Nubia - Hinter den Dünen

  • Es war stockdunkel, bis auf das kleine, unscheinbare Feuer, dessen Flammen zu ihren Füßen um die letzten, kläglichen Reste vertrockneter Zweige kämpften. Ein Kampf, der dem in ihrem Inneren glich, nur, dass bei diesem das Ende schon feststand.


    Es war ein kaum wahrzunehmender Schimmer am Horizont, der ihre Aufmerksamkeit suchte. Erst blieb er unscheinbar, fast durchsichtig, dann wuchs er stetig an. Der rote Streif dort über den Dünen schien sich zu bewegen, waberte flackernd auf und ab, noch immer unbemerkt.


    Das Feuer zu ihren Füßen erlosch, sie legte Steine in die Glut und hob den Blick. Reglos auf den Schein gerichtet, spiegelte sich das Rot in ihren Augen wider. Ihr war klar, was es war, sie wußte, es ging sie nichts an, sie war sicher, es war weit genug entfernt. In aller Ruhe wickelte sie die Steine in Tücher, legte sie auf ein Fell und stand damit auf.


    Für einen Moment lauschte sie in die Stille. Es war ruhig, ein tonloses Flackern am Horizont, leise Schritte, die sich näherten, dazwischen das leise Schnauben der Tiere. Ihre Zeit der Wacht war zu Ende. Mit einem Fingerzeig wies sie Richtung Horizont. Das leise Danke ihrer Ablösung hallte wie ein Donner durch das Lager, bevor es in der Dunkelheit verstummte. Ebenso still nickte sie ihrem Gegenüber noch zu. Dann verschwand sie in ihrem Zelt.

  • Die heißen Steine wärmten ihr Lager, doch der Schlaf, den sie ersehnte, wollte sich nicht über sie legen. Der rot flackernde Schein am Horizont waberte unaufhaltsam durch ihre Gedanken, fast wie ein magisches Band. Ein Band, das sie schließlich von ihrer heimelig warmen Schlafstatt erhob und in die kalte Dunkelheit hinausführte. Ein wollener Umhang, gefüttert mit dichtem Fell, bot ihr Schutz, ebenso der Dolch in ihrem Stiefel und das Messer an ihrem Gürtel. Gegen den leichten Sandsturm, der aufzog, half das Tuch, das sie über Kopf, Mund und Nase gewickelt hielt.


    Leise wie ein Kätzchen schlich sie weiträumig um das Lager. Es gab nur die eine Wache und Neri kannte sie gut. Ihm entging kaum etwas, nicht das kleinste Geräusch. Selbst das Schnauben der Tiere wußte er richtig zu deuten. Umso mehr mußte sie darauf achten, vor allem der Aufmerksamkeit der Herde zu entgehen. Schritt für Schritt setzte sie behutsam den Fuß im Sand auf, bis er leicht versunken festen Untergrund spürte, dann den nächsten. So umrundete sie die Zelte, bis die Entfernung ihre Schritte dämpfte und die Dunkelheit sie verschlang.


    Es war weit, der rote Schleier fast verschwunden, als sie den Gipfel einer Düne erklomm, der den Blick freigab auf ein weiträumiges, riesiges Heerlager. In der Dunkelheit war nicht viel zu erkennen, letzte Feuer, die hastig mit Sand gelöscht wurden, beleuchteten nur spärlich die Szenerie.


    Schweiß stand auf ihrer Stirn, das Wandern durch die Dünen hatte ihr einiges abverlangt. Der Atem ging stoßweise und um weiter unbemerkt beobachten zu können, legte sie sich bäuchlings in den Sand. Der wärmte noch ein wenig von unten, ein weiches Bett unter sternenklarem Himmel. Sand wirbelte auf, schob sich bedinungslos unter ihr Tuch, nahm ihr die Sicht. Von hinten näherte sich unaufhaltsam der Sturm. Hastig lockerte sie ihren Umhang. zog ihn über den Kopf und schob die Enden unter ihren Körper. Ein ausreichender Schutz für den Moment.

  • Der Sturm war vorüber, die Nacht ebenfalls und ihre Chance schon dreimal. Die Sonne schickte sich an, über den Erdenrand zu klettern. Bevor das geschah, musste sie weg sein.


    Noch war es dunkel. Ein kaum wahrnehmbarer Lichtstreif stand am Horizont, schob gegen die immer schwächer leuchtenden Sterne. Auf allen Vieren schüttelte Neri grob den Sand von ihrem Körper, den der nächtliche Sturm über sie gehäuft hatte. Der Umhang folgte der Schwerkraft, als sie aufstand, er rutschte zu Boden. Mit klammen Fingern wickelte sie das Tuch vom Kopf. Der Sand klebte hartnäckig in jeder Falte des Stoffes und auch mit heftigem Ausschütteln war er kaum daraus zu entfernen. Ein Ruck, dabei entglitt das Tuch ihren Fingern. Erstarrt blickte sie ihm hinterher. Es fiel nicht einfach zu Boden, nein, es segelte gemächlich die Düne hinunter, allerdings zur falschen Seite. Der Schmerz, der in diesem Moment in ihrem Herzen wütete, war fast ebenso stark wie der Drang, einfach hinterherzulaufen. Es wäre ihr Verderben, aber das Tuch was alles, das ihr noch geblieben war. Nun verschwand es aus ihrem Blick, ihrem Leben, versank in der Dunkelheit. Mit Mühe hielt sie sich zurück und hob wenigstens den Umhang auf.


    Ein Blick hinter sich gen Horizont, dann wieder zurück in die Dunkelheit. Sie wickelte sich in ihren Umhang und lief los, der aufgehenden Sonne entgegen. Immer schneller lief sie, bis sie nach einer gefühlten Ewigkeit erschöpft und ausgelaugt bäuchlings in den Sand fiel. Es war ihr egal, ob sie sich dabei die Haut aufriss, ihr Gewand durchscheuerte. Es sollte sie nur niemand so sehen. Ihre heißen Tränen durchnässten den staubigen, nun etwas festeren Boden. Hier draussen fühlte sie sich sicher, die Einsamkeit bot ihr Schutz, die Stille hüllte sie ein, als läge sie in den Armen ihrer Mutter. Nur der Wind trug ihr Klagen, bis alle Tränen vergossen waren.


