Wenn ich, an ihren Brüsten hingesunken,
Den heiligsten der Tränke tief getrunken:
Komm, Drache Tod, lass mit dem letzten Hauch
Uns in die Luft vergehn wie blasser Rauch,
Und lass uns noch nach hunderttausend Jahren
Vereint als Sturmwind durch die Lüfte fahren!
Li-hung-tschang (Übersetzt von Klabund )
Große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus......
Das hatte ihre Mutter in einem Brief an ihre Töchter geschrieben und damit eigentlich gemeint, dass sie nun endlich erwachsen werden sollten. Dass man Erwartungen an sie hatten und Pflichten zu erfüllen. Das die Kindheit vorbei war, dass sich ihre Wege trennen würden. Doch diese Worte schienen nun schwerer zu wiegen als jemals zuvor. Innerhalb weniger Tage hatte sich plötzlich die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Nichts war mehr so wie es sein sollte.
Der Tod hatte seine Schwingen über die Gens ausgebreitet und schien auch nicht gehen zu wollen. Wie ein drohender Schatten hing er über der Familie und nahm Licht und Wärme aus der Welt.
Lachen, Freude und Unbeschwertheit schien von einem kalten Wind davon getragen zu sein.
Die Kindheit war vorbei. Endgültig. Sie hatte sich klammheimlich aus dem Staub gemacht, während die Ereignisse sich überstürzten.
Die Nachricht über Celerinas Tod und dass sie verantwortlich war für den Frevel im Hain der Diana hatte den ganzen Haushalt in Bestürzung gestürzt. Fassungslosigkeit. Flora konnte nicht begreifen, wie es dazu gekommen war. Hatte sie doch die Begegnung mit dem aufgebrachten Mob, welcher in den Straßen Roms nach Sühne verlangte, kaum verkraftet und sich danach erst einmal in ihr Zimmer eingesperrt und nur von Narcissa trösten lassen. Sie wollte einfach nicht glauben, dass die Flavia daran Schuld trug. Sie war immer so etwas wie ein leuchtendes Beispiel an römischer Tugend gewesen. Perfekt auf ihre Weise, im Grunde das, was sich ihre Mutter für ihre Töchter vorstellte. Völlig aufgelöst verfiel sie irgendwann weit nach Mitternacht in einen unruhigen Schlaf, voller Schreckensgestalten. Nur um dann am nächsten Morgen von einem durch Mark und Bein gehenden Schrei geweckt zu werden.
So schnell war sie noch nie aus dem Bett gewesen und wie alle anderen Familienmitglieder war sie dann reichlich erschrocken im Eingang von Marcus Officium stehen geblieben. Blut besudelte nicht nur den schweren Schreibtisch, sondern auch die Kleider und den Boden. Das Heft eines Dolches ragte aus einer Brust. Begreifen konnte sie diesen Anblick im ersten Augenblick überhaupt nicht. Der Schock nun noch ein Familienmitglied verloren zu haben traf sie unvorbereitet und ließ sie völlig erstarren. Nicht nur ihren Körper sondern auch ihre Gedanken. Es war über ihren Verstand hinausgegangen.
Wenn der Tod unter den Menschen umher ging, dann blieb nichts übrig, wie eine leere Hülle. Auch wenn man sagte, es würde immer etwas zurück bleiben von den Menschen die man liebte so war der Tod etwas Endgültiges. Es gab kein zurück. Alles was einen Menschen ausmachte, das verschwand einfach. Was blieb waren Erinnerungen und leere Worte nieder geschrieben auf Papier.
Prisca hatte es wohl am schwersten getroffen, während sie selbst einfach nur nicht verstehen konnte, warum. Und dabei war dies nicht einmal das Ende. In den Nächten in denen sie wach lag und nicht schlafen konnte, sich unruhig herum wälzte, musste sie unweigerlich an ihren Bruder denken, denn mit seinem Leben ging es auch langsam zu Ende. Was hatten sie verbrochen, dass der Tod so viele Opfer von der Familie verlangte? Es war grausam und irgendwie ungerecht.
Alles was nach dem Tod ihres Verwandten ereignete verschwamm irgendwie zu einer grauen Masse. Wer genau sich um die Aufbahrung Corvinus neben Celerina bemühte und die ganzen Briefe an Verwandte, Klienten und Freunde der Familie versendete um vom Tod dieser beiden Menschen kümmerte, daran konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern. Das Einzige was ihr wirklich im Bewusstsein blieb, war dass sie und Lysandra wortlos ihre Streitigkeiten beilegten und irgendwie näher an einander heran rückten. Ebenso wie Narcissa, selten hatte man die sonst so lebensfrohen Zwillinge so schwermütig erlebt.
Sieben Tage lang waren die Stimmen der Klageweiber in der Villa zu hören gewesen. Und nun standen sie hier im Atrium. Bald würde der Trauerzug seinen Weg durch Roma nehmen und den Toten die letzte Ehre gebieten. Freunde, Klienten und Verwandten versammelten sich allmählich in der Villa. Es herrschte bedrücktes Schweigen.
Ganz leicht drückte sie die Hand ihrer Schwester. Sie war eiskalt. So kalt wie eigentlich alles in diesen Tagen. Jede Wärme schien verschwunden zu sein. Ihre Miene war seltsam verschlossen. Flora konnte es einfach nicht begreifen….
Liebe Freunde der Familie, Verwandte, Klienten, Sklaven und flüchtige Bekannte, ihr seid alle herzlich dazu eingeladen, an diesem Trauerzug teilzunehmen.