Cubiculum QFF | Nicht ganz unpolitisch

  • Durch den Flur, der durch die ehrwürdigen Gemäuer der Villa Flavia führte (ja, hier war alles so richtiggehend ätzend EHRENWERT und ANSTANDSVOLL und WAHRLICH RÖMISCH, dass sogar die Ziegeln, mit denen die Villa erbaut worden war, majestätisch sein mussten und einen Haufen von Würden und Titeln tragen mussten), hallten Fußschritte. Ein lauer Geruch von Rosenwasser erfüllte den Gang. Die Figur, von dem der Geruch und die Geräusche stammten, ja, an ihr lag etwas entschieden Künstlerisches. Sie atmete Ästhetik (zumindest dachte die betreffende Person das). Groß, aber nicht sonderlich athletisch, kein Muskelprotz also, sondern von fast schon zartem Körperbau.
    Unverkennbar, wer da durch die Villa trabte, das war Piso. Mit einem ein bisschen peinlich berührt aussehendem Gesichtsausdruck. Die Schritte, die er tat, lenkten ihn hin zum Gemach seines Neffen, der aber abentteuerlich jünger war als er. Piso hatte Flaccus‘ Alter vergessen, aber mehr als 10 Jahre Unterschied waren da nicht. Also konnte man sich in einer Gens, die noch nie sonderlichen Wert auf familiäre Verbindungsbezeichnungen gelegt hatte (schließlich war Furianus für ihn immer ein Vetter gewesen, von ihm als Neffen zu denken erschiene Piso dämlich), getrost Vetter nennen gegenseitig. Wobei, das war jetzt nicht Pisos Hauptsorge.
    Ebendiese war gänzlich anders beschaffen. Er hatte... tja... eine Entschuldigung abzugeben, nagte doch das schlechte Gewissen an ihm. Es war wohl typisch für ihn, haarsträubenden Unfug zu begehen, und danach sich vom Gewissen zerfressen zu lassen. Aber immerhin kam er nicht mit leeren Händen. Er hatte ein Schmankerl für Flaccus. Nein, sogar zwei.
    Vielleicht würde es Flaccus‘ Zorn – jener müsste wohl existent sein, hatte Piso doch ein wunderbar klassisches Beispiel an Mädelblockierung betrieben – besänftigen, wenn er das vorbrachte. Nun gut, er könnte sich auch sagen, er hatte vermieden, dass Plebejer und Patrizier sich vermischten... aber aus seinem Mund heraus würde das arg hypokritisch klingen. Er dachte noch immer dann und wann an Serrana. Sie hatte es nicht verdient, dass er es tat, das wusste er, und er sollte sich lieber auf anderes konzentrieren, zum Beispiel auf seine zukünftige Gemahlin, die von der Sache zwar wusste, aber sich in der Sicherheit wiegte, dass er darüber komplett hinweg war. Ach was, sagte er sich innerlich, es würde schon werden. Spätestens bei der Hochzeitsnacht.
    Und so stand er nun vor der Tor zu Flaccus‘ Zimmer. Er hob die Hand und klopfte an. Als Alibi. Dann stubste er sanft die Türe auf.
    “Flaccus? Bist du hier? Ich bin’s, Piso...“, machte er.

  • In seinem Cubiculum saß der junge Flavier vertieft - wie sollte es auch anders sein - in seine Studien. Diese bildeten für den, im Moment noch mit keinem Amt versehenen, jungen Mann in diesen Tagen, abgesehen von den nötigsten Pausen zur Nahrungsaufnahme, etc., die Hauptbeschäftigung. In diesem Punkt glich er also (wenngleich ihm selbst dieser Vergleich wohl sehr zuwider wäre) zweifellos dem Onkel des C. Plinius Caecilius Secundus, dessen Briefsammlung er, sozusagen frisch vom Schreiber, in Form einiger Papyrusrollen feinsäuberlich geordnet am Schreibtisch vor sich liegen hatte, um anhand der Episteln den Stil des Literaten zu studieren. Just in diesem kontemplativen Moment klopfte es an der Tür und noch ehe Flaccus sich umgewendet, oder gar ein Wort gesagt hatte, wurde jene schon aufgestupst. Zum Glück für alle Beteiligten konnte der junge Flavier gerade noch rechtzeitig erkennen, dass es nicht etwa ein tölpelhafter Sklave gewesen war, der seine heilige Konzentration auf so barbarische Weise gestört hatte, sondern ein Verwandter, und somit entging Flavius Piso der zornigen Zurechtweisung, die dem jüngeren der beiden Flavier bereits auf der Zunge gelegen hatte. Stattdessen erhob jener sich nun vom Schreibtisch und trat auf den Verwandten zu. "Piso, schön dich zu sehen!", ein Lächeln huschte auf seine Lippen und vertrieb die zornigen Falten, die eben noch die glatte Stirn umwölkt hatten, seine dunklen Augen hingegen blickten den Besucher mit fragendem Ausdruck an. "Was führt dich zu mir?"