    Ihr Lager erreichte sie nach einer weiteren Stunde. Neckisch grinsend kam sie der verblüfft dreinblickenden Wache entgegen und er warf ihr grummelnd ein Stück Holz nach. Immer wieder machte sie sich einen Spaß daraus, sich aus dem Lager zu schleichen und ihm damit klarzumachen, dass sie besser war als er. Ein Spiel, das sie seit Jahren spielten. Mit einem Ruck griff er sich ihen Arm, zog sie ans wärmende Feuer und drückte ihr ein Stück Fleisch in die Hand. Ihre Augen dankten es ihm.

  • Es herrschte reges Treiben. Zelte wurden abgebaut, Dromedare beladen, die Herden versorgt und inmitten des Trubels zog Neriman davon scheinbar ungerührt Muster von Linien in den festgetretenen Sand. Bei genauer Betrachtung konnte man das Lager erkennen, die Zeltreihen, Wälle und Gräben, soweit sie nicht vom Winde verweht waren, die genaue Lage der Tore und vor allem die der Wachposten. Natürlich war es nur eine grobe Übersicht, die Nacht war dunkel und das Lager nur spärlich von brennenden Zelten und einzelnen Fackeln beleuchtet gewesen. Dabei war es auch noch unheimlich groß. Die fünf Ältesten um sie herum diskutierten, es war nicht ganz ungefährlich. Was auch immer dort in dem Lager, das Neriman hier in den Sand gezeichnet hatte, geschehen war, es konnte jederzeit wieder passieren. Nach einer kurzen Abstimmung stand es aber fest, sie wollten den Umweg wagen.


    Gegen Mittag waren die Vorbereitungen abgeschlossen, die Strecke stand fest und mit der Dämmerung konnte es losgehen. Mittlerweile standen auch nur noch vereinzelte Zelte, die Schutz vor der sengenden Hitze boten. Gelegenheit, sich etwas auszuruhen, Kraft zu schöpfen. Viele lange, heiße Tage würden sie von nun an in der unwirtlichen Wüste verbringen müssen, bis sie zur nächsten größeren Stadt kämen, um ihre Vorräte aufzufüllen und Geschäfte zu machen. Da wurde der der Umweg, den Neriman ihnen einbrachte, nicht unbedingt nur mit Freude aufgenommen. Allerdings war es die Gelegenheit, die Herden zu reduzieren, ebenso das Gepäck der Tiere, eine Erleichterung für jeden Einzelnen ihres Stammes.


    Neriman konnte nicht schlafen. Nachdenklich lauschte sie in die Stille, hörte das leise atmen um sich, dazwischen das unruhige Schnaufen der Tiere. Sollten sie in irgendwelche kriegerischen Auseinandersetzungen geraten, wäre es ihre Schuld. Vielleicht sollten sie doch einfach nur weiterziehen. Dann kam ihr wieder Ourida in den Sinn und damit auch das verlorene Tuch, ihr Tuch. Der Schmerz stach augenblicklich in ihr Herz, vor ihrem inneren Auge versank das Tuch erneut in der Dunkelheit. Es war wohl auch ein kleines bisschen Hoffnung dabei, ihr Egoismus, der sie den Vorschlag mit dem Lager machen ließ.


    Sie mußte unbedingt aus diesem Zelt heraus, frische Luft, sie brauchte Ablenkung. Vorsichtig stieg sie über schlafende Körper, ineinander verschlungene Beine und duckte sich unter dem Zelteingang. Draussen streckte sie sich ersteinmal der Sonne entgegen und holte tief Luft. Abay, der unter einem Vordach saß und Wache hielt, sah besorgt zu ihr auf. Er kannte sie am besten von allen, befreite den Platz neben sich grob von Sand und nickte ihr zu. Wortlos nahm sie im Schneidersitz platz und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Abay nahm ihre Hand und wartete geduldig. Dann nahm sie einen Stock und begann, in den Sand zu schreiben.

  • Die Nacht lag kalt und dunkel vor ihnen, während sie eisern durch den Sand zogen. Die ersten Stunden waren noch leicht, es wurde gesungen, gelacht und viel geredet, nun war es ruhig. Neriman trieb gemeinsam mit Abay die Ziegenherde über eine der zahllosen Dünen. Der Schweiß, der ihr auf der Stirn stand, als sie endlich oben standen, wurde augenblicklich gekühlt von aufkommendem Wind. Den Sand, den er ihr dabei ungehindert ins Gesicht wehte, wischte sie grob mit dem Ärmel ab. Der Wind wurde zunehmend stärker, sie mußten sich beeilen.


    Noch war der Sturm erträglich, die Tiere kamen gut voran. Eins der Jungen geriet allerdings ins rutschen, trieb unaufhaltsam die Düne hinunter. Neriman überlegte nicht lange, schob die Fersen in den Sand und rutschte auf ihrem Allerwertesten hinterher. Das alles wäre nicht so schlimm, müsste sie nicht erneut die Düne hinauf. Tiefer, lockerer Sand erschwerte den Aufstieg, ebenso die Dunkelheit. Nur vereinzelte Fackeln, die oben die Düne entlangwanderten, wiesen ihr den Weg. Seufzend fing sie das Kleine ein, hob es auf ihre Schultern und machte sich an den Aufstieg.


    Wenigstens dem kleinen Zicklein ging es gut, als sie oben ankamen, es machte ein paar Sprünge, wieder gefährlich nahe dem Rand, dann folgte es brav seinem Muttertier. Der Sturm nahm unterdessen zu, eine Böe wehte ihr den Sand direkt ins Gesicht, sie mußte husten. Nun war es für Abay genug, er wühlte in seinem Beutel und hielt er ihr eins seiner Tücher vors Gesicht. Sie wollte protestieren, als erneut Sand in ihr Gesicht wehte. Missmutig wickelte sie sich das Tuch um den Hals, schob es über Mund und Nase. Er hatte ja recht, und sie war stur wie immer, als würde es irgendetwas bringen, wenn sie für den Verlust leiden wollte.


    Der Sturm war glücklicherweise nicht stärker geworden, so konnten sie durchgehend wandern. Im Schutz der Dunkelheit gab Neriman schließlich das Zeichen, anzuhalten. Sie waren schon fast in Sichtweite des Lagers, gefährlich nahe also. Den Rest des Weges wollten sie bei Tagesanbruch zurücklegen. Man sollte sie sehen, und vor allem sollten sie wissen, dass sie keine Bedrohung waren. Ein paar Zelte wurden aufgestellt, die Tiere angebunden und Wachen aufgestellt. Der Rest konnte sich ein wenig erholen. Neriman war mittlerweile so müde, dass sie sich in eins der Zelte zurückzog und augenblicklich einschlief. Sie wollte zumindest dabeisein, wenn sich am Morgen die Ältesten auf den Weg machten.

