Atrium | Und die Welt erscheint dunkler....

  • Wenn ich, an ihren Brüsten hingesunken,
    Den heiligsten der Tränke tief getrunken:
    Komm, Drache Tod, lass mit dem letzten Hauch
    Uns in die Luft vergehn wie blasser Rauch,
    Und lass uns noch nach hunderttausend Jahren
    Vereint als Sturmwind durch die Lüfte fahren!
    Li-hung-tschang (Übersetzt von Klabund )


    Große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus......


    Das hatte ihre Mutter in einem Brief an ihre Töchter geschrieben und damit eigentlich gemeint, dass sie nun endlich erwachsen werden sollten. Dass man Erwartungen an sie hatten und Pflichten zu erfüllen. Das die Kindheit vorbei war, dass sich ihre Wege trennen würden. Doch diese Worte schienen nun schwerer zu wiegen als jemals zuvor. Innerhalb weniger Tage hatte sich plötzlich die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Nichts war mehr so wie es sein sollte.
    Der Tod hatte seine Schwingen über die Gens ausgebreitet und schien auch nicht gehen zu wollen. Wie ein drohender Schatten hing er über der Familie und nahm Licht und Wärme aus der Welt.
    Lachen, Freude und Unbeschwertheit schien von einem kalten Wind davon getragen zu sein.
    Die Kindheit war vorbei. Endgültig. Sie hatte sich klammheimlich aus dem Staub gemacht, während die Ereignisse sich überstürzten.
    Die Nachricht über Celerinas Tod und dass sie verantwortlich war für den Frevel im Hain der Diana hatte den ganzen Haushalt in Bestürzung gestürzt. Fassungslosigkeit. Flora konnte nicht begreifen, wie es dazu gekommen war. Hatte sie doch die Begegnung mit dem aufgebrachten Mob, welcher in den Straßen Roms nach Sühne verlangte, kaum verkraftet und sich danach erst einmal in ihr Zimmer eingesperrt und nur von Narcissa trösten lassen. Sie wollte einfach nicht glauben, dass die Flavia daran Schuld trug. Sie war immer so etwas wie ein leuchtendes Beispiel an römischer Tugend gewesen. Perfekt auf ihre Weise, im Grunde das, was sich ihre Mutter für ihre Töchter vorstellte. Völlig aufgelöst verfiel sie irgendwann weit nach Mitternacht in einen unruhigen Schlaf, voller Schreckensgestalten. Nur um dann am nächsten Morgen von einem durch Mark und Bein gehenden Schrei geweckt zu werden.
    So schnell war sie noch nie aus dem Bett gewesen und wie alle anderen Familienmitglieder war sie dann reichlich erschrocken im Eingang von Marcus Officium stehen geblieben. Blut besudelte nicht nur den schweren Schreibtisch, sondern auch die Kleider und den Boden. Das Heft eines Dolches ragte aus einer Brust. Begreifen konnte sie diesen Anblick im ersten Augenblick überhaupt nicht. Der Schock nun noch ein Familienmitglied verloren zu haben traf sie unvorbereitet und ließ sie völlig erstarren. Nicht nur ihren Körper sondern auch ihre Gedanken. Es war über ihren Verstand hinausgegangen.


    Wenn der Tod unter den Menschen umher ging, dann blieb nichts übrig, wie eine leere Hülle. Auch wenn man sagte, es würde immer etwas zurück bleiben von den Menschen die man liebte so war der Tod etwas Endgültiges. Es gab kein zurück. Alles was einen Menschen ausmachte, das verschwand einfach. Was blieb waren Erinnerungen und leere Worte nieder geschrieben auf Papier.
    Prisca hatte es wohl am schwersten getroffen, während sie selbst einfach nur nicht verstehen konnte, warum. Und dabei war dies nicht einmal das Ende. In den Nächten in denen sie wach lag und nicht schlafen konnte, sich unruhig herum wälzte, musste sie unweigerlich an ihren Bruder denken, denn mit seinem Leben ging es auch langsam zu Ende. Was hatten sie verbrochen, dass der Tod so viele Opfer von der Familie verlangte? Es war grausam und irgendwie ungerecht.


    Alles was nach dem Tod ihres Verwandten ereignete verschwamm irgendwie zu einer grauen Masse. Wer genau sich um die Aufbahrung Corvinus neben Celerina bemühte und die ganzen Briefe an Verwandte, Klienten und Freunde der Familie versendete um vom Tod dieser beiden Menschen kümmerte, daran konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern. Das Einzige was ihr wirklich im Bewusstsein blieb, war dass sie und Lysandra wortlos ihre Streitigkeiten beilegten und irgendwie näher an einander heran rückten. Ebenso wie Narcissa, selten hatte man die sonst so lebensfrohen Zwillinge so schwermütig erlebt.
    Sieben Tage lang waren die Stimmen der Klageweiber in der Villa zu hören gewesen. Und nun standen sie hier im Atrium. Bald würde der Trauerzug seinen Weg durch Roma nehmen und den Toten die letzte Ehre gebieten. Freunde, Klienten und Verwandten versammelten sich allmählich in der Villa. Es herrschte bedrücktes Schweigen.
    Ganz leicht drückte sie die Hand ihrer Schwester. Sie war eiskalt. So kalt wie eigentlich alles in diesen Tagen. Jede Wärme schien verschwunden zu sein. Ihre Miene war seltsam verschlossen. Flora konnte es einfach nicht begreifen….



    Sim-Off:

    Liebe Freunde der Familie, Verwandte, Klienten, Sklaven und flüchtige Bekannte, ihr seid alle herzlich dazu eingeladen, an diesem Trauerzug teilzunehmen.

  • Der plötzliche Tod des Familienoberhauptes und seiner Gattin verstrich sogar Publius das sonst so selbstsichere Grinsen aus dem Gesicht. Obgleich der junge Aurelier in Folge seiner massiven Gesundheitsprobleme schon sein ganzes Leben mit dem Tod konfrontiert wurde, wog der Verlust anderer Familienmitglieder doch schwerer als er gedacht hatte. Vor allem wenn es um Familienmitglieder ging, die in seiner Auffassung zu den tragenden Säulen gehörten. Corvinus war seine erste Station in Rom gewesen und setzte sich von Anfang an für Publius ein, um eine erfolgreiche Karriere zu gewährleisten. Trotz der vehementen Rückschläge, verursacht durch Imbrex' anhaltende Gesundheitsprobleme und seine Wahlniederlage, schien das Familienoberhaupt die Erfahrung und die nötigen Beziehungen zu besitzen, um Publius Auswege aufzuzeigen. Angesichts der Tatsache, dass die Gens Aurelia nicht nur einen Verwandten, sondern auch ein Sprachrohr in der römischen Politik verlor, fühlte Imbrex eine gewisse Unsicherheit. Unsicherheit, die in eine dunkle Orientierungslosigkeit führte, die dem selbstbewussten und schlagfertigen Aurelier doch etwas fremd schien.


    Publius ließ seinen Blick durch die Reihen der Verwandten, Klienten und sonstigen Trauernden schweifen, als er das Atrium der Villa betrat. Auch wenn er mittrauerte, hielt er sich doch eher im Hintergrund und versuchte möglichst sachlich mit dieser schweren Situation umzugehen. Nach diesem letzten Trauerzug würde sich einiges ändern und vielleicht auch schwieriger gestalten - dennoch war er zuversichtlich sich bald wieder mit dem Erreichen seiner hochgestecken Ziele beschäftigen zu können.

  • Ihre Hand war kalt. So klamm und eisig, wie sie sich fühlte. Das Atrium war voller Menschen, aber so leise und drückend war es nur sehr selten in der Villa Aurelia. Die Gesichter waren größtenteils ernst und verschlossen, die Augen darin traurig und fassungslos. Gleich zwei. Der Tod hatte Einzug gehalten. Es war grauer geworden. Narcissa dachte nichts. Sie stand, von Lysandra dem Anlass entsprechend zurecht gemacht, neben ihrer Schwester. Für Kleidung hatte die Aurelia keinen Sinn gehabt, genauso wenig für all die anderen Kleinigkeiten, die im Alltag anfielen. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen Flora zu trösten, sich zu trösten. Auch wenn sie weder mit Celerina noch mit Marcus viel zu tun gehabt hatte, nahm ihr Scheiden sie mit. Irgendwie waren die beiden immer da gewesen, eine unsichtbare Präsenz, die sich durch das Haus und die Familie gezogen hatte. Und die jetzt fehlte. Wie mochte sich erst Prisca fühlen, die dem Hausherrn so nahe gestanden hatte?


    Sie erwiderte Floras Handdruck, eine Verbindung, die sie daran erinnerte, dass zumindest sie noch da war und hob ihren Blick. Es gab noch sie beide. In solchen Momenten war das Begreifen dieser einfachen Tatsache noch intensiver, noch tiefer, deutlicher. Imbrex bewegte sich langsam durch die Menge, sie nickte ihm kurz zu. Die beiden aufgebahrten Gestalten wirkten mehr wie Schlafende, denn wie Tote. Die Aurelia verstand nun den Ausspruch „Der Schlaf ist des Todes kleiner Bruder…“

  • Marcus Iulius Proximus
    hatte sich auch an diesem Ort eingefunden, nachdem man ihn eingelassen hatte.


    Er kannte beide nicht wirklich näher doch man hatte sich hier oder da schon einmal gesehen.


    Es hing eine düstere, bleierne, Stimmung über diesem Ort.


    Das Atrium füllte sich immer mehr mit Leuten.


    Proximus nickte den Familienmitgliedern freundlich zurückhaltend zu, ansonsten hielt er sich weitgehend zurück.

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    DECURIO - MISENUM

    Klient - Lucius Aelius Quarto

  • Áedán stand wie eine Statue im Atrium. Hätte er nicht geatmet, hätte man ihn wohl wirklich für eine Marmorfigur gehalten. Er stand da, sein Gesicht war ohne jegliche Regung und sein Blick starr. Sein rotblondes Haar hatte einiges an Glanz verloren und wenn man ihn genauer betrachtete sah man, dass es in ihm arbeitete. In seinem Kopf wüteten die Gedanken, fochten Kämpfe aus und irgendwie war es eine solche Schlacht, dass er keinen einzigen genauer zu fassen bekam.


    Der Gallier wusste nicht mehr, was er denken sollte. Über der Villa hing der Tod und er hatte das Gefühl, ihm würde der Himmel auf dem Kopf fallen. Ein schmerzhaftes Pochen in seinen Schläfen und das Gefühl, man hätte der Welt die Farbe gestohlen, bedrückte ihn.


    Langsam löste er sich aus seiner Erstarrung und ging zu Domina Flora hinüber. Was aus ihn genau werden sollte, wusste er irgendwie noch nicht, aber da er die junge Aurelia kannte, wollte er nun in ihrer Nähe stehen. Cleomedes war auch tot... irgendwie waren so viele tot... Das alles zu verstehen war ihm nicht möglich. Nicht jetzt. Nicht hier.

    Fishing4Comments: Verbesserungsvorschläge sind durchaus erwünscht.

  • Er war selbst nicht tot. Doch Avianus' Herz wurde umklammert von den eisernen, kalten Klauen des Todes. Er hatte heute nicht die Lust gehabt, sich herauszuputzen, ordentlich auszusehen. Diese Dinge waren ihm egal und er hatte auch nicht die Lust, sich einkleiden zu lassen, ließ sich aber von seinem persönlichen Sklaven Àris noch überzeugen, als Senator Roms ordentlich hinauszutreten. Ja, Àris war noch zur dunkelsten Stunde, ungewöhnlich für Sklaven, ein unverbesserlicher Idealist. Avianus war es heute egal - doch ließ er sich schweren Herzens ordentliche, dunkle Kleidung anlegen.


    Ein starr dreinblickender, von den letzten Nächsten mit rot angelaufenen Augen und versenkten Augenliedern gezeichneter Avianus erschien auf dem Atrium. Selbst die besten Sklaven konnten diese Details nicht vertuschen.
    Er redete nicht, dafür war ihm zu schwer zumute. Also stellte er sich schweigend hin. Er vergaß den Anblick von Corvinus' Leiche in seinem Zimmer nicht. Und diesen Anblick würde er nie im Leben vergessen.

  • Da lagen Sie! Friedlich nebeneinander, wie Schlafende, vereint im Tod und eingegangen ins Elysium. Es fiel unglaublich schwer dies zu begreifen, doch wenigestens blieb der schwache Trost, dass nichts und niemand mehr ihre letzte Ruhe stören konnte. Trotz dieser Erkenntnis war der Anblick der beiden leblosen 'Hüllen' für Prisca kaum zu ertragen und es kostete sie unendlich viel Überwindung, immer und immer wieder auf den Leichnam ihres Onkels und den von Celerina zu 'starren', während sich ihr Blick gleichwohl ins Nichts und Nirgendwo verlor. Es war wie in einem schrecklichen Traum, aus dem man jeden Moment zu erwachen hoffte und dachte, danach wäre alles wieder gut. Marcus und Celerina würden sich von den Toten erheben und jeder hier im Raum würde deutlich sehen können, dass sie noch lebten!! Doch nichts dergleichen würde je geschehen, denn der Tod war unbestechlcih.


    So sehr sich Prisca vor diesem Tag gefürchtet hatte, an dem sie für immer Abschied nehmen musste, so erleichtert war sie im Grunde darüber. Endlich gab es einen Anlass für sie den Weg aus ihrem Zimmer zu suchen, in dem sie nunmehr seit Tagen völlig zurückgezogen gelebt hatte. Oder wäre 'dahin vegetieren' die bessere Umschreibung gewesen für den Zustand, in dem sie sich befunden hatte?! ... Jedenfalls war es nur gut, dass der dunkle Schleier ihr Gesicht nun völlig verdeckte, welches ungeschminkt und von der Trauer gezeichnet darunter lag. Womöglich hätte man sie nicht wieder erkannt, so verändert wie Prisca in diesen Tagen wirkte. Ihre Miene wirkte wie versteinert, die Wangen eingefallen, die Lippen zu dünnen Strichen zusammengepresst und die Augen völlig verschwollen, angesichts der unzähligen Tränen die sie vergossen hatte. Sie war ein Schatten ihrer selbst und genauso fühlte sie sich. Wie ein Schatten, wage erkennbar und doch nicht wirklich greifbar, zwischen all den Anderen, den Trauergästen, Familienmitgliedern, Klienten und selbst den Sklaven, die sich heute hier eingefunden hatten um gemeinsam mit ihr zu trauern. Sie war nicht allein und doch fühlte sich Prisca so, als wäre sie allein, inmitten einer endlos erscheinenden Wüste der Trostlosigkeit, aus der es kein Entrinnen mehr gab.

  • Ob die Welt dunkler schien? Piso konnte nicht recht in seinen Gedanken einordnenen, ob sie das tat.
    Einerseits gab es Celerina. Piso hatte immer großen Respekt gegenüber Celerina gehabt. Für ihn war sie immer DIE perfekte Römerin gewesen. Zu schade, um an einen Kerl wie Corvinus verheiratet zu werden. Sie war eine Frau von Welt gewesen. Eine wirkliche und richtige Dame, wenn Piso jemals eine gesehen hatte. Ja, er hatte sie bewundert für ihre Art. Für ihr Auftreten. Für ihre noble Ausstrahlung. Für ihre Schönheit. Sicherlich, die beiden waren sie nie nahe gekommen. Und doch, sie hatte ihm gesagt, sie würde versuchen, Corvinus zu überreden. Sie würde sich für ihn einsetzen. Für die Erfüllung seiner großen und einzigen Liebe. Ob es soweit gekommen war? Er wusste es nicht. Schließlich hatte er keine Ahnung vom Inhalt des Briefes, den Corvinus an Prisca zu Abschied gegeben hatte.
    Und andererseits gab es Corvinus. Einen großen Antiästheten (und Piso hasste diese Leute, wiewohl er selber definierte, wer zu dieser Kategorie gehörte und wer nicht), mit einer Verachtung für das Konzept der Liebe, welches doch zu den ästhetischsten aller gehört! Ein fürchterlicher Mensch.
    Und so trug Piso seine Trauertoga, die Toga Pulla, explizit nur für Celerina. Natürlich konnte man ihm dies nicht von außen ansehen. Aber, wenn er ehrlich war, er trug sie nur für Celerina. Die Nachricht von Celerinas Tod hatte ihn als ihr Onkel soundsovielten Grades ehrlich erschüttert. Unbenommen seiner Umstände. Die Nachricht vom Tode des Corvinus hingegen hatte ihn kaum berührt. Um ehrlich zu sein, im Gegenteil. Denn was stand jetzt schon zwischen ihm und einer Heirat mit Prisca? Der Rangoberste der Gens Flavia – und das war wohl nun Ursus, den er wirklich schätzte, und von dem er hoffte, dass Ursus das Gleiche von ihm dachte. Schließlich hatten sie sich schon gemeinsam betrunken. Was für einen ehrlicheren Bund konnte es zwischen zwei Männern geben?
    Piso führte Nigrina, seine Schwester, an der Hand. Piso hatte keine Ahnung, ob es Nigrina gefiel, dass er mit ihr Händchen hielt, er tat es trotzdem. Schließlich war er ein Mensch, dem viel an körperlicher Nähe, an Wärme lag. Nie hatten sich Nigrina und Piso mit sonderlicher geschwisterlicher Nähe behandelt. Aber Piso begann mehr und mehr, Nigrina als Ersatz-Vera zu sehen. Ja, Nigrina mochte nicht die Vorzüge haben, die Vera besaß – schließlich war sie nicht vom calpurnischen, sondern von genucischen Blute, was Piso, der seine halbplebejischen Wurzeln immer geschickt zu kaschieren wusste, als signifikant ansah. Wer waren schon die Genucier? Fade Patrizier. Und doch fühlte er sich mehr und mehr zu ihr hingezogen – einfach nur, weil sie da war. Und weil sie sich um ihn scherte. So etwas bekam immer pisonische Dankbarkeit.
    Er löste seinen Griff um ihre Hand. “Du Nigrina... ich werde Prisca suchen gehen. Du kannst ja zu deinem Aurelier gehen. Wenn du magst.“ Nein, Piso gab nicht vor, Lupus zu mögen. Aber Nirgina hatte ihm gegenüber schon verlautbart, dass sie ihn heiraten wollte. Und wer wäre Piso, dass er sich dagegen stemmen würde? Ein kleiner Corvinus. Bah. Ein unwirklich und seltsam liebevolles Lächeln bekam Nigrina von Piso, bevor dieser sich abwendete und seinen Blick umherschweifen ließ.
    Es war nicht schwer, das Objekt der Begierde zu finden. Schließlich stand sie sichtbar herum. Er näherte sich ihr von hinten.
    Also trat er zu ihr hin und legte ihr mit der vorsichtig-möglichsten Bewegung die Hand, nein, nur die Fingerpitzen, auf die Schulter. “Prisca... ich bin’s.“ Sein nervöser Gesichtsausdruck, schon vorher präsent, verstärkte sich ein wenig.

  • Einem Schatten gleich war die Syrerin den beiden Flaviern gefolgt. Sie war sich nicht sicher, inwiefern es ihr gestattet war, bis hin ins atrium vorzudringen. Eigentlich wollte sie doch nur einen Blick auf die beiden Toten erhaschen. Nicht daß man meinen sollte, die Sklavin sei sensationssüchtig gewesen. Im Grunde war es nur ihre Neugier, die gestillt werden mußte, da sie doch noch nie einen Toten gesehen hatte. Und hier gab es gleich zwei davon. Die Umstände, die die beiden Römer zu Leichen hatte werden lassen, waren Semiramis nicht bekannt. Man hatte ja so einiges gemunkelt, unter den Sklaven. Zum Beispiel, daß die Flavia sich vergiftet hatte. Weshalb sie das getan hatte, wußte niemand so genau. Allerdings kursierten die wildesten Gerüchte. Die einen meinten, sie sei unglücklich verliebt gewesen. Andere wiederum behaupteten, sie habe ein Heiligtum entweiht.
    Am Ende des Ganges, der dort ins atrium mündete, blieb sie schließlich stehen und reckte ihren Kopf. Von der Ferne sah sie die Toten. Friedlich lagen sie nebeneinander, so wie es eben Eheleute zu tun pflegten. Wie im Leben, im so im Tode, dachte sich Semiramis und bemerkte nicht, wie sich die Sentimentalität an sie heranzumachen versuchte. Daß es freilich anders gewesen war und diese Aufbahrung nur ein Idealbild darstellen sollte, war ihr nicht bewußt gewesen. So gut kannte sie ja die Toten nicht. Eigentlich kannte sie sie gar nicht.
    So gaffend verharrte sie an ihrem Platz, ohne sich viel Gedanken zu machen, ob man sie bereits mißmutig beobachtete. Die Anwesenden waren viel zu sehr von ihrer Trauer ergriffen und die Sklaven, die man gelegentlich wahrnahm, schienen auch wie hypnotisiert zu sein.

  • Er stand unweit von Aurelia Flora, als zwei weitere Römer hereinkamen. Sie gehörten nicht zu den Aureliern, also vermutete der gallische Sklave, dass es sich hier um Flavier handeln könnte. Angehörige von Celerinas Familie, welche hierher gekommen waren, um am Trauerzug teilzunehmen.


    Áedáns Blick fiel auf eine wunderschöne Sklavin, in ihrem Schlepptau. Wäre dies nicht so ein trauriger Anlass gewesen, hätte er sie wohl mit den Blicken ausgezogen, aber im Augenblick war der rotblonde Mann damit beschäftigt, zu begreifen, was den Aureliern wiederfahren war.


    Celerina war tot und ihr Mann hatte sich sein Leben genommen und auch Sklaven waren ihren Herren in den Tod gefolgt. Alles in allem war dies alles sehr, sehr merkwürdig und ihm fehlte jegliche Kraft, ernsthaft darüber nachzudenken, was vorgefallen sein könnte, dass die Götter dieser Familie einen solch harten Schlag verpasst hatten.


    Es war, als hätte jemand die patrizische Gens verflucht und er verstand einfach nicht, wer sie so verflucht haben könnte. Das aufgebahrte Ehepaar sah er gar nicht an. Nichts lag ihm ferner, als seine Herrin als starre Leiche in Erinnerung zu behalten. Sie war streng gewesen, unnahbar, aber faszinierend. Wäre er ein freier Mann gewesen, hätte er sie wohl sogar wirklich gemocht.


    Wie er so über sie nachdachte fiel ihm auf, dass er sie eigentlich gar nicht wirklich gekannt hatte. Die schöne, stolze Römerin hatte ihre Spielchen mit den Sklaven gespielt und irgendwie vermutete er nun, es wäre Langeweile gewesen, die sie dazu gebracht hatte. Ständig war sie wie ein Vöglein im Käfig eingesperrt gewesen und ihr Mann hatte anscheinend weder ihre Schönheit noch ihren Intellekt wirklich zu schätzen gewusst. Es hatte viel Tratsch unter den Sklaven gegeben, welcher Siv und ihren Sohn betraf und manch einer hatte behauptet, Dominus Corvinus hätte für die beiden mehr übrig gehabt als für seine Frau.


    Alles in allem tat ihm Celerina inzwischen nur noch leid. Genauso wie ihm Flora leid tat. Eine Liebe aus Heirat schien es bei den Römern nicht zu geben. Die ganzen freien Römerinnen waren eigentlich nicht freier als ein Sklave. Immer mehr erschienen sie ihm wie Besitz. Kapital der Familie, welches gewinnbringend angelegt werden musste.


    Sachte legte er eine Hand auf Floras Schulter, die - wie er sich einbildete - leicht zitterte. Vielleicht war es aber auch seine eigene Hand. Trotz all der Muskeln fühlte er sich nämlich im Augenblick fürchterlich schwach und verletzlich. Was aus ihm werden würde, wusste er noch nicht, aber er war sich sicher, dass er nicht nach Gallien zurückkehren würde, nun da seine Herrin tot war. Besonders lange hatte er Celerina ja nicht gedient. Die schöne, unnahbare Flavia. Nun sah er doch zu ihr hinüber. Wie friedlich sie aussah. Man hatte sie schön zurecht gemacht, die Haare ordentlich gekämmt und man sah eigentlich nicht, dass sie verletzt worden war bei ihrem Unfall im Hain.


    Auch diese Geschehnisse verstand er noch immer nicht. Es gab vieles, das er nicht verstand und er kam sich so unendlich dumm vor.

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  • Verus hatte sich fassungslos eingefunden. Flavia Celerina und Marcus Aurelius Corvinus kannte er, zwar nicht gut aber er kannte sie. Er hatte damals Celerina aus der Hand einiger Piraten befreit und sie zu ihrem damals Verlobten zurückgebracht. So etwas vergisst man nicht. Erschreckt musste er nun mit ansehen, wie diese beiden dennoch verstarben


    Personen verschieden zu denen man einen Bezug hatte. Er stellte seine Tasche ab, reihte sich etwas weiter hinten ein. Nun dachte er an sein eigenes Leben, seine Taten und die Geschichte, die ihn mit den Aureliern verband. Auch sie waren Römer. Dieses Wort Römer drängte sich in seinen Schädel. Ja, sie waren Römer, echte Römer, die jede Ehre und Ritualien verdienten. Roms Größe bestand nicht nur aus den Legionen, sondern auch aus tapferen Menschen, ehrenhaften Menschen, wie den Aureliern. Es war seine Pflicht, ebenso als Römer, hier zu stehen und seinem Respekt Ausdruck zu verleihen. Sein Mund wurde trocken, seine Augen wässrig und seine Hände zitterten leicht. Es war ein Tag, den man aus der Erinnerung streichen wollte aber nicht streichen konnte. Seine eigene Geschichte flackerte vor seinem inneren Auge auf. Warum lebte er noch und warum starb Corvinus? Warum starb Celerina? Die Frage des Warum bohrte schändlich in seiner Seele. War es eine Erlösung? War es eine Rettung?


    "Rom ist mein Heim
    All das Leid und die Zerstörung
    Oh es quält mich fürchterlich
    Und die Unschuldigen leiden"
    - murmelte er eine alte Zeile, die er einmalg gelesen hatte, um seinen Gedanken Raum zu geben.

  • Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso
    ... Also trat er zu ihr hin und legtenur die Fingerpitzen, auf die Schulter. “Prisca... ich bin’s.“ Sein nervöser Gesichtsausdruck, schon vorher präsent, verstärkte sich ein wenig.


    Noch immer stand Prisca inmitten der Trauerschar und starrte wie in Trance auf die beiden Toten, sah durch sie hindurch und suchte in der endlos erscheinenden Weite der Trostlosigkeit nach dem Grund. Warum? Hatte es so enden müssen. Was? Hatte den Zorn der Götter nur so plötzlich heraufbeschworen, dass sie die beiden Familien derart straften. Unablässig zermarterte sie ihren Kopf darüber und doch fand sie keine Antwort darauf. Gab es am Ende doch eine Verbindung zu jenem Frevel, der da angeblich passiert war, im Hain der Ne … Nein! Nein! Niemals würde Prisca glauben wollen, dass es tatsächlich einen Zusammenhang mit Celerina gegeben hatte. Und doch war die Tatsache nicht von der Hand zu weisen, dass man die Flavia, so kurz vor ihrem Tod, zum Ponitfex höchstpersönlich gebracht hatte. Egal! Wie sehr sie auch alles hinter fragte, Prisca fand einfach keine befriedigende Antwort auf all die Geschehnisse der vergangenen Tage und Wochen und wahrscheinlich würde sie die ganze Wahrheit auch niemals erfahren.


    Vielleicht war das auch gut so und letztendlich hätte auch die ganze Wahrheit den Schmerz nicht lindern können, den die Aurelia angesichts des Verlusts der beiden geliebten Menschen verspürte. Requievi in pace, Marcus … et tu quoque, Celerina, sandte Prisca den Beiden stumm einen letzten Gruß, ehe sie sich von der Bahre abwenden wollte.


    Da! in dem Augenblick verspürte Prisca eine sanfte Berührung und gleichzeitig vernahm sie eine nur allzu bekannte Stimme. Kurz zuckte sie zusammen und ihr Kopf ruckte überrascht zu der Stimme herum, während sie gewahr wurde, wer sie da so eben angesprochen hatte. "Piso! …", etwas krächzend erklang Priscas Stimme, nach all den Tagen in denen sie kaum ein Wort gesprochen hatte und zum ersten Mal seit langem zuckten ihre Mundwinkel für den Bruchteil einer Sekunde nach oben. Sehen konnte man das freilich nicht unter dem dunklen Schleier doch, sollten die Sinne des Flaviers so fein wie seine Gesinnung sein, vermochte er womöglich etwas von der Freude zu verspüren, die just in dem Moment Priscas Herz erwärmte.


    "Du hier?! … Ich … ", rang die junge Aurelia etwas nach Worten, nach Erklärungen und so vielen Fragen, die ihr auf der Zunge brannten und mit denen sie die Stille zu verdrängen versuchte, die sie nun schon seit Tagen zur Genüge vernommen hatte . Natürlich folgte kein "Ich freu mich dich zu sehen oder … schön das du da bist …" das hätte niemals dem Anlass entsprochen und dennoch freute sich Prisca innerlich, endlich 'ihren geliebten Flavier' wieder zu sehen. Nach dem was alles passiert ist. Er war hier! Das allein genügte schon, um ihr wieder etwas Kraft und Hoffnung zugeben! Wie ein Blitz zuckte all das Erlebte mit ihm vor ihrem geistigen Auge vorbei, bis hin zu der schrecklichen Nachricht vom Tod ihre Onkels. Und doch hatte sie nun die Gewissheit, dass sie die Nähe zu Piso endlich spüren durfte, weil Marcus ihrer Liebe letztendlich doch zugestimmt hatte.


    Unwillkürlich rannen ein paar Tränen über Priscas Wangen, als sie Piso durch den Schleier hindurch verschwommen ansah und dabei an die Zeilen denken musste, die ihr Onkel für sie hinter lassen hatte. "Heirate deinen Flavier, so du ihn wirklich und wahrhaftig liebst. Ich will über seine Fehler hinwegsehen, wenn du nur glücklich bist. Versprich mir, dass du stets das Glück suchen wirst." ... Das will ich! ...


    "Danke ...", hauchte Prisca gleichsam ihrem Onkel, im Geiste, ihre Liebe und Verbundenheit zu, so wie sie Piso dafür dankte, dass er in dieser Stunde der Trauer und des Abschieds bei ihr war ...

  • Verglichen mit den anderen Mitgliedern meiner Familie war ich bereits ein wenig verspätet, als ich das Atrium der Villa Aurelia betrat, von wo aus der Trauerzug für Marcus und seine Frau Celerina sich in Bewegung setzen sollte. Nach der für mich völlig überraschenden und schockierenden Mitteilung vom Ableben meiner beiden Verwandten war ich zwar so schnell wie möglich von Sardinien aus aufgebrochen, doch hatte schon die Übermittlung der Schreckensnachrichten von Rom aus auf die Insel lange gedauert, und die bekannten herbstlichen Fährnisse bei der Überfahrt aufs Festland taten ein Übriges dazu, dass ich tatsächlich erst in der Nacht vor der Beisetzung in der Villa Aurelia in Roma angelangt war. Die Bemühungen der Sklaven hatten darauf gezielt, mich diesen Unbilden zum Trotz ansehnlich herzurichten, doch waren die dunklen Ringe unter meinen Augen nicht zu kaschieren gewesen, genauso wenig wie die bleiche Farbe, die mein Gesicht aufgrund meiner Krankheit ja meistens hatte. Doch was tat das alles an diesem Tag, was zählte es in dieser Stunde? Nach dem tödlichen Unfall von Maron waren mir die Verrichtungen von Sklaven so gleichgültig geworden, und mein ungesundes, übermüdetes Aussehen spiegelte doch ohnehin in vollkommener Weise den Zustand meiner Seele in diesem Augenblick.


    Ich stellte mich abseits von meinen Verwandten hin, denn sie waren mir durch meine lange Abwesenheit fremd geworden, und überhaupt fühlte ich mich einsam an diesem Tag, so einsam wie noch nie. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich allein gefühlt und war unfähig gewesen, mich anderen zu öffnen. Und doch waren immer andere um mich herum gewesen, denen ich trotz meiner Verschlossenheit etwas zu bedeuten schien. Dass Maron für mich manchmal eine Art von Vater gewesen war, spürte ich erst, als ich an seinem Leichnam stand, und der patrizische Stolz und Dünkel, den man so tief in mich eingesenkt hatte, hätte es mir auch ganz unmöglich gemacht, das vor ihm zuzugeben zu seinen Lebzeiten - vielleicht hatte er es ja dennoch geahnt und gar gewusst, der lebenskluge Thraker. Und Marcus war zwar nur wenig älter gewesen als ich, aber immer auch so etwas wie ein fester Bezugspunkt, ganz so wie die eigenen Eltern es sind, solange sie leben. Er hatte mich nach meiner Rückkehr aus Athen in die Gens genauso eingeführt wie in Rom, und war mir immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Gewiss hatte es auch Meinungsverschiedenheiten zwischen uns gegeben, doch diese erschienen mir jetzt wie Lappalien und waren es ja auch im Angesicht seines Leichnams. Mir war es, als hätte ich nun erst endgültig und unwiederbringlich meine Eltern und meine Wurzeln verloren und nicht schon vor Jahren in dem Augenblick, als unsere Mutter starb, nachdem unser Vater uns bereits lange zuvor verlassen hatte.


    Die toten Körper des stets durchsetzungsstarken, zielstrebigen Senators Aurelius Corvinus und seiner ehedem so anmutigen Gattin Flavia Celerina mochte ich kaum ansehen; es war nicht zu ertragen. Und angesichts meiner Einsamkeit ging mein Blick unwillkürlich hinüber zu meinen Verwandten, besonders zu Flora, die so tapfer und stark war an diesem Tag, natürlich auch zu meinem Bruder Publius und zu Prisca, die Trost fand an der Seite ihres Erwählten. Bald schon würden wir alle aufbrechen, um Marcus und Celerina auf ihrem letzten Weg zu begleiten - ein Weg, der dann für uns Lebende weiterführen würde, doch nur die Götter wussten, wohin.

  • Patraios, Aurelia Priscas kunstfertiger griechischer Leibsklave stand etwas abseits von der Trauergesellschaft im Schatten einer großen Säule und beobachtete aufmerksam und mit etwas besorgter Miene das Geschehen, wobei seine Aufmerksamkeit weniger den beiden Toten als den anwesenden Lebenden galt, oder besser gesagt einer Lebenden, nämlich seiner reizenden Herrin, in die er sich gleich schon vom ersten Tage ihrer Begegnung an so unsterblich verliebt hatte und das obwohl ihr Herz ja längst einem anderen gehörte, eine Tatsache, die dem zur Eifersucht neigenden jungen Sklaven schon ettliche schlaflose Nächte bereitet hatte. Als er den hochgewachsenen, aber auch etwas schmächtig wirkenden Verwandten der drei flavischen Cäsaren bemerkte, wie er sich eingehüllt in eine Trauertoga durch die Reihen der anwesenden Gäste hindurch zu Aurelia Prisca vordrängelte, verdüsterte sich sein Antlitz und er versteckte sich nun völlig hinter der Säule, auf das Piso und Prisca seinen unwilligen Gesichtsausdruck nicht bemerkten.


    Was die sterblichen Überreste dieses auf so dramatisch-tragische Weise freiwillig aus dem Leben geschiedenen Patrizierehepaares betraf, so hatte Patraios die beiden Toten schon ganz aus nächster Nähe sehen dürfen, denn einem sehr alten römischen Brauch folgend war Ihm als ausgebildetem Maler und Bildhauer die äußerst heikle und sehr viel Fingerspitzengefühl erfordernde Aufgabe übertragen worden den beiden Verstorbenen die Totenmasken für die Ahnengallerie abzunehmen, bevor Ihre beiden Körper dann entgültig einbalsamiert und für die offizielle Leichenschau im Kreise der Familie und anwesender Trauergäste zurecht gemacht wurden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Aurelia Prisca, oder ein anderes Mitglied der Gens Aurelia an Ihn herantreten würde, um eine Marmorbüste oder vielleicht sogar eine-oder auch zwei komplette Statuen von Corvinus und Celerina als bleibendes visuelles Andenken in Auftrag zu geben. In diesem Falle dienten beider Totenmasken als Modell, da sie die Gesichtszüge der so Verewigten in unverfälschter Weise wiedergaben und so ein hohes Maß an physionomischer Authentizität gewärleisteten lange nachdem ihre sterblichen Körper zu Asche oder Staub zerfallen waren.

  • Nicht schon wieder. Nicht schon wieder. Als Nigrina von den Todesfällen gehört hatte, war das so ungefähr das gewesen, was sie gedacht hatte – nicht weil es ihr so zu Herzen ging, sondern weil sie alles, was mit einem Todesfall zusammenhing, nicht leiden konnte. Die Trauer, die bedrückende Atmosphäre, die Gegenwart des Todes, all das, was es ihr schon so schwer gemacht hatte Veras Ableben zu ertragen. Und jetzt, wo das endlich halbwegs vorbei war, wo sie sich wieder auf das Leben konzentrieren und es genießen konnte, musste das nächste Familienmitglied abkratzen. Noch dazu unter Umständen, die mehr als merkwürdig waren und der flavischen Gens mit Sicherheit nicht dienlich sein konnten. Es gab Gerede. Natürlich gab es das. Dass dieser unsägliche Skandal mit einer Flavia in Verbindung gebracht wurde, war einfach unmöglich – ganz egal welche Gerüchte nun stimmten oder nicht, Celerina war eine Flavia. Das enthob sie per Definition jeglicher Schuld. Natürlich hatten Flavier immer und überall die Verpflichtung, ihrer Gens gerecht zu werden, aber was darunter zu verstehen war, war für Nigrina recht dehnbar – immerhin hatte sie nicht das geringste Problem mit dem, was ihr Vater so trieb. Celerina war stolz gewesen, was eine der wichtigsten Eigenschaften war für eine Flavia, alles andere war doch nur nebensächlich. Aber nein, jetzt war sie tot, hatte sich selbst über den Styx geschickt, und ihr Mann war ihr hinterher gedackelt wie ein Schaf dem Leithammel folgt. Und was hieß das alles zusammen genommen? Sie stand wieder da, in ihrer Trauerkleidung (die immer noch so exklusiv und exquisit aussah wie an dem Tag, an dem sie sie – vor kurzem erst – für ein Heidengeld sich hatte schneidern lassen), musste sich am Riemen reißen, um der Traueratmosphäre nicht schlicht und ergreifend zu entfliehen, musste gute – oder eher gefasst-traurige – Miene zum bösen Spiel machen und das alles über sich ergehen lassen.


    Und als wäre das noch nicht genug, hatte Piso Händchen halten wollen. Er hatte gar nicht gefragt, er hatte ihre Hand einfach genommen. Irgendwie hatte Nigrina das Gefühl, dass er seit Veras Tod noch anhänglicher geworden war. Und manchmal wurde ihr das schlicht zu viel. Was sie für Piso empfand, war ambivalent. Er war ihr Bruder, sie war mit ihm aufgewachsen, hatte lange Jahre ihres Lebens mit ihm verbracht. So etwas prägte. Und trotz ihrer Streitereien war Piso ja doch immer irgendwie da gewesen, wenn sie als kleines Mädchen etwas gebraucht hatte, und er hatte sich auch immer so schön ärgern lassen von ihr. So etwas verband. Andererseits wusste sie sehr genau, wie er war, und sie hielt von seiner Art nicht allzu viel. Wäre er nicht ihr Bruder, sie hätte kaum etwas mit ihm zu tun. Aber er war es nun mal... und auch er biss sich irgendwie durch. Er machte Karriere, in Rom. Wenn Händchen halten also dazu beitrug, dass sie irgendwann nicht nur die Schwester eines Senators, irgendwann womöglich Consuls, sondern dessen Vertraute war, weil ihre geschwisterliche Bindung so eng war – dann riss sie sich eben zusammen, jedenfalls in Momenten wie diesen, wo es ohnehin angebracht war Einigkeit zu zeigen, und wo... nun ja... ihr Bruder das zu brauchen schien.


    Als sie im Atrium angekommen waren, blieben sie kurz stehen – und dann, plötzlich, löste Piso sich doch von ihr. Und verabschiedete sich. „Tu das“, murmelte sie leise und verzog kurz ihre Lippen in Erwiderung des Lächelns, das er ihr zeigte, auch wenn ihr nicht danach war, bevor ihre Gesichtszüge wieder die regungslose Maske annahmen, die sie zuvor schon gehabt hatten.. Jetzt ließ er sie hier auch noch alleine. In einer Familie, die bald zu ihrer werden würde, in einem Haus, in dem sie bald leben würde – und in einem Moment, in dem sie sich so fehl am Platz fühlte wie selten. Was sollte sie überhaupt hier? Tod und Trauer waren einfach nichts für sie. War Celerina eben gestorben, sie hatte sie kaum gekannt, sie war nicht einmal wirklich nah mit ihr verwandt gewesen. Und mit dem Aurelier hatte sie schon gleich gar nichts verbunden, sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn je gesehen hatte – bis zu diesem Tag. Sie blickte Piso einen Moment lang hinterher, bevor sie ihren Blick durch das Atrium schweifen ließ, während sie zunächst blieb, wo sie war.

  • Niemand hatte ihm berichten können, was genau geschehen war, wann, wo und wie jene Tragödie ihren Beginn hatte genommen, deren Ende sie nun Zeugen waren, zumindest hatte es ihm niemand so berichten können, dass er dem hätte Glauben schenken wollen, dass er damit zufrieden wäre gewesen. Sciurus hatte versucht aus der Menge an Gerüchten die feinen Spuren der Wahrheit herauszufiltern, doch letztlich hatte auch er vor seinem Herrn eingestehen müssen, dass die eine, tatsächliche Wahrheit wohl irgendwo dazwischen lag, allfällig für immer verloren. Celerina hatte an den Nemoralia im Hain der Diana teilgenommen, dies war bezeugt, und sie war eines jener Opfer geworden, welche der Zorn der Göttin hatte gefordert. Als Patrizierin hatten sich nach dem Frevel zugleich die Gerüchte um ihre Person gerankt – kaum etwas erfreute das einfache Volk so sehr wie die Fehltritte des Adels –, doch jene Version des Geschehens war für Gracchus nicht einmal in Gedanken eine Option, war derart absurd, dass es beinahe schon an Lächerlichkeit grenzte, wie es so oft der Fall war, so Fama ihr Unwesen trieb. Was Aurelius Corvinus betraf, so war Gracchus noch uneins mit sich selbst, ob er jenem zürnen oder neiden sollte, zürnen, da er seiner Pflicht als Ehegatte nicht war nachgekommen, seine Gemahlin vor allem Unbill zu schützen, oder neiden, da seine Liebe zu Celerina augenscheinlich so grenzenlos war gewesen, dass er ohne sie nicht mehr konnte sein, dass ihr Tod auch den seinen hatte bedingt, und wohl war es das Ausmaß dieser Tragödie, welches letztlich in Gracchus nurmehr Bedauern und Bedrückung zurück ließ. Gemeinsam mit seiner Gemahlin, Claudia Antonia, und ihrem Sohne Manius Gracchus Minor stand er darob im Atrium der Villa Aurelia, die Leere der Trauer mit Fragen erfüllt, die verdunkelten Sinne einem Paradoxon gleich ins Unendliche verwirrt, und allfällig war das wann, das wo und das wie ohnehin nicht mehr relevant, zählte letztendlich doch nur das Gegenwärtige, zwei bleiche, stumme Leiber, deren Flammen erloschenen waren, von welchen nurmehr Erinnerung blieb.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Zitat

    Original von Aurelia Prisca
    "Du hier?! … Ich … " "Danke ..."


    Ihre Schulter einfach nur zu berühren, nicht mehr zu tun als dies, das alleine verlieh dem Flavier ein Gefühl von innerer Genugtuung. Sie endlich wieder sehen, sie endlich wieder berühren... denn der, der es zu verhindern gewusst hatte, dass Piso und Prisca sich je wiedersehen würden, der lag nun auf dieser Bahre. Kurz schielte Piso zu Corvinus und Celerina hin. Irgendwie erinnerte es ihn, wie er sah, wie die beiden hier lagen, an Vera, und sein Herz zog sich zusammen. Er wusste nicht genau, was geschehen war, nur, dass Celerina irgendetwas mit dem Nemoralia-Skandal zu tun gehabt hatte, und dass Corvinus darin versagt hatte, seiner Frau beizustehen. Das sah so einem Kerl ähnlich. Große Töne spucken von wegen du bist unwürdig, du wirst Prisca nie behüten können, du wirst ihr ein schlechter Ehemann sein, und sich dann selbst als Versager von monumentalen Ausmaßen entpuppen. Tja, so war die Welt um einen Hypokriten ärmer. Man konnte ihm höchstens zugute halten, dass er für seine Omission die folgerichtigen Konsequenzen gezogen hatte, denn das er das aus Liebe getan hatte, glaubte Piso nicht einmal eine Sekunde. Der Quaestor würde natürlich bedrückte Miene vorschützen, Priscas wegen, hatte diese doch ihren Onkel wirklich geliebt, aber seine Gesichtszüge würden ausschließlich Trauer um Celerina widerspiegeln. Sie hatte es nicht verdient, so zu sterben. Nicht so.
    Sein Cognomen erklang aus ihren Mund, als sie sich umdrehte, und obwohl die Intonation eher unhübsch war, könnte sich Piso nicht vorstellen, dass er etwas lieber auf der ganzen Welt hören wollte wie dies. Ihm fiel auf, sie benutzte seinen Cognomen, im Gegensatz zu ihren Briefen, wo sie ihn mit Aulus betitelt hatte. Nun gut, es war wohl so, weil sie hier nicht alleine waren, dass sie ihn als Piso ansprach, denn es wäre durchaus unschicklich, ihn jetzt in dieser Situation mit dem Praenomen anzusprechen. Oder vielleicht doch nicht? Nun, Piso vertraute einfach einmal Prisca, dass sie wusste, was die Aurelier rund um sie erwarteten. Sie hatte einen schwarzen Seidenschleier an, Piso fragte sich, ob sie dadurch etwas sehen konnte. Er konnte ihr Gesicht nicht so gut erblicken, und fragte sich innerlich, was Prisca bewegt haben mochte, ihr Gesicht zu verhüllen, verhüllten römische Schleier für gewöhnlich doch nur die Haare. Aber fein.
    “Ja, ich bin hier, bei dir“, entgegnete er leise und lächelte. Wenn sie doch nur ihren Schleier vom Gesicht nehmen würde, sodass er ihres Antlitzes in seiner ganzen Pracht ansichtig werden könnte! So blieb es seiner Imagination überlassen, sich vorzustellen, was sich auf ihrem Gesicht abspielen mochte.
    Plötzlich erschienen ein paar Tupfer auf der Seide, als ob es von innen hinanregnen würde. Aber freilich tat es das nicht. Es mussten Tränen sein. Tränen der Trauer? Oder Tränen der Freude? Danke?
    Gerührt von der Tatsache, dass sie zu weinen schien, grinste Piso kurz verlegen, auch wenn er sich keinen rechten Reim auf ihr Danke machen konnte – es musste dafür sein, dass er hier war! – und ergriff sachte ihre rechte Hand mit seinen beiden Händen, nachdem er es sich verkniffen hatte, sie zu umarmen, auch wenn er dies gerne getan hätte – sie gehalten und fest gedrückt.
    “Weißt du, was geschehen ist?“, fragte er leise und blickte sie unsicher an. “Und... und... weißt du jetzt, wie es mit uns weitergehen wird... [size=6]meine Liebste[/size]?“, setzte er leise hinzu. Nicht jeder musste ihr Gemauschel hören. Auch nicht die Manen und Lemuren der Aurelier, die hier herumkriechen mochten, und zu denen sich nun Corvinus gesellte. Nicht Celerina. Die sowieso in der Villa Flavia aufgebahrt werden hätte müssen. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre. Was es aber nicht war.

  • Versteinert die Miene des jungen Mannes, der sich, gleich den anderen Familienmitgliedern, in der aurelischen Villa eingefunden hatte, und bereits zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit dem Tod konfrontiert wurde. Noch weniger berührend erschien ihm der Anblick der toten Flavia, als der seines eigenen Vaters, vermutlich da er sie nie kennen gelernt hatte. An ihrer Seite der Aurelier, jener Pontifex, mit dem der junge Flavier noch vor kurzer Zeit über seine Ausbildung im Cultus Deorum gesprochen hatte. So mysteriös die Umstände um das Ableben der beiden sein mochten, ihr Anblick ließ Flaccus unweigerlich an die im Tode vereinten Paare der alten Mythen denken. Sollte es tatsächlich die Liebe zu seiner Ehefrau gewesen sein, die den Aurelier in den Tod getrieben hatte, so war die Tat zweifelsfrei als eine höchst ehrenhafte anzusehen. Epikur mochte den Suizid als nicht löblich ansehen, Platon ihn gar grundsätzlich verurteilen, doch aus Liebe zu einem anderen Menschen aus dem Leben zu scheiden, schien Flaccus bewundernswert. In Gedanken versunken strich der Flavier die Falten seiner toga pulla entlang, während er über die Verurteilung oder Rechtfertigung des Freitods nachsann.

  • Ein Blick, mehr brauchte es nicht, sie verstanden einander ohne Worte. Mehr brauchten sie nicht und Angesichts des Verlustes war es der größte Trost den sie finden konnten. Narcissa war da und gab Halt. Ein Fels in den reißenden Fluten des Schicksals, welches sie drohte in einen Strudel der Dunkelheit zu zerren.
    Eine Berührung an der Schulter ließ sie leicht zusammen zucken. Ihr Blick glitt fragend zu dem Áedán hinter ihr. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte oder was er wollte. Sie hatte in diesem Augenblick fast gar keinen Sinn für seine Bedürfnisse. Zu sehr beschäftigte sie der Tod, der Einkehr gehalten hatte. Dass sie zitterte, fiel ihr gar nicht auf. Es war eine Mischung aus Anspannung, Furcht, ungeweinten Tränen und all den Emotionen, die sie nicht zu ordnen konnte. Dass es ihm vielleicht ähnlich ging, konnte sie nicht sehen oder verstehen. Denn die Welt war aus den Fugen geraten, nichts war mehr so wie es einst war. Die Zukunft Ungewiss und der Kummer doch irgendwie zu groß. Ihr Blick blieb an Prisca hängen, der Kummer war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Ganz leicht drückte sie die Hand ihrer Schwester und nickte ganz leicht in Richtung ihrer Cousine. Sie sollten sie trösten. In solchen Momenten sollte niemand allein sein.
    Doch zögerte sie, als jemand anderes an Prisca heran trat. Flavius Piso. Vielleicht war es besser, wenn er sich um sie kümmerte.

  • Auch Tiberius Durus war selbstverständlich zum Trauerzug erschienen. Ein Pontifex konnte stets mit der Anteilnahme seiner Collegae rechnen, weshalb er beim Eintreffen auch gleich Flavius Gracchus und einige andere Pontifices entdeckte. Noch kurz vor dem Hinscheiden Corvinus' hatte er diesen gesehen, leider in unerfreulichen Umständen. Doch angesichts dieser Ereignisse hatte er beschlossen, dass die Veröffentlichung der Hintergründe des Skandals von Nemi etwas zu warten hatten. So wusste wohl noch kaum jemand, dass Celerina den Hain geschändet hatte.


    Schweigend stellte er sich zu den übrigen Trauergästen und wartete darauf, dass die Totenbahre aufgenommen wurde, um sie aus der Stadt zu tragen.

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