  • Au weia. Piso war sich ziemlich sicher, das war Zorn. Oder auch nicht? Es war zu flüchtig gewesen, jener Gesichtsausdruck, zu schnell. Vielleicht hatte Piso sich geirrt. Vielleicht war da wirklich nichts gewesen außer dem Lächeln seines jungen Verwandten. Vielleicht war es nichts gewesen. Ja, das konnte sein, redete er sich ein. Es war nichts gewesen, und Piso hatte was Falsches gesehen. So war es, musste es gewesen sein. Und somit tat er etwas, worin er gut war, worin auch sein Vater gut war, was darauf hindeutete, dass diese Fähigkeit vererbt war – er verdrängte. Schob die Gedanken an den Rand seines Hirnes, verbannte sie in den Müllhaufen des Gedächtnisses, und schüttete sie dort mit anderen Gedanken zu – denn Gedanken schwirrten genug im Künstlerkopf des Flavius Piso umher.
    Was führte ihn zu Flaccus? Tja, eine schwere Frage war das nicht, aber herauszubringen war schon schwieriger. Er blickte zu Boden, verschränkte seine Arme hinter seinem Rücken, kratzte konfus und verlegen mit seinem rechten Fuß hinter seinem linken am Boden herum, und blickte kleinlaut auf. “Es... hmm...“ Er stockte, verkrampfte seine Hände, entspannte sie wieder. “Es tut mir Leid. Dafür, wie ich mich aufgeführt habe bei der Sponsalia von Nigrina. Ich... ich habe echt zu viel getrunken...“ Mit dem echten Gefühl des schlechten gewissens blickte er Flaccus an. Piso, nicht wissend, dass Flaccus Axilla eh eingeladen hatte, dachte sich, dass er sie nun für ihn auf ewig abgeblockt hatte. Dabei hätte er gar nichts dagegen, wenn Flaccus auch das erfahren würde, was er erlebt hatte damals bei den Faunalien (hmm, es war deliziös gewesen!). Im Gegenteil, sollte er ruhig! Solange er Axilla danach sein ließ. Wie Piso es auch getan hatte. Doch das waren nun, so dachte Piso, reine Hypothesen, da er Flaccus jene Frau verbaselt hatte – und unter Männern war dies wirklich sehr schlechter Ton!
    “Ich, hmm... nun ja. Entschuldigung deswegen. Nun ja. Folgendes. Du wolltest doch“, wechselte er rapide das Thema, “Arvalbruder werden, oder? Nun gut, morgen ist eine Contio der Arvalbrüder in der Villa Tiberia! Ich würde dich dort gerne mitnehmen, damit du auch zum Mitglied ernannt werden kannst – denn ehrlich, ich habe keinerlei Bedenken, dass man dich ablehnt. Spannend wird es auch insofern, als dass der neue Magister Arvalium Fratrum gewählt wirst, und wenn du auf die Contio mitkommst, kannst du mitstimmen!“, machte Piso (der sich selber durchaus Chancen ausmalte, der neue Magister der Arvalbrüder zu werden, aber nur, wenn Durus nicht kandidierte – in diesem Fall würde er es sein lassen).
    “Und... nun ja, einen Vorschlag wollte ich dir machen. Du willst ja in die Politik einsteigen. Oder? Dazu wäre ein Tirocinium Fori nicht schlecht. Du hast so eines noch nicht gemacht. Oder?“ Er blickte Flaccus fragend an. Ähm, ja. Nun ja. Ich könnte dir anbieten, dass ich dir Purgitius Macer vorstelle. Du musst wissen. Purgitius Macer ist gerade zum Consul gewählt worden. Und er ist mein Patron. Was würdest du davon halten, wenn wir bei ihm anfragen würden, ob er dir nicht ein Tirocinium Fori verschaffen kann? Bei ihm selber, meine ich? Hmm?“ Seine Sätze klangen leicht fragmentiert, fiel ihm auf – aber nicht an jedem Tag und zu jedem Anlass konnte man tadellos spruchreife Ansagen von sich geben! Und Flaccus würde da sicher wenig zu kritisieren haben, schließlich hatte Piso ihm gerade 2, wie der Flavier fand, ziemlich gute Angebote unterbreitet.

  • Langsam wanderte Flaccus' linke Augenbraue einige Millimeter nach oben, als Piso durch Blicke zum Boden, hinter dem Rücken verschränkte Arme und konfuses Herumstochern seines Fußes eine gewisse Unsicherheit erkennen ließ, die der jüngere Flavier noch nicht als Charakterzug des älteren kennengelernt hatte. Leid tat es ihm? Nun was denn? Kaum merkbar wanderte seine Augenbraue noch etwas weiter, als Flaccus versuchte den Worten des Onkels irgendeinen greifbaren Sinn abzugewinnen. Da kam Piso endlich auf den Punkt und der mittlerweile ziemlich angespannte Gesichtsausdruck des Jüngeren entspannte sich sofort, ja ein breites Lächeln, man könnte es fast ein Grinsen nennen, breitete sich auf seinen fein geschwungenen flavischen Lippen aus. Noch ehe er allerdings auch nur irgendetwas erwidern konnte, wechselte Piso so rapide das Thema, dass selbst der ansonsten ganz und gar nicht begriffsstutzige Flaccus einen marginalen Moment lang perplex war. „Oh … ja, gerne!“, mehr konnte er gar nicht einwerfen, als Piso schon mit dem nächsten Vorschlag aufwartete, der den vorigen fast in den Schatten stellte. „Natürlich, ich möchte so schnell als möglich für das Amt eines tresvir monetalis kandidieren, am besten schon zur nächsten Wahlperiode. Ein Tirocinium Fori zuvor wäre sicher nicht von Nachteil …“ Doch nicht genug damit, beim designierten Consul selbst wollte der Onkel dem Neffen eben jenes Tirocinium Fori verschaffen. „Das … das wäre großartig!“, brachte nun Flaccus selbst lediglich minimale Äußerungen des großartigen Gefühls zu Gehör, das seinen jugendlichen Körper in diesem Moment durchflutete. „Würdest du das wirklich für mich machen?“, fragte er noch einmal zur Sicherheit nach, die beiden großartigen Angebote kaum fassen könnend.

  • Flaccus kommentierte Pisos Entschuldigung für sein unpassendes Verhalten nicht weiter. Wobei es Piso seltsam vorkam, dass der Junge nicht einmal nickte oder so etwas sagte wie passt schon. War das nur die empfindliche des Künstlers, die Piso dies so spüren ließ? Vielleicht war es in Paestum ja üblich, Entschuldigungen zu akzeptieren, indem man sie einfach nicht ablehnte. Ja, so mochte es gewesen sein. Piso bürstete in seinem Hirn die Gedanken beiseite, von seinen momentanen Hinrströmen auf die Müllhalde, wo schon zahlreiche ästhetischen und im Nachhinein doch unglaublich blöde Ideen gelandet waren.
    Immerhin gab es eine Reaktion auf Pisos Einladung. Der Flavier nickte zufrieden. “Sehr gut. Dann treffen wir uns zu Mittag. Nehmen wir am besten eine Sänfte. Zu dieser Jahreszeit liegt so viel Matsch auf den Straßen...“ Piso rümpfte seine Nase affektiert. Matsch war Antiästhetik in purer Form, außer natürlich, wundervoll künstlerisch drapiert... vorzigsweise auf den Gewändern einer seiner verhassten Schwiegermuttern... ein kleines und fast schon gehässiges Grinsen verkniff er sich nicht, als er daran dachte, wie er und sein Freund Archias die Kleider dieser unmöglichen Bissgurn, Genucia Triaria, Nigrinas Mutter, durch den Dreck geschleift hatten.
    Er unterdrückte seine Gesichtsentgleisungen. “Ah ja, Tresvir... wie war das? Ach, Münzprägung. Wenn du vor den Senat trittst, solltest du den vollen Titel des Amtes nennen, Tresvir aere argento auro flando ferunde. Ja, ich weiß, aber Korrektheit zahlt sich aus. Nun gut. Auf jeden Fall... genau. Hast du den Ordo Senatorius? Denn der ist wichtig. Essentiell. Ohne den Ordo Senatorius kannst du es vergessen, zu kandidieren.“ Der alte Flaccus war sicher kein Senator gewesen – also war Flaccus sicher auch nicht im entsprechenden Ordo. Und wenn das so war, sollte das Flaccus schnellstens ändern!
    Dann nickte er langsam und theatralisch. “Aber sicher. Wir sind ja eine Gens. Wir müssen zusammenhalten.“ Piso meinte das ernst, ihm lag etwas an der Flavia, für ihn die tollste und genialste Gens in ganz Rom – obwohl alle Mitglieder unter irgendeiner Verrücktheit litten, auf welchen ma ganz nonchalant als flavischer Wahn sich bezog.
    “Morgen kann ich leider nicht. Aber übermorgen geht, also am Tag nach der Contio, an jenem Morgen, an welchem du schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Arvalbruder aufwachst! Dann gehen wir gemeinsam zur Contio.“ Piso nickte suggestiv, eine Tätigkeit, der er gerne frönte, hoffte er doch dadurch die Leute dazu zu bewegn, mit ihm übereinzustimmen.