  • Den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet, schweißgebadet, so schreckte sie aus ihrem unruhigen Schlaf. Traumfetzen, verschwommene Bilder, ein Gefühl, als hielte eine Hand ihr Herz umklammert. Nerimans Atem ging schnell und schwer, furchtsam sah sie sich in dem schwach beleuchteten Zelt um. Das Feuer vor dem Zelt warf unheimliche Schatten über die Schlafenden. Ansonsten nichts ungewöhnliches, alles war ruhig, und doch verschwand es nicht, dieses beunruhigende Gefühl. Angestrengt lauschte sie in die Stille, ihr Atem beruhigte sich langsam. Vorsichtig schlich sie nach draussen.


    Es war einer der Jungen, der Wache hielt, bei ihm saß einer der Ältesten. Die beiden unterhielten sich leise, Abay schlief wohl noch. Neriman setzte sich schweigend zu ihnen, dachte nach. Die innere Unruhe wuchs und ebenso ihre Zweifel, dass sie schließlich um einen Tag Aufschub bat. Sie wollte niemanden in Gefahr bringen. Eigentlich waren sie nicht ihre Feinde, aber nach diesem Überfall, wer wußte schon, wofür diese Soldaten sie hielten. Der alte Mann versprach, sich bei Tagesanbruch mit den anderen zu beraten. Neriman hatte andere Pläne.


    Sie zog sich zurück, scheinbar, um sich wieder schlafen zu legen. In Wirklichkeit allerdings schlich sie im Schutz der Dunkelheit zwischen den Zelten hindurch, hinaus in die Wüste. Weit mußte sie nicht laufen, bis sie einen ersten Blick auf das Heerlager werfen konnte. Noch immer war sie weit genug entfernt, niemand sollte sie hier entdecken können. Dass sie schon lange verfolgt wurde, davon ahnte sie nichts. In ausreichendem Abstand lag Abay im Sand, nahe genug, ihr zu Hilfe zu eilen, sollte irgendetwas passieren.


    Neriman machte sich darüber wenig Gedanken. Vielmehr interessierten sie die Vorgänge ihm Lager. Mit der aufgehenden Sonne wurde auch das Leben in diesem Heerlager geschäftiger und die wahren Ausmaße sichtbar. Beeindruckt rutschte sie in die sichere Deckung der Düne und beobachtete weiter.

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    Genießerisch wandte ich mein Gesicht der aufgehenden Sonne zu. Rote Glut flutete über den Horizont, am Wolkensaum glomm ein durchscheinender goldener Saum, und die Dünen... die scharfen Linien, die sanften Schwünge, die unzähligen leuchtenden Schattierungen des endlosen Sandmeeres im ersten Morgenlicht lassen sich mit Worten nicht mal ansatzweise wiedergeben. Kein Baum, kein Strauch, der Horizont ganz leer... mein Auge schweifte, frei, in einem Nichts, das schwer zu ertragen war, und zugleich von eigentümlicher Schönheit. Schon damals in Parthien hatte die Wüste diesen merkwürdigen Reiz auf mich ausgeübt, und obwohl die hier einen ganz anderen Charakter hatte, verspürte ich ihn nun erneut.
    Das war auch der Grund warum ich mich diesem Spähtrupp angeschlossen hatte. Es war am zweiten Morgen nach dem nächtlichen Gefecht. Ich ritt einen braven Fuchswallach, der einem der gefallenen Equites gehört hatte. Um nicht zu leichtsinnig zu sein, hatte ich mir wohlweislich einen Trupp ausgesucht, der lediglich die nähere Umgebung des Lagers patrouillieren sollte, und keinen von den weiter herumschweifenden, Wege auskundschaftenden. Mit mir waren noch vier Mann unterwegs, darunter ein wettergegerbter Duplicarius, der einen sehr erfahrenen Eindruck auf mich machte. Da ich nie bei der Kavallerie gedient hatte, überließ ich es ihm, unseren Weg zu bestimmen und genoss es einfach, wieder ein gutes Pferd unter mir zu haben, auf dem weichen Sand zu reiten, und die zu dieser frühen Stunde noch angenehme Sonne im Gesicht zu spüren. Die goldene Sonne Ägyptens.
    Ach... Aton! So fern, so unendlich fern...
    Vielleicht war das hier sogar schon die goldene Sonne Nubiens.


    Wir trieben die Pferde eine Düne hinauf. Der Sand rieselte unter den Hufen, stob in Wolken ins Tal. Die Luft war knochentrocken, aber ganz frisch und klar. Auf dem Kamm der Düne zügelten wir die Pferde, hielten Ausschau. Die Castra, unser mächtiges Heerlager, sah von hier betrachtet ziemlich klein aus... verloren in der Unendlichkeit. Da straffte sich plötzlich der Soldat neben mir, er legte die flache Hand an die Brauen, spähte mit schmal zusammengekniffenen Augen in die Weite, deutete.
    "Da war was!"
    Unser kleiner Trupp war mit einem Mal ganz angespannte Aufmerksamkeit. Ich konnte nichts erkennen... oder doch, war da drüben nicht ein etwas dunklerer Fleck? Vielleicht ein größerer Stein, der einen Schatten warf, oder ein Vogel, oder eine von diesen großen dornigen Wüstenechsen. Oder ein Späher des Feindes. Oder ein Hinterhalt.
    Wir näherten uns, aufgefächert nebeneinander reitend, die Parma, den Reiterschild, erhoben, in alle Richtungen ausspähend. Besser einmal einer Wüstenechse zu viel Respekt gezollt, als einmal einem Bogenschützen zu wenig...

  • Die Kälte der Nacht schwand allmählich, erste Sonnenstrahlen wärmten ihren durchgefrorenen Körper. Auch in dem Feldlager wurde es zunehmend unruhiger. Wie kleine Ameisen in einem großen Staat wuselte es dort. Trotzdem schien jeder seine Aufgabe zu haben. Gebannt war ihr Blick darauf gerichtet, als plötzlich ein Ruck durch ihren Körper ging. Luft wurde aus ihren Lungen gepresst, dass sie hörbar nach Atem rang. Starke Hände an ihren Schultern rissen sie unbarmherzig nach unten. Hätte sie gekonnt, sie hätte geschrien. Ihr Herz pumpte das Blut in einer Geschwindigkeit durch ihre Adern, dass ihr fast schwindelig wurde. Er lag halb auf ihr, deutete in die Richtung, die sie so sträflich vernachlässigt hatte.


    Reiter...


    Wie konnte sie nur so unvorsichtig sein? Was war bloß los mit ihr? Nun wurde ihr auch bewußt, dass es Abay war, der sie noch immer in den Sand gedrückt hiel. Sein Atem ging stoßweise an ihrem Ohr. Keine Sekunde wandt sie den Blick von dem Trupp ab, der langsam, aber stetig näher kam. Was tun? Zurück? Das ging nicht. Vorerst war ihr Stamm, ihr Lager geschützt, es lag im Schatten einer dieser unendlichen Dünen verborgen. Blieb nur die andere Richtung. Aber was, wenn sie schon entdeckt wurden? Ohne Pferde hatten sie nicht die geringste Chance zu entkommen. Abay ließ sie endlich los, rutschte die Düne hinunter, deutete ihr, ihm zu folgen. Ein Dolch, ein Messer, Neriman griff fast instinktiv danach, überprüfte den Sitz, während sie sich ebenfalls die Düne bäuchlings, die Füße voran, hinuntertreiben ließ. Es waren 5 oder 6, genau konnte sie es nicht erkennen, noch waren sie zu weit entfernt. Für sie beide zuviele, in der Ausrüstung. Wenn wenigstens Abay zurückgehen würde, der wich jedoch keinen Schritt von ihr. Am Fuß der Düne blieb Neriman sitzen und sah hinauf. Kein Wind, es war aussichtslos, wegzulaufen. Die Spuren waren schon von weitem erkennbar. Sollten die Reiter wirklich in ihre Richtung kommen, würden sie nichts leichter haben als sie zu finden.

  • Es war einfach zu hell hier. Während des Reitens spähte ich angestrengt in die Richtung, in die der Soldat gedeutet hatte, aber die Sonne blendete, und ich sah nur noch weiß und gelb glühende Schemen. Ich blinzelte, rieb mir mit den Fingerknöcheln über die Lider, dann fasste ich die Zügel fester und folgte den anderen, die in einen leichten Trab gefallen waren. Hier zu reiten war eine Lust, es gab weder Steine noch Gräben, mit federnden Schritten trug mich mein Pferd über den goldenen Sand, den langen Dünengrat entlang, dann ins Tal. Am Fuße des nächsten Sandberges machte der Duplicarius uns stumm Zeichen uns aufzuteilen. Er wandte sich mit einem seiner Leute nach rechts, während ich mich mit den zwei anderen daran machte, die Düne von der linken Seite her zu umrunden. Nervös hielt ich Ausschau, nach Bogenschützen, nach Spuren, nach irgendwelchen Anzeichen für eine Falle, aber da war nur der schräg geneigte Hang, eine scharf geschnittene Linie gegen den stahlblauen, flirrenden Himmel...
    Dann sah ich es – eine leicht dunklere Schattierung, eine Spur, die sich zum Gipfel der Düne zog. Nein, herab! Ich deutete darauf, hob die Parma höher, und ritt parallel zu der Spur weiter. Und schon nach kurzer Zeit erblickte ich deren Urheber: zwei menschliche Gestalten. Bestimmt feindliche Späher! Aber zu Fuß? Mein Herz hämmerte heftig in meiner Brust und ich fühlte so etwas wie Jagdfieber in mir aufsteigen. Hatten die Bögen...? Sah nicht so aus. Komisch. Noch ein mißtrauischer Rundblick, und ich befahl:
    "Los Männer, die schnappen wir uns!"
    Ich galoppierte an, Sand spritzte auf, mein Fuchs flog nur so dahin. Die Equites griffen sich beide erst einen ihrer Wurfspeere, dann folgten sie mir. Das war ganz schön aufregend, so spannend dass ich in dem Moment rein gar nicht mehr daran dachte, dass ich mich als Tribun ja eigentlich bei so Sachen vornehm zurückhalten sollte. So preschten wir auf die beiden zu....
    "Ergebt euch!"
    rief ich ihnen dabei schon von weitem zu, und rief es dann auch gleich noch mal auf Griechisch, aber ich rechnete natürlich nicht damit, dass solche unzivilisierten Barbaren die Worte verstanden. Den Sinn wohl schon eher.

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    Klient - Decima Lucilla

  • Aussichtslos, doch sie versuchten es zumindest, weglaufen, möglichst viel Weg zwischen sich und ihr Lager bringen. Glücklicherweise hatte der nächtliche Sturm wenigstens diese Spuren verwischt. Vielleicht konnten sie die Reiter so auch auf eine falsche Fährte führen. Ohne sich umzudrehen, entfernten sie sich immer weiter. Nichts war zu hören, vielleicht waren sie doch in eine andere Richtung weitergeritten.


    Der Sand wog sie in Sicherheit, dämpfte den Galopp der Reiter, erst das Rufen stoppte ihren Lauf. Während Neriman sich umdrehte, schob Abay sich schützend vor sie. Natürlich verstanden sie weder die ersten, noch die anderen Worte, der Sinn war jedoch unmissverständlich. Zumindest zum Stehenbleiben wollten sie sie damit bewegen. Drei Reiter - Neriman erfasste sofort, dass es nicht alle sein konnten, das waren mehr gewesen. Drohend waren die Wurfspeere auf sie gerichtet, kamen immer näher. Nur der eine hielt lediglich sein Schild hoch. War das ihr Anführer? Abay beugte sich leicht vor, unterwürfig, streckte die leeren Hände aus, ein Zeichen, dass sie nicht auf einen Kampf auswaren. Neriman nutzte die noch bleibende Zeit, bis man sie verhaften, verschleppen oder einfach nur töten würde, und drehte sich nach den fehlenden Soldaten um. Das Blut rauschte vor ängstlicher Aufregung in ihren Ohren. Zitternd suchte sie Abays Nähe, schob sich dicht hinter ihn. Wo war nur ihr Mut, ihre Selbstsicherheit. Es war ihre Schuld, dass sie hier waren, nicht seine, und nun schob sie ihn vor? Niemals. Abay griff nach ihrer Hand, als sie an ihm vorbei nach vorne trat, den Reitern stolz entgegenging. Das Herz pochte in ihrer Brust, ihr Magen rebellierte, trotzdem schüttelte sie ihn ab, hielt die Hände, wie Abay zuvor, mit den Handflächen nach oben den Fremden entgegen. Wenn sie sie töten wollten, dann sollten sie es schnell tun.

  • "Bona Dea...!" entfuhr es mir leise. Eine Frau? Ich blinzelte verblüfft, ließ den Schild sinken, zügelte mein Pferd dicht vor den beiden Gestalten, und musterte die Barbarin, die uns da so tapfer entgegentrat, voll Erstaunen von Kopf bis Fuß. Schickte der Feind jetzt schon seine Weiber gegen uns aus? Aber bei allem Argwohn – mein erster Eindruck von diesen beiden Fremden war eher der, dass wir hier ein Liebespärchen beim heimlichen Treffen überrascht hatten, als der von zwei Spionen. Wie sie sich gegenseitig zu schützen versuchten, wie der Mann nach der Hand der Frau griff – das war ja rührend. Andererseits waren sie wohl kaum zufällig hier, und ich sollte mich von ihrem harmlosen Äusseren nicht täuschen lassen. Was konnten sie bezwecken, wenn nicht uns auszuspähen?
    Einer der Reiter pfiff durch die Zähne. "Sieh an, was für eine Wüstenblume..." bemerkte er, ohne den Speer zu senken.
    Die beiden waren kaum bewaffnet, hatten weder Gepäck noch Reittiere. So konnte man hier nicht lange überleben, sie mussten ein Lager, irgendeinen Unterschlupf in der Nähe haben. Wieder blickte ich angespannt um mich... und wieder sah ich nur Sand, Sand, Sand. Was nun? Am naheliegendsten wäre es gewesen, sie beide abzustechen. Aber dafür war ich nicht abgebrüht genug, schließlich hatten sie sich ergeben. Und womöglich waren sie ja wirklich bloß das wonach sie aussahen: Zivilisten. Und vielleicht konnte man irgendwas nützliches aus ihnen herausbringen. Im Lager, wo wir Dolmetscher hatten.
    "Wir nehmen sie mit."


    Von meinem hohen Ross herab sprach ich, von erklärenden Gesten untermalt, zu den Gefangenen, in ruhigem und festen Tonfall:
    "Ihr", dabei deutete ich auf die beiden, "kommt jetzt mit uns in unser Lager", ich deutete in Richtung Castra.
    "Doch zuvor, übergebt uns eure Waffen!"
    Fordernd zeigte ich auf die Dolche, die sie trugen, und dann auf den Sand zu unseren Füßen.

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  • Er zügelte sein Pferd so dicht vor ihr, dass sie fast dessen Atem spüren konnte. Ein stattliches Tier, und stünde sie nicht Todesangst aus, hätte sie sich sicher dafür interessiert. Pferde fand man in der Wüste sehr selten, eher schon nie. Nun aber sah sie zu dem offensichtlichen Anführer mit ängstlichem Blick auf, verstand nicht, was er vor sich hinbrabbelte. Ihre Angst verstärkte sich nur bei seiner abschätzigen Musterung, der er sie unterzog. Glücklicherweise war ihr Körper bis auf Augen, Nase und Mund von Stoff verhüllt. Ein Umstand, der ihr ein wenig Schutz vor den Blicken, aber nur wenig Sicherheit bot, was ihr mehr als bewußt wurde, als sie den spöttischen Einwand eines der anderen Reiter vernahm. Nur kurz warf sie dem einen verächtlichen Blick zu, bevor der Anführer wieder ihre volle Aufmerksamkeit genoß. Wieder vernahm sie diese seltsamen Sprache.


    Jedoch schien er eine Entscheidung getroffen zu haben, seine Stimme änderte sich. Er sprach sie wieder direkt an. Neriman kniff die Augen zusammen, als könnte sie dadurch besser verstehen, was er von ihnen wollte. Sein Blick ging in Richtung des Heerlagers. Sie sollten mitkommen? In ihrem Kopf ratterte es, ihr Herzschlag nahm einen ruhigeren Takt auf. Zumindest im Moment würden sie sie wohl nicht töten. Mehr Sorgen machte sie sich jetzt um ihr Volk. Zumindest für den heutigen Tag bestand keine Gefahr, dass ihr Stamm sich zu dem Heerlager begab. Was aber, wenn sie beide nicht in ihr eigenes Lager zurückkehrten? Sie konnte nur beten, dass die Ältesten weise entschieden. Hätte sie nur zuvor mit ihnen gesprochen, ihnen ihre Pläne mitgeteilt. Aber dazu war es nun zu spät. Und was wollte der Soldat dort auf dem Pferd noch? Ihr Blick wanderte zu ihrem Gürtel, auf den er scheinbar deutete und an dem, nur halb verborgen, ihre sichtbaren Waffen hingen. Demonstrativ nahm sie ihn ab, hielt ihn Abay hin, damit der es ihr gleichtat und legte ihn dann in den Sand. Sollte sie auch den anderen Dolch? Der war gut versteckt, sicher würde er nicht ahnen, dass eine Frau noch mehr Waffen bei sich trug. Mit einem mehr als unschuldigen Blick stellte sie sich wieder vor den Anführer, und somit zwischen ihn und Abay. Fragend deutete sie mit einem Kopfnicken in die Richtung, in der sich das Heerlager befand. Ohne eine Aufforderung von ihm würde sie keinen Schritt tun, dafür waren die Speere noch immer eine zu große Bedrohung.

  • Mit Verwunderung sah ich, dass bei diesen beiden anscheinend die Frau diejenige war, die bestimmte was getan wurde. Sie machte einen klugen Eindruck, deutete meine Gesten richtig. Es war – auch wenn die zwei nicht gerade bedrohlich erschienenen – übrigens ein angenehmes Gefühl, zu sehen wie sie ihre Waffen niederlegten. Denn man kann doch mit Fug und Recht sagen: wenn die Barbaren uns Römern ihre Waffen gehorsam zu Füßen legen, dann ist die Welt noch in Ordnung.
    Auf meine Aufforderung hin schwang sich der Miles zu meiner rechten (der mit dem Wüstenblumen-Kommentar, ich wusste gar nicht wie er hieß) vom Pferd und hob die Waffengürtel auf, hängte sie an seinen Sattelknauf. Einen Moment erwog ich es, die beiden einer genauen Durchsuchung zu unterziehen, aber nein, so eingeschüchtert wie sie offensichtlich (und zurecht) waren, angesichts unserer römischen Überlegenheit in jeder Hinsicht, würden sie es gewiss nicht wagen, uns irgendwelche Waffen zu verheimlichen. Da vertraute ich ganz auf meine Menschenkenntnis!
    "Pergite!" sprach ich, nickte auf die fragende Geste der Frau hin, und gebot den beiden mit einer auffordernden Geste, sich in Bewegung zu setzen. Im Schrittempo ritten wir auf die Castra zu, mal vor, mal neben unseren Gefangenen. Entkommen konnten sie uns sowieso nicht.


    Als wir den nächsten Dünenkamm erreicht hatten, zog ich eine kleine Pfeife aus der Tasche, setzte sie an die Lippen und blies zweimal kurz. Die Triller durchschnitten die Stille der Wüste fast schmerzhaft schrill, und die Pferde, obschon daran gewöhnt, spielten nervös mit den Ohren und schienen unter dem Signal wirklich zu leiden. Ich wiederholte es noch einmal, und nach kurzer Zeit stießen die beiden anderen Equites wieder zu uns. Knapp informierte ich den Duplicarius über die Gefangennahme und schloß: "... gewiss haben sie ein Lager in der Nähe. Duplicarius, ihr drei kehrt zu dem Ort zurück, wo wir sie aufgegriffen haben, und kundschaftet die Richtung aus, in die sie geflohen sind. Im Anschluß verfolgt die Spur zurück, möchte doch wissen wo sie sich rumgetrieben haben. Agite."
    Der Duplicarius vorneweg, die anderen beiden ihn flankierend, verschwanden sie zwischen den Dünen. Zurück blieben die Gefangenen, Miles Kommentator und ich.
    "Weiter." Ich deutete erneut auf die Castra und versetzte meinem Fuchs einen leichten Schenkeldruck.


    >>



    edit: Link

  • Ein Stein fiel ihr vom Herzen, sie wurden nicht durchsucht. Vor allem aber war sie froh darüber, nicht alle Waffen herausgegeben zu haben. Es gab ihr ein wenig Sicherheit. Allein der Gedanke, als Gefangene, die sie nun zweifelsohne waren, in dieses Lager zu kommen, wehrlos, brachte ihr Herz erneut aus seinem ruhigen Takt. Wilde Fantasien tauchten vor ihrem inneren Auge auf, mischten sich mit Erinnerungen der Vergangenheit. Sie war zudem eine Frau, davon gab es dort sicher nicht viele, wenn überhaupt. Besser, sie dachte nicht darüber nach. Ihre größte Hoffnung lag darin, dass es den Truppen an Nahrung und Wasser mangelte und sie sich dadurch freikaufen konnten. So in ihren Gedanken versunken, sich eine Strategie zurechtlegend, lief sie fast in das Pferd, das direkt vor ihr plötzlich stoppte. Fast zeitgleich schrillte dieser fürchterliche Ton durch die Luft. Reflexartig hielt sie sich die Ohren zu. Noch einmal ertönte dieses Signal. Neriman beobachtete den Anführer, und als sie sicher war, er würde es nicht noch einmal wiederholen, ließ sie die Hände wieder sinken. Verwundert über die komischen Sitten dieser Römer, sah sie von einem zum anderen, und erst, als die verschwundenen Reiter auftauchten, verstand sie den Sinn. Allerdings zu ihrem Bedauern nicht deren Sprache. Zu gern hätte sie gewußt, was die beiden zu besprechen hatten, erst recht, als der kleine Trupp sich wieder entfernte - in die Richtung, aus der sie eben kamen.


    Eigentlich gab es aber nur zwei Möglichkeiten. Entweder wollten sie weiter die Gegend auskundschaften, möglicherweise waren sie auf der Suche nach dem Versteck derer, die das Lager so übel zugerichtet hatten. Oder, und das war das naheliegendste, sie wollten herausfinden, woher sie beide kamen. Neriman betete, dass sie das Lager nicht finden würden, oder zumindest, dass sie erkennen konnten, dass es sich um ein friedliches Volk handelte.


    Es ging weiter. Abay hielt sich immer in ihrer Nähe. Als das Heerlager in Sichtweite kam, schien ihm der Ernst der Lage klar zu werden, Neriman konnte die Verzweiflung in seinen Augen lesen, als er sie am Arm nahm und ihr etwas zuflüsterte. "Es sind nur zwei, wenn du sie ablenkst... das schaffen wir!" Abschätzend musterte Neriman die beiden Soldaten, die als einzige noch bei ihnen waren. Sicher, das könnten sie schaffen. Fast schon war sie versucht, ihm zuzunicken. Dann aber dachte sie weiter. Da waren immer noch die drei Reiter, die nicht weit von hier die Gegend erkundeten. Es würde nicht lange dauern, bis man die beiden hier finden würde, und dann? Man würde sie jagen, man würde vor allem glauben, sie wären Teil jener, die sie nachts angriffen. Und dann wäre ihr gesamter Stamm dem Untergang geweiht. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie den Lagerplatz fänden. Nichts, aber auch gar nichts würden sie von ihrem Volk übriglassen. Nein, das war es nicht wert. Beruhigend legte sie ihre Hand auf seine und schüttelte kaum merklich den Kopf. Zu gerne hätte sie ihm mehr gesagt, aber sie wollte ihre Aufpasser nicht unnötig nervös machen.


    Es war nicht mehr weit. Je näher sie kamen, desto mehr wurden die Ausmaße sichtbar. Das Lager war so beeindruckend, dass Neriman automatisch langsamer wurde. Zu ihrer Angst gesellte sich nun Neugier. Es war das erste mal, dass sie ein solches Lager aus der Nähe sah, geschweige denn, es betreten würde.

  • Jeden Abend saß sie am Feuer, beobachtete das Lager der Römer und wartete. Er kam nicht. Er würde auch nicht kommen. Sie wußte es, er hatte es ihr unmissverständlich klargemacht. Trotzdem hoffte sie - wie so oft vergeblich. Du wirst einen jungen Mann kennenlernen. Er wird dir alles das schenken, was du dir wünschst. Ich werde eine unter deinen vielen Erinnerungen bleiben und eines Tages werden wir uns vielleicht wiedersehen. Vielleicht...


    Traurig drehte sie seinen Ring in ihren Fingern. Er war ihr zu groß, viel zu groß. Um ihn immer ganz nah bei sich zu haben, band sie ihn an ein Lederband, wie ein Amulett. Der Platz über ihrem Herzen schien ihr auch viel besser geeignet. Er wird dir alles das schenken, was du dir wünscht. Neriman mußte fast lachen, wenn sie daran dachte. Niemand konnte ihr schenken, was sie sich wünschte - niemand. Eine Hand legte sich tröstend um ihre Schulter.


    Abay. Er kam von hinten und setzte sich wortlos neben sie. Neriman schluckte schwer die aufsteigenden Tränen hinunter, starrte nachdenklich ins Feuer. Abay schwieg. Egal, was er sagen würde, es wäre falsch. Er konnte sich vorstellen, wie es in ihr aussah, kannte sie besser als jeder andere hier im Lager. Selbst ihr Vater wußte kaum etwas über sie. Irgendwann brach Neriman das "Schweigen". "Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden sie gehen." Sie nahm einen Stock, malte das Castellum in den Sand, wie Massa es bei ihr getan hatte und schrieb Alexandria daneben. "Das ist weit." Abay nickte. "Er wird nicht wiederkommen. Niemand wird wiederkommen. Alle verlassen mich." "Das ist nicht wahr, das weißt du." Neriman drehte sich trotzig zu ihm. "Was ist mit Khanysha? Mit Malik? 'umm (Mama)..." Ihre Augen nahmen einen gequälten Ausdruck an, mit denen sie ihn nun verzweifelt ansah. Diesen Argumenten konnte er nicht widersprechen. "ICH... ich werde nicht weggehen. Und wer weiß, vielleicht bist es eines Tages du, die mich verlässt." Neckend zog er ihr das Tuch ins Gesicht. Ablenkung war manchmal die bessere Medizin. Sie balgten und erzählten sich witzige Geschichten von früher, dann versank die Sonne endgültig und es wurde Zeit, schlafen zu gehen.

  • Alexandria... immer wieder dachte sie an diese große Stadt, von der sie nur immer hörte, die sie noch nie mit eigenen Augen sah. Viel zu weit weg, unerreichbar, selbst, wenn sie wollte. Es wäre zu gefährlich für sie, alleine zu reisen. Sie könnte sich einer Karawane anschließen, und dann? Ohne Geld, ohne Schutz, sie würde enden wie ihre Geschwister, verschleppt, verkauft - wenn sie überhaupt noch am Leben waren. Und der Römer, für ihn war sie vielleicht nur eine willkommene Abwechslung gewesen in der Einöde der Wüste. Daran wollte sie einfach nicht glauben und Nacht für Nacht malte sie sich aus, wie es wäre, es doch zu tun.


    Neriman lehnte sich seufzend zurück an die Stange ihres Zeltes, den Ring mit ihrer Hand umfassend. Es war still um sie, alles schlief. Nur ab und an brach das leise Schnarchen ihres Vaters die Stille. Sie selbst konnte nicht schlafen, sah hinauf in den Himmel, der überzogen war mit Millionen von Sternen. Nur wenige davon zogen ihren Blick an, ein ganz besonderes Sternbild, der Delphin. Jede Nacht suchte sie danach, fragte sich, ob er auch an sie dachte, vielleicht genau in diesem Moment die selben Sterne über sich betrachten würde. Verträumt schloss sie die Augen, sah in diese wundervollen Augen, spürte seine weichen warmen Lippen auf ihren. Versank mit ihm in der Unendlichkeit, einer Wolke aus Gefühlen, nach denen sie sich so sehr sehnte. Spürte wieder und wieder dieses warme, wohlige Gefühl, das sie einhüllte, kleine, elektrisierende Impulse, die sich kribbelnd durch ihren Körper zogen...


    Wenn sie dann die Augen wieder öffnete, schlug die Wirklichkeit grausam zu. Sie saß allein inmitten von Zelten, in einer Oase, die nun wieder ihnen gehörte. Die Römer waren abgezogen. Jede Bewegung hatte sie verfolgt, Ausschau gehalten, nichts war passiert. Sie waren weg, die Wüste leer. Noch leerer ohne ihn. Sie mußte ihn vergessen. Er würde nicht wiederkommen, noch nie war jemand wiedergekommen. Je mehr ihr das bewußt wurde, umsomehr zog sie sich wieder in ihre eigene Welt zurück. Die, in der sie all dem Schmerz entfliehen konnte, in der ihr niemand mehr wehtun konnte. Still, stumm... allein.

  • Die Oase lag längst hinter ihnen, mit ihr die vielen Opfer und ihre Gräber. Lange dort zu bleiben, war diesmal nicht möglich gewesen. Die Schlacht, die Römer, all das hatte dem grünen Fleckchen Erde schwer zugesetzt und um ihm die nötige Erholung zu gönnen, zogen sie weiter. Mit der Oase blieben auch die Erinnerungen zurück, die vielen Verletzten, die Verwundeten, die sicher nie wieder ihre Heimat sehen würden. Neriman wußte, diese Erinnerungen zu verdrängen, nicht aber die eine, die sie jede Nacht wachhielt. Abay lenkte sie ab, so gut er es vermochte, und für die Tage gelang das sogar. Nur nachts lag sie wach, oder saß vor ihrem Zelt und beobachtete die Sterne.


    Viele Tage dauerte die Wanderung durch die Wüste. Heißer Sand auf hohen Dünen wechselte sich ab mit weiten, kargen Steppen, übersät mit dürren Sträuchern und spitzen Steinen, die das Vorwärtskommen mühsam machten. Das dürre Holz wurde eingesammelt, es diente in den kalten Nächten als Feuerholz. Ebenso wie der Kameldung, den sie auf ihrem Marsch sorgsam aufsammelten. Dann endlich erreichten sie die nächste fruchtbare Stelle, auf der sie ihre Herden weiden lassen und auch ihre Vorräte auffüllen konnten. In diesem Jahr waren sie früher dran, so blieb ihnen der Platz alleine. Erst eine Woche später erreichte ein befreundeter Stamm ebenfalls die Lagerstätte, die sie sich für eine Weile teilten. Wie jedes Jahr wurde sich freudig begrüßt und ein großes Fest gefeiert.


    Schon die Vorbereitungen waren aufregend. Tiere wurden geschlachtet und über offenem Feuer gebraten, Tee zubereitet, Bier herbeigeschafft. Solche Feste gab es nicht oft, das Fleisch konnte man in den Dörfern teuer verkaufen. Umsogrößer war die Freude, einmal nicht darüber nachdenken zu müssen, zu essen, zu trinken, zu feiern, sich die neuesten Geschichten zu erzählen. Und wie es sich gehörte, hatten beide Stämme davon ausreichend auf Lager. Immer spektakulärer, immer mysteriöser und geheimnisvoller wurden die Ausführungen, je später der Abend wurde. Natürlich waren auch die Römer eines der vorherrschenden Themen an diesem Abend. Bei manch einem hätte man meinen können, er wäre selbst an der Schlacht beteiligt gewesen.


    Es war mittlerweile schon sehr spät, viele zog es in ihre Zelte, nur einige wenige kleine Grüppchen saßen um einige noch brennende Feuerstellen. An einem auch Neriman, und selbst wenn sie teilnahmslos schien, entging ihr doch keines der Gespräche. Besonders aufmerksam lauschte sie den Geschichten über einen Christen, der in der Nähe von Alexandria leben sollte. Alexandria - ihr blick hing traurig starr auf das Feuer gerichtet. Ob er sie schon vergessen hatte? Irgendwann legte sich eine Hand auf ihre Schulter. "Willst du nicht mit uns kommen? Wir bringen Thabit dorthin. Wenn dieser Christus sogar Tote erwecken konnte, vielleicht kann dieser Prediger dann auch euch beiden helfen. Es heißt, durch ihn wirkt Gott." Gott? Jemand, der ihr vielleicht helfen könnte? Im Moment war ihr egal, ob sie sprechen konnte, oder nicht. Für Thabit würde sie es sich wünschen. Er war ein oder zwei Jahre älter als sie, sein Bein irgendwie verdreht, dass er kaum laufen konnte. Er hätte es wirklich verdient.


    Aber Alexandria? Vielleicht war das ihre einzige Chance, von hier wegzukommen. Eine Chance - ihre Geschwister wiederzufinden. Oder zumindest zu erfahren, was aus ihnen geworden war, ob sie noch lebten. Und ein kleines bisschen, ein entscheidendes bisschen, die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Ihre Hand ging unwillkürlich zu dem Ring, den sie an dem Band um den Hals trug. Neriman zuckte mit den Schultern. Darüber mußte sie erst nachdenken, und vor allem mit Abay und ihrem Vater besprechen. Niemand sah es ihr an, aber ihr Herz tat vor Freude einen Sprung.

  • Vorsichtig löste sie das Tuch und nahm es ab. Der sanfte Wind, der vom Wasser kam, fuhr mit unsichtbaren Fingern durch ihr schweißverklebtes Haar, trocknete Strähne für Strähne, kühlte ihre erhitzten Wangen. Das Wasser zu ihren Füßen glitzerte im hellen Mondlicht. Es war, als würden Millionen von Sternen nur für sie auf der Wasseroberfläche tanzen. Stille um sie herum. Das kleine Städtchen lag nicht weit von hier, dort auch das Schiff, auf dem sie eigentlich sein sollte. Wäre Abay bei ihr, sie stünde jetzt sicher nicht hier. Oder vielleicht doch, dann aber nicht ohne ihn. Seufzend setzte sie sich auf einen noch warmen Stein am Ufer. Das Heimweh holte sie ein wie jede Nacht, seit sie gegangen war. Dazu das schlechte Gewissen.


    In ihren Erinnerungen eingebrannt, erschien das Bild ihres Vaters. Seine feuchten Augen, sein schmerzerfüllter Blick, als er sich abwandte und in seinem Zelt verschwand, ihrem Zelt, um sie nicht gehen zu sehen. Er hatte versucht, es ihr zu verbieten, dann versucht, sie zu überzeugen, am Ende aber erkannt, was er längst wußte. Er konnte sie nicht aufhalten. Schweren Herzens stimmte er schließlich zu. Ihr Bruder Abay hätte sie gerne begleitet, sie beschützt, und sie hätte sich nichts sehnlicher gewünscht. Aber er war das letzte Kind seiner Eltern, das noch übrig war. Allein deshalb musste er bleiben. Neriman wußte das, sie wußte auch, dass sie von nun an ganz alleine war. Trotz der Menschen, mit denen sie loszog. Niemand in der kleinen Gruppe, die sich auf die Reise machen wollte, sprach ihre "Sprache". Ihre kleine Welt würde noch stiller werden, und das für eine sehr lange Zeit. Vielleicht für immer. Ab dem Tag, an dem sie den Stamm verließ, war sie auf sich alleine gestellt, ließ mit ihrer Familie ihr gesamtes bisheriges Leben zurück.


    Nerimans Blick wanderte den Nil entlang. Bei Sonnenaufgang sollte es losgehen - mit dem Schiff. Wenn sie doch einfach nur an Land weiterziehen könnten. Sie fürchtete sich, vor allem vor diesem schaukelnden Ding, auf dem man keinen vernünftigen Schritt tun konnte. Es hielt nie still, selbst, wenn kein Wind ging. Und was war, wenn es unterging? Neriman konnte nicht schwimmen, die Krokodile würden sie fressen und niemand würde es jemals erfahren. Aber man ließ ihr keine Wahl, die Kamele waren verkauft und mit dem Erlös die Fahrt bezahlt. Für Thabit war es einfach zu beschwerlich auf dem Landweg. Und sie würden Alexandria um einiges schneller erreichen. Nur deshalb hatte sie zugestimmt. Trotzdem würde es noch eine halbe Ewigkeit dauern, bis das Ziel erreicht war.


    Lange saß sie da, beobachtete das sanfte Schaukeln der Wellen, dachte darüber nach, ob es richtig war zu gehen. Dann fasste sie nach dem Ring an ihrem Hals und sah zu den Sternen. Schritte, die sich näherten, ein trunkenes Lachen, Stimmen ... es war Zeit zu gehen. Lautlos und ungesehen schlich sie zurück, die Wache auf dem Schiff war das einzige Problem. Aber auch an ihr kam sie vorbei. Die anderen schliefen friedlich unter ihren Decken. Neriman legte sich an ihren Platz, lauschte den leisen Atemgeräuschen und das gleichmäßige Schaukeln der Wellen wiegte sie schließlich in einen traumlosen Schlaf.

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