerian wusste sicherlich wen sie meinte. Valentina hatte sie nicht aufgeklärt, was ihre eigene wilde Vergangenheit anging.

  • Das Hemd warf er einfach wieder zum Trocknen übers Regal. Erneut wurde der nasse Lappen in das nun verdächtig graue Putzwasser getunkt. Eben so gründlich wie vorher seine Haut, begann er nun, den Boden abzuscheuern. Nach und nach verschwand die Pipipfütze unter einer größeren Wasserpfütze. Romaeus wußte schon, weshalb er das zweite Tuch besser für den Boden, als für sich selbst gebrauchen konnte.
    Bevor er jedoch anfing, trocken nachzuwischen, angelte er sich sein Hemd vom Regal und wrang es ebenfalls nochmal aus. Dann faßte er es am Unteren Saum und fächelte es so stark er konnte durch die Luft. Keine besonders effektive Trockenmethode, aber die einzige, die ihm auf die Schnelle einfiel.
    Leider blieb das Hemd immer noch klamm, und Romaeus widmete sich erstmal wieder dem Boden. Als dieser schließlich trockengerubbelt war, lief er ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk.


    Ja, doch, es sah fast zu aus wie vorher. Nur noch ein leichter, feuchter Schimmer des Putzwassers war zu sehen. Wieder nach vorn tretend, schnüffelte der Knabe probehalber. Aber es roch nur nach Wasser und Keller, ein kleines bißchen modrig eben.
    Dennoch zögerte er, als er kurz darauf mit dem Eimer voll Dreckwasser und dem durchnäßten Hemd über der linken Schulter auf der untersten Stufe der Treppe stand. Sonst wusch er sich immer bei Neco und Lysandra, die natürlich an all seine blauen Flecken gewöhnt waren. Aber bei dem Gedanken, jetzt wieder so nach oben zu gehen, unter die Augen dieser ihm fremden Erwachsenen, schämte er sich plötzlich. Gut, er war jetzt nicht mehr so dreckig und sah jetzt ordentlicher aus - auch eine Sache, die ihm jetzt gerade enorm wichtig war. Er war schließlich kein Schwein, auch wenn er im Keller eine Schweinerei gemach hatte!


    Diesen Gedanken im Kopf, zog Romaeus plötzlich eine entschlossene Schnute und stapfte, den Eimer in beiden Händen, die Stufen nach oben.

  • Innerlich seufzte Valerian. Er hatte es befürchtet. Der Junge hatte mit seinen großen Augen und seiner traurigen Geschichte, die Frauen für sich gewonnen. "Er ist ein Dieb. Und ein Einbrecher. Glaubt ihr, den nimmt jemand auf? Würdet ihr ihn im Haus haben wollen? Ich gebe zu, sein Schicksal läßt mich auch nicht unberührt und er besitzt ein tapferes Herz, ganz ohne Frage. Aber... wollt ihr ihn euch ans Bein binden? Und seine beiden Freunde am Ende gleich dazu?" Sein Tonfall machte deutlich, daß zumindest letzteres auf keinen Fall in die Tüte kam.


    "Ich kann mir diesen Varius vorknöpfen und ihn unter Druck setzen. Er wird dann nicht wagen, den Kindern etwas anzutun. Und auch nicht, sie je wieder zu Einbrüchen zu zwingen. Taschendiebstahl... nun, das ist etwas, das man nie wird unterdrücken können. Außerdem finde ich, sind die Leute selbst schuld, wenn sie auf ihr Geld nicht ordentlich aufpassen." Seine Einstellung gegenüber Kleinkriminellen hatte sich gründlich geändert durch den Dienst bei den Praetorieren. Er hatte in Rom viele solche Männer wie diesen Varius gekannt und als Informationsquellen genutzt. Es war besser, sie zu kennen, zu kontrollieren und ihnen gewissen Freiraum zu geben, als sie festzunehmen und ihren Nachfolger dann erst wieder finden zu müssen.

  • Manchmal konnte ihr Mann doch tatsächlich ein solcher Holzklotz sein! Auch wenn er Recht hatte, aber im Moment wollte sie es sich aber nicht eingestehen. Es fehlte nicht viel und sie hätte einen Schmollmund gezogen und bockig die Arme vor der Brust verschränkt. So wie es Sabina tat, wenn ihr etwas nicht passte und sie versuchte mit aller Macht ihren Kopf durchzusetzen. Immer schön durch die Wand, gegen jegliche Vernunft. Aber sie war ja Erwachsen und weit würde es sie wohl nicht bringen, wenn sie sich jetzt ein Beispiel an ihrer kleinen Cousine nahm. Außerdem würde es dann wohl nur im Streit enden. Kein guter Start in Mogontiacum. Und auch wenn sie den Jungen irgendwie ins Herz geschlossen hatte, sich wegen ihm mit Valerian gleich zu verkrachen, war es dann nicht wert.
    So leid ihr die Kinder taten, drei Kinder im Haus würde sie wohl reichlich überfordern. Zumal es ja auch nicht ihre Eigenen waren.


    „Selbst wenn du ihn unter Druck setzt, wirst du nicht sicher sein können, dass er sich nicht doch an den Kindern vergreift. Ich kann mir kaum vorstellen, dass du ihn die ganze Zeit im Auge behalten kannst! Oder willst du extra dafür jemanden abstellen?“ Eine berechtigte Frage wie sie fand, Natürlich vertraute sie ihm, aber auch er hatte schließlich gewisse Grenzen.

  • "Das wird er nicht wagen", behauptete Valerian düster. Er wußte sehr wohl, daß solche Männer wie Varius nicht immer berechenbar waren. Doch die meisten konnte man bei ihrer Gier packen. "Es genügt für gewöhnlich, ihm klar zu machen, daß man alles erfährt, was auch immer er tut. - Calvena... Du weißt doch, wie es auf den Straßen läuft. Was sollen wir Deiner Meinung nach mit dem Bengel und seinen Freunden tun?" Sein Blick wanderte auch zu seiner Schwester, vielleicht hatte die ja eine zündende Idee?

  • Eines war sicher, eine einfache schnelle Lösung gab es nicht. Sie Vertraute ihrem Mann und wusste, dass er diesen Varius mit Sicherheit unter Druck zu setzen wusste. Doch was war, wenn dieser Mann seinen Zorn, trotz aller Drohungen an den Kindern ausließ. Kurz seufzte sie. Natürlich konnte dieser Kerl auch genau so reagieren, wie es Valerian vorher sagte, dass er tat was man von ihm verlangte und dieser seine illegalen Geschäfte auf bestimmte Gebiete eingrenzen würde und den Kindern auch weiterhin das bot, was sie brauchten: Schutz und so etwas ähnliches wie ein zu Hause.
    Wieder kam sie auf den Gedanken, zu versuchen mit Gauklern Kontakt aufzunehmen. Auch wenn sie nicht mehr zu diesem fahrendem Volk gehörte, wusste sie doch, wie man diese um einen Gefallen beten konnte. Doch dafür musste auch sie sich einen gewissen Ruck geben und sich etwas stellen, das sie eigentlich verarbeitet glaubte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es dennoch alte Wunde aufreißen konnte. Kurzerhand ließ sie sich auf eine Kline sinken. Im Stehen ließ sich schlecht reden, fand sie jedenfalls.


    „Ich kann versuchen mit alten Freunden Kontakt aufzunehmen. Vielleicht sind sie ja bereit die Kinder aufzunehmen.“

  • Vorsichtig schob er den Kopf um die Ecke, lauschte und horchte, wie nah oder weit weg die Erwachsenen ungefähr waren.
    Irgendwo mußte doch noch sein Umhang sein ...?
    Vielleicht in der Küche! Da hatte er ihn ja auch zusammen mit dem gestohlenen Essen fallen gelassen. Und er mußte ja sowieso wieder dorthin.


    Mit leisen, behutsamen Schritten huschte er durch das Atrium und den letzten Raum hinaus in den Garten, wo er das Schmutzwasser ganz einfach ins Gras schüttete. Nachdem er das Putzzeug wieder an seinen Platz unterm Tisch gestellt hatte, sah er sich erneut genau in der Küche um.
    Tatsächlich entdeckte er seinen Umhang über einen Stuhl hängend. Wenige Handgriffe später hatte er sein Hemd über die Rückenlehne gehängt und sich selbst das trockene Kleidungsstück übergestreift. Das sah zwar jetzt ziemlich merkwürdig aus, nur so mit Hose und dem viel zu großen Umhang, aber wenigstens sah man so nicht mehr die ganzen blauen Flecken. Und es war außerdem wärmer.

  • Seufzend ließ sich Valerian neben sie auf die Kline fallen. „Hör zu, es wird schwer genug, dem Kerl das eine Kind abzuschwatzen, wenn Du das nun unbedingt willst. Aber alle drei? Ich möchte ihn nicht verhaften. Nach allem, was der Junge erzählte, ist dieser Varius harmloser als die meisten Männer seiner Art. Ihn zu kennen und ihn unter Druck setzen zu können, ist weit wertvoller, als ihn zu verhaften und somit Platz zu schaffen für einen anderen, der vermutlich schlimmer ist, den wir nicht kennen und den wir nicht unter Druck setzen können.“ Warum Calvena nun unbedingt diese anderen Kinder auch noch retten wollte, ging wirklich über seinen Verstand. Es nützte nichts. Varius würde innerhalb kürzester Zeit die nächsten Kinder angelernt haben. „Wir müssen schnell handeln. Traust Du Dir zu, heute noch ein Heim für die Kinder zu finden?“

  • Valerian schien so gar nicht zu verstehen, dass sie sich auch für die Freunde des Jungen einsetzte. Man konnte es ja darauf zurück führen, dass er eben ein Kerl und Soldat war und andere Pläne mit diesem Halunken hatte, während sie an das Wohl der Kinder an erster Stelle dachte. Sie konnte so einem Fiesling nicht einfach Kinder überlassen. Jedenfalls nicht, wenn es in ihrer Macht stand. Sie schienen aber dennoch so etwas wie einen Kompromiss zu finden, wenn es ihr gelang, die beiden anderen Kinder auch irgendwo unterzubringen, dann würde ihr Mann diesem Kerl alle drei Kinder abschwatzen oder vielmehr so sehr unter Druck setzen, dass ihm am Ende keine Wahl blieb. Wenn... so einfach wie sie behauptet hatte, würde das aber nicht werden. Sie wusste ja nicht einmal ob Gaukler in der Stadt waren und ob dann auch noch jemand drunter war, denn sie vielleicht kannte. Dennoch nickte sie entschlossen. „Bis heute Abend hab ich jemanden gefunden, der die Kinder aufnimmt!“ erklärte sie ihm selbstsicher und behielt ihre zweifel lieber erst einmal für sich. Sollte sie scheitern, konnte sie ihm das ja auch noch später beichten.

  • Ein wenig hilflos stand Romaeus wenig später im Flur und sah sich nach allen Richtungen um. Er wußte ja nicht, wohin die Erwachsenen gegangen waren.
    Er hatte schon tief Luft geholt, drauf und dran, das ganze Haus zusammenzubrüllen, daß er fertig wäre, da hielt er im letzten Moment inne. Es wäre nicht besonders höflich, das zu tun, zumal er doch eigentlich bloß von Tür zu Tür gehen brauchte und lauschen, wo er Stimmen vernahm.


    Na gut, lauschen war wohl auch nicht wirklich höflich, aber wohl doch angemessener, als Zeter und Mordio zu schreien. Romaeus wollte sich jeden unnötigen Ärger ersparen, davon würde er noch genug haben, wenn heraus kam, daß er Varius verraten hatte.
    Flink schlich der Junge von Tür zu Tür, hielt sein Ohr gegen jede einzelne, bis er schließlich gedämpfte Stimmen aus einem der Zimmer vernahm. Ein letztes Mal atmete er tief durch und klopfte zweimal deutlich an.
    "Herr, ich bin fertig!" rief er, gerade so laut, daß es durch die geschlossene Tür zu hören war.

  • "Und was tust Du, wenn er nächste Woche die nächsten Kinder unter seiner Fuchtel hat? Willst Du die dann auch retten?" Valerian wußte eben, daß es eine unendliche Schleife war, bei der man sich nur verstricken und ruinieren konnte. "Wenn Du es schaffst, sie unterzubringen, dann werde ich sie befreien. Aber ich sage Dir, daß dies das erste und letzte mal sein wird. Und was ist mir Romaeus? Willst Du ihn auch beim fahrenden Volk unterbringen?" Ungünstigerweise klopfte es gerade in diesem Moment an der Tür und der Junge rief, daß er fertig sei. Valerian öffnete die Tür. "Nun, das ist erfreulich. Wir sind aber noch nicht fertig. Also warte bitte in der Küche, wir kommen dann dorthin und Du bekommst die versprochene gute Mahlzeit." Warum nur war der Junge so merkwürdig gekleidet? Hatte er doch gestohlen und etwas unter dem Mantel verborgen? Na, das würde dem Bengel schlecht bekommen, sollte es so sein!

  • Valerian hatte recht, aber sie wollte es gerade gar nicht einsehen. Manchmal war sie furchtbar verbockt, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte und wollte dann eigentlich auch keine Ratschläge annehmen. Aber sie konnte nicht von der Hand weisen, dass er recht hatte. „Solange nicht noch ein Kind einbricht, werde ich das ignorieren können“, meinte sie ernst. Sicherlich fühlte sie sich nicht ganz wohl dabei darüber hinweg zusehen, dass so ein Halunke unschuldige Kinder für seine Zwecke missbrauchte. Nur das Handwerk konnte man denen nicht wirklich legen. Kaum verschwand der Eine von der Bildfläche, tauchte ein Neuer auf und dieser konnte durchaus schlimmer sein, wie sein Vorgänger. Zumindest würde ihr Mann den Kerl im Auge behalten. Das war ein kleiner Trost.
    Romaeus würde sie am liebsten gar nicht gehen lassen, gerade als sie ihm das erklären wollte, klopfte der Bursche an und verkündete er sei fertig. Wenigstens besaß er ein wenig anstand und lauschte nicht. Sie wartete bis der Knabe erst einmal wieder in der Küche verschwunden war.

  • Ein wenig scheu zu Valerian aufsehend, hatte Romaeus dessen Antwort abgewartet. Diese aber fiel beiweitem freundlicher aus, als das Verhör vonstatten gegangen war, und schon malte sich ein kleines, freudiges Lächeln auf das Gesicht des Kindes.
    "Ja, Herr!" - Schwupps, war der Junge wieder davongewuselt. Erst, als er sich in der Küche auf den zweiten Stuhl niederließ, wurde ihm bewußt, daß sein Herz vor Aufregung ziemlich wummerte. Natürlich freute er sich auch auf das versprochene Essen, allein der Gedanke daran genügte, seinen Bauch zum Kurren zu bringen. Doch die ganze Situation war einfach zu ungewohnt und spannend für ihn, als daß er einfach so hätte ruhig sitzen können. Also saß er nun hibbelig, wie er war, auf dem Stuhl und schaukelte mit den Beinen. Gerade noch konnte er sich beherrschen, nicht auch noch mit dem Stuhl zu kippeln. Schließlich wollte er nicht mitsamt dem Möbelstück auf den Boden krachen ...

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