  • "Oh ja, dieser Matsch ...", auch dem so nach Ordnung, Vollkommenheit und Perfektion strebenden Gemüt des jüngeren Flaviers war dieser unästhetische Begleitumstand der gegenwärtigen Jahreszeit äußerst zuwider. „Also zu Mittag…“, er konnte es kaum erwarten, würde wohl mit dem Treffen der Grundstein einer hoffentlich langen und glorreichen (einer perfekten) Karriere gelegt werden. Dann allerdings vermochte Piso durch eine Klarstellung die bereits allzu strahlenden Zukunftsaussichten seines Neffen etwas zu trüben. „Den Ordo Senatorius?“ Der sollte also schon für die Bewerbung um eines der Ämter der Magistratus Minores essentiell sein? Sollte das Phänomen der homines novi lediglich eines der Republik gewesen sein? Wie auch immer, etwas betrübt blickte Flaccus den Onkel an: „Nein, mein Vater war alles andere, als ein Senator Roms … was soll ich jetzt machen?“ Sollte dieser Umstand, tatsächlich ein Hindernis im Emporkommen des ehrgeizigen Flaviers darstellen? Die Bekräftigung des Zusammenhalts in der Gens beruhigte Flaccus etwas, hätte seine Aufnahme in Rom doch auch ganz anders verlaufen können. (immerhin hatte seine eigene Familie, seit der alte Flaccus nach Paestum sich endgültig zurückgezogen hatte, nichtmehr in Rom blicken lassen.) In das suggestive Nicken Pisos stimmte Flaccus lächelnd überein, waren es doch außerordentlich großartige Aussichten, bereits in absehbarer Zeit Mitglied einer so ehrenwürdigen Sodalitas zu sein.

  • Der Flavier mochte es, dass Flaccus scheinends dasselbe vom Matsch dachte wie Piso. Konnte es sein, dass der Junge ein Ästhet war? Nun ja, Ästheten waren viele. Die meisten davon folgten dem Strom wie die toten Fische... nur wahre Freigeister schwammen dagegen an, verfolgten nicht jene niederen Gelüste des gemeinen Pöbels!
    Flaccus bestätigte den Termin frohen Mutes, knickte dann aber scheinends etwas ein, als Piso ihm sagte, dass er den Ordo Senatorius brauchte.Die Frage, was er jetzt machen sollte, klang wahrlich so, als hätte Flaccus sich noch nie Gedanken über die Voraussetzungen zum Vigintivirat gemacht. Nun ja, halt ein junger Kerl. Wozu hatte man denn die Familie? Und vor allem, in ihr ein Genie von solch künsterliches Ausmaßen wie Piso, zumindest, wenn es nach pisonischen Maßstäben ging? “Ja, es ist leider so. Kandidaturen zum Vigintivirat sind nur zulässig, wenn diese von Leuten im Ordo Senatorius vorgebracht werden. Aber verzage nicht! Auch ich wurde ohne Ordo Senatorius geboren. Mein Patron hat ihn aber für mich bei Vescularius herausgeschunden.“ Er nickte wieder sein Nicken. “Wir werden das Thema einfach bei Purgitius anstreifen. Oder auch bei Tiberius auf der Contio. Beide sind einflussreiche Senatoren, und wie gesagt, ich finde, die beiden sind momentan die würdigsten und hilfreichsten Leute in Rom, die man sich nur als Patron wünschen würde.“ Piso sprach seine ehrliche Meinung. Vor einiger Zeit hätte er noch Aelius Quarto aufgelistet, aber dieser war ja aus Rom verschwunden.
    “Also mache dir keine Sorgen. Nur einen Patron brauchst du halt, der dir den Ordo Senatorius verschaffen kann bei Vescularius Salinator. Und zu diesem Zweck ist ein Consular halt einfach am Besten geeignet.“ Auch wenn es bei Piso damals so gewesen war, dass Macer Praetorier gewesen war. Aber in vielen Fällen war der Purgitier ja eine Ausnahmeerscheinung.

  • Flaccus atmete auf, als Piso ihm eröffnete, dass der Ordo Senatorius zumindest kein gänzlich unüberwindbares Hindernis auf seinem politischen Weg sein würde. Auch wenn es wohl bedeuten würde, dass der junge Flavier sich einem Patron unterordnen würde müssen, was dem Freigeist so gar nicht behagte. Dann aber lieber Durus, der war immerhin Patrizier, denn so mächtig der momentane Consul auch sein mochte, er blieb immernoch ein Plebejer, und wenn seine Eltern ihm auch sonst nicht besonders viel beigebracht haben mochte, so doch das eine, niemals einem Mitglied der Plebs sich unterzuordnen. Und diesen Rat würde Flaccus auch befolgen, zumindest solange es möglich sein würde. Dass er sich im Rahmen des angestrebten Tirociniums Fori wohl auch dem Purgitier unterordnen würde müssen, sah Flaccus gänzlich anders: jenes Jahr war schließlich Teil seiner politischen Ausbildung, und das Verhältnis eher jenem zwischen Mentor und Schüler gleich, wogegen das Klientendasein mit einer tatsächlichen Unterordnung zu tun hatte. Und als Patron wünschte der Flavier sich dann doch lieber einen patrizischen Pontifex und Consular, denn einen, zweifellos begabten und erfolgreichen, Plebejer.


    "Dann lieber bei Tiberius auf der Contio....", erwiderte Flaccus also und sah den Onkel an, um zu sehen, was jener davon hielt.

