Da die flavischen Sklaven darauf konditioniert waren, sich mindestens doppelt so schnell durch das Haus zu bewegen wie ihre Herren - dabei allerdings doppelt so leise und nahezu unsichtbar -, musste Epicharis nicht lange im Atrium harren, bis dass zwei Sklaven an sie heran traten, einer eine kleine Waschschüssel mit lauwarmem Wasser in Händen, der zweite ein silbernes Tablett, auf welchem drei sorgsam gefaltete, beigefarbene Handtücher, ein Stück Olivenseife und ein kleines Fläschchen mit wohlig duftendem Rosenwasser stand. Kurz nach ihnen trat eine Sklavin mit einem Tablett heran, Kannen voll klaren Wassers, Wein und Birnensaft, wiewohl einigen Gläsern darauf balancierend, gefolgt von einem dürren Sklaven, der eine große Platte mit kaltem Fleisch, Fladenbrot, Käse, Oliven, Trauben, Pflaumen und Apfelstücken herbei trug, dass es schien, als würde die flavische Familie jederzeit nur auf unerwarteten Besuch warten.
Atrium | Der Familie Schoß
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Es war Epicharis stets ein Rätsel, wie zuvorkommend und schnell manche Sklaven – und scheinends waren die flavischen die Schnellsten – agierten. Sie hatte sich eben erst dazu entschlossen, sich zu setzen, um dann vor lauter Aufregung sogleich wieder aufzuspringen und lieber stehend zu warten, als eine kleine Schwadron sie umzingelte. Epicharis musste nicht viel tun. Sie reichte einer alternden Sklavin ihre Hände. Die Ringe wurden ihr von den Fingern gezogen, das verschlungene, goldene Armband gelöst und neben den Ringen und den Krügen auf dem Tisch platziert. Während zwei Sklavinnen schnell und gründlich ihre Hände und Unterarme mit Wasser und Seife vom Straßenstaub befreiten, warf Epicharis aufmerksame Blick im Atrium umher. Es sah aus wie an dem Tag, da sie Rom verlassen hatte, doch außer ihr und ein paar Sklaven war noch niemand anwesend. Bald waren die Sklavinnen fertig, eine dritte hatte sich zeitgleich an ihren Sandalen aus feinstem Antilopenleder zu schaffen gemacht, und so widmeten sie sich nun ebenso schnell und nicht minder gründlich den schlanken Fesseln Flavia. Es war unumgänglich, dass sie sich hierzu nun doch setzte, wobei sie durchaus auch die vielen kleinen Köstlichkeiten bemerkte, die herangetragen worden waren. Sie entschied sich kurzerhand für eine Pflaume und nahm gleich eine zweite, weil die erste so süß und saftig gewesen war. Derweil bemühte sich eine weitere Sklavin, Epicharis' Haar zu entwirren. Eben trocknete man ihre kitzeligen Füße mit dem Leinen, als Schritte laut wurden und ganz offensichtlich näher kamen. Epicharis' Unruhe wuchs nun wieder ins Unermessliche, und noch bevor sie ihre Sandalen abermals trug oder auch der zweite Fuß getrocknet worden war, erblickte sie Gracchus, den der Flur soeben ins Atrium spuckte, und da hielt sie nichts mehr auf ihrem Sitzplatz. Epicharis sprang auf, trat natürlich genau in die gefüllte Seifenwasserschüssel hinein – was sie allerdings keineswegs störte – und lief dann mit großen, nassen Schritten und wehenden Kleidern auf den lieben Verwandten zu; natürlich nicht, ohne mit einem sphärischen, spitzen Schrei ihre Freude auszudrücken. „Manius!“
Kein Augenzwinkern später wehten Epicharis' offene Haare aus der Luft an ihren Rücken, getragen vom Wind, den ihre Schnelligkeit verursacht und sie in Gracchus' Arme getrieben hatte. Recht behände hatte sie ihre Hände unter Gracchus' Armen hindurch geschoben und auf seinen Rücken gelegt, ihren Kopf an seine Schulter gelegt. Ein Hauch Rosenduft war mit ihr eingetroffen und stieg Gracchus sicherlich in die Nase. Epicharis jedenfalls seufzte, eine Mischung aus Erleichterung und Zufriedenheit, und sie drückte Gracchus eine ganze Weile, bis sie sich besann, dass er ja doch stets etwas verwirrt auf solche Gefühlsausbrüche ihrerseits reagierte. Da ließ sie dann ein wenig lockerer, trat einen halben Schritt zurück, legte den Kopf ein wenig in den Nacken und sah auf zu ihm. „Ich bin ja so froh, dich zu sehen! Wie geht es dir? Was machen Antonia und Minor? Und Furianus und Piso und alle anderen? Was haben Marcus und ich verpasst seit unserem letzten Besuch? Du musst mir unbedingt alles erzählen!“ Epicharis' Augen strahlten regelrecht, als sie Gracchus ansah und dabei baren Fußes ein klein wenig vor Gracchus auf und ab hüpfte. Epicharis störte es nicht, sich so zu geben. Sie und Gracchus verband etwas, das wusste sie schon seit ihres sehr vertrauten Gesprächs vor vielen Monaten mit absolut unerschütterlicher Sicherheit. Sie musste ihm keinen Anstand vormachen, und ganz nebenbei wollte sie das auch gar nicht.
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Hin- und hergerissen zwischen den Extremen höchster Euphorie und tiefster Herzensangst eilte Gracchus durch die Flure der Villa zum Atrium hin - war doch Eile in jedem Falle geboten -, war einerseits überwältigt von der unbändigen Freude über Epicharis' Erscheinen in Rom, andererseits indes mutmaßte er, dass ihr unangekündigtes Kommen nur durch den Ansporn einer entsetzlichen Katastrophe konnte ausgelöst worden sein - dass etwa Aristides ein Unheil war geschehen oder gar noch schlimmeres -, gehörte doch die Überraschung anderer durchaus zu Gracchus' eigenen Verzückungen, Überraschungsbesuche indes lagen fern des Verständnisses seiner Welt und bargen darob stets bange Sorge. Kaum nur hatte er das Atrium betreten, da Epicharis bereits ihm entgegen strebte und trotz der Spuren der Reise - allfällig gar ob derer, da dies ihr einen adventurösen Hauch verlieh -, trotz des Wasserschalen-Malheurs überstrahlte ihre Erscheinung den gesamten Raum, zentrierte jegliche Aufmerksamkeit, als wäre die Welt um sie herum nur dazu geschaffen, auf sie in ihrer Mitte hin zu weisen, ließ gleichsam eine invisible Sphäre um sie herum brillieren, als wäre all dies nur Illusion, filigrane Dekoration, ihre Leichtigkeit zu akzentuieren. Noch ehe Gracchus ein Wort zu ihrer Begrüßung konnte aussprechen oder auch nur ihren Namen nennen, flog ihm nicht nur sein eigenes Praenomen entgegen, sondern mit ihm zugleich der zierliche Leib, welcher im nächsten Augenblicke schon ihn umfasst hielt, um ihn herum brandete wie das ungestüm schäumende Meer über einen starren Felsbrocken hinweg, dass er merklich die Wärme konnte spüren, welche Epicharis' zarte Statur ausstrahlte, sie an sich spürte wie selten überhaupt einen Menschen, den zarten Duft nach Rosen atmete, welcher sie umhüllte, und nicht nur physisch in ihrer Umarmung gefangen ward, sondern auch im Geiste.
"Epicharis ..."
Es war mehr der Anschein eines Wortes, eine Idee von Klang, welche seine Lippen verließ, während er zaghaft, zögerlich beinah Epicharis' Umarmung erwiderte, als hätte er Furcht einer trügerischen Illusion verhaftet zu sein, welche jede Sekunde könnte zerplatzen unter der Realität seiner Berührung. Die Augenblicke zerrannen während sie nurmehr aneinander standen, während nichts zu sagen, nichts zu tun notwendig war, in stummer Einigkeit, in stiller Übereinkunft. Es war ein Band zwischen ihnen, so fremd und doch gleichsam vertraut, eine Ahnung von Zuhause und Geborgenheit, und als Epicharis zurück trat, der zarte Moment zerriss, konnte Gracchus beinahe körperlich den Schmerz über dies in sich verspüren.
"Epicharis"
, wiederholte er noch einmal ihren Namen, wie stets und in diesem Moment noch ein wenig mehr derangiert ob der Lebendigkeit ihres Tuns, ihrer raschen Wortfolge, der zahllosen Fragen und der sie begleitenden unscheinbaren Auf-und Abbewegung, hielt hernach einige Augenblicke inne, ehedem er mit einer simplen Feststellung fortfuhr, darauf hoffend, dass zumindest die Rezeption der Realität ihm noch verblieben war, wiewohl sich dadurch Zeit zu verschaffen, einen weiteren Gedanken zu fassen.
"Du bist hier."
Er suchte sich an ihre Fragen zu erinnern, doch es war alles fort aus seinen Sinnen, leergefegt durch die Abfolge der Ereignisse, wie durch die noch immer latente Sorge um die Familie.
"Ist etwas ... ist etwas geschehen, dies zu bedingen?"
Noch einmal musterte er sie eingehend, doch es war keine Spur von Gram in ihrem Antlitz, keine Spur von Sorge, nur dies funkelnde Strahlen in ihren Augen, Ausdruck purer Lebensfreude, welches schlussendlich dazu führte, dass auch um seine Lippen der Anschein eines unsicheren, noch immer zweifelnden Lächelns sich stahl.
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