  • Piso überlegte kurz, oder tat zumindest so, als würde er überlegen. Tatsächlich war ihm schon vor etwas längerer Zeit klar geworden, dass es für einen aufstrebenden jungen Politiker nur zwei Patrone geben könnte. Entweder Purgitius Macer, der Piso in all der Zeit, in welcher er schon mit ihm verbandelt war, ein astreiner und vorbildlicher Patron gewesen war, ohne den, wie Piso es sich dachte, er wohl noch immer der Kanzleischreiber von einst wäre, der Primicerius, am kaiserlichen Hof ein Begriff, ansonsten aber kaum irgendwo. Oder aber eben Tiberius Durus, Pontifex pro Magistro und Consular, auch wenn jener keinen so großen Einfluss auf Vescularius Salinator zu haben schien wie Macer. Natürlich käme Salinator selber noch als Patron in Frage – aber das wäre wohl eine Spur zu antiästhetisch. Nein, so etwas konnte Piso niemanden vorschlagen. Vor allem keinen Patrizier, der sich, anscheinend, zu gut dafür war, einem Purgitius Macer unterzuordnen, wiewohl jener nun wirklich die Creme de la Creme der römischen Plebs darstellte. Auch, weil er mit einer Tiberierin verheiratet war.
    Dann, endlich, nickte er. “Eine gute Wahl erscheint mir das. Auf der Contio kannst du es ja ansprechen.“ Er nickte dazu begleitend, wieder mal, um seine Worte zu bekräftigen. “Ach ja, eines wollte ich noch wissen. Wenn du als Discipulus abgeschlossen hast, was hast du als nächsten Schritt im Cultus Deorum vor? Natürlich werden die meisten Discipuli Aeditui, Tempelverwalter. Nur weiß ich nicht recht, ob das ein angemessenes Amt für einen Patrizier ist. Wenn du nach deiner Zeit als Schüler deine Erfahrung als so herangereift siehst, dass du es dir zutraust, würde ich dir schon vorschlagen, dass du um die Aufnahme in ein Collegium versuchst. Vielleicht nicht unbedingt bei den Haruspices...“ Egal, was man sagte oder wie sich die Wirklichkeit darstellte, Piso hielt die Haruspices ein kleines wenig für Hiwis. Nun ja. “Natürlich könnte ich mich ja für eine Aufnahme deiner Person bei den eminenten Septemviri stark machen...“ Je nach dem, wieviel Flaccus von der Idee hielt, eine Statue zu füttern.

  • Pisos Bestätigung von Flaccus Wahl des Tiberius als möglichen zukünftigen Patronus bekräftigte eben jenen noch in seiner Einstellung und auch insgesamt schien es ihm so das Beste. Dann allerdings kam der Onkel auf einen Punkt zu sprechen, der Flaccus selbst schon beschäftigt hatte. Zweifelsohne käme für ihn nur die Aufnahme in eines der quattuor amplissima collegia in Frage, vornehmlich träumte er natürlich davon, einst in die ehrwürdigen Reihen der Augures oder Pontifices aufgenommen zu werden, wenngleich hier bereits der Haken an der Sache war. Die Methode zur Vervollständigung der Collegia lag in der Cooptatio, und Flaccus selbst erachtete sich, zweifellos zurecht, mittlerweile noch als politisch und gesellschaftlich zu unwichtig, um eine baldige Aufnahme in eines der Collegia auch nur in Erwägung zu ziehen. Mit Piso als gewichtigen Fürsprecher in den Reihen der Septemviri käme dieses Collegium natürlich auch in Frage.


    "Ist denn bei den Septemviri momentan ein Platz im Collegium vakant?", erkundigte er sich ehrlich interessiert. Wenngleich das Göttermahl wohl nicht das höchste der Gefühle in Flaccus lebendiger Imagination auszulösen vermochte, so war ein Platz in diesem Collegium doch auch mit hohem gesellschaftlichem Ansehen verbunden.

  • Ah. Interesse. Interesse war schon einmal sehr gut. Interesse erfreute das Herz, zumal es Piso in seiner Ansicht verstärkte, dass mit Flaccus kein Faulpelz sich in die Villa Flavia eingenistet hatte. Nein, Flaccus war ein guter Mann. Beziehungsweise Knabe, denn ein sonderlich alter Bube war er nicht. Er hatte noch seine politische Karriere vor sich. Sowie auch den vermaledeiten Ordo Senatorius, für den Piso übrigens in der Kanzlei hatte stucken müssen, bis er diese Auszeichnung bekommen hatte. Wenn er früher einen Patron sich genommen hätte, wäre das nicht passiert. Aus diesem Grund würde auch Piso es jedem nahelagen, sich einen verlässlichen Patron zu suchen – was er ja auch tat mit Flaccus nun.
    “Ein Platz bei den Septemviri? Ja, der ist frei. Die Stelle des Ceionius Petro ist noch immer vakant.“ Er seufzte im Andenken an den nunmehr seit schon geraumer Zeit toten Ceionier. “Der Gute ist gestorben, als ihm schon vor geraumer Zeit ein Betonblock auf den Kopf gefallen ist. Anschließend hat irgendjemand den Vorschlag gemacht, eine Frau aufzunehmen... das wurde aber in einer Relatio von den Pontifices abgeblockt.“ Irgendjemand, ja. Jetzt, da die Schlacht verloren war, versuchte Piso sich so zu positionieren, als wäre er eh immer dagegen gewesen, obwohl er dazumal ein Unterstützer der Idee gewesen war.
    “Aber zuerst einmal beendest du dein Studium, oder?“, fragte er nach, nur sicherheitshalber.

  • Dass mit Flaccus alles andere als ein Faupelz in die flavische Villa eingezogen war, das würde Flavius Piso mit der Zeit schon bemerken, denn das Streben des jungen Mannes sich sowohl im Cultus als auch in der Politik hervorzutun, was nicht zuletzt für ihn bedeutete alle Ämter des Cursus Honorum suo anno, einschließlich der gesenkten Altersgrenzen bei patrizischen Kandidaten, zu erreichen, war ihm ein sehr ernstes. Und wenn tatsächlich momentan eine Stelle im Collegium Septemvirorum frei sein sollte, so würde er natürlich alles daran zu setzen, diese Stelle zu bekommen, besser als nichts war es schließlich allemal. "Eine Frau? Tatsächlich?", erkundigte Flaccus sich mit leicht empörtem Unterton, als Piso erwähnte dass eine eben solche für die Besetzung des freien Platzes vorgeschlagen worden war, schließlich war er in solchen Belangen wohl eher vom alten, konservativen Schlag, "Das ist ja ungeheuerlich..." Eine Frau in den Reihen der Siebenmänner - eine paradoxe Vorstellung. Kein Wunder, dass die Pontifices diesen Vorschlag abgeblockt hatten!
    Das Studium. "Natürlich, doch ich denke, das Ende meiner Ausbildung zeichnet sich bereits ab, schließlich kam ich ja nicht gänzlich ungebildet nach Rom ...", eine leichte Untertreibung, hatte er doch sicherlich genauer als die meisten anderen Römer etwa die Theogonie des Hesiod bereits während seines Aufenthalts in Athen studiert. "Außerdem sind die ehrwürdigen Aedituae Iunia Serrana und Pedania Iunor durchaus zufrieden mit meinen Fortschritten." Vor allem die ältere Pedania hatte, so glaubte Flaccus trotz ihres grundsätzlich eher etwas schroffen, knappen Umgangs durchaus Gefallen an dem jungen, interessierten Discipulus gefunden.

  • “Eine Frau, ja...“ Er erinnerte sich zurück an Cocceia Maior, mit der er geredet hatte. Piso hatte, sich selbst gegenüber seine Freundlichkeit schwer erklären könnend, ihr Bestechungsgeld für die Relatio an sich, wieder an sie zurückgegeben. Maior hatte ihn durchaus fasziniert. Und beeindruckt. Eine Frau um die 40, Witwe, noch sehr gut erhalten, ohne den geringsten Zweifel eine sehr fähige Aeditua. Eine Kunstkennerin, wie er feststellen können hatte. Sie hatte Besseres verdient, als als eine bloße Tempelverwalterin zu vergammeln. Mal sehen. Vielleicht konnte er sie ja doch noch als Pontifex Minor einschmuggeln... denn der Bericht der Septemviri hatte sich ja nur auf die Collegien an sich bezogen, nicht auf deren Anhängsel.
    Er zuckte also nur die Achseln und meinte “Der alte Propertius Secundus hat schon obskure Ideen, aber die Relatio habe ich ihn trotzdem lassen, weil mich die Angelegenheit aus einem rein juristischen Standpunkt heraus interessiert hat“, fast, als ob er nicht einer derjenigen gewesen wäre, die ganz Feuer und Flamme für diese revolutionäre Idee waren. “Die Antwort war voraussehbar, aber nun herrscht Gewissheit, sodass eine solche Idee nie wieder auftauchen wird. Das Dumme ist... wäre die Relatio ausgegangen, hätten wir sofort jemanden gehabt, mit der wir die Stelle besetzen hätte können. Aber nun haben wir keine Ahnung mehr. Trebonius Seius war letztens im Gespräch, aber dieser hat abgelehnt... zu gebrechlich. Nein, wir brauchen einen jungen Mann, der Ahnung von der Angelegenheit hat.“ Er räusperte sich.
    “Wenn du also in deiner Ausbildung so weit vorangeschritten bist, dass du dich dazu fähig fühlst, will ich dich gerne Opimius Naso vorstellen, auf dass wir uns unter 6 Augen über eine Aufnahme unterhalten können.“ Dann hielt er inne mit seiner Redseligkeit, und starrte Flaccus konfus an. Nur 2 Sekunden, aber lange genug, dass es Flaccus auffallen musste. “Serrana?“, stammelte er hervor und schluckte. “Ah... Iunia Serrana... mhm... ah. Iunia.“ Falsche Serrana. Ein leises Seufzen entfleuchte Piso, dessen alte Flamme ihren Namen natürlich nicht ihren Namen für sich allein gepachtet hatte.
    “Iunia... ist sie eigentlich verwandt mit Axilla?“, fragte er nach. “Du weißt schon, der jungen Frau, der auf der Verlobung?“ Natürlich würde Flaccus es wissen... Axilla war keine, die man so schnell vergaß. Piso konnte ein Liedchen davon singen.

  • Ah, der juristische Standpunkt der abstrusen Idee war es also gewesen, der Piso davon abgehalten hatte, die Relatio sofort zu blockieren. "Ich verstehe.", nickte Flaccus verständnisvoll, hatte ja auch er grundsätzlich ein durchaus waches Interesse an spannenden juristischen Fragen. Dass er selbst diese revolutionäre, ja fast schon umstürzlerische Idee (Frauen im Collegium Septemvirorum - man stelle sich das nur mal vor!) an sich jedoch strikt abgelehnt hätte, stand natürlich völlig außer Zweifel. In solchen, wie auch in eigentlich fast allen anderen Belangen, war der junge Flavier doch ein sehr konservativer, traditionell denkender Charakter. Dass tatsächlich in ganz Rom kein würdiger Mann für diesen Posten gefunden werden konnte, nahm Flaccus dem älteren Flavier zwar nicht im Geringsten ab, doch verstand er die Anspielung auf "einen jungen Mann, der Ahnung von der Angelegenheit hat" natürlich sofort, und allein die Tatsache, dass Piso seinen Neffen wohl tatsächlich in Erwägung zog für diesen Platz im Collegium, ließ den, lediglich durch das seltsame Verhalten des Älteren bei Nigrinas Sponsalia etwas getrübten, Eindruck, den Piso auf Flaccus machte, sofort noch glänzender erscheinen.
    "Danke.", meinte Flaccus also schlicht, und noch immer etwas ungläubig, ehe er "Ich werde es dich wissen lassen, wenn es so weit ist.", hinzufügte. Tatsächlich konnte es allerdings nicht mehr allzu lange dauern, schließlich genoss er mittlerweile bereits eine geraume Zeit ausgezeichneten Unterricht, sodass er selbst zumindest sich schon jetzt mehr zutraute, als die gängige Aufgaben, die den Discipuli zugewiesen wurden.
    Dann blickte Piso den jungen Mann einen marginalen Augenblick etwas seltsam an, ehe er stammelnd und durchaus verwirrt wirkend, den eben genannten Namen wiederholte. "Ja, Iunia Serrana, die Frau dieses Germanicers. Sedulus, ein Senator ...", begann Flaccus munter drauf los zu plaudern, als nun auch Piso langsam sich wieder zu erholen schien. "Genau.", meinte er dann, "Zwei wundervolle Menschen.", fügte er lächelnd hinzu. Und, das, obwohl sie einem plebejischen Geschlecht entstammten. Na so was! "Axilla ... kennst du sie eigentlich näher?", fragte er dann nach, und ein etwas ernsterer Ausdruck formte seine Gesichtszüge.

  • Flaccus verstand, sonst gab er nichts mehr zu der Causa von sich. Puuhhh! Wenn der Junge Piso das nicht abgenommen hätte, wäre diese Sache ihm wohl ewig nachgehangen! Und das wäre nicht so gut gewesen. Wiewohl er kurz an Cocceia Maior denken musste, die Frau, die Septemmulier werden wollte, und die Piso so nachhaltig beeindruckt hatte... sie bei den Septemviri, das wäre schon eine Sache gewesen. Vor allem, weil eine Frau bei dem Männerverein eine sehr ästhetische Sache gewesen wäre, auch mal etwas zum Anschauen – denn obwohl Maior eines fortgeschrittenen Alters war, war sie nicht hässlich, eher schien sie eine Frau zu sein, die mit dem Alter besser wurde, wie ein guter Rotwein.
    Piso gefiel sich selber als Liberaler und Fortschrittlicher. Und freilich als Ästhet. Und trotzdem war es so, dass manchmal diese Sachen seinen als Patrizier wohl mehr oder minder inhärenten Konservativismus übertünchten. Nun, manchmal. Hie und da vertrat Piso auch genuin zukunftsweisende Gedanken, doch die Betonung lag hier auf hie und da, denn zwischen dem objektiven und Pisos subjektiven Verständnis von Fortschrittlichkeit lag eine tiefe Schlucht.
    “Prima“, machte Piso betont kollegial. “Wenn es so weit ist, schnei bei mir rein, und wir gehen zum Magister Septemvirorum. Es wäre ja so etwas von gelacht, wenn wir dich nicht in unseren Chaotenverein hineinbekommen würden!“ Er lachte belustigt, als ob sein kleiner Scherz ein wirklich guter Witz gewesen wäre.
    Dann jedoch kam das Gespräch auf ein Thema, das Piso weniger Schmähseligkeit entlockte. “Ah. Germanicus Sedulus, der Name ist ein Begriff...“ Schon zwei Darstellungen dieser Person hatte er gehört. Verus, sein Freund Decimus Verus, hatte ihm gesagt, Sedulus wäre ein perfekter Römer, ein edler Mensch, ein wahrer Freund. Furianus, sein „Vetter“, hingegen, hatte ihn gewarnt vor jenem frivolen und vulgären Geschöpf, das sich da Sedulus nannte. Piso war also in der Hinsicht etwas verwirrt.
    Die Frage nach Axilla kam, und Piso zögerte eine Sekunde lang, bevor er nickte. “Ja. Sagt dir der Name Aelius Archias etwas? Er war Procurator a memoria, und mein bester Freund. Wir haben uns schon seit dem Sandkasten gekannt. Tja... er hat sich in den Tod geworfen, vom tarpeischen Felsen. Depressionen“, fügte er hintennach, denn das klang wenigstens plausibel. Und er hoffte, seinem Neffen nicht erzählen zu müssen, woher diese Depressionen stammten. “Axilla war seine Frau. Ich kenne sie durch Archias.“ Was eine kleine Lüge war. Piso hatte sie schon kennen gelernt, bevor Archias sie ihm vorgestellt hatte, durch einen seltsamen Zufall, und durch einen noch seltsameren Zufall waren sie kurz darauf zusammen im Bette gelandet. Es war unglaublich gewesen, wie toll sie im Bett war... nur heute war, aus diesem Grund und noch vielen anderen, es den beiden wohl unmöglich, sich unverkrampft gegenüber zu stehen.

  • Einen Moment lang sah Flaccus Piso etwas verdutzt an, als jener das ehrenwerte, durch seine Stellung innerhalb der quattour amplissima collegia besonders ausgezeichnete, Kollegium der Septemvirn als Chaotenverein bezeichete, widersprach das doch dem religiösen Empfinden, das er sich innerhalb der letzten Monate angeeignet hatte, auf ziemlich empfindliche Weise. Als Piso jedoch belustigt lachte, lichtete sich auch die Miene des Jüngeren langsam, als jener erkannte, dass die Worte wohl eher als Scherz gedacht gewesen waren, sodass auch Flaccus nun seine Lippen fast schon mit Gewalt zu einem Lächeln formte. Ihm erschien es sehr heikel, in diesen dunklen Zeiten, der Religion nicht die ihr gebührende gravitas entgegenzubringen, war doch die Pax Deorum nach jenem furchtbaren Fervel im Hain der Diana immer noch nicht wiederhergestellt. Glücklicherweise schien das Gespräch nun jedoch in harmlosere, da weiter vom religiösen Bereich entfernte, Gefilde abzudriften genauer gesagt in den Bereich der verwandschaftlichen Verknüpfungen zwischen den Häusern der Iunii und Germanici. Zum Senator Germanicus Sedulus hatte Flaccus selbst im Grunde noch keine eigene Meinung, hatte er bisher doch weder positive noch negative Worte über jenen vernommen, so dass er ihn für den Moment in die Kategorie der neutralen Senatoren, also jene zwischen der konservativen patrizischen und der .... anderen Front, hinter diesem Ungetüm von Vescularier, gesteckt hatte. Lediglich seine Gattin, Iunia Serrana hatte durch den frommen und überaus klugen Eindruck, den sie auf den Flavier gemacht hatte, dessen Sympathie in hohem Maße gewonnen.


    Nun allerdings schien auch dieses Thema abgehakt und das Gespräch kam gänzlich auf die andere Iunia, Axilla und ihren, wie sich herausstellen sollte, offensichtlich depressiven Gatten. "Aelius Archias ...", murmelte Flaccus den Namen kurz nach und kramte in seinem Hirn nach irgendetwas, das er vielleicht damit verknüpfen könnte - vergebens. Zu kurz war er bei jenem schrecklichen Ereignis erst in Rom geweilt, um den Betroffenen in irgendeiner Weise kennengelernt zu haben. Er schüttelte also den Kopf und lauschte Piso, als jener begann von Archias und deren Freundschaft zu erzählen - und Axilla, die als Gattin Archias' den kyklos, der in diesem speziellen Fall wohl eher einem Dreieck glich mit, wiederum schloss. Einige Momente erwiderte Flaccus nichts, zu bedrückend war die Stimmung, die die Worte Pisos, selbst in der mittlerweile durchaus größeren zeitlichen Distanz zu den Ereignissen, ausgelöst hatten. Dann jedoch blickte er auf und seinen Verwandten an. "Archias ...", meinte er dann zögerlich, " ... wie war er?" Obwohl die Götter es dem jungen Flavier wohl verwehrt hatten, jenen, sicherlich herausragenden, Mann kennenzulernen, der das große Glück genossen hatte, Axilla seine Frau zu nennen, so glaubte er doch, durch ihn auch etwas über die junge Frau selbst herauszufinden, die ihn bereits bei der Sponsalia auf seltsame Weise in ihren Bann gezogen hatte, und die selbst nun, nach dem gemeinsamen Treffen, dem Flavier immer noch ziemlich verwirrend erschien. "Ich meine, was für eine Art von Mensch war er?", schob der junge Mann noch eine Frage nach, um die erste, doch ziemlich vage gebliebene, zu spezifizieren.

  • Piso machte keinen sonderlichen Hehl daraus, dass er mit bigotter Frömmelei nicht sehr viel am Hut hatte. Kein guter Römer sollte abergläubisch sein, und Piso war durchaus stolz auf sich, dass er keinen Ammenmärchen Glauben schenkte. Nun ja, bis aufs Ammenmärchen, dass er gut singen könne. Doch dies war eine komplett andere Geschichte und sollte hier nicht von allzu viel Belang sein. Denn Flaccus schien den Witz zu verstehen, und Piso grinste zurück. Nur, die Frage war, zu welchem Ausmaße war dieser Spaß wirklich einer? Denn es wäre durchaus nicht ungewöhnlich für das Collegium Septemvirorum, sichb auf total hirnrissige Unternehmen einzulassen. Flaccus müsste doch eigentlich einen Geschmack von den hanebüchenen Ideen, die in der Domus Opimia herumzugehen pflegten, bekommen haben, als Piso ihm die Geschichte von den Septemmulieres unterbreitet hatte. Wobei dabei auch durchaus die Tatsache eine Rolle spielte, dass eine reine Herrenrunde durchaus etwas Ödes an sich hatte. Eine Frau inmitten der Männer wäre durchaus eine Auflockerung. Und, nun ja, Ablenkung, Piso gab es ja zu. Einmal innerlich.


    Diese flockigen Gedanken verpufften aus seinem Hirn wie leichte und schwerelose Wolken, als Flaccus den Namen seines unglückseligen Freundes wiederholte. Wie war er gewesen? Piso schaute fragend drein. Er verstand nicht. Erst, als Flaccus aufklärte, zündete es ihm. Was für ein Mensch er gewesen war? Das war die Frage. Der Flavier wusste nicht recht, ob er nicht das Gespräch an diesem Punkt abschneiden wollte. Es war zu schmerzhaft, sich an seinen Freund zu erinnern. Er atmete tief durch. Dann seufzte er. “Archias... er war... ach, wie soll ich sagen? Einfach das, was ein guter Freund sein muss. Er war ein erl, auf den man bauen konnte. Etwas verplant und chaotisch. Er war der Mutigere von uns beiden. Er war der, der bei den Frauen mehr Erfolg hatte. Er war jener, der die irreren Ideen hatte. Und irre Ideen haben wir beide viele gehabt. Weißt du, mein Guter, wir kannten uns seit dem Sandkasten. Wir... wir standen uns so nahe wie Brüder. Er war vielleicht nicht so gescheit wie ich, aber gescheit genug, um es zum Procurator a memoria zu schaffen. Und Vescularius Salinator war sein Todfeind. Es... er...“ Er blickte Flaccus an, als ob er ihn zum ersten Mal sehe. Dann begannen seine Augen ein Funkeln anzunehmen, nicht wie von Tränen, sondern von Hass. “Sie haben ihn in den Tod getrieben. Die ganze verdammte Bande. Vescularius Salinator, der fette Bastard. Duccius Vala, diese beschissene Barbarenkanaille. Und Axilla doch auch. Nicht absichtlich, glaube ich mal, aber doch.“ Er schnaufte aus, und atmete geräuschvoll wieder ein, während sein Blick abschweifte und kurz in der Ferne verharrte, bevor er wieder abrupt bzu Flaccus schaute.


    “Das Leben ist schon ein großer Mist hie und da. Archias war jetzt nicht der einzige Mensch, der mir nahe stand und der gestorben ist... gibt so viele rund um mich, die sterben, fast, als ob da ein Fluch wäre.“ Wäre Piso etwas gläubiger an solche übernatürliche Fähigkeiten gewesen, hätte er es wirklich geglaubt. Aber so begegnete er den Gedanken, obwohl er ihn aussprach, innerlich doch mit Skepsis. Obwohl... was konnte man noch glauben in dieser Welt?

  • Glücklicherweise schien das Thema um die abstrusen und in den Augen des jüngeren Flaviers auch in Hinsicht auf die guten alten Traditionen durchaus gefährlichen Ideen des Collegii Septemvirorum nun erschöpft, sodass die in dieser Hinsicht wohl doch grundsätzlich unterschiedlichen Auffassungen der beiden Verwandten nicht weiter aneinander prallen mussten. Im Grunde würde es wohl auch ein mittleres Wunder oder aber eine mittlere Katastrophe brauchen, um zwei Flavier zu finden, die in einer Sache gleicher Meinung waren, schien doch eine gehörige Portion Individualismus einen ebenso gravierenden Bestandteil flavischen Charakters auszumachen, wie etwa der obligate Knacks in der Birne (im flavischen Weltbild wohl eher die Genialitätskomponente, doch das mag hier nicht genauer betrachtet werden...). Potitus Vescularius Salinator etwa war wohl eine solche Katastrophe, über welche Flaccus und Piso (und nicht nur sie) wohl ungefähr die gleichen Ansichten hatten, doch war jener bisher noch nicht Teil ihrer, ohnehin nur sehr spärlich gesäten, Unterhaltungen seit der Ankunft des Jüngeren in der Villa gewesen, sodass jener auch noch nicht als gemeinsames Feindbild und somit Faktor zur Verbrüderung dienen konnte. So würden wohl die Bande des Blutes genügen müssen, um die zwei Welten gleichsam aneinander zu binden. Vorläufig.


    Denn schon einige Augenblicke später tat Piso einige Worte, die einerseits Flaccus aufhorchen ließen, andererseit aber auch den Großteil der vorangegangenen Zeilen dieses kurzen Textes überflüßig machten, denn wie auf dem Silberteller präsentierte ihm jener zwei Namen, welche wohl prädestiniert schienen, den Zorn beider Flavier gleichermaßen auf sich zu ziehen und jene dadurch etwas näher zusammenrücken zu lassen. Die vor Hass funkelnden Augen seines Gegenübers vermochten es, selbst Flaccus einen Schauer den Rücken hinunterzujagen. Es dauerte einige Momente, bis der Zornausbruch des Älteren einigermaßen abgeflaut war, und Flaccus es wagte, selbst wieder das Wort zu ergreifen, wenngleich es nur zu einer simplen Frage reichte: "Wer ist Duccius Vala?" Mit dem Risiko, durch diesen Namen den Ärger Pisos wieder auflodern zu lassen, schien der jüngere Flavier leben zu können, im Moment wog sein Interesse an jenem Mann (und vor allem seiner Beziehung zu Axilla) alle Bedenken auf.


    Glücklicherweise kam Piso in seiner spendablen Laune, in der er sich offenbar gerade befand, nicht auch noch auf die Idee, seinem jüngeren Verwandten wirtschaftliche Unterstützung, etwa in Form von Betrieben anzubieten (welche jener, warf seine Kleintierzucht im Süden ja nur äußerst dürftige Gewinne ab, zwar in finanzieller Hinsicht durchaus hätte brauchen können), hätte Flaccus sich in jenem (rein hypothetischen) Fall wohl genötigt gesehen, auch jenes großzügige Angebot anzunehmen, dadurch gleichsam die Last der Verwaltung eben jener Betriebe zusätzlich auf seine Schultern zu bürdend, und somit die ohnehin nur noch äußerst knappe freie Zeit des Studiums weiter zu beschneiden.

  • Piso scherte sich nicht sonderlich um die Differenzen in der Weltanschauung zwischen den beiden. Ja, Flaccus mochte erschreckend altmodisch sein. Aber auch Pisos liberales Mäntelchen beherbergte keine revolutionären Gedanken, außer vielleicht künstlerisch. Im Grunde war er doch im Denken seiner Zeit verhaftet, auch wenn er aus em Rahmen manchmal sprang. Grundsätzlich war er zum Beispiel relativ frauenfreundlich. Zumindest hübschen Frauen gegenüber war er freundlich. Für alte Vetteln mit nur noch 2 Zähnen im Mund würde er keinen Handgriff tun, selbst wenn jenes altes Mädchen noch so weise war.
    Flaccus horchte sich die Beschreibung von Archias nachdenklich an, bevor er eine weitere Frage aus seinem Hut zauberte. Duccius Vala. Wer war der? Kurz blickte Piso Flaccus ungläubig an. Wer kannte nicht den größten Ganoven in Rom? Wer konnte nur herumlaufen, komplett ungeschützt vor diesem Teufel?
    Er holte tief Atem. “Der grässlichste und übelste Schurke, der in Rom herumläuft. Ein Germane, der sich irgendwie das römische Bürgerrecht und den Ordo Senatorius ergaunert hat. Zur Zeit ist er Tribunus Laticlavus in Mantua.“ Seine Augenbrauen verkrampften sich. Nun gut, nicht seine Brauen an sich, sondern die Stirnmuskeln darunter. Das Resultat war, dass sich auf seiner Stirn ein erzürntes V bildete. Das war natürlich nicht gegen Flaccus gerichtet, sondern vielmehr gegen den Duccier, dessen Hybris Piso bestraft sehen wollte.
    “Er kann charmant sein. Mach dir nichts vor, viele werden dir bescheinigen, dass er ein netter Typ ist. Aber, Flaccus, ich sehe hinter hinter die Maske. Ich sehe hinter die Fassade. Ich sehe den grausamen Nachtmahr, der sich hinter seinem Gesicht verbirgt!“ Er machte eine dramatische Geste, welche beinhaltete, dass er mit seinen ausgestreckten Armen in der Luft herumwedelte. “Er ist übrigens der Spezialfreund von Axilla. Hast du die beiden nicht auf der Sponsalia gesehen? Ich sage dir... so ein Kanacke, dieser Duccius. Ich bitte dich, halte dich von ihm fern. Er ist gefährlich.“ Nun kam das bedeutungsschwangere, unheilsverkündende Gesicht. “Sag bloß nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“, mahnte er.

  • Einen kurzen Moment ungäubigen Schweigens verursachte Flaccus' Frage nach dem Duccier bei seinem Onkel, ehe jener tief Atem holte, um zu eine wahre Schimpftirade gegen ihn loszulassen. Selten hatte der junge Flavier eine derartige Häufung aller nur erdenklicher und auch einiger ganz und gar absonderlicher Schimpfwörter vernommen, sodass die Worte des Älteren, gepaart mit einem todernstem, ja völlig erzürnten, Gesichtsausdruck einen wahrhaft erschreckenden Eindruck auf ihn machten. Bei den Göttern, er hatte ja nicht geahnt, was für ein übler, verlogener und ganz und gar grässlicher Abschaum dieser Duccier eigentlich war ... Die Worte des Älteren steigerten sich in ihrer Dramatik um schließlich einen theatralischen Höhepunkt, unterstrichen von eindrucksvollen Gesten, zu erreichen. Nun hatte Piso den jungen Mann völlig von der Schlechtigkeit dieses Menschen überzeugt, die sich offenbar zuweilen hinter einer charmanten Fassade zu verbergen wusste, was ihn nur noch gefährlicher machte. Dann allerdings hing Piso noch ein paar Worte an, gleichsam als Abgesang des bereits Gesagten, die Flaccus noch tiefer trafen, als alles zuvor. Er ist übrigens der Spezialfreund von Axilla.


    Spezialfreund von Axilla


    Spezialfreund von Axilla


    Spezialfreund von Axilla


    Entgeistert blickte er seinen Onkel an, während dessen Worte unaufhörlich in seinem Kopfe sich wiederholten. Die weiteren Äußerungen, das unheilsverkündende Gesicht Pisos, die eindringliche Warnung, alles das drang kaum mehr in die bewussten Sphären seiner Wahrnehmung, wo immer und immer wieder jene Worte erklangen, wo Pisos Stimme, mittlerweile gewaltig dröhnend sich überschlug.


    "Ich...", die Stimme des jüngeren Flaviers stockte plötzlich und klang brüchig, "Ich ... wusste nicht, dass er so ist...", meinte er, während seine dunklen Augen noch immer völlig entgeistert kaum sein Gegenüber anzublicken schienen, sondern vielmehr durch Piso hindurch in den unendlichen Weiten eines imaginären Raumes sich verloren. Was sollte das nur heißen - Spezialfreund Axillas? Konnte es etwa sein, dass ... Sollte er etwa gar ...? Immer noch geistig abwesend und einer willenlosen Puppe gleich erhob sich Flaccus, und blickte nun doch Piso direkt an. "Ich danke dir ...", meinte er tonlos, " ... für deine Unterstützung, für alles ..." Er musste jetzt alleine sein. Er brauchte Zeit, um Klarheit zu gewinnen, um die Worte seines Onkels zu begreifen, um das Ausmaß derselben zu erkennen